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Sammelband 31: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2930: Wettlauf mit den Kopfgeldjägern
2931: Verbrechen ohne Ausweg
2932: Landleben mit Todesfolgen
2933: Spiel mit gezinkten Karten
2934: Der Tod hat kein Pseudonym
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
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Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 688
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 31 - Krimi-Serie
Cover
Impressum
Wettlauf mit den Kopfgeldjägern
Jerry Cotton aktuell
Vorschau
Wettlauf mit den Kopfgeldjägern
Der Mann fuchtelte wild mit einer Pistole vor den Gesichtern der beiden geknebelten Männer herum, die auf dem Boden vor ihm knieten. Bald wurden die Bewegungen, die er mit der Waffe vollführte, ruhiger. Erst zielte er auf den einen Mann, dann auf den anderen.
»Ach, was soll’s«, sagte er schließlich, richtete die Waffe auf den links knienden Mann und drückte ab.
Ein ohrenbetäubender Knall ertönte und das Projektil durchschlug den Kopf des ersten Mannes, dessen Körper zusammensackte.
Der zweite versuchte verzweifelt, seinem Schicksal zu entgehen, doch saßen die Fesseln zu eng. Hoffnungslos starrte er aus blutunterlaufenen Augen in die dunkle Mündung der Waffe. Er sah, wie der Mann vor ihm langsam den Zeigefinger krümmte, und schloss die Augen. Dann war es vorbei.
Die beiden Männer lagen tot auf dem Boden der Lagerhalle.
Ich war gerade an der üblichen Ecke angekommen und schaute mich um. Phil war noch nicht da, was ziemlich ungewöhnlich war.
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich nicht zu früh war. Offenbar verspätete sich Phil diesmal. Doch nur wenige Augenblicke später kam er mit schnellen Schritten um die Ecke und ging auf den Jaguar zu.
»Guten Morgen«, sagte er strahlend, nachdem er eingestiegen war.
»Guten Morgen«, erwiderte ich und schaute ihn neugierig an.
Er bemerkte den Ausdruck in meinen Augen natürlich sofort. »Ja, es gibt einen guten Grund dafür, dass ich heute etwas spät dran bin.«
Ich setzte den Blinker und reihte mich in den Verkehr ein. »Und willst du mir etwas darüber erzählen oder schweigst du dich lieber aus?«
Er lächelte schelmisch. »Ein Gentleman genießt und schweigt.«
»Also eine Frau, Casanova. Soll ich Vermutungen anstellen und dich mit Fragen löchern oder erzählst du mir freiwillig etwas – wobei ich nicht auf Details bestehe.«
»Da du ja eh keine Ruhe lässt, werde ich dir zumindest verraten, wen ich getroffen habe …«
Bevor Phil weitererzählen konnte, klingelte sein Telefon.
Er nahm es aus dem Sakko und schaute aufs Display. »Der Chef – da musst du dich noch ein wenig gedulden.«
Er nahm den Anruf entgegen. »Ja, Sir, guten Morgen. Sind auf dem Weg. Wo genau am East River? Geht klar, wir schauen uns dort um und kommen dann ins Büro, in Ordnung.«
Er schaltete sein Handy aus und schaute mich mit ernstem Blick an. »Doppelmord am East River. Wir sollen uns die Sache ansehen, bevor wir ins Büro fahren.«
Ich nickte. »Und wer sind die Opfer? Haben wir schon genauere Informationen?«
»Mister High schickt sie gleich«, sagte Phil und aktivierte den Bordcomputer. »Er meinte, wir sollten uns beeilen, bevor die Presse auftaucht. Scheint eine ziemlich üble Sache zu sein. Ah ja, da sind die ersten spärlichen Daten, die bisher vorliegen. Bei den Opfern handelt es sich um zwei Männer. Sie wurde beide mit Kopfschuss getötet. Sieht wie eine Hinrichtung aus. Der Täter hat sich wohl auch nicht die Mühe gemacht, die Opfer zu verstecken. Gemäß den Fingerabdrücken handelt es sich um Zach Jones und Harold Gwenty, zwei Männer von Mitte vierzig, die beide aus Washington stammen. Sie waren gefesselt und es sieht aus, als hätte man sie vor ihrem Tod gefoltert.«
»Gefoltert?«, fragte ich. »Hört sich an, als wären sie jemandem auf die Füße getreten. Ist das alles?«
»Ja, abgesehen vom Fundort der Leichen ist das alles, was uns Mister High geschickt hat«, antwortete Phil. »Sie wurden im East River geborgen und am Bootssteg beim New York Vietnam Veterans Memorial an Land gebracht.«
»Also an der südlichen Spitze von Manhattan«, sagte ich. »Und die Opfer? Was wissen wir über die?«
»Ich schau eben in der Datenbank nach«, sagte Phil und tippte etwas in den Computer. »Da haben wir ja was. Zach Jones ist für die Justiz kein Unbekannter. Hat ein langes Vorstrafenregister. Seine Karriere reicht rund zwei Jahrzehnte zurück. Hat als kleiner Ladendieb angefangen und sich dann hochgearbeitet – wenn man das so ausdrücken will. Er ist ein paar Mal im Gefängnis gewesen, aber immer nur für mittelschwere Delikte. Ah, hier ist was Interessantes: Er arbeitet für den Washingtoner Drogenboss Tommy Heatherty, war wohl einer seiner Leute fürs Grobe.«
»Dann lass mich raten: Der andere war auch einer von Heathertys Leuten«, sagte ich.
»Wahrscheinlich«, meinte Phil und schaute nach. »Da ist er ja, Harold Gwenty, zweiundvierzig, hat eine ähnliche Karriere wie Jones hinter sich und – ja, du hast recht, auch er arbeitet für Tommy Heatherty.«
»Also haben wir es mit zwei hingerichteten Schlägertypen eines Gangsterbosses aus Washington zu tun«, sagte ich. »Fragt sich, was sie hier, so weit entfernt von ihrem Revier, wollten.«
»Das herauszufinden wird uns sicher zum Täter führen«, meinte Phil und recherchierte weiter. »Dieser Heatherty ist ein ziemlich schlimmer Finger – wobei ihm bisher so gut wie nichts nachgewiesen werden konnte. Sein Hauptgeschäft ist Drogenhandel. Daneben verdient er an Prostitution und illegalen Wettgeschäften. Das sind aber wohl nur Nebeneinkünfte. Das große Geld macht er mit Straßendrogen wie Koks, Dope und Heroin. Aber auch medizinische Drogen sollen zu seinem Repertoire gehören. Er ist seit etwa zehn Jahren auf dem Schirm der Washingtoner Behörden, die ihm aber bisher nie etwas nachweisen konnten. Aalglatter Typ. Um sein Image aufzupolieren, hat er mehrere Stiftungen ins Leben gerufen, eine für Waisenkinder und eine weitere für Frauen in Not.«
Ich verzog das Gesicht. »So ist das, die großen Gangster zerstören die Leben von Tausenden und beauftragen dann ein paar Marketing-Leute, damit die ihnen einen guten Ruf verschaffen. Etwa wie die typische Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Story, die den amerikanischen Traum thematisiert, aber oft frei erfunden ist. Aber so gerne ich Heatherty das Handwerk legen würde – es ist kaum anzunehmen, dass er für den Tod von zwei seiner Leute verantwortlich ist.«
»Aber vielleicht kommen wir über den Fall an ihn heran«, meinte Phil.
»Ja, vielleicht«, bestätigte ich.
Während Phil zusätzliche Informationen besorgte, fuhr ich weiter zum Tatort. Dort bot sich uns ein Bild des Schreckens.
***
Wir stiegen aus dem Wagen und gingen auf die Absperrung zu, wo gerade ein paar Journalisten heftig mit einem Cop diskutierten. Offenbar wollte er sie nicht durchlassen, was verständlich war. Aber die Journalisten ließen nicht locker. Wahrscheinlich witterten sie eine heiße Story. Natürlich blieb der Cop hart. Schimpfend zogen sie endlich ab.
»Ganz schön was los«, sagte Phil zu ihm und zeigte seinen Dienstausweis.
Der Cop nickte. »Ja, unglaublich, was die alles für eine Story tun würden.«
»Wo finden wir den zuständigen Detective?«
Der Cop deutete in Richtung eines der Schiffe, die hier vor Anker lagen. »Immer geradeaus, dann können Sie ihn nicht verfehlen. Es ist der kleine Kerl mit dem Brad-Pitt-Bart.«
Wir bedankten uns und gingen weiter. Es waren etwa ein halbes Dutzend Cops vor Ort und einige Leute von der Crime Scene Unit. Ich konnte Dr. Janice Drakenhart sehen, die sich auf dem Deck des Schiffes befand, auf das wir gerade zugingen.
»Ganz schön viel los«, meinte Phil.
»Stimmt«, sagte ich.
Wir erreichten das Schiff und gingen an Bord. Dr. Drakenhart bemerkte uns und kam sofort auf uns zu. »Jerry, Phil, schön, euch zu sehen.«
Wir erwiderten die Begrüßung.
