Jerry Cotton Sammelband 10 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 10 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 10: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!

G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!

Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:

2825: Wenn Leichen reden könnten

2826: Bomben in Manhatten

2827: Ruhe in Unfrieden

2828: Zweimal stirbt man nicht

2829: Die Geheimnisse von Rikers Island

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Jetzt herunterladen und garantiert nicht langweilen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
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Seitenzahl: 655

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive von © shutterstock: Flik47 | OSTILL is Franck Camhi ISBN 978-3-7325-7020-1

Jerry Cotton

Jerry Cotton Sammelband 10 - Krimi-Serie

Inhalt

Jerry CottonJerry Cotton - Folge 2825Benjamin Greaves starb an einem Hotdog-Stand, von einem Taxi angefahren. Offensichtlich war auch ein brutaler Gangster nicht gegen einen Verkehrsunfall gefeit, doch schnell stellte sich heraus, dass es ein geplanter Mord war. Phil und ich gingen der Sache nach, denn Greaves stand wegen dem Mord an einer FBI-Kollegin ganz oben auf der Fahndungsliste. Dabei gerieten wir ins Netz einer Verbrecherorganisation, in der Schweigen eine Kardinaltugend war...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2826Am Times Square ging die erste Bombe hoch und tötete einen Officer des NYPD. Der Bombenleger forderte 250.000 Dollar oder er würde einen weiteren Sprengsatz zünden. Phil und ich lauerten an der Übergabestelle des Geldes, doch während wir noch warteten, ging eine weitere Bombe hoch. Der Täter schien nicht an Geld interessiert zu sein, denn das Bomben hörte nicht auf...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2827Bei Arbeiten auf dem Trinity Cemetery zerbrach ein Sarg und heraus fielen zwei Leichen. Der Tote, der eindeutig nicht dorthin gehörte, war Jerome Lacroix, die rechte Hand des Mafia-Bosses Lorenzo Tozzi. Tozzi war not amused und nun begann ein Wettlauf zwischen uns vom FBI und Tozzis Killern, wer den oder die Mörder zuerst finden würde...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2828Alfred Benton war schon so gut wie tot. Er hatte sich mit dem großen Boss Canetti angelegt und der hatte ihm seine Killer auf den Hals gehetzt. Zuerst hatte Benton versucht zu fliehen, doch dann entschied er sich dafür, nicht alleine zu sterben...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2829Alan Sherman saß in Rikers Island wegen dem Mord an einem FBI-Agent ein. Dann wurde er von seinem Zellengenossen Pablo Mendez eines Nachts erstochen. Es gab kein Motiv für den Mord und Mendez war zum Tatzeitpunkt mit Drogen vollgedröhnt. Als Phil und ich begannen, in der Sache zu ermitteln, zweifelten wir immer mehr an der Täterschaft von Mendez, doch wer sonst konnte Sherman in einer verriegelten Zelle in einem Hochsicherheitstrakt ermordet haben...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Wenn Leichen reden könnten …

Vorschau

Wenn Leichen reden könnten …

Benjamin Greaves trat an den Straßenrand und winkte einem sich nähernden Taxi. Niemand nahm Kenntnis von diesem alltäglichen Vorgang, bis der gelbe Wagen den Mann erfasste. Der Körper des Unglücklichen wurde über die Kühlerhaube eines geparkten Volvos geschleudert und flog in einen Hotdog-Stand.

»Der Kerl haut ab!«, brüllte der Betreiber des Standes voller Wut.

Das Taxi beschleunigte und jagte über die Bleecker Street davon. Der Standbesitzer kam mit einem Kopfschütteln wieder auf die Beine.

»Der arme Kerl ist tot.«

Normalerweise zählen tödliche Verkehrsunfälle nicht zu unserem Aufgabengebiet. In diesem speziellen Fall sah es allerdings anders aus, da es sich bei dem Opfer um Benjamin Greaves handelte.

»Kaum zu glauben, dass es brutale Gangster einfach auch einmal bei einem Verkehrsunfall erwischt«, sagte Phil.

Die Fahrt in die Rechtsmedizin wurde erforderlich, da der ermittelnde Detective des NYPD auf einer förmlichen Übergabe bestand. Meistens reichte ein Telefonat, um alle bisher gesammelten Fakten in unser System überspielt und vom Ermittler dessen Erkenntnisse genannt zu bekommen.

»Zuletzt soll Greaves nur noch für Howard Beecroft gearbeitet haben. Der stammt ursprünglich aus London und baut sich offenbar seit einiger Zeit ein kleines Imperium in New Yorks Unterwelt auf«, fuhr mein Partner fort.

Beim FBI stand Greaves weit oben auf der Fahndungsliste, weil er für den Mord an einer Kollegin in Dallas verantwortlich sein sollte. Bis zu dem Anruf des Kollegen vom NYPD hatten wir nicht einmal geahnt, dass Greaves sich im Big Apple aufhielt.

»Beecroft? Noch nie von dem Mann gehört. Vielleicht ist das der Grund, weshalb der Detective uns unbedingt persönlich treffen möchte«, antwortete ich.

Als Phil und ich über den Parkplatz am Institut eilten, blähte ein Windstoß mein Sakko auf. Für einen winzigen Moment spürte ich die erste Herbstkälte in diesem Wind. Dennoch zeigte sich der September in diesem Jahr eher von seiner angenehmen Seite und schien den Sommer nur ungern weichen zu lassen.

»Special Agent Cotton vom FBI. Das ist mein Partner, Special Agent Decker.«

Beim Anblick des zirka fünfzig Jahre alten Detectives erledigte sich eine Überlegung sofort. Wir hatten es keinesfalls mit einem Greenhorn vom NYPD zu tun, weshalb mich sein Verhalten umso neugieriger machte.

»Detective Salomon. Die Umstände des Unfalls erscheinen mir zu ungewöhnlich, um darüber am Telefon zu sprechen«, stellte der mittelgroße Detective sich vor und begründete sein Verhalten.

Salomon führte uns in das Büro des Rechtsmediziners, der bei unserem Eintreten seinen Bericht in ein Diktaphon sprach.

»Das sind die Agents Cotton und Decker vom FBI, Doc. Erzählen Sie bitte noch einmal, was Ihnen aufgefallen ist.«

Der Pathologe kam dem Wunsch nach und gab einen detaillierten Bericht über die Verletzungen von Benjamin Greaves.

»Das erklärt seinen schnellen Tod, Doktor. Warum glauben Sie aber an einen vorsätzlichen Mord und nicht an einen unglücklichen Unfall?«, fragte ich.

Der Rechtsmediziner trat an eine Videowand und stellte drei unterschiedliche Aufnahmen nebeneinander, die einer seiner Assistenten während der Obduktion angefertigt hatte.

»Die Aufnahme ganz links zeigt die typischen Verletzungsspuren, die bei einem frontalen Zusammenstoß eines menschlichen Körpers mit einem Auto entstanden sind. Jetzt vergleichen Sie die Spuren bitte mit den Aufnahmen von Mister Greaves«, bat uns der Pathologe.

Der Unterschied war so gravierend, dass auch ein Laie wie ich es sofort bemerkte.

»Die Wunden bei Greaves sind wesentlich größer und sehen anders aus«, gab ich meine Beobachtung weiter.

Phil nickte zustimmend.

»Es sieht so aus, als wenn Greaves von einem kantigen Gegenstand erwischt worden wäre. Wie sind solche Spuren zu erklären?«

Auf Phils Frage lieferte der Rechtsmediziner eine simple Erklärung, die uns aufhorchen ließ.

»Der Fahrer hat den Wagen in einem speziellen Winkel auf das Opfer gelenkt, um möglichst schwere Verletzungen zu erzeugen. Nur so kann ich mir die großflächigen Verletzungen erklären«, gab er seine fachmännische Beurteilung ab.

Ich schaute hinüber zu Detective Salomon.

»Meiner Ansicht nach handelt es sich um einen gezielten Mordanschlag, Agent Cotton. Ich wollte, dass Sie sich diese Bilder ansehen und den Doc nach seiner Meinung fragen. Teilen Sie meine Einschätzung oder glauben Sie weiterhin an einen Unfall?«

Phil und ich schüttelten gleichzeitig den Kopf.

»Wir sind absolut Ihrer Meinung, Detective. Vielen Dank, Doktor. Schicken Sie uns bitte den vollständigen Obduktionsbericht zu.«

Der Pathologe versprach es und so konnten wir das Institut verlassen. Auf dem Parkplatz blieb Detective Salomon stehen, um sich eine Zigarette anzustecken.

»Nach unseren bisherigen Erkenntnissen arbeitete Greaves nur noch für Howard Beecroft, Agent Cotton. Offenbar hat er dort eine Art Vertrauensstellung eingenommen, was einige Rückschlüsse über Beecrofts Stellung innerhalb der Unterwelt zulässt«, ließ uns Salomon an seinem Wissen teilhaben.

Wir diskutierten eine Weile über diese Konstellation, bevor wir uns trennten. Für Detective Salomon waren die Ermittlungen damit beendet, während Phil und ich erst richtig loslegen würden.

»Zuerst möchte ich mehr über Howard Beecroft und dessen Position erfahren«, sagte ich beim Einsteigen zu Phil.

Schon auf der Fahrt zurück ins Field Office klinkte mein Partner sich ins System ein, um die gewünschten Daten zu beschaffen.

***

Bei dem Unfall hatte es zum Glück reichlich Augenzeugen gegeben, sodass wir über die Nummer des Taxis verfügten. Eine erste Anfrage bei der dazugehörigen Taxizentrale brachte mehr Rätsel als Lösungen.

»Samuel Richards ist ein langjähriger Mitarbeiter des Unternehmens, dreiundfünfzig Jahre alt und taucht in keiner der Datenbanken für Vorstrafen auf«, überraschte Phil mich im Büro.

