Jerry Cotton Sammelband 30 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 30 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 30: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!

G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2925: Einmal zu viel getrickst
2926: Alter Hass rostet nicht
2927: Überfahrt ins Grab
2928: Auch virtuelle Killer können töten
2929: Rien ne va plus

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

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Veröffentlichungsjahr: 2021

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2013 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive von © shutterstock: Flik47 | Nebosja Kontic ISBN 978-3-7517-0195-2 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Jerry Cotton

Jerry Cotton Sammelband 30 - Krimi-Serie

Inhalt

Jerry CottonJerry Cotton - Folge 2925Greg Preston war ein Investmentberater der besonderen Art - und nicht nur das, er war auch tot. Erschossen in seinem gepanzerten Cadillac weil er dumm genug war, das Seitenfenster für seinen Mörder zu öffnen. Da Preston die Millionen seiner Kunden verbrannt hatte, gab es genügend Leute mit einem Motiv. Zu viele für Phils und meinen Geschmack. Doch unsere Suche nach dem Täter endete nicht in den noblen Büros der Wall Street, sondern in einem der schäbigsten Viertel von New York...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2926Der Anwalt Colin Banks war auf dem Weg zurück in die Kanzlei, als er tot auf dem Bürgersteig zusammenbrach. Bei der Obduktion stellte man fest, dass er mit einem gezielten Schlag an den Hals getötet worden war. Von dem Moment an, an dem Phil und ich zu ermitteln begannen, gerieten wir in einen Sumpf von Betrug, Intrigen, Leidenschaft und noch mehr Morden, die alle nur ein Ziel hatten - das große Geld...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2927Die riesige Detonation hatte das Lokal förmlich in Stücke gerissen. Zurück waren 16 Tote und über 30 Verletzte geblieben. Es gab nicht den geringsten Hinweis auf die Täter. Eine erste, sehr vage Spur führte Phil und mich zu türkischen Immigranten, eine weitere war das Rauschgift, das im Keller des Lokals gefunden wurde. Doch bevor wir das alles näher untersuchen konnten, schickte uns Mr High hoch in den Norden von Neuengland, nach Bar Harbor, wo die Leiche eines Agenten der Einwanderungsbehörde gefunden worden war...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2928Samuel Dorff und Ivan Rogoff waren beide Stars der Hacker-Szene, begnadete Programmierer - und beide waren ermordet worden. Als wir herausfanden, dass sie zudem noch irgendwie in Verbindung mit geheimen Militärprojekten gebracht werden konnten, läuteten bei uns sämtliche Alarmglocken. Nun, von einem vagen Verdacht bis zur Gewissheit war es ein langer Weg, der über weitere Leichen führte und in einer unglaublichen Bedrohung endete...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2929Es tobte ein gnadenloser Krieg zwischen den Besitzern der legalen Spielkasinos in Atlantic City und den Betreibern illegaler Spielhöllen in New York. Ein Menschenleben zählte dabei weniger als eine Roulettkugel und die Farbe, auf die sie fiel, war immer Schwarz. June Clark geriet in das Geflecht von Intrigen und Gewalt und schließlich ging es nur noch um das Leben unserer Kollegin...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Einmal zu viel getrickst

Jerry Cotton aktuell

Vorschau

Einmal zu viel getrickst

Es war weit nach Mitternacht, als Greg Preston seinen Cadillac in die Elizabeth Street lenkte. Der Investmentberater grinste selbstbewusst. Er war stolz auf sich selbst, weil er die FBI-Agents abgehängt hatte. Preston stoppte sein Auto an einer roten Ampel. Er beobachtete eine dunkle Gestalt, die aus einem Hauseingang trat und sich schnell der Fahrerseite seines Cadillac näherte. Preston erschrak, doch dann erkannte er die Gestalt im schwarzen Mantel. Er senkte beruhigt das Seitenfenster auf der Fahrerseite.

»Was machst du denn hier? Warum bist du nicht …«

Der Mann am Lenkrad konnte den Satz nicht mehr beenden. Er wurde von zwei Schüssen getroffen. Ein Projektil drang in sein linkes Auge, das andere zerfetzte seine Halsschlagader.

Das Telefonklingeln riss mich aus dem Tiefschlaf, doch damit muss ein FBI-Agent immer rechnen. Ich griff zum Apparat und warf einen Seitenblick auf die Digitalanzeige des Weckers. Er zeigte 4.17 Uhr morgens an.

»Cotton.«

»Hier spricht Agent Duvall. Das heißt, noch bin ich beim FBI beschäftigt, Jerry. Könnte aber sein, dass June und ich uns morgen einen neuen Job suchen müssen.«

Ich erkannte die Stimme meines afroamerikanischen Kollegen Blair Duvall natürlich sofort. Und ich konnte am Tonfall hören, dass er eine miserable Laune hatte. Doch den Sinn seiner Worte begriff ich trotzdem noch nicht.

»Wie meinst du das? Ist irgendetwas bei der Beschattung von Preston schiefgelaufen?«

Blair am anderen Ende lachte rau, als ob ich einen Witz gemacht hätte.

»Schiefgelaufen? Das ist wohl die Untertreibung des Jahres, Jerry! Preston ist tot, und – ach, am besten kommen du und Phil sofort in die Elizabeth Street. Mister High will, dass ihr den Fall übernehmt. Ich kann verstehen, dass der Chef June und mir jetzt nichts mehr zutraut.«

Blair beendete das Gespräch, ohne sich zu verabschieden. Ich rief schnell Phil an, damit ich ihn gleich an unserer gewohnten Ecke aufsammeln konnte. Während ich mich in Windeseile duschte und anzog, sortierte ich innerlich die Informationen, die ich soeben von meinem Kollegen bekommen hatte.

Natürlich würde der Assistant Director Blair Duvall und seine Partnerin June Clark nicht entlassen. Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen, dass meine beiden Kollegen einen so gravierenden Fehler begangen hatten.

Der Chef hatte sie zuletzt damit betraut, den zwielichtigen Investmentberater Greg Preston zu beschatten. Preston verfügte über verschiedene Briefkastenfirmen, die er in unterschiedlichen US-Bundesstaaten gegründet hatte. Mit Hilfe dieser Unternehmen zog er vertrauensseligen Anlegern ihre sauer verdienten Dollars aus der Tasche. Und weil sich seine Machenschaften über verschiedene Staaten erstreckten, war er ins Visier des FBI geraten.

Doch Preston war ein ausgekochter Schurke. Bisher hatten wir ihm keine kriminelle Handlung nachweisen können. Jede Finanzinvestition ist schließlich mit einem gewissen Risiko verbunden. Also mussten wir uns darauf beschränken, den Verdächtigen im Auge zu behalten und sein raffiniertes Firmengeflecht zu entwirren.

Ich holte meinen Jaguar-E-Hybriden aus der Tiefgarage und fuhr zur üblichen Ecke, wo Phil soeben anmarschiert kam. Er warf sich grüßend auf den Beifahrersitz meines roten Flitzers.

»Guten Morgen, Jerry. Ich mag es gar nicht, mich ohne einen Morgenkaffee in die Arbeit stürzen zu müssen. Aber danach fragen die Kriminellen ja leider nicht. Was ist denn überhaupt passiert?«

Ich teilte meinem Freund die wenigen Informationen mit, die ich von Blair bekommen hatte. Mehr wusste ich ja auch noch nicht. Phil seufzte, während er den Sicherheitsgurt anlegte.

»Greg Preston wurde ermordet? Die Welt wird nicht um ihn trauern, und mir fallen auf Anhieb Hunderte von Verdächtigen ein.«

»Ja, es gibt unzählige Kleinanleger, die wegen seiner Machenschaften bankrottgegangen sind. Doch wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen. Lass uns abwarten, bis wir am Tatort sind und die Fakten sichten können.«

»Wo du recht hast, hast du recht, Jerry. Aber einen Kaffee hätte ich trotzdem gern.«

Blair Duvall hatte mir am Telefon nicht den genauen Leichenfundort in der Elizabeth Street genannt. Doch ich erblickte die rotierenden Rotlichter der Streifenwagen schon von weitem. Die Cops hatten bereits mit ihrem gelben Trassierband abgesperrt. Offenbar war Preston in seinem Auto ermordet worden, jedenfalls stand der Wagen an einer Ampel. Das Auto war von Spurensicherungsexperten der Scientific Research Division umringt. Uniformierte Cops leiteten den fließenden Verkehr in die Parallelstraßen um.

Trotz der frühen Stunde hatte sich auch schon die Presse eingefunden. Aber ihre Vertreter wurden von den NYPD-Beamten daran gehindert, sich dem Ort des Geschehens allzu sehr zu nähern.

Die Anschuldigungen gegen Greg Preston waren in New York City allgemein bekannt. Der gewaltsame Tod des Investmentberaters musste ein gefundenes Fressen für die Zeitungen sowie die Radio- und TV-Stationen sein.

Phil und ich hatten bereits unsere FBI-Marken an unseren Mänteln befestigt. Ich parkte hinter dem grauen Van des Coroners. Ein junger Latino-Cop erkannte mich, nickte uns freundlich zu und hob das Absperrband. Außer den SRD-Experten und Zivil-Cops von der Homicide Squad des zuständigen Reviers erblickte ich auch unsere Kollegen June Clark und Blair Duvall.

Sie standen neben dem wuchtigen gepanzerten Cadillac und wirkten in ihren langen dunklen Mänteln wie ein trauerndes Ehepaar.

***

Wir gaben June und Blair die Hand. Unsere blonde Kollegin deutete auf einen korpulenten Grauhaarigen und eine sportlich wirkende Farbige, mit denen sie gerade gesprochen hatte.

»Das sind Detective Liana Connors und Detective Sergeant Lou Sheridan vom NYPD. Sie haben uns verständigt, nachdem die Identität des Toten geklärt war.«

Phil und ich nannten ebenfalls unsere Namen und begrüßten die Kollegen vom Police Department.

