Jerry Cotton Sammelband 11 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 11 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 11: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!

G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!

Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:

2830: Der Tod spielt mit gezinkten Karten

2831: Eine Geisel für das Schweigen

2832: Libretto für einen Mord

2833: Sie kamen aus allen Löchern

2834: Der Bluthund von New York

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Jetzt herunterladen und garantiert nicht langweilen!

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Seitenzahl: 667

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive von © shutterstock: Flik47 | lfH ISBN 978-3-7325-7021-8

Jerry Cotton

Jerry Cotton Sammelband 11 - Krimi-Serie

Inhalt

Jerry CottonJerry Cotton - Folge 2830Von ganz oben in Washington wurde eine Sonderkommission eingesetzt, um einen Waffendeal mit Lenkraketen zu verhindern. Dazu gehörten Phil und ich vom FBI, Agent Tegan Lloyd vom ATF und Rupert Marxdale vom Justizministerium. Schnell stellte sich heraus, dass Lloyd und Marxdale entgegengesetzte Ziele verfolgten. Mehr noch: Die beiden beschuldigten sich gegenseitig für die Waffenschieber tätig zu sein und keiner von beiden hatte eine wirklich weiße Weste...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2831Francis Clancy, Student am Webb Institute, wurde entführt. Als Phil und ich am Tatort eintrafen stießen wir auf eine Mauer des Schweigens und der Desinformation. Alles schien irgendwie nicht zusammenzupassen, sodass der Verdacht aufkam, die Entführung sei nur getürkt. Unsere Nachforschungen führten uns nach Kanada, wo Francis' Vater innerhalb des Zeugenschutzprogramms der US-Staatsanwaltschaft versteckt wurde...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2832Der Startenor Enrico Franchese hatte gerade einen überwältigenden Erfolg an der Metropolitan Opera gefeiert - zwei Stunden später lag er erstochen im Central Park. Phil und ich machten uns daran, den Mörder zu finden und je mehr wir in das Geflecht von Künstlern, Neid und Geld eindrangen, desto mehr Verdächtige hatten wir ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2833Sie kamen aus allen Löchern. Baltimore, Boston und schließlich New York. Die Unterwelt geriet in Aufregung, denn eine neue Organisation begann mit äußerster Brutalität in die angestammten Reviere der örtlichen Gangsterbosse einzudringen. Niemand wusste wer oder was hinter dieser Aktion stand. Als die Welle New York erreichte, war es an uns, einen Damm zu errichten, der hoffentlich nicht brach ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2834Rachel Estevez vom Drogendezernat des NYPD lag mit zerfleischter Kehle in einem Hinterhof von Spanish Harlem. Augenscheinlich hatte sie ein großer Hund, ein Kampfhund, angefallen. Aber die hispanische Bevölkerung des Viertels murmelte: "Chupacabra". Der Name eines mystischen Tiers in Mittelamerika. Nun, Phil und ich sind keine Monsterjäger und bald stellte sich heraus, dass es wesentlich gefährlichere Dinge als Monster gibt...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Der Tod spielt mit gezinkten Karten

Vorschau

Der Tod spielt mit gezinkten Karten

Special Agent Tegan Lloyd wunderte sich. Sie konnte kaum glauben, dass ihr Partner Brian Pagusa wieder mal recht behalten hatte. Keine 30 Yards vor ihnen trat gerade der Mann auf die Straße, den sie seit Monaten suchten: Sergej Jurakow, der Russe, der sein Vermögen mit Waffengeschäften aller Art auf der ganzen Welt gemacht hatte. Die 5000-Dollar-Anzüge, die er sonst trug, hatte er heute Morgen gegen Jeans, Bomberjacke und Baseball-Cap eingetauscht. Er war offensichtlich nicht scharf darauf, erkannt zu werden.

Die Special Agents Lloyd und Pagusa saßen in einem unauffälligen Chevrolet. Sie wussten beide, dass kein normaler Mensch darauf gekommen wäre, ausgerechnet hier am Duke Ellington Boulevard auf einen der meistgesuchten Kriminellen der USA zu warten, dem ein hochspezialisiertes Profiler-Team immerhin seit einem Jahr erfolglos auf der Spur war. Aber in ihrem Job zählten Resultate, sonst nichts. Das war das Erste, was Tegan Lloyd vor Jahren von ihrem Partner Brian Pagusa gelernt hatte. Im Normalfall würde niemand so genau wissen wollen, wie das Resultat zustande gekommen war.

Die hochgewachsene schlanke junge Frau mit den kurzen blonden Haaren unterdrückte ein Grinsen. »Greifen wir uns den Mistkerl.«

Die beiden Bundesbeamten stiegen aus, befestigten ihre blau-goldenen ATF-Dienstmarken gut sichtbar an ihren Gürteln und zogen die Dienstwaffen.

Da trat eine hübsche junge Frau mit langem, kastanienbraunem Haar auf den Russen zu.

»Das ist doch Dishka«, stieß Tegan erstaunt hervor.

Pagusa nickte so heftig, dass sein Zopf wippte. »Familienversammlung«, meinte er. »Nichts dagegen, wenn die Tochter Zeuge seiner Festnahme wird. – Zugriff!«

Der Russe umarmte seine Tochter. Die beiden unterhielten sich kurz. Die Beamten waren auf zehn Schritte heran, als es geschah. Jurakow flog zurück, als hätte ihn eine unsichtbare Riesenfaust erwischt. Er prallte gegen die Hauswand, brach zusammen. Unnatürlich verrenkt blieb er reglos liegen. Dishka erstarrte, wollte schreien, konnte aber nicht. Tegan Lloyd und Brian Pagusa reagierten sofort. Sie stürmten vorwärts, rissen Dishka in den Hauseingang, zerrten auch Jurakow hinein, um ihn vor weiteren Schüssen zu schützen. Pagusa versuchte, den Puls des Getroffenen zu ertasten. Er sah Tegan an und schüttelte den Kopf. Jurakow war tot.

***

Willow liebte die Einsamkeit seines Jobs. Allein auf dem Dach eines Hochhauses, allein mit seinem guten, alten Scharfschützengewehr. Keinem Menschen auf der Welt brachte er so viel Vertrauen entgegen wie diesem Meisterwerk, das ihn noch nie enttäuscht hatte. Auch heute nicht. Dieser Jurakow hatte es ihm aber auch zu leicht gemacht. Quatscht sich der Idiot auf der Straße fest und steht rum wie auf dem Präsentierteller! Dieser Job war wie Scheibenschießen gewesen, wie eine Übungseinheit auf der 500-Yards-Schießbahn.

Willow machte diese Jobs nicht mehr so oft wie früher. Er brauchte nicht viel Geld, weder für sich noch für den Mann, den er mitversorgte. Aufträge nahm er nur noch an, wenn er außer der Reihe Geld brauchte. So wie jetzt. Eine größere Autoreparatur an seinem alten Oldsmobile hatte sein Konto mit Schwung in die Miesen befördert. Da war ihm dieser Job gerade recht gekommen.

Durch sein Zielfernrohr verfolgte Willow nach alter Gewohnheit noch kurz das Geschehen rund um das Zielobjekt in 600 Yards Entfernung. Er versicherte sich, dass niemand ihn entdeckt hatte. Dann robbte er ruhig rückwärts, um seine Waffe zu zerlegen und im Koffer zu verstauen. Hier oben auf dem Dach blies der Wind ganz ordentlich. Deshalb hörte er den Mann nicht, der nur zwei Schritte hinter ihm stand und eine schallgedämpfte Pistole auf seinen Hinterkopf richtete. Zwei Schüsse, zwei Treffer. Willow starb so einsam, wie er gelebt hatte. Die Ironie hätte ihm gefallen.

***

Ich hatte frei, war aber trotzdem früh auf. Mein Plan für diesen Tag lautete: entspannen. Die vergangenen Tage waren ziemlich hektisch gewesen. Mit meinem Partner Phil Decker und einigen anderen FBI-Kollegen hatte ich an der groß angelegten Operation Silent Threat teilgenommen, einer gemeinsamen Aktion des FBI und des ATF, des Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosives.

Ab und zu überschneiden sich unsere Interessensbereiche, und dann arbeiten wir zusammen. Bei Silent Threat waren wir ziemlich erfolgreich gegen mehrere illegale Waffenhändler an der Ostküste vorgegangen. Ich hatte mich mit einigen Tageszeitungen und Magazinen eingedeckt und freute mich auf einen ruhigen Lesetag. Aber ich war noch nicht einmal auf Seite zwei der New York Times, als mein Handy klingelte. Mit der Nachricht von einem Mordanschlag beendete Assistant Director High meinen freien Tag um 8.12 Uhr. Um 8.13 Uhr ließ ich Phils Traum vom Tag am Meer platzen.

Mr High gab uns telefonisch eine Adresse am Duke Ellington Boulevard durch, gar nicht so weit weg von meinem Apartment. Die Cops hatten einen Mord gemeldet, das Opfer war Sergej Jurakow. Die Kollegen der Crime Scene Unit waren schon bei der Arbeit. Detective Lieutenant Walt Wallace führte das Kommando. »Ihr seid spät dran«, begrüßte er uns.

»Hat keine Chance gehabt«, klärte uns der wortkarge Cop auf. »Kopfschuss aus großer Distanz. So sieht es jedenfalls aus. War wohl ein Meisterschütze am Werk. Wahrscheinlich Kaliber 7,62.«

»NATO-Standard-Munition?«, fragte Phil.

»Angeblich ein Kupferjagdgeschoss. Ist aber noch nicht amtlich.«

Wir ließen uns den Ablauf erklären, wie einige der Augenzeugen es zu Protokoll gegeben hatten. Dann sahen wir uns um.