»Da ist jemand nicht zimperlich gewesen«, sagte Dr. Drakenhart und warf mit einer schnellen Kopfbewegung ihr Haar nach hinten.
Es war hellblond. Offenbar hatte sie es wachsen lassen und diesmal anders gefärbt als sonst.
»Was genau ist denn mit den beiden passiert?«, fragte Phil.
»Soweit ich bisher sagen kann, sind die beiden gefoltert worden«, antwortete sie. »Und zwar auf ziemlich brutale Art und Weise. Alles in allem ziemlich brutal und blutig. Folter mit anschließender Hinrichtung. Dann wurden die beiden an eine Schwimmboje gebunden und in den East River geworfen. Der Täter wollte, dass man sie findet.«
»Also wollte er ein Zeichen setzen«, meinte Phil.
»Definitiv«, bestätigte Dr. Drakenhart.
»Irgendwelche Hinweise darauf, wo die beiden gefoltert und getötet worden sind?«, fragte ich.
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, bisher noch nicht. Die Laboruntersuchungen könnten uns mehr Aufschluss darüber geben. Wir sind hier fertig. Ich habe die Leichen nur noch nicht abtransportieren lassen, weil ich auf euch gewartet habe.«
»Wir schauen uns kurz um, dann könnt ihr weitermachen«, sagte ich. »Wie sieht es mit dem Todeszeitpunkt aus? Konntest du den bestimmen?«
»Eher schätzen, würde ich sagten«, antwortete sie. »So, wie die Haut aussieht, würde ich sagen, dass sie etwa vier Stunden im Wasser gewesen sind. Genauere Angaben kann ich machen, wenn ich sie im Labor untersucht habe.«
»Wenn wir die Geschwindigkeit des Wassers zugrunde legen, können wir die Stelle, wo sie ins Wasser gebracht wurden, in etwa bestimmen«, meinte Phil. »Fragt sich nur, ob uns das dabei hilft, den Tatort zu finden.«
»Wäre einen Versuch wert«, sagte ich.
Zusammen mit Phil ging ich zu den beiden Leichen. Sie sahen ziemlich schlimm aus. Ihre weißen Körper waren völlig entblößt und zeigten Dutzende von Wunden. Hätte das Wasser nicht einen großen Teil des Blutes abgewaschen, hätten sie noch schlimmer ausgesehen. So konnte man aber die vielen Schnitt- und Stichverletzungen erkennen, die ihnen zugefügt worden waren. Die Gesichter waren nur noch Fratzen, mit Einschusslöchern in der Stirn. Besonders schlimm sahen die Austrittswunden aus.
»Sieht aus, als wenn jemand ziemlich sauer auf die beiden war«, sagte ein Mann, der auf uns zukam und sich als Detective Hogwar vorstellte. »Wenn das keine Rache war, dann weiß ich auch nicht.«
»Gut möglich«, sagte ich nur. »Wer hat die beiden denn gefunden?«
»Der Besitzer des Bootes«, antwortete der Detective. »Wollte einen schönen Tag draußen auf dem Meer verbringen und fuhr gerade den East River herunter, als er etwas im Wasser schwimmen sah. Ist näher herangefahren und hat dann erst einmal einen Schock bekommen. Als er sich davon erholt und festgestellt hat, dass die beiden tot sind, hat er sie ins Schlepptau genommen und hierhergebracht. Das wird er wohl so schnell nicht vergessen.«
»Ist auch kein schöner Anblick«, meinte Phil. »Auch wenn die beiden keine netten Menschen waren – so sollte niemand sterben müssen.«
»Wollen Sie noch mit Mister Fendworth, dem Schiffseigentümer, reden?«, fragte der Detective.
Ich nickte. »Ja, kann nicht schaden.«
Der Detective führte uns zu einem Mann von schätzungsweise sechzig Jahren, der etwas weiter entfernt auf dem Schiff saß und mit leerem Blick auf das Wasser blickte. Er hatte mittelgraues, relativ volles Haar, das in starkem Kontrast zu seinem blassen Gesicht stand.
»Mister Fendworth, wir sind die Special Agents Decker und Cotton vom FBI New York«, stellte ich uns kurz vor.
Er nickte geistesabwesend. Ich war mir nicht sicher, ob er mich richtig verstanden hatte. Offenbar hatte ihn das, was er gerade erlebt hatte, ziemlich mitgenommen.
»Sie haben die beiden Männer gefunden?«, fragte ich.
Wieder nickte er nur.
»Können Sie mir kurz erzählen, was geschehen ist?«, fragte ich und kniete mich nieder, um ihm besser in die Augen schauen zu können.
Er erzählte das, was der Detective uns bereits gesagt hatte, wobei seine Ausführung weitaus detaillierter und emotionaler war.
»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen? Vielleicht ein Boot, das von der Boje weggefahren ist?«, fragte ich nach.
Fendworth schüttelte den Kopf. »Nein, sonst war da nichts, gar nichts. Ich glaube, die waren schon eine ganze Weile im Wasser, so wie die aussahen.«
»Vielen Dank, Mister Fendworth«, sagte ich.
Der Detective, Phil und ich verließen das Boot.
»Den hat es ganz schön erwischt«, meinte Phil.
»Tja, posttraumatischer Stress«, bemerkte Detective Hogwar. »Mit etwas Glück ist er in ein paar Tagen darüber hinweg. Bis dahin wird er allerdings eine heftige Zeit durchleben. Ich lasse ihn besser nach Hause bringen, sonst passiert ihm unterwegs noch was.«
»Ja, machen Sie das«, stimmte ich ihm zu.
»Und was machen wir?«, fragte Phil. »Wir sollten das NYPD informieren. Die Kollegen können uns dabei helfen, den Tatort ausfindig zu machen. Bei der Folter haben die beiden sicher eine Menge Blut verloren. Sofern der Täter keine Plane oder etwas in der Art verwendet hat, wird der Tatort entsprechend schlimm aussehen.«
Ich nickte. »Ja, guter Vorschlag. Fahren wir zum Büro. Dort können wir Mister High Bericht erstatten und das in die Wege leiten.«
Wir wollten den abgesperrten Bereich gerade verlassen, als hinter uns einige Leute aufschrien. Sofort drehten wir uns um und sahen ein kleines, schnelles Motorboot herankommen. Auf ihm befanden sich drei Personen. Ich erkannte einen der Journalisten, der vorher versucht hatte, zum Tatort durchzukommen, wieder. Er hatte eine Kamera in der Hand. Und während der Mann am Steuer des Bootes so nah wie möglich an die Stelle, wo die beiden Leichen lagen, heranfuhr, hielt er die Kamera hoch und machte Aufnahmen.
»Verdammt, die können es einfach nicht lassen!«, fluchte Phil.
Dr. Drakenhart hatte das Boot offenbar auch bemerkt und deckte die beiden Leichen mit einer Plane zu. Ich war mir nicht sicher, ob sie schnell genug gewesen war.
»Überlassen wir sie den Kollegen vom NYPD«, sagte ich.
Wir gingen zum Jaguar und fuhren zum FBI Field Office an der Federal Plaza.
***
»Guten Morgen«, begrüßte uns Helen mit gedämpfter Stimmung. »Schlimme Sache, ich habe schon davon gehört.«
»Ja, schlimm und menschenunwürdig«, erwiderte Phil.
»In all den Jahren, die ich hier arbeite, habe ich schon viel erlebt«, sagte Helen. »Es gibt aber immer wieder abscheuliche Sachen wie diese, die mich aufs Neue schockieren. Gewöhnt man sich denn nie daran?«
»Nein, ich glaube, daran kann man sich nicht gewöhnen, solange man noch etwas Menschlichkeit besitzt«, sagte ich.
»Ja, das stimmt wohl«, sagte sie und kündigte uns bei Mr High an. »Ihr könnt reingehen.«
Wir betraten das Büro unseres Chefs. Er saß an seinem Schreibtisch und schaute konzentriert auf den Monitor, der auf seinem Schreibtisch stand. Dann wandte er sich uns zu.
»Ich fürchte, das war erst der Anfang«, sagte er nach einer kurzen Begrüßung. »Schlägertypen wie Jones und Gwenty lassen sich nicht einfach so überrumpeln und töten. Und die Tatsache, dass sie so leicht gefunden wurden, weist darauf hin, dass der Täter eine Botschaft schicken wollte.«
»Ja, wahrscheinlich an Tommy Heatherty, den Boss der beiden«, bemerkte Phil.