»Es gibt ja die Daueranweisung, alle Informationen über Greg Preston an das FBI weiterzuleiten«, erklärte Sheridan. »Daher hat Liana sofort das Field Office verständigt, nachdem eine Streifenwagenbesatzung die Identität des Ermordeten festgestellt hat. Greg Preston wurde zwar durch die Schüsse entstellt, aber sein Gesicht ist immer noch gut zu erkennen. Außerdem fand sich im Jackett der Leiche ein Führerschein auf seinen Namen. Und der Cadillac ist ebenfalls auf ihn zugelassen.«

»Ich hätte Preston aber auch ohne diese Informationen erkannt«, ergänzte Liana Connors bitter. »Er war ja oft genug in den TV-Nachrichten zu sehen. Mein Onkel hat ihm auch seine Ersparnisse anvertraut. Mit dem Ergebnis, dass er nun mindestens bis zu seinem achtzigsten Geburtstag weiterarbeiten muss.«

Das Mordopfer hatte nach Lage der Dinge wirklich viele Menschen ruiniert. Doch das durfte unser Urteilsvermögen nicht beeinflussen. Meine private Meinung war hier nicht gefragt. Ich ging näher an den Wagen heran. Noch war an der Leiche offenbar nichts verändert worden.

Greg Prestons Körper saß noch auf dem Fahrersitz. Er war angeschnallt, der blutüberströmte Kopf hing nach rechts. Vermutlich wäre er ohne den Sicherheitsgurt zur Seite gekippt.

»Das ist doch grotesk, Jerry. Da fährt jemand einen kugelsicheren Wagen, um sich vor Attentaten zu schützen. Und dann lässt er die Seitenscheibe herunter und wird abgeknallt.«

Ich drehte mich zu Phil um, der mich soeben angesprochen hatte.

»Ja, Preston war eigentlich sehr vorsichtig. Warum hat er sich so verhalten? Er ging davon aus, dass er von seinem Mörder nichts zu befürchten hatte. Und diese Fehleinschätzung musste er mit dem Leben bezahlen.«

Phil nickte und wandte sich an June und Blair.

»Was hatte Preston überhaupt in der Elizabeth Street zu schaffen? Ihr solltet ihn doch im Auge behalten, oder?«

Unsere blonde Kollegin warf Phil einen verlegenen Blick zu. Ihre Stimme klang zerknirscht, als sie das Wort ergriff.

»Preston hat uns abgeschüttelt, Phil. Er war bis Mitternacht in seinem Fitness Club, im Gentleman’s Gym in der Second Avenue. Von dort aus sind wir seinem Cadillac gefolgt.«

»Der Verdächtige muss irgendwie gemerkt haben, dass er beschattet wurde«, ergänzte Junes Dienstpartner Blair Duvall mürrisch. »In der Nähe vom Times Square haben wir ihn verloren. Preston startete ein riskantes Überholmanöver, und danach habe ich von seinem Wagen nur noch die Bremsleuchten gesehen. Kurze Zeit später glaubte ich, ihn wiedergefunden zu haben. Doch es war ein anderer Cadillac von gleicher Bauart, an den ich mich dann gehängt habe. Als ich meinen Irrtum bemerkte, war Preston natürlich schon über alle Berge.«

»Mich trifft genauso viel Schuld wie dich«, betonte June. »Ich habe ja schließlich auch Augen im Kopf und trotzdem nichts bemerkt.«

Ich konnte verstehen, dass unsere Kollegen sich mies fühlten. Es wäre Phil und mir an ihrer Stelle nicht besser gegangen. Aber Selbstvorwürfe brachten uns nicht weiter. Ich klopfte June und Blair freundschaftlich auf die Schultern, dann wandte ich mich wieder an Lou Sheridan.

»Wie lautet der bisherige Erkenntnisstand zum Tatgeschehen?«

»Ein Autofahrer rief über Handy die 911 an. Er hatte beobachtet, wie ein Fußgänger auf einen an der roten Ampel wartenden Cadillac feuerte. Der Fahrer – er heißt Sam Knox – trat sofort auf die Bremse. Er fürchtete schon, ebenfalls beschossen zu werden. Doch der unbekannte Täter verschwand in einem Hauseingang. Das war um 3.11 Uhr. Wenig später traf ein Streifenwagen von unserem Revier ein. Unsere Kollegen drangen ebenfalls in das Haus ein, nachdem sie die Information von Sam Knox bekommen hatten. Doch es sieht ganz danach aus, dass der Schütze durch den Hinterausgang entkommen und Richtung Mott Street geflohen ist.«

»Konnte dieser Sam Knox den Täter genauer beschreiben?«, wollte Phil wissen.

»Negativ, Agent Decker. Die Entfernung zwischen seinem Auto und dem Verbrecher betrug ungefähr dreißig Yards, außerdem war es ja dunkel. Aber wir haben eine andere Hoffnung.«

Phil und ich schauten den Ermittler des NYPD fragend an. Lou Sheridan deutete auf die Kamera der Verkehrsüberwachung, die sich unmittelbar neben der Ampel befand.

»Mit etwas Glück bekommen wir eine brauchbare Videoaufzeichnung des Mordes.«

***

Liana Connors hatte schon mit den Mietern in dem Haus gesprochen.

»Die Leute sind natürlich durch die beiden Schüsse aus dem Schlaf gerissen worden«, berichtete die junge Polizistin. »Sie waren verängstigt und haben mir freiwillig ihre Apartments gezeigt. Offenbar hatte keiner von ihnen etwas zu verbergen. Ich habe mir die Namen notiert, aber bisher deutet nichts darauf hin, dass einer dieser Zeugen ein Motiv für die Tat hatte.«

Ich nickte. Natürlich würden wir diese Spuren nachrecherchieren, sobald das NYPD den Fall offiziell an uns übergeben hatte. Aber momentan sprach nichts dafür, dass einer der Mieter mit dem Mord in Verbindung gebracht werden konnte.

»Welches Fahrziel hat Preston so spät in der Nacht gehabt?«, dachte ich laut nach. »Zu seinem Penthouse wird er nicht gewollt haben, das befindet sich ja in einer ganz anderen Richtung, in der West 83rd Street.«

»Preston könnte zu einem Rendezvous unterwegs gewesen sein«, murmelte Blair, der immer noch in Weltuntergangsstimmung war. »Wir haben ihn seit drei Tagen beschattet, im Wechsel mit Joe Brandenburg und Les Bedell. Aber keiner von uns hat bisher bemerkt, ob der Finanzhai eine Geliebte hatte.«

»Wir müssen herausfinden, wohin Preston wollte«, stellte ich fest. »Wenn wir das wissen, sind wir dem Mörder schon ein gutes Stück näher gekommen. Seine Ehefrau muss auch befragt werden, außerdem weiß sie vermutlich noch nichts von seiner Ermordung. Sie soll von dem Verlust besser durch uns als durch die Medien erfahren.«

Die Leiche sollte obduziert werden, wie es bei Gewaltverbrechen üblich ist. Doch die Frage nach der Todesursache erübrigte sich für uns momentan. Es war deutlich, dass der Täter Preston ins Gesicht und in den Hals geschossen hatte. Das Opfer war an den Folgen der Schussverletzungen gestorben. Man musste kein Arzt sein, um diesen Zusammenhang zu erkennen.

Lou Sheridan sagte uns zu, das Video der NYPD-Verkehrsüberwachung so schnell wie möglich zur Federal Plaza schicken zu lassen.

Die SRD-Experten hatten in Prestons Taschen mehrere Kreditkarten sichergestellt, außerdem 53,50 Dollar in kleinen Scheinen und Münzen.

»Dann können wir wohl einen Raubüberfall ausschließen«, meinte Liana Connors. Ich widersprach dem weiblichen NYPD-Detective.

»Nicht unbedingt. Wir wissen ja inzwischen, dass dieser andere Autofahrer Sam Knox sich dem Geschehen näherte. Auch der Täter muss ihn bemerkt haben. Möglicherweise wollte er seinem toten Opfer die Brieftasche ziehen. Aber als er Knox’ Wagen bemerkt, gerät er in Panik und flüchtet.«

»Preston muss seinen Mörder gekannt haben, sonst hätte er wohl kaum das Wagenfenster geöffnet«, stellte Phil fest. »Der Raubüberfall durch einen Unbekannten kommt mir deshalb ziemlich unwahrscheinlich vor. Aber es ist auch eine andere Variante denkbar. Preston hatte etwas bei sich, was der Täter unbedingt an sich bringen wollte. Doch als Sam Knox’ Auto erscheint, läuft ihm plötzlich die Zeit davon.«

»Auf jeden Fall ist die Elizabeth Street keine typische Gegend für nächtliche Raubüberfälle«, informierte uns der grauhaarige Detective Sergeant. »Was die Straßenkriminalität angeht, so haben wir es in dieser Gegend hauptsächlich mit Taschendieben und Trickbetrügern zu tun. Aber die sind nach Einbruch der Dunkelheit meist nicht mehr aktiv.«

Ich nickte. Es erschien mir auch sehr unwahrscheinlich, dass Preston ein Zufallsopfer geworden war. Der Schlüssel zur Aufklärung dieses Mordes lag für mich im Vorleben des Opfers.

»Angenommen, der Täter wusste, dass Preston ein gepanzertes Fahrzeug fährt«, sagte ich zu Phil und den Cops. »Warum hat er dann nicht einfach am Fahrziel gewartet? Der Killer musste sich hier in der Elizabeth Street darauf verlassen, dass Preston an der roten Ampel halten würde.«

»Hast du eine Erklärung für dieses Verhalten, Jerry?«

Ich schaute Phil an und schüttelte den Kopf.