Auch das anschließend mit dem Taxiunternehmen geführte Telefonat brachte keine Erhellung, sondern verstärkte die Zweifel an einer Täterschaft von Richards.

»Wie bitte? Wo? Ja, wir kommen sofort«, hörte ich wenige Minuten später Phil am Telefon ausrufen.

»Richards wurde in der Gästetoilette eines Diners unweit des Unfallortes niedergeschlagen. Der Inhaber hat ihn gefunden und bereits einen Rettungswagen angefordert«, erklärte Phil im Laufen.

Samuel Richards wurde laut Auskunft des Rettungssanitäters ins Mercy Hospital gebracht, wohin Phil und ich umgehend fuhren.

»Mister Richards hat einen starken Schlag auf den Kopf bekommen. Die Schwellung ist gut erkennbar und ich gehe von einer mittelschweren Gehirnerschütterung aus«, weihte uns eine halbe Stunde später der behandelnde Arzt ein.

Auf meine Frage, ob Richards sich diese Verletzungen eventuell selbst beigebracht haben könnte, reagierte der Arzt fast ungehalten.

»Falls es Ihnen gelingen sollte, sich an der Stelle am Kopf einen derartig harten Schlag selbst beizubringen, melden Sie sich bitte. Ich halte es für eine artistische Meisterleistung, wenn Sie es schaffen.«

Samuel Richards war ansprechbar und erhob keine Einwände gegen eine Befragung.

»FBI? Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass irgendwelche Terroristen mein Taxi für einen Anschlag eingesetzt haben«, stieß er überrascht und erschrocken hervor.

Ich beruhigte den mehrfachen Familienvater, der uns aus braunen Augen musterte. Beim Anblick unserer Dienstausweise zuckte Richards zusammen.

»Wir können noch nicht viel über die Hintergründe sagen, Mister Richards. Kennen Sie einen dieser Männer?«

Meine ausweichende Antwort befriedigte den Taxifahrer keineswegs, aber er schluckte den Protest hinunter und schaute sich die verschiedenen Fotografien genauer an. Bei den acht Aufnahmen war jeweils eine Fotografie von Benjamin Greaves sowie Howard Beecroft dabei.

»Tut mir leid, Agent Cotton. Ich kenne keinen dieser Männer. Ist der Dieb meines Taxis darunter?«

Ein Seitenblick zu meinem Partner genügte, um ab sofort mit offenen Karten zu spielen.

»Dieser Mann wurde mit Ihrem Taxi überfahren, Mister Richards. So wie es aussieht, mit voller Absicht«, teilte ich unser Wissen mit dem Fahrer.

Samuel Richards stöhnte leise auf und schloss für einen Augenblick die Augenlider.

»Gab es an Ihrem Fahrzeug irgendwelche defekten Teile, Unfallspuren oder andere Auffälligkeiten?«, fragte Phil.

Richards öffnete die Lider und schaute meinen Partner entrüstet an.

»Natürlich nicht, Agent Decker. Mein Taxi ist in einem erstklassigen Zustand. Wie schlimm ist es denn beschädigt?«

»Der Unfall wurde wie gesagt mit voller Absicht herbeigeführt und daher gibt es größere Beschädigungen im Frontbereich«, antwortete ich wahrheitsgemäß.

Über die andere Vermutung des Rechtsmediziners wollte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht reden. Erstens fehlte die Bestätigung durch die Kriminaltechniker und zweitens konnte dieser Umstand aus ermittlungstaktischen Gründen noch wertvoll werden.

Leider konnte der Taxifahrer uns keine brauchbare Beschreibung des Mannes geben, der ihm in der Toilette des Diners aufgelauert hatte.

»Er war größer als ich«, erklärte Richards.

»Ich wollte mir gerade die Hände waschen, als der Angreifer hinter mir auftauchte. Unmittelbar vor dem Schlag konnte ich seinen Arm für den Bruchteil einer Sekunde im Spiegel erkennen. Der Kerl muss wenigstens einen Kopf größer als ich sein.«

***

Nachdem Phil und ich ein wenig enttäuscht an unsere Schreibtische zurückgekehrt waren, besprachen wir die nächsten Schritte.

»Ich überprüfe alle Überwachungskameras, die auf diesem Abschnitt der Bleecker Street installiert sind«, übernahm Phil diesen Part.

Für mich blieben damit die Zeugenaussagen, die von den Cops an der Unfallstelle aufgenommen worden waren. Die Stunden verstrichen in leiser, aber intensiver Arbeit, bis es bereits nach sieben Uhr am Abend war.

»Lass uns für heute Schluss machen, Phil. Mein Kopf benötigt ein wenig Ruhe, um die vielen Daten zu sortieren«, schlug ich vor.

Da mein Partner ähnlich erschöpft war, verließen wir das Field Office und ich setzte Phil an der üblichen Ecke ab. Kurze Zeit später meldete sich mein Mobiltelefon.

»Ja, das bin ich. Tatsächlich? Ja, gut. Ich komme zu Ihnen ins Krankenhaus«, gab ich mich geschlagen.

Die Anruferin stellte sich als die Nachtschwester der Station vor, auf der Samuel Richards lag. Der Taxifahrer hatte um meinen Besuch gebeten und es sehr dringend gemacht.

»Der Patient wirkt sehr aufgewühlt und ich habe gehofft, dass Sie diesen Besuch noch heute Abend einrichten könnten«, redete die Krankenschwester mir gut zu.

Es fiel mir zwar schwer, aber trotzdem sagte ich es zu und lenkte vierzig Minuten später den Jaguar in die Abbiegespur. Als ich über den Parkplatz des Krankenhauses in Richtung Eingang strebte, erschien eine Frau in Schwesterntracht vor mir.

»Agent Cotton?«, fragte sie.

Ich erkannte die Stimme sofort wieder und nickte mit einem Lächeln. Die hübsche Krankenschwester erwiderte das Lächeln und behielt es auch bei, als sie die Waffe aus der Tasche zog und ohne jede Vorwarnung auf mich feuerte. Ein brutaler Schlag traf meinen Brustkasten und zwang mich zu Boden. Sosehr ich mich auch bemühte, meine Stimme versagte genauso wie meine Beine. Auch der Versuch, an meine Dienstwaffe zu kommen, scheiterte an der Bewegungsunfähigkeit meiner Arme und Hände. Hilflos trieb ich zuerst an den Rand der Ohnmacht, bevor ein zweiter Schlag mich endgültig in den dunklen Schacht stürzen ließ.

***

Die Rückkehr meines Bewusstseins wurde von einem seltsamen Taubheitsgefühl begleitet. Es dauerte eine Weile, bis ich meine Sinne geordnet hatte, um mir über meine Lage bewusst zu werden.

»Bleiben Sie ganz ruhig und konzentrieren Sie sich auf mich, dann geht es bald besser«, meldete sich eine vertraute Stimme.

Mit einiger Mühe konnte ich den Kopf so weit zur Seite drehen, dass ich der vorgeblichen Krankenschwester ins Gesicht schauen konnte. Mein Blick erfasste eine Latexmaske, die auf den ersten Blick wie ein echtes Gesicht wirkte. Darauf war ich bereits auf dem Parkplatz hereingefallen.

»Was wollen Sie von mir?«

Erst im dritten Anlauf bekam ich die Frage einigermaßen verständlich über meine spröden Lippen. Ich schluckte krampfhaft und akzeptierte das angebotene Wasser aus einer Flasche. Die Brünette sorgte gekonnt dafür, dass ich nur kleine Schlucke trank und damit meine Lebensgeister zurückkehrten.

»Ich habe einige Fragen, auf die nur Sie mir Antworten geben können«, antwortete die Frau.

Verwundert registrierte ich ihre Ausstrahlung, die zwischen Wut und Verwirrung angesiedelt zu sein schien. Sie wirkte aber keineswegs gefährlich auf mich, sodass ich mich ein wenig entspannte.

»Sie entführen einen Agent des FBI, um ihm einige Fragen zu stellen? Haben Sie schon einmal etwas von der Erfindung des Telefons gehört?«, reagierte ich verärgert.

Ein wehmütiges Lächeln huschte über das schmale Gesicht der Frau, die ich für gleichaltrig hielt. Einige graue Strähnen in ihren schulterlangen Haaren blitzten auf, als sie den Kopf leicht schüttelte.

»Sie würden mir am Telefon keine Antworten geben, Agent Cotton. Es geht immerhin um eine laufende Ermittlung und ich kann kein geeignetes Interesse nachweisen, um ein Recht auf Antworten zu haben«, erwiderte sie nüchtern.

Ihr Gehabe sowie ihre Ausdrucksweise erinnerten mich an einen Ermittler oder Agent, was die Situation noch makabrer erscheinen ließ.

»Wer sind Sie, oder darf ich das nicht erfahren?«

Die Frau löste sich von ihrer Position am Fenster und setzte sich auf einen schlichten Stuhl, der ungefähr fünf Yards von meinem eigenen entfernt stand.

»Mein Name tut nichts zur Sache. Ich war eng mit Benjamin verbunden, und damit wissen Sie auch schon, was mich so brennend an Ihren Ermittlungen interessiert.«

Mit dieser Antwort musste ich zunächst einmal fertig werden, denn sie löste eine ganze Kaskade von Gedanken aus.

»Sind Sie die Ehefrau von Benjamin Greaves?«

Auf meine Frage erhielt ich keine Antwort. Möglicherweise befand ich mich in den Händen der Witwe eines extrem gefährlichen Gangsters. Wie würde sich diese merkwürdige Situation auflösen?

»Und jetzt möchten Sie von mir erfahren, ob wir bereits erste Informationen in Bezug auf den Mord an Ihrem Mann haben?«, behielt ich die Rolle des Fragenden bei.