»Davon ist auszugehen«, sagte Mr High. »Fragt sich nur, wem Heathertys Männer in die Quere gekommen sind.«
»Das sollte nicht allzu schwer herauszufinden sein«, sagte ich. »Wir können unsere Kollegen in Washington kontaktieren, die wissen sicherlich einiges über Heatherty und seine Geschäfte, sicherlich auch, mit wem er aktuell Probleme hat. Das könnte uns direkt zum Täter führen. Was wir dann allerdings noch benötigen, sind klare Beweise, um den Schuldigen vor Gericht zu bringen. Das kann in diesem Fall recht schwierig sein, da davon auszugehen ist, dass wir es mit einem Profi zu tun haben.«
»Könnte auch sein, dass es sich um einen Auftragsmord handelt, also einer von Heathertys Konkurrenten die Männer hat töten lassen«, meinte Phil. »Wenn wir den Tatort kennen würden, wären wir bereits einen Schritt weiter. Da könnten wir die Unterstützung des NYPD brauchen.«
Mr High nickte. »Das werde ich mit den entsprechenden Stellen koordinieren. Weitere Hinweise von der Forensik würden dabei helfen.«
»Dr. Drakenhart leitet die Untersuchungen«, sagte ich. »Sie arbeitet ziemlich schnell. Sollte also nicht allzu lange dauern, bis wir mehr über den Tatort wissen – wobei ich hoffe, dass das Wasser nicht allzu viele Spuren beseitigt hat.«
»Und wir kontaktieren einen unserer Kollegen von der Abteilung für das organisierte Verbrechen in Washington, um mehr über Heatherty und dessen Konkurrenz zu erfahren«, sagte Phil.
Mr High stellte uns noch ein paar Fragen und entließ uns dann. Vor seinem Büro wartete Helen mit frisch aufgebrühtem Kaffee auf uns.
»Bei all der Gewalt in der Welt sollte man die guten Manieren nicht vergessen«, sagte sie freundlich.
»Ganz meine Meinung«, pflichtete Phil ihr bei und schnupperte an der Tasse. »Duftet hervorragend – wie immer.«
Wir nahmen uns kurz Zeit, Helens Kaffee zu genießen, bedankten uns bei ihr und gingen dann zu unserem Büro.
»Wen sollen wir in Washington anrufen?«, fragte Phil und überlegte. »Wie wäre es mit Ben Jenkins, arbeitet der nicht in der Abteilung für organisierte Kriminalität?«
»Glaube schon«, sagte ich. »Fragt sich nur, ob er auch mit den Geschäften unseres Freundes Heatherty vertraut ist. Aber das kann er uns ja sagen. Hast du seine Nummer?«
»In wenigen Augenblicken«, sagte Phil und suchte sie heraus. »Da ist sie ja.«
Er wählte und aktivierte die Freisprecheinrichtung des Bürotelefons.
»Special Agent Jenkins«, meldete sich der Angerufene.
»Hallo, Ben, hier sind Jerry und Phil aus New York«, sagte Phil.
»Jerry, Phil, Mensch, von euch habe ich ja schon eine kleine Ewigkeit nichts mehr gehört. Wie geht es euch? Und wie läuft’s in New York?«
»Uns geht’s gut, Unkraut vergeht nicht«, antwortete Phil. »Und was New York angeht – seit heute früh haben wir zwei Leichen mehr. Und zwar zwei, die aus Washington stammen: Zach Jones und Harold Gwenty. Die sollen für einen gewissen Tommy Heatherty gearbeitet haben. Klingelt es da bei dir?«
»Und ob«, meinte Agent Jenkins. »Die beiden sind ziemlich fiese Typen und arbeiten schon eine ganze Weile für den Boss von South Washington, wie Heatherty auch genannt wird. Sind recht große Nummern in seiner Organisation. Wenn die in New York waren, dann ging es bestimmt um was Großes.«
»Das nehmen wir auch an – vor allem wegen der Art und Weise, wie sie getötet wurden«, sagte Phil. »Da ist jemand wenig zimperlich mit ihnen umgegangen und hat sie nach ihrer Hinrichtung an eine Boje gehängt und den East River runterschwimmen lassen. Sollte wohl eine Botschaft sein.«
»Mann, starker Tobak«, sagte Jenkins. »Das passt zu dem, was gerade hier abläuft. Wie es scheint, hat Heatherty seit einiger Zeit Probleme mit seinem Revier. Das Drogengeschäft läuft nicht mehr so gut und Duc Phem, einem Drogenboss aus dem Norden der Stadt, dem es ähnlich geht, hat mehrmals versucht, in Heathertys Gebiet einzudringen. Die beiden sind erbitterte Feinde und es hat bereits vereinzelte Zusammenstöße der beiden Banden gegeben, bei denen auch einige Leute krankenhausreif geschlagen wurden. Zu einem Mord ist es bisher aber nicht gekommen. Mann oh Mann, das ist nicht gut. Wenn die sich jetzt auf dieser Ebene bekriegen, geraten bestimmt viele Unschuldige ins Kreuzfeuer. Das können wir hier gar nicht brauchen.«
»Sieht aber so aus, als ob ihr genau das bekommen würdet«, sagte ich. »Hast du eine Idee, warum Heatherty zwei seiner Männer nach New York geschickt hat, so weit entfernt von seinem eigenen Revier? Läuft da noch was anderes?«
Agent Jenkins überlegte. »Es gab da vor kurzem ein Gerücht, dass Heatherty sich nach neuen Einkunftsquellen umsehen würde. Das war, wie gesagt, nur ein Gerücht und nicht sehr spezifisch. Vielleicht hatte der Abstecher seiner beiden Männer ja etwas damit zu tun.«
»Dann versucht er vielleicht, in New York Fuß zu fassen«, überlegte Phil laut. »Oder er will neue Geschäftsbeziehungen knüpfen.«
»Was auch immer es war – es hat irgendjemandem überhaupt nicht gefallen«, sagte ich.
»Ich werde mich bei meinen Kollegen und auf der Straße umhören«, sagte Jenkins. »Da werde ich bestimmt was erfahren, was Licht in die Sache bringt.«
»Das wäre hilfreich«, meinte Phil. »Wir nehmen uns die potenziellen Täter hier in New York vor. Dabei sollten wir schnell vorgehen, bevor die Situation weiter eskaliert. Einen Bandenkrieg können wir hier im Big Apple genauso wenig brauchen wie ihr in DC.«
»Alles klar, ich melde mich dann«, sagte Agent Jenkins und legte auf.
»Und wir erstellen eine Liste derjenigen, die etwas gegen Heathertys Aktivitäten in New York gehabt haben könnten«, sagte ich zu Phil. »Ganz oben auf der Liste stehen die Drogenbosse, in deren Revier er vielleicht eindringen wollte. Vielleicht einer, von dem angenommen wird, dass es leicht ist, sein Erbe anzutreten, und der deshalb ein Exempel statuieren wollte, um Stärke zu demonstrieren und weitere potenzielle Eindringlinge abzuschrecken.«
»Diesbezüglich sollten wir besser mit unseren Leuten reden, die sich in der Drogenszene auskennen«, meinte Phil. »Die freuen sich bestimmt über einen Besuch von uns.«
»Gut, vertreten wir uns die Beine«, sagte ich und stand auf.
***
Wir verließen unser Büro und statteten Agent Don Murser einen Besuch ab. Er hatte sein Leben dem Kampf gegen Drogen verschrieben und war einer der dienstältesten Agents in diesem Bereich.
»Hallo, Don«, begrüßte ich ihn freundlich, als wir sein Büro erreicht hatten.
Er schaute auf und lächelte. »Jerry, Phil, schön, euch zu sehen. Ihr verirrt euch ja in letzter Zeit selten in diesen Teil des Gebäudes.«
»Ja, die Arbeit nimmt uns ziemlich in Anspruch«, sagte ich. »Und auch diesmal sind wir nicht nur hier, um einen alten Freund zu besuchen, sondern auch, um mit unserem aktuellen Fall weiterzukommen.«
Er nickte. »Die beiden Toten im East River – ich habe das Memo bekommen. Das ist doch euer Fall, nicht wahr?«
»So ist es«, bestätigte Phil. »Wir wollen herausfinden, wer die beiden so zugerichtet hat. Da sie für den New Yorker Drogenboss Tommy Heatherty gearbeitet haben, liegt der Schluss nahe, dass sie getötet wurden, weil sie hier etwas für ihren Boss erledigen sollten.«
»Na ja, Urlaub werden die bestimmt nicht gemacht haben, auch wenn New York immer eine Reise wert ist«, sagte Murser und verzog das Gesicht. »Also wieder Drogen. Hätte ich mir ja denken können. Aber ich muss euch enttäuschen, ich habe nicht gehört, dass dieser Heatherty irgendetwas mit einem der hiesigen Drogenbosse zu tun hätte.«
»Heatherty hat in Washington Probleme mit der Konkurrenz«, sagte ich. »Wir vermuten, dass er versucht, seine dortigen Verluste auszugleichen, indem er hier einsteigt.«
Agent Murser räusperte sich. »Wenn er das wirklich versucht hat, verstehe ich, dass man seinen Leuten so übel zugesetzt hat. Von den New Yorker Bossen wird keiner sein Revier freiwillig aufgeben oder zulassen, dass sich dort jemand anders breitmacht. Um die aktuellen Reviere ist hart gekämpft worden. Und jeder, der versucht, einem der Bosse etwas streitig zu machen, muss mit einer solchen Reaktion rechnen.«
»Vielleicht haben Heathertys Männer die Konkurrenz unterschätzt«, sagte ich. »Wir brauchen eine Liste all jener Bosse, die für eine Übernahme in Frage kommen könnten. Insbesondere solche, die in der letzten Zeit Schwäche gezeigt haben.«
»Wenn ich darüber nachdenke, fallen mir doch ein paar ein, die in Frage kommen könnten«, sagte Agent Murser. »Da wäre zunächst einmal Gerald Fourtmen, dessen Organisation einen Teil von Brooklyn kontrolliert. Er wurde kürzlich bei einer Schießerei verletzt und liegt im Krankenhaus. Vielleicht dachte Heatherty, dass seine Organisation geschwächt ist und er leichtes Spiel haben würde.«
»Also Fourtmen«, notierte Phil den ersten Namen. »Fällt dir sonst noch jemand ein?«
»Ja, Jeremy W. Kingston«, antwortete Agent Murser. »Der hatte vor kurzem einige Scherereien mit einem seiner engsten Mitarbeiter. Der wollte sich Gerüchten zufolge selbständig machen, was er aber nicht mit Kingston abgesprochen hatte. Schwerer Fehler, der ihn das Leben gekostet hat. Kingston hat für Ordnung gesorgt und strukturiert seine Organisation gerade um. Der würde ins Schema passen.«
»Damit hätten wir schon zwei«, meinte Phil und schaute Agent Murser erwartungsvoll an.