»Der Täter wollte Preston daran hindern, sein Fahrziel zu erreichen. Es ist auch vorstellbar, dass NYPD und FBI nicht erfahren sollten, wohin Prestons nächtlicher Ausflug ging.«

»Womöglich bringt die Auswertung von Prestons Handydaten etwas«, warf Liana Connors ein. »Sein Smartphone wurde nämlich ebenfalls in seiner Jackentasche sichergestellt, außerdem einige Notizzettel. Die Scientific Research Division wird sich damit befassen.«

Nun rückten die Männer des Coroners an, um den Leichnam ins gerichtsmedizinische Institut zu bringen. Nachdenklich schaute ich ihnen zu, wie sie die Fahrertür öffneten und den leblosen Körper heraushoben.

Der betrügerische Investmentberater hatte sich für teures Geld eine kugelsichere Limousine gekauft. Aber er war seinem Schicksal trotzdem nicht entronnen. Nun war es unsere Aufgabe, seinen Mörder zu finden.

***

Es war immer noch sehr früh am Morgen. Phil und ich frühstückten kurz in einem 24-Stunden-Diner unweit vom Times Square, nachdem wir uns von den NYPD-Kollegen verabschiedet hatten. Es war nun klar, dass das FBI die Ermittlungen weiterführen würde. Das Mordopfer hatte schließlich schon unter unserer Beobachtung gestanden, und ein Zusammenhang zwischen Prestons Tod und seinen Betrügereien erschien sehr wahrscheinlich.

Kurz vor sieben Uhr morgens trafen wir in der West 83rd Street ein. Preston hatte ein großzügiges Penthouse auf dem Dach eines achtstöckigen Gebäudes besessen. Der Doorman ließ uns ins Haus, und wir fuhren mit dem Lift nach oben. Nachdem ich an der Tür geklopft hatte, wurde sie sehr schnell geöffnet. Diese Tatsache erstaunte mich, denn es war ja noch sehr früh. Ob wir bereits erwartet wurden?

Doch die junge Latina in Dienstmädchenuniform schaute überrascht und ängstlich auf unsere FBI-Dienstausweise.

»Ich bin Special Agent Cotton, das ist Special Agent Decker. Wir sind vom FBI New York und müssen dringend mit Mistress Preston sprechen.«

Die Angestellte riss ihre schönen haselnussbraunen Augen noch weiter auf.

»A-aber die gnädige Frau schläft noch«, protestierte sie leise. Ihr Akzent hörte sich mexikanisch an. Ich blieb hartnäckig.

»Ich muss leider darauf bestehen, es ist sehr wichtig.«

Das Dienstmädchen gab nach. Die junge Latina führte Phil und mich in einen großzügig geschnittenen und modern eingerichteten Salon. Von dort aus hatte man einen Panoramablick auf Manhattan. Zwischen den Hochhausfassaden konnte man im Licht der soeben aufgegangenen Sonne das Grün des Central Park schimmern sehen.

Irgendwo im Penthouse ertönte eine schrille Frauenstimme. Doch ich konnte nicht hören, was gesagt wurde. Jedenfalls betrat wenig später eine blonde Lady in mittleren Jahren den Salon. Sie trug einen seidenen Morgenmantel, der ihre kurvige Figur erahnen ließ. Um den Hals hatte sie eine schwarze Schlafbrille, und sie machte aus ihrer Verärgerung kein Hehl.

»Ich bin Florence Preston, Agents. Und ich frage mich, mit welchem Recht das FBI mich zu nachtschlafender Zeit wecken lässt. Ich leide unter Migräne, und meine Ruhe ist äußerst wichtig für mich.«

Ich atmete tief durch. Nachdem ich uns noch einmal vorgestellt hatte, sagte ich: »Mistress Preston, ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Ehemann Greg Preston nicht mehr lebt.«

Die frischgebackene Witwe zwinkerte irritiert. Aber bei ihr waren weder Anzeichen eines Schocks noch plötzliche Trauer zu erkennen. Allerdings habe ich bei Menschen schon die unterschiedlichsten Reaktionen auf eine solche Nachricht erlebt.

»Sie meinen, er wurde ermordet?«

»Warum nehmen Sie das an?«, hakte ich nach. »Es wäre ja auch denkbar, dass Ihr Mann durch einen Unfall gestorben ist.«

»Würde dann das FBI zu mir kommen? – Greg wurde schon seit längerer Zeit durch missgünstige Menschen bedroht, die sich von ihm übervorteilt gefühlt haben. Einige dieser Typen haben offene Morddrohungen ausgestoßen, und in den sozialen Netzwerken des Internets wurde zur Lynchjustiz aufgerufen. Ich frage mich, was das FBI getan hat, um meinen Mann zu schützen.«

»Greg Preston hat sich leider geweigert, Polizeischutz anzunehmen«, erinnerte ich die Witwe. »Außerdem wird Ihnen bekannt sein, dass wir gegen Ihren Mann ermittelt haben. Daher versuchten wir, ihn stets im Auge zu behalten. Leider konnte er unsere Kollegen, die ihn beschattet haben, abhängen. Wissen Sie, was er in der vergangenen Nacht vorhatte?«

Florence Preston verschränkte trotzig die Arme vor ihrer üppigen Brust.

»Nein, das weiß ich nicht. Greg hat Tag und Nacht geschuftet, um uns einen bescheidenen Wohlstand zu ermöglichen. Es kann gut sein, dass er sich dabei nicht ständig überwacht fühlen wollte. Aber er könnte noch leben, wenn Ihre Kollegen besser auf ihn aufgepasst hätten!«

Zu diesem Vorwurf sagte ich nichts. Stattdessen fragte ich: »Kennen Sie eine bestimmte Person, der Sie eine solche Tat zutrauen würden?«

Florence Preston schüttelte den Kopf.

»Eine Person, Agent Cotton? Es gab Hunderte von Fieslingen, die Greg den Tod gewünscht haben.«

»Haben Sie sich nicht gewundert, dass Ihr Mann über Nacht fortgeblieben ist, Mistress Preston?«

»Nein. Wie gesagt, Greg hat schwer geschuftet, er hielt sich mehr in seinem Investmentbüro als daheim auf. Außerdem habe ich gestern eine Schlaftablette genommen. Ich habe unser Penthouse seit dem späten gestrigen Nachmittag nicht verlassen. Sie können Penelope fragen, wenn Sie wollen.«

Penelope war offenbar der Name der jungen Latina-Angestellten. Ich teilte der Witwe noch mit, dass der Leichnam ihres Mannes zunächst obduziert werden musste und erst danach zur Beerdigung freigegeben werden konnte.

»Bitte begleiten Sie uns, um den Toten eindeutig zu identifizieren«, bat ich Mrs Preston. In diesem Fall war das eine Formsache, denn das Mordopfer trug ja seinen Führerschein bei sich und war am Lenkrad seines eigenen Wagens aufgefunden worden. Aber wir wollten uns keine Nachlässigkeit erlauben, aus der uns später ein cleverer Verteidiger womöglich einen Strick drehen konnte.

Florence Preston war nicht begeistert, zog sich aber schnell an und fuhr mit uns zum gerichtsmedizinischen Institut. Der Leichnam war inzwischen dorthin gebracht und aufgebahrt worden.

»Ja, er ist es«, sagte die Witwe, nachdem ein Bediensteter das weiße Tuch von Greg Prestons Gesicht entfernt hatte.

Es waren die einzigen Worte, die Florence Preston seit dem Verlassen des Penthouse an uns gerichtet hatte.

***

»Die Witwe zerfließt ja nicht gerade vor Trauer«, stellte Phil fest. Wir hatten Florence Preston soeben in der West 83rd Street abgesetzt. Nun fuhren wir Richtung Field Office, um mit dem Chef das weitere Vorgehen zu besprechen.

»Wir müssen überprüfen, ob Florence Preston ein Interesse am Tod ihres Mannes gehabt hat. Möglicherweise hat sich das Ehepaar einfach nur auseinandergelebt und sie kann aus diesem Grund den Verlust besser verkraften als andere Frauen in ihrer Situation. Aber es wäre zumindest denkbar, dass die Witwe in Prestons Ermordung verstrickt ist.«

»Als ob unsere Liste von Verdächtigen nicht schon lang genug wäre«, stöhnte Phil. Im Field Office gingen wir sofort zu Mr High. Seine Sekretärin Helen begrüßte uns mit einem charmanten Lächeln.

»Der Chef erwartet euch bereits, June und Blair sind auch schon eingetroffen. Ich bringe euch gleich Kaffee.«

Phil und ich betraten das Chefbüro. Der Assistant Director und unsere beiden Kollegen hatten bereits am Besprechungstisch Platz genommen. Die Unterredung begann, nachdem Helen uns wenig später mit Kaffee versorgt hatte.

Mr High wandte sich zunächst an June Clark und Blair Duvall.

»Wir alle sind Agents und keine übermenschlichen Wesen, June und Blair. Es ist absolut nicht ehrenrührig, dass Sie von der zu beschattenden Person abgehängt wurden. Ich mache Ihnen deshalb ganz gewiss keinen Vorwurf.«

»Aber wir uns selbst, Sir!«, presste unser afroamerikanischer Kollege hervor. »Und wir wären sehr dankbar für eine Chance, um uns von dieser Schmach reinzuwaschen.«

»Preston hat uns ausgetrickst wie unerfahrene Frischlinge«, ergänzte June. »Das können wir einfach nicht auf uns sitzenlassen.«

Der Chef nickte verständnisvoll.

»Sie gehören ja bereits zu der Ermittlungsgruppe, die ich gebildet hatte, um Prestons Finanzbetrügereien aufzuklären. Ich werde Sie auch nicht aus dem Team entfernen. Aber mit der Aufklärung des Mordes habe ich Jerry und Phil beauftragt. – Gibt es schon erste Erkenntnisse?«

Mit dieser Frage wandte sich Mr High an mich. Ich brachte ihn kurz und knapp auf den aktuellen Stand.

