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Sammelband 27: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2910: Im Fadenkreuz des Mörders
2911: Jung, schön und tödlich
2912: Blutschwur
2913: Die beste Waffe
2914: Der Geruch der Angst
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
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Seitenzahl: 680
Veröffentlichungsjahr: 2020
Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 27 - Krimi-Serie
Cover
Impressum
Im Fadenkreuz des Mörders
Jerry Cotton aktuell
Vorschau
Im Fadenkreuz des Mörders
»Wir werden es sein, die dieses Land wieder auf die Beine stellen! Wir werden der Bevölkerung wieder Werte geben, die ein zivilisiertes Volk ausmachen! Wir sind es, die nicht nur reden, sondern handeln!«
Der Mann am Kopfende des Konferenztisches wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, während seine Zuhörer beifällig murmelten oder mit den Köpfen nickten.
»Wir, die True Americans of Wealth and Influence, werden nicht tatenlos zusehen, wie die Regierung das Land unserer Vorväter ruiniert«, fuhr der Vorsitzende fort. »Wir haben lange genug zugesehen, wie dieser Präsident durch seine Politik Unglück und Verderben über dieses Land bringt. Es ist an der Zeit, dass wir in den Lauf der Geschichte eingreifen: Der Präsident wird sterben und eine neue, glanzvolle Ära wird anbrechen – dank uns!«
Auf dem Weg zur üblichen Ecke, wo ich Phil abholen wollte, hörte ich an diesem Morgen Radio. Der Wahlkampf war in vollem Gange und das ganze Land diskutierte über den letzten Fernsehauftritt des Präsidenten, bei dem er die Politik seines konservativen Herausforderers scharf angegriffen hatte.
»Da kommt mal wohl nicht drum herum«, war Phils Begrüßung, als er in den Wagen stieg. »Das ist schon das dritte Mal heute, dass ich dieses Zitat höre – ganz abgesehen von den fünf Malen, wo ich es gelesen habe.«
Ich lachte und stellte das Radio leiser. »Ich wünsche dir auch einen guten Morgen.«
»Guten Morgen«, brummte er. »Wenn ich die Lage richtig einschätze, werden wir noch sehr viel mehr von diesem Wahlkampf mitkriegen als der durchschnittliche New Yorker. Immerhin findet das nächste Fernsehduell zwischen dem Präsidenten und seinem Gegner Will Kennington hier in der Stadt statt.«
»Ja, das NYPD ist schon seit Tagen damit beschäftigt, Sicherheitskontrollen durchzuführen. Wir werden bestimmt auch noch eingespannt werden«, stimmte ich ihm zu. »Ist doch mal eine Abwechslung zum Mörder-Jagen.«
»Wenn du dich da mal nicht täuschst«, sagte Phil.
***
»Guten Morgen, Agents Cotton und Decker«, begrüßte uns der Pförtner des FBI Field Office. »Bitte gleich beim Chef melden.«
Ich nickte und wir machten uns auf den Weg in die 23. Etage zum Büro von Mr High.
»Ihr könnt gleich reingehen«, winkte uns Helen nach einer kurzen Begrüßung durch. »Er wartet schon.«
Ich sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. »Scheint enorm wichtig zu sein.«
Helen nickte nur und hob den Hörer des Telefons ab, das gerade klingelte.
Ich wechselte einen Blick mit Phil und trat in Mr Highs Büro. Er sah auf und winkte uns heran.
»Guten Morgen, meine Herren. Setzen Sie sich zu uns.«
»Guten Morgen, Sir«, erwiderten wir und gingen zum Konferenztisch. Neben Mr High saß dort bereits ein gut gekleideter, sportlich aussehender Mann, der mir unbekannt war.
»Dies sind die beiden Special Agents, von denen ich sprach, Jerry Cotton und Phil Decker«, sagte Mr High zu dem Mann und stellte uns vor. »Meine Herren, dies ist Agent Zacharias Wilson vom Secret Service. Sein Chef, Mister Harper, wird gleich noch zu uns stoßen, dann – da ist er ja schon«, unterbrach er sich, als ein Mann um die fünfzig mit grau meliertem Haar und strengen Gesichtszügen das Büro betrat.
Mr High wiederholte die Vorstellung und kam dann auf den Grund des Meetings zu sprechen.
»Wie Sie wissen, findet in drei Tagen hier in New York das letzte Fernsehduell zwischen dem Präsidenten und Mister Kennington statt. NYPD und FBI arbeiten dabei mit dem Secret Service zusammen, um die Sicherheit des Präsidenten und der Teilnehmer zu gewährleisten.«
Alle Anwesenden nickten zustimmend und Mr High fuhr fort: »Im Rahmen dessen bekommen Sie«, er deutete auf Phil und mich, »zusammen mit Agent Wilson eine besondere Aufgabe. Sowohl der Secret Service als auch das FBI New York haben einen anonymen Hinweis erhalten, wonach während des Fernsehduells ein Anschlag auf den Präsidenten geplant ist.«
»Der Hinweis ist als authentisch eingestuft worden und ihm muss nachgegangen werden«, übernahm Mr Harper. »Finden Sie heraus, was hinter dieser Sache steckt, und bringen Sie die Verschwörer zur Strecke. Agent Wilson hat sich in der Vergangenheit bereits mit der Gruppe beschäftigt, die in dem Hinweis genannt wird, allerdings in Washington. Er wird Sie über seine Ermittlungsergebnisse informieren.«
Wieder nickten alle zustimmend und abschließend ergriff noch einmal Mr High das Wort. »Als Büro der Task Force verwenden Sie den Konferenzraum im achten Stock, da Mister Wilson für die Zeit der Ermittlungen zu uns kommen wird. Dort haben Sie auch genug Platz, um weitere Agents unterzubringen, falls Sie Verstärkung brauchen. Bericht erstatten Sie mir, ich koordiniere den Einsatz mit Mister Harper. Wenn nötig, wird er an Einsatzbesprechungen teilnehmen. Gibt es vorläufig noch Fragen?«
Wir verneinten, ebenso wie Agent Wilson. Zunächst einmal mussten wir uns mit den vorhandenen Daten vertraut machen. Daher verabschiedeten wir uns gemeinsam mit Agent Wilson und machten uns mit ihm auf den Weg zum Büro.
»Ich bin Zach«, stellte er sich selbst noch einmal vor. »Freut mich, mit euch zusammenzuarbeiten.«
»Uns auch«, erwiderte Phil und ließ ihm den Vortritt in den Fahrstuhl. »Wie kommt es, dass du alleine bist? Ermittelt dein Partner in Washington weiter an dem Fall?«
»Schön wäre es«, seufzte Wilson. »Nein, er hatte einen Unfall und liegt im Koma.«
»Das tut mir leid«, klinkte ich mich in die Unterhaltung ein. »Berufsbedingt?«
Wilson schüttelte den Kopf. »Es hört sich blöd an, aber es war ein Sportunfall. Wir waren zusammen klettern und sein Gurt hat sich gelöst. Er ist zehn Meter tief gestürzt, es war Glück, dass er überlebt hat.«
»Tragisch«, sagte Phil und öffnete die Tür zu unserem vorläufigen Büro.
***
Techniker hatten es bereits mit allem Nötigen ausgestattet. Computer, Telefone und was man sonst noch so braucht, alles war installiert und betriebsbereit. Auf dem großen Besprechungstisch auf der einen Seite des Raumes stapelten sich Akten.
»Hier sind die Unterlagen, die ich mitgebracht habe«, sagte Wilson und deutete auf einen Stapel. »Dann müssten hier die Daten zu den anonymen Hinweisen sein. Die kenn ich auch noch nicht.«
»Am besten gibst du uns erst mal eine kurze Übersicht über das, was du bereits herausgefunden hast, und danach sehen wir uns die Hinweise gemeinsam an«, schlug ich vor.
Wilson nickte und schob seine Brille, die ihm auf die Nasenspitze gerutscht war, wieder hoch. »Viel ist es leider nicht. Bei einer routinemäßigen Überprüfung einer anderen Sache bin ich auf eine Gruppe namens True Americans of Wealth and Influence – ich hab sie kurz TAWI genannt – gestoßen, die einen radikal-konservativen Eindruck machte. Ich konnte aber weder Mitglieder identifizieren noch das eigentliche Ziel bestimmen, und da noch nichts gegen die Gruppe vorlag, habe ich mich auch nicht so reingehängt – ihr wisst ja, wie das ist: Man ist froh, wenn man seine Aufträge erledigt bekommt, viel Zeit für Extras nebenbei bleibt nicht.«
Ich nickte halbherzig, eher um ihn zum Weiterreden zu animieren, als um ihm zuzustimmen. Natürlich gab es immer viel zu tun, aber es hing auch sehr von einem selbst ab, wie viel man geschafft bekam.
»Wie auch immer«, fuhr Wilson fort, »was ich mitbekommen habe, ist, dass diese Gruppe die derzeitige politische Situation für unannehmbar hält und konservative Werte schätzt.«
»Dazu würde die Drohung gegen den Präsidenten ja gewissermaßen passen«, meinte Phil.