Der nickte bedeutungsvoll. »Und Kandidat Nummer drei, das ist eine Kandidatin, Pauletta Higgins, die ein schönes Gebiet im Osten der Bronx kontrolliert. Wenn man sie nicht gut kennt, erscheint sie einem wie eine gutaussehende, charmante Frau, aber sie hat es faustdick hinter den Ohren. Aufgrund ihres Geschlechts wird sie oft unterschätzt. Das ist aber ein tödlicher Fehler, wie in der Vergangenheit einige Männer feststellen mussten. Higgins ist ziemlich durchtrieben und schreckt auch vor Mord nicht zurück. Die gehört auf jeden Fall auf eure Liste. Ich glaube, das sind die aussichtsreichsten Kandidaten.«
»Das ist ja schon mal was«, sagte Phil. »Dann werden wir uns die drei mal vornehmen. Bin gespannt, was wir finden.«
»Seid dabei aber vorsichtig!«, mahnte Agent Murser. »Bis jetzt hat es noch niemand von denen gewagt, sich an einem Cop zu vergreifen. Aber wenn jetzt wieder die Revierkämpfe losgehen und ihr zwischen die Fronten geratet, dann ist alles möglich.«
Ich lächelte ihn an. »Keine Sorge, wir passen schon auf. Und wenn nötig, besorgen wir uns Verstärkung.«
»Wenn ihr was von mir braucht, könnt ihr natürlich auf mich zählen«, sagte er.
Wir bedankten uns, erhielten noch ein paar detaillierte Informationen zu den drei Drogenbossen und deren Organisationen von ihm und gingen dann zu unserem Büro zurück. Dort studierten wir die vorliegenden Daten sorgfältig.
Als wir mit der Durchsicht der von Agent Murser zur Verfügung gestellten Unterlagen fast fertig waren, erreichte uns ein Anruf von Mr High.
»Der Tatort, an dem Jones und Gwenty gefoltert und ermordet wurden, ist möglicherweise gefunden worden«, informierte er uns. »Es handelt sich um ein verlassenes Lagerhaus in der South Bronx, in der Nähe des East River. Die Crime Scene Unit ist bereits auf dem Weg.«
»Wir fahren auch gleich los«, sagte ich und ließ mir von Mr High die Adresse geben. Dann beendeten wir das Gespräch.
»Mit etwas Glück finden wir am Tatort die DNA des Täters und können ihn so überführen«, sagte Phil. »Wäre dann mal ein einfacher Fall.«
»Ja, wäre es«, sagte ich skeptisch.
Wir verließen das Büro, gingen zur Tiefgarage, stiegen in den Jaguar und fuhren los.
***
Vor der großen alten Fabrikhalle, die aussah, als würde sie schon seit Jahren leerstehen, standen ein Streifenwagen und zwei Autos der Crime Scene Unit. Von Schaulustigen oder der Presse war nichts zu sehen.
»Sieht so aus, als hätte noch niemand spitzgekriegt, um was für einen Ort es sich hier möglicherweise handelt«, sagte Phil.
»Möglicherweise«, wiederholte ich. »Bis jetzt gehen wir nur einem Hinweis nach. Bin gespannt, was sich daraus ergibt.«
Wir betraten die baufällig aussehende Halle. Die Decke war schätzungsweise zehn Meter hoch und die Halle fast vollkommen leer, bis auf die Menschen, die sich in ihr befanden. Sie hielten sich etwa in der Mitte auf. Dr. Drakenhart gab zwei Männern ihres Teams Anweisungen. Zwei Cops standen etwas abseits und unterhielten sich. Als sie uns sahen, unterbrachen sie ihr Gespräch und kamen auf uns zu.
»Sind Sie die beiden Agents vom FBI?«, fragte der Größere der beiden.
»Ja, die sind wir, Agents Decker und Cotton«, antwortete ich.
»Schön, dass Sie so schnell gekommen sind«, meinte unser Gesprächspartner. »Ich bin Officer Biggsby, das ist mein Partner Henderson. Als wir die Meldung bekamen, nach dem Tatort zu suchen, an dem die beiden Leichen von heute Morgen gefoltert und umgebracht worden waren, habe ich eins und eins zusammengezählt. Diese alte Fabrikhalle befindet sich in dem Distrikt, in dem wir gewöhnlich auf Streife sind, und steht so weit außerhalb, dass man hier ungestört ist, wenn man etwas Illegales vorhat. Und sie befindet sich nicht weit vom East River entfernt. Also haben wir nachgesehen und das da entdeckt.«
Er deutete auf die Flecken auf dem Boden der Halle. »Frisches Blut. Hier haben schon mal kleinere und größere Schlägereien stattgefunden und ihre Spuren hinterlassen, aber das Blut ist frisch. Ich bin mir sicher, dass es zu den beiden gehört, die heute Morgen aus dem East River gefischt wurden.«
»Das würde uns enorm weiterhelfen«, sagte ich zu ihm. »Wenn es so ist, wird die Crime Scene Unit das bald bestätigen können. Aber gehen wir für den Moment davon aus, dass Sie mit Ihrer Vermutung recht haben. Gibt es irgendwelche Anhaltspunkte dafür, wer sich in der letzten Nacht hier aufgehalten hat?«
»Abgesehen von dem, was sich in dieser Halle befindet, wissen wir leider auch nichts«, antwortete Officer Biggsby. »Gestern Nacht hatten wir keinen Dienst und haben uns deshalb nicht in dieser Gegend aufgehalten. Aber wenn Sie das wünschen, werden wir uns gerne umhören. Vielleicht hat jemand was gesehen.«
»Das wäre eine sinnvolle Maßnahme und, da Sie sich hier auskennen, äußerst hilfreich«, erwiderte ich. »Aber warten Sie mit Ihren Ermittlungen bitte noch, bis wir die Bestätigung haben, dass die beiden hier waren.«
»Geht klar«, sagte Officer Biggsby lächelnd.
Phil und ich gingen zu Dr. Drakenhart, die uns lächelnd begrüßte. »Jetzt treffen wir uns heute schon das zweite Mal und es ist gerade mal Mittag.«
»Wobei wir noch keine Gelegenheit hatten, etwas zu essen«, meinte Phil.
»Willkommen im Club«, sagte Dr. Drakenhart. »Die Behörden sollten einen mobilen Versorgungsdienst einrichten, um ihre Mitarbeiter bei Laune zu halten – aber genug davon. Ihr wollt sicher wissen, ob das hier das Blut von Zach Jones und Harold Gwenty ist, nicht wahr?«
Ich nickte. »Ja, das und ob ihr hier sonst eine verwertbare Spur gefunden habt.«
Sie lächelte. »Spuren gibt es hier genug, auch Blut. Ist aber wahrscheinlich größtenteils recht alt. Wer weiß, wer sich hier in den letzten Jahren alles herumgetrieben und seine genetischen Spuren hinterlasen hat. Wir sammeln alles ein, damit wir es untersuchen können. Was dabei rauskommt, kann ich euch jetzt noch nicht sagen. Aber ich mache meinen Leuten Dampf, damit wir zumindest wissen, ob dies der gesuchte Tatort ist.«
»Gut. Wenn wir irgendwie helfen können …«, meinte Phil.
»Danke, aber wir machen das schon«, erwiderte sie. »Schaut nur, dass der Tatort nicht kontaminiert wird, bis wir mehr wissen. Falls es nicht die beiden von heute Morgen waren, die man hier hingerichtet hat, dann hat hier vielleicht eine andere Straftat stattgefunden.«
»Wir sagen den Kollegen vom NYPD Bescheid, damit sie sich um die Sicherung des Bereichs kümmern«, sagte Phil.
»Dann werde ich mal sehen, wie weit meine Leute sind«, sagte Dr. Drakenhart und entfernte sich von uns.