Ein kurzes Aufflackern in den dunkelblauen Augen machte mich stutzig.

»Dann ist dem FBI also bereits klar, dass Benjamin kein einfaches Opfer eines Verkehrsunfalls ist. Sehr gut! Wen haben Sie in Verdacht, für diesen heimtückischen Mord verantwortlich zu sein, Agent Cotton?«

Ich führte es auf meinen angeschlagenen Zustand zurück, dass ich meiner Entführerin unwillentlich doch einige Informationen zugespielt hatte. Mein Blick blieb einige Sekunden an der Waffe hängen, die neben einer Umhängetasche auf einem von Staub überzogenen Tisch neben dem Fenster lag.

»Sie haben mich mit dieser Elektroschockpistole außer Gefecht gesetzt? So etwas kann böse ins Auge gehen, Mistress Greaves«, ging ich zum Angriff über.

Die Frau lächelte spöttisch und überhörte die Anrede geflissentlich.

»Einem kerngesunden Agent des FBI beschert es lediglich einige Schwankungen im Kreislauf, sobald der unmittelbare Schock überstanden ist«, korrigierte sie gelassen.

Mir wurde schlagartig bewusst, dass sie mich unmöglich weit vom Krankenhaus entfernt festhalten konnte. Sie war offensichtlich gut trainiert, aber um einen Mann meiner Statur über längere Distanzen zu tragen, fehlte es ihr dann doch an der erforderlichen Kraft. Außerdem drohte auf einem öffentlichen Parkplatz jederzeit eine Entdeckung durch zufällige Beobachter.

»Sie denken darüber nach, ob wir uns in der Nähe des Krankenhauses befinden. Sobald Sie mir gesagt haben, wer auf Ihrer Liste der Verdächtigen steht, erhalten Sie die gewünschte Antwort. Außerdem verständige ich den Sicherheitsdienst des Krankenhauses, damit man Sie schnell befreien kann«, gab meine Entführerin einen weiteren Beweis ihrer Intelligenz.

Vielleicht war es ein cleverer Bluff mit dem Hinweis auf den Sicherheitsdienst oder eine winzige Unachtsamkeit der Frau, aber dadurch bestätigte sie indirekt meine Vermutung. Mein Gefängnis befand sich in unmittelbarer Nähe des Krankenhauses.

»Sie werden ganz bestimmt keine Auskünfte von mir erhalten. Wenn Sie den Mörder von Benjamin Greaves zur Rechenschaft ziehen wollen, kooperieren Sie einfach mit uns. Möglicherweise vergesse ich in dem Fall sogar diese Entführung«, blieb ich offensiv.

Die angebliche Krankenschwester betrachtete mein Gesicht, und für eine kurze Zeit glaubte ich daran, ihr einen brauchbaren Vorschlag unterbreitet zu haben. Doch dann erhob sie sich und verstaute die Elektroschockpistole in ihrer Umhängetasche.

»Sie haben bislang nicht die leiseste Ahnung, wer oder warum Ben sterben musste. Verhalten Sie sich ruhig, Agent Cotton. Ich werde den Sicherheitsdienst verständigen, damit man Sie befreit«, sagte sie zum Abschied.

So einfach wollte ich sie aber nicht verschwinden lassen.

»Ach, nein? Beecroft wäre doch ein gutes Stichwort.«

Die Frau unterbrach ihren Weg zur Tür und wandte sich mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht um. Der Name überraschte sie oder bestätigte eine Vermutung. Erneut trafen sich unsere Blicke und ich gab mir die größte Mühe, ein Pokerface zu zeigen.

»Sie haben wirklich nichts in der Hand, wenn Sie zu solchen billigen Tricks greifen müssen. Danke für die Informationen, Agent Cotton.«

Ich schenkte mir einen weiteren Versuch und schaute ihr schweigend nach. Da wandte sie sich an der Tür um, und als ich die Frau mit der Elektroschockpistole in der Hand anschaute, ahnte ich ihr Vorhaben.

»Wenn Sie wieder zu sich kommen, werde ich bereits den Sicherheitsdienst verständigt haben. Jetzt benötige ich aber einen kleinen Vorsprung«, entschuldigte die Frau sich.

Tatsächlich dauerte es nur kurze Zeit nach meiner erneuten Rückkehr ins Bewusstsein, bis sich eilige Schritte der Tür näherten und mich gleich darauf eine Taschenlampe blendete.

»Es ist tatsächlich kein Scherz gewesen. Keine Bange, Agent Cotton. Wir befreien Sie sofort«, hörte ich eine aufgeregte Männerstimme sagen.

Bange? Ich war wütend und sauer. Wütend auf die Frau, weil sie die Dreistigkeit besessen hatte, mich zu entführen. Sauer auf mich, weil ich in die simple Falle getappt war. Der neue Tag war bereits angebrochen, und somit verfügte meine Kidnapperin über reichlich Vorsprung.

***

Auf der Fahrt ins Büro hatte ich Phil von meinem abendlichen Zwischenfall erzählt, was mir anschließend eine Standpauke einbrachte.

»Wieso hast du mich nicht angerufen?«, beschwerte er sich.

Ich hätte es vermutlich getan, wenn die Fahndung nach Andrea Greaves nicht zu einem eindeutigen Ergebnis geführt hätte.

»Weil Mistress Greaves bereits ihre Flucht nach London angetreten hatte. Sie muss den Flug in der weisen Voraussicht gebucht haben, dass nach der Entführung eines Agents des FBI der Apparat sie schnell findet«, erklärte ich es im Büro nochmals.

Leider hatte ich außer meinem Gefühl keine Beweise, dass sie die Entführerin gewesen war. Andrea Greaves war mit der Morgenmaschine nach London geflogen und dort auch angekommen, wie wir von den Kollegen wussten.

Auch unser Chef war nicht völlig einverstanden mit meinem Vorgehen. Mr High ermahnte mich, zukünftig sofort mit ihm über solche einschneidenden Vorkommnisse zu sprechen. Leicht zerknirscht sagte ich es zu.

»Es gibt eine Rückmeldung von der Metropolitan Police aus London, Sir«, wechselte ich dann das Thema.

Unmittelbar vor der morgendlichen Besprechung hatte sich ein Chief Inspector mit einem näselnden Englisch am Telefon gemeldet.

»Chief Inspector Haddock konnte mir bestätigen, dass Andrea Greaves in Heathrow englischen Boden betreten hat. Die Kollegen bemühen sich jetzt darum, ihren weiteren Weg innerhalb Londons zu rekapitulieren«, gab ich den Inhalt des Telefonats wieder.

Ich konnte nicht mit Bestimmtheit die Witwe von Greaves als meine Kidnapperin benennen, weshalb wir es lediglich bei einer Bitte zur Beobachtung belassen mussten. Die englischen Kollegen taten uns den Gefallen, doch mehr war zurzeit nicht möglich.

Mein Partner war ganz offensichtlich mit einem Gedankengang beschäftigt, wie mir sein leicht abwesender Gesichtsausdruck verriet.

»Hast du eine Idee, Phil?«

Er hob den Kopf und deutete dann auf eine Fotografie von Howard Beecroft, der uns vom Wandmonitor scheinbar forschend betrachtete.

»Beecroft ist Engländer und hat vor seinem Wechsel in die Staaten nicht nur in seinem Heimatland eine kriminelle Organisation aufgebaut. Unter diesem Aspekt finde ich die Londonreise von Greaves’ Witwe bemerkenswert«, antwortete Phil.

Mr High nickte zustimmend.

»Ich teile Ihre Einschätzung, Phil. Da Mistress Greaves diesen Flug bereits vor einigen Tagen gebucht hat, handelt es sich nicht um eine überstürzte Flucht.«

Obwohl ich mich dieser Überlegung hundertprozentig anschloss, blieb meine Entführung ein Störfaktor in diesem Bild.

»Andrea kann aber unmöglich meine Entführung eingeplant haben. Vermutlich hatte sie generell ein solches Gespräch mit jedem zuständigen Ermittler vorgenommen. Was mich dabei stört, ist aber der zeitliche Rahmen.«

Der Chef und Phil sahen mich gespannt an.

»Als Mistress Greaves den Flug nach London gebucht hat, war ihr Mann doch noch am Leben. Wie passt diese Vorbereitung mit dem Mord an ihrem Mann zusammen? Ahnte Mistress Greaves etwas oder müssen wir ausnahmsweise tatsächlich von einem seltsamen Zufall ausgehen?«, schloss ich meine Überlegungen ab.

Einige Sekunden legte sich nachdenkliches Schweigen über den Tisch, bevor Mr High das Wort ergriff.

»Sie haben Mistress Greaves erlebt, Jerry. Können Sie sich vorstellen, dass die Entführung Teil einer cleveren Ablenkung von ihr als Mörderin sein sollte?«

Das wäre zwar die logische Konsequenz aus meinen Gedankengängen, aber sie leuchtete mir dennoch nicht ein.

»Nein, Sir. So würde es einen Sinn ergeben, aber ich glaube nicht daran«, antwortete ich ehrlich.

Da wir mit den vorhandenen Fakten nicht weiterkamen, verschoben wir die Debatte zu dem Thema. Phil und ich wollten uns weiterhin auf den Taxidieb konzentrieren. Während mein Partner sich an die Auswertung der Videoaufzeichnungen diverser Überwachungskameras machte, las ich die Befragungsprotokolle der Zeugen des Unfalls durch. Die Fülle der Aufzeichnungen beziehungsweise der Protokolle hatte uns diese mühsame Arbeit am Vortag nicht abschließen lassen.

»Chief Inspector Haddock? Gibt es Neuigkeiten?«

Als ich den Namen des Kollegen aus London aussprach, wurde auch Phil aufmerksam. Dieser Anruf konnte uns hoffentlich ein wenig Aufklärung bringen, wie Andrea Greaves mit dem Mord an ihrem Mann in Verbindung zu bringen war.