»Einen Verdächtigen haben Sie also noch nicht«, stellte der Chef fest. June Clark meldete sich zu Wort.

»Wir haben im Rahmen der Betrugsermittlungen viel über die Menschen herausgefunden, die Preston auf den Leim gegangen sind. Dort hat sich ein gewisser Vincenzo Angeli besonders hervorgetan. Er hat mehrfach vor laufender TV-Kamera Morddrohungen gegen den verbrecherischen Investmentberater ausgestoßen. Und als Preston einmal sein Büro verlassen wollte, hat Angeli ihm aufgelauert. Der betrogene Anleger stürzte sich auf den Investmentberater. Wenn er nicht durch die Security zurückgehalten worden wäre, hätte dieser Zwischenfall für Preston böse ausgehen können.«

»Phil und ich werden diesen Angeli so bald wie möglich ins Gebet nehmen«, versprach ich. »Ansonsten sollten wir überprüfen, ob Preston eine glückliche Ehe geführt hat. Seine Frau schien über seinen Tod nicht besonders betrübt zu sein. Falls sie Alleinerbin ist, wäre das ebenfalls ein starkes Mordmotiv. Florence Preston hat angeblich für die Tatnacht ein Alibi, kann aber natürlich einen Killer angeheuert haben.«

»Das Alibi könnten Blair und ich überprüfen«, bot June an. »Ich könnte mich außerdem undercover im Umfeld der Ehefrau umhören, beispielsweise bei ihrem Friseur oder ihrer Kosmetikerin. Ich habe Fotos von ihr gesehen, sie geht gewiss zu einem teuren Star-Coiffeur in der Park Avenue. Es ist unglaublich, wie viel diese Dienstleister oftmals über ihre Kundinnen wissen.«

»Du willst zu einem Park-Avenue-Friseur?«, hakte Blair nach. »Da wirst du aber Ärger mit der FBI-Spesenkasse bekommen, das kann ich dir jetzt schon prophezeien.«

Wir lachten, wurden aber sofort wieder ernst. Immerhin war es ein gutes Zeichen, dass Blair nach der misslungenen Beschattungsaktion seinen trockenen Humor wiedergefunden hatte.

»Die Medien werden Prestons Ermordung ausschlachten, um Einschaltquoten oder Auflagensteigerungen zu erzielen«, gab Mr High zu bedenken. »Preston war kein Mann, dem besondere Sympathie entgegenschlug. Ich weiß natürlich, dass Sie sich bei Ihren Ermittlungen von solchen Stimmungen nicht beeinflussen lassen. Aber es ist wichtig, den Mörder so schnell wie möglich zu fassen. Es darf nicht sein, dass die Presse ihn zu einer Art Robin Hood stilisiert. Außerdem ist es möglich, dass Prestons Tod gar nicht im Zusammenhang mit seinem Anlagebetrug steht.«

»Wir werden unser Bestes geben, Sir«, versprach ich.

***

Wir verabschiedeten uns vom Chef und den Kollegen. Kaum hatten Phil und ich wenig später unser Büro im 23. Stockwerk betreten, als mein Telefon klingelte.

Unser Computerspezialist Alec Hanray war am Apparat.

»Jerry, ein NYPD-Kollege hat mir gerade eine Datei überspielt. Es handelt sich um ein Überwachungsvideo von einer Ampel in der Elizabeth Street. Er sagte, dass es für euren aktuellen Fall wichtig sein könnte.«

»Und ob! Wir kommen gleich zu dir rüber, Alec.«

Gespannt eilten wir zu Alec, der uns in seinem mit Hightech-Equipment vollgestopften Arbeitsraum bereits erwartete. Der Computerspezialist drückte auf ein paar Tasten und deutete auf einen großen Monitor.

»Gleich geht es los. Der NYPD-Kollege hat nur die entscheidende Szene geschickt.«

Die Bildqualität ließ zu wünschen übrig, aber es handelte sich ja auch nur um eine einfache Verkehrsüberwachungskamera. Immerhin konnten wir Prestons gepanzerten Cadillac sehen, der langsam auf die Ampel zufuhr. Der Wagen hielt. Nun löste sich eine dunkle Gestalt aus einem Hauseingang. Gleich darauf senkte Preston die Seitenscheibe auf der Fahrerseite.

»Ob Preston mit dem Verdächtigen verabredet war?«, dachte Phil laut nach. »Er hat jedenfalls sofort reagiert, als er den Unbekannten erblickt hat.«

Mein Freund verstummte, denn nun sahen wir auf dem Überwachungsvideo Mündungsfeuer aufblitzen. Der Mörder schoss zweimal, was sich mit unseren bisherigen Erkenntnissen deckte. Offenbar hatte er einen Revolver benutzt und keine Pistole. Jedenfalls hatten die SRD-Kollegen am Tatort keine leeren Patronenhülsen sicherstellen können.

Leider war der Blickwinkel der fest installierten Kamera sehr ungünstig. Der Täter trug einen schwarzen Mantel und eine Strickmütze. Beides war bei dem nasskalten Oktoberwetter nicht ungewöhnlich. Von seinem Gesicht war nichts zu erkennen, da die Kamera nur seinen Rücken aufgenommen hatte. Wir mussten trotzdem jede Möglichkeit ausschöpfen.

»Zoomst du bitte näher heran, Alec?«

»Natürlich, Jerry.«

Unser junger Innendienst-Kollege veränderte die Bilddarstellung. Aber es war sinnlos. Die Gestalt in dem unförmigen Mantel konnte sowohl eine Frau als auch ein Mann sein. Noch nicht einmal die Hautfarbe konnte eindeutig zugeordnet werden, denn die Hände des Mörders steckten in schwarzen Handschuhen. Und von seinem Gesicht war nichts zu erkennen.

Phil konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.

»Also fahnden wir jetzt nach einer mittelgroßen Person unbekannten Geschlechts und unbekannter Hautfarbe, die einen schwarzen Mantel trägt? Ich möchte nicht wissen, wie viele Leute allein in Manhattan bei dieser kühlen Witterung so ein Kleidungsstück tragen.«

»Ich hatte mir von dem Video auch mehr versprochen, Phil. Aber schau mal, der Killer versucht noch nicht einmal, irgendetwas aus Prestons Anzug oder aus seinem Wagen mitzunehmen. Und noch ist der Zeuge Sam Knox nirgendwo zu sehen.«

Wir sahen auf dem Überwachungsvideo, wie der Unbekannte langsam auf das Auto zutrat. Aber er öffnete die Tür nicht, was angesichts des offenen Seitenfensters kein Problem gewesen wäre. Offenbar wollte der Mörder sich nur vergewissern, dass sein Opfer wirklich nicht mehr lebte.

Erst als am Bildrand die Scheinwerfer des Zeugen-Autos zu erkennen waren, drehte sich der Täter um und rannte in den Hauseingang zurück. Dabei hielt er seinen Kopf gesenkt. Die ganze Aktion hatte nicht länger als eine Minute gedauert.

Immerhin konnten wir nun ausschließen, dass es sich um einen schiefgegangenen Raubüberfall handelte. Der Täter hatte es offenbar gezielt darauf abgesehen gehabt, Greg Preston das Lebenslicht auszublasen.

Leider gab es sehr viele Menschen, die den schurkischen Investmentberater lieber tot als lebendig sehen wollten.

***

Der italienischstämmige Verdächtige Vincenzo Angeli besaß ein kleines Restaurant in Little Italy. Von seiner Trattoria Angeli bis zum Tatort war es nicht weit, aber das war natürlich noch kein Beweis für seine Schuld. Als Phil und ich in seinem Lokal erschienen, war es später Vormittag. Angeli scheuchte seine Angestellten herum, das Team bereitete sich offenbar auf das Mittagsgeschäft vor.

»Laura, die Tische sind ja immer noch nicht eingedeckt. Avanti, avanti! Cesare, du solltest doch die Espressomaschine noch auf Hochglanz polieren. Du kannst aber auch gar nichts richtig machen, oder?«

Angeli stand wie ein Feldherr mitten in seinem kleinen Restaurant. Er war ein hochgewachsener massiger Mann mit schwarzem gelocktem Haar. Angeli wandte sich Phil und mir mit einem geschäftsmäßigen Lächeln zu. Offenbar hielt er uns für Gäste. Doch als wir ihm unsere FBI-Ausweise zeigten, wurde er schlagartig unfreundlich.

»FBI? Was wollen Sie denn von mir? Wo waren Sie, als ich Sie gebraucht hätte? Warum haben Sie nicht verhindert, dass diese Ratte Greg Preston meine Altersversorgung auf den Kopf gehauen hat?«

Ich ließ mich von Angeli nicht herausfordern, sondern stellte Phil und mich zunächst vor.

»Wir bedauern, dass Sie Opfer eines Anlagebetrugs geworden sind, Mister Angeli. Aber Greg Preston wurde in der vergangenen Nacht erschossen. Sie werden es vermutlich schon in den Morgennachrichten gehört haben.«

Der Gastronom grinste wölfisch.

»Allerdings, Agent Cotton. Und ich kann nicht behaupten, dass ich diesem Dreckskerl auch nur eine Träne nachweine. – Ah, deshalb sind Sie also gekommen. Sie glauben, ich hätte Preston um die Ecke gebracht, nicht wahr?«

»Immerhin haben Sie in aller Öffentlichkeit Morddrohungen gegen Preston ausgestoßen«, stellte Phil fest. »Und zumindest bei einer Gelegenheit sind Sie auch handgreiflich geworden.«

Angeli machte eine unwirsche Handbewegung.