Wir sprachen kurz mit den beiden Officers und machten uns dann auf den Weg.
»Was meinst du?«, fragte ich Phil.
»Mein Instinkt sagt mir, dass das sehr wohl der Tatort sein könnte«, antwortete er. »Der Officer hat recht – aufgrund der Gegend und der Lage ist die Halle für eine solche Tat wie die, die wir untersuchen, prädestiniert.«
»Wenn es so ist und wir Glück haben, findet die Crime Scene Unit Spuren, die auf den Täter hinweisen«, sagte ich. »Wobei die Situation etwas komplizierter werden kann, da es hier vermutlich DNA-Spuren von vielen Personen gibt. Aber vielleicht können Janice und ihre Leute den Spuren auch ein Alter zuweisen, sodass wir in etwa wissen, wer wann hier war.«
»Wäre wünschenswert, hoffentlich sind die Spuren dazu ausreichend«, sagte Phil und deutete auf seinen Bauch. »Wir sollten die Zeit nutzen, um etwas zu essen. Dann können wir uns mit neuer Energie daranmachen, ein paar unserer Informanten aufzusuchen.«
»Nichts dagegen«, sagte ich. »Kannst du hier in der Gegend ein Restaurant empfehlen?«
»Nicht direkt in der Nähe, aber eine gute Meile von hier befindet sich ein rustikales Hamburger-Restaurant. Die grillen das Fleisch auf einem Holzkohlegrill, was einen besonders herzhaften Geschmack bringen soll.«
»Hört sich gut an«, sagte ich.
Wir stiegen ein und fuhren los. Phil lotste mich zum Ziel und kurz darauf kamen wir an. Wir betraten das Lokal, nahmen Platz und gingen die Speisekarte durch.
»Was können Sie zwei Männern wie uns mit kräftigem Hunger empfehlen?«, fragte Phil.
Die Kellnerin lächelte. »Den Special Bacon Burger. Viel Fleisch, gut durchgebraten, mit Pommes und Salat. Wird gerne genommen und macht definitiv satt.«
»Dann nehme ich einen«, sagte Phil. »Und dazu ein Mineralwasser.«
»Für mich bitte das Gleiche«, sagte ich.
»Im Moment ist nicht viel los, wird also schnell gehen«, sagte die Kellnerin und entfernte sich in Richtung Küche.
Tatsächlich hatten wir die Getränke schon eine Minute später. Dann kamen die Salate und kurz darauf die Burger.
»Wen kennen wir in der Gegend, der Infos über Drogengeschäfte haben könnte?«, fragte Phil, nachdem wir das Essen beendet hatten.
Ich überlegte kurz. »Was ist mit Billy Nowak? Wenn ihn der Stoff noch nicht umgebracht hat, können wir mit ihm reden.«
Phil nickte zustimmend. »Ja, der hat gute Kontakte. Und abgesehen von seinem Laster ist er ein netter Kerl.«
***
Wir fuhren weiter bis zur Boston Road, wo sich Nowak früher immer aufgehalten hatte. Das war sein Revier, wo er als kleiner Ganove seinen Geschäften nachging. Wir fuhren die Straße entlang, checkten die Seitengassen und wurden bald fündig. Nowak stand in einer Einfahrt und unterhielt sich angeregt mit einer jungen Dame, die mit ihrem kurzen Rock und der schwarzen Netzstrumpfhose ziemlich aufreizend wirkte.
Wir stiegen aus und gingen auf die beiden zu. Als die junge Dame uns erblickte, schaute sie erschrocken auf, flüsterte Nowak etwas zu und verschwand dann mit schnellen Schritten. Unser Informant sah aus, als wollte er das ebenfalls tun, ihm war aber klar, dass wir das nicht zulassen würden, weshalb er wohl davon absah.
»Ah, die berühmt-berüchtigten Agents Cotton und Decker«, sagte er freundlich, wobei die Freude nicht wirklich echt rüberkam.
»Gut erkannt«, erwiderte Phil. »Wie geht es dir dieser Tage, Nowak? Ich wusste gar nicht, dass du dich mit leichten Mädchen abgibst.«
»Nur rein privat, wirklich nur privat«, erwiderte Nowak und zeigte ein unechtes Lächeln.
Ich musterte ihn genau. Er hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert, und seit ich ihn vor ein paar Monaten das letzte Mal gesehen hatte, war der Verfall seines Körpers schneller als zuvor vorangeschritten. Seine Gesichtshaut war schlaff und blass, unter den Augen hatten sich tiefe, dunkle Furchen gebildet, und die einstige Haarpracht war kahlen Stellen gewichen. Seine Gesamterscheinung war nicht besser. Er wirkte unruhig und abwesend.
»Wir haben ein paar Fragen«, sagte ich zu ihm.
Er nickte. »Fragen, immer wieder Fragen, dafür seid ihr ja berühmt. Mal sehen, vielleicht kann ich euch ja Antworten geben. Worum geht es denn?«
»Hast du von den beiden Toten gehört, die heute früh im East River gefunden worden sind?«, fragte ich.
»Klar, wer denn nicht? Das ist aktuell eines der Top-Gesprächsthemen hier im Bezirk. Und es gibt dazu eine Menge Gerüchte«, antwortete er.
»Die würden wir gerne hören«, sagte Phil.
»Aber wie gesagt, es sind halt nur Gerüchte, die müssen nicht wahr sein«, sagte Nowak und fing an zu erzählen. »Ein paar Jungs, mit denen ich gesprochen habe, meinten, dass die beiden ihre Wettschulden bei Jonas Mixter nicht bezahlt hätten und deswegen von ihm massakriert worden wären. Ich persönlich glaube das nicht, denn Tote zahlen ihre Schulden nicht mehr. Buchmacher wie Mixter brechen einem vielleicht einen Finger oder schlagen einen zusammen, aber sie töten niemanden, das passt nicht zu deren Geschäftsmodell.«
»Klingt plausibel«, sagte ich. »Und was für Gerüchte gibt es noch?«
Nowak räusperte sich. »Das nächste Gerücht hört sich für mich auch nicht ganz realistisch an, könnte aber stimmen. Es heißt, dass irgendein Kerl die beiden Liebhaber seines Mädchens geschnappt, mit Folter bestraft und dann ermordet hätte. Eifersucht ist eine ziemlich starke Triebfeder, wäre also möglich.«
Phil klopfte ihm auf die Schulter. »Hör mal, Nowak, das sind ja alles schöne Gerüchte, aber wir würden gerne die etwas realistischeren Varianten hören, diejenigen, über die du lieber nichts erzählen würdest.«
Nowak schluckte. »Ich dachte, ihr wolltet alle Gerüchte hören, aber wenn das so ist, wenn ich mich auf die realistischeren konzentrieren soll, dann sagt das doch. Ich arbeite gern mit dem FBI zusammen, das wisst ihr. Und ich mache nie Schwierigkeiten, will selbst auch keine bekommen …«
»Ist ja gut«, unterbrach Phil ihn und schaute ernst. »Und komm jetzt endlich zu dem, was wir wissen wollen.«
»Vielleicht könnt ihr mir einen Hinweis geben, von welcher Art die Informationen sein sollen, die ihr wollt«, sagte Nowak eingeschüchtert.
»Drogen«, sagte Phil. »Erzähle uns etwas, das mit Drogen zu tun hat!«
Nowak zuckte leicht zusammen. Ihm war anzusehen, dass er eine Antwort zu diesem Thema parat hatte.
»Ja, auch da gibt es ein Gerücht, dass die beiden nämlich aus einer anderen Gegend kommen und hier in jemandes Revier wildern wollten. Ist ihnen nicht gut bekommen«, sagte er.
»Genau daran sind wir interessiert«, sagte ich. »Erzählt man sich auch, in wessen Revier sie unterwegs waren oder wer ihnen das angetan hat?«
Nowak schüttelte wild den Kopf. »Nein, sorry, davon habe ich nichts gehört. Muss aber wohl jemanden ziemlich sauer gemacht haben, dass die beiden hier aufgetaucht sind.«
»Das wissen wir auch«, meinte Phil. »Und es gibt wirklich keine Gerüchte darüber, wer die beiden so zugerichtet haben könnte?«
»Keine, von denen ich gehört habe«, antwortete Nowak.
»Gut, dann frage ich mal anders«, sagte Phil. »Wie steht es um Pauletta Higgins? Könnte es sein, dass die beiden ihr auf die Füße getreten sind? Ihr Revier ist ja nicht weit von hier entfernt.«
Nowak lächelte hämisch. »Das ist unwahrscheinlich, zumindest, wenn die beiden oder der, für den sie gearbeitet haben, Higgins gekannt haben. Sie ist zwar eine Frau, aber ein ziemliches Miststück. Etwa so wie die Schwarze Witwe. Erst lockt sie das Männchen an, lässt es sich besorgen, und wenn das erledigt ist, dann killt sie den Kerl. Miss Higgins macht das zwar nicht mit Kerlen so, aber mit allen, die ihr in die Quere kommen. Erst macht sie auf verletzliche Frau, täuscht ihrem Gegner vor, dass er leichtes Spiel hat, und dann zieht sie ihm das Fell über die Ohren. Der möchte ich abends nicht in einer dunklen Gasse begegnen.«
»Also wird sie im Zusammenhang mit dem Doppelmord nicht erwähnt«, sagte ich.