»Sie hat was?«, entfuhr es mir ungläubig.

Bei meinem Ausruf runzelte Phil alarmiert die Stirn und rutschte unruhig auf seinem Schreibtischstuhl hin und her.

»Danke, Chief Inspector. Wir bleiben in Kontakt«, beendete ich das Gespräch.

***

Mein Partner machte eine auffordernde Geste.

»Andrea Greaves hat einen Mord in London verübt, Phil. Wenigstens gibt es schwerwiegende Indizien, die sie damit in Verbindung bringen«, fing ich mit dem wichtigsten Detail an.

Mein Partner stieß einen leisen Pfiff aus.

»Gibt es eine Verbindung zu unserem Mord?«

»Das kann man vermutlich so sagen, Phil. Der Tote heißt Alexander Beecroft und ist der Sohn von Howard«, sagte ich.

Einige Sekunden starrte Phil mich nur fassungslos an.

»Die Frau ist also auf einer Art Rachefeldzug, oder wie deutet es die Polizei in London?«, fragte er.

Dazu hatte der distanziert reagierende Chief Inspector sich nicht äußern wollen, da es zu sehr in den Bereich der Spekulation ging.

»Wissen die Engländer wenigstens, wo sich Andrea Greaves jetzt aufhält?«

Auf Phils Frage konnte ich nur den Kopf schütteln. Die Witwe von Benjamin Greaves hatte erneut abtauchen können. Dank ihrer Wurzeln in London fand sie offenbar reichlich Unterstützung, was die Fahndung nach ihr erheblich erschwerte.

»Was hast du jetzt vor, Jerry?«

Meinem Partner war aufgefallen, wie wortkarg ich in den vergangenen Minuten geworden war. Ich ging gedanklich die bekannten Fakten durch und kam nicht umhin, in Andrea Greaves den Schlüssel zu den Geschehnissen zu sehen.

»Ich halte ein Gespräch mit Howard Beecroft zu diesem Zeitpunkt für wenig hilfreich, Phil. Natürlich liegen die Auslöser dieser Morde garantiert in seinem Umfeld, aber wir haben einfach zu wenige Anhaltspunkte. Wir sollten uns an Mistress Greaves halten«, legte ich mich fest.

Mein Partner hob überrascht die Augenbrauen.

»Du willst nach London und selbst nach ihr suchen?«

Es war der beste Ansatz, den ich anzubieten hatte. Benjamin und seine Frau standen in einer noch zu klärenden Verbindung zur Organisation von Howard Beecroft. Ich konnte nicht akzeptieren, dass die Kollegen der Metropolitan Police Andrea Greaves lediglich als eine von mehreren Mordverdächtigen ansahen. Unser Gesuch um Unterstützung bei der Fahndung nach ihr hatte vermutlich keine sonderlich hohe Priorität.

»Ja, Phil. Möglicherweise liegt der Schlüssel zum gesamten Fall in London, und daher kommen wir nur weiter, wenn wir vor Ort recherchieren.«

Mein Partner dachte eine Weile über meine Argumentation nach, bevor er schließlich zustimmte. Meine Bitte um ein kurzfristiges Gespräch mit dem Chef konnte Helen zum Glück schnell umsetzen. Mr High hörte sich an, was der Chief Inspector gesagt hatte und welche Rückschlüsse wir daraus zogen.

»Einverstanden, Jerry. Ich telefoniere mit dem Vorgesetzten von Chief Inspector Haddock, damit es nicht an der nötigen Unterstützung mangelt«, sagte unser Chef zu.

Die folgenden Stunden waren mit den Reisevorbereitungen ausgefüllt und der Besprechung mit den Kollegen. June und Blair sollten die Ermittlungen in New York übernehmen, damit die Nachforschungen auf beiden Seiten des Atlantiks zügig vorangetrieben wurden.

»Damit erlöst ihr mich«, freute sich Blair.

Der farbige Agent war zu einem Sondertraining eingeteilt worden, bei dem die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung bei außergewöhnlichen Bedrohungslagen geübt werden sollte. Doch nicht nur Blair zeigte sich angetan von der Übertragung der Ermittlungen.

»Howard Beecroft ist eine faszinierende Größe in der Unterwelt des Big Apple. Ich bin sehr gespannt, wie er so still und leise seinen Weg an die Spitze geschafft hat«, zeigte June sich sehr engagiert.

Nur wenige Stunden später startete die Maschine vom J. F. K. Airport in Richtung England. Wir würden am nächsten Vormittag auf dem Londoner Flughafen Heathrow landen, wo uns Haddock oder einer seiner Mitarbeiter in Empfang nehmen wollten.

»Auf in den Londoner Regen«, unkte Phil.

Mir fielen kurz nach dem Start bereits die Augen zu. Der angebotene Film zur Unterhaltung der Passagiere vermochte mich nicht wach zu halten, sodass ich den größten Teil des Fluges verschlief.

***

Auf dem Flugplatz in London erwartete uns ein mürrischer Sergeant der Metropolitan Police, der sich definitiv nicht als Fremdenführer eignete. Der Mitarbeiter von Haddock chauffierte uns ins Crowne Plaza Hotel, einen schmucken Altbau.

»Von hier ist es nicht weit bis zur Victoria Street, Agent Cotton. Dort finden Sie unsere Abteilung im achten Stockwerk. Chief Inspector Haddock schlägt vor, dass Sie zunächst frühstücken. Er kommt dann zu Ihnen ins Hotel«, teilte der Sergeant uns mit.

Er stieg nicht aus dem Wagen aus, sondern sauste wenige Sekunden nach seiner langen Rede mit einem gemurmelten Satz davon.

»Hat er sich verabschiedet oder war das ein Fluch?«, fragte Phil amüsiert.

Im Hotel begrüßte uns eine sehr aufmerksame Angestellte hinter dem Empfangstresen und sorgte dafür, dass wir unsere Zimmer in der dritten Etage beziehen konnten. Es gab keine Klimaanlage, dafür aber einen riesigen Flachbildschirm als Fernseher. Durch meinen Schlaf während der Atlantiküberquerung stellte das breite Bett keinerlei Verlockung für mich dar. Also widmete ich mich dem Fernsehprogramm und erfuhr so einige interessante Dinge über London. Beim Frühstück schaute Phil mich aus verquollenen Augen an, da er lediglich gute drei Stunden Schlaf im Flugzeug erhalten hatte. Entsprechend schlecht war seine Laune, die beim Anblick des üppigen Büfetts allerdings ein wenig stieg.

»Special Agent Cotton?«

Die näselnde Stimme hätte ich unter Tausenden herausgehört, weshalb ich sofort den Sprecher erkannte. Chief Inspector Martin Haddock war eine elegante Erscheinung, der mich in seinem dreiteiligen Nadelstreifenanzug fatal an einen Butler erinnerte.

»Ja, das bin ich. Das ist mein Partner, Special Agent Decker.«

Mit einer steifen Verbeugung und einem knappen Händedruck brachte Haddock die Begrüßung hinter sich.

»Setzen Sie sich doch bitte, Chief Inspector. Wir wollten gerade unser Frühstück zu uns nehmen«, bot ich an.

Mehr als ein flüchtiges Lächeln wollte sich nicht auf den schmalen Lippen des Engländers zeigen.

»Danke, aber leider fehlt dafür die Zeit. Uns erwartet der Bericht des Pathologen und wir müssen mit dem Londoner Verkehr rechnen. Können wir dann, Agent Cotton?«, erwiderte Haddock.

Phil schoss einen bitterbösen Blick auf den Rücken des Chief Inspectors ab, während ich hastig meinen Kaffee austrank. Mit nur einem Sandwich und einer Tasse Kaffee im Bauch folgte ich dem gleich großen Chief Inspector. Mit einiger Belustigung registrierte ich den unvermeidlichen Regenschirm, den Haddock beim Verlassen des Hotels umgehend aufspannte. Ein böiger Wind trieb mir kalte Regenschleier ins Gesicht, was meiner Belustigung einigen Abbruch bescherte. Hastig schloss ich den Trenchcoat und war heilfroh, als wir in den Wagen einsteigen konnten.

»Sergeant Braddock kennen Sie bereits«, stellte Haddock den mürrischen Fahrer vor.

Ich nickte ihm mit einem Lächeln zu, doch der Sergeant rangierte den Vauxhall bereits in den langsam fließenden Verkehr der Victoria Street.

Bis zum Eintreffen in der Pathologie schwiegen wir eisern, sodass ich das ungewohnte Straßenbild in mich aufnehmen konnte. Allein der Linksverkehr machte die Fahrt schon spannend, doch allgemein bewunderte ich das unorthodoxe Fahrverhalten der Engländer. Es wurde weit mehr gehupt als bei uns in New York und der Fahrstil wirkte erheblich aggressiver.

»Alexander Beecroft wurde betäubt und später mit einem stumpfen Gegenstand erschlagen. Die Schädelfraktur lässt annehmen, dass der Täter mit großer Kraft mehrere Schläge ausgeführt hat«, führte der Rechtsmediziner kurze Zeit später aus.

Der Pathologe war ein Riese mit einem mächtigen schwarzen Bart, durch den er sich regelmäßig strich. Während er die Ergebnisse seiner Obduktion vorstellte, wanderte mein Blick über den nackten Oberkörper von Alexander Beecroft. Die typische Narbe des Ypsilonschnitts beherrschte das Sichtfeld, doch mir entgingen die kleinen roten Male an Beecrofts Brustkorb nicht.

»Nun, Agent Cotton. Wofür halten Sie diese roten Verfärbungen der Haut?«, fragte der Rechtsmediziner mich.

»Ich tippe auf Verbrennungen, wie sie durch die kleinen Pfeile einer Elektroschockpistole verursacht werden«, konnte ich so mit einiger Sicherheit antworten.