»Ja, da ist mein italienisches Temperament mit mir durchgegangen. Übrigens hat Preston auf eine Strafanzeige gegen mich verzichtet. Können Sie sich den Grund nicht denken?«

»Sie werden ihn uns gewiss gleich verraten.«

»Oh ja, Agent Cotton. Preston wollte möglichst wenig Staub aufwirbeln. Ich war ja einer der Ersten, die seine Betrügereien durchschaut haben. Wenn er mich vor Gericht gezerrt hätte, dann wären seine Machenschaften öffentlich geworden. Aber Sie haben diesen Gangster ja sowieso davonkommen lassen.«

»Das FBI ermittelt seit Wochen gegen Greg Preston!«, gab ich scharf zurück. »Aber vor dem Gesetz hat ein Mensch als unschuldig zu gelten, bis man ihm seine Verbrechen eindeutig nachweisen kann.«

Angeli winkte genervt ab. So etwas wollte er natürlich nicht hören. Aber wir waren nicht hierhergekommen, um ihm nach dem Mund zu reden.

»Sie stehen jedenfalls unter Mordverdacht, Mister Angeli«, erklärte ich sachlich. »Daher müssen wir Sie fragen, wo Sie heute am frühen Morgen zwischen drei und vier Uhr gewesen sind.«

»Das ist die Zeit, während der Preston ins Gras gebissen hat?«, hakte der Gastronom nach. Ich nickte. Angelis Gesicht hellte sich wieder auf.

»Ich hatte mein Lokal für eine Hochzeitsfeier vermietet, Agents. Es gab ein italienisches Buffet, und eine Band hat auch gespielt. Die Party begann gestern Abend gegen 22 Uhr und ging bis sechs Uhr heute früh. Ich war die ganze Zeit anwesend, das können meine Angestellten und alle Gäste bezeugen. Außerdem wurden zahlreiche Fotos gemacht.«

Ich zog meinen Notizblock hervor und ließ mir die Namen der Zeugen geben. Dann sagte ich: »Sechs Uhr früh? Und dann sind Sie jetzt schon wieder bei der Arbeit?«

Angeli hob seufzend die Schultern. Seit die Rede auf sein Restaurant gekommen war, hatte sich seine Laune spürbar verbessert.

»Was soll ich machen, Agent Cotton? Eigentlich wollte ich mich in zwanzig Jahren zur Ruhe setzen. Aber leider habe ich meine gesamten Ersparnisse diesem Verbrecher Preston anvertraut. Das Geld ist jedenfalls weg, und Preston trifft angeblich keine Schuld. Er behauptet, die Wirtschaftskrise wäre für den Totalverlust verantwortlich. Aber ich glaube ihm kein Wort. Ich bin sicher, dass er mein Vermögen beiseitegeschafft hat. – Können Sie denn gar nichts tun, damit ich mein Geld zurückbekomme?«

»Die Ermittlungen wegen möglicher Betrügereien laufen weiter, Mister Angeli. Es spielt keine Rolle, dass Greg Preston nicht mehr lebt. Er hat ja gewiss Erben, und außerdem gibt es womöglich Komplizen. Wir werden jedenfalls alles tun, damit veruntreutes Geld an die eigentlichen Besitzer zurückfließt.«

Angeli schien durch meine Erklärung nun halbwegs besänftigt worden zu sein.

»Das würde ich Ihnen hoch anrechnen, Agents. Und wenn Sie noch Fragen zu Prestons Geschäftspraktiken haben – scheuen Sie sich nicht, mich zu löchern.«

»Es kann gut sein, dass wir noch einmal auf Sie zukommen, Mister Angeli.«

Und diesen Satz meinte ich so, wie ich ihn sagte. Ich war nämlich sicher, dass Vincenzo Angeli uns nicht die ganze Wahrheit gesagt hatte. Das mussten wir ihm nur noch beweisen.

***

Auch Phil war skeptisch, was die Unschuld des Restaurantbesitzers anging. Wir begannen sofort damit, Angelis Alibi zu überprüfen. Phil und ich suchten die Angestellten und die Hochzeitsgäste auf, die wir nach der langen Partynacht größtenteils noch in ihren Wohnungen antrafen. Sie alle bestätigten die Angaben des Gastronomen.

»Es kommt mir so vor, als ob Angeli sich extra ein wasserdichtes Alibi verschafft hat, Jerry. Gewiss, er selbst kann nicht der Täter gewesen sein. Wenn ich meinem Augenmaß trauen kann, dann ist der Mörder mindestens einen Kopf kleiner und auch nicht so breit gebaut wie der bullige Angeli. Aber Angeli könnte einen Auftragskiller angeheuert haben.«

»Sicher, das wäre möglich. Angeli hat sein Geld vielleicht schon endgültig abgeschrieben und brennt nun auf Rache. – Wir müssen den Gastronomen im Auge behalten.«

Ich rief Mr High an und schlug vor, Angeli observieren zu lassen. Der Chef war sofort einverstanden.

»June und Blair haben inzwischen das Alibi der Ehefrau überprüft, Jerry. Florence Preston ist in der Nacht wohl wirklich daheim gewesen. June hört sich momentan noch im Umfeld der Witwe um, aber Blair hätte Zeit für eine Überwachungsaufgabe.«

Der Assistant Director gab die Information weiter und wenig später meldete sich unser afroamerikanischer Kollege bei mir. Inzwischen hatte in der Trattoria Angeli das Mittagsgeschäft begonnen. Phil und ich trafen uns mit Blair in der Nähe, und ich zeigte unserem Kollegen von der gegenüberliegenden Straßenseite aus den Gastronomen.

»Der massige Bursche ist ja nicht zu übersehen«, brummte Blair. »Ich werde mich an seine Fersen heften und euch auf dem Laufenden halten, Jerry und Phil. June will sich auch melden, sobald sie etwas herausgefunden hat.«

Phil und ich verließen Little Italy und nahmen Kontakt mit der Scientific Research Division auf.

»Wir haben inzwischen die tödlichen Projektile bekommen«, berichtete ein Techniker. »Die eine Patrone wurde vom Gerichtsmediziner aus dem Schädel des Toten entfernt, das andere Geschoss hat die Halsschlagader zerfetzt und blieb dann im Fond des Cadillac stecken. Jedenfalls handelte es sich um Patronen Kaliber .38. – Außerdem haben wir die Einzelgesprächsnachweise von Prestons Handy-Telefonaten unter die Lupe genommen. Er hat mit den unterschiedlichsten Leuten gesprochen, aber mit einem gewissen Simon Murphy hatte Preston in den vergangenen drei Wochen immerhin sechzehn Mal Telefonkontakt. Dieser Murphy ist bei uns im System.«

»Was hat er denn ausgefressen?«, fragte Phil.

»Simon Murphy war ein Allgemeinmediziner, bevor ihm nach einem Kunstfehler die Approbation entzogen wurde. Ihm konnte nachgewiesen werden, dass er unter Alkoholeinfluss eine falsche Diagnose gestellt hatte. Da er ein Geständnis ablegte, kam er mit einer Bewährungsstrafe davon. Allerdings ist durch die Schmerzensgeldforderung sein Vermögen draufgegangen. Und er darf nie wieder als Arzt praktizieren.«

»Da stellt sich natürlich die Frage, worin die Verbindung zwischen Preston und Murphy besteht«, meinte Phil. Wir bedankten uns zunächst bei den SRD-Kollegen und machten uns auf die Suche nach dem gescheiterten Ex-Mediziner. Nach einem Telefonat mit seinem Bewährungshelfer und einem Besuch in Murphys ehemaligem Apartment hatten wir seine Spur aufgenommen.

Simon Murphy arbeitete inzwischen angeblich als freier Versicherungsvertreter. Er verfügte sogar über ein eigenes kleines Büro an der Jamaica Avenue unweit vom Highland Park.

»Soweit ich weiß, wohnt er auch dort, und zwar im Hinterzimmer«, sagte der Bewährungshelfer am Telefon. »Murphy kann finanziell keine großen Sprünge machen, er ist wegen seinem verlorenen Prozess immer noch hoch verschuldet. Sobald er etwas Geld verdient hat, wird es von seinen Gläubigern gepfändet.«

Mit dieser Information im Hinterkopf fuhren wir in meinem roten Flitzer Richtung Brooklyn. Eine Weile herrschte Schweigen, dann öffnete Phil den Mund.

»Weißt du, was ich denke, Jerry? Murphy steht mit dem Rücken zur Wand. Er kommt nie wieder auf einen grünen Zweig, wenn er auf ehrliche Weise Geld verdient. Ihm wird sofort jeder Dollar größtenteils weggepfändet. Aber bei illegalen Jobs sieht das schon anders aus. Dort kann er Geld verdienen, von dem kein Finanzamt und kein Gerichtsvollzieher jemals erfahren wird. Und warum sollte er Skrupel haben, heimlich als Kurpfuscher zu praktizieren?«

»Genau, Phil. Jedenfalls wird uns der ehemalige Doc eine Menge Fragen beantworten müssen.«

***

Ich fand einen Parkplatz direkt vor Simon Murphys Versicherungsbüro. Es befand sich zwischen einem schmuddeligen Mexiko-Imbiss und einer koreanischen Schnellwäscherei. Wir waren hier in einer miesen Gegend, selbst für Brooklyn-Verhältnisse.

Murphys Office war ein ganz normales Ladengeschäft, das er mit Hilfe einiger Möbel und eines altersschwachen PC zu einem Büro umgebaut hatte. Eine Ladenklingel ertönte, als ich den Raum betrat. Phil war direkt hinter mir.

Wir hatten unsere FBI-Marken an unseren Mänteln befestigt. Die Eingangstür war nicht abgeschlossen gewesen, also musste eigentlich jemand anwesend sein.