»Nein, sicher nicht. Und schon gar nicht nach dem, was letztes Jahr passiert ist«, antwortete er.
»Letztes Jahr?«, fragte Phil interessiert.
Der Informant schaute sich um, so als wolle er sicherstellen, dass niemand außer uns zuhörte. »Letztes Jahr waren ein paar Typen von einer asiatischen Gang drauf und dran, in ihr Revier einzudringen. So junge, wilde Typen, die dachten, dass sie die Größten sind. Na ja, man munkelte, es hätte ein Treffen zwischen denen und Miss Higgins gegeben. Danach hat man nie wieder etwas von den Schlitzaugen gehört oder gesehen, sie sind einfach von der Bildfläche verschwunden. Nicht, dass ich solche Typen vermissen würde, aber ich möchte nicht wissen, was Miss Higgins mit denen gemacht hat.«
»Na gut, wir haben’s kapiert«, sagte ich. »Wie sieht es mit Kingston aus? Der hatte doch kürzlich ein paar Personalprobleme. Könnte der die beiden aus seinem Revier vertrieben haben?«
»Gut möglich«, antwortete Nowak. »Dass er Probleme mit einem seiner Leute hatte, der sein eigenes Ding durchziehen wollte, habe ich auch gehört. Ob er was mit euren Leichen zu tun hat, weiß ich nicht. Könnte schon sein. Kingston fackelt nicht lange, und Gewalt ist für ihn eine beliebte Methode, um Probleme zu lösen.«
»Und was ist mit Fourtmen?«, fragte Phil. »Könnten die beiden versucht haben, sein Revier zu übernehmen? Hast du diesbezüglich was gehört?«
»Fourtmen?«, fragte Nowak nach. »Dessen Revier ist doch in Brooklyn, also recht weit von hier entfernt. Na ja, seit er im Krankenhaus liegt, wird gemunkelt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis irgendjemand seinen Laden übernimmt. Seine rechte Hand, Frank Helliwell, ist ihm zwar treu ergeben und versucht, den Laden zusammenzuhalten, aber er hat nicht dieselbe Klasse wie Fourtmen. Kann natürlich sein, dass Helliwell ein Exempel statuieren wollte und daher besonders brutal vorgegangen ist. Der spielt gerne den starken Mann, bis jetzt hat man ihm das aber nicht so recht abgekauft. Vielleicht hat er deshalb richtig hart zugeschlagen. Aber das ist nur eine Vermutung, gehört habe ich nichts dergleichen. Sorry, Leute. Habt ihr sonst noch jemanden, über den ich vielleicht mehr weiß?«
»Nein, das war erst mal alles«, sagte Phil. »Danke für die Infos.«
»Gern geschehen, bin immer ein Freund des FBI, das wisst ihr ja«, sagte Nowak mit untertänigem Tonfall in seiner Stimme. »Wenn ich noch was höre, kann ich euch ja anrufen.«
»Ja, mach das«, sagte ich. »Und pass auf dich auf. Das Leben ist ein kostbares Geschenk, das man nicht einfach wegwerfen sollte!«
Nowak schaute mich fragend an. Ich sagte nichts weiter, hoffte aber, dass er sich meine Worte zu Herzen nehmen würde.
»Der macht es nicht mehr lange«, meinte Phil, als wir den Jaguar erreicht hatten und Nowak außer Hörweite war.
»Ja, es sei denn, er ändert sein Leben schlagartig«, stimmte ich Phil zu.
»Und jetzt?«, fragte Phil. »Sollen wir uns weiter umhören? Oder fahren wir direkt zu Gerald Fourtmen oder seiner rechten Hand, diesem Frank Helliwell?«
»Am besten direkt zu Helliwell«, antwortete ich. »Wenn Fourtmen noch im Krankenhaus liegt, wird er an der Ermordung nicht beteiligt gewesen sein, auch wenn er sie vielleicht in Auftrag gegeben hat. Somit wäre Helliwell unser Man.«
»Zur Sicherheit überprüfe ich das mit dem Krankenhaus«, sagte Phil. »Nicht, dass uns da was entgeht.«
Er fand heraus, in welchem Krankenhaus sich der Drogenboss Fourtmen aufhielt und wie sein Zustand war. Laut den Informationen des behandelnden Arztes hatte er das Krankenhaus nicht verlassen und war aufgrund einiger Knochenbrüche auch nicht dazu in der Lage. Fourtmen fiel also als Täter aus.
»Gut, dann nehmen wir uns Helliwell vor«, sagte ich. »Liegen uns Informationen darüber vor, wo wir ihn finden können?«
Phil arbeitete schon am Bordcomputer. »Er und seine Leute operieren von einem Gebäudekomplex am Bay Ridge Parkway aus. Fourtmen gehören dort ein Restaurant, zwei Apartmenthäuser und eine Speditionsfirma. In dem Apartmenthaus wohnen wohl nur Verwandte von ihm und seinen Leuten, die größtenteils dort einquartiert sind. Es gab da schon mehrmals Razzien, dabei wurde aber nie auch nur ein Gramm Stoff gefunden. Offensichtlich handelt Fourtmen mit Drogen, lässt das Zeug aber nicht in die Nähe seiner Operationsbasis kommen.«
»Und was ist mit Helliwell? Was wissen wir über den?«, fragte ich.
»Ein angenehmer Zeitgenosse ist der zweiundvierzigjährige Frank Helliwell nicht, obwohl er studiert hat«, antwortete Phil. »Erst Philosophie, dann Jura. Aber das hat ihm wohl nicht gereicht. Hat einen schwarzen Gürtel in Karate und spielt gern den starken Mann. Rechtlich liegt fast nichts gegen ihn vor. Er versteht es wohl, seine Weste rein zu halten, und das, obwohl er bereits seit einigen Jahren für Fourtmen arbeitet. Muss ein ziemlich gewiefter Kerl sein. Angefangen hat er als Fourtmens Rechtsanwalt, später ist er in die Organisation eingestiegen und hat Karriere gemacht. Aktuell ist er Fourtmens Stellvertreter. Es wird vermutet, dass er mit der Beseitigung einiger Gegner zu tun hatte, es gibt aber keine konkreten Hinweise. Er soll gut mit Frauen können und ein richtiger Casanova sein.«
»Bin gespannt, wie er reagiert, wenn wir unangemeldet bei ihm auftauchen«, sagte ich.
»Das werden wir bald erfahren«, meinte Phil.
***
Die Fahrt zum Bay Ridge Parkway im Südwesten von Brooklyn verlief ohne besondere Vorkommnisse. Ich parkte den Jaguar demonstrativ vor dem Restaurant des Drogenbosses, dann stiegen wir aus.
An dem Restaurant deutete nichts darauf hin, dass es einem der größten Gangster der Gegend gehörte – außer den beiden kräftigen Männern, die auf dem Bürgersteig gegenüber dem Restaurant auf einer Bank saßen und sich auffällig unauffällig verhielten. Bei unserem Erscheinen holte einer von ihnen sein Handy heraus und fing an, im Flüsterton zu telefonieren.
»Dann brauchen wir uns ja nicht mehr anzukündigen«, sagte Phil, der die beiden ebenfalls bemerkt hatte.
Wir betraten das Restaurant. Das schätzungsweise halbe Dutzend Gäste wurde schlagartig still. Mir kam die Idee, dass es sich bei ihnen entweder um Mitglieder von Fourtmens Organisation oder deren Angehörige handelte, die allesamt in kriminelle Machenschaften verstrickt waren und einen G-man erkannten, wenn sie einen sahen.
Ohne uns von der merkwürdigen Szene beirren zu lassen, gingen Phil und ich zur Theke und sprachen den Mann an, der sich dort befand und uns mit argwöhnischem Blick musterte.
»Wir möchten zu Helliwell«, sagte Phil freundlich.
»Zu wem?«, fragte der Mann und versuchte den Eindruck zu erwecken, als ob er nicht wüsste, von wem Phil sprach.
»Frank Helliwell«, erwiderte Phil. »Wir sind vom FBI und möchten ihm gerne ein paar Fragen stellen.«
Als der Mann hinter der Theke sich immer noch dumm stellte, wurde Phil deutlicher. »Wir können uns auch eine Vorladung besorgen oder mit einem Dutzend Agents zurückkommen und den ganzen Laden auseinandernehmen, um ihn zu finden.«
Das schien zu funktionieren, denn wenige Augenblicke später klingelte an der Theke das Telefon. Phils Gesprächspartner ging dran, nickte, deutete auf eine Tür rechts von sich, schaute zu uns und sagte: »Gehen Sie da rein!«
Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu und tat so, als würde er Gläser abtrocknen – die allerdings schon trocken waren. Wir kümmerten uns nicht weiter um ihn, sondern gingen durch die Tür, auf die er hingewiesen hatte.