Ein anerkennender Blick traf mein Gesicht.

»Ihr Jungs vom FBI seid wirklich gut. Volltreffer, Agent Cotton. Beecroft wurde mit so einer elektrischen Ladung außer Gefecht gesetzt, bevor sein Mörder ihn an einen ruhigen Ort verschleppte«, bestätigte der Arzt.

Da Chief Inspector Haddock bislang keine Angaben zum Fundort der Leiche oder andere kriminalistische Erkenntnisse geliefert hatte, stellte ich dem Pathologen meine Fragen.

»Fundort und Tatort liegen demnach auseinander, Doc?«

Ein überraschter Blick aus seinen grauen Augen streifte das starre Gesicht des Chief Inspectors, bevor der Pathologe mir Auskunft erteilte.

»Richtig erkannt, Agent Cotton. Der Tote wurde auf einem führerlosen Boot entdeckt, das von der Flusspolizei aufgebracht worden ist. Da es an Bord keine Anzeichen für einen Kampf gab, müssen wir von einem anderen Tatort ausgehen«, lautete die präzise Antwort.

Leider reichten die sichergestellten Spuren am Körper von Alexander nicht aus, um diesen Tatort näher einzugrenzen.

»Wie viel Zeit lag zwischen der Ankunft von Mistress Greaves und dem Mord an Mister Beecroft?«, wollte Phil erfahren.

Dieses Mal reagierte der Rechtsmediziner anders als zuvor.

»Mensch, Haddock! Jetzt schlucken Sie um Gottes willen endlich Ihren Frust hinunter und reden mit Ihren Kollegen aus New York«, fuhr er den schweigsamen Chief Inspector an. »Sie müssen wissen, dass Martin ein richtiger Eigenbrötler ist und es auf den Tod nicht leiden kann, wenn man sich in seine Arbeit einmischt«, wandte der Arzt sich dann erklärend an uns.

Für einen Moment breitete sich peinliches Schweigen im Raum aus, bevor der Chief Inspector sich vernehmlich räusperte.

»Sobald wir hier fertig sind, erhalten Sie eine umfassende Einweisung. Haben Sie weitere Fragen an den Pathologen?«

Es war ein kleines Entgegenkommen und musste uns vorerst genügen. Wir dankten dem Arzt.

»Wenigstens sind die Rechtsmediziner in England ähnlich sonderlich wie zu Hause«, murmelte Phil auf dem Weg zum Wagen.

Dem konnte ich nicht widersprechen, aber für mich war der Doktor bislang der netteste Engländer, auf den wir seit unserer Ankunft getroffen waren. Die Fahrt zum New Scotland Yard verlief erneut in Schweigen. Im achten Stockwerk des modernen Bürohochhauses bewunderte ich zunächst die Atmosphäre professioneller Hektik. Hier unterschieden sich die Engländer keineswegs von uns oder der Arbeitsweise im Field Office.

»Das ist Inspector Kendall. Er ist der Verbindungsbeamte für die gemeinsamen Ermittlungen«, stellte uns Haddock einen rothaarigen Mann vor.

Der stämmige Mann schüttelte uns mit überraschendem Enthusiasmus die Hand.

»Ich habe tausend Fragen an Sie, Agents. Pat und ich werden dafür sorgen, dass man das FBI auch hier in London ernst nimmt«, versicherte er eilfertig.

Phil musterte den rothaarigen Inspector mit einiger Skepsis. Mir war auch nicht klar, ob Kendall seine Begeisterung nur vortäuschte oder sich tatsächlich so freute. Die folgende Besprechung leitete der Chief Inspector. Zusammen mit Phil und mir waren über zwanzig Ermittler im Raum versammelt, von denen fast jeder etwas zu dem Fall beitragen konnte. Die Effizienz eines solch großen Teams war beeindruckend, was ich auch gegenüber Kendall zum Ausdruck brachte.

»Ja, Chief Inspector Haddock kann sehr gut führen. In den ersten zweiundsiebzig Stunden lässt er uns überwiegend immer am aktuellsten Fall arbeiten, bevor wir wieder in kleineren Gruppen vorgehen«, erklärte der Inspector stolz.

Ein solches Vorgehen entsprach den Erkenntnissen aus vielen Statistiken, da innerhalb der ersten drei Tage in der Regel die meisten Hinweise gesammelt wurden und viele Fälle dadurch schnell gelöst werden konnten.

»Wir fahren jetzt hinaus zu den Kollegen der Flusspolizei. Dort erfahren Sie alles, was es zum Leichenfund gibt. Anschließend schlage ich eine Stadtrundfahrt vor, bei der wir Ihnen die Situation von Beecrofts Organisation schildern können«, gab Kendall den Ablauf vor.

Phil und ich fügten uns, da wir zurzeit keine andere Vorgehensweise vorziehen würden. Da der Inspector öfter von Pat als seinem Partner gesprochen hatte, schaute ich verblüfft auf die dunkelblonde Frau, die mit dem Ford Focus in der Tiefgarage auf uns wartete.

»Das ist Patricia Dunn, Agent Cotton. Pat ist Sergeant und wir arbeiten seit Jahren als Team zusammen. Mit einigem Erfolg, wie ich wohl hinzufügen darf«, stellte Kendall seine Kollegin vor.

***

Schon auf der Fahrt hinunter zur Themse, wo wir eine Station der Flusspolizei aufsuchten, weihten uns Pat und Terence in die Strukturen von Beecrofts Geschäften ein.

»Howard war ein kleiner Filialleiter einer Supermarktkette, bevor er kriminell wurde. Dort bekam er Kontakt zu einer Hehlerbande, deren Waren er zum Teil über die Filiale schleuste.«

Phil und ich kamen mit den beiden Kollegen genauso gut klar wie auch mit den Officers der Flusspolizei. Deren Aufgabengebiet lag nicht nur auf der Themse, sondern auch an den Ufern bis hinaus zu den sogenannten Docklands. Es war sehr beeindruckend, wie der uniformierte Inspector uns das Aufgabengebiet schilderte.

»Eines unserer Streifenboote bemerkte das Motorboot, wie es in gefährlicher Fahrt die Themse hinunterkam. Als die Kollegen den Bootsführer anfunkten, bekamen sie keine Antwort, weshalb das Boot gestoppt und aufgebracht wurde.«

Sehr plastisch wurde uns der Fund der Leiche von Alexander Beecroft demonstriert. Die Beamten auf der Station fanden die Ausweispapiere von Alexander, woraufhin sie umgehend die Metropolitan Police verständigten.

»Die Situation an Bord des Motorboots war eindeutig, Agent Cotton. Bei der schweren Kopfverletzung hätte wesentlich mehr Blut auf Deck zu finden sein müssen, wenn Beecroft dort erschlagen worden wäre«, schloss der Inspector der Flusspolizei seinen Bericht.

Auf Phils Frage, ob die Kollegen eine Vermutung zum Tatort wagen würden, erhielt er eine überraschend klare Aussage.

»Vermutlich wurde Beecroft in den Docklands getötet, Agent Cotton. Die Fahrt des Motorboots lässt meines Erachtens nur diesen Schluss zu.«

Wir dankten den Kollegen und standen kurze Zeit später auf dem Anlegesteg der Station. Als mein verblüffter Blick hinauf zu dem wolkenlosen Himmel ging, von dem die Septembersonne auf uns herniederstrahlte, lachte Kendall auf.

»Das typische Wetter in London ist durchaus nicht immer Regen, sondern eher ein schneller Wechsel. Heute Abend kann es durchaus wieder regnen oder dichter Nebel aufkommen«, trat der Inspector für seine Stadt ein.

»Warum hat der Chief Inspector Sie zu unserer Unterstützung abgestellt?«

Terence und Patricia grinsten ungeniert.

»Weil wir mehr die zupackende Art Polizisten sind, und da fällt öfter so eine Aufgabe für uns an. Pat und ich mögen die Herausforderung, außerdem spricht unsere Erfolgsquote für sich«, gab Kendall bereitwillig Auskunft.

Die anschließende Rundfahrt führte uns durch das Revier der Organisation von Beecroft, wobei es einen Schwerpunkt in Southwark sowie Newington gab.

»Beecroft hat seine Aktivitäten zunächst über die Stadtgrenze von London hinaus auf die gesamte Insel und hinüber nach Irland ausgedehnt. Dann wagte er den Sprung über den Kanal, um auch in Westeuropa seine krummen Geschäfte aufzuziehen«, weihte der Inspector uns bei einem Essen in einem Pub ein.

Doch dieses Vorhaben erwies sich als weitaus gefährlicher, als Howard Beecroft es vorausgesehen hatte. Es entbrannte ein Krieg mit Banden aus Osteuropa und Nordafrika, dessen Auswirkungen sich bald auch in London zeigten.

»Beecroft überlebte mehrere Anschläge, bei einem davon verlor er sein linkes Auge. Kurz danach verschwand er aus der Stadt und es wurde wieder ein wenig ruhiger. Alexander, Donald und Susan kümmerten sich um die Organisation. Speziell Susan konnte einen Waffenstillstand über längere Zeit erhalten, was vermutlich beide Seiten dringend gebraucht haben«, ergänzte Pat.

Demnach konnten sich alle drei Kinder von Howard in dieser Zeit in der Organisation bewähren.

Das Essen war deftig, aber sehr gut. Auf Drängen der beiden englischen Kollegen tranken wir ein dunkles Bier. Es wurde Ale genannt und durfte nicht gekühlt serviert werden. Mit großer Fachkenntnis erklärte Terence uns das besondere Verfahren der Herstellung, wobei höhere Temperaturen eine wichtige Rolle spielten.