»Wundert mich ein bisschen, dass ihr FBI-Jungs hier mitmischen wollt«, murmelte Wallace. »Eure Freunde vom ATF waren schon hier. Waren sogar vor uns da.«

»ATF?«, stieß ich überrascht hervor. »Was wollten die denn hier?«

»Die wollten Jurakow einsacken«, erklärte Wallace.

»Aber Jurakow war doch abgetaucht! Woher wusste das ATF …«

Wallace machte eine abwiegelnde Geste und versuchte dabei, empört auszusehen. »Keine Ahnung. Mit mir spricht ja keiner.«

Das war allerdings eine faustdicke Überraschung. Ich rief im Field Office an, ließ mich mit Steve Dillaggio verbinden und schilderte ihm die Lage.

»Gib mir ’ne Minute, Jerry. Wir haben doch Zugriff auf die ATF-Datenbanken.«

Steve war schnell wieder dran. »Wow, Jerry, jetzt pass mal auf: Deren Datenbank weiß nichts davon, dass Jurakow aufgetaucht ist. Aber es gibt die Notiz eines ATF-Teams von heute Morgen: Die haben sich abgemeldet. Vom Duke Ellington Boulevard zu einem Lagerhaus. Wollt ihr die Adresse?«

***

Am Tatort konnten wir nichts ausrichten, also machten wir uns gleich auf die Socken. Ich quälte den Jaguar über den verstopften Broadway, bog gut 20 Minuten später in die West 37th Street ein und parkte hinter einem offenbar hastig abgestellten weißen Toyota mit aufgesetztem Blaulicht. Noch während wir die Sicherheitsgurte lösten, hörten wir Schüsse. Wir wechselten einen schnellen Blick, sprangen aus dem Wagen und zogen im Laufen unsere Waffen.

Die Schießerei schien hinter den Gebäuden stattzufinden. Wir bahnten uns den Weg durch ein Haus, das gerade kernsaniert wurde und an dessen Eingang sich ein Dutzend aufgeregter Bauarbeiter versammelt hatte. »Was ist da los?«, rief ich im Vorbeilaufen.

»Keine Ahnung. Aber das geht schon ein paar Minuten so. Wir haben schon die Cops gerufen«, gab der Vorarbeiter zurück.

»Bleiben Sie hier, wir sind vom FBI«, wies ich die Männer an und spurtete hinter Phil her, der gerade mit vorgehaltener SIG den Durchgang passierte. Ich folgte ihm. Jenseits der Mauer eröffnete sich eine große Baustelle, in deren hinterer linker Ecke, vielleicht 70 Yards von uns entfernt, ein orangefarbener Container stand, wie man ihn auf Baustellen öfter sieht. Auf dem Dach tauchte jetzt ein Mann auf, der mit einer erstaunlich kleinen Maschinenpistole eine Betonmischmaschine unter Beschuss nahm. Klimpernde Geräusche verrieten, dass er getroffen hatte. Die Antwort waren vier, fünf Schüsse aus einer großkalibrigen Pistole.

Wir warfen uns hinter einen Sandhügel. Ich reckte den Kopf und entdeckte rechts vor uns, etwa 20 Yards entfernt, einen Mann in einem hellgrauen Anzug, der hinter dem Betonmischer in Deckung kauerte. Er schien jemandem Handzeichen zu geben, wechselte das Magazin seiner Pistole und machte sich zum Sprung bereit. Er blickte über die Schulter, nickte und stürmte dann aus der Deckung, frontal auf den Container zu. Im gleichen Moment gab ihm jemand Feuerschutz.

»Verdammt«, presste Phil hervor, »wer sind denn hier die Guten?«

»Berechtigte Frage, Partner.«

Der Mann im Anzug sprang hinter einen Stapel Zementsäcke und zog den Kopf ein, als er wieder beschossen wurde. Phil tippte mich an und wies nach rechts. Zu meiner Überraschung sah ich eine Frau mit einer SIG Sauer in der Hand, die gebückt auf die Mischmaschine zulief, Deckung suchte und nun ebenfalls das Magazin wechselte. Sie war groß, schlank und machte in ihrer eng anliegenden Jeans und dem knallengen schwarzen Top eine sportliche Figur.

»Jerry«, sagte Phil, »die Lady hat eine Dienstmarke am Gürtel!«

Ich nickte: »ATF!«

Jetzt spurtete die Lady mit den kurzen blonden Haaren los, mit langen Sätzen erreichte sie einen Stapel Metallträger. Ich hatte den Eindruck, dass diese beiden ATF-Agents ein eingespieltes Team waren.

Auf dem Containerdach erschien der Kerl von eben und leerte sein komplettes Magazin Richtung Blondine. Geistesgegenwärtig sprang der bezopfte ATF-Agent im Anzug auf und schoss. Mit der dritten Kugel erwischte er den Gegner.

Ich überlegte, wie wir unseren Kollegen helfen konnten, doch das Gelände war unübersichtlich und ich verspürte wenig Lust, ähnlich ungestüm vorzugehen wie die beiden.

»Das dürften Jurakows Männer sein«, raunte ich Phil zu, der sofort wusste, was ich damit meinte: Es war bekannt, dass sich der russische Waffenschieber seine Männer sehr genau aussuchte. Mit Vorliebe rekrutierte er ehemalige Angehörige russischer Eliteeinheiten, mit denen wahrlich nicht gut Kirschen essen war.

Phil nickte und sagte: »Wo ist nur diese verdammte Lagerhalle? Der Baucontainer wird es ja wohl nicht sein.«

»Nein«, antwortete ich, »das Gelände mit den Lagerhallen grenzt an dieses Baugrundstück.«

»Dann haben die Russen ihre Verteidigungslinie nach vorn geschoben«, vermutete Phil.

Ich nickte. »Vielleicht verschaffen sie ihren Komplizen so Zeit, das Lager zu räumen. Wir sollten helfen, das zu verhindern.«

Jetzt nickte Phil. »Also gut.«

Ohne ein weiteres Wort zu wechseln, machten wir uns bereit. Ich spannte meine Muskeln, fasste die Dienstwaffe fester. Dann stürmten wir los. »FBI«, rief ich, um die Kollegen, die uns nicht kannten, über unsere Identität zu informieren. Der Zopfmann ruckte sofort herum, auch Blondies Lauf zuckte augenblicklich in unsere Richtung. Doch sie schossen nicht. Zum Glück.

Sobald ich den Schutz des Sandhügels verlassen hatte, spürte ich sengend heißes Blei an meinem Kopf vorbeifliegen. Die beiden ATF-Agents hatten sich wieder nach vorn gedreht und gaben Sperrfeuer. Phil hatte die Zementsack-Barriere unverletzt erreicht. Ich überbrückte die letzten Yards bis in den Schutz der Metallträger mit mächtigen Schritten. Unzählige abprallende Kugeln übertönten mühelos das Rattern der automatischen Waffen. Gleich neben der großen Blonden kam ich gebückt auf die Beine. »Jerry Cotton, FBI New York«, stellte ich mich knapp vor. »Was geht hier vor?«

»Tegan Lloyd vom ATF aus Washington«, erwiderte sie mit einer Stimme, die wärmer klang als erwartet. »Ich gebe Ihnen die Kurzversion. Mein Kollege Brian Pagusa und ich wollten das Lager eines Waffenhändlers überprüfen, der heute Morgen erschossen wurde.«

»Sergej Jurakow«, sagte ich.

Sie sah mich überrascht an, ehe sie fortfuhr: »Offenbar versuchen seine Männer gerade, das Lager zu räumen. Wir vermuten dort einen von Jurakows Waffenbunkern. Schwer zu sagen, mit wie vielen Gangstern wir es zu tun haben. Vielleicht vier, vielleicht sechs. Wird Zeit für den Gegenstoß. Was ist, Special Agent, kommen Sie mit?«

»Auf geht’s!«, sagte ich.

Pagusa und Tegan Lloyd verständigten sich mit Handzeichen. Die schöne ATF-Frau rannte los. Ich blieb ihr dicht auf den Fersen. Zielstrebig lief sie auf die rechte Ecke des Containers zu. Phil und Pagusa hatten die linke Ecke schon erreicht. »Schon mal in ein Wespennest gestochen?«, fragte Pagusa grinsend. »Das wird euch gefallen!« Ich fragte mich, ob der Kerl noch sauber tickte.

Ich riskierte einen schnellen Blick um die Ecke und sah hinter einer leicht abschüssigen Fläche eine massive, zwei Fuß hohe Steinmauer. Dahinter lag eine breite, asphaltierte Straße, noch weiter hinten gab es fünf einfache, fensterlose Lagerhäuser mit schweren Schiebetoren. Das Tor des linken Hauses stand sperrangelweit offen.

Niemand zu sehen. Rechts endete die Straße an einem großen Wendehammer, hinter dem das Gelände steil anstieg. Links stand ein Pick-up quer auf der Fahrbahn. Aus dem Motorblock stieg Rauch, alle Reifen waren platt.

Auch Pagusa verschaffte sich einen Überblick. Er seufzte. »Okay, schalten wir die Russen aus und stellen wir sicher, was auch immer wir finden.«

Er sah uns an. »Sind wir so weit, Gentlemen?« Dann drehte er sich um, ohne eine Antwort abzuwarten. »Wir zum Pick-up, ihr erst mal hinter die Mauer«, wies er an.

Wir rannten los, die Waffen schussbereit in den Händen, schwärmten aus und versuchten, möglichst kein leichtes Ziel abzugeben.

Prompt setzte Sperrfeuer ein. Die Schützen hatten sich in der düsteren Halle verschanzt. Ich konnte an drei Stellen Mündungsfeuer ausmachen. Feuernd erreichten wir unsere Positionen.