»Gewissermaßen«, wiederholte der Secret Service Agent. »Das ist auch schon alles, was ich weiß.«
»Okay, die Unterlagen sehen wir uns später an«, bestimmte ich. »Jetzt zu den Hinweisen.«
Es handelte sich um einen Telefonanruf, der aufgezeichnet worden war. In beiden Fällen, also sowohl bei dem Anruf beim FBI als auch beim Secret Service, war der Anruf von derselben Telefonzelle in New York getätigt worden. Die Anrufe waren direkt hintereinander erfolgt, von derselben Person, wie eine Stimmanalyse zeigte. Auch der Text war in beiden Fällen in etwa derselbe.
»Hallo, meinen Namen nenne ich nicht, das ist zu gefährlich. Ich habe zufällig gehört, wie eine Gruppe namens True Americans of Stealth and Influence oder so ähnlich einen Plan gemacht hat, um den Präsidenten umzubringen. Ich habe nicht alles verstanden, aber ich habe gehört, wie einer sagte, bis zum Fernsehduell seien es nur noch ein paar Tage und danach würde eine neue Ära anbrechen. Mehr weiß ich nicht.«
Der Stimme und Ausdrucksweise nach war der Anrufer ein Junge von etwa fünfzehn Jahren.
»Wenn er nicht den Namen der Gruppe nennen würde, hätte ich es für einen Dumme-Jungen-Streich gehalten, aber so …«, sagte Phil und zuckte die Achseln.
»Ist der Name dieser Gruppe bekannt?«, fragte ich Wilson. »Hätte er einfach im Internet darauf stoßen und ihn dann verwenden können, um seiner Nachricht mehr Gewicht zu verleihen?«
»Das ist sehr unwahrscheinlich«, antwortete er und schüttelte bedauernd den Kopf. »Soweit ich weiß, operieren sie sehr verborgen. Auch ich bin nur in einem geschützten Forum auf den Namen gestoßen, er ist nicht öffentlich im Internet zu finden.«
»Dann hat er es also vermutlich wirklich so gehört«, stimmte ich Phil zu. »Aber wie? Wenn man Mordpläne bespricht, achtet man doch eigentlich darauf, nicht von Fremden belauscht zu werden.«
»Hoffen wir für ihn, dass sie nicht wussten, dass er sie gehört hat«, meinte Wilson.
Ich sah mir den abgetippten Text noch einmal in Ruhe an.
»Er scheint ja nicht alles gehört zu haben«, sagte ich dann. »Zum Beispiel hat er den Namen nicht ganz richtig wiedergegeben, und er sagt ja selbst, nicht alles verstanden zu haben. Also ist er vermutlich etwas weiter weg gewesen.«
»Wie auch immer«, wandte Wilson ein, »wichtiger als das ist doch der Rest. Er hat von New York aus angerufen und das Duell soll in ein paar Tagen stattfinden, damit ist wohl klar, dass das Fernsehduell in New York gemeint ist.«
»Außerdem bedeutet es, dass auch die Verschwörer in New York sind«, ergänzte Phil.
»Dann sollten wir zunächst einmal herausfinden, wer sie sind, und uns selbst ein Bild von ihnen machen«, schlug ich vor. »Du sagtest, du hättest die Identitäten bisher nicht herausgefunden, Zach. Was hast du schon versucht?«
Er erklärte wieder, dass er nicht viel Zeit für die Ermittlungen gehabt habe und außerdem die Dringlichkeit nicht sehr hoch gewesen sei, was im Endeffekt bedeutete, dass er sich nicht darum gekümmert hatte.
Ich wechselte einen Blick mit Phil und wusste, dass er, während Wilson noch redete, bereits dieselbe Vorgehensweise geplant hatte wie ich.
»Okay«, unterbrach ich den Secret Service Agent, »wir machen es folgendermaßen: Unsere Technikspezialisten hacken sich in das Forum, auf das du gestoßen bist, und versuchen, die wirklichen Identitäten hinter den Mitgliedsnamen zu ermitteln. Du schaust inzwischen im Internet, ob du dort noch irgendetwas über die Gruppe findest. Und Phil und ich nehmen uns die Akten vor und machen uns mit deinen bisherigen Ermittlungen vertraut.«
Phil ließ Wilson gerade noch genug Zeit zu nicken, um nicht unhöflich zu erscheinen, dann hatte er auch schon den Hörer in der Hand und eine Verbindung zu einem unserer Technikspezialisten.
»Ben, bist du es? – Super. Wir bräuchten mal deine Hilfe dabei, ein paar Identitäten aus einem geschützten Forum zu lüften. – Ja, dringend. – Gut. Wir sind heute nicht in unserem Büro, sondern im Konferenzraum auf der achten Etage.«
Wilson hatte sich mittlerweile einen Schreibtisch gegenüber von Phil ausgesucht und den Computer gestartet. Ich hatte den Stapel Akten geholt und mich neben Phil gesetzt und reichte ihm jetzt die ersten Blätter, die ich schon überflogen hatte.
Kurz darauf trat Ben Browder, einer unserer Technikprofis, ins Büro und kam zu uns herüber. Wir stellten ihn und Zach Wilson einander vor und erklären Ben kurz, worum es ging. Er ließ sich von Wilson die Daten des Forums geben und machte sich dann zusammen mit seinem Partner an die Arbeit.
***
Es dauerte etwa eine Stunde, bis Phil und ich uns durch die Akten gearbeitet hatten.
»Zeit für einen Kaffee«, sagte Phil, als er sah, dass ich fertig war.
»Ja, den haben wir uns verdient. Wie sieht es bei dir aus, Zach?«, fragte ich unseren Kollegen.
»Nein danke, ich mache hier noch etwas weiter. Kann sein, dass ich was gefunden habe, aber ich muss es erst noch überprüfen«, antwortete er.
Phil und ich verließen das Büro und holten uns vom Automaten am Ende des Ganges einen Kaffee. Der war zwar nicht zu vergleichen mit Helens, aber immerhin trinkbar.
»Und, was hältst du bisher von Wilson?«, fragte ich Phil.
»Schwer zu sagen«, meinte Phil. »Er scheint ganz nett zu sein, aber ich werde noch nicht ganz schlau aus ihm. Er ermittelt gegen diese Gruppe, und gerade als es anfängt, spannend zu werden, hört er auf, weil er mit anderen Aufgaben zu beschäftigt ist?«
Ich wusste, was er meinte. Aus den Unterlagen, die wir gelesen hatten, war zu ersehen gewesen, dass TAWI durchaus gewalttätiges Potenzial vermuten ließ – einige Äußerungen in dem Forum, in das Wilson sich eingehackt hatte, deuteten darauf hin. Doch statt seine Vorgesetzten zu informieren und dafür zu sorgen, dass dem weiter nachgegangen wurde, wie Phil und ich es gemacht hätten, hatte er sich auf andere Aspekte konzentriert und TAWI nicht weiter beachtet.
»Vielleicht war er von der eigentlichen Sache, an der er zu der Zeit arbeitete, zu sehr in Beschlag genommen und hat es einfach nicht registriert«, versuchte ich mich an einer Erklärung, auch wenn ich wusste, dass uns das nicht passiert wäre und es auch nicht passieren durfte. »Im Nachhinein ist es immer leicht zu sagen, wo jemand anders vorher etwas hätte bemerken müssen.«
»Auch wieder wahr«, meinte Phil und wechselte das Thema. »Wollen wir mal sehen, wie weit Ben inzwischen gekommen ist?«
Ich stimmte zu und wir gingen zum Büro von Ben Browder und Michael Nawrath.
»Na, schon Kaffeepause?«, begrüßte uns Michael, der vor einem der zahlreichen Rechner im Raum saß, mit Blick auf die Pappbecher in unseren Händen.
»Nein, ein kreatives Meeting«, konterte Phil.
»Ach, so nennt man das heutzutage«, lachte Ben, der vor einem anderen Computer saß. »Damit ist es jetzt aber aus, wir haben was für euch.«
»Prima. Kommt ihr zu uns in den Konferenzraum oder sollen wir Agent Wilson hierher bitten?«, fragte ich.
»Wir kommen zu euch«, antwortete Ben, nahm einen Stick und stand auf.
Gemeinsam gingen wir zurück in unser derzeitiges Büro und setzten uns an den Konferenztisch. Zach Wilson beendete etwas an seinem Computer, setzte seine Brille wieder auf, die er während der Arbeit am Computer abgelegt hatte, und kam zu uns. Ben steckte seinen Stick in den Computer, der mit dem Beamer verbunden war, und rief eine Datei auf.