»Das volle Aroma kann ein Ale daher auch nur bei zehn bis zwölf Grad entfalten. Lecker, oder?«

Wenn man sich an den Geschmack gewöhnt hatte, ließ sich das dunkle Bier sehr gut trinken. Nach der Pause wollte Pat uns unbedingt einen besonderen Geschäftszweig der Beecrofts zeigen.

***

Gerade als wir in den Ford einstiegen, erhielt Kendall einen Anruf. Er legte Pat eine Hand auf den Arm, als der Sergeant den Wagen starten wollte. Während der Inspector lauschte, schüttelte er leicht den Kopf und deutete auf sein Mobiltelefon. Offenbar musste das Fahrtziel geändert werden.

»Es gibt eine verlässliche Sichtmeldung zu Andrea Greaves. Laut Zeugenaussage hat sie in dem Pub Dickens Inn gesessen«, sagte er kurz darauf.

Das Telefonat veränderte die bisher fast beschauliche Vorgehensweise unserer englischen Kollegen total. Unter Einsatz von Blaulicht und Sirene rasten wir zurück zur Station der Flusspolizei. Dort wartete bereits ein Streifenboot auf uns. Kaum waren wir alle an Bord gegangen, brüllten die schweren Motoren auch schon auf.

»Der besagte Pub befindet sich in den St. Katherine Docks, Agent Cotton. Es gibt dort ein Viertel mit Wohn- und Geschäftshäusern, diverse Anlegestellen für Yachten sowie Restaurants und Hotels«, beschrieb Pat unser Ziel.

In rasender Fahrt ging es über den Fluss. Phil und ich klammerten uns fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und ins kalte Wasser zu stürzen.

»Ein Constabler beobachtet den Pub, falls Mistress Greaves sich nochmals dort blicken lässt«, erzählte Kendall.

An der Anlegestelle im Yachthafen wartete ein weiterer Constabler in einem Streifenwagen, um uns zum Pub zu bringen. Es lief alles sehr professionell ab und machte mir Hoffnung.

»Mistress Greaves hat sich öfter in diesem Pub aufgehalten, Inspector.«

Verwundert schauten wir auf den Constabler, der sich mit der Wirtin des Pubs unterhalten hatte. Ihre Aussage machte keinen Sinn in meinen Augen.

»Wie ist das möglich? Mistress Greaves hält sich doch erst knapp zwei Tage in London auf«, fragte ich nach.

Der Constabler korrigierte seine Auskunft in der Hinsicht, dass es nicht nur um die jüngste Vergangenheit ging.

»Allem Anschein nach muss Mistress Greaves irgendwo in den St. Katherine Docks wohnen und regelmäßig im Dickens Inn verkehren. So lautete jedenfalls die Auskunft der Wirtin«, stellte der Constabler klar.

Der Inspector wies die beiden Uniformierten an, sich noch eine Weile in der Nähe des Pubs aufzuhalten.

»Auch wenn die Wirtin davon ausgeht, dass Greaves in den nächsten beiden Tagen vermutlich nicht wieder im Pub auftaucht, kann es nicht schaden, ihn zu beobachten«, erklärte Kendall sein Vorgehen.

Wir standen am Streifenwagen und besprachen die neuesten Informationen.

»Es könnte die einmalige Chance sein, Andrea Greaves in ihrem Versteck aufzuspüren. Wir sollten es wenigstens versuchen«, schlug ich vor.

Pat und Terence waren genau wie Phil meiner Meinung, weshalb der Inspector über Funk um weitere Unterstützung bitten wollte.

»Einen Augenblick, Terence. Wenn hier auf einmal so viele uniformierte Officer herumlaufen, könnte es Mistress Greaves warnen. Vielleicht sollten wir zuerst einen Anlauf allein unternehmen, da wir weniger auffallen«, wandte ich ein.

Kendall dachte kurz über meinen Einwand nach, bevor er nachgab.

»Also gut, Jerry. Vermutlich haben Sie recht, und möglicherweise hat es auch einen triftigen Grund, warum Greaves ausgerechnet hier untergetaucht ist«, sagte Kendall.

Ich sah ihn fragend an, doch die Antwort kam von Sergeant Dunn.

»Wir stehen auf dem Territorium von Beecroft, Jerry. Die Docklands werden von seiner Organisation in puncto Kriminalität beherrscht«, sagte sie.

Das war ein weiterer Gedanke, der mich für eine kleinere Operation plädieren ließ.

***

Wir hatten das weitläufige Gebiet in vier Sektoren aufgeteilt, die Kendall uns anhand einer Karte aufzeigte. Damit Phil und ich uns nicht verlaufen konnten, übermittelte der Inspector den Kartenausschnitt auf unsere Mobiltelefone.

»Sobald einer von uns mit seinem Abschnitt durch ist, geht er zurück hierher an den Anleger. Mehr als zwei Stunden Fußarbeit dürfte es nicht erfordern. Wir treffen uns um sechs Uhr wieder hier«, verteilte Kendall die Gebiete.

Obwohl Phil und ich über keine amtlichen Befugnisse verfügten, stellte das kein großes Problem dar. Kendall informierte alle Beamten über unseren Status und erteilte die Anweisung, dass sie mit uns zusammenarbeiten sollten.

»Falls einer von Ihnen schnelle Hilfe benötigt, kann er einfach einen der Officer anfordern.«

Mit diesen Worten schickte der Inspector uns los. Mein Weg führte mich weg von den Anlegebuchten hinein in ein gemischtes Viertel, wo es sowohl Wohn- als auch Bürohochhäuser gab. Ich entdeckte regelmäßig kleine Läden und Restaurants, in denen ich eine Fotografie von Andrea Greaves vorzeigte.

»Kennen Sie diese Frau? War sie schon einmal hier?«

Meine Fragen wurden meistens anstandslos beantwortet, und wenn nicht, reichte eine Rückfrage bei den englischen Kollegen.

»Ja, die Lady war erst vor einer Viertelstunde hier.«

Ich stand in einem Eckladen, in dem es vor allem Zeitschriften, Zigaretten und Schnaps gab.

»Sehen Sie sich das Bild in aller Ruhe an, Sir. Irrtum ausgeschlossen? Diese Frau war in Ihrem Laden?«

Der Verkäufer blieb bei seiner Auskunft und deutete über einen gepflasterten Platz zu einem Durchgang zwischen zwei Mehrfamilienhäusern.

»Dort ist sie hingegangen, Agent Cotton. Was hat sie ausgefressen? Ist sie eine Terroristin?«

Ich wiegelte ab und erzählte etwas von einer Trickbetrügerin, die schwer arbeitende Menschen wie ihn um ihr Erspartes brachte und diese üble Masche in New York abgezogen hatte.

»Echt? Schade eigentlich, denn sie hat sich immer nett mit mir unterhalten«, zeigte der Verkäufer sich enttäuscht.

Ich dankte für seine Auskunft und hatte bereits mein Mobiltelefon in der Hand, um die Kollegen zu benachrichtigen, als mich leichte Zweifel beschlichen. Bevor ich Phil und die anderen aus ihren Sektoren weglockte, wollte ich mich allein umsehen. Mit der Sonnenbrille auf der Nase schlenderte ich über den Platz, der von den Menschen als Treffpunkt genutzt wurde. Ich sah ältere Damen mit kleinen Hunden spazieren gehen, aber auch junge Pärchen. Ein Paar küsste sich ungeniert mitten auf dem Platz und einige andere besetzten eine der vielen Parkbanken. Die Atmosphäre wirkte träge und herrlich entspannt.

»Ein nettes Plätzchen, um eine Weile abzutauchen. Doch das hast du gar nicht im Sinn, oder?«

Mein Instinkt verriet mir, dass Andrea Greaves sich in den Docklands keineswegs nur verstecken wollte. Ein Rachefeldzug gegen die Organisation von Howard Beecroft erschien mir weit logischer, und daran dachte ich, als mein Blick langsam über die Menschen in meiner Umgebung wanderte. Als ich nach zwanzig Minuten immer noch keine Spur von Andrea entdecken konnte, informierte ich meine Kollegen.

»Dann sollten wir die weitere Suche den elektronischen Kollegen überlassen«, entschied Inspector Kendall.

Auf der Fahrt zurück zur Station der Flusspolizei in Wapping erklärte er uns, was er damit meinte.

»Es gibt unzählige Überwachungskameras im gesamten Gebiet des Docks. Wir können die laufenden Aufnahmen mit dem Bild von Mistress Greaves abgleichen, bis sie uns vor die Linse läuft.«

Sobald dies der Fall sein würde, sollten Phil und ich umgehend alarmiert werden. Die Zeit bis dahin wollten wir dazu nutzen, uns intensiver um die Organisation der Familie Beecroft zu kümmern.

***

Die Scheibenwischer des Dodge radierten die Regentropfen von der Frontscheibe. June und Blair saßen im Wagen, um den Eingang eines Clubs in der Crocheron Avenue zu beobachten.

»Glaubst du, dass Oldsen gewarnt wurde?«

June überlegte kurz, bevor sie den Kopf schüttelte.

»Nein, glaube ich nicht. Er kann nicht wissen, dass er von einer Überwachungskamera eines Bankautomaten erfasst wurde. Die Kameras der Verkehrsüberwachung hat er geschickt ausgetrickst und verlässt sich bestimmt darauf«, schloss sie diese Möglichkeit aus.

Blair brummte zufrieden vor sich hin. Die langwierige Auswertung der vielen Videoaufzeichnungen sowie die Durchsicht der Zeugenaussagen hatten sich gelohnt, da es übereinstimmende Hinweise auf Ron Oldsen gab. Der mehrfach vorbestrafte Gewaltverbrecher wurde von mehreren Zeugen so gut beschrieben, dass Blair gezielt in den Videoaufzeichnungen nach dem markanten Gesicht suchen ließ. Schließlich kam der Treffer von einer Bankfiliale in der Bleecker Street, deren Kamera am Automaten zwei gute Bilder von Oldsen am Steuer des gestohlenen Taxis lieferte.