Dahinter befand sich ein kurzer Gang, der in einem relativ großen Raum mündete, wahrscheinlich ein Anbau hinter dem Hauptgebäude. Dort erwarteten uns zwei finster aussehende Typen in dunklen Anzügen. Als wir bis auf drei Meter an sie herangekommen waren, sagte der Rechte von ihnen mit tiefer Bassstimme: »Bleiben Sie bitte stehen und legen Sie Ihre Waffen ab!«
Wir blieben stehen.
»Den ersten Wunsch können wir Ihnen erfüllen, den zweiten nicht«, antwortete Phil. »Wir behalten unsere Waffen.«
Als unser Gegenüber zögerte, sagte ich: »Wir sind FBI-Agents und nicht irgendwelche Gangster von einer anderen Organisation. Und wir sind hier, um Ihren Boss zu sprechen. Machen Sie uns also keine Schwierigkeiten.«
»Ich will Ihre Dienstausweise sehen«, sagte der rechte Mann ungerührt.
Wir zeigten die Ausweise vor, die er genau musterte. »In Ordnung, einen Moment bitte.«
Er drehte sich um und schaute irgendwo hin. Wohin genau, konnte ich nicht sehen, da mir eine Schrankwand die Sicht versperrte. Aber da er nickte, ging ich davon aus, dass sich dort jemand befand, der ihm Weisungen erteilte.
»Folgen Sie mir bitte!«, sagte er kühl und ging vor, in die Richtung, in die er zuvor geschaut hatte.
Wir folgten ihm und sahen Frank Helliwell, der auf einer massiven, dunkelbraunen Ledercouch saß. Er hatte sich zurückgelehnt und die Beine lässig übereinandergeschlagen. Als wir uns ihm näherten, musterte er uns genau. Dabei versuchte er ein freundliches Gesicht zu machen, was ihm allerdings nur leidlich gelang. Er war offenbar kein guter Schauspieler.
»Nun, meine Herren, Sie wollten zu mir – und da bin ich«, sagte er und bedeutete uns Platz zu nehmen. »Wie waren gleich noch Ihre Namen?«
»FBI-Agents Phil Decker und Jerry Cotton«, antwortete ich.
»Mir ist, als hätte ich diese Namen schon mal irgendwo gehört, ich kann mich aber nicht mehr erinnern, in welchem Zusammenhang das war«, sagte Helliwell.
»Da gibt es viele Möglichkeiten, da wir schon einige Jahre in der Bundesbehörde arbeiten und bereits einige wenig ehrbare Menschen hinter Gitter gebracht haben«, erwiderte Phil bissig.
»Zwei gute Cops also – oh, entschuldigen Sie, ich meinte natürlich Agents«, sagte Helliwell und beugte sich nach vorne. »Möchten Sie etwas trinken?«
»Nein, danke, wir sind im Dienst«, lehnte ich ab.
»Ja, der Dienst, verstehe«, sagte er und schaute erst Phil und dann mich an. »Was kann ich dann für Sie tun, meine Herren?«
»Wir haben gehört, dass es in Ihrer Organisation Probleme gibt, seit Ihr Boss, Gerald Fourtmen, im Krankenhaus liegt. Es ist zu Revierstreitigkeiten gekommen«, sagte ich ruhig.
Helliwell lächelte. »Meine Herren, das hört sich alles so negativ, geradezu kriminell an, wie Sie das ausdrücken.«
Ich schaute ihm ernst in die Augen. »Nennen Sie es, wie Sie wollen. Sie kennen selbst am besten die Schwierigkeiten, in denen Sie stecken. Sie stehen unter großem Druck, das ist klar. Aber dass Sie die beiden Männer aus Washington so übel zurichten mussten – war das nicht etwas übertrieben?«
»Wie bitte?«, fragte Helliwell überrascht. »Welche zwei Männer? Worum geht es hier überhaupt?«
»Zach Jones und Harold Gwenty«, antwortete Phil. »Die beiden Männer von Tommy Heathertys Organisation, die versucht haben, in Ihr Revier einzudringen.«
Unserem Gesprächspartner schien ein Licht aufzugehen. »Ach, Sie meinen die beiden, die man heute aus dem East River gefischt hat. Und Sie nehmen an, dass ich oder einer meiner Männer dahintersteckt? Oh Mann, jetzt verstehe ich, woher der Wind weht. Aber da muss ich Sie leider enttäuschen – damit habe ich nichts, aber auch gar nichts zu tun.«
Ich musterte ihn genau. Er schien die Wahrheit zu sagen. Aber vielleicht war er doch ein besserer Schauspieler, als ich angenommen hatte.
»Wo waren Sie in der letzten Nacht?«, fragte ich.
Er überlegte. »Etwa ab zehn Uhr war ich mit meiner Frau zusammen – die ganze Nacht, bis heute gegen neun etwa. Deckt das die Tatzeit ab, für die ich ein Alibi benötige?«
»Möglicherweise«, sagte ich. »Wir benötigen dann natürlich noch die Aussage Ihrer Frau.«
»Ich denke, das wird sich einrichten lassen«, antwortete er, nahm sein Handy, das neben ihm auf der Couch lag, in die Hand und tätigte einen Anruf. »Schatz, hier sind zwei Herren vom FBI, die gerne mit dir sprechen würden. Kannst du kurz runterkommen? Ja, in Ordnung.«
Er legte das Handy zur Seite und wandte sich an uns. »Sie kommt gleich, was auch immer das bei Frauen bedeuten mag.«
»Sehr schön. Und wir hätten gerne eine DNA-Probe von Ihnen«, fügte ich hinzu.
»Können Sie haben«, sagte er und wurde dann eine Nuance ernster. »Aber natürlich erst, wenn Sie einen entsprechenden Gerichtsbeschluss vorlegen können. Denn auch wenn ich unschuldig bin und nichts zu verbergen habe – meine Rechte, die kenne ich.«
»Sollen Sie haben«, sagte ich.
»Sie streiten also ab, etwas mit der Ermordung der beiden Männer zu tun zu haben?«, hakte Phil noch mal nach und achtete auf Helliwells Reaktion.
»Ja, definitiv und absolut, ich kenne die beiden nicht, habe nie mit ihnen zu tun gehabt und sie standen auch in keiner Beziehung mit irgendwelchen Firmen, die ich für Mister Fourtmen verwalte«, antwortete er.
»Nett ausgedrückt«, sagte Phil sarkastisch lächelnd und wurde dann wieder ernst. »Aber wenn Sie es waren, dann werden wir Sie dafür drankriegen, das verspreche ich Ihnen!«
»Wollen Sie mir etwa drohen, Agent Decker?«, fragte Helliwell mit einem süßlichen Lächeln auf den Lippen.
Phil schüttelte den Kopf. »Nein, ich wollte das nur klarstellen.«
»Das haben Sie ja jetzt«, erwiderte unser Gesprächspartner und schaute lässig auf seine goldene Uhr. »Wo bleibt meine Frau denn nur? Kaum zu glauben, wie lange es dauert, die paar Meter zurückzulegen. Wahrscheinlich verbringt sie noch eine kleine Ewigkeit im Bad. Wollen Sie nicht vielleicht doch etwas trinken?«
»Nein, danke«, sagte ich.
***
Danach herrschte eisige Stille. Weder er noch wir sagten mehrere Minuten lang ein Wort. In dieser Zeit musterte ich ihn genau. Er war nervös, das konnte ich sehen, auch wenn er sich Mühe gab, das zu verbergen. Er wich meinen Blicken zumeist aus und nahm sich schließlich sein Handy und tat so, als würde er Termine durchgehen.
Schließlich wurde eine der Türen des Raumes geöffnet und eine umwerfende Frau trat ein. Sie war schlank, aber nicht zu sehr, und trug eng anliegende, figurbetonte Kleidung, die eher dunkel gehalten war. Dabei bewegte sie sich elegant wie eine Katze, langsam, aber geschmeidig. Zudem strahlte sie etwas aus, eine Distinguiertheit, die mir bisher nur bei wenigen Frauen untergekommen war.
Während sie uns absichtlich übersah, ging sie zu ihrem Mann hinüber, bückte sich zu ihm und gab ihm einen langen Kuss, wobei sie uns ihre aufregende Hinteransicht zeigte.
Dann richtete sie sich wieder auf, schaute uns an und lächelte. »Guten Tag, meine Herren, Sie müssen die beiden Agents sein, die meinen Mann dazu bewogen haben, mich zu ihm zu bitten.«
»In der Tat, die sind wir, Special Agents Decker und Cotton«, sagte ich und war einen Augenblick lang noch von ihrer Ausstrahlung bezaubert.
Dabei entging mir aber auch das selbstgefällige Grinsen im Gesicht ihres Mannes nicht, der sich offenbar der Wirkung, die seine Frau auf Männer hatte, sehr wohl bewusst wahr.
Sie machte zwei Schritte auf uns zu und stellte sich vor. »Claire Helliwell.«
Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen, so, als ob sie einen Handkuss erwarten würde. Ich stand auf und schüttelte die Hand stattdessen. Phil tat es mir gleich.