»FBI!«, rief ich. »Mister Murphy, sind Sie da?«

Ich glaubte, ein aufgeregtes Flüstern zu hören. Dann öffnete sich eine schmale Tür, die in den hinteren Bereich führte. Ein Mann trat uns entgegen, der nervös zwinkerte und sich die Hände abtrocknete. Er war mittelgroß und kahlköpfig. Der Kerl roch stark nach Pfefferminzpastillen. Ob er damit seine Alkoholfahne tarnen wollte? Das war jedenfalls ein uralter Trinker-Trick.

»Ich bin Simon Murphy«, sagte er mit verwaschener Stimme. »Was kann ich für Sie tun, Agents?«

Ich antwortete nicht sofort, denn nun hörte ich eine Tür klappen. Bevor Murphy protestieren konnte, war ich an ihm vorbeigestürmt. Hinter dem Büro befand sich ein unaufgeräumter Raum, der offensichtlich bewohnt wurde. Dort erblickte ich allerdings auch Verbandszeug, eine Schere und ein Blutdruckmessgerät. Außerdem gab es eine weitere Tür, offensichtlich den Hinterausgang. Ich eilte hin und riss sie auf, konnte aber keine Menschenseele mehr erblicken.

Murphy war mir gefolgt.

»Was soll das? Wie kommen Sie dazu, einfach in meine Privaträume einzudringen?«

Ich beantwortete seine Frage nicht. Stattdessen warf ich einen Blick auf das Verbandsmaterial.

»Hatten Sie gerade Besuch, Mister Murphy?«

»Besuch? Ich? Nein, i-ich war allein.«

Der ehemalige Mediziner konnte meinem Blick nicht standhalten. Ich wusste, dass er log. Phil war ebenfalls nach hinten gekommen.

»Allein? Und die Mullbinden liegen dort nur für den Fall, dass Sie sich mal mit der Papierschere in den Finger schneiden?«, höhnte mein Freund.

»Ich weiß überhaupt nicht, was Sie von mir wollen«, sagte Murphy. Er versuchte, bestimmt und souverän aufzutreten. Aber das gelang ihm nicht. In den Augen des ehemaligen Arztes flackerte die Furcht. Ich fragte mich nur, ob er sich vor dem Gesetz fürchtete. Oder vor dem Mörder von Preston?

Ich schlenderte durch das muffige Hinterzimmer, in dem Murphy offenbar lebte. Und ich war mir sicher, dass er hier auch illegale Behandlungen durchführte. Doch das konnten wir ihm noch nicht beweisen.

»Wir möchten mit Ihnen plaudern, Mister Murphy«, sagte ich. »Und zwar über Ihren Freund Greg Preston. Sie haben doch gewiss schon gehört, dass man ihn erschossen hat?«

Murphys Gesichtsfarbe wurde noch fahler. Er sah so aus, als ob er jetzt einen Drink vertragen könnte. Mit glasigem Blick schaute der Ex-Mediziner erst mich und dann Phil an.

»Was für ein Freund? Sie müssen sich irren, Agents. Ich kenne keinen Mann, der Preston heißt.«

»Halten Sie uns für Dummköpfe?«, rief mein Freund ungeduldig. »Wenn Sie das FBI verschaukeln wollen, dann wird Ihnen das schlecht bekommen, Mister Murphy. Der Investmentberater hatte sein Handy bei sich, als man ihn ermordet hat. Und aufgrund der Einzelverbindungsnachweise wissen wir, dass er in den letzten Wochen sehr oft mit Ihnen telefoniert hat.«

Murphys Blick flackerte. Er nagte an seiner Unterlippe und brauchte einige Momente, um sich eine Antwort zurechtzulegen.

»Ach so, von dem Investmentberater sprechen Sie. Ich hatte mich so spontan nicht an seinen Namen erinnert. Mein Personengedächtnis ist nicht das beste, ehrlich gesagt.«

»Für einen Versicherungsvertreter ist das aber ein Manko, Mister Murphy«, stellte ich fest. »Wie gehen denn Ihre Geschäfte so?«

»Ich kann mich nicht beklagen«, behauptete der Verdächtige. Doch seine schäbige Behausung und die triste Umgebung straften diese Aussage Lügen.

»Sie haben uns immer noch nicht verraten, was Sie mit Preston zu schaffen hatten«, sagte ich.

»Er – sollte mir ein paar Tipps in Sachen Aktienkauf geben. Preston ist – war ja schließlich Investmentberater.«

Glaubte der ehemalige Arzt wirklich, uns diese dreiste Lüge auftischen zu können? Es sah in diesem Hinterzimmer nicht so aus, als ob sich Murphy auch nur eine einzige Aktie leisten könnte.

Ich öffnete den Mund, um Murphy diese Ungereimtheit unter die Nase zu reiben. Doch in diesem Moment kam jemand in das Versicherungsbüro. Wir hörten vom Hinterzimmer aus die Türglocke.

»Ich gehe mal nachsehen«, brummte Phil. Ich nickte und konzentrierte mich ganz auf Murphy.

»Sie sollten das FBI wirklich nicht anlügen. Das kann für Sie …«

Ich unterbrach mich selbst. Denn in diesem Moment krachte vorn im Versicherungsbüro ein Schuss!

***

Ich rannte los, zog gleichzeitig meine Dienstwaffe. Natürlich galt meine Sorge Phil. Doch gleich darauf sah ich, dass mein Freund offenbar unverletzt war. Auch Phil hielt seine SIG in der Rechten.

»Jerry, da kam eben ein Typ herein, ein mittelgroßer Latino im dunklen Trainingsanzug. Als er meine FBI-Marke sah, zog er sofort eine Pistole und feuerte ohne Vorwarnung. Aber er hat mich verfehlt. Danach ist er abgehauen. – Los, den schnappen wir uns!«

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Phil stieß die Tür auf und wir stürmten auf die Straße hinaus, wobei wir uns gegenseitig Deckung gaben. Doch momentan dachte der Verdächtige offenbar nicht daran, noch einmal zu schießen. Er lief in nördlicher Richtung davon, ohne sich nach uns umzudrehen. Wir nahmen die Verfolgung auf. Schon nach wenigen Schritten stieß ich Phil an, deutete auf den Gehweg.

»Sieh nur, das sind Blutflecke!«

»Ist mir auch aufgefallen, Jerry«, rief Phil im Laufen. »Da ich nicht auf den Latino geschossen habe, muss er schon vorher verletzt gewesen sein. Das passt perfekt in das Bild, das ich von Murphy habe. Der Kerl wollte sich offenbar von diesem Kurpfuscher zusammenflicken lassen. Na, der wird uns einiges zu erklären haben!«

Das sah ich genauso. Aber jetzt mussten wir uns zunächst um den Flüchtenden kümmern. Solange wir ihn nicht aus dem Verkehr gezogen hatten, stellte er eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar. Die Passanten wichen ihm aus, sobald sie die Waffe in seiner Hand bemerkten. Es war das Beste, was sie tun konnten.

»FBI! Stehen bleiben!«, rief ich. Der Latino hörte nicht auf mich. Er versuchte zu beschleunigen. Aber das gelang ihm nicht. Seine Körpersprache zeigte deutlich, dass er angeschlagen war. Schnell konnte ich die Distanz zwischen mir und dem Flüchtenden verkürzen. Auch Phil blieb hart am Ball. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis wir ihn eingeholt hatten.

Der Mann warf uns über die Schulter hinweg einen hasserfüllten Blick zu. Und dann sprang er plötzlich auf die Fahrbahn!

Damit hatten weder Phil noch ich gerechnet. Es war ein verzweifelter Versuch des Latinos, seinen Vorsprung auszubauen. Ohne die Reaktionsschnelligkeit einiger Autofahrer wäre er sofort ums Leben gekommen. Es gab einen Auffahrunfall, als ein Chevy gegen das Heck eines Mitsubishi-Vans krachte.

Aber der Latino hatte offenbar einen Schutzengel. Jedenfalls gelangte er unangefochten auf die andere Straßenseite. Mir fiel auf, dass die von ihm auf dem Asphalt hinterlassenen Blutstropfen größer wurden. Der Flüchtende hatte offenbar eine Wunde, die dringend versorgt werden musste.

»Geben Sie auf!«, rief ich ihm laut zu, um den Verkehrslärm zu übertönen. »Sie brauchen dringend ärztliche Hilfe!«

Doch der Latino hörte nicht auf mich. Er wollte auf keinen Fall verhaftet werden. Wenn er sich zu einer Verzweiflungstat hinreißen ließ, dann konnte es für unbeteiligte Zivilisten gefährlich werden. Meine schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bestätigen, denn nun stieß der Mann die Tür zu einem Friseursalon auf.

Es war ein Geschäft, das sich auf afroamerikanische Kunden spezialisiert hatte. Einige Kundinnen ließen sich Rastazöpfchen verpassen, andere waren wegen Haarglättungen gekommen. Sie alle und die Angestellten gerieten in Panik, als sie den von mir verfolgten Kriminellen erblickten.

Ich stürmte ebenfalls in den Salon, während Phil in die Gasse neben dem Laden rannte. Er wollte dem Verbrecher den Weg abschneiden, falls er durch den Hinterausgang verschwand.

Der Latino blieb unschlüssig mitten im Friseursalon stehen. Er schwenkte seine Pistole hin und her. Die Frauen kreischten panisch, sie warfen sich zu Boden oder liefen in die Nebenräume. Ich musste verhindern, dass der Mann eine Geisel nahm. Langsam näherte ich mich ihm, meine SIG im Beidhandanschlag. Nun erblickte ich den Verbrecher zum ersten Mal von vorn.

Sein Gesicht war schweißbedeckt. Und die linke Seite seiner Trainingsjacke war blutgetränkt. Das konnte ich trotz des dunklen Stoffs deutlich erkennen.