»Oldsen kommt nahezu jeden Abend hierher, um einige Partien Billard zu spielen und einige Biere zu trinken. Solange er an den Erfolg seines Anschlags glaubt, wird er bestimmt an seinen Gewohnheiten festhalten«, erklärte June.

Dem konnte ihr Partner nichts entgegensetzen, also wappnete Blair sich mit Geduld. Die nächsten dreißig Minuten vergingen quälend langsam, bis June einen zufriedenen Laut ausstieß.

»Da kommt unser Taxidieb ja«, machte sie Blair auf Oldsen aufmerksam.

Der mittelgroße Mann mit den abstehenden Ohren war die Treppe einer U-Bahn-Station hinaufgekommen und überquerte die Crocheron Avenue, um in die Bar zu gehen. June und Blair sprangen aus dem Dodge, da sie Oldsen unbedingt vorher verhaften wollten.

»Ron Oldsen?«

Auf Junes Ruf verharrte der Gangster und schaute über seine Schulter zurück.

»FBI! Legen Sie sich mit dem Gesicht auf den Boden und verschränken Sie die Arme hinter dem Kopf«, befahl June.

Genau wie Blair trug sie ihre Dienstmarke gut sichtbar an der Jacke und zielte mit der SIG auf Oldsen. Eine Frau, die gerade aus einem Buick aussteigen wollte, zog hastig die Beifahrertür wieder ins Schloss.

»Keine Dummheiten, Oldsen! Sie haben keine Chance gegen uns«, mischte Blair sich ein.

Der Gangster wechselte die Blickrichtung, um nun den farbigen Agent ins Auge zu fassen. Oldsen machte hingegen keine Anstalten, die Anweisungen von June umzusetzen.

»Runter auf den Boden! Sofort!«, wiederholte June mit harter Stimme.

Für den Augenblick schien die Welt um die drei Menschen herum stillzustehen, bis die Schüsse durch die Crocheron Avenue krachten. June und Blair warfen sich blitzschnell zu Boden, wobei June neben einem Toyota eine brauchbare Deckung fand. Ihr Partner lag relativ ungeschützt vor der Fassade des Hauses, während weitere Schüsse fielen. Menschen schrien voller Angst, Glasscheiben wurden von Projektilen zerschmettert und June suchte verzweifelt nach den Schützen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Ron Oldsen sich ein Stück weiter vorne zwischen zwei geparkte Autos drückte.

»Machen Sie keinen Unsinn, Oldsen! Ich habe Sie immer noch im Visier«, warnte June ihn wütend.

Die Zielrichtung der Kugeln ließ keine Zweifel darüber aufkommen, auf wen hier geschossen wurde. Beide Agents lagen unter Beschuss, während dem Gangster offensichtlich die Flucht ermöglicht werden sollte. Noch lenkten die unbekannten Schützen ihr Feuer nur so, dass June und Blair in Deckung bleiben mussten. Wenn es um die Ausschaltung der Agents gegangen wäre, hätte Blair sich bereits mehrere Kugeln eingefangen.

»Ihre Freunde tun Ihnen keinen Gefallen mit dieser Aktion, Oldsen. So oder so kommen Sie nicht weg von hier, also beenden Sie den Wahnsinn«, rief June.

Ihr Kopf ruckte hoch, als sie den laut aufheulenden Motor hörte. Ein schwarzer SUV raste die Avenue entlang und June konnte unschwer ausmachen, was der Fahrer bezweckte. Oldsens Freunde planten ein riskantes Fluchtmanöver, bei dem die Erfolgsaussichten nicht einmal schlecht standen.

»He, was soll das denn jetzt werden?«

Ungläubig registrierte June, wie einige Projektile an der Karosserie des SUV abprallten und das Fahrzeug langsamer wurde.

»Wer schießt denn auf euch?«, staunte June.

Die Schüsse kamen aus Richtung der Bar, was sie total verwunderte. Es konnten unmöglich Oldsens Freunde sein, die in dem Wagen saßen. Ganz offensichtlich mischte eine weitere Gruppe bei dem Gefecht mit, und June ahnte auch, wessen Interessen diese Gangster vertraten.

»Deine Gewohnheiten haben sich wohl herumgesprochen, Ron. Jetzt hast du auch Beecrofts Gangster am Hals, und die wollen nicht nur mit dir reden «, murmelte sie vor sich hin.

»Das sind Männer von Beecroft, Ron! Wir können Sie beschützen, aber dafür müssen Sie sich ergeben«, donnerte Blairs Stimme.

Der schwarze SUV stand mit zwei zerschossenen Vorderreifen mitten auf der Crocheron Avenue. Aus den Seitenfenstern feuerten die Insassen in schneller Abfolge auf die Schützen bei der Bar. Für den Augenblick flogen June und Blair keine Kugeln um die Ohren.

»Ich muss Oldsen aus der Schusslinie schaffen«, ging es June durch den Kopf.

Ihr Blick suchte Blair, der ihre Gesten sofort verstand. Ihr Partner bewies erstklassige Nerven, als er sich urplötzlich aufrichtete und ebenfalls auf die Männer im SUV schoss. Damit lenkte er die Aufmerksamkeit auf seine Person und zeigte Oldsens Freunden, auf wessen Seite die Agents ins Gefecht eingriffen. Das überraschende Kreuzfeuer zeigte Wirkung, denn der Fahrer fuhr den Wagen mit den kaputten Reifen rückwärts.

»Jetzt oder nie«, schoss es June durch den Kopf.

Blitzschnell erhob sie sich und wollte geduckt neben den geparkten Wagen zu Oldsen aufschließen. In der Vorwärtsbewegung erwischte sie die Kante des Bordsteins unglücklich und prallte hart mit der Schläfe gegen den Seitenholm des Pontiac. Alles ging rasend schnell und stoppte Junes Vorwärtsdrang. Aufstöhnend sackte sie gegen den Wagen und musste gegen die drohende Ohnmacht ankämpfen. Um sie herum krachten die Pistolen, während Oldsen vor ihren Augen hinter einem Schleier aus Tränen verschwand.

»Ich übernehme Oldsen«, rief Blair, als er das Straucheln seiner Partnerin bemerkte.

Während er weiterhin auf die Gangster im SUV feuerte, rannte er im Zickzack auf den immer noch geduckt zwischen zwei Fahrzeugen kauernden Ron Oldsen zu. Wie riskant sein Unterfangen war, bewies die heiße Schramme, die ein Projektil an seiner Schläfe hinterließn.

***

Durch das Eintreffen dreier Streifenwagen des NYPD schlug das Pendel zugunsten der Agents aus. Die Gangster zogen sich auf beiden Seiten zurück, um ihrer Festnahme zu entgehen. Oldsen erfasste die Situation blitzschnell und rannte quer über die Crocheron Avenue zu einem Lincoln hin.

»Bleiben Sie stehen, Oldsen! Sie kommen nicht weit und bieten Ihren Verfolgern die Chance, Sie doch noch zu töten«, rief Blair verärgert dem Fliehenden nach.

Doch Oldsen sprang in den Wagen, startete den Motor und vollführte eine gekonnte Wende um hundertachtzig Grad. Fluchend rannte Blair auf den Dodge Nitro zu, nachdem er sich versichert hatte, dass es seiner Partnerin so weit gut ging. June winkte Blair aufmunternd zu, während sie ihren Knöchel massierte.

»Du kommst nicht weit, mein Freund«, versprach Blair, während er sich mit dem Taschentuch das Blut aus dem Gesicht wischte.

Der Agent verfolgte Oldsens Lincoln über den Northern Boulevard und vermutete, dass der Fliehende auf den Van Wyck Expressway auffahren wollte. Doch Oldsen riskierte es nicht, auf der Schnellstraße seine Flucht fortzusetzen. Er nahm zu Recht an, dass man dort sehr schnell Straßensperren einrichten konnte. Daher jagte er über den Parsons Boulevard, um sich durch ein Gewirr von Nebenstraßen schließlich bis zur Roosevelt Avenue zu kämpfen.

»Mich hängst du nicht ab«, schwor sich Blair.

Bei der zügigen Fahrt musste der Agent mehrfach heftige Fahrmanöver wagen, um Kollisionen mit anderen Wagen zu vermeiden. Ron Oldsen lenkte den Lincoln schließlich in Richtung des Citi Field Stadion, wie Blair schnell erkannte.

»Langsam wird die Luft dünn, mein Freund«, hielt der Agent weiterhin Selbstgespräche.

Als Oldsen den weiträumigen Parkplatz am neuen Stadion der Mets ansteuerte, bat Blair über Funk um Unterstützung bei der weiteren Verfolgung. Es stand für ihn fest, dass Oldsen den Wagen stehen lassen und seine Flucht zu Fuß fortsetzen wollte. Das war durchaus clever, weil er einen kleinen Vorsprung herausgefahren hatte und mit ein wenig Glück in einem Gebäude abtauchen konnte.

»Na, also.«

Blair triumphierte bei dem Anblick des Flüchtigen, der in langen Sätzen über den Parkplatz hetzte. Oldsen schlängelte sich geschickt zwischen den abgestellten Fahrzeugen hindurch, sodass Blair sich schließlich ebenfalls für eine Verfolgung zu Fuß entschied. Der Agent parkte den Dodge und jagte nun seinerseits über den Parkplatz.

»He, pass doch auf, Mann.«

Ein Besucher des Stadions wurde von Blair fast umgerannt, was zu seinem wütenden Ausruf führte. Der Agent hob im Weiterlaufen zur Entschuldigung eine Hand, während sein Blick fest auf den Rücken von Ron Oldsen geheftet blieb. Vermutlich fing in Kürze ein Spiel der Juniormannschaft der Mets an, da sich ungewöhnlich viele junge Besucher auf dem Weg zum Haupteingang des Stadions befanden.