Sie setzte sich neben ihren Mann aufs Sofa. »Nun, meine Herren, was kann ich für Sie tun?«
Phil räusperte sich. »Mistress Helliwell, wir würden gerne wissen, von wann bis wann Sie in der letzten Nacht mit Ihrem Mann zusammen waren.«
»Zusammen?«, fragte sie. »Sie meinen intim? Ist das nicht eine etwas ungewöhnliche Frage?«
»Nein, ich meine die Zeit, in der sich Ihr Mann in Ihrer Nähe aufgehalten hat«, erklärte Phil.
»Mal überlegen«, sagte sie und dachte nach. »Frank ist gestern gegen zehn nach Hause gekommen, die ganze Nacht geblieben und heute Morgen gegen halb neun aus dem Haus gegangen, kann auch ein paar Minuten später gewesen sein.«
»Können Sie das offiziell zu Protokoll geben?«, fragte ich.
Sie nickte bedächtig. »Natürlich, kein Problem.«
»Gut, ich denke, dann wäre das von unserer Seite erst einmal alles«, sagte ich und stand auf, Phil ebenso.
Wir verabschiedeten uns von den beiden und drehten ihnen den Rücken zu, um zu gehen.
Ich hielt dann kurz inne, drehte mich zu Mistress Helliwell und fragte sie: »Wissen Sie etwas von den beiden Toten, die wir heute Morgen aus dem East River gefischt haben?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, keine Ahnung.«
Ich beobachtete ihre Reaktion und die ihres Mannes genau. Dann nickte ich und verließ zusammen mit Phil – in Begleitung der beiden Schlägertypen, die uns bei unserer Ankunft empfangen hatten – das Haus.
»Wow, was für eine Frau!«, stieß Phil aus, als wir wieder im Jaguar saßen. »Da werde ich gleich mal was überprüfen.«
Er aktivierte den Bordcomputer und sagte kurz darauf: »Ja, wie ich es mir gedacht hatte, sie ist früher Model gewesen. Habe doch gewusst, dass ich das Gesicht schon mal irgendwo gesehen habe.«
»Ja, sie ist ziemlich beeindruckend«, stimmte ich Phil zu. »Ich hoffe für sie, dass sie nichts mit den Geschäften ihres Mannes zu tun hat. Aber davon abgesehen: Was meinst du? Ob er die beiden Männer auf dem Gewissen hat?«
»Schwer zu sagen«, antwortete Phil. »Ich würde es nicht ausschließen. Der Typ hat auf jeden Fall Dreck am Stecken, das konnte ich förmlich riechen. Aber ob er etwas mit dem Doppelmord zu tun hat, da muss ich passen.«
Ich nickte. »Ja, bin mir auch nicht sicher. Aber das bin ich mir bezüglich des Alibis, das ihm seine Frau gegeben hat, auch nicht. Wir sollten ihn und seine Aktivitäten genauer unter die Lupe nehmen. Vielleicht finden wir ja eine Verbindung nach Washington, entweder zu Tommy Heatherty oder zu seinem Konkurrenten Duc Phem. Wäre ja möglich, dass Phem und Helliwell zusammenarbeiten und Helliwell seinem Geschäftspartner einen Gefallen getan hat, indem er zwei der Männer von Heatherty ausgeschaltet hat.«
»Ist auf jeden Fall eine Überlegung wert«, sagte Phil.
***
Wir fuhren zurück zum FBI Field Office, um dort weitere Recherchen anzustellen. Unterwegs erreichte uns ein Anruf von Dr. Janice Drakenhart.
»Ich kann definitiv bestätigen, dass wir in der Lagerhalle Blut von Zach Jones und Harold Gwenty gefunden haben«, sagte sie. »Aufgrund verschiedener Haut- und Gewebepartikel und der Verletzungen der Toten ist es ganz eindeutig der Ort, an dem sie gefoltert und getötet wurden.«
»Gut zu wissen«, sagte Phil. »Dann war der Tipp der beiden Officers absolut richtig. Und wie sieht es mit anderen DNA-Spuren aus? Sind welche vorhanden? Und wenn ja, passen sie zu irgendwelchen Namen in der Datenbank?«
»Es gibt eine Menge DNA, aber die haben wir noch nicht komplett ausgewertet«, antwortete Dr. Drakenhart. »Treffer in der Datenbank gab es bisher auch nicht. Aber wir bleiben dran und informieren euch dann.«
»Vielen Dank«, sagte Phil und beendete das Gespräch.
»Dann haben die Officers Biggsby und Henderson recht behalten«, sagte ich. »Guter Tipp von den beiden. Wir sollten sie kontaktieren und darüber informieren. Bei der Gelegenheit können wir auch in Erfahrung bringen, ob sie inzwischen noch etwas über die Geschehnisse der letzten Nacht herausgefunden haben.«
»Ich erledige das«, sagte Phil und rief an.
»Officer Biggsby hier«, hörte ich über die Freisprecheinrichtung.
»Hallo, hier ist Agent Decker«, meldete sich Phil. »Wir haben gerade von der Crime Scene Unit die Bestätigung bekommen, dass Ihre Vermutung richtig war – bei der Lagerhalle handelt es sich tatsächlich um den Tatort, den wir gesucht hatten.«
»Schön, das zu hören«, sagte der Officer. »Die Halle ist nach wie vor versiegelt, und dabei wird es jetzt ja erst einmal bleiben.«
»Haben Sie sich schon in der Gegend umgehört?«, fragte Phil.
»Ja, haben wir«, kam die Antwort. »Allerdings ohne Ergebnis. Bisher wusste niemand, wer in der Halle war oder was dort abgelaufen sein könnte. Dummerweise gibt es in der Gegend auch fast keine Kameras. Wer sich auskennt, der weiß genau, wie er fahren muss, um nicht erfasst zu werden. Wir bleiben aber dran und informieren Sie, wenn wir sachdienliche Hinweise erhalten.«
»Danke, das wissen wir zu schätzen«, sagte Phil und verabschiedete sich.
Kurz bevor wir das FBI Field Office erreicht hatten, gerieten wir in einen Stau, der uns fast eine halbe Stunde kostete.
Als wir endlich angekommen waren, informierten wir Mr High über unsere Fortschritte und machten uns dann auf die Suche nach Verbindungen zwischen Frank Helliwell und den beiden Mordopfern, Tommy Heatherty oder Duc Phem. Wir kontrollierten Telefon- und Internetverbindungen, sprachen mit Agent Jenkins aus Washington und zapften andere Quellen an. Das Ergebnis war, dass wir keinerlei Kontakt nachweisen konnten.
»Was nicht bedeutet, dass keiner existiert«, meinte Phil.
»Wobei die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es eine Verbindung gibt, gesunken ist«, sagte ich und bemerkte, wie Phil auf die Uhr schaute.
Es war bereits nach Feierabend und ich konnte mir vorstellen, dass er sich für den Abend etwas vorgenommen hatte.
»Sollen wir für heute Schluss machen?«, fragte ich. »Der Täter läuft uns schon nicht weg. Und du hast sicherlich vor, deine neue Flamme zu treffen – wie war noch gleich ihr Name?«
»Netter Versuch«, grinste Phil. »Morgen bekommst du eine weitere Chance zu erraten, um wen es sich handelt. Aber bis dahin werde ich über dieses Thema kein Wort mehr verlieren.«
»Gut, dann bringe ich dich nach Hause und werde das Thema nicht mehr anschneiden«, sagte ich.
Wir verließen unser Büro, gingen zur Tiefgarage, unterhielten uns unterwegs noch kurz mit Blair Duvall, der uns über den Weg lief, und fuhren dann los.
***
Am nächsten Morgen konnte ich mich an einen schemenhaften Traum erinnern, dessen Fragmente aber schnell aus meinem Bewusstsein schwanden. Ich duschte mich, frühstückte, machte mich fertig und verließ mein Apartment.
In der Tiefgarage angekommen, stieg ich in den Jaguar, steckte den Zündschlüssel ein und drehte ihn herum. Der kräftige Motor sprang an und versetzte das gesamte Fahrzeug in ein angenehmes Vibrieren. Ich fuhr los und die Straßen New Yorks erwarteten mich mit hellem Sonnenschein.
Phil, der sich kurz darauf auf den Beifahrersitz fallen ließ, war bester Laune.
»Guten Morgen«, grüßte ich ihn.
»Guten Morgen«, erwiderte er. »Was für ein schöner Tag.«
»Ja, das stimmt«, pflichtete ich ihm bei. »Ein guter Tag, um ein paar Gangster dingfest zu machen.«
»Hoffentlich machen wir heute mehr Fortschritte als gestern«, meinte Phil. »Vielleicht haben wir ja Glück und einer unserer Informanten flüstert uns etwas über Frank Helliwell zu, mit dem wir ihn überführen können. Oder er stellt sich freiwillig, weil wir ihn gestern so eingeschüchtert haben.«
Beim letzten Satz konnte sich Phil ein Grinsen nicht verkneifen.
»Und anschließend nehmen wir uns dann Kingston vor«, sagte ich.