»Geben Sie endlich auf«, sagte ich ruhig und eindringlich zu ihm. Ich wollte nicht schießen, aber ich musste auf jeden Fall ein weiteres Verbrechen verhindern. Der Latino öffnete und schloss den Mund. Dabei erinnerte er mich an einen Fisch, der auf dem Trockenen liegt und nach Luft schnappt.

Es sah für einen Moment so aus, als ob er seine Waffe auf mich richten wollte. Doch dann versagten ihm seine Beine den Dienst und er brach zusammen. Er hatte bereits das Bewusstsein verloren, als er auf den Boden krachte.

Ich eilte zu ihm, entwand ihm die Pistole und drehte den leblosen Körper in eine stabile Seitenlage.

»Phil, wir brauchen eine Ambulanz!«

Mein Partner hatte meinen Ruf gehört. Er kam durch die Hintertür herein und forderte per Handy einen Krankenwagen an. Ich war inzwischen von den aufgeregt durcheinanderredenden Ladys umgeben. Wenig später trafen auch die Cops ein, die von Passanten alarmiert worden waren.

Ich schilderte den NYPD-Officers kurz die Sachlage. Der Streifenführer war ein erfahrener Cop namens Sean Leary. Nun kamen auch ein Notarzt und die Sanitäter, die sich um den verletzten Kriminellen kümmerten.

»Könnten Sie den Krankentransport in eines der Rikers-Hospitäler begleiten, Officer Leary? Mein Kollege und ich müssen dringend einen weiteren Verdächtigen verhören.«

Der rothaarige Cop beantwortete meine Frage mit einem Kopfnicken.

»Selbstverständlich, Agent. Allerdings geht es in dieser Gegend heute drunter und drüber. Soeben wurde über Sprechfunk ein Mord in der Jamaica Avenue gemeldet.«

Mein Pulsschlag beschleunigte sich.

»Fand die Bluttat zufällig in einem Versicherungsbüro statt?«

Officer Leary schaute mich erstaunt an.

»Ja, woher wissen Sie das? Hat das etwas mit Ihrem aktuellen Fall zu tun, Agent?«

***

Jetzt war keine Zeit für Erklärungen oder Spekulationen. Ich schaute auf meine Armbanduhr. Es war keine Viertelstunde vergangen, seit Phil und ich die Verfolgung des Latinos aufgenommen hatten.

Simon Murphy war allein zurückgeblieben.

»Hat der Mörder vielleicht schon draußen gelauert und nur darauf gewartet, dass wir verschwinden?«, rief mir Phil im Laufen zu.

»Noch wissen wir ja nicht, ob es den Ex-Doc überhaupt erwischt hat.«

Doch als wir uns dem Versicherungsbüro wieder näherten, wurde aus der Vermutung Gewissheit. Ein Streifenwagen parkte vor dem Gebäude. Ein junger Cop packte gerade das Absperrband aus. Er wollte uns zurückhalten, doch dann erblickte er unsere Dienstmarken.

»Mein Partner ist drin bei der Leiche, Agents. Wir haben schon die Scientific Research Division, den Gerichtsmediziner und Detectives von unserem Revier angefordert.«

Ich nickte ihm zu.

»Gut gemacht, Officer. Gibt es Zeugen?«

»Eine Lady hat den Toten gefunden. Sie sitzt hinten im Streifenwagen, ist aber noch nicht vernommen worden. Kein Wunder, es ist ja auch alles erst vor ein paar Minuten passiert. Jedenfalls hat sie den Täter nicht gesehen, das haben wir sie natürlich schon gefragt.«

Ich warf einen kurzen Blick auf die Zeugin, eine junge Schwarze. Sie weinte, war vermutlich durch den Anblick eines Erschossenen geschockt worden. Ich beschloss, ihr noch ein paar Minuten Verschnaufpause zu gönnen. Zunächst wollte ich mir den eigentlichen Tatort ansehen.

Phil und ich betraten wieder das Versicherungsbüro. Offenbar hatte die Bluttat im Hinterzimmer stattgefunden, der vordere Büroraum war jedenfalls menschenleer. Wir gingen in Murphys eigentliche Behausung.

Dort stand ein uniformierter Cop neben dem toten Ex-Mediziner. Phil und ich stellten uns zunächst dem Officer vor. Er hieß Barry Miles.

Ich deutete auf den Erschossenen.

»Haben Sie Simon Murphy zu Lebzeiten gekannt, Officer Miles?«

»Nur flüchtig, Agent Cotton. Ich weiß, dass unsere Detectives ihn im Dauerverdacht hatten, verletzte Ganoven zu behandeln. Hier wusste ja jeder von seiner Vergangenheit als Arzt. Aber beweisen konnten wir ihm niemals etwas, sonst wäre er schon längst verhaftet worden.«

Murphys sterbliche Überreste lagen auf dem Fußboden. Der Körper war verkrümmt, das erstarrte Gesicht zeigte sowohl Schmerz als auch Verblüffung. Ob er seinen Mörder gekannt hatte?

»Es ist doch kein Zufall, dass Murphy kurz nach unserem Besuch ermordet wurde«, mutmaßte Phil. »Der Killer bemerkt zwei FBI-Agents, die das Versicherungsbüro betreten. Er befürchtet, dass Murphy etwas ausplaudern könnte. Da taucht plötzlich der Latino auf. Er ist ein Patient, der dringend behandelt werden muss. Aber er sieht uns und bekommt Panik, wir verfolgen ihn. Das ist die Chance für den Mörder. Er geht zielstrebig zu Murphy, tötet ihn ohne großes Aufhebens und verschwindet wieder.«

»Ja, so ist es wahrscheinlich abgelaufen«, stimmte ich zu. »Der Killer hat vermutlich die Verbindungstür zwischen Büro und Hinterzimmer geschlossen, deshalb war der Schuss draußen auf der Straße kaum zu hören. Hinzu kommt der Lärmpegel einer so stark befahrenen Straße wie der Jamaica Avenue.«

»Das Zeitfenster für den Mord war sehr klein«, stellte Phil grimmig fest. »Die Vorstellung, dass sich der Killer noch irgendwo in der Nachbarschaft aufhalten könnte, gefällt mir überhaupt nicht. Er kann sich in aller Ruhe unter die Schaulustigen mischen, die sich schon bald hinter dem Absperrband drängen werden.«

Ich teilte Phils Einschätzung. Aber da wir keine Täterbeschreibung hatten, war eine Sofortfahndung unmöglich. Außerdem vermutete ich bisher nur, dass der Investmentberater Greg Preston und der Ex-Mediziner Simon Murphy von derselben Person getötet worden waren. Noch gab es dafür nicht den geringsten Beweis.

***

Ich schaute mich um und versuchte, die letzten Minuten im Leben von Murphy zu rekonstruieren. Was hatte er getan, nachdem Phil und ich dem Latino nachgelaufen waren? Offenbar hatte er zunächst einen Drink gebraucht. Die Whiskyflasche war vorhin hundertprozentig nicht auf dem Tisch gewesen. Das gefüllte Trinkglas ebenfalls nicht.

Der Telefonhörer lag neben dem Apparat. Es war ein altmodisches Telefon ohne Wahlwiederholungsfunktion. Ich zog mir einen Latex-Einweghandschuh über und hielt den Hörer an mein Ohr. Aber es ertönte nur das Freizeichen.

Wen hatte Murphy anrufen wollen, nachdem Phil und ich bei ihm gewesen waren?

Auf jeden Fall musste ihn unser Besuch so aufgewühlt haben, dass er dringend Alkohol gebraucht hatte. Murphy musste ja damit rechnen, dass wir zu ihm zurückkehren würden, nachdem wir seinen kriminellen Patienten eingefangen hatten.

»Die Obduktion wird nähere Informationen über die Mordwaffe liefern«, sagte ich zu Phil. »Wir sollten jetzt mit der Zeugin sprechen.«

Nun trafen auch zwei Zivilcops ein. Wir sprachen kurz mit Detective Rhonda Billings und Detective Jim McKinley und teilten ihnen unseren Ermittlungsstand mit.

»Wenn es wirklich einen Zusammenhang zwischen diesem Mord und Ihrem aktuellen Fall gibt, dann wird sowieso das FBI zuständig sein«, stellte Detective McKinley fest. »Und ich hätte ehrlich gesagt auch nichts dagegen, denn wir haben schon genug um die Ohren.«

Einstweilen teilten wir uns mit dem NYPD die Arbeit. Detective Rhonda Billings beauftragte einige uniformierte Cops, sich im Umkreis von zwei Blocks bei den Geschäftsleuten und Bewohnern umzuhören. Vielleicht war ja jemandem eine flüchtende Person aufgefallen, die das Versicherungsbüro verlassen hatte.

Phil und ich gingen wieder nach draußen und stellten uns der Zeugin vor. Ihr Name war Alice Maverick.

»Wie geht es Ihnen, Miss Maverick?«, wollte ich wissen. »Sind Sie in der Lage, uns einige Fragen zu beantworten?«

»J-ja, Agent Cotton. Ich will ja auch, dass Sie den Dreckskerl erwischen, der das getan hat.«

Die junge Schwarze saß immer noch im Streifenwagen. Phil und ich stellten uns so vor die offen stehende Wagentür, dass die inzwischen angerückten Pressefotografen keine Aufnahme von der Zeugin machen konnten. Wir mussten damit rechnen, dass der Killer auch noch Alice Maverick aus dem Weg räumen wollte.

»Sie sprechen von einem Dreckskerl, Miss Maverick«, hakte ich nach. »Dann haben Sie also den Täter erkennen können?«

»Das nicht, Agent Cotton. Ich hatte spontan angenommen, dass der Killer ein Mann ist.«

Ich machte mir Notizen.

»Bitte erzählen Sie uns der Reihe nach, was Sie gesehen haben.«

Die Zeugin nickte. Inzwischen hatte sie sich so weit beruhigt, dass sie eine Aussage machen konnte.