»Diese Leute sind sehr vorsichtig mit dem, was sie sagen beziehungsweise schreiben«, begann er, »aber glücklicherweise sind es keine Computerprofis. Es war relativ leicht, die Identitäten zu ermitteln. Allerdings scheint es so, dass sich nicht alle Mitglieder an dem Forum beteiligen. Es werden gelegentlich Decknamen genannt, die im Forum nicht vorkommen. Dazu konnten wir nichts herausfinden. Aber hier die Identitäten, die wir ermitteln konnten.«
Während er die Namen nannte, rief er jeweils ein Foto und einen kurzen Steckbrief auf.
»G. Washington alias Daniel Lundgren. Er ist Richter am District Court for Eastern New York und scheint der Anführer der Gruppe zu sein. D. D. Eisenhower alias Donald Herrington ist Direktor der Eisenhower Academy. W. McKinley alias Sylvester Meyer-Dunham ist stellvertretender Leiter des Pharmakonzerns BestMed und E. Roosevelt alias Mary-Louise Parragon ist Aufsichtsratsvorsitzende der Konzerngruppe WWG Media aus Washington. Außerdem gibt es noch einen C. Coolidge und einen H. Hoover, die wir nicht ermitteln konnten. Das war’s von uns. Jetzt seid ihr dran.«
»Interessante Wahl der Decknamen«, warf Zach Wilson ein. »Das ist mir damals schon aufgefallen. Sie zeigen eine deutliche republikanische Orientierung der Gruppe, was wiederum zu den Zielen passt.«
»Hast du im Internet was gefunden?«, wollte ich von ihm wissen.
Er schüttelte den Kopf. »Nein, leider nichts Neues. Wie Agent Browder schon sagte, sie sind sehr vorsichtig in dem, was sie ins Netz stellen.«
»Okay. Dann sollten wir uns zunächst einmal genau über die Leute informieren, die Ben und Michael identifiziert haben. Anschließend legen wir fest, wie wir weiter vorgehen«, schlug ich vor.
»Braucht ihr uns noch?«, fragte Michael.
»Im Moment nicht«, antwortete Phil nach einem kurzen Blick zu Wilson und mir. »Vielen Dank für die schnelle Arbeit. Wenn wir wieder was haben, melden wir uns.«
»Alles klar«, bestätigte Michael und verließ gemeinsam mit seinem Partner das Büro.
»Ich würde vorschlagen, ich kümmere mich um die Dame aus Washington. Ihr nehmt auch jeder einen, und wer zuerst fertig ist, nimmt den Vierten«, sagte Wilson und erhob sich. »Einverstanden?«
»Gut, machen wir so«, stimmte ich zu. »Phil, wen nimmst du?«
»Ich hatte schon immer eine Schwäche für George Washington, also übernehme ich den Richter, wenn du nichts dagegen hast.«
Ich zuckte die Schultern. »Kein Problem, dann kümmere ich mich um Eisenhower.«
***
Donald Herrington war sechsundfünfzig Jahre alt, gebürtiger New Yorker und ehemaliger Offizier der Army. Nach seiner ehrenvollen Entlassung aus der Army vor sechs Jahren hatte er die Eisenhower Academy gegründet, eine private Tagesschule, die großzügig Stipendien für Kinder aus sozial schwachen Familien vergab und regelmäßig erfolgreich Anwerbungsveranstaltungen für die Army durchführte. Er war nicht polizeibekannt, abgesehen davon, dass er mit diversen hochgestellten Persönlichkeiten des NYPD gut gestellt war, da er immer wieder auch Programme hatte, wo er vorbestrafte Jugendliche auf seine Schule aufnahm und durch den dort herrschenden militärischen Drill »zur Vernunft brachte«. Mehr gaben unsere internen Suchsysteme nicht über ihn her.
Im Internet gab es sowohl eine private Seite von Donald Herrington als auch eine seiner Schule. Beide Seiten waren offensichtlich von einem PR-Spezialisten gestaltet worden und gaben mir keine wirkliche Auskunft über Herrington. Berichte über ihn gab es ebenfalls, teilweise aus der Presse, wo er mit wichtigen Leuten abgebildet war, wenn er mal wieder ein besonderes Stipendium gewährt hatte, teilweise von Eltern, die die Disziplin lobten, die ihre Kinder gelernt hatten, und teilweise von Kindern, die sich über seine Disziplin und Strenge beschwerten, doch nichts, was mir bezüglich TAWI weiterhalf.
Also widmete ich mich der Kontenüberprüfung von Herrington.
»Hier ist was«, unterbrach Phil die Stille im Raum. »Schaut mal.«
Wilson und ich standen auf und gingen zu Phil. Auf seinem Bildschirm war ein Foto, das offenbar auf einer Party aufgenommen worden war. Der Mann im Vordergrund war mir von dem Bild, das Ben uns kürzlich gezeigt hatte, bekannt als Richter Daniel Lundgren. Er schüttelte dem Bürgermeister die Hand, der ihm eine Auszeichnung überreicht hatte. Doch Phil deutete auf einen Mann, der im Hintergrund gerade noch zu erkennen war und mir bekannt vorkam.
Zach Wilson beugte sich vor und rückte seine Brille zurecht. »Wer ist das?«
»Marc Owens, Ex-CIA-Agent und vermutlich Mörder, was ihm aber nicht nachgewiesen werden konnte. Vor etwa sechzehn Monaten zu zwei Jahren verurteilt worden wegen Körperverletzung, vor etwa zwei Wochen ausgebrochen und seitdem auf der Flucht«, ratterte Phil herunter.
»Und von wann ist dieses Foto?«, nahm Wilson die Frage vorweg, die sich auch mir stellte.
»Es wurde vor ungefähr zwei Wochen bei einer Party, die der Richter gegeben hat, aufgenommen.«
»Dann sollten wir wohl mal mit dem Herrn sprechen«, meinte ich. »Druck das Foto aus und speichere den Link auf deinem Smartphone, sodass wir es ihm zeigen können.«
»Wo hast du das Foto eigentlich gefunden?«, wollte Wilson wissen.
Phil lachte auf. »Interessanterweise auf der Website des Gerichtshofs, unter Presse. Ich bin gespannt, was er dazu sagt.«
»Euch ist aber schon klar, dass wir sehr diplomatisch vorgehen müssen? Wir haben nicht wirklich etwas in der Hand und wollen nicht die Pferde scheu machen«, sagte Zach Wilson bedächtig. »Und wir sollten zuerst noch Mister High und Mister Harper informieren. Außerdem sind wir noch nicht fertig mit der Recherche bezüglich der anderen. Wäre es nicht sinnvoll, die erst abzuschließen, dann die Chefs zu informieren und anschließend die Nachforschungen vor Ort anzustellen?«
Ich wechselte einen Blick mit Phil. Anscheinend war Zach Wilson eher ein Schreibtischtäter und nicht so erpicht darauf, Verdächtigen zu begegnen. Vielleicht befürchtete er auch, dass seine Karriere zu Schaden käme, wenn er hochgestellte Personen zu befragen hatte. Grundlegend war aber auch nichts daran verkehrt, erst die Überprüfung der Verdächtigen abzuschließen. Daher nickte ich, auch wenn ich wusste, dass Phil jetzt lieber aktiv werden würde, und es mir nicht viel anders ging.
»Okay«, stimmte auch Phil zu. »Bist du fertig mit Roosevelt, Zach?«
»Noch nicht ganz, ich muss noch ein paar Daten verifizieren«, antwortete der.
»Ich bin fast mit Herrington durch, dann kann ich mir McKinley vornehmen«, sagte ich und ging zurück an meinen Schreibtisch.
Wilson hob die Hand. »Wir können es auch so machen, dass ich McKinley nehme und wir noch jemanden dazuholen, der die Daten über Mary-Louise Parragon, wie Roosevelt heißt, überprüft. Das ist wirklich nichts Schwieriges, nur Fleißarbeit, und so wären wir schneller fertig.«
»Können wir machen«, stimmte ich zu und revidierte meine Meinung über Wilson als Schreibtischheld etwas. »Ich kläre das mit Mister High.«
***
Wie nicht anders erwartet, war es kein Problem, jemanden zur Unterstützung zu bekommen, und kurz darauf stand der Agent vor der Tür, den Mr High geschickt hatte.
»Hallo, ich bin Agent Rodney Miller und soll Ihnen helfen«, stellte sich der junge Mann vor. Ich kannte ihn vom Sehen, hatte aber noch nicht mit ihm zusammengearbeitet. Aber von Joe Brandenburg, der ihn unter die Fittiche genommen hatte, als Rod ganz frisch aus Quantico gekommen war, wusste ich, dass er ein vielversprechender Neuling war.
»Kommen Sie rein, Rod«, lud ich ihn ein und stellte uns vor. Agent Wilson erklärte ihm dann, was er zu tun hatte, und er setzte sich an einen der freien Schreibtische und machte sich an die Arbeit.
Ich machte mich wieder daran, die Kontobewegungen von Herrington zu überprüfen, was einige Zeit in Anspruch nahm, da Herrington die diversen Konten viel nutzte. Gelegentlich gab es Barabhebungen, die mir auffielen, aber nichts, für das man nicht eine einleuchtende Erklärung finden könnte. Seine Schule erhielt viele Spenden, und er selbst spendete gelegentlich an wohltätige Projekte, vornehmlich von der Army initiierte. Ansonsten waren keine Besonderheiten zu verzeichnen.