Einer der Gegner versuchte, eine gezielte Garbe abzugeben, doch er wagte sich einen halben Schritt zu weit vor: Pagusa erwischte ihn mit einem unglaublich guten Schuss. Der Getroffene stolperte einen Schritt rückwärts und fiel auf den Rücken. Dann herrschte wieder Ruhe. Die Sirenen von Streifenwagen waren zu hören und wurden langsam lauter. Der Bauarbeiter hatte tatsächlich Alarm geschlagen.

Im Lagerhaus rührte sich nichts. Offenbar wurde Kriegsrat gehalten. Jetzt, wo die Cops den Deckel draufmachen würden, war Widerstand sinnlos geworden. Ich hoffte, die Männer würden sich ergeben, aber ich wusste selber, dass man das von Elitesoldaten nicht erwarten konnte.

Ich behielt recht. Ein brüllendes Geräusch, dann noch eins, Gequietsche, und dann kamen zwei geländegängige Motorräder mit hochgerissenen Vorderrädern wie geölte Blitze aus der Halle geflogen und bogen Richtung Wendehammer ab. Wir schossen hinter ihnen her, doch beiden gelang die Flucht auf ihren hochgezüchteten Husqvarna-Maschinen quer über den Wendehammer, den Abhang hoch. Phil zückte das Handy und gab eine Meldung raus.

Mit Phil ging ich vorsichtig auf das offene Tor zu. Wir passierten Pagusas zweites Opfer, einen Mann von vielleicht 50 Jahren, in Tarnhose und schwarzem T-Shirt.

Ich nahm seine Maschinenpistole an mich, löste auch die Pistole aus seinem Halfter und steckte sie ein.

Unsere Augen gewöhnten sich nur langsam an das schummerige Licht. Mehrere Holzkisten standen herum. Nachdem wir sicher waren, dass sich niemand hier versteckt hielt, griff Phil sich ein Brecheisen und hebelte eine Kiste auf. Unter einer dicken Schicht Holzwolle lagen in Öltuch gewickelte nagelneue Maschinenpistolen.

Ich pfiff durch die Zähne. »Sieh an, sieh an.«

Ich drehte mich um, wollte sehen, wie Tegan und Pagusa reagierten. Doch die beiden schienen noch vor der Halle zu sein.

Im gleichen Moment fiel vor der Tür ein Schuss. Und noch einer.

Wir rannten raus und sahen Tegan, die sich über Pagusa beugte. Ihr Partner lag vor ihr auf dem Boden. Auf den ersten Blick erkannten wir, dass er tot war. Ein blutiger Fleck breitete sich unter seinem Oberkörper aus.

Der Russe, der vor der Halle lag und den wir für tot gehalten hatten, hielt jetzt wieder eine Pistole in der Hand. Schien so, als hätte er doch noch gelebt und Pagusa mit einer versteckten Zweitwaffe erwischt, ehe Tegan ihn endgültig erschossen hatte. Tegan starrte erst ihren toten Partner, dann uns ungläubig an.

***

Nachdem wir Mr High telefonisch berichtet hatten, schickte er uns Verstärkung: Blair Duvall und seine Partnerin June Clark. Inzwischen hatten wir erfahren, dass die toten Jurakow-Männer beide eine schwarze Fledermaus auf blauem Grund auf der Brust tätowiert hatten. »Sehr geschmackvoll«, kommentierte unser farbiger Kollege Blair Duvall ironisch, der sein Temperament ausnahmsweise im Zaum hielt.

»Ist es eine runde Tätowierung mit gelbem Rand?«, fragte ich und Blair nickte.

»GRU Speznas«, stieß ich hervor.

»Wie bitte?«, fragte Blair.

»GRU«, wiederholte ich. »Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije. Sozusagen die Chefetage des russischen Militärnachrichtendienstes. Ihre militärische Spezialeinheit hat als Wappen eine schwarze Fledermaus auf blauem Grund mit einem gelben Rand.«

Tegan sah mich erstaunt an, wollte etwas sagen, doch sie behielt es für sich.

In den Kisten fanden unsere Kollegen jeweils 100 Pistolen und Maschinenpistolen. Fabrikneu.

Tegan stand auf und sah mich wieder an. »Bringen Sie mich hier weg?«

Phil bedeutete mir, dass er bleiben würde, um mögliche Fragen noch vor Ort zu beantworten. Ich nickte ihm zu, legte meinen Arm um Tegans Schulter und führte sie langsam zu meinem Jaguar.

***

Am nächsten Morgen bat Mr High Phil und mich zu einer Unterredung, an der auch Blair Duvall teilnahm.

Am Vortag hatte ich Tegan Lloyd an ihrem Hotel abgesetzt und es fast ein wenig bedauert, dass ich diese Kollegin wahrscheinlich vorerst nicht wiedersehen würde. Umso fröhlicher stimmte es mich, dass sie auch an diesem Meeting teilnahm. »Ah, das geschätzte ATF in unseren heiligen Hallen«, begrüßte ich sie. Tegan trug jetzt ein schwarzes Kostüm und sah auch in diesem Businesslook atemberaubend aus.

»Nehmen wir Platz«, sagte unser Assistant Director. »Unseren Gast muss ich nicht mehr vorstellen, und Sie, Miss Lloyd, kennen die Herren auch. Ich komme gleich zum Punkt. Ich bin von höherer Stelle gebeten worden, mit Ihnen drei heute Nachmittag nach Washington zu fliegen. Um was es geht und wen wir treffen, erfahren Sie dort, von ganz oben.«

»Was bedeutet ›ganz oben‹, Sir?«, wollte ich wissen. Doch der Assistant Director winkte ab.

»Ziemlich weit oben«, sagte er vielsagend. »Mehr lässt man uns vorerst nicht wissen. Aber wenn ich mich nicht täusche, wird der Leiter der Field Operation Section East dabei sein.«

»Edward G. Homer?«, fragte Phil überrascht.

Mr High nickte. »Höchstpersönlich! Dennoch, bis dahin sollten wir die Zeit nutzen, um über gestern zu reden. Ich habe Blair gebeten, ein Memorandum zu verfassen.«

Blair wuchtete seine muskulösen eins neunzig aus dem Stuhl und verteilte seine Unterlagen.

»Hier steht alles drin, was wir bisher wissen. Die wichtigsten Erkenntnisse beziehen sich auf die beiden Toten und auf die Waffen, die im Lager sichergestellt wurden. Die beiden Russen waren zuvor nicht in Erscheinung getreten. Identifizieren konnten wir sie noch nicht.«

»Lag ich mit meinem Tipp, was die Tätowierungen angeht, richtig?«, fragte ich.

»Goldrichtig. Die schwarze Fledermaus auf blauem Grund ist tatsächlich das Wappen der GRU Speznas, einer sowjetischen Eliteeinheit. Wir vermuten, dass die beiden inzwischen auf eigene Rechnung arbeiteten. Wir schätzen ihr Alter auf Anfang bis Mitte 50.«

»Was ist mit den Waffen?«, fragte Tegan.

»Die Waffen könnten uns etwas über die Geschäftsbeziehungen erzählen, die Jurakow hier in New York unterhielt. Wir fanden nur zwei Waffentypen: Maschinenpistolen vom Typ Styr TMP und Pistolen vom Typ Z88, jeweils 100 Stück«, antwortete Blair.

»Z88? Ach was …«, raunte ich und dachte sofort an Matt Contrada, einen Waffenschieber mit hawaiianischen Wurzeln, der in Manhattan lebte und den wir schon öfter im Visier gehabt hatten.

»Jawohl, Z88, die südafrikanische Version der Beretta 92«, bestätigte Blair.

»In Südafrika ist sowohl die Polizei als auch die Armee mit Z88-Pistolen ausgerüstet«, warf Tegan ein.

»Ganz genau«, sagte ich, »und die südafrikanische Polizei hat in den letzten Jahren immer mal wieder ein paar Hundert davon verloren. Wir sind uns ziemlich sicher, dass ein Teil davon hier in New York gelandet ist, bei einem Waffenschieber namens Matt Contrada.«

Tegan nickte. »Contrada! Ein alter Bekannter, aber aalglatt.«

»Passt doch alles zusammen«, sagte Phil. »Z88 und Styr TMP, das sind beides Waffen, von denen wir ziemlich genau wissen, dass Contrada sie vertreibt. Dann hat er also womöglich Jurakow beliefert.«

Das hörte sich plausibel an. Plausibel genug, um Contrada bald zu besuchen.

Blair ergriff wieder das Wort. »Mehr wissen wir bisher nicht. Die beiden Flüchtigen oder wenigstens ihre Motorräder sind noch nicht wieder aufgetaucht.«

»Miss Lloyd«, sagte Mr High, »eine Sache wäre da noch: Woher wussten Sie eigentlich, wo Sie Sergej Jurakow finden würden?«

Tegan zuckte die Schultern. »Brian, also Agent Pagusa, hatte es recherchiert. Aber ich weiß nicht, wie.«

»Er behielt es für sich?«, fragte der AD ungläubig.

»Ja, das machte er öfter. Er sagte dann immer, er sei sicher, dass ich nicht wissen wolle, wie er manchmal arbeitet.«

»Und was sollte das bedeuten? Etwa, dass er sich nicht immer an die Regeln hielt?«

»Vielleicht sollte es einfach heißen, dass er Informanten hatte, deren Identität er selbst vor mir geheim halten wollte.«

Das kam mir relativ merkwürdig vor. Auch Assistant Director High sah skeptisch aus. »Es wäre natürlich hilfreich, wenn wir seine Quelle kennen würden. Vielleicht hatte der Killer seine Informationen von derselben Person. Jedenfalls wissen wir inzwischen, dass Jurakow gerade aus einer Privatklinik kam, als er erschossen wurde. Er hatte dort offenbar seine Frau, die einen schweren Autounfall hatte, besucht.«

»Wieso haben Sie mich zu diesem Treffen eingeladen, Assistant Director High?«, fragte Tegan und stellte sich unwissender, als sie war.

»Ganz einfach, Sie gehören in diesem Fall zu unserem Ermittlungsteam. Aber das werden wir heute Nachmittag alles schriftlich bekommen.«

***

Eine schwarze Limousine holte Mr High, Tegan, Phil und mich ein paar Stunden später am Ronald Reagan Washington National Airport ab und kutschierte uns über den George Washington Memorial Parkway nach Norden, direkt in den edlen Congressional Country Club.

Ein schweigsamer Kerl mit sehr kurzen Haaren, der mir verdächtig nach Secret Service aussah, holte uns am Eingang ab, führte uns durch lange Flure und schließlich in einen kleinen, aber wirklich feinen Konferenzraum. Im Kamin flackerte ein Feuer.

Drei Männer erwarteten uns dort. Ich erkannte nur einen: Edward G. Homer. Ich traf den Leiter der Field Operation Section East nicht sehr oft, was kein Wunder ist. Assistant Director Homer sitzt in der Washingtoner FBI-Zentrale, er hat das Sagen nicht nur über uns New Yorker Feds, sondern ihm unterstehen sämtliche FBI Field Offices von der Ostküste bis zum Mittelwesten. Immer, wenn ich ihn bisher gesehen hatte, sah er aus wie an diesem Tag: dunkler Anzug, dunkle Krawatte, weißes Hemd.

Ein großer, recht junger Mann übernahm die förmliche Begrüßung. »Mein Name ist George Westenburg. Ich vertrete das Justizministerium«, flötete er. Sein Händedruck erinnerte entfernt an einen Schraubstock, aber ich merkte sofort, dass er sich diese Geste antrainiert hatte. Wäre Mr High nicht dabei gewesen, hätte ich vielleicht etwas Respektloses gesagt. Das gespielte Selbstbewusstsein dieses Lackaffen stieß mir übel auf. Westenburg war der Prototyp eines Bürohengstes. Seine Frisur war so akkurat gestylt, dass sie fast wie eine Plastikkappe aussah, und seine Gesichtsfarbe verriet, dass er die Sonnenbank noch wesentlich öfter als den Frisör besuchte. Seine Bewegungen waren so steif wie sein Hemdkragen.

Auch der Dritte im Bunde war ein Mann des Justizministeriums. Neben Assistant Director Homer und diesem Westenburg war er eine richtig erfrischende Erscheinung. Sein schwarzer Anzug war offenbar nach einem Schnittmuster aus den 1960er-Jahren gefertigt, dazu trug er einen schmalen One-Inch-Tie und ein weißes Hemd mit Kragenknöpfen. Ich schätzte ihn auf Ende 30. Sein jungenhaftes, von Koteletten eingerahmtes Gesicht verriet, dass er nicht alles ernst nahm. Über seinem Gesicht thronte eine massive Elvis-Haartolle.

Er stellte sich mit angenehmer, fester Stimme vor: »Miss Lloyd, meine Herren, seien Sie uns herzlich willkommen in Washington«, sagte er. »Mein Name ist Rupert Marxdale, und wie Sie gleich erfahren werden, sehen wir uns jetzt häufiger.«

»Herzlichen Dank, Mister Marxdale, Mister Westenburg«, antwortete Mr High, der jetzt auch Assistant Director Homer die Hand gab.

»Ich will gleich zum Punkt kommen«, begann der pomadige Westenburg. »Wir haben Sie hierhergebeten, um Sie über eine Entscheidung des Justizministeriums zu unterrichten. Ich erzähle Ihnen nichts Neues, wenn ich daran erinnere, dass die Aktion Silent Threat gegen den organisierten Waffenhandel ein voller Erfolg war. Wir sind davon überzeugt, dass dieser Erfolg nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass erstmals zwei unserer besten Behörden, nämlich das FBI und das ATF, in größerem Maße eng zusammengearbeitet haben.«

Ich war mir sicher, dass der Lackaffe seine gestelzten Sätze auswendig gelernt hatte, und stellte mit einem Seitenblick fest, dass Phil ebenfalls belustigt war. Tegan hingegen sah so aus, als würde sie jeden Moment so etwas wie »Was bist du denn für ein Kotzbrocken?« sagen. So deutete ich jedenfalls ihren Gesichtsausdruck.

»Wie Sie ebenfalls wissen«, fuhr Mister Sonnenbank fort, »ist die Aktion Silent Threat abgeschlossen. Eigentlich, möchte ich hinzufügen! Doch nun haben wir zwei Fälle auf unserer Agenda, die zusammenhängen: Sergej Jurakow wurde ermordet. Und Matt Contrada, den Sie alle kennen, scheint irgendwie damit zu tun zu haben. Aber das ist noch nicht alles. Es gibt da etwas, das Sie noch nicht wissen können. Was das ist …« Er machte eine etwas zu lange Kunstpause und blickte effektheischend mit einem aufgesetzten Lächeln in die Runde. »… das wird Ihnen jetzt Mister Marxdale erklären! Bitte, Rupert!«

»Ja, vielen Dank«, sagte Marxdale mit einem leicht spöttischen Lächeln. »Ich will mich kurz fassen. Sergej Jurakow ist tot. Aber wir wissen, dass er in den Vorbereitungen für ein großes Geschäft steckte. Er war dabei, das Geschäft seines Lebens abzuwickeln. Er wollte militärisches Gerät an einen afrikanischen Diktator verkaufen. Wert: mehrere Millionen Dollar.«

»Woher stammen die Informationen?«, hakte ich gleich nach.

»Geheimdienst, Agent Cotton. Mehr darf ich noch nicht sagen.«

»Aha«, sagte ich missbilligend.

Der strenge Blick, den mir Assistant Director Homer zuwarf, entging mir nicht.

»Worauf ich hinauswill: Wir müssen nicht in erster Linie den Mord an Jurakow aufklären. Unsere vordringliche Aufgabe muss es sein, zu verhindern, dass irgendjemand diesen Deal an Jurakows Stelle abwickelt. Wenn die Waffen – es handelt sich um moderne Boden-Luft-Raketensysteme russischer Bauart – in falsche Hände geraten, dann könnte das viele amerikanische Soldaten oder Truppen unserer Verbündeten das Leben kosten. Wir haben es in der Hand.«

»Können Sie Näheres zu den Waffensystemen sagen?«, fragte Tegan Lloyd.

»Sicher«, sagte Marxdale. »Wir wissen es nicht ganz genau, gehen aber stark davon aus, dass der Lieferumfang mehrere Dutzend SA-24-Grinch-Lenkwaffensysteme samt einer größeren Menge zugehöriger Raketen beinhaltet. Das wäre ein Wert von etwa zehn Millionen Dollar.«

»Grinch, auch als Nadel bekannt. Ein echter Exportschlager«, warf ich ein und war froh, mit ein bisschen Expertenwissen glänzen zu können. Dabei hatte ich kürzlich eher zufällig von diesen russischen, schultergestützten Boden-Luft-Raketensystemen gelesen.

Marxdale nickte anerkennend. »Sehr gut, Special Agent. Ich sehe, Ihnen kann man nichts vormachen. Sie haben recht. Das System wird von nur einer Person bedient. Es bekämpft Hubschrauber und tief fliegende Flugzeuge auf eine Entfernung von bis zu sechs Kilometern. Ziemlich tödliche Angelegenheit.«

»Und wie würde man eine solche Lieferung lagern und transportieren?«, fragte Phil. »Wonach müssen wir Ausschau halten?«

»Schwer zu sagen. Ein Grinch ist etwa sechs Fuß lang und wiegt gute zehn Kilo. Da brauchen Sie keinen Überseecontainer, da reicht schon ein Lieferwagen. Wir müssen also die Augen überall offen halten.«

»Wer ist wir?«, hakte ich nach.

»Das Justizministerium hat beschlossen, dass wir das Wissen, das Können und das Know-how mehrerer Bundesbehörden bündeln wollen«, antwortete Marxdale, »es wird also ein Ermittlungsteam gebildet, das aus Agent Cotton, Agent Decker, Agent Lloyd und meiner Wenigkeit besteht.«

»Und wer hat das Kommando?«, fragte ich.

»Niemand, wir arbeiten Hand in Hand, im Rücken haben wir die Unterstützung des Ministeriums und Ihrer beiden Behörden.«

Ich sah erst Mr High, dann Assistant Director Homer und dann Phil an, doch ich entdeckte keine Skepsis in ihren Gesichtern. Nur Tegan nagte an ihrer Unterlippe und hatte einen Blick aufgesetzt, den ich nicht deuten konnte.

»Von wo aus werden wir operieren?«, fragte Phil.

»Von New York aus. Das erscheint uns zweckmäßig zu sein.«

Ich überlegte kurz und nickte dann. »Fein. Wann kann’s losgehen?«

»Gleich morgen«, antwortete Edward G. Homer, »und Sie werden mich bitte kontinuierlich unterrichten, Mister High.«

Unser Chef nickte. »Selbstverständlich!«

»Dann sehen wir uns also morgen«, sagte Marxdale und machte schon Anstalten, sich zu verabschieden.

»Ich will gern pünktlich zur Stelle sein«, warf ich ein, »wenn mich noch jemand aufklärt, wann und wo wir uns morgen treffen wollen.«

»Herrgott noch mal«, empörte sich Edgar G. Homer über meinen Einwand, »Sie bekommen das doch alles noch schriftlich!«

»Dann habe ich natürlich keine weiteren Fragen«, antwortete ich. Das »Euer Ehren«, das mir auf der Zunge lag, schluckte ich lieber runter. Immerhin war Edward G. Homer ein ziemlich hohes Tier und unterstand direkt dem FBI-Chef. Er war halt ein echter Bürokrat, aber in seinem Job war er mehr als effektiv.

Sunnyboy Westenburg schätzte ich anders ein. Der blickte mit wichtiger Miene auf seine dicke goldene Rolex und gab uns zu verstehen, dass er einen Anschlusstermin hatte. Ich tippte, dieser Termin würde ihn auf direktem Weg in ein Maniküre-Studio führen, aber ich konnte mich auch täuschen. Vielleicht war es doch die Sonnenbank.

***

Am nächsten Morgen traute ich meinen Augen nicht, als ich mit Phil unser Büro betrat. Irgendjemand hatte umgeräumt, sodass nicht zwei, sondern vier Schreibtische herumstanden. Einer unserer Haustechniker hatte gerade zwei zusätzliche Computer und Telefonanlagen angeschlossen. Ein gut gelaunter Rupert Marxdale hatte sich bereits die Hemdsärmel hochgekrempelt und blätterte voller Elan in alten FBI-Akten.

»Guten Morgen, die Herren. Also, ganz ehrlich, wenn der Kaffee hier immer so herrlich schmeckt, dann bleibe ich länger als geplant.«

»Ja, ging uns ähnlich«, entgegnete Phil trocken.

»Ich muss mich für die überfallartige Besetzung Ihres Büros entschuldigen«, sagte Marxdale mit einem fast entschuldigenden Lächeln, »aber ich bin mit Mister High übereingekommen, dass es das Beste ist, wenn wir uns als Team einen Raum teilen und sofort loslegen.«

»Na dann: Herzlich willkommen an der Federal Plaza!« Ich reichte ihm meine Hand, Phil tat es mir nach.

»Ich war so frei, Miss Lloyd zu informieren«, sagte Marxdale.

Wie aufs Stichwort betrat sie den Raum, sah sich kurz um, wuchtete ihre Tasche auf ihren neuen Schreibtisch. Sie nickte Phil und mir zu. Dass sie Marxdale völlig ignorierte, entging mir nicht. »Ich habe schon mal ein bisschen Basisarbeit verrichtet«, setzte der Mann vom Justizministerium seine Ansprache fort. »Jurakow war nicht zufällig dort, wo man ihn erschossen hat.« Sein Blick wanderte zu Tegan, die gerade ihren Rechner hochfuhr und seinem Blick standhielt, ohne irgendeine Gefühlsregung zu zeigen. »Jurakow kam aus einer Privatklinik, die zwei Etagen in dem Haus, das er unmittelbar vor seinem Mord verlassen hatte, belegt. Seine Frau liegt unter falschem Namen dort.«

Tegan schwieg und ignorierte Marxdales auffordernden Blick.

Ich fand das unpassend und erwartete, dass sie sich äußerte. Schließlich waren sie und ihr Partner Pagusa sicher auch nicht zufällig dort gewesen. Aber sie war eine Kollegin und keine Tatverdächtige, also behielt ich meinen Gedanken für mich. Mein Telefon klingelte. Phil hob ab, meldete sich und hörte zu. Er sagte »Danke, bis gleich«, und legte auf. Dann blickte er in die Runde. »Sieht so aus, als hätten die Cops Jurakows Mörder gefunden.«

***

»Tolle Aussicht«, sagte Tegan Lloyd, als wir auf das Hochhausdach traten. Der kalte Wind fuhr mir in den Mantel, ich schlug den Kragen hoch. Tegan hatte völlig recht. Von hier oben hatte man einen fantastischen Ausblick auf den Central Park.

Ich wandte mich den Kollegen vom New York Police Department zu. Noch war die Crime Scene Unit damit beschäftigt, Spuren zu sichern. Wir gingen auf einen älteren Detective zu, der aussah, als hätte er was zu sagen.

»Cotton und Decker, FBI«, stellte ich uns knapp vor.«

»Wow, G-men, heute in Kompaniestärke ausgerückt?« Der Detective sah zu Marxdale und Tegan, dann wieder zu uns.

»Genau«, erwiderte Phil kurz angebunden. »Was ist hier passiert?«

»Detective Lieutenant Sterling«, stellte er sich vor. »Schätze, wir haben hier den Mann vor uns, der dem berühmten Waffendealer das Lebenslicht ausgepustet hat.«

Einen Meter vom Rand des Daches entfernt lag jemand. Er trug einen dunklen Anzug und einen schwarzen Schal. Auf den ersten Blick sah es so aus, als sei er mit dem Finger am Abzug seines Präzisionsgewehrs eingeschlafen. Nur die Wunde in seinem Hinterkopf passte nicht dazu. »Fantastischer Schuss, das muss man schon zugeben«, fügte Sterling hinzu, der in etwa auf die Stelle zeigte, an der Jurakow tot zusammengebrochen war.

»Und seine Belohnung war eine Kugel in den Kopf?«, fragte ich.

»Sogar zwei! Und als Bonus gab’s noch eine Maniküre obendrauf.«

»Was soll das heißen?«

»Man hat ihm post mortem fein säuberlich die Fingerkuppen verätzt. Alle zehn.«

»Dann hatte jemand Angst, dass wir ihn anhand seiner Fingerabdrücke identifizieren können«, folgerte ich. »Hat der Killer-Killer irgendwelche Spuren hinterlassen?«

»Allerdings«, antwortete Sterling und drehte sich zur Leiche um. »Wer auch immer den Kerl erschossen hat, war selbst kein Anfänger. Nach den Schüssen hat er die Mordwaffe einfach neben der Leiche abgelegt, eine Glock 17.«

»Gut«, sagte ich, »dann kann ihn die Tatwaffe jedenfalls nicht mehr verraten, und wir können davon ausgehen, dass sie keine Fingerabdrücke liefern kann und nicht registriert ist. Ob der Tote Papiere dabeihatte, muss ich wohl gar nicht erst fragen, Detective Lieutenant?«

»Man merkt, Sie sind auch vom Fach! Sie haben recht. Mit allem.«

Ich wandte mich meinen Kollegen zu. »Schätze, die Ermittlungen werden sehr zeitaufwendig. Ich werde Mister High bitten, uns von dieser Arbeit zu befreien.«

»Wow, G-man, heißt das etwa, dass wir den Fall beim New York Police Department behalten dürfen?«, fragte Sterling.

»Nein, das heißt es nicht.«

***

Kurze Zeit später brüteten Blair Duvall und seine Partnerin June Clark über den Fotos des toten Meisterschützen und lasen sich in die Aktenlage ein. Mr High hatte ihnen die Recherchen übertragen, damit sich Phil, Tegan, Marxdale und ich auf das Problem mit den Grinch-Raketen konzentrieren konnten. Wir würden uns trotzdem regelmäßig treffen, denn es war auch klar, dass der Killer des Jurakow-Mörders wahrscheinlich eine Rolle beim Raketen-Deal spielte. Wir berichteten unseren Kollegen alles, was wir an Informationen beitragen konnten. Es war nicht sehr viel.

»Das sind zwei harte Nüsse, die wir da zu knacken haben«, sagte ich, »aber ich bin sicher, ihr beiden bekommt das hin.«

»Danke für das Vertrauen, Jerry«, konterte Blair mit seinem breiten Grinsen, »aber wenn es dich aufbaut: Ich glaube auch, dass ihr euren Job hinbekommt.«

Ich schlug ihm, ebenfalls grinsend, auf die Schulter und ging.

***

Unser Vierer-Team hatte sich inzwischen aufgeteilt, um keine Zeit zu verlieren. Während Phil mit Marxdale erst mal ein grundlegendes Dossier über Jurakow erstellen wollte, machte ich mich mit meiner attraktiven Kollegin Tegan Lloyd vom ATF auf den Weg zu Dishka.

Jurakows Tochter war eine ziemlich hübsche junge Frau. Ich war gespannt auf sie. Ich erwartete nicht, dass sie uns wirklich weiterhalf. Aber ich wollte mir einen Eindruck von ihr verschaffen, um einschätzen zu können, wie sie zu ihrem Vater stand und ob sie an seinem Tod ein Interesse gehabt haben konnte.

Nach allem, was mir Tegan inzwischen erzählt hatte, war klar, dass Dishka ihren Vater in ein Gespräch verwickelt hatte, bevor der tödliche Schuss fiel. Das musste natürlich nichts heißen, aber es war dennoch ein Gedanke, den ich im Hinterkopf behielt: Hatte sie ihren Vater mit Absicht zu einer Zielscheibe gemacht, um dem Killer bei seinem Wunderschuss ein bisschen Schützenhilfe zu leisten?

Tegan Lloyd saß auf Phils Stammplatz – auf dem Beifahrersitz meines Jaguar. Wir wollten uns ansehen, in welcher Gegend Dishka Jurakow lebte. Dass es nicht die schlechteste Ecke von ganz New York war, verriet schon die Anschrift: Park Avenue, nahe der East 95th. Ich wollte die Gelegenheit außerdem dazu nutzen, ein bisschen mehr über meine Kollegin zu erfahren – und vielleicht auch über ihren früheren Partner, der zwar eine erstaunliche Erfolgsquote vorweisen konnte, aber offenbar keine ganz weiße Weste hatte. Tegan hatte seinen Namen in meiner Gegenwart nicht mehr erwähnt. Nur einmal, indirekt, als sie erzählte, dass sie das Hotel gewechselt hatte, weil sie ein neues Umfeld brauchte, wie sie es nannte.

»Sie beherrschen Ihren Job, Miss Lloyd«, begann ich unterwegs ein Gespräch.

»Wir haben in Glynco nicht nur Däumchen gedreht«, gab sie zurück. Ich wusste, was sie meinte. Das ATF bildete seinen Nachwuchs im Federal Law Enforcement Training Center in Glynco, Georgia, aus. Experten behaupten, das Training dort sei noch härter als das, was das FBI von seinen Bewerbern in Quantico in Virginia verlangt.

Ich lächelte. »Genau genommen weiß ich ziemlich wenig über Sie, Miss Lloyd.«

»Ach, kommen Sie, Cotton, Sie haben sich doch längst über mich erkundigt.«

»Für was halten Sie mich? Ich ermittle nicht gegen Sie, sondern mit Ihnen.«

»Also, ich habe mich jedenfalls über Sie erkundigt.«

Ich sah sie überrascht an. »Und was haben Sie herausgefunden?«

»Dass Sie Mister Hundertfünfzigprozent sind, dazu unbestechlich und sehr gut.«

»Man soll ja nicht alles glauben, was andere erzählen«, entgegnete ich amüsiert. Ich hatte sie auf den ersten Blick in mein Herz geschlossen, doch je näher ich Tegan kennenlernte, umso angenehmer fand ich ihre Gesellschaft.

»Sie sollen auch ein kleiner Herzensbrecher sein, hab ich gehört«, sagte sie.

»Darf ich mal fragen, wen Sie über mich ausgefragt haben?«

»Kann ich nicht sagen. Quellenschutz, Sie wissen schon.« Zum ersten Mal sah ich ein kleines Lächeln auf ihrem Gesicht. Es stand ihr ausgezeichnet. Und es zauberte wunderschöne Grübchen auf ihre Wangen.

»Gut«, sagte ich, »jetzt zu Ihnen. Was darf ich über Sie wissen?«

»Tegan Lloyd, 29, Abschlüsse in Geschichte, Jura und in Kriminalpsychologie. Seit drei Jahren beim ATF, erst in Seattle, dann Washington. Vorher politische Analystin beim Weltsicherheitsrat. Absichtlich ledig. Eigentlich wollte ich zum Zirkus und viel reisen. Aber mit 16 fiel mir ein, dass ich nie mehr ein Punkrockkonzert besuchen kann, wenn ich selber jeden Abend in der Manege rumturne. Na ja. Zirkus hab ich jetzt trotzdem genug.«

Ich nickte lachend. »Verstehe.«

Unvermittelt schlug sie einen ernsteren Tonfall an. »Was halten Sie von diesem Marxdale?«, fragte sie.

»Ich weiß zu wenig über ihn, um mir eine Meinung zu bilden. Aber er macht auf den ersten Blick keinen üblen Eindruck. Im Gegensatz zu diesem Westenburg.«

»Ich traue beiden nicht. Irgendetwas stört mich, auch an Marxdale«, sagte sie.

»Sagt Ihnen das Ihr siebter Sinn?«

Sie zuckte die Schultern. »Weiß nicht. Er ist ein aalglatter Typ. Es stört mich, dass ihm die Aufklärung des Mordes nicht so wichtig ist.«

Ich dachte eine Weile darüber nach und kam zu dem Schluss, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt kein Urteil über einen meiner neuen Kollegen fällen wollte. Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend.

***

Ich wollte meinen roten Jaguar gerade in die einzige Parklücke weit und breit rangieren, als 20 Yards vor uns ein schwerer schwarzer Chrysler aus einer Tiefgarageneinfahrt glitt.

»Stopp!«, rief Tegan. »Ich glaube, da sitzt Dishka Jurakow am Steuer!«

Der Wagen bog in unsere Richtung ab und rollte an uns vorbei. »Verdammt, das war sie!«

»Dann wollen wir mal sehen, wohin sie will.«

Ich wendete und hängte mich möglichst unauffällig an den Wagen der schönen Russin.

Unauffällig zu bleiben ist eine echte Herausforderung, wenn man in einem knallroten Jaguar durch New York kutschiert. Aber ich hatte genug Erfahrung, um die Aufgabe zu meistern. Die Fahrt ging erst Richtung Süden. Dann unterquerten wir den Hudson River durch den Holland Tunnel, es ging rüber nach New Jersey, wo wir auf den Marin Boulevard abbogen und noch weiter nach Süden fuhren, bis weit vor uns die Freiheitsstatue auftauchte.

Dishka umrundete den Liberty Harbour und rollte auf die Einfahrt des benachbarten Parkplatzes zu. Vor dem schwarzweißen Schlagbaum hielt sie an. Offenbar verfügte sie über eine Zufahrtsberechtigung, denn nach wenigen Sekunden hob sich der Schlagbaum und ihr Chrysler rollte weiter.

»Sie kommen wohl nicht da durch, oder?«, fragte Tegan. Ohne eine Antwort abzuwarten, sprang sie aus dem Jaguar, formte mit ausgestrecktem Daumen und kleinem Finger einen imaginären Telefonhörer und lief los, hinter Dishkas Auto her.

Ich zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen, als ich die Kopfsteinpflasterstraße 30 Yards zurückrollte und den Jaguar am Straßenrand abstellte.

Schnellen Schrittes näherte ich mich dem langen, schlauchförmigen Parkplatz, doch sowohl Tegan als auch Dishka waren verschwunden. Nur den dicken schwarzen Schlitten der Russin machte ich hundert Yards vor mir aus.

***

Zur gleichen Zeit schlug Rupert Marxdale das Dossier über Jurakow zu. »Nichts, was uns weiterbringt.«

Er hatte es sich von irgendeiner Behörde schicken lassen, doch um die Herkunft machte er ein großes Geheimnis. Die vielen durch Schwärzungen unkenntlich gemachten Stellen ließen jedenfalls darauf schließen, dass es sich um brisante Informationen handelte.

»Mister Marxdale«, begann Phil, der an seinem Schreibtisch saß und dem diese Bitte schon die ganze Zeit auf der Zunge lag, »wir arbeiten hier als Team. Ich hielte es für besser, wenn wir untereinander mit offenen Karten spielen würden. Also: Woher kommen diese Unterlagen?«

Marxdale nahm einen großen Schluck Kaffee und sah Phil lange an.

»Sehen Sie, Special Agent Decker … Ach, lassen wir doch diese Formalitäten! Ich heiße Rupert.« Er streckte Phil förmlich die Hand entgegen, der nach kurzem Zögern einschlug. »Phil«, murmelte er.

»Phil, ich kann mir vorstellen, dass du genauso unglücklich mit der Situation bist wie dein Partner. Klar, ich komme gerne mal aus Washington raus, aber ich könnte mir trotzdem was Schöneres vorstellen, als in einem New Yorker Hotel zu wohnen und in einem zu kleinen Büro zu arbeiten.« Er nahm noch einen Schluck Kaffee, stellte die Tasse ab und drehte sie auf dem Tisch hin und her. »Aber seien wir doch mal ehrlich: Dass das Ministerium, das FBI und das ATF hier zusammenarbeiten, hat doch nur politische Gründe.«

»Ich frage mich sowieso, warum sich ausgerechnet das Justizministerium mit der Suche nach Waffenhändlern befasst. Das wäre doch eher was für die Homeland Security oder einen Militärgeheimdienst. Oder für uns.«

»Die werden auf ihre Art sicher auch ermitteln, aber wir hier, wir sind der zivile Arm der Justiz.«

»Was meinen Sie … äh, was meinst du mit ›nur politische Gründe‹?«, hakte Phil nach, »Denkst du nicht, dass man uns wegen unserer Fähigkeiten zusammenarbeiten lässt? Tegan hat eine Menge Erfahrung mit Ermittlungen gegen Jurakow, und die haben Jerry und ich auch.«

»Phil, genau darauf will ich ja hinaus. Überleg mal: Ihr seid doch erfahren genug, um den Job ohne einen Anstands-Wauwau vom Ministerium wie mich zu erledigen. Ich frage mich schon die ganze Zeit, warum die mich mit ins Team genommen haben.«

»Wen meinst du mit ›die‹?«

»Na die, die den Plan ausgeheckt haben. Diejenigen, die eine oder zwei Etagen über Westenburg und über Assistant Director High sitzen.«

Phil spielte mit seinem Kugelschreiber und sagte, ohne sein Gegenüber anzusehen: »Du meinst, die feinen Herren trauen uns nicht?«

»Das ist die falsche Frage, Phil. Es geht wohl eher darum, wem die feinen Herren nicht trauen.«

Phil feuerte den Kuli auf den Schreibtisch und sah Marxdale scharf an. Der lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. »Na, Jerry oder du – gegen euch wird man ja wohl kaum Vorbehalte haben, oder?«

Er verstand Phils fragenden Blick richtig und fügte hinzu: »Na komm, du kannst dir denken, dass ich eure Akten kenne. Ihr seid beide über jeden Zweifel erhaben. Und meine Laufbahn ist genauso lupenrein verlaufen.«

»Du denkst an … Tegan?«

Marxdale nickte bedächtig. »Es gibt da ein paar Sachen, die sollten uns zumindest stutzig machen.«

»Was zum Beispiel?«

»Ich kann hier dem FBI gegenüber nicht aus dem Vollen schöpfen, Phil. Aber zwei Sachen solltest du wissen, und dein Partner auch: Dieser Pagusa, Tegans früherer Partner, war definitiv nicht ganz sauber. Er hatte eine unschlagbare Erfolgsquote, aber seine Fälle endeten für die Verdächtigen nicht immer vor dem Richter, sondern oft genug mit Kopfschuss bei der Festnahme. Und wie er und Tegan ihre Fälle gelöst haben, ist oft unklar geblieben. In ihren Berichten wimmelt es von V-Leuten, die angeblich nicht namentlich genannt werden durften. An höherer Stelle wird aber vermutet, dass Pagusa und Lloyd … Scheiße, Phil, was ich dir jetzt sage, das macht hier nicht die Runde, okay?«

»Okay.«

»Pagusa und Lloyd sollen auf der Lohnliste einiger Mafiafamilien gestanden und ab und zu Kopfprämien kassiert haben.«

»Das sind verdammt harte Vorwürfe, die man tunlichst beweisen können sollte, wenn man sie ausspricht«, konterte Phil trocken.

Marxdale nickte langsam. »Da ist noch etwas. Euer Zugriff auf Jurakows Waffenlager.«

»Was ist damit?«

»Du warst dabei, also kannst du dir besser ein Bild machen. Ich weiß nur, was ihr erzählt habt. Da ist einmal die Frage, wieso die beiden vor Ort waren. Ihr wisst selbst, dass die ATF-Datenbank keine Informationen zu dem Zugriff hatte. Aber davon mal abgesehen: Für mich steht noch lange nicht fest, wer Pagusa auf dem Gewissen hat. Augenzeugen gab es ja nicht.«

»Du denkst, dass Tegan …? Junge, Junge, Rupert. Du hängst dich verdammt weit aus dem Fenster!«

»Mir gehen solche Vorwürfe nicht leicht über die Lippen. Aber ich weiß, was ich weiß. Und ich kann eins und eins zusammenzählen.«

***

Der Liberty Harbor in New Jersey bot Hunderten Wasserfahrzeugen eine Heimat. Hier lagen alle Kaliber einheitlich nebeneinander: kleine Sportboote, dicke Yachten, Segel- und Motorboote. Der Liberty Harbor war wie eine Zufahrtsstraße zum Hudson River angelegt. Jenseits des großen Flusses sah ich New York.

Ich musste wissen, wohin die beiden Ladys gegangen waren. Ich näherte mich Dishkas Chrysler, doch er war offenbar leer. Unschlüssig sah ich mich um. Schließlich fiel mir nichts Besseres ein, als das gute Dutzend Piers abzulaufen und darauf zu hoffen, eine der beiden zufällig zu sehen. Aber nichts.

Ein junges Paar mit einem kleinen Sohn kam mir entgegen. Ich beschrieb ihnen erst Tegan, dann Dishka, doch sie hatten keine von beiden gesehen. Ich hasste es, wenn ich zur Untätigkeit verdammt war, und betrat auf gut Glück einen der Piers, dessen Tor nicht abgeschlossen war, und marschierte aufmerksam über die Holzplanken. Aber ich entdeckte nichts außer einem Rentner auf dem Deck einer Motoryacht, der mir einen missmutigen Blick zuwarf.

Ich machte kehrt und wollte schon zum Jaguar zurückgehen, als ich im Wasser vor dem Nachbarpier eine Bewegung wahrnahm. Zwischen zwei kleineren vertäuten Segelbooten war ein blonder Schopf aufgetaucht, unter dem eine gelbe Jacke schimmerte. Es sah aus, als atme jemand tief durch, dann verschwand der Kopf wieder. Ich fasste es nicht. Das war Tegan!

Ich nahm die Beine in die Hand, meine Sohlen knallten auf die Planken, ich lief zurück an Land und wollte schon Schwung nehmen, um ins Wasser zu springen, da tauchte Tegan auf, reckte den Daumen hoch und schwamm mit einigen mächtigen Zügen auf den hölzernen Pier zu. Sie kletterte mit einer athletischen Bewegung hoch, atmete einmal tief durch, warf einen Blick über die Schulter und sagte: »Ich denke, wir sollten uns unauffällig aus dem Staub machen.«

»Sie werden sich den Tod holen«, warf ich besorgt ein.

»Später vielleicht«, antwortete sie. Es waren höchstens 13 oder 14 Grad Celsius. Deshalb zog ich meine gefütterte Lederjacke aus und warf sie ihr über die Schultern.

»Danke, gehen wir!«

Ich schüttelte den Kopf, akzeptierte aber und schritt zügig mit ihr über den Parkplatz Richtung Auto. Sie klapperte mit den Zähnen und zog eine ziemliche Tropfspur hinter sich her. »Fortescue«, murmelte sie.

»Wie bitte?«, fragte ich höflich, doch sie schüttelte nur lächelnd den Kopf.

Ich bemerkte, dass sie ihre Turnschuhe verloren hatte, und sah sie an, aber sie sagte nur: »Fragen Sie nicht!«

Dabei hätte ich einige Fragen gehabt. Eine davon lautete zum Beispiel: Wie reagieren die Sitzbezüge in einem Jaguar, wenn sie mit Wasser aus dem Hudson in Berührung kommen?

***

»Okay, ich denke, Sie sind mir eine Erklärung schuldig!« Ich hatte die Heizung meines Jaguar voll aufgedreht und lenkte den Wagen zurück Richtung Manhattan, um Tegan in ihr Hotel zu bringen.

Sie hatte meine Lederjacke auf dem Beifahrersitz ausgebreitet. Jetzt zwängte sie sich aus ihrem triefenden Kapuzenshirt und warf es achtlos hinter meinen Sitz. Bei einem dezenten Seitenblick fielen mir ihre großen Brüste auf, die sich durch das nasse T-Shirt deutlich abzeichneten, und ihr fast vollständig tätowierter linker Arm. Der zog besondere Aufmerksamkeit auf sich, weil der rechte Arm völlig unbemalt war.

»Okay, Agent Cotton, welche Version wollen Sie hören? Kurz oder lang?«

»Am liebsten die komplette!«

»Dishka hat einen Bekannten besucht. Auf einer der Yachten, auf der Yolanda, scheint sich unser Freund Boris häuslich eingerichtet zu haben.«

Ich war baff. »Haben Sie die beiden etwa zusammen gesehen?«

»Besser: Ich habe sie gesehen und gehört.«

»Jetzt sagen Sie mir bitte nicht, dass Sie ohne Durchsuchungsbefehl die Yacht betreten haben!«

»Genau genommen kann von Betreten keine Rede sein, Cotton! Sagen wir: Ich suchte kurz Halt an der Reling der Yacht.«

Ich stöhnte auf. »Das kommt nach den Buchstaben des Gesetzes aufs Gleiche raus.«

»Ich fand, es war Gefahr im Verzug.«

»Das nimmt Ihnen kein Staatsanwalt dieser Welt ab. Offiziell ermitteln wir weder gegen Dishka noch gegen Boris. Offiziell haben beide eine weiße Weste.«

»Ja, aber inoffiziell haben beide mehr Dreck am Stecken, als wir dachten.«

Ich hielt mich mit moralischen Predigten zurück. Schließlich musste ich meiner Kollegin vom Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosivesnicht unseren Job erklären. Jedenfalls nicht jetzt.

»Und das bedeutet?«

»Ich habe mit eigenen Ohren gehört, dass Dishka und Boris planen, Jurakows Big Deal alleine durchzuziehen. Boris soll sich so lange auf der Yacht versteckt halten, bis das Geschäft abgewickelt wird.«

»Was heißt, sie wollen den Deal durchziehen? Stecken die beiden hinter dem Mord an Jurakow?«

Tegan schüttelte unwillig den Kopf. »Keine Ahnung, darüber haben sie nicht gesprochen, ehe ich abtauchen musste. Aber das mit dem Deal habe ich mit Sicherheit verstanden. Vermutlich weiß also mindestens einer der beiden, wo die Waffen versteckt sind. Also müssen sie schon vor Jurakows Ableben informiert gewesen sein.«

Ich versuchte fieberhaft, meine Gedanken zu sortieren.

Wenn Boris tatsächlich auf der Yacht untergetaucht war, mussten wir sie sofort überwachen lassen. Außerdem mussten wir die Informationen irgendwie auf legale Weise bekommen, weil wir sie sonst niemals vor Gericht hätten verwenden dürfen.

Als Erstes rief ich Mr High an und bat um Überwachung der Yacht namens Yolanda. Er beschloss kurzerhand, Boris vorerst nicht zu verhaften, sondern stimmte der Überwachung zu. Phil sollte das machen, zusammen mit unserem altgedienten Kollegen Leon Eisner, einem unserer zuverlässigsten Agents.

Alles Weitere konnte erst mal warten.

»Agent Cotton, noch was: Wenn wir gleich im Hotelzimmer sind … Ich möchte nicht paranoid klingen, aber ich glaube, es wäre besser, wenn wir dort nicht über den Fall reden.«

»Was?« Ich musste lachen. »Hören Sie, Tegan, das klingt tatsächlich paranoid!«

»Ich glaube, ich werde abgehört.«

»Wer soll Sie hier abhören? Die Russen-Mafia?

»Ich glaube, unser sauberer Mister Marxdale steckt dahinter!«

Peng, das saß.

»Marxdale gehört zur Ermittlungsgruppe! Wie kommen Sie überhaupt auf den?«

»Das kann ich Ihnen nicht erklären. Tun Sie mir einfach den Gefallen und erwähnen Sie in meinem Hotelzimmer nichts von dem, was eben passiert ist, okay?«

»Moment mal: Sie wollen, dass ich gegenüber Marxdale unsere Ermittlungsergebnisse vorenthalte?«

Die Lady gab mir mehr und mehr Rätsel auf. Aber auch diesmal tat ich ihr den Gefallen und beschränkte mich auf harmlose Plaudereien, sobald wir das Hotel betreten hatten. Tiefgreifende Gespräche waren eh nicht drin, denn als Erstes hatte sie ihren Laptop hochgefahren und das Musikprogramm gestartet. Jetzt beschallte sie uns mit Punkrock. Es überraschte mich nicht.

Überrascht war ich allerdings, als ich feststellte, dass Tegan Lloyd plötzlich nur noch ihr kleines schwarzes Höschen trug und sich dabei so natürlich bewegte, als sei es für sie das Normalste von der Welt, halbnackt auf ihren langen Beinen vor Kollegen durch ein Hotelzimmer zu stolzieren. Immerhin wusste ich jetzt, dass ich mich vorhin im Auto nicht verguckt hatte.

»Ich springe mal schnell unter die Dusche. Die Zimmerbar müsste noch gut gefüllt sein.«

Dann drehte sie sich um und verschwand im Bad. Ich erhaschte noch einen Blick auf ihren Rücken, der fast komplett von einer riesigen bunten Orchideen-Tätowierung bedeckt war. Ich fand, es war Zeit zu gehen, verabschiedete mich kurz durch die geschlossene Badezimmertür und fuhr kopfschüttelnd zurück ins Office.

***

Es war Nachmittag, als ich unser Büro betrat. Ich traf Marxdale und Blair Duvall in bester Laune an. Sie unterhielten sich angeregt. Als Blair mich sah, winkte er mir mit einer blassblauen Pappmappe zu. »Jerry, wir haben was zu Jurakows Mörder«, begrüßte er mich, »wollte dich gerade anrufen. Mister High weiß schon Bescheid, er ist auf dem Weg hierher.«

Blair hatte ein Foto des toten Scharfschützen an alle Polizeidienststellen geschickt, und ein aufmerksamer Streifencop aus Harlem hatte sich gemeldet. Er hatte den Toten wiedererkannt und auch sofort die Adresse genannt – es war nämlich sein Nachbar.

»Na, das sind mal gute Nachrichten«, stieß ich hervor. »Wann fahrt ihr raus?«

Blair warf mir einen gespielt bösen Blick zu. »Na hör mal, Jerry! Für was hältst du uns? Wir sind schon wieder zurück. Und zwar mit einigen neuen Erkenntnissen, die Rupert noch anreichern konnte.«

Ich sah Marxdale an, der auf der Kante seines Schreibtisches saß. »Und?«

Marxdale stand auf. »Ein dicker Fisch, Agent Cotton. Die Zusammenarbeit unserer Behörden hat sich schon ausgezahlt, wir haben ihn alle in unseren Datenbänken. Aber das kann Ihnen Blair besser erklären.«

Die Tür öffnete sich und June Clark trat mit Mr High ein, der in die Runde grüßte. »Es gibt Neuigkeiten?«, fragte er. Ich nickte ihm zu, wies auf Blair Duvall und sagte: »Ich bin auch schon ganz gespannt.«

Blair holte tief Luft: »Der Tote auf dem Dach war William Stanley, Künstlername: Willow. Ein in die Jahre gekommener Auftragskiller, von dem wir dachten, dass er sich längst zur Ruhe gesetzt hat. Der Kerl hat eine schillernde Karriere hinter sich. Gelernt hat er bei den Marines, er war Scharfschütze und wurde während seiner Laufbahn mit Orden und Lametta behängt. Als er die Altersgrenze erreicht hatte, ließ er sich von MiliTec Global Solutions anwerben, das ist ein privater amerikanischer Sicherheits- und Militärdienstleister. Willow hat all die Jahre nebenbei als Auftragskiller gearbeitet. Aber das Beste kommt jetzt: Diese zweite Karriere hat er bei einem alten Bekannten von uns begonnen: Er war mal Matt Contradas Kettenhund.«

Ich pfiff durch die Zähne. »Können wir das beweisen?«, hakte ich gleich nach.

»Kaum«, antwortete Blair. »Die Information stammt von einem V-Mann. Er erwähnte es damals nebenbei. Es wurde auch untersucht, war aber nicht wasserdicht zu machen.«

»Dann greifen wir uns diesen V-Mann doch noch mal.«

»Eher nicht. Der hat sich vor Jahren dünne gemacht und arbeitet heute angeblich in Mexiko für ein Drogenkartell.«

»Trotzdem: Gute Arbeit«, lobte Mr High. »Wir sollten uns mehr für diesen Contrada interessieren«, sagte er und machte Anstalten, das Büro zu verlassen. In der Tür wandte er sich noch einmal zu mir um. »Kommen Sie doch gleich kurz in mein Büro, Jerry.« Ich nickte.

Als unser Chef raus war, vertieften wir uns gleich in die Analyse.

»Naheliegender Gedanke: Contrada hat seinen alten Auftragskiller reaktiviert, um Jurakow aus sicherer Entfernung aus dem Weg zu räumen und den Big Deal selbst durchzuziehen«, sagte Marxdale, »und dann hat er Willow, den einzigen Zeugen, gleich selbst um die Ecke gebracht.«

Das war eine Möglichkeit. »Wissen wir etwas über diese Sicherheitsfirma? Der Name kommt mir bekannt vor«, sagte ich.

Marxdale ließ sich auf seinen Stuhl fallen, sodass seine mächtige Haartolle kurz ins Wippen geriet. »MiliTec ist ein kleiner Betrieb, der nur hochspezialisierte Operationen durchführt. Nicht zu vergleichen mit Blackwater, die ja sogar offiziell im Irak tätig waren. MiliTec wurde von ehemaligen Delta Force-Angehörigen gegründet und stellt ausschließlich ehemalige Angehörige von US-amerikanischer Einrichtungen ein, fast immer sind es Veteranen aus Spezialeinheiten, bevorzugt Delta Force und Navy Seals.«

»Und sie arbeiten fast ausschließlich im Auftrag unserer Regierung«, fügte June hinzu.

Ich dachte nach und massierte mein Kinn. »Schon wieder ehemalige Spezialeinheiten«, sinnierte ich leise. »Tragen die hier einen Veteranenwettkampf aus? Speznas gegen Delta Force? Das ist doch kein Zufall«, sagte ich.

Marxdale pflichtete mir bei. »Nein, Agent Cotton, das ist auch kein Zufall. Der Grund ist: Im internationalen Waffenhandel tummeln sich jede Menge Ex-Militärs aus aller Herren Länder. Diese Leute kennen sich aus, kennen das Geschäft theoretisch und praktisch, sie sind gut ausgebildet und, ob Sie es glauben oder nicht, Sie kennen sich untereinander und schätzen sich. Weil sie alle aus dem gleichen Holz geschnitzt sind.«

»Und unsere Jungs mischen da auch mit?«, fragte ich verdutzt.

»Ich fürchte, dass es teilweise so ist«, sagte er schulterzuckend, »aber wer einmal aus dem Dienst entlassen ist, dem können wir nicht mehr so richtig auf die Finger schauen, wenn Sie verstehen.«

»Nein, nein, da haben Sie mich falsch verstanden«, versetzte ich, »ich denke da weniger an unsere Veteranen, die ihre Rente aufbessern wollen. Ich denke eher an unsere offiziellen Stellen. Stichwort: CIA, Nicaragua, Iran-Contra-Affäre.«

Marxdales Gesicht gefror kurz zu einer Maske, dann entspannte er sich. »Agent Cotton, jetzt kommen Sie doch nicht mit dieser alten Story um die Ecke. Das ist doch Käse von vorgestern. Und die Welt hat sich ein gutes Stück weitergedreht.«

»Sie haben recht, wenn Sie sagen, dass sich die Welt seitdem ein gutes Stück weitergedreht hat. Aber sie kommt doch immer wieder an der gleichen Stelle vorbei«, entgegnete ich.

»Genau«, schaltete sich Blair ein, dem der Gesprächsverlauf nicht gefiel, »ziemlich genau alle 24 Stunden. Aber wo hier gerade das Wort ›Contra‹ fällt: Wer kümmert sich denn nun um Matt Contrada?«

»Das kann ich gerne übernehmen«, antwortete Marxdale, doch ich entgegnete: »Lassen Sie nur, das mache ich schon.«

Ich erinnerte mich an den schweren Vorwurf, den Tegan Lloyd gegenüber Marxdale geäußert hatte. War es möglich, dass dieser Kerl falsch spielte? Andererseits hatte Tegan sich auch nicht gerade ins Zeug gelegt, um mein Vertrauen zu gewinnen. Und Marxdale schien nicht gut auf sie zu sprechen zu sein, wie er Phil anvertraut hatte.

Mir kam ein Gedanke, der mir gar nicht gefiel: dass die beiden sich möglicherweise schon länger kannten. Dass sie nicht gerade beste Freunde waren, lag auf der Hand.

Ich wandte mich zur Bürotür, drehte mich aber noch einmal um. »Mister Marxdale, was genau arbeiten Sie eigentlich im Justizministerium?«

»Etwas furchtbar Langweiliges: Ich lese viel und schreibe dann Analysen«, sagte er mit einem offenen Lächeln, »was denken Sie, weshalb ich froh bin, mal rauszukommen?«

***

Tegan Lloyd schlüpfte in einen bequemen braunen Jogginganzug und zog ihre weißen Turnschuhe an. Sie verstaute ihre Dienstwaffe in einem kleinen Rucksack, griff nach Handy und Schlüsselkarte und verließ ihr Hotelzimmer. Sie hatte ein Telefonat zu erledigen, und das konnte sie auf keinen Fall in ihrem Zimmer. Wusste der Himmel, wer da alles mithörte. Sie hatte gar nicht erst versucht, mögliche Abhörvorrichtungen zu finden. Erstens wollte sie bei den unerwünschten Lauschern nicht den Verdacht erwecken, dass sie von der Überwachung wusste, und zweitens hatte sie gelernt, dass man sowieso nie darauf vertrauen konnte, auf Anhieb alle Wanzen zu finden.

Mit dem Aufzug fuhr sie auf das Dach ihres Hotels, das zu einem gediegenen, üppig begrünten Wintergarten mit Glasdach ausgebaut worden war. An der Bar ließ sie sich eine Wodka-Cola geben und schlenderte auf einen Tisch am Rand zu. Der Blick auf Manhattan war beeindruckend. Hier oben war sie fast alleine. Sie zückte das Handy und tippte eine Nummer.

***

In Washington regnete es. Der Mann mit dem streng gescheitelten schlohweißen Haar schlug den Kragen seines dunklen Mantels höher. Er kam aus dem Executive Office Building und war auf dem Weg zu einer Sitzung im Gebäude nebenan. Der Klingelton seines Handys verursachte ihm ein Murren, denn er war ohnehin spät dran. Im Gehen zückte er das Mobiltelefon und erkannte, wer anrief. Er nahm das Gespräch an.

»Also, wie steht’s?«, fragte er knapp.

»Es läuft. Die Situation ist wie erwartet. Ich habe die Information, John.«

»Gute Arbeit, Tegan!«