»Ich wollte mit Mister Murphy reden, weil es Probleme mit meiner Krankenversicherung gibt. Er hat mir die Versicherung vor ein paar Monaten verkauft. Und nun will die Gesellschaft meine Krebsvorsorge nicht bezahlen. – Jedenfalls wollte ich deshalb mit ihm sprechen. Ich ging in das Büro, aber es war niemand zu sehen. Ich rief nach ihm, bekam keine Antwort. Da dachte ich mir, dass etwas nicht stimmt. Die Tür zum Hinterzimmer war nur angelehnt. Ich ging dorthin – und dann sah ich Mister Murphy auch schon in seinem Blut liegen. Daraufhin habe ich mit meinem Handy sofort die 911 angerufen.«

»Sind Sie bei der Leiche geblieben, bis die Officers kamen?«

»Nein, Agent Cotton. Ich konnte den Anblick des Toten nicht ertragen. Also rannte ich zurück auf die Straße.«

»Ist Ihnen dort etwas aufgefallen, Miss Maverick? Beispielsweise eine Person, die sich auffällig verhalten hat?«

»Nein, aber vor der Tür lag ein abgebrochener Absatz eines Damenschuhs. Der war auch schon da, als ich in das Büro hineingegangen bin. Glauben Sie, dass das etwas zu bedeuten hat?«

Der Schuhabsatz befand sich immer noch vor der Bürotür auf dem Gehweg. Er stammte offenbar von schwarzen Lackpumps. Ich zog mir einen Latex-Einweghandschuh über und steckte den Gegenstand vorsichtig in eine Plastiktüte für Beweismittel.

»Kannst du dich erinnern, ob dieser Absatz schon dort lag, als wir vorhin gekommen sind, Phil?«

»Ich glaube nicht, aber ich würde keinen Eid darauf schwören wollen. Ob der Absatz mit unserem Fall zu tun hat oder sogar von der Täterin stammt?«

»Jedenfalls muss die Frau bemerkt haben, dass ihr Absatz abgebrochen ist. Warum hat sie ihn dann nicht mitgenommen? Würde sie nicht versuchen, den Schuh reparieren zu lassen? Dafür gibt es nur eine einleuchtende Erklärung: Sie hatte es zu eilig, um den Absatz mitzunehmen.«

Wir bedankten uns einstweilen bei der Zeugin. Ich bat die Detectives, die Aussage von Alice Maverick aufzunehmen. Als die SRD-Experten anrückten, übergab ich ihnen das Beweisstück. Uniformierte Cops waren immer noch dabei, sich in der Nachbarschaft umzuhören.

»Wenn wir es mit einer Täterin zu tun haben, dann kommt dieser große stämmige Vincenzo Angeli wirklich nicht als Verdächtiger in Frage«, stellte Phil fest.

»Und Florence Preston ist zwar eine Frau, wird aber momentan von June Clark beschattet«, gab ich zurück. »Und ich kann mir nicht vorstellen, dass unsere Kollegin sich noch einmal abschütteln lässt.«

Trotzdem rief ich June Clark auf ihrem Handy an, um mich über den Verbleib von Florence Preston zu vergewissern. June antwortete mit gedämpfter Stimme.

»Ich bin gerade in einem Kosmetiksalon, Jerry. Florence Preston lässt sich hier aufhübschen, nachdem sie kurz bei einem Beerdigungsunternehmer war, um die Bestattung in Auftrag zu geben. Wenn du mich fragst, dann trauert sie überhaupt nicht um ihren Investmentberater. Es würde mich nicht wundern, wenn die Witwe einen Liebhaber hat.«

Jedenfalls bestätigte June uns, dass sie Florence Preston stets im Blickfeld hatte. Also kam die Witwe von Greg Preston als Mörderin von Simon Murphy nicht in Frage.

Am Tatort konnten wir einstweilen nichts mehr ausrichten.

»Wie wäre es mit einem Krankenbesuch in Rikers?«, sagte ich zu Phil, nachdem wir uns von den Cops verabschiedet hatten. »Ich bin gespannt, wie es dem Latino geht.«

»Gute Idee, könnte glatt von mir stammen.«

Doch zunächst rief ich in Rikers an und vergewisserte mich, dass der dort eingelieferte Ganove schon vernehmungsfähig war.

»Wenn die Befragung nicht zu lange dauert, können Sie zu ihm kommen, Agent Cotton«, sagte der Gefängnisarzt Doc Warren am Telefon. »Wir haben übrigens routinemäßig seine Fingerprints gecheckt. Der Bursche ist ein alter Bekannter. Sein Name lautet Jorge Esperanza.«

»Alles klar, Doc. Wir machen uns gleich auf den Weg zu Ihnen.«

***

Wenig später lenkte ich meinen Jaguar-E-Hybriden in Richtung der Gefängnisinsel, die von Queens aus über die Francis-Buono-Brücke zu erreichen ist.

Ich stellte meinen roten Flitzer auf den Besucherparkplatz. Nachdem wir diverse Sicherheitsschleusen hinter uns gebracht hatten, führte uns ein Justizangestellter zu Doc Warren. Wir gaben dem kahlköpfigen erfahrenen Gefängnisarzt die Hand.

»Ich kann Ihnen gestatten, fünf Minuten mit Esperanza zu reden, Agents. Er hat viel Blut verloren und bekommt jetzt Transfusionen. Er hatte eine Schussverletzung, die wir versorgt und genäht haben. Die Patrone steckte aber nicht in seinem Körper, es handelt sich um einen Streifschuss.«

Der Mediziner brachte uns höchstpersönlich zu dem vergitterten Krankenzimmer des Ganoven. Jorge Esperanza warf Phil und mir einen mürrischen Blick zu. Ich stellte Phil und mich offiziell vor. Dann sagte ich: »Heute ist Ihr Glückstag, Esperanza. Hier in Rikers wurde Ihre Wunde professionell behandelt. Bei einem Kurpfuscher wie Murphy hätten Sie sich eine Blutvergiftung holen können.«

»Murphy ist ein guter Arzt«, murmelte der Verbrecher. Besonders hell schien er nicht zu sein. Gerade hatte Esperanza indirekt zugegeben, bei dem alkoholkranken Ex-Doktor medizinische Hilfe gesucht zu haben.

»Wo haben Sie sich die Kugel eigentlich eingefangen?«, wollte Phil wissen. Der Kriminelle verzog den Mund.

»Sie werden es ja früher oder später doch erfahren, Agents. – Ich wollte in der Lexington Avenue einen Schnapsladen ausrauben. Aber der Besitzer hat gleich auf mich geballert, als ich meine Knarre zog. Er traf mich sofort, der blöde Hund. Da wollte ich zu Doc Murphy, damit er mich wieder zusammenflickt.«

Offenbar war der ehemalige Arzt unter den Verbrechern bekannt wie ein bunter Hund. Wir konnten Esperanza später immer noch fragen, wie sein Kontakt mit Murphy zustande gekommen war. Ich zeigte dem Ganoven ein Foto von Greg Preston.

»Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?«

Esperanzas Gesicht zeigte nun einen Ausdruck von Bauernschläue.

»Und wenn, Agent Cotton? Was springt für mich dabei heraus, wenn ich singe?«

»Agent Decker und ich werden bei Ihrem Prozess aussagen, dass Sie kooperativ waren«, erklärte ich. »Mehr kann ich Ihnen nicht versprechen. Aber Sie sind vorbestraft und brauchen jede Unterstützung, die Sie bekommen können.«

Der Ganove schien nachzudenken. Ich befürchtete schon, dass die fünf Minuten vorbeigehen würden, ohne dass wir ein brauchbares Ergebnis bekamen. Doch dann öffnete Esperanza wieder den Mund.

»Also gut, ich kenne den Kerl. Das heißt, kennen ist zu viel gesagt. Ich habe ihn gesehen, als ich das letzte Mal zu Doc Murphy wollte. Da ist er mir entgegengekommen. Ich habe noch gedacht, dass dieser Typ nicht zu Doc Murphy passt.«

»Wieso?«

»Der Kerl auf dem Foto ist so ein richtiger Gentleman im Maßanzug gewesen, verstehen Sie? Zu Doc Murphy kommen sonst nur solche Leute wie ich, die für ein paar Dollar ohne große Fragen behandelt werden wollen.«

Meine Menschenkenntnis sagte mir, dass Esperanza uns alles mitgeteilt hatte, was er wusste. Gleich darauf erschien ohnehin der Gefängnisarzt und bat uns zu gehen.

»Mein Patient braucht jetzt Ruhe. Sie können ihn ja weiter vernehmen, sobald er in die normale Untersuchungshaft verlegt wird.«

Wir verließen Rikers mit gemischten Gefühlen.

»Immerhin wissen wir nun, dass Preston und Murphy nicht nur telefonisch miteinander zu tun hatten, Jerry.«

»Ja, Phil. Aber worin bestand die Verbindung zwischen den beiden Opfern? Das ist immer noch nicht klar.«

***

Wir konzentrierten unsere Ermittlungen auf Prestons direktes Umfeld. Dabei stießen wir auf einen Polizeieinsatz an seiner Wohnadresse. Phil hatte in unserem gemeinsamen Büro mit seinem PC die NYSIIS-Datenbank aufgerufen.

»Schau mal, Jerry. Vor drei Wochen mussten die Cops wegen einer Schlägerei vor dem Gebäude 1002 West 83rd Street anrücken. Dort befindet sich doch Prestons Penthouse.«

»Ja, genau. Mit wem hat er sich denn geprügelt?«

»Greg Preston war selbst offenbar nicht an der Schlägerei beteiligt. Aber hier wird als Zeugin eine gewisse Penelope Garcia erwähnt. Sie ist Hausangestellte bei der Familie Preston, jedenfalls laut Polizeiprotokoll. Das ist doch diese schüchterne junge Latina, die wir schon kennengelernt haben.«