Ich fasste die Ergebnisse schriftlich zusammen und schaute dann, wie weit Phil und Wilson waren. Beide waren noch in Dokumente auf ihren Computern vertieft, doch Rod Miller war fertig und sah sich im Raum um. Als er sah, dass ich ebenfalls fertig war, kam er zu mir.
»Alle Daten, die Agent Wilson zur Überprüfung herausgesucht hatte, sind korrekt«, berichtete er mir. »Mistress Parragon war im letzten halben Jahr regelmäßig einmal im Monat für zwei Tage in New York, hat einen Geschäftsbesuch gemacht und ist abends ausgegangen, aber nicht mit dem Geschäftspartner. Im Hotel weiß man nicht, wohin sie gegangen ist. Und sie hat in Yale studiert, zur selben Zeit wie Richter Daniel Lundgren.«
»Vielen Dank, ich gebe es weiter.«
Er machte Anstalten zu gehen, kam dann aber noch einmal zurück, offensichtlich von Neugier getrieben. »Stimmt es, dass Sie gegen Leute ermitteln, die einen Anschlag auf den Präsidenten planen?«
Ich lächelte über den Eifer in seiner Stimme und fühlte mich an meine Anfangszeit beim FBI erinnert. Ich konnte mir schon denken, worauf diese Frage hinauslief.
»Ja, das ist richtig«, sagte ich aber nur.
»Und Mistress Parragon und Richter Lundgren sind Verdächtige?«, fragte er weiter.
»Wir stehen noch ganz am Anfang der Ermittlungen«, antwortete ich ausweichend.
»Wie gehen Sie weiter vor?«, wollte Miller wissen.
»Zunächst einmal suchen wir Daten über die Verdächtigen heraus, dann müssen wir mit ihnen sprechen. Ausgehend von den Informationen, die wir dadurch gewinnen, planen wir unser weiteres Vorgehen.«
Er nickte zustimmend, als würde er es genauso machen, und stellte dann die Frage, mit der ich schon die ganze Zeit gerechnet hatte. »Wenn Sie noch jemanden brauchen, der Ihnen hilft … also, ich meine beim Ermitteln und Festnehmen, ich bin ja jetzt gewissermaßen schon mit dem Fall vertraut … sagen Sie mir Bescheid?«
»In Ordnung«, stimmte ich zu.
Phil machte ein Zeichen, dass er fertig sei, und Miller verabschiedete sich beschwingt und verließ den Raum. Kurz darauf war auch Wilson so weit und wir verglichen unsere Ergebnisse. Ähnlich wie bei Herrington war von den anderen drei keiner polizeilich auffällig. Dafür unterstützten alle irgendwelche karitativen Einrichtungen und waren darauf bedacht, gute PR zu bekommen. Abgesehen von Mrs Parragon lebten alle in der City oder in der Umgebung von New York, und diese Dame kam regelmäßig nach New York, sodass Treffen kein Problem wären. Lundgren und Parragon waren zur selben Zeit in Yale gewesen, Herrington wenige Jahre später. Meyer-Dunham hatte in Harvard studiert, war allerdings deutlich jünger als die übrigen, nämlich zweiundvierzig.
Bei keinem gab es finanzielle Unregelmäßigkeiten oder sonstige Auffälligkeiten.
»Viel ist das nicht«, meinte Phil.
»Gut, dass du wenigstens das Foto gefunden hast«, sagte ich. »Lasst uns Mister High informieren und dann da ansetzen.«
***
Mr High war gerade in einer Besprechung außerhalb, daher hinterließen wir ihm einen kurzen schriftlichen Bericht und machten uns direkt auf den Weg. Wilson stieg zu uns in den Jaguar und machte es sich auf dem Rücksitz bequem.
»Schönes Auto«, sagte er und bestaunte die Ausstattung. »Das ist aber kein Dienstfahrzeug, oder?«
»Nein, das ist mein Privatwagen. Da ich ihn aber im Dienst nutze, ist er entsprechend ausgestattet«, erklärte ich.
Er stellte weitere Fragen zum Wagen, die ich ihm gerne beantwortete, während wir über die Brooklyn Bridge nach Brooklyn fuhren. Dort, am Cadman Plaza East, lag das Gericht, in dem Lundgren arbeitete.
Phil hatte, während ich den Bericht an Mr High verfasste, dort angerufen und einen Termin mit dem Richter vereinbart.
»Hier ist es«, sagte er jetzt, nur wenige Minuten später, und deutete auf ein hohes Gebäude aus Beton und Glas. Ich suchte einen Parkplatz in der Nähe.
An der Rezeption wurden unsere Ausweise überprüft und der Rezeptionst rückversicherte sich bei Lundgren, dass dieser uns tatsächlich erwartete. Als er die Bestätigung bekam, beschrieb er uns den Weg zum Büro des Richters.
Lundgren, ein bulliger, grauhaariger Mann von Anfang sechzig, blickte auf, als wir eintraten, blieb jedoch hinter seinem Schreibtisch sitzen.
»Guten Tag, meine Herren. Was kann ich für Sie tun?«, begrüßte er uns, allerdings ohne uns anzubieten Platz zu nehmen. Es schien, als wolle er uns schnell wieder loswerden.
Ich stellte uns vor und fuhr dann fort: »Wie Agent Decker Ihnen am Telefon schon sagte, geht es um die Sicherheit des Präsidenten. Wir ermitteln bezüglich einer Morddrohung gegen ihn und sind im Rahmen dessen auf dieses Bild gestoßen.«
Phil legte Richter Lundgren den Ausdruck auf den Tisch, der ihn sich kurz besah und dann fragte: »Und? Halten Sie den Bürgermeister oder mich für den Attentäter?«
Ohne darauf einzugehen, deutete ich auf Owens und sagte: »Es geht um diesen Mann hier. Wie kommt es, dass er auf Ihrer Party war?«
Lundgren kniff die Augen zusammen, als er wieder auf das Bild schaute, und knurrte dann: »Ich kann nichts erkennen. Meine Augen sind nicht mehr, was sie mal waren. Von welchem Mann reden Sie?«
Ich machte Phil ein Zeichen, das Bild auf seinem Smartphone aufzurufen und Owens zu vergrößern, sodass er gut zu erkennen war, und erklärte gleichzeitig an Lundgren gewandt: »Das ist Marc Owens.«
»Sagt mir nichts. Wer ist das? Lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen.«
»Marc Owens, verurteilt wegen Körperverletzung, vor zwei Wochen von Rikers Island geflohen. Ebenfalls vor zwei Wochen findet er sich hier auf einem Foto auf Ihrer Feier«, führte ich aus.
»Was wollen Sie mir damit unterstellen?«, schnauzte Lundgren mich an.
»Ich unterstelle nichts, ich sammle Informationen«, stellte ich richtig.
Lundgren sah mich skeptisch an, ließ sich dann aber dazu herab zu sagen: »Ich unterstütze viele wohltätige Projekte, unter anderem eines zur Resozialisierung von Kriminellen. Im Rahmen dessen lade ich gelegentlich zu Veranstaltungen, die ich ausrichte, Teilnehmer dieses Programms ein. Dieser Mann wird wohl einer davon gewesen sein. Wenn er kurz danach geflohen ist, ist das bedauerlich, hat aber nichts mit mir zu tun.«
Ich warf Phil einen Blick zu, der immer noch mit seinem Smartphone beschäftigt war. Schließlich zuckte er die Schultern und steckte es wieder ein.
»Verstehe«, sagte ich zu Lundgren. »Sie kennen ihn also nicht?«
»Nein, es sei denn, Sie verstehen unter ›kennen‹, dass ich ihm und den anderen Teilnehmern des Programms die Hand geschüttelt und ihnen ein paar aufbauende Worte gesagt habe. Und wenn Sie noch einmal andeuten, ich hätte etwas mit Attentätern zu tun, wird es Ihnen leidtun«, konterte er.
Zach Wilson wechselte abrupt das Thema. Er sah Lundgren scharf an und fragte: »Sagt Ihnen True Americans of Wealth and Influence etwas?«
Lundgren schaute ihn zwei Sekunden lang an und antwortete dann: »So nennt sich ein loser Zusammenschluss von Freunden und Bekannten von mir, die karitative Aktionen und Veranstaltungen unterstützen, dabei aber nicht im Vordergrund stehen möchten. Aber das wird wohl kaum etwas mit diesem Owens und dem Präsidenten zu tun haben. Jetzt entschuldigen Sie mich, ich bin mit dem Oberstaatsanwalt zum Lunch verabredet.«
Wilson wollte noch etwas fragen, doch da war Lundgren schon an der Tür und hielt sie uns demonstrativ auf. Wir verabschiedeten uns und gingen zurück zum Jaguar. Erst dort sprachen wir wieder miteinander.
