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Sammelband 32: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2935: Leichen lügen nicht
2936: Der Profit bestimmt die Mittel
2937: Mein Vater - mein Feind
2938: Versteck' dich, wenn du kannst!
2939: Die Rache der "Engel"
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
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Seitenzahl: 682
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 32
Cover
Impressum
Leichen lügen nicht
Jerry Cotton aktuell
Vorschau
Leichen lügen nicht
Als Nancy West aus dem Holiday Inn auf die Lafayette Street trat, fing es gerade an zu schneien. Es war zwei Uhr früh und eisig kalt, sie zog den Nerz-Bolero vor der Brust zusammen und sah sich fröstelnd um. Der Dodge Charger von Joe parkte vor der Cathay Bank auf der anderen Straßenseite. Joe war in seine Wettzeitung vertieft und hatte sie noch nicht bemerkt.
Nancy West überquerte die Straße, auf der sich bereits eine dünne Schneeschicht bildete, und betrat das Dunkin’ Donuts. Während sie darauf wartete, dass der mürrische Verkäufer ihre zwei Butternut-Donuts in eine Tüte packte, prallte plötzlich ein großer schwarzer Vogel mit lautem Knall gegen die Schaufensterscheibe. Mit zerschmettertem Schädel blieb er auf dem Bürgersteig liegen, sein Blut färbte den frisch gefallenen Neuschnee rot.
»Wie siehst du denn aus?« Joe Cumber warf die Zeitung auf die Rückbank. »Hast du ein Gespenst gesehen?«
»Fahr los«, hauchte sie. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Sie schloss die Augen. Ihre Hände zitterten.
Frauen, dachte Joe kopfschüttelnd und ließ den Motor an. Wahrscheinlich kriegt sie ihre Tage.
Der Wagen glitt durch das immer dichter werdende Schneetreiben, bog links in die Canal Street ein und nahm Kurs auf die Lower East Side.
Nancy war eine klasse Braut. Aber ihre esoterische Tour ging ihm manchmal schwer auf die Nerven. Das Theater mit den Tarot-Karten. Ihr unerschütterlicher Glaube an das Horoskop der New York Post. Und dann erst ihre bizarren Gespräche mit Leuten, die seit Jahren unter der Erde lagen.
Man konnte es auch übertreiben.
Der Schnee fiel in dicken Flocken aus dem schwarzen Himmel über New York. Joe gondelte gemütlich die Canal Street hinunter.
»Trinken wir noch was bei dir, Baby?«
Sie schien ihn nicht zu hören. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie in das wilde Treiben der Flocken hinaus, als wollte sie eine geheime Botschaft darin entziffern.
»Nancy?«
Sie blickte ihn an, als hätte sie ihn noch nie zuvor gesehen.
»Was ist los, Schatz? Hat er dir wehgetan?«
»Wer?«
»Der Kerl, mit dem du dich im Holiday Inn vergnügt hast.«
Vergnügen war nicht ganz der richtige Ausdruck. Nancy hatte gearbeitet. Sie hatte geduscht, geraucht, getanzt und Champagner getrunken. Die Flasche für 250 Dollar. Und dann hatte sie ihren Kunden nach allen Regeln der Liebeskunst verwöhnt.
Dafür hatte er ihr tausend Dollar bezahlt. Das war ihr Preis.
Nancy machte eine wegwerfende Handbewegung.
»Mit kranken Typen arbeite ich nicht. Das weißt du doch.«
Auf ihre Menschenkenntnis konnte Nancy sich verlassen. Diese Fähigkeit war in ihrem Job lebenswichtig. Würde sie sich mit jedem einlassen, den Cayenne Escort ihr vermittelte, wäre das Risiko viel zu groß. Die Stadt wimmelte von Leuten, die nicht mehr alle Latten am Zaun hatten.
»Was ist dann passiert? Seit du von deinem Job zurück bist, bist du völlig durch den Wind.«
Nancy starrte wieder durch die Windschutzscheibe.
»Ich habe einen großen, schwarzen Vogel gesehen«, antwortete sie schließlich tonlos. »Er ist im Schnee gestorben. Ich habe sein Blut gesehen.«
Oh Mann. Es ging schon wieder los. Gleich würde sie ihm von ihrem letzten Traum erzählen. Oder vom Smalltalk mit Tante Margie, die letztes Jahr gestorben war.
»Es war der Todesvogel!«
Wie viele Vögel lebten in New York? Hunderttausend? Eine Million? Zwei Millionen? Aber wenn einer von ihnen zufällig Nancys Weg kreuzte, war es natürlich gleich der Todesvogel. Jetzt bloß nicht ironisch werden, mahnte sich Joe im Stillen, sonst konnte er den Absacker in ihrem Apartment vergessen.
»Und was bedeutet das, Darling?«
Ihre großen, dunklen Augen blickten ihn an. »Ich werde sterben, Joe.«
»Wir werden alle sterben, Nancy.«
»Es wird nicht mehr lange dauern«, beharrte sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
Er hatte den East Broadway erreicht und fädelte sich geschickt in den für die frühe Stunde erstaunlich dichten Verkehr ein.
»Du weißt, was ich von solchen Dingen halte«, setzte er vorsichtig an.
Nancy antwortete nicht. Stattdessen kramte sie in ihrer Handtasche nach Zigaretten.
Wieder hatte er das Gefühl, dass sie ihm gar nicht richtig zuhörte. »Soll ich heute Nacht bei dir bleiben?«
»Das würde nichts nützen.«
»Soll das heißen, du traust mir nicht zu, mit dem Kerl fertigzuwerden?«
Traurig lächelnd schüttelte Nancy den Kopf.
»Das verstehst du nicht, Joe. Wenn du dem Todesvogel begegnest, ist dein Schicksal besiegelt. Kein Mensch kann sich gegen das auflehnen, was höhere Mächte beschlossen haben.«
Joe Cumber hisste die weiße Fahne