»FBI! Machen Sie Platz«, brüllte Blair.

Je näher sie dem Haupteingang kamen, umso dichter drängten sich die Menschen. Einige verwunderte Blicke erfassten Blair, der seine Marke an der Jacke befestigt hatte. Unter anderen Umständen hätte der Agent seine Waffe gezogen und einen Warnschuss in die Luft abgegeben. Angesichts der vielen Menschen riskierte Blair es nicht, da er eine Panik befürchtete und Ron diese bei seiner Flucht nutzen könnte.

»Hier muss ein Mann vorbeigekommen sein«, stoppte Blair bei einem Ordner.

Der Mann schaute auf die Marke, hörte sich die knappe Beschreibung und nickte.

»Stimmt, Agent. Er ist dort entlanggelaufen. Sehen Sie den Souvenirshop?«

Den sah Blair und setzte sich mit einem Nicken wieder in Bewegung. Oldsen hatte seinen Vorsprung fast eingebüßt, aber noch blieben ihm einige Optionen offen. Der Agent betete, dass der Flüchtling sich nicht unter die Besucher der Veranstaltung mischte. Wenn doch, erhöhten sich seine Chancen erheblich.

»Special Agent Duvall. Das ist Ron Oldsen. Er muss sich hier aufhalten und wird wegen Mordes gesucht«, weihte Blair wenige Augenblicke zwei Cops ein.

Die Officer waren aus dem Gang neben den Souvenirshop getreten und reagierten sofort auf Blairs Anweisungen. Durch diese Verstärkung wurde das Ende der Flucht sehr viel wahrscheinlicher. Einer der Officer gab die Fahndung über Funk an weitere Kollegen in der Nähe durch und tatsächlich kam zwei Minuten später eine Sichtmeldung.

»Oldsen wurde an dem Platz für die Übertragungsfahrzeuge der Fernseh- und Radiosender entdeckt«, rief der Cop dem Agent zu.

Blair rannte zusammen mit zwei Uniformierten dorthin und hielt angestrengt nach Oldsen Ausschau. Innerhalb weniger Minuten schloss sich ein Kreis aus Cops, sodass der Flüchtige auf keinen Fall mehr entkommen konnte.

»Viele Hunde sind des Hasen Tod«, murmelte Blair.

***

Es dauerte dennoch über zehn Minuten, bevor ein Officer erneut Sichtkontakt melden konnte. Als Blair an dem Fahrzeug mit vielen Antennen und Satellitenschüsseln auf dem Dach ankam, deutete der Officer auf eine Reihe von Stromaggregaten.

»Oldsen verbirgt sich zwischen dem zweiten und dritten Aggregat, Agent Duvall. Sollen wir ihn da rausholen?«

Blair konnte nicht mit Gewissheit sagen, dass Oldsen unbewaffnet war. Bislang hatte er zwar keine Schusswaffe eingesetzt, aber das konnte sich bei einer Notlage durchaus ändern.

»Ich versuche es allein, Officer. Sorgen Sie nur dafür, dass Oldsen nicht von hier verschwinden kann«, lehnte er daher das Angebot ab.

Der Cop wirkte skeptisch, bestätigte den Befehl jedoch und gab entsprechende Anweisungen über Funk durch.

»Oldsen sitzt in der Falle, Agent Duvall.«

Blair nickte verstehend und schob sich dann vorsichtig in die schmale Lücke zwischen Stromaggregaten und Übertragungsfahrzeugen. Überall schlängelten sich dicke Kabel über den Boden, die jederzeit zu einer Stolperfalle werden konnte. Blairs Blick wanderte daher permanent zwischen der Position von Oldsen sowie dem Boden vor sich hin und her.

»Keine falsche Bewegung, Oldsen! Wir haben Sie eingekreist«, rief der Agent schließlich.

Oldsen erstarrte und wandte vorsichtig seinen Kopf. Blair bemerkte den gehetzten Blick unter der verschwitzten Stirn. Oldsen hielt nach wie vor keine Waffe in den Händen, wie der Agent erleichtert registrierte.

»Geben Sie auf, Oldsen. Wir können Sie vor Beecrofts Männern beschützen«, redete Blair weiter.

Es musste ihm gelingen, die angespannten Nerven von Oldsen zu beruhigen. Solange der Taxidieb immer nur rannte, würden sich seine Gedanken niemals beruhigen. So konnte er keine logischen Schlüsse ziehen und die Aussichtslosigkeit seiner Lage erkennen.

»Können Sie nicht«, stieß Oldsen hervor.

»Ich bin Special Agent Duvall vom FBI, Oldsen. Wir verfügen über wesentlich mehr Möglichkeiten als das NYPD und können Sie vor jeder Gefahr schützen«, insistierte Blair weiter.

Er glaubte eine leichte Lockerung in Oldsens Haltung zu erkennen, als zwei Schüsse aufpeitschten.

»Nein!«

Mit einem verzweifelten Satz war Blair bei dem zusammengebrochenen Oldsen und spähte zu den Dächern der Übertragungsfahrzeuge. Doch er konnte die Mündung seiner Pistole nur vage ausrichten, da er kein Ziel ausmachen konnte. Der heimtückische Schütze hatte sich offenbar bereits abgesetzt.

»Sind Sie verletzt, Agent Duvall?«

Das Gesicht eines Cops tauchte an der Ecke des Aggregats auf und sah besorgt zu Blair.

»Nein, aber Oldsen. Schaffen Sie einen Rettungswagen her und fangen Sie den Schützen!«

Der Officer gab die Anweisungen über Funk weiter und machte sich selbst auf die Suche nach dem Killer. Blair war offensichtlich nicht der einzige Verfolger von Oldsen gewesen, wie er voller Bitterkeit feststellte. Da keine Gefahr mehr drohte, schob der Agent seine SIG zurück ins Holster.

»Halten Sie durch, Ron. Hilfe ist auf dem Weg«, redete Blair auf den Verwundeten ein.

Der Agent zog sein Sakko aus, um Rons Kopf darauf zu betten. Aus dessen Mundwinkel rann Blut übers Kinn. Blair schob vorsichtig die Seiten der Windjacke über Rons Brust auseinander und betrachtete die beiden Eintrittswunden.

»Sehen Sie? Auch das FBI kann mich nicht schützen, Agent Duvall«, kam es leise von dem Verletzten.

»Reden Sie keinen Unsinn, Ron. Die Ärzte flicken Sie wieder zusammen und dann bringen wir Sie außerhalb New Yorks in einem sicheren Haus unter.«

Blair wehrte sich gegen die Einsicht, dass jede Hilfe zu spät kam. Er wollte Oldsen retten und mit dessen Hilfe der Organisation von Howard Beecroft einen herben Schlag versetzen.

»Wir lassen Beecroft gemeinsam für diesen Anschlag büßen, Oldsen. Sie müssen es nur wollen«, sagte Blair.

Seine Stimme verriet zum Glück nicht sein wahres Empfinden, doch Oldsen erwies sich als hellsichtig.

»Daran glauben Sie doch selbst nicht mehr. Es gibt aber einen Freund von mir, der Ihnen dabei helfen kann. Sprechen Sie mit Ted Monroe und richten Sie ihm Grüße von Shorty Valentine aus, dann wird er Ihnen vertrauen«, brachte Oldsen unter erkennbaren Schmerzen heraus.

Blair war heilfroh, als endlich ein Notarzt mit einem Rettungssanitäter im Schlepptau eintraf. Erleichtert überließ er den Fachleuten den Verletzten und verfolgte mit banger Anspannung deren Bemühungen, Ron am Leben zu erhalten. Doch der Blutverlust war zu hoch gewesen, und trotz zweimaliger Reanimierung starb der Mann in der schmalen Gasse zwischen zwei Stromaggregaten.

»Wir haben alles versucht, Agent Duvall. Tut mir leid«, teilte der Arzt zehn Minuten später erschöpft mit.

Blair dankte dem Mann und nahm frustriert sein Sakko entgegen, das der Sanitäter unter dem Kopf von Ron weggenommen hatte.

***

Es war ein besonderes Vergnügen, Chief Inspector Haddock zu beobachten, wie er unter der zwanglosen Art seines Inspectors litt.

»Sie gehen vermutlich davon aus, dass die Organisation von Beecroft mittlerweile ihren Schwerpunkt in New York hat. Sehen Sie sich diese Fakten an, Agent Cotton. Die hat meine Abteilung im Laufe mehrerer Jahre gesammelt«, wandte Haddock sich an mich.

Wir saßen in einem Konferenzraum des Gebäudes von New Scotland Yard, um mehr über die Struktur der Organisation zu erfahren. Terence Kendall hatte uns zunächst in seiner direkten Art den aktuellen Stand zu den Geschäften der Beecrofts auf der Insel, aber auch auf dem Kontinent vermittelt. Es war schon bemerkenswert, wie akribisch die englischen Kollegen sich in die Struktur eingearbeitet hatten.

»Meiner Ansicht nach geht Howard lediglich der Gefahr aus dem Weg. Hier in London wäre er für seinen Konkurrenten leichter angreifbar und deswegen sitzt er jetzt in New York. Die Geschäfte laufen weiter wie gehabt, und dafür sorgen alle drei Kinder«, führte Haddock aus.

»Dieses Diagramm deutet an, dass die verschiedenen Zweige sogar besser als früher laufen. Ist das ein Verdienst der Kinder?«, fragte Phil.

Wir konnten die Zahlen problemlos in dieser Weise deuten.

»Vermutlich nicht aller Kinder, Agent Decker. Uns fehlt leider der Schlüssel, wer von ihnen für welche Entscheidung maßgeblich verantwortlich ist«, räumte der Chief Inspector ein.