»Was war mit dem Bild?«, wollte ich von Phil wissen. »Warum hast du es ihm nicht gezeigt?«
»Ich habe es nicht mehr gefunden. Ich hatte mir den Link gespeichert, aber auf der Seite, die daraufhin geöffnet wurde, waren nur noch die anderen Fotos zu sehen, dieses bestimmte scheint gelöscht worden zu sein«, erklärte er.
»Gelöscht? Nur dieses eine Foto?«, fragte Wilson skeptisch.
Phil zuckte mit den Schultern. »Kommt mir auch komisch vor. Ich lasse das von Ben und Michael überprüfen.«
»Und was sagt ihr zu Lundgren?«, wollte Wilson als Nächstes wissen.
»Wie wär’s, wenn wir das beim Essen besprechen? Ich habe Hunger«, schlug Phil vor.
Ich nickte und auch Wilson stimmte zu.
***
Kurze Zeit später saßen wir in einer abgeschiedenen Ecke eines italienischen Restaurants. Ich trank einen Schluck von meinem Wasser und sagte: »Also, Lundgren. Hast du bei der Recherche irgendwas darüber gefunden, dass er ein Resozialisierungs-Projekt unterstützt?«
»Ja, habe ich«, bestätigte Phil. »Er engagiert sich seit etwa einem Jahr dafür, hat das Projekt hier in New York sogar ins Leben gerufen, wenn ich mich recht erinnere. Die Geschichte könnte also stimmen.«
»Trotzdem war sein Verhalten seltsam«, warf ich ein. »Wenn ein Zögling aus seinem Projekt geflohen wäre, noch dazu einer, der erst kurz zuvor bei ihm war, müsste es ihm doch bekannt sein.«
»Vielleicht hat er nur ein schlechtes Namensgedächtnis«, meinte Wilson. »Das Bild konnte er ja nicht erkennen …«
»… sagt er«, unterbrach ihn Phil, doch Wilson sprach ungerührt weiter.
»… und als Jerry ihm erklärte, um wen es sich handelt, hat er ja direkt gesagt, dass er Teilnehmer an seinem Programm ist.«
»Vielleicht«, wiederholte ich ebenso wenig überzeugt wie Phil.
Dann trat die Kellnerin an unseren Tisch und servierte unser Essen, und wir unterbrachen unsere Unterhaltung.
»Sind wir denn nun einen Schritt weiter oder nicht?«, fragte Zach Wilson und nahm seine Brille ab, um sie zu polieren, als alle Teller leergegessen waren.
»Schwer zu sagen«, meinte Phil und signalisierte der Kellnerin, einen Espresso zu bringen. »Noch jemand?«
Wilson nickte, ich lehnte ab, und die Kellnerin, die das mitbekommen hatte, machte sich an der Theke zu schaffen und brachte kurz darauf zwei kleine Tässchen dampfenden, starken Kaffee.
»Ich finde, wir sollten noch ein bisschen an dieser Owens-Sache dranbleiben. Es ist der einzige Ansatzpunkt, den wir bisher haben, der einzige dunkle Fleck auf den weißen Westen der TAWI-Mitglieder. Und der Besuch bei Lundgren und die Flucht liegen extrem nahe beieinander«, nahm Phil das Gespräch wieder auf.
»Du meinst, sie haben etwas mit Owens’ Flucht zu tun? Dann wäre es aber nicht sehr geschickt, das direkt nach der Feier bei Lundgren zu machen. Sie müssen doch damit rechnen, dass es Nachforschungen zur Flucht gibt und man dabei auf Lundgren stößt«, fragte Wilson und rührte Zucker in seinen Espresso.
»Einerseits hast du recht. Andererseits kann es aber auch absichtlich so gelegt worden sein, denn angenommen, Lundgren hat tatsächlich etwas mit der Flucht zu tun, hätte er so die Gelegenheit gehabt, sich mit Owens abzusprechen, ohne dass es auffällt, und wer würde den Richter verdächtigen, etwas mit der Sache zu tun zu haben, wenn er ihn nicht, wie wir, von vornherein im Visier hätte?«
»Aber wenn TAWI etwas damit zu tun hätte und sie wirklich mit Owens zusammenarbeiten würden, um den Präsidenten umzubringen, warum ihm dann schon drei Wochen vor dem geplanten Anschlag zur Flucht verhelfen? Damit steigt doch nur die Gefahr, dass er gefunden wird«, brachte Wilson ein weiteres Gegenargument hervor.
»Oder aber«, übernahm Phil, »die Behörden lassen in ihrer Aufmerksamkeit nach, da sie davon ausgehen, dass Owens ins Ausland abgehauen ist, wenn er in der Zwischenzeit nicht gefunden wurde, was es ihm einfacher macht, sich in der Stadt zu bewegen. Und Versteckmöglichkeiten haben diese Herrschaften ja wohl genug.«
Wilson nickte zustimmend, trank seinen Kaffee aus und sagte: »Also, auf nach Rikers Island.«
***
Von unterwegs rief Phil Mr High an und informierte ihn über den Verlauf des Besuchs bei Lundgren. Auch unsere weitere Vorgehensweise legte er dar.
»In Ordnung, machen Sie es so«, hörte ich unseren Chef über die Freisprecheinrichtung des Telefons. »Ich melde Sie dort an und informiere Mister Harper. Sprechen Sie noch mit Ben Browder bezüglich der Nachforschungen wegen dieses Fotos, das gelöscht wurde.«
Phil bestätigte das und rief den Technikspezialisten gleich im Anschluss an. Ben sagte zu, dass er und Michael sich darum kümmern würden.
Kurz darauf meldete sich Mr High noch mal, um uns mitzuteilen, zu welchem der zehn Gefängnisse auf Rikers Island wir fahren mussten und wer der Ansprechpartner war. Um dorthin zu gelangen, mussten wir quer durch Queens und kamen am LaGuardia Flughafen vorbei, ehe wir über die Francis-Buono-Brücke nach Rikers Island fuhren.
Wir wurden mehrfach gründlich überprüft, ehe wir schließlich vor Bertram Russels, dem Gefängnisdirektor, standen.
Der hagere Mann Mitte fünfzig mit militärischer Ausstrahlung bat uns an einen Konferenztisch.
»Setzen Sie sich. Ich bin froh, dass Sie gekommen sind«, begann er, was mich aufhorchen ließ. Üblicherweise sind die Verantwortlichen nicht eben froh, wenn andere Behörden ein Versagen, wie einen Ausbruch, in ihrem Bereich untersuchen.
»Ich sprach vor kurzem noch mit dem Zuständigen des NYPD wegen Owens, und er sagte mir, dass es Hinweise gibt, dass er sich nach Mexiko abgesetzt hat und die intensive Suche beendet wird«, fuhr Russels fort und machte ein besorgtes Gesicht.
»Und Sie gehen nicht davon aus, dass Owens in Mexiko ist?«, fragte Wilson.
»Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht«, jammerte Russels beinahe, was nicht zu seiner Erscheinung passte. »Der Präsident kommt bald in die Stadt, und das macht mir Sorgen.«
Ich wechselte einen Blick mit Phil, der so verwirrt aussah, wie ich mich fühlte. Wilson schien es ähnlich zu gehen, er fragte: »Was hat Owens mit dem Präsidenten zu tun?«
»So genau kann ich das gar nicht sagen, ich habe keine eindeutigen Beweise. Es ist nur so, dass Owens sich sehr abfällig über die Regierung und besonders den Präsidenten geäußert hat. Soweit ich weiß, hat er den Präsidenten dafür verantwortlich gemacht, dass er bei der CIA rausgeflogen ist, was natürlich völlig absurd ist. Und ich hörte, dass er ihm Rache geschworen haben soll. Dazu jetzt dieser Ausbruch so kurz vor dem Besuch des Präsidenten …«
»Wie ist Owens entkommen?«, wollte Phil wissen.
Russels sah etwas unangenehm berührt aus, antwortete jedoch ohne Zögern. »Wir wissen es noch nicht. Ich habe natürlich Untersuchungen eingeleitet.«
»Natürlich«, sagte Phil und fragte leicht genervt nach: »Und was haben Sie bisher herausgefunden?«
»Er war im Rahmen des Resozialisierungsprogramms, an dem er teilnahm, bei einer Veranstaltung gewesen und planmäßig zurückgekommen. In der Nacht gab es etwas Aufruhr, weil sein Zellengenosse und einige andere Insassen aus der Umgebung seiner Zelle plötzlich krank wurden und ins Gefängniskrankenhaus hier auf der Insel verlegt werden mussten. Erst am Morgen fiel auf, dass er weder in seiner Zelle noch im Krankenhaus war. Er muss bei den Verlegungen irgendwie eine Gelegenheit gefunden haben zu entkommen.«
»Aha«, machte Phil, nicht sehr überzeugt. »Kann ich mir die Akten ansehen, die Sie zu dieser Untersuchung angelegt haben?«
»Wenn Sie unbedingt wollen«, antwortete Russels und klang dabei alles andere als begeistert und hilfsbereit.
