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Sammelband 20: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2875: Unter Wasser stirbt man schnell
2876: Du bist tot, Jerry Cotton
2877: Allein unter Mördern
2878: Saat der Lüge
2879: Das Feuer der Rache
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
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Seitenzahl: 673
Veröffentlichungsjahr: 2020
Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 20 - Krimi-Serie
Cover
Impressum
Unter Wasser stirbt man schnell
Vorschau
Unter Wasser stirbt man schnell
Das Wasser war kalt wie der Tod.
Pat Cargill lächelte trotzdem, denn weit vor sich erblickte er die Küstenlinie der Vereinigten Staaten. Er steuerte das aufgetauchte Mini-U-Boot durch die aufgewühlte See auf das ersehnte Ziel zu. Die Reisestrapazen lagen jetzt schon fast hinter dem Mann am Ruder des U-Bootes. Er musste nur noch aufpassen, dass ihn die Küstenwache nicht noch in letzter Minute erwischte.
Die Südamerikaner nannten diese Art von U-Boot caja de muerto – Totenkiste. Aber das war Cargill egal, er gab nichts auf abergläubisches Geschwätz. Für ihn zählte nur das kleine Dollar-Vermögen, das er mit diesem Drogenschmuggel wieder einmal verdienen würde.
Plötzlich wurde Cargill von einem Gefühl für Gefahr übermannt. Doch die Warnung seines Überlebensinstinkts kam zu spät. Bevor er herumwirbeln konnte, traf ihn ein harter Schlag am Hinterkopf. Cargill ging zu Boden.
Und wenig später war sein U-Boot wirklich zu einem schwimmenden Sarg geworden.
Der Sommer neigte sich allmählich dem Ende zu. Der Himmel über Manhattan war wolkenverhangen, als ich Phil an diesem Dienstagmorgen an unserer gewohnten Ecke abholte.
»Guten Morgen, Jerry. Wir werden uns wohl bald wieder an die Anzüge aus warmer Wolle gewöhnen müssen. Aber wenigstens fängt die Football-Saison bald wieder an. Trotzdem, ich vermisse die Sommersonne jetzt schon.«
»Ich auch, aber das Verbrechen hat leider ganzjährig Konjunktur.«
»Da hast du auch wieder recht.«
Auf dem Weg zum FBI Field Office plauderten wir über Football, denn in unserem aktuellen Kriminalfall gab es nichts Neues. Seit zwei Wochen fahndeten Phil und ich vergeblich nach einem gewissen Pat Cargill, der als ein Kenner und Zuträger der kolumbianischen Drogenszene galt. Der Verdächtige war spurlos verschwunden. Nicht nur wir vom Field Office New York, auch die Kollegen aus New Jersey, Maryland, Connecticut und Maine jagten ihn. Doch es war wie verhext. Jede Spur war bisher im Sande verlaufen. Allerdings hatten wir es auch mit einem absoluten Profi zu tun. Wenn ein Berufsverbrecher wie Cargill nicht gefunden werden wollte, dann hatten wir eine harte Nuss zu knacken.
Auch unsere Informanten in der Unterwelt hatten bisher keine entscheidenden Hinweise beitragen können. Vielleicht hielt sich Cargill ja bei seinen kriminellen Freunden in Kolumbien auf. Doch das war bisher nur eine Mutmaßung, und ein FBI-Agent braucht harte Fakten für seine Arbeit.
Als wir unser gemeinsames Büro im 23. Stockwerk des Gebäudes an der Federal Plaza betraten, entdeckte ich als Erstes einen Zettel auf meinem Schreibtisch.
»Die Notiz ist von Helen, Phil. Wir sollen sofort zum Chef kommen.«
»Vielleicht gibt es ja endlich einen Fortschritt in diesem elenden Cargill-Fall«, meinte mein Partner hoffnungsvoll. Es ging ihm auf die Nerven, immer nur falschen Spuren nachgehen zu müssen. Wenig später erreichten wir das Vorzimmer des Assistant Director. Die dunkelhaarige Sekretärin schenkte uns ein strahlendes Lächeln.
»Da seid ihr ja, Jerry und Phil. Ihr könnt gleich zu Mister High durchgehen, ich bringe euch einen Kaffee.«
»Du verwöhnst uns schon am frühen Morgen, Helen«, meinte Phil augenzwinkernd.
Der Assistant Director erwartete uns bereits. Mit einer Handbewegung bat er uns, auf den Besucherstühlen Platz zu nehmen. Wenig später brachte uns Helen den ersehnten Kaffee. Als sie den Raum wieder verlassen hatte, ergriff der Chef das Wort und kam sofort zur Sache.
»Jerry und Phil, es gibt eine neue Entwicklung in der Cargill-Sache. Die Küstenwache hat ihn gefunden.«
Ich hob eine Augenbraue.
»Dann befand Cargill sich auf offener See, Sir? Wird er zum Verhör an das FBI überstellt? Oder hat die Coast Guard ebenfalls ein Interesse an ihm?«
»Ich habe mich wohl nicht ganz deutlich ausgedrückt, Jerry. Pat Cargill ist tot, und zwar seit mindestens einer Woche. Seine Leiche war schon ziemlich verwest, weil er zum Teil im Wasser gelegen hat. Die Identität konnte überhaupt nur mit Hilfe seines Zahnstatus festgestellt werden. Wie Sie wissen, ist Cargill bei einem früheren Aufenthalt in Rikers dort zahnmedizinisch behandelt worden. Daher hatten wir also die entsprechenden Unterlagen.«
»Dann hat die Küstenwache also den Toten aus dem Atlantik gefischt?«, vergewisserte sich mein Freund. John D. High schüttelte den Kopf.
»Nicht direkt, Phil. Cargills sterbliche Überreste befanden sich an Bord eines Mini-U-Boots, das in Coney Island angetrieben wurde. Die Coast Guard hat das Wrack von See aus entdeckt und sofort abgeschirmt, damit nicht mögliche Spuren durch Neugierige zerstört werden. Bisher ist noch nicht einmal geklärt, ob Cargill überhaupt ermordet wurde oder einem Unfall zum Opfer fiel. Die Leiche befindet sich im gerichtsmedizinischen Institut, aber das Boot wird immer noch am Strand untersucht. Ich möchte Sie bitten, den Tod von Cargill aufzuklären. Sie werden dabei mit der Küstenwache kooperieren und eine gemeinsame Ermittlungsgruppe bilden.«
Ich nickte. Die Küstenwache verfügt über eine eigene Strafverfolgungsbehörde, den US Coast Guard Investigative Service. Diese Zivilbeamten unterstützen ihre uniformierten Kollegen, die auf See die Grenzen unseres Landes schützen. Da sie oft mit Schmuggel und illegaler Einwanderung zu tun haben, arbeiten sie eng mit anderen US-Behörden zusammen.
»Reden wir über eines dieser Drogen-U-Boote, Sir?«, hakte ich nach. Mr High machte eine zustimmende Kopfbewegung.
»Exakt, Jerry. Wie Sie wissen, landen diese Schmuggelfahrzeuge mit ihrer Rauschgiftladung aus Kolumbien immer wieder an unseren Küsten. Die Navy und die Coast Guard tun alles, um dieses Treiben zu unterbinden. Aber die amerikanische Küstenlinie ist einfach zu lang. Eine hundertprozentige Abschirmung kann es nicht geben, noch nicht einmal mit Hilfe von Satellitenüberwachung.«
»32 Prozent aller Kokainlieferungen aus Kolumbien gelangen auf diesem Weg in die Staaten«, warf Phil ein. »Selbst wenn unsere Seestreitkräfte einen Teil dieser U-Boote aufbringen – das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein.«
Mr High nickte.
»Ja, der Bau eines solchen Schmuggel-U-Boots kostet ungefähr eine Million Dollar. Trotzdem lohnt sich diese Form des Transports für die Drogenkartelle, weil sie auf einen Schlag viel mehr Ware hierherschaffen können als auf den bisher bekannten Wegen. – Ich habe mit dem zuständigen Coast Guard Captain bereits telefoniert. Das gestrandete U-Boot liegt unweit des Shore Boulevard an der Sheepshead Bay. Sie werden dort schon von zwei Kollegen des Coast Guard Investigative Service erwartet.«
Das konnte mir nur recht sein, denn ich wollte mir vor Ort ein Bild von dem Wasserfahrzeug machen. Ein Seitenblick auf Phils Gesicht bewies mir, dass es meinem Freund genauso ging. Wir verabschiedeten uns vom Assistant Director und fuhren mit dem Lift hinunter in die Tiefgarage. Wenig später machten wir uns in meinem roten Jaguar E auf den Weg nach Coney Island.
***
»Da drehen wir jeden Stein um, weil sich Pat Cargill darunter verkriechen könnte«, knurrte Phil. »Und in Wirklichkeit ist der Kerl längst in Kolumbien, um von dort aus mit ein paar Tonnen Koks in die Staaten zurückzukehren. Ich möchte bloß wissen, wie er die USA verlassen konnte, ohne dass wir etwas davon mitbekommen haben.«
»Cargill verdient viel Geld mit seinen dunklen Machenschaften«, erinnerte ich meinen Freund. »Du weißt auch, dass es hundertprozentig fälschungssichere Ausweispapiere nicht gibt. Bisher war es ja nur eine Vermutung, dass Cargill in Kolumbien gewesen ist. Aber offenbar ist er nun wirklich in dem Boot von dort zurückgekehrt. Cargill hat sich mit einem Haufen Dollars einen erstklassigen falschen Reisepass gekauft.«
»Ja, wahrscheinlich. Aber genutzt hat es ihm trotzdem nichts. Ich bin froh, dass wenigstens diese eine Ladung Rauschgift nicht bei den Empfängern angekommen ist.«
Ich teilte Phils Meinung. Schließlich hatten wir in unserem Job tagtäglich mit den Opfern des Drogenkonsums zu tun.
Obwohl viele New Yorker schon wieder aus den Sommerferien zurückgekehrt waren, kamen wir auf dem Shore Belt Parkway entlang der Küstenlinie von Brooklyn gut durch. Nach der Fundstelle des U-Boots mussten wir nicht lange suchen.
Das Wrack lag zu zwei Dritteln auf dem Strand. Der Bereich war weiträumig abgesperrt. Von der Seeseite her sorgte ein Patrouillenboot der Küstenwache dafür, dass sich kein Unbefugter dem Wrack näherte. Doch es gab natürlich Yachten mit Kamerateams an Bord, die aus der Entfernung Aufnahmen machten. Das war ihr gutes Recht, aber so störten sie wenigstens nicht das Team der Spurensicherung.
Ich parkte meinen roten Boliden. Phil und ich hatten unsere FBI-Marken bereits an unseren Revers befestigt. Wir bahnten uns einen Weg zwischen den Schaulustigen hindurch. Ein junger sommersprossiger Cop nickte mir zu und hob das gelbe Trassierband. Nun sah ich das Drogen-U-Boot zum ersten Mal aus der Nähe.
Es war ungefähr dreißig Fuß lang und mit blauer Farbe gestrichen. Der Rumpf bestand vermutlich aus genieteten Stahlplatten. Von der Form her erinnerte das Wasserfahrzeug an militärische U-Boote, allerdings war der Turm wesentlich kleiner. Und natürlich verfügte das Schmuggel-U-Boot über keinerlei Nationalitätskennzeichen oder andere Aufschriften, mit denen man es identifizieren konnte.
Ich bin kein Seemann. Aber ich konnte mir vorstellen, dass ein solches Wasserfahrzeug auf dem offenen Meer nicht leicht zu erkennen ist. Der Turm ragte wahrscheinlich nur wenige Fuß über die Wasseroberfläche. Für ein Schiff, das auch nur in einer Entfernung von einer Meile vorbeifuhr, war dieses U-Boot gewiss komplett unsichtbar.
Ein Spurensicherungsteam der Küstenwache war im Einsatz. Die Spezialisten trugen weiße Overalls. Neben dem U-Boot waren einige Vans mit Werkzeug und Gerätschaften geparkt. Ein Mann arbeitete mit einem Schneidbrenner.
Wir umrundeten langsam das gestrandete U-Boot. Da kamen zwei junge Ladys auf uns zu. Sie waren im Gegensatz zu den meisten Personen vor Ort in Zivil.
»Agents Cotton und Decker? Wir haben Sie bereits erwartet. Ich bin Lieutenant Lorna Fredericks vom US Coast Guard Investigative Service. Das ist meine Kollegin Lieutenant Donna White.«
Ich tauschte mit Phil einen schnellen Blick. Mr High hatte nicht erwähnt, dass wir mit zwei charmanten Ladys zusammenarbeiten sollten. Aber vielleicht hatte er es selbst nicht gewusst. Lorna Fredericks war jedenfalls eine blonde Schönheit mit lässiger Fransenfrisur. Donna White trug ihr brünettes Haar schulterlang. Die beiden Frauen sahen in ihren dezenten Geschäftskostümen aus wie Bankerinnen. Doch ihre an den Revers befestigten Ausweise bewiesen, dass sie Ermittlerinnen der Küstenwache waren.
Wir alle schüttelten einander die Hände.
»Ich schlage vor, dass wir uns duzen«, meinte Lorna forsch. »Schließlich werden wir in diesem Fall eng zusammenarbeiten.«
»Gerne, Lorna. Ich bin Jerry, und Agent Decker heißt mit Vornamen Phil. – Was könnt ihr uns über das U-Boot sagen? Wie ich sehe, steckt ihr schon bis über beide Ohren in der Arbeit.«
»Ja, und deshalb haben unsere Techniker auch schon einige Fakten herausgefunden. Es handelt sich um ein qualitativ höherwertiges Wasserfahrzeug, das gerade erst vom Stapel gelaufen ist. Der Elektromotor verursacht kaum Geräusche, und bei Nacht oder schlechter Sicht ist es dank seiner blauen Farbe praktisch unsichtbar. Es hatte auch ein Naxos an Bord, also ein Radarwarngerät. Die früheren Drogen-U-Boote waren mehr oder weniger schwerfällige Blechbüchsen.«
»Wenn dieses Wasserfahrzeug so neu und gut konstruiert war – weshalb ist es dann überhaupt havariert? Oder lag das ausschließlich an Cargills Tod?«
»Das sind gute Fragen, Jerry. Aber wir können sie leider noch nicht beantworten. Fest steht, dass die Maschine nicht mehr funktionierte, als das U-Boot hier gestrandet ist. Wir müssen aber noch rekonstruieren, wann und aus welchem Grund der Antrieb seinen Geist aufgegeben hat. Zunächst waren unsere Kollegen damit beschäftigt, die Kokainpakete sicherzustellen. Sie befinden sich bereits in der Asservatenkammer. Wir gehen von einem Straßenverkaufswert von drei Millionen Dollar aus.«
Phil pfiff durch die Zähne.
»Mir fallen auf Anhieb mindestens zwei Dutzend Ganoven ein, die für weitaus weniger Geld eiskalt morden würden.«
Donna nickte meinem Freund zu.
»Das kann ich mir vorstellen. Als wir Pat Cargill aufgrund seines Zahnstatus identifizieren konnten, haben wir sofort das FBI verständigt. Wir wussten ja, dass er auf eurer Fahndungsliste steht.«
»Und die Todesursache ist noch nicht geklärt?«, vergewisserte ich mich.
»Nein, Jerry«, sagte Lorna. »Da sich Cargills sterbliche Überreste an Bord des U-Bootes befanden, gab es keine Treibspuren an dem Körper selbst. Wie ihr vielleicht wisst, sind diese Drogen-U-Boote sogenannte Halbtaucher. Das bedeutet: Sie können nicht allzu tief unter die Meeresoberfläche sinken, im Gegensatz zu normalen Unterseebooten. Cargills Körper war also keine klassische Wasserleiche, obwohl er einige Tage lang den Elementen ausgesetzt war. Daher gestaltet sich die Rekonstruktion seiner Todesursache als schwierig. Die Rechtsmediziner sind immerhin sicher, dass sein Schädel eingeschlagen wurde.«
»Das kann aber auch durch einen Unfall geschehen sein«, ergänzte Lornas Kollegin Donna. »Wenn Cargill beispielsweise bei einem Sturm mit dem Kopf gegen die stählerne Umrandung des U-Boot-Turms geknallt ist. Dabei kann eine Aufschlagwucht entstehen, die zu einer tödlichen Verletzung führt. Jedenfalls bei entsprechend hohem Seegang. Und es gab in den vergangenen Wochen genügend Sommerstürme in der Karibik. Diese Variante wäre also auch denkbar.«
»Ihr seid jedenfalls die Seefahrts-Expertinnen«, stellte ich fest. »Wir sollten uns die Ermittlungsarbeit aufteilen. – Wie wäre es, wenn ihr die Schmuggelroute von Cargills Boot nachvollziehen würdet? Wenn wir wissen, woher genau der Tote gekommen ist, können wir das Geheimnis seines Todes besser lüften. Wer waren seine Auftraggeber? Von wem hat er das Kokain bezogen? Diese Fragen stehen im Raum. Phil und ich werden Cargills Kontakte an Land noch genauer unter die Lupe nehmen. Über die Handys können wir ständig Verbindung miteinander halten.«
Wir tauschten mit den beiden attraktiven weiblichen Lieutenants die Telefonnummern aus. Lorna blinzelte mir zu und sagte: »Vielleicht ergibt sich ja noch die Gelegenheit, dass wir vier direkt zusammenarbeiten können. – Donna und ich werden jedenfalls aufgrund der Strömungsverhältnisse im Atlantik und der karibischen See eine ungefähre Reiseroute des U-Bootes erstellen können. Allerdings müssen unsere Techniker zuerst in Erfahrung bringen, wann der Antrieb ungefähr seinen Geist aufgegeben hat.«
Wir waren einverstanden. Da Phil und ich an der Fundstelle des Wracks nichts ausrichten konnten, verabschiedeten wir uns zunächst von Lorna und Donna. Als wir wieder in meinem roten Boliden saßen, fand mein Freund die Sprache wieder. Die Ladys hatten ihn offenbar beeindruckt.
»Lorna schien es wirklich zu bedauern, dass wir nicht direkt mit der Teamarbeit begonnen haben. Ich glaube, die hat ein Auge auf dich geworfen, Jerry.«
»Nun, das beruht auf Gegenseitigkeit. Aber die Blicke, die Donna in deine Richtung gesendet hat, passten auch besser in eine Single Bar als an den Fundort eines Drogen-U-Boots.«
»Wirklich? Nun, dann sollten wir diesen Fall so schnell wie möglich abschließen, damit wir danach den beiden Ladys privat näherkommen können.«
***
Tatendurstig stürzten wir uns in die Arbeit. Da Phil und ich schon länger hinter Cargill her gewesen waren, kannten wir viele seiner Unterweltkontakte. Bei einigen dieser Ganoven hatten wir in den vergangenen Tagen vergeblich auf der Matte gestanden. Manche von ihnen saßen in Rikers oder einer anderen Strafanstalt, andere konnten uns glaubhaft versichern, keinen Kontakt mehr zu Cargill zu haben. Und dann gab es noch diejenigen Kleindealer, die sozusagen selbst ihre besten Kunden gewesen waren. Mindestens vier von ihnen hatten die Rauschgiftsucht nicht überlebt.
Doch Beharrlichkeit gehört zu den wichtigsten Eigenschaften eines G-man. Der nächste Name auf unserer Verdächtigen-Liste lautete Armando Muller.
»Der Knastvogel fliegt auf Bewährung draußen herum«, meinte Phil. »Das NYPD hat Muller vor drei Jahren gemeinsam mit Cargill verhaftet. Verdacht auf Rauschgifthandel. Damals konnte man beiden nichts nachweisen.«
»Ja, und unser Freund Armando wurde wenig später wegen einer Körperverletzung verurteilt und eingebuchtet, während sein Kumpel Cargill von der Bildfläche verschwand.«
Mit diesem Wortwechsel führten Phil und ich uns noch einmal die Fakten vor Augen, während wir in einem zerschrammten beigen Buick aus der Fahrbereitschaft Richtung South Bronx fuhren. Ich hatte an der Federal Plaza meinen Jaguar-E-Hybriden gegen dieses Fahrzeug ausgewechselt. Der rote Sportflitzer war in einer so ärmlichen Gegend einfach zu auffällig.
Vom Bewährungshelfer-Büro hatten wir erfahren, dass Armando Muller in der Westchester Avenue hauste. Seit einigen Jahren sind Teile der South Bronx wieder in einen bewohnbaren Zustand versetzt worden, es haben sich neue kleine Betriebe angesiedelt. Doch wer es sich irgendwie leisten kann, lebt lieber in anderen Teilen des Big Apple.
Doch ein entlassener Häftling wie Armando Muller hat keine große Auswahl. Es sei denn, er verfügt über das nötige Kleingeld. Allerdings sprach nichts dafür, dass Muller zu den privilegierten Gangstern gehörte. Er konnte gewiss keine Reisen nach Kolumbien finanzieren, um mit den dortigen Drogenbaronen Geschäfte anzubahnen. Deshalb war es auch fraglich, ob er überhaupt etwas über Cargill wusste. Aber wir konnten es uns nicht leisten, auch nur die geringste Möglichkeit außer Acht zu lassen.
Ich parkte vor dem Gebäude, in dem der Verdächtige laut seiner Akte wohnen sollte. Das Brownstone-Haus war mit Graffiti übersät, verrostete Eisengitter vor den Fenstern sollten die Bewohner vor Einbruch und Raub schützen. Zwar gab es in dieser Gegend nicht viel zu holen, doch die Kriminellen gaben sich auch mit einer kleinen Beute zufrieden. Die South Bronx hatte immer noch eine sehr hohe Verbrechensrate.
Im Eingangsbereich des Hauses lungerte eine Latino-Gang herum. Die Jugendlichen trugen weiße Unterhemden, sodass ihre zahlreichen Tätowierungen nicht zu übersehen waren. Ausnahmslos hatten sie weite Jeans an, die bis auf die Hüften heruntergerutscht waren. Zwischen ihnen kreiste eine selbstgedrehte lange Zigarette, die garantiert keinen Tabak enthielt. Die abenteuerlich aussehenden Burschen warfen uns misstrauische Blicke zu. Wahrscheinlich irritierte es sie, dass wir keine Angst zeigten. Aber wir hatten tagtäglich mit wirklich gefährlichen Burschen zu tun, nicht mit solchen selbsternannten Schmalspur-Gangstern.
»Bullen«, stellte einer von ihnen fest. Er schielte leicht.
Ich grinste und zeigte meine Dienstmarke.
»Agents Cotton und Decker, FBI. Kennt einer von euch Armando Muller?«
Der Verdächtige war nicht unter den Mini-Gangstern. Das hatte ich sofort bemerkt. Wir kannten ja sein Foto aus der NYPD-Ermittlungsakte. Der Schieler ergriff wieder das Wort. Er schien der Sprecher seiner Kumpane zu sein. Jedenfalls versuchte er, sich cool zu geben. Er wollte wahrscheinlich seinen Freunden imponieren.
»Und wenn das so wäre, FBI-Bulle?«
»Dann solltet ihr uns schleunigst sagen, wo wir ihn finden«, rief Phil. »Sonst machen wir mal schnell einen Drogen-Wischtest mit euch allen.«
Wir hatten das dafür nötige Material gar nicht bei uns. Aber es kam uns darauf an, uns nicht auf der Nase herumtanzen zu lassen. Schließlich mussten wir einen mysteriösen Todesfall aufklären.
Einer der anderen Latinos raunte dem Sprecher etwas in seiner Muttersprache zu. Die Typen waren zu sechst, doch davon ließen Phil und ich uns nicht einschüchtern. Trotzdem behielten wir sie genau im Auge. Wir standen scheinbar locker vor der steinernen Eingangstreppe, auf der sie herumlungerten.
»Macht euch aus dem Staub«, knurrte der schielende Latino. Er fühlte sich stark. Das lag wahrscheinlich daran, dass sein links neben ihm hockender Kumpan unauffällig in seine Hosentasche griff.
Aber er machte es nicht dezent genug.
Als er plötzlich eine kleine Glock 17 in der Hand hielt, sprang ich vorwärts. Ich streckte mein Bein und trat mit der Schuhspitze gegen sein Handgelenk. Der junge Latino schrie auf. Die Pistole flog hinter ihm in den Hauseingang, während Phil und ich gleichzeitig unsere Dienstwaffen zogen.
Die Gang-Mitglieder wollten aufstehen.
»Sitzen bleiben!«, blaffte Phil. »Und schaltet mal eure grauen Zellen ein, bevor ihr euch richtig Ärger einhandelt. Noch ist nichts Schlimmes passiert. Wir wollen nur mit Armando Muller reden, das ist alles. Aber wenn das nur geht, indem wir jeden von euch im FBI Field Office verhören – meinetwegen. Ich kann jetzt sofort einen Gefangenentransporter anfordern.«
Phil bekräftigte seine Worte, indem er mit der linken Hand sein Handy aus der Jackentasche zog. Mit rechts hielt er immer noch seine Pistole auf die Jugend-Gang gerichtet, genau wie ich selbst. Einer von ihnen hatte bereits eine Schusswaffe hervorgezaubert. Wir wollten kein Risiko eingehen.
Doch den berauschten Kerlen schien die Lust auf eine Auseinandersetzung vergangen zu sein. Ich schaute dem Anführer direkt ins Gesicht. Es dauerte nicht lange, bis er seinen Blick senkte. Er hatte keinen Mumm, wenn er es mit einem entschlossenen Gegner zu tun hatte. In dieser Hinsicht unterschied er sich gewiss nicht von seinen Kumpanen.
»Armando wird wohl wieder dealen«, murmelte er. »Der Typ hängt meistens an der Castle Hill Avenue rum, vor dem 24-Stunden-Supermarkt.«
»Vielen Dank für die Auskunft«, erwiderte ich. Während ich die Meute in Schach hielt, durchsuchte Phil jeden Einzelnen von ihnen. Mein Freund nahm nicht nur die Glock 17 an sich, sondern stellte auch noch drei weitere Schusswaffen sicher. Die Kerle warfen uns hasserfüllte Blicke zu. Doch sie trauten sich nicht, irgendetwas anzuzetteln. Sie hatten gemerkt, dass mit uns nicht gut Kirschen essen war.
»Eure Knarren könnt ihr euch auf dem zuständigen Precinct abholen«, sagte Phil. »Das heißt, falls ihr sie legal erworben habt. Sonst werden sie wohl offiziell unbrauchbar gemacht werden müssen.«
Mein Partner und ich gingen zu unserem Auto zurück. Bevor wir einstiegen, wandte ich mich noch einmal an den schielenden Sprecher der Gruppe.
»Falls ihr übrigens auf die Idee kommen solltet, Armando durch einen Anruf zu warnen – lasst es lieber sein. Das bekommen wir heraus, und dann kriegt ihr den Ärger eures Lebens.«
Darauf erwiderte keiner der Latinos etwas. Wir stiegen ein und fuhren davon. Im Rückspiegel konnte ich sehen, dass bereits wieder der Joint kreiste. Wahrscheinlich mussten sie ihren Frust betäuben, weil sie ihre Schießeisen losgeworden waren.
»Glaubst du, die halten dicht, Jerry?«
»Davon gehe ich eigentlich aus. Armando Muller gehört nicht zu ihrer Gang, sonst hätten sie ganz anders reagiert. Solange wir sie in Ruhe lassen, ist es ihnen egal, was mit ihm passiert. Und Dealer gibt es in dieser Gegend mehr als genug. Wenn wir Armando kassieren, werden sie ihr Gras woanders kaufen können.«
»Ja, leider. Darum ist es ja so wichtig, den Drogensumpf auszutrocknen.«
In diesem Punkt waren wir einer Meinung. Wir legten einen kurzen Zwischenstopp beim 40th Precinct ein. Dort übergaben wir dem Desk Sergeant die beschlagnahmten Waffen. Wenig später machten wir uns auf den Weg zu dem 24-Stunden-Supermarkt, wo Armando Muller seinen Kunden ihre lebensgefährlichen Drogenträume verkaufte.
***
Ich lenkte den beigen Buick auf den Parkplatz, der zu dem Shopping-Komplex gehörte. Suchend schauten wir uns um.
»Da ist er«, sagte Phil.
Auch ich hatte den Verdächtigen bereits erspäht. Einem Normalbürger wäre der Dealer gar nicht aufgefallen. Die meisten Leute überquerten den Parkplatz zielgerichtet, um zum Supermarkt zu gelangen oder zu ihrem Auto zurückzukehren. Wenn sie den Verdächtigen sahen, dann streiften sie ihn höchstens mit einem gleichgültigen Blick.
Armando Muller versuchte, möglichst unauffällig zu wirken. Er drückte sich neben den Müllcontainern herum. Dort konnte er von dem bulligen Security Guard am Supermarkt-Eingang nicht entdeckt werden. Wenn der Uniformierte einige Schritte Richtung Parkplatz ging, wich der Dealer noch weiter hinter die Müllbehälter zurück. So blieb er für den Wachmann unsichtbar und konnte in Ruhe seinen illegalen Geschäften nachgehen. Denn seine Kunden wussten gewiss genau, wo sie nach ihm zu suchen hatten.
»Armando behält die ganze Zeit den Security Guard im Auge«, stellte ich fest. »Das werden wir uns zunutze machen.«
Phil nickte grinsend.
»Ich ahne, was du vorhast, Jerry.«
Phil und ich sind ein eingespieltes Team. Wir mussten meinen Plan nicht lang und breit besprechen. Ich fuhr langsam zum hinteren Teil des Parkplatzes. Der Dealer hätte den Kopf drehen müssen, um uns im Auge zu behalten. Aber das tat er nicht, denn er achtete nach wie vor nur auf den uniformierten Wachmann.
Phil und ich stiegen aus. Wir trennten uns und nahmen Armando Muller in die Zange. Mein Freund kam von der linken, ich von der rechten Seite. Wir blieben in der Deckung von geparkten Fahrzeugen, soweit es möglich war. Unsere FBI-Marken hatten wir an unseren Revers befestigt.
Bis zum Zugriff würden nur noch wenige Sekunden vergehen. Natürlich rechneten wir damit, dass der Dealer bewaffnet war. Deshalb war es ja gerade so wichtig, ihn zu überrumpeln.
Noch hatte Armando uns nicht bemerkt. Doch nun kam eine junge Schwarze in einem Supermini auf den Müllcontainer zu. Vermutlich wollte sie keinen Abfall loswerden, sondern Drogen kaufen. Meistens erkenne ich Drogenabhängige schon auf den ersten Blick. Jedenfalls gab sie Armando ein Handzeichen. Und dann deutete sie mit einer hektischen Bewegung auf mich. In ihren Augen flackerte die Furcht, das konnte ich sogar auf die Entfernung erkennen.
Erst jetzt wurde der Verdächtige auf mich aufmerksam. Und er reagierte mit beachtlicher Schnelligkeit, das musste man ihm lassen. Armando Muller drehte sich um und rannte vor mir weg. Doch er lief jetzt direkt auf Phil zu. Wusste er nicht, dass G-men stets im Team arbeiten?
»Stehen bleiben! FBI!«
Ich hörte Phils Ruf, konnte meinen Freund aber momentan nicht sehen, denn er war auf der anderen Seite des Müllcontainers. Der Flüchtende hatte den Behälter bereits hinter sich gelassen, schlug einen Haken und versuchte Phil zu entkommen.
Armando Mullers junge Kundin machte sich aus dem Staub, aber das war momentan unwichtig. Wir wollten den Mann schnappen, der unseren toten Drogen-U-Boot-Fahrer gekannt hatte.
Ich rannte ebenfalls an dem Müllcontainer vorbei und sah, dass der Dealer über die Kühlerhaube eines geparkten Ford flankte. Phil näherte sich ihm ebenfalls sehr schnell. Doch plötzlich zog Armando Muller eine Pistole aus der Jacke!
Ich sah die Waffe aufblitzen. Phil hatte seine Dienstpistole noch nicht gezogen. Er ging hinter einem Pontiac in Deckung. Das geschah keine Sekunde zu früh. Im nächsten Moment hämmerte Mullers Geschoss in den Kotflügel des Pontiac.
Phil hielt nun seine SIG in der Hand, doch ich hatte meine Pistole schon auf den Gewalttäter gerichtet. Er durfte nicht noch einmal zum Schuss kommen. Es waren zu viele Zivilisten auf dem Parkplatz, deren Sicherheit uns am Herzen lag. Schrille Schreie aus Frauenkehlen ertönten, einige Kinder begannen zu weinen. Selbst in einer solchen Gegend gehört eine Schießerei nicht zu den Alltäglichkeiten. Und es gibt auch wirklich Dinge, an die man sich niemals gewöhnen sollte.
»Waffe weg, Muller! Noch einmal sage ich es nicht!«
Der Dealer beachtete meine Warnung nicht. Er drehte sich zu mir um und feuerte, ohne präzise anzulegen. Vielleicht war es pures Glück, dass sein Projektil mich nicht traf. Doch ich erwischte Muller dort, wohin ich gezielt hatte. Meine Kugel jagte in seine linke Wade. Die Wucht des Geschosses riss ihn von den Beinen. Phil sprang auf und entwand dem Täter seine Pistole. Danach war Armando Muller die Kampfeslust vergangen. Er stöhnte nur noch vor Schmerzen und hielt sich mit beiden Händen sein blutendes Bein.
»Ich rufe eine Ambulanz für Sie«, meinte Phil und griff schon zu seinem Handy. »Wir wollten eigentlich nur mit Ihnen reden. Aber wer auf Bundesagenten schießt, zieht immer den Kürzeren, Muller.«
Der Verbrecher erwiderte nichts, sondern presste nur die Lippen aufeinander. Er hatte jetzt Schmerzen und musste behandelt werden. Ein Verhör mit Armando Muller würden wir erst später führen können. Immerhin konnte er uns in der Krankenabteilung von Rikers nicht mehr entwischen.
***
Wenig später trafen die Rettungskräfte ein. Nach einer Erstversorgung wurde Muller auf die Gefängnisinsel im East River geschafft, die über ein komplettes Hospital verfügt. Nach der Verhaftung gönnten Phil und ich uns eine kurze Pause in einem Diner. Bei Cheeseburgern und Cola besprachen wir unsere weitere Vorgehensweise.
»Armando Muller ist ein kleiner Straßendealer, der sich zwischen Müllcontainern herumdrückt, Jerry. Glaubst du wirklich, dass er immer noch Kontakt zu Cargill hat? Wir reden über einen Kriminellen, der eine Ladung Koks im Wert von drei Millionen Dollar in die Staaten bringt. Cargill spielt doch in einer ganz anderen Liga als Armando Muller.«
»Ja, Phil. Aber selbst wenn sie sich aus den Augen verloren haben – vielleicht verrät uns Muller ja trotzdem, mit was für Typen sich Cargill vor seinem Tod herumgetrieben hat. Jedenfalls war Cargill kein Einzelkämpfer, das steht für mich fest. Und ich frage mich, ob er überhaupt allein an Bord des U-Bootes gewesen ist.«
»Das halte ich für ausgeschlossen, Jerry. Ich bin kein Seefahrts-Experte, aber so ein U-Boot ist doch gewiss mehrere Tage und Nächte zwischen Kolumbien und unserer Küste unterwegs. Irgendwann muss doch der Mann am Steuer auch mal schlafen. Es sei denn, er pumpt sich mit Aufputschmitteln voll.«
»Dann lässt aber irgendwann die Konzentration nach. Und ich glaube nicht, dass die Drogenbosse ihre wertvolle Ladung riskieren wollen. Sie werden nicht das Risiko eingehen, dass das U-Boot auf Grund läuft, weil der Steuermann vor lauter Übermüdung Fehler macht.«
Bevor Phil etwas erwidern konnte, klingelte mein Handy. Die schöne Küstenwachen-Fahnderin Lorna Fredericks war am Apparat.
»Jerry, wir haben neue Fakten über Cargills Schmuggelroute und über die Havarie seines Wasserfahrzeugs. Unsere Experten meinen, dass der Antrieb des U-Bootes durch einen Aufprall außer Betrieb gesetzt wurde.«
»Was bedeutet das genau?«
»Entweder ist Cargills Halbtaucher auf ein Riff gelaufen oder von einem anderen Schiff gerammt worden. Die Beschaffenheit der beschädigten Stahlplatten spricht aber eher für einen Rammstoß. Der Kontakt mit scharfkantigem Fels hätte andere Spuren hinterlassen.«
»Wäre es auch möglich, dass ein anderes Fahrzeug mit dem aufgetauchten U-Boot sozusagen versehentlich kollidiert ist? Ich meine, Cargill ist ohne Positionslaternen und vermutlich in stockfinsterer Nacht unterwegs gewesen.«
»Das stimmt, Jerry. Ich persönlich glaube allerdings nicht an eine zufällige Begegnung mit einem harmlosen Passagierschiff oder Frachter im dichten Nebel. Die Besatzung eines solchen Schiffs hätte die Kollision gewiss bemerkt und den Behörden gemeldet. Nein, Cargill hat die viel befahrenen Schifffahrtsrouten genau aus diesem Grund gemieden. Er wollte natürlich Unfälle vermeiden und am besten überhaupt nicht gesehen werden. – Wahrscheinlich ist Cargills Boot erst in Sichtweite der amerikanischen Küste gerammt worden. Es kann sein, dass der Motor danach noch eine Weile funktioniert hat. Aber sicher ist das nicht.«
»Könnte eigentlich auch dieser Rammstoß Cargills Tod verursacht haben, Lorna? Sein Unterseeboot kollidiert mit einem anderen Wasserfahrzeug, er knallt mit dem Kopf gegen die Turmumrandung und schlägt sich den Schädel ein.«
»Ja, das wäre auch möglich. Donna und ich haben jedenfalls berechnet, wie sich Cargill der Küste angenähert hat. Der Drogenschmuggler fuhr wahrscheinlich entlang des Antillenstroms und hat sich dann immer knapp außerhalb der amerikanischen Hoheitsgewässer aufgehalten. Ich vermute, dass er einen Bogen geschlagen hat, um Norfolk in Virginia weiträumig zu umfahren.«
»Weil dort so viele Navy-Verbände im Einsatz sind?«
»Ja, das könnte der Grund sein, Jerry. Norfolk ist ja nicht nur für unsere Navy, sondern auch für die Seestreitkräfte unserer Verbündeten ein wichtiger Hafen. Ein paar Seemeilen weiter nördlich hat Cargill dann sein Schicksal ereilt. Donna und ich gehen davon aus, dass Cargill vor der Küste von Virginia starb. Der Golfstrom ist dort ziemlich stark. Die Meeresströmung hat das führerlose U-Boot nach Norden getrieben. Und dann strandete es drei oder vier Tage später in Coney Island. Dazu würde auch der Verwesungszustand der Leiche passen.«
»Gute Arbeit, Lorna.«
»Danke, Jerry. Das sind zumindest die Annahmen, mit denen wir arbeiten. Donna und ich werden heute Nacht einige Kollegen der Coast Guard bei einer Patrouillenfahrt begleiten. Dabei wollen wir exakt diese Küstenabschnitte etwas genauer unter die Lupe nehmen.«
»Dann drücke ich euch die Daumen. Das Gebiet ist wahrscheinlich ziemlich weiträumig.«
»Auf jeden Fall größer als ein paar Baseballfelder«, lachte Lorna und verabschiedete sich. Ich steckte mein Handy wieder ein. Da der Lautsprecher eingeschaltet gewesen war, hatte Phil alles mitbekommen.
»Es ist gut, dass Lorna und Donna mit von der Partie sind, Jerry. Die beiden sehen nicht nur verflixt gut aus, sondern scheinen auch etwas von ihrem Job zu verstehen.«
»Das stimmt. Immerhin wissen wir jetzt, dass es auf See eine Kollision gegeben hat. Vielleicht hatte es jemand gezielt auf Cargill abgesehen.«
Wir machten uns nach der kurzen Pause wieder ans Werk. Die nächsten Stunden verbrachten Phil und ich damit, noch weitere ehemalige Kontakte des Toten abzuklappern. Aber es war wie verhext. Cargill hatte es wirklich verstanden, seine Spuren zu verwischen. Wir konnten keine einzige brauchbare Zeugenaussage aufnehmen. Entsprechend mies war unsere Stimmung am späten Nachmittag.
»Lass uns doch noch einen Krankenbesuch in Rikers machen. Inzwischen ist Armando Muller gewiss verarztet worden.«
Ich griff Phils Vorschlag sofort auf und lenkte meinen Jaguar Richtung East River. Wenig später fuhr ich über die Francis-Buono-Brücke auf die kleine Insel, die eine der größten amerikanischen Strafanstalten beherbergt.
***
Im Gefängniskrankenhaus hatten wir Glück. Wie sich herausstellte, war Armando Muller von dem altgedienten Gefängnisarzt Doc Warren behandelt worden.
»Der Patient ist zäh«, sagte der kahlköpfige Mediziner zu uns. »Er hat an der Wade einen glatten Durchschuss erlitten, der Knochen kam nicht zu Schaden. Er wird wohl ein paar Wochen nicht Polka tanzen können, aber ansonsten bleibt kein Schaden zurück. Wir hatten ihn unter Vollnarkose gesetzt, aber inzwischen ist er wieder aufgewacht.«
»Dürfen wir mit ihm reden?«
»Sicher, Agent Cotton. Sie müssen mir nur versprechen, den Patienten nicht länger als zehn Minuten zu löchern. Er ist immer noch angeschlagen und braucht Ruhe.«
Diese Zusage gab ich gerne ab. Schließlich wollte ich nicht Armando Mullers ganze Lebensgeschichte hören. Mir reichte es, wenn er über seinen Kumpan Cargill auspackte.
Muller lag in einem vergitterten Krankenzimmer mit Stahltür. Seine Begeisterung bei unserem Anblick hielt sich in Grenzen.
»Was wollt ihr FBI-Bullen denn schon wieder von mir? Reicht es euch nicht, dass ihr mich niedergeknallt habt?«
»Kommen Sie uns nicht auf die Tour«, rief Phil aufgebracht. »Agent Cotton hat doch überhaupt nur geschossen, weil Sie mir das Gehirn wegblasen wollten. Wenn Sie Ihre Knarre nicht gezogen hätten, wäre alles anders verlaufen.«
Muller verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und starrte auf die Wand, als ob es dort etwas Interessantes zu sehen gäbe. Wenn er völlig dichtmachte, war unser Besuch umsonst gewesen. Phil und ich nahmen auf Besucherstühlen links und rechts von seinem Krankenbett Platz. Ich stellte uns noch einmal offiziell vor. Dann sagte ich: »Sie haben sich selbst völlig unnötig in Schwierigkeiten gebracht, Muller. Ihre Dealerei mit Kleinstmengen Marihuana ist eine Lappalie im Vergleich zu Ihren Schüssen auf einen FBI-Agent im Dienst. Wenn Sie jetzt kooperieren, kann sich das nur positiv auf Ihr Strafmaß auswirken. Dann werden Agent Decker und ich vor Gericht aussagen, dass Sie tätige Reue gezeigt haben. So etwas kommt bei den Geschworenen immer gut an.«
Armando Muller blinzelte misstrauisch.
»Soso. Und was genau wollen Sie von mir wissen, Agent Cotton?«
»Es geht um Ihren alten Bekannten Pat Cargill.«
»Nie gehört von dem Typen.«
»Wollen Sie uns für dumm verkaufen?«, knurrte Phil. »Oder sind Sie bei den Drogen selbst Ihr bester Kunde und haben schon zu viele von Ihren Gehirnzellen vernichtet? Sie sind vor drei Jahren gemeinsam mit Cargill verhaftet worden. Natürlich kennen Sie ihn!«
»Ach, den Pat Cargill meinen Sie. Okay, damals hing ich wirklich kurzzeitig mit ihm herum. Aber dann hatte ich ja einen kleinen Zwangsurlaub auf Staatskosten, das werden Sie ja wissen. Und als ich dann wieder entlassen wurde, war Cargill inzwischen zu einer großen Nummer im Drogengeschäft geworden.«
»Und jetzt ist er tot«, stellte ich nüchtern fest. »Haben Sie eine Idee, wer für seinen Tod verantwortlich sein könnte?«
Armando Muller riss die Augen auf. Er schien verblüfft zu sein, aber vielleicht war das auch nur Fassade. Viele Lügner kann ich durchschauen, aber leider nicht alle. Muller war ein Berufsverbrecher, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Diese Tatsache musste man bei seinen Aussagen immer im Hinterkopf behalten. Zu gerne hätte ich gewusst, was jetzt hinter seiner Stirn vor sich ging. Er kniff die Augen zusammen, sein Mund wurde von einem gehässigen Lächeln umspielt.
»So, Cargill hat also den Löffel abgegeben. Tja, dann wird ihm die Luft in den höheren Regionen wohl zu dünn geworden sein.«
»Könnten Sie aufhören, in Rätseln zu sprechen?«, fragte Phil genervt seufzend.
»Okay, Sie können auch Klartext haben. Cargill hielt sich für eine große Nummer, aber er hat sich leicht Feinde gemacht. In unserem Geschäft muss man sich absichern, sonst macht man es nicht lange. Ich bin vielleicht nur ein kleiner Fisch, aber ich lebe noch.«
»Cargill hatte also Feinde?«, hakte ich nach. »Wie wäre es denn mit einigen Namen?«
Armando Mullers Grinsen wurde noch breiter.
»Und was kriege ich dafür, wenn ich auspacke?«
»Sie sind nicht in der Position, Forderungen zu stellen«, verdeutlichte ich dem Ganoven. »Falls Sie genau wissen, wer Cargill ermordet hat, kann man über die Kronzeugenregelung nachdenken. Aber ich warne Sie, Muller. Das FBI lässt sich nicht für dumm verkaufen. Wenn wir herausfinden, dass Sie uns nur einen vagen Verdacht auftischen, dann stecken Sie erst recht in Schwierigkeiten.«
»Okay, okay, Agent Cotton. – Also, ich weiß nicht, ob Harris Foster für Cargills Tod verantwortlich ist. Aber Cargill ist Foster auf die Füße getreten, hat ihm ernsthaft Konkurrenz gemacht. Wie gesagt, ich hatte länger keinen Kontakt mehr zu Cargill. Aber es war in der Drogenszene ein offenes Geheimnis, dass sich Cargill und Foster spinnefeind waren.«
Ich schaute Armando Muller nachdenklich ins Gesicht. Ob er die Wahrheit sagte? Natürlich kannte ich Harris Fosters Namen, obwohl ich selbst noch nie etwas mit ihm zu tun gehabt hatte. Er galt als ausgekochter Drogenbaron, der sich mit Rauschgift bereits eine goldene Nase verdient hatte. Leider konnten das NYPD und wir ihm nie wirklich etwas nachweisen. Gelegentlich ging mal einer von Harris Fosters Helfershelfern in den Knast, ohne seinen Boss ans Messer zu liefern. Aber vielleicht hatten wir ja jetzt endlich die Gelegenheit, diesen Kriminellen seiner gerechten Strafe zuzuführen?
»Ich kann Ihnen nichts versprechen, Muller. Aber wenn Harris Foster wirklich hinter Cargills Tod steckt, dann werden wir uns Ihnen erkenntlich zeigen.«
Der Verbrecher nickte langsam.
»Okay, Agent Cotton. Ich weiß, dass ich mich auf das Wort eines G-man verlassen kann. Aber seien Sie vorsichtig, wenn Sie sich Harris Foster vorknöpfen. Das ist ein ganz schlimmer Finger.«
***
Die von Doc Warren zugebilligten zehn Minuten waren im Handumdrehen vorbei. Wenig später saßen wir wieder in meinem roten Boliden und ließen die Gefängnisinsel hinter uns.
»Wirklich rührend, wie besorgt Armando Muller um unser Wohlergehen war«, spottete Phil. »Erst will er uns abknallen, dann warnt er uns vor Harris Fosters Brutalität. Als ob der Drogenbaron gemeiner wäre als die Mistkerle, mit denen wir es sonst zu tun haben.«
Ich nickte.
»Armando Muller geht es nur um sein eigenes Schicksal. Wenn wir tot sind, können wir nicht mehr zu seinen Gunsten aussagen. – Was hältst du davon, wenn wir Harris Foster gleich noch einen Höflichkeitsbesuch abstatten, Phil?«
»Sehr gute Idee, Jerry. Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist.«
Mein Freund griff zum Mikrofon des Funkgeräts und ließ sich von der Zentrale einige aktuelle Informationen über den Drogenbaron geben. Harris Foster betrieb offiziell eine Autovermietung. Damit verdiente er sich ein bescheidenes Einkommen, das er auch offiziell versteuerte. Bei den Strafverfolgungsbehörden glaubte niemand, dass der Autoverleih seine einzige Einnahmequelle war. Aber da wir ihm den Drogenhandel bisher niemals nachweisen konnten, war er mit dieser Masche stets durchgekommen.
Harris Foster lebte in einer Villa in Brooklyn Heights. Von dort aus hatte er einen traumhaften Panoramablick auf die Skyline von Manhattan. Es war schon früher Abend, als wir uns seinem Anwesen näherten.
Der Drogenkönig gab eine Party.
Teure Prunkschlitten parkten in der Einfahrt und den benachbarten Nebenstraßen, darunter viele Import-Wagen aus Europa. Zwischen ihnen fiel mein Jaguar gar nicht auf. Doch als Phil und ich uns zu Fuß dem Haupteingang näherten, versperrten uns zwei breitschultrige Muskelmänner in Smokings den Weg.
»Die Einladungskarten!«, blaffte einer von ihnen. Aus seinem Mund klangen diese beiden Wörter eher wie ein obszöner Fluch. Wahrscheinlich gehörte er zu den Unterwelttypen, die einen Gesetzesvertreter auf drei Meilen gegen den Wind wittern können. Es passierte uns öfter, dass man uns mit Drohgebärden vertreiben wollte.
Aber ich ließ mich nicht verscheuchen. Wer so etwas versucht, erreicht bei mir genau das Gegenteil. Ich schaute dem Gorilla direkt ins Gesicht, während ich ihm meinen FBI-Ausweis vor die Boxernase hielt.
»Das hier ist meine Einladungskarte. Mein Kollege und ich müssen Harris Foster sprechen, und zwar sofort.«
Mein bulliges Gegenüber kniff die Augen zusammen. Ich stellte mich schon darauf ein, dass er gleich die Fäuste sprechen lassen würde. Solche Typen können mir keine Angst einjagen, aber ich bereitete mich auf einen Kampf vor. Die Fäuste des Rausschmeißers öffneten und schlossen sich. Doch dann fiel ihm offenbar ein, was für einen Ärger er sich aufhalsen würde. Vielleicht hatte der Kerl ja Knasterfahrung. Auf jeden Fall war ihm klar, dass man sich mit dem FBI besser nicht anlegte.
Er atmete tief durch.
»Okay, G-men. Folgen Sie mir, ich bringe Sie zum Boss.«
Der breitschultrige Riese lotste uns durch den Salon, während sein Kollege weiterhin am Eingang Wache hielt. Die Party war in vollem Gang, obwohl es noch früh am Abend war. Uniformierte Frauen und Männer von einem Partyservice reichten Cocktails und Häppchen, in einer Ecke spielte ein Trio dezente Barmusik. Schätzungsweise waren ungefähr fünfzig Gäste anwesend. Die von Harris Foster eingeladenen Menschen waren reich oder wollten zumindest diesen Eindruck erwecken. Ich erblickte auch ein paar drittklassige Prominente, über die dann und wann in der New Yorker Klatschpresse berichtet wurde.
Der Schlägertyp öffnete eine Tür für uns. Dahinter befand sich ein Büro. Ein Mann hockte auf einem Schreibtischsessel, eine junge Blondine im Minikleid saß auf seinen Knien und kicherte albern. Der Kerl zuckte zusammen, als er uns erblickte.
»Dean, du sollst anklopfen! Wann kapierst du das endlich? – Wer sind Sie? Ich habe Sie nicht eingeladen!«
Ich drängte mich an dem Muskelmann namens Dean vorbei in den Raum, Phil folgte mir.
»Harris Foster? Ich bin Special Agent Jerry Cotton, FBI New York. Das ist Special Agent Phil Decker. Wir müssen dringend mit Ihnen reden.«
Ich hatte Harris Foster noch niemals zuvor gesehen. Es gab keine Strafakte über ihn, weil alle Anklagen bisher stets von seinen Anwälten abgeschmettert worden waren. Daher war er auch noch niemals erkennungsdienstlich behandelt worden.
Harris Foster war ein stämmiger Mann mit einem hervorstehenden Kinn und grauer Stoppelfrisur. Er trug einen Smoking, genau wie seine Gorillas. Der Drogenbaron schob seine Gespielin zur Seite und machte eine ungeduldige Handbewegung, als wenn er ein Insekt verscheuchen wollte. Die Blonde zog einen Schmollmund, verzog sich aber wortlos. Harris Foster war mir auf Anhieb unsympathisch. Doch wir waren ja auch nicht hergekommen, um neue Freundschaften zu schließen.
»Was soll dieser Überfall, Agents? Ich bin ein unbescholtener Bürger, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen.«
Harris Foster blickte erst mich und dann Phil an. Mir war klar, dass wir keine Beweise gegen ihn hatten. Momentan wollte ich nur auf den Busch klopfen. Es kam mir darauf an, die Reaktionen des Drogenbosses zu beobachten.
»Wir wollen Sie nicht beschuldigen, sondern als Zeugen befragen, Mister Foster. – Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?«
Mit diesen Worten legte ich ein erkennungsdienstliches Foto von Pat Cargill auf den Schreibtisch. In Harris Fosters Gesicht zuckte es, als ob ihm jemand gegen das Schienbein getreten hätte. Aber gleich darauf hatte er seine Gefühle wieder unter Kontrolle.
»Ich bedaure, Agent Cotton, aber diesen Gentleman habe ich noch niemals gesehen. Wer ist das?«
»Er hieß Pat Cargill und wurde tot am Strand von Coney Island aufgefunden. Cargill war an Bord eines Mini-U-Boots mit einer Ladung Kokain im Wert von mehreren Millionen Dollar.«
Harris Fosters Antlitz war wie versteinert. Ich hätte zu gerne gewusst, was in diesem Moment in ihm vorging. Noch gab es keinen einzigen Beweis für seine Schuld. Sogar unser Hinweisgeber Armando Muller hatte eingeräumt, dass sein Verdacht gegen Harris Foster nur eine Vermutung war. Waren es vielleicht seine Drogenpakete, die momentan in der Asservatenkammer der Küstenwache lagerten? Wenn ja, dann würde Harris Foster sich deshalb vermutlich die Haare ausraufen – aber erst, nachdem Phil und ich uns wieder verabschiedet hatten.
»In solchen Kreisen verkehre ich nicht, ich bin ein seriöser Geschäftsmann. Wer behauptet denn, dass ich diesen Cargill kennen würde?«
»Ein Informant hat uns den Hinweis gegeben. Wir müssen in alle Richtungen ermitteln. Dann können Sie uns auch nicht sagen, wo sich Cargill in den vergangenen Wochen aufgehalten hat?«
»Nein, verflucht. Wie gesagt, ich sehe das Gesicht heute zum ersten Mal. Und nun verschwinden Sie, sonst rufe ich meinen Anwalt. Er ist praktischerweise als Gast auf meiner Party anwesend.«
»Das wird nicht nötig sein«, erwiderte ich betont höflich. »Verzeihen Sie die Umstände, die wir Ihnen gemacht haben. Ich wünsche einen schönen Abend.«
Phil hätte gerne ganz anders mit dem Drogenbaron geredet, das konnte ich seinem Gesicht ansehen. Wir verließen die Villa in Brooklyn Heights. Als wir wieder in meinem roten Boliden saßen, machte mein Freund seinem Herzen Luft.
»Es stinkt mir, dass wir so einen miesen Dealer mit Samthandschuhen anfassen müssen! Harris Foster ist für das Elend von unzähligen armen Teufeln verantwortlich.«
»Ich weiß, Phil. Aber wir müssen clever vorgehen, wenn wir Harris Foster einsacken wollen. Diesmal wird die Anklage gegen ihn wasserdicht sein, das habe ich mir fest vorgenommen. – Außerdem könnte er wirklich unschuldig an Cargills Tod sein, so ungern ich das auch sage.«
»Wie bitte? Harris Foster kannte Cargill. Der hat doch gelogen wie gedruckt.«
»Sicher, er kannte Cargill. Aber deshalb muss er ja nicht hinter der Ermordung seines Rivalen stecken. – Mir ist gerade eine Idee gekommen, aber die kann ich erst morgen überprüfen.«
»Da bin ich ja mal gespannt. Zum Glück bin ich heute Abend mit einer jungen Lady verabredet. Die wird mich ablenken und ich muss mir nicht die ganze Zeit den Kopf über deinen Einfall zerbrechen.«
***
Am nächsten Morgen holte ich Phil an unserer gewohnten Ecke ab. Sein Date war offenbar gut verlaufen, denn mein Freund war bestens gelaunt. Auch ich hatte meinen Feierabend in charmanter weiblicher Gesellschaft verbracht und war in guter Stimmung.
Doch das änderte sich schnell, als wir an der Federal Plaza eintrafen. Ich rief beim 40th Precinct an und bat darum, mit einem Drogenfahnder zu sprechen. Nach einigem Hin und Her bekam ich einen Latino-Cop namens Manuel Garcia an den Apparat. Ich kam sofort zur Sache und fragte ihn nach unserem Informanten, dem Kleindealer Armando Muller.
»Armando? Natürlich kenne ich den Knaben, Agent Cotton. Ich sehe ziemlich schwarz für seine Zukunft. Entweder wird er am Stoff zugrunde gehen oder an einer Kugel einer rivalisierenden Drogen-Gang. Wie ich höre, dealt er schon wieder.«
»Ja, wir haben ihn gestern verhaftet. Uns geht es aber um seine Glaubwürdigkeit als Zeuge. Können Sie mir sagen, wer sein Großhändler ist?«
»Allerdings, Agent Cotton. Armando Muller bezieht seine Ware von einem Drogenhai, der nach außen den Biedermann spielt. Der Kerl heißt Harris Foster, und ihm konnte noch nie eine Straftat nachgewiesen werden. Es heißt, dass er solche kleinen Fische wie Armando Muller besonders hart ausbeuten würde.«
»Vielen Dank, Officer Garcia. Sie haben mir sehr geholfen.«
Ich beendete das Telefonat. Phil, der über Lautsprecher alles mitgehört hatte, machte ein langes Gesicht.
»Verflixt, das war also dein Einfall, Jerry. Du wolltest abchecken, ob Armando Muller Harris Foster nur bei uns angeschwärzt hat, um sich an ihm zu rächen. Muller wird sowieso in Rikers einfahren, weil er auf FBI-Agents gefeuert hat. Dann will er seinen ausbeuterischen Großdealer gleich mit hochgehen lassen.«
»Ja, es sieht ganz danach aus. Trotzdem – noch ist Harris Foster nicht aus dem Rennen. Cargill war sein Rivale, das ist eine Tatsache.«
Nun hatte auch Phil eine Idee. Er schnippte mit den Fingern.
»Warum lassen wir Foster nicht beschatten? Vielleicht ist er durch unseren gestrigen Besuch aufgeschreckt worden und macht einen Fehler.«
Ich war sofort einverstanden. Wir gingen zu Mr High und beantragten eine Überwachung des Verdächtigen. Der Chef ging auf den Vorschlag ein und betraute June Clark und Blair Duvall mit der Aufgabe. Wenig später kamen unsere blonde Kollegin und ihr hünenhafter schwarzer Dienstpartner in das Büro des Assistant Director. Ich brachte sie mit einigen knappen Sätzen auf den Stand der Dinge.
»Harris Foster?« Blair Duvall zog die Augenbrauen zusammen. »Diesen Dreckskerl will ich schon lange verhaften. Wenn wir diesmal endlich handfeste Beweise gegen ihn zusammentragen können, lege ich einen Stepptanz hin.«
»Das will ich sehen«, meinte June Clark trocken. Wir lachten, wurden aber gleich darauf wieder ernst. Unsere beiden Kollegen verabschiedeten sich, um sofort mit der Observierung zu beginnen. Phil und ich kehrten in unser Office zurück. Doch bevor wir weiterarbeiten konnten, klingelte das Telefon auf meinem Schreibtisch. Ich nahm den Hörer ab.
»Agent Cotton.«
»Hier ist Lorna Fredericks, hallo, Jerry. Unsere gestrige Patrouillenfahrt in den Küstengewässern war ein voller Erfolg.«
Mein Pulsschlag beschleunigte sich, als ich diese Information von der schönen Coast-Guard-Ermittlerin bekam.
»Inwiefern, Lorna?«
»Ganz einfach: Unser Schnellboot konnte ein weiteres Drogen-U-Boot in amerikanischen Hoheitsgewässern zum Auftauchen zwingen. Und die beiden Besatzungsmitglieder wurden von uns verhaftet.«
***
Lorna Fredericks und Donna White waren mit Recht sehr stolz auf ihren Erfolg. Es war gewiss nicht gerade einfach gewesen, in finsterer Nacht ein illegales Wasserfahrzeug ohne Positionslichter zu stellen. Nur eine Stunde später saßen die beiden weiblichen Lieutenants bei Phil und mir in unserem Office.
»Die routinemäßige Patrouillenfahrt hätte nur dreißig Seemeilen an der Küstenlinie von New Jersey entlanggeführt«, erzählte Lorna. »Wir haben aber den Kommandanten des Schnellboots gebeten, sich an der vermutlichen Schmuggelroute von Cargills U-Boot zu orientieren.«
»Ihr seid also genau in die Route gefahren, aus der Cargill gekommen ist?«
»Richtig, Jerry. Gegen Mitternacht meldete der Sonar-Techniker Echo-Geräusche von einem unbekannten Objekt. Der Kommandant drosselte die Geschwindigkeit und begann mit einem Zick-Zack-Kurs. Gleichzeitig löste er Alarm aus. Wir mussten damit rechnen, dass die Besatzung mit Handfeuerwaffen ausgerüstet war.«
»Immerhin haben die Mistkerle Drogen im Wert von mehreren Millionen Dollar dabei«, warf Phil ein. »Da muss man damit rechnen, dass sie sich das Zeug nicht widerstandslos abnehmen lassen.«
Donna nickte und ergriff nun das Wort.
»Wir hatten Einsatzoveralls angelegt und uns mit Maschinenpistolen bewaffnet. Lorna und ich wollten unbedingt dabei sein, wenn der Kommandant ein Enterkommando zu dem unbekannten Objekt schickte. Noch wussten wir ja gar nicht, ob es ein U-Boot war. Kurzzeitig schafften es die Fremden, uns wieder zu entkommen. Wir wollten Funkkontakt aufnehmen, aber sie blieben stumm wie Fische. Doch dann kamen wir erneut nahe genug an sie heran. Die Coast-Guard-Patrouillenfahrzeuge verfügen über leistungsstarke Scheinwerfer. Damit suchte unsere Besatzung das Wasser ab. Und schon bald erblickten wir den Turm eines Halbtauchers. Das Boot glich dem gestrandeten Exemplar auf Coney Island wie ein Ei dem anderen, jedenfalls auf den ersten Blick. Später stellten wir dann fest, dass das Boot anders konstruiert war. Aber uns war klar, dass es demselben Zweck dient.«
»Haben die Schurken nicht versucht zu tauchen?«
»Nein, Jerry. Wie gesagt, man kann mit diesen Drogen-U-Booten nicht allzu weit unter die Wasseroberfläche gelangen. Vielleicht waren die Männer an Bord auch nur panisch. Sie haben wohl nicht damit gerechnet, von der Küstenwache aufgebracht zu werden. Das Küstenwachen-Fahrzeug verfügte jedenfalls über einen leistungsstärkeren Antrieb als der Halbtaucher. Unser Kommandant ließ ein Schlauchboot mit Außenbordmotor wassern, um eine Entermannschaft hinüber zu dem Halbtaucher zu bringen. Lorna und ich waren dabei, als die beiden Drogenkuriere kaltgestellt wurden. Angesichts unserer Übermacht ließen sie ihre Waffen sofort fallen. Sie hatten offenbar keine Lust, gegen insgesamt sechs Frauen und Männer von der Küstenwache zu kämpfen. Wir waren alle schwer bewaffnet und haben deutlich gemacht, dass wir es ernst meinen. – Wir haben das U-Boot danach in Schlepptau genommen. Es wird momentan auf dem Küstenwachen-Stützpunkt von Staten Island kriminaltechnisch untersucht.«
»Das ist wirklich ein großer Erfolg«, betonte ich. »Und was ist mit den zwei Verhafteten geschehen?«
Lorna warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
»Sie wurden zunächst von uns in Arrest genommen. Ich lasse die beiden Herzchen in diesen Minuten hierherbringen, damit eure Kollegen sie erkennungsdienstlich behandeln können. Es würde mich nicht wundern, wenn diese Chorknaben schon polizeibekannt sind.«
Mit dieser Einschätzung sollte die Küstenwachen-Ermittlerin recht behalten. Ein Kollege vom Erkennungsdienst rief mich schon wenig später an.
»Sind die Ladys vom Coast Guard Investigative Service noch bei euch oben, Jerry? Wir haben die Fingerprints der Verdächtigen genommen, beide haben schon eine Akte beim NYPD. Ich gebe dir die Informationen, dann könnt ihr selbst auf die Daten zugreifen.«
Die beiden Drogenkuriere hießen Enrique Baldero und Jaime Pintaro. Baldero und Pintaro stammten ursprünglich aus Kolumbien, hatten aber seit Jahren die US-Staatsbürgerschaft. Mit dem amerikanischen Gesetz waren sie schon öfter in Konflikt gekommen. Baldero war wegen Rauschgiftbesitz und Körperverletzung verurteilt worden, bei Pintaro kam außerdem noch Widerstand gegen Polizeibeamte hinzu. Unschuldslämmer waren die beiden Latinos also auf keinen Fall. Außerdem konnte ich den Akten entnehmen, dass Baldero vor seiner kriminellen Karriere auf einem kolumbianischen Hochsee-Fischtrawler gearbeitet hatte. Er hatte also vermutlich das Drogen-U-Boot gesteuert. Man benötigte immer mindestens einen Mann mit maritimen Kenntnissen an Bord, das hatte ich inzwischen verstanden.
***
Baldero und Pintaro glotzten mürrisch zu Boden, als sie mit Handschellen und Fußketten gefesselt in einen Verhörraum gebracht wurden. Sie trugen bereits orangefarbene Gefängnisoveralls. Ihre eigenen Kleider waren beschlagnahmt worden, damit sie kriminaltechnisch untersucht werden konnten.
Die beiden Latinos ließen sich auf zwei Stühle fallen. Donna stellte ihnen Phil und mich vor, außerdem belehrte sie die Verdächtigen noch einmal über ihre Rechte. Dann sagte sie: »Wenn Sie weiterhin schweigen wollen, dann ist das Ihre Entscheidung. Sie haben bisher weder mit Lieutenant White noch mit mir gesprochen, wenn man von einigen spanischen Flüchen absieht. Aber Sie sind jetzt hier beim FBI, und es geht außer um Drogenschmuggel auch noch um Mord. Das sollten Sie bedenken.«
Donna White lehnte mit vor der Brust verschränkten Armen an der Wand, während Lorna, Phil und ich den beiden Verdächtigen gegenüber am Tisch Platz genommen hatten. Einen Moment lang sah es so aus, als ob Pintaro reden wollte. Er war ein schmaler Mann, dessen Gesicht mich an das eines Fuchses erinnerte. Aber dann presste er doch lieber seine dünnen Lippen weiterhin aufeinander.
Phil stand auf und besorgte Kaffee für die Verhafteten und für uns. Niemand sollte uns nachsagen können, dass wir Baldero und Pintaro schlecht behandelt hätten. Manchmal hilft auch einfach Geduld, wenn man einen Verhafteten zum Reden bringen möchte.
»Wollen Sie einen Anwalt?«
Meine Frage blieb unbeantwortet. Ich wiederholte sie noch einmal auf Spanisch, aber auch diesmal bekam ich keine Reaktion. Und den Kaffee rührten die beiden Verdächtigen auch nicht an.
»Sie können ruhig trinken, das Gebräu enthält keine Wahrheitsdroge«, spottete Phil und nahm einen Schluck von seinem Kaffee. Aber die Latinos ignorierten ihn vollständig. Wir versuchten noch eine Weile, Balderos und Pintaros Schweigen zu brechen. Doch die beiden Kriminellen blieben bei ihrer Taktik. Nun, das war ihr gutes Recht.
Ich ordnete an, dass sie wieder in die Arrestzellen gebracht wurden.
»Morgen ist der Haftprüfungstermin«, stellte Phil fest. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Richter sie gegen Kaution auf freien Fuß setzt. Immerhin wurden sie mit einer großen Kokain-Menge auf frischer Tat ertappt. Diese Tatsache lässt sich nicht wegdiskutieren.«
Ich nickte.
»Die Frage ist doch, ob Baldero und Pintaro für dieselben Hintermänner gearbeitet haben wie Cargill oder für eine Konkurrenzorganisation. Gibt es vielleicht einen Zusammenhang zwischen dem stummen Duo und Harris Foster? Wenn ja, dann wird es eng für unseren selbsternannten Saubermann.«
Lorna warf mir einen fragenden Blick zu. Ich erzählte von unserer gestrigen Begegnung mit dem Drogenboss.
»Und dieser Harris Foster soll also für Cargills Tod verantwortlich sein, Jerry?«
»Das wissen wir noch nicht genau, Lorna. Bisher gibt es nur einen vagen Hinweis, der in seine Richtung deutet. Das reicht eigentlich noch nicht einmal für einen Anfangsverdacht. – Aber dank eures Verhaftungserfolges können wir jetzt im Umfeld von Baldero und Pintaro ermitteln. Aus den NYPD-Akten ging ja hervor, dass die beiden U-Boot-Fahrer in Spanish Harlem gelebt haben.«
»Dann bleibt es bei der Arbeitsteilung. Donna und ich werden so bald wie möglich wieder in See stechen, vielleicht gehen uns ja noch weitere Drogenschmuggler ins Netz. Ich veranlasse, dass die kriminaltechnischen Ergebnisse der U-Boot-Untersuchung an euch weitergeleitet werden.«
Wir verabschiedeten uns zunächst von den beiden charmanten weiblichen Lieutenants. Doch jetzt war keine Zeit zum Flirten, wir wollten den Anfangserfolg ausbauen. Wenn Baldero und Pintaro schwiegen, dann würden vielleicht wenigstens irgendwelche Freunde oder Kumpane von ihnen reden.
***
Phil und ich fuhren unverzüglich nach East Harlem, das auch Spanish Harlem genannt wird. Auf der 116th Street herrschte eine Atmosphäre wie in einer südamerikanischen Metropole. In Billig-Boutiquen wurden bunte Kleider verkauft, aus den Garküchen drang der Geruch von scharfen Chilisoßen und ranzigem Frittierfett. Das Leben spielte sich auf der Straße ab.
Nachdem ich geparkt hatte, versuchten Phil und ich unser Glück zunächst bei Pintaros Familie. Laut seiner NYPD-Akte sollte er hier bei seinem Onkel und seiner Tante wohnen. Seine älteren Verwandten erbleichten, als sie unsere FBI-Marken sahen.
»Wir haben mit Jaime nichts mehr zu schaffen, er hat Schande über die Familie gebracht«, sagte Pintaros Onkel in gebrochenem Englisch zu uns. »Kommen Sie nur herein, G-men. Schauen Sie sich überall um, hier werden Sie ihn nicht finden.«
»Das wissen wir«, entgegnete ich. »Jaime Pintaro sitzt nämlich bereits in Untersuchungshaft.«
Die Tante des Verdächtigen raufte sich die Haare, als sie meine Worte hörte. Wie sich herausstellte, waren Pintaros Verwandte ordentliche Leute. Der Onkel arbeitete als Schneider, die Tante hatte einen Teilzeitjob als Briefsortiererin. Sie zeigten uns ihr Apartment. Nichts deutete darauf hin, dass hier noch ein junger Mann wohnte.
»Ich kann Ihnen nicht sagen, wo sich Jaime herumtreibt«, sagte der Onkel. »Nachdem ich ihn hinausgeworfen habe, war er wie vom Erdboden verschluckt. Aber unten an der Ecke ist ein Friseursalon. Mit den Typen, die dort herumlungern, hat er sich früher öfter getroffen. Vielleicht wissen die etwas.«
Wir bedankten uns bei den beiden. Wenig später betraten Phil und ich das schmale Ladengeschäft, in dem es penetrant nach billigem Rasierwasser roch. Zwei junge Latinos wurden gerade bedient, vier andere warteten auf einem durchgesessenen Sofa. Aus einem Ghettoblaster drang Hip-Hop mit spanischen Texten.
In einer solchen Umgebung fielen wir natürlich auf. Alle Blicke richteten sich auf uns, als wir das Friseurgeschäft betraten. Ich wandte mich an einen der Friseure.
»Wir sind vom FBI New York. Ich bin Agent Cotton, das ist mein Kollege Agent Decker. – Sagt Ihnen der Name Jaime Pintaro etwas?«
Der Friseur schaute mich noch nicht einmal an, sondern arbeitete einfach weiter.
»Habe den Namen noch nie gehört. Soll das ein Latino sein?«
»Sie sind ja ein richtiger Komiker«, rief Phil ungeduldig. »Sollen wir Ihnen mal die Gewerbeaufsicht vorbeischicken? Werden Sie dann auch noch lachen?«
Bevor der Friseur antworten konnte, erhob sich einer der Wartenden von dem Sofa. Er starrte mich provozierend an.
»Machen die FBI-Schnüffler dir Ärger, Manuel? Sollen wir ihnen in den Hintern treten?«
Der Kerl zog seine Rechte aus der Hosentasche, ich sah plötzlich einen Schlagring blitzen. Aber bevor er ausholen konnte, hatte ich ihm den Arm auf den Rücken gedreht. Seine Kumpane wollten ebenfalls aufspringen.
»Sitzen bleiben!«, blaffte Phil. »Wer hier den wilden Mann spielen will, kann sich in Rikers austoben!«
Die Worte meines Freundes wirkten auf die Latinos wie eine kalte Dusche. Murrend blieben sie auf dem Sofa hocken und warfen uns feindselige Blicke zu. Der Friseur schien allmählich zu kapieren, dass er sich viel Ärger einhandeln konnte. Er wurde plötzlich sehr redselig.
»Jaime Pintaro kommt nicht mehr hierher, G-men. Seit einigen Monaten sieht man ihn nur noch dann und wann in East Harlem. Und wenn er sich blicken lässt, dann wirft er mit Dollars um sich. Er hält sich jetzt wohl für etwa Besseres. Er hängt mit einem gewissen Enrique Baldero ab.«