Phil nickte, woraufhin der Gefängnisdirektor einen Sekretär herbeirief und ihn anwies, Phil in ein bestimmtes Büro zu bringen und ihm dort die Owens-Akten zu zeigen.
Ich entschied mich, bei Russels zu bleiben und ihm noch einige weitere Fragen zu stellen. Es ging mir nämlich nicht aus dem Kopf, wie gut alles zueinander passte. Lundgren deutet an, dass Owens ein Attentäter sei, Russels erzählt, dass Owens möglicherweise den Präsidenten angreifen wolle – sollte also tatsächlich ein Anschlag auf ihn erfolgen, gäbe es direkt einen vorgefertigten Hauptverdächtigen.
Doch wieso sollte Russels dieses Spiel mitspielen – außer er gehörte ebenfalls zu TAWI?
»Woher wissen Sie, dass Owens Rache geschworen hat?«, kam ich auf ein Thema zurück, das für mich noch Fragen offen gelassen hatte.
»Was?«, sagte Russels verdattert und fing sich dann wieder. »Ach so. Leider weiß ich es nicht mehr. Irgendjemand hat es mir erzählt, aber zu der Zeit habe ich dem keine große Bedeutung beigemessen. Sie wissen ja, wie das mit Verbrechern ist, immer geben sie anderen die Schuld für ihre Fehler und wollen sich rächen, aber meistens ist es nur heiße Luft.«
»Hat er sich häufig abfällig über den Präsidenten und die Regierung geäußert?«, war meine nächste Frage.
Russels überlegte einen Moment und erklärte dann: »In fast jedem Gespräch, das ich mit ihm hatte, tat er das.«
»Und anderen gegenüber?«, hakte ich nach.
»Das weiß ich leider nicht.«
»Sie haben erst am Morgen gemerkt, dass Owens geflohen war, sagten Sie«, mischte Wilson sich auch wieder in das Gespräch ein. »Was haben Sie da unternommen?«
Russels zählte die Standardaktionen auf. Wir stellten danach noch ein paar Fragen, erfuhren aber nichts Neues oder Wissenswertes mehr. Kurz darauf stieß auch Phil wieder zu uns und wir verabschiedeten uns.
»Was hast du rausgefunden?«, wollte Wilson von Phil wissen, als wir wieder im Jaguar saßen.
»Nicht allzu viel«, antwortete der. »In den Akten steht das, was er uns gesagt hat. Es gibt zig Berichte, von jedem Insassen und Wärter und sonstigen Angestellten, von denen aber keiner sachdienliche Hinweise enthält. Überhaupt war das Ganze extrem formell und papierlastig. Zwei Beamte beschäftigen sich mit der Untersuchung und sind direkt Russels unterstellt. Ich habe kurz mit ihnen gesprochen. Sie sagen, Russels hat sie persönlich für diese Aufgabe ausgesucht, weil sie so gewissenhaft sind. Ich sag euch, wenn ich der Chef wäre, ich würde die beiden höchstens zum Aktensortieren einsetzen, und zwar bei den Akten, wo es nicht drauf ankommt, wann sie fertig werden. Mag sein, dass sie gewissenhaft sind, aber unglaublich umständlich und langsam, wenn ihr mich fragt.«
»Interessant«, sagte ich. Wilson sah mich ungläubig, Phil mich fragend an.
»Könntet ihr euch vorstellen, dass Russels mit Lundgren unter einer Decke steckt?«, warf ich meine Vermutung in die Runde.
Phil schien sich darüber Gedanken zu machen, während Wilson direkt fragte: »Wie kommst du denn darauf?«
»Verschiedenes«, begann ich und führte dann aus: »Lundgren bezeichnet Owens als Attentäter, Russels erklärt, dass Owens den Präsidenten bedroht habe, wobei er als Quelle allerdings nur sich selbst und einen unbekannten Irgendjemand nennen kann. Soweit ich weiß, muss er als Direktor des Gefängnisses zustimmen, wenn jemand an einem besonderen Projekt wie diesem Resozialisierungsprogramm teilnehmen will …«
»Stimmt, er hat die Kandidaten sogar vorgeschlagen – und den Ausgang zu der Feier bei Lundgren genehmigt«, warf Phil ein.
»… und er setzt Beamte auf den Fall an, die anscheinend nicht die Hellsten und auf jeden Fall nicht die Schnellsten sind. Apropos, stand in den Akten, warum in dieser Nacht so viele Gefangene erkrankt sind?«
»Ja, es lag wohl an einer Salmonellenvergiftung«, antwortete Phil. »An dem Tag gab es Geflügel, das anscheinend nicht ganz durch erhitzt war. Die Köche behaupten zwar, alles genau gleich lange gebacken und streng nach Vorschrift zubereitet zu haben, aber zumindest eine Fuhre, und zwar die für die Insassen aus diesem speziellen Trakt, war es wohl nicht. Ein paar Gefangene haben ausgesagt, dass ihre Hähnchenkeulen innen noch rosa waren.«
»Das kannst du Russels aber nicht anlasten«, meinte Wilson an mich gewandt.
»Noch schließe ich es aber auch nicht aus«, sagte ich. »Es ist schon eigenartig, dass es genau die Leute aus diesem Trakt erwischt hat, und gerade zu dieser Zeit.«
»Okay, und wie machen wir dann nun weiter?«, fragte Wilson. »Konzentrieren wir uns auf Owens?«
Ich überlegte kurz. »Das wäre eine Möglichkeit, aber ich bin dagegen. Es könnte doch sein, dass es denen genau darum geht, uns auf Owens’ Spur zu locken, damit wir sie in Ruhe lassen. Abgesehen davon ist Owens vermutlich nur ein Handlanger, und wir müssen die Hintermänner ausschalten, wenn wir unseren Job wirklich machen wollen.«
Phil nickte zustimmend. »Ich bin auch dafür, dass wir jemand anders in der Owens-Sache weiterermitteln lassen und uns auf TAWI konzentrieren.«
Auch Wilson willigte ein.
***
Kurz bevor wir wieder im Field Office ankamen, klingelte mein Handy. Es war Mr High, und er hatte gute Neuigkeiten für uns.
»Jerry, hier hat sich eben eine Miss Laura Walters gemeldet. Sie ist eine Angestellte von Donald Herrington und möchte eine Mitteilung machen. Ich habe ihr Ihre Telefonnummer gegeben, sie wird Sie in Kürze anrufen.«
»Hervorragend«, sagte Phil, der über die Freisprecheinrichtung mithörte, und im Rückspiegel sah ich, dass Wilson aufgeregt an seiner Brille herumpolierte.
»Wenn Sie mit ihr gesprochen haben, kommen Sie bitte möglichst bald in mein Büro zu einer Besprechung«, bat der Chef noch und beendete das Gespräch.
Wenige Sekunden später klingelte das Handy erneut und Phil nahm das Gespräch entgegen, während ich an den Straßenrand fuhr, um mich ebenfalls auf das Telefonat konzentrieren zu können.
»Guten Tag, spreche ich mit Special Agent Jerry Cotton?«, fragte eine leise, weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung. Im Hintergrund hörte ich die typischen Geräusche eines Schnellrestaurants.
»Nein, hier ist Special Agent Phil Decker«, sagte Phil und erklärte kurz die Situation. »Mit wem spreche ich?«
»Mein Name ist Laura Walters, ich arbeite an der Eisenhower Academy. Zufälligerweise habe ich gestern Abend ein Gespräch gehört, von dem Sie wissen sollten.« Sie machte eine Pause und sprach erst weiter, nachdem Phil gefragt hatte: »Was für ein Gespräch denn?«
»Das kann ich Ihnen am Telefon nicht sagen, aber es ging um den Präsidenten«, raunte sie.
»Sollen wir zu Ihnen kommen?«, bot Phil an.
Sie lehnte vehement ab. »Das geht nicht. Mister Herrington darf nicht erfahren, dass ich Sie angerufen habe, sonst schmeißt er mich sicher raus. Außerdem ist meine Mittagspause fast um. Wir können uns heute Abend treffen, nach der Arbeit. Aber kommen Sie nicht zu mir, falls Sie jemand erkennt.«
»Welchen Treffpunkt würden Sie vorschlagen?«
»Am besten irgendwo weit weg. In Little Italy?«, schlug sie vor. »Kennen Sie das Italian American Museum Grand Street Ecke Mulberry Street?«
»Wir werden es finden«, sagte Phil.
»Gut, dann warte ich da heute Abend um acht Uhr auf Sie. Jetzt muss ich aber wirklich wieder los. Bis später.« Dann ertönte nur noch ein Tuten in der Leitung.
Ich lenkte den Jaguar wieder in den fließenden Verkehr und fuhr die letzten Meter bis zum Field Office.
»Bin gespannt, was das wird«, sagte Phil und gab mir das Handy zurück.
»Ich auch«, schloss sich Wilson an.
Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach drei Uhr nachmittags. Wir konnten also noch einiges erledigen, bevor wir uns am Italian American Museum mit Miss Walters trafen, doch ich hoffte ebenso wie die anderen beiden Agents, dass ihre Informationen uns weiterbringen würden. Bisher hatten wir nicht viele Anhaltspunkte.
***
Zunächst suchten wir Mr High auf und erstatteten ihm Bericht. Er stimmte zu, dass andere Agents sich weiter um die Owens-Sache kümmern würden, und ich schlug Rodney Miller vor, der uns schon geholfen hatte.
»In Ordnung, Agent Miller und seine Partnerin, Alicia Bentstone, können diesen Fall übernehmen. Informieren Sie sie über Ihre Ermittlungen, sodass sie wissen, worauf sie achten müssen«, wies er uns an. »Haben Sie schon Ergebnisse wegen des gelöschten Bildes von Lundgren und Owens?«
»Nein, Sir, noch nicht. Wir haben noch nicht wieder mit Ben oder Michael gesprochen. Das haben wir als nächste Aktion auf dem Plan«, antwortete Phil.
Mr High nickte. »Okay. Nun zu Ihrem Treffen heute Abend mit Miss Walters. Seien Sie vorsichtig. Wenn sie wirklich etwas Brauchbares gehört hat, bringen Sie sie lieber mit und lassen sie in einem sicheren Haus unterbringen. Ich möchte kein Risiko eingehen, dass ihr etwas passiert.«
Wir bestätigten das. Dann wandte sich Mr High an Wilson und wollte wissen, ob er irgendeine besondere Nachricht für seinen Chef habe, die er weitergeben könne, oder ob er sonst irgendetwas mitzuteilen hätte.
Wilson schüttelte den Kopf, rückte seine Brille wieder zurecht, und antwortete: »Nein, Sir, vielen Dank. Es läuft alles glatt. Außer den Daten, die wir Ihnen eben gegeben haben, habe ich keine vertrauliche Mitteilung an Mister Harper. Wenn sonst noch etwas sein sollte, könnte ich es telefonisch mit ihm besprechen.«
»Gut, dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei Ihrem weiteren Vorgehen«, wandte sich der Chef wieder an uns alle. »Informieren Sie mich nach dem Treffen mit Miss Walters. Ich bin hier im Büro erreichbar.«
Wir verließen sein Büro und gingen zurück in unser Konferenzraumbüro. Phil rief bei Ben Browder an und bat ihn, zu uns zu kommen und uns über ihre bisherigen Ergebnisse zu informieren, während ich Rod Miller anrief und ihn ebenfalls bat, zusammen mit seiner Partnerin zu uns zu kommen.
***
Das private Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte. Er hob den Hörer ab und meldete sich mit »Ja?«
»Guten Tag, spreche ich mit Philip Smith?«, fragte eine dunkle Stimme.
»Nein, da haben Sie sich verwählt«, sagte er und legte auf. Fünf Minuten später hatte er eine Ausrede gefunden, das Haus zu verlassen, und war bereits außer Sichtweite. Während er weiterging, holte er ein nicht registriertes Handy hervor und rief die SMS auf, auf die ihn der Anruf hingewiesen hatte.
»Laura Walters weiß etwas. Trifft sich heute Abend um acht Uhr mit Agents in Little Italy, am Italian American Museum, Grand Street Ecke Mulberry Street. Bringen Sie dies in Ordnung.«
Wie konnte das geschehen sein? Erst der Junge, der sie belauscht hatte, und jetzt noch Laura Walters? Da musste der Teufel seine Finger im Spiel gehabt haben.
Wie auch immer, er musste sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren und den Fehler in Ordnung bringen. Er schaute auf seine Uhr. Halb vier. Ihm blieb also nicht viel Zeit. Doch er hatte bereits einen Plan.
***
»So langsam wird unsere Runde größer«, meinte Phil und sicherte sich seinen Platz am Konferenztisch. Wilson setzte sich neben ihn, ich blieb vorläufig stehen, um unsere Kollegen zu begrüßen und für Alicia Bentstone die Vorstellung zu übernehmen.
Sie kamen alle etwa gleichzeitig an, sodass wir direkt anfangen konnten. Rod Miller war offensichtlich hocherfreut, dass ich mein Versprechen eingelöst und ihn wieder hinzugezogen hatte. Seine Partnerin, eine hübsche, dunkelhäutige Frau von Ende zwanzig, machte einen wachen und intelligenten Eindruck und schaute erwartungsvoll in die Runde.
Ich gab eine kurze Übersicht über unsere Ermittlungen, damit sich alle ein Bild machen und die Daten, mit denen sie arbeiteten oder arbeiten würden, richtig einordnen und einschätzen konnten. Dann wandte ich mich an Ben und Michael, die beide gekommen waren.
»Habt ihr bezüglich des Bildes etwas herausfinden können?«
»Nichts, das uns weiterhilft, Jerry«, antwortete Ben. »Wir haben lediglich herausgefunden, dass nur dieses eine Bild gelöscht wurde, und zwar heute um zwölf Uhr fünfzehn. Der Zugriff erfolgte vom Server des District Court for Eastern New York, aber der zuständige PR-Agent sagt, er war es nicht und er könne auch nicht nachvollziehen, wer an dem Rechner war. Es gibt einige Leute, die die Zugangsdaten kennen, sowohl vom Gericht als auch von der PR-Agentur. Er stellt eine Liste zusammen und schickt sie uns.«
»Das Erste, was uns dann interessiert, ist, ob Lundgren auf dieser Liste steht«, merkte Phil an. »Wenn ja, könnte man gezielt sein Alibi für die Zeit, als die Veränderung vorgenommen wurde, ermitteln.«
»Aber selbst wenn er die Zugangsdaten nicht hat oder über ein Alibi verfügt, könnte er immer noch jemanden beauftragt haben, das Bild zu löschen«, warf Rod Miller ein.
Ich nickte ihm zu. »Das ist richtig. Ben und Michael, ihr kümmert euch weiter darum.«
Sie nickten zur Bestätigung. Dann wandte ich mich an Rod und Alicia. »Sie beide kümmern sich bitte um die Flucht von Owens. Wie schon gesagt, uns kommt das Ganze etwas seltsam vor. Ich werde Ihnen einen Bericht mit unseren bisherigen Ergebnissen schicken, sodass Sie auch über die Details informiert sind. Sie werden ihn morgen früh haben. Machen Sie sich damit vertraut, wenn Sie Fragen haben, wenden Sie sich an uns, und dann machen Sie sich an die Arbeit.«
Beide bestätigten das mit einem knappen »Machen wir«.
Phil schaute sich im Raum um, in dem noch einige freie Plätze waren, und sagte dann: »Am besten arbeiten Sie von hier aus. Die Ermittlungen hängen ja wahrscheinlich zusammen, und so können wir uns direkt austauschen.«
»Sehr gern«, antwortete Miller, hocherfreut, im Zentrum des Geschehens dabeisein zu können.
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass es langsam Zeit wurde, uns auf das Treffen mit Miss Walters vorzubereiten, daher beendete ich das Meeting und wünschte den Kollegen einen schönen Feierabend. Sie wussten, dass wir noch ein wichtiges Treffen hatten, verabschiedeten sich zügig und verließen den Raum.
»Phil, die Daten über Laura Walters suchst du am besten unterwegs raus«, sprach ich meinen Partner an, bezog durch einen Blick zu Wilson aber auch den Secrect Service Agent mit in die Unterhaltung ein. »Ich möchte auf keinen Fall zu spät kommen, und nach Little Italy müssen wir einen Umweg fahren, wegen der Baustelle auf der Centre Street Höhe Canal Street. Ihr könnt euch ja vorstellen, was das bei diesem Verkehr bedeutet.«
»Okay«, sagte Phil, steckte seine Sachen ein und ging zur Tür. »Ich bin so weit.«
»Ich auch«, schloss sich Wilson an und rückte seine Brille zurecht.
Ich hielt ihnen die Tür auf und schloss sie hinter uns. »Dann auf in ein neues Abenteuer.«
***
Wie befürchtet hatte die Baustelle diverse Staus in diesem Teil Manhattans ausgelöst und die Strecke, für die man im Idealfall drei bis vier Minuten braucht, kostete uns über eine halbe Stunde. Rundherum sah ich Autofahrer, die entweder genervt wirkten oder sich mit dem Verkehrschaos in New York City abgefunden hatten.
Die verlängerte Fahrzeit verschaffte Phil immerhin genug Möglichkeiten, sich und uns über Laura Walters informieren.
»Siebenundzwanzig Jahre, ein paar Strafzettel wegen Geschwindigkeitsüberschreitung, lebt mit ihrem Freund zusammen in Queens«, las er vom Monitor des in der Mittelkonsole des Jaguar angebrachten Computers ab. »Sie ist gelernte Gärtnerin, hat aber nach der Ausbildung keinen Job gefunden, arbeitet jetzt seit zwei Jahren bei Herrington.«
»Ihre Großmutter ist Italienerin, als junges Mädchen hierher ausgewandert«, sagte Wilson, der vom Rücksitz aus mitlas. »Das erklärt, warum sie einen Treffpunkt in Little Italy gewählt hat.«
»Das wir jetzt übrigens erreicht haben«, informierte ich die beiden, die sich bisher auf den Bildschirm konzentriert hatten.
Kurz darauf hatte ich in der Nähe des Italian American Museum einen Parkplatz gefunden. Es war zwanzig vor acht, sodass wir noch Zeit hatten, unsere Kenntnis der Gegend aufzufrischen und Wilson Gelegenheit zu geben, sich damit vertraut zu machen. Einige Minuten vor acht standen wir neben dem Eingang des Museums und warteten auf Miss Walters. Es war nicht mehr viel los in diesem Teil von Little Italy, was es uns umso einfacher machen sollte, unsere Informantin zu erkennen.
***
»Da ist sie«, sagte Wilson.
Phil und ich folgten seinem Blick. Miss Walters, eine zierliche, dunkelhaarige Frau in modernem Outfit, kam die Grand Street entlang auf uns zu. Das Foto von ihr, das ich mir im Jaguar noch angesehen hatte, musste schon etwas älter sein, denn inzwischen waren ihre ehemals stoppelkurzen Haare schulterlang.
Sie hatte uns entdeckt und lächelte zur Begrüßung, während sie die Straße überquerte. Nur noch wenige Schritte trennten sie von uns, doch es waren ein paar Schritte zu viel. Ihr Kopf flog nach vorne, ihre Füße schafften den letzten Schritt auf den Bürgersteig nicht mehr, doch ihr Körper wurde noch vom Schwung vorwärtsgezogen. Sie stürzte uns zu Füßen und rührte sich nicht mehr. Ich hatte so etwas schon zu oft gesehen, um es nicht zu erkennen.
»Scharfschütze«, rief ich und hechtete hinter ein parkendes Auto, während ich gleichzeitig versuchte herauszufinden, aus welcher Richtung der Schuss gekommen war.
Wilson und Phil waren ebenfalls in Deckung gegangen, in Positionen, die näher bei Laura Walters lagen als meine. Wilson betrachtete sie, anschließend die umstehenden Häuser und sah dann mich an.
»Entweder von da oder dort«, sagte er und zeigte in die Richtung, aus der Miss Walters gekommen war, und in die nach links führende Straße. »Du da« – er deutete nach links, zu der Straße, der ich näher war – »ich hier, Phil kümmert sich um sie.«
Phil, der bereits sein Handy am Ohr hatte und Rettungswagen und Verstärkung anforderte, und ich nickten. Wir arbeiteten uns möglichst im Schutz von Wagen oder Hauseingängen in die angegebenen Richtungen vor, doch nichts geschah. Anscheinend hatte es der Schütze nur auf Laura Walters abgesehen gehabt.
Ich hatte eine Position erreicht, von der aus ich die Straße gut überblicken konnte. Es sah nicht gut aus. Neben den Flachdächern gab es zig andere Positionen, von wo aus der Täter geschossen haben konnte, und die Hinterausgänge und Restaurants boten ihm ausreichend Möglichkeiten, unerkannt zu entkommen. Hier brauchten wir die Crime Scene Unit, um überhaupt herauszufinden, von wo der Schuss abgefeuert worden war.
Mittlerweile sammelten sich Passanten und Restaurantbesucher und strebten dem Tatort zu, und ich ging zurück, um Phil zu helfen, die Leute zurückzuhalten. Glücklicherweise trafen Polizei und Rettungswagen ein, als ich Phil beinahe erreicht hatte, und einige Beamte errichteten Absperrungen, während der Notarzt zu Miss Walters eilte. Ich sah, dass Phil den Kopf schüttelte und der Arzt seinen Schritt etwas verlangsamte. Bis er sich selbst ein Bild gemacht hatte, hatte ich die beiden erreicht.
»Sie haben recht, hier kann ich nichts mehr machen«, sagte der Notarzt gerade zu Phil. »Das ist ein Fall für meine Kollegen von der Pathologie.«
»Ich habe sie schon informiert, sie kommen gleich«, antwortete Phil und verabschiedete sich von dem Arzt.
Wilson und der Einsatzleiter des NYPD traten auf uns zu und Phil erläuterte kurz die Situation.
»Sie war eine Informantin und wollte uns hier treffen. Doch bevor sie mit uns reden konnte – Kopfschuss, vermutlich ein Scharfschütze, Täter unbekannt und flüchtig.«
»Wir haben die Umgebung abgesperrt und kontrollieren jeden, der raus will«, versicherte der Mann vom NYPD, der sich als Sergeant Rutherford vorgestellt hatte. »Aber es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass der Typ mit dem Gewehr über der Schulter spazieren geht.«
»Die Crime Scene Unit sollte bald hier sein, sie können uns hoffentlich etwas genauere Informationen geben, was den Standort des Täters und die Art der Waffe angeht«, sagte ich, auch wenn mir klar war, dass das allein zur Ergreifung des Täters nicht ausreichte. Doch sobald wir den Standort kannten, konnten wir nach Zeugen suchen.
Sergeant Rutherford ging zu seinen Männern und Phil wandte sich zu Wilson und mir.
»Nichts«, musste ich auf seinen fragenden Blick hin mitteilen.
»Bei mir auch nicht«, schloss sich Wilson an.
»Und ich konnte nur den Tod feststellen«, berichtete Phil. »Mister High hat recht gehabt mit seiner Befürchtung. Und offensichtlich wusste Laura Walters wirklich etwas.«
»Die Frage ist nun: Was wusste sie? Und: Woher wusste jemand anders, dass sie etwas wusste und sich hier mit uns treffen wollte?«, stellte ich in den Raum.
»Das gilt es nun herauszufinden«, meinte Wilson. »Habt ihr Mister High schon informiert?«
»Ja, hab ich«, antwortete Phil. »Oh, da sind die Leute von der Crime Scene Unit.«
Die Chefin der Gruppe, die jetzt am Tatort eintraf, war Dr. Drakenhart, eine gute Bekannte von uns.
»Ihr schon wieder«, begrüßte sie uns. »Ich hätte es wissen müssen. Was habt ihr heute?«
Ich erläuterte die Situation, nachdem ich sie mit Wilson bekannt gemacht hatte, und sie hörte aufmerksam zu. Dann betrachtete sie kurz Miss Walters und gab anschließend ihren Leuten Anweisungen. Einige waren bereits dabei, starke Scheinwerfer aufzubauen, um das schwindende Tageslicht zu kompensieren.
»Das kann eine Weile dauern«, sagte ich. »Warten wir hier oder sollten wir nicht lieber die Zeit nutzen? Phil, du sagtest doch, sie lebte zusammen mit ihrem Freund in Queens. Vielleicht weiß er etwas.«
»Ja, wir sollten direkt mit ihm sprechen, bevor ihm auch noch etwas passiert«, meinte mein Partner.
Wilson schien nicht ganz überzeugt. »Wäre es nicht besser, die Ergebnisse hier abzuwarten? Vielleicht finden wir den Schützen ja doch noch.«
»Wenn du möchtest, kannst du hier bleiben, dann fahren Phil und ich alleine«, schlug ich vor. Doch davon wollte er nichts wissen.
»Nein, ich komme auch mit«, entschloss er sich.
***
Ich hatte mich entschieden, durch den Queens Midtown Tunnel nach Queens zu fahren. Theoretisch hätte ich auch über die Williamsburg Bridge fahren können, doch Laura Walters’ Wohnung lag ganz in der Nähe der Ausfahrt des Tunnels.
Vor dem mittelmäßigen Mehrfamilienhaus parkte ich und wir stiegen aus.
»Ben Quenton heißt er«, sagte Phil, der sich unterwegs schlau gemacht hatte. »Neunundzwanzig, Friseur.«
»Ja, hier ist das Klingelschild«, verkündete Wilson und klingelte. Nach kurzer Zeit ertönte der Türöffner und wir traten ein.
Im ersten Stock war eine Tür spaltweit geöffnet, zu sehen war allerdings niemand. Ich trat an die Tür, klopfte und rief: »Hallo! Ist da jemand?«
Wir hörten ein paar schnelle Schritte und ein erschrocken aussehender Mann öffnete die Tür.
»Wer sind Sie denn? Ich hatte meine Freundin erwartet.«
»Agents Wilson, Decker und Cotton, vom FBI New York«, stellte ich uns vor, ohne näher auf Wilsons Sonderrolle einzugehen. »Sind Sie Ben Quenton? Der Freund von Laura Walters?«
»Ja, bin ich«, sagte der Mann und wirkte verwirrt. »Meine Freundin wollte Sie doch in der City treffen. Haben Sie sie verfehlt?«
»Können wir reinkommen?«, stellte ich als Gegenfrage und er bat uns ins kleine Wohnzimmer der Wohnung. Wir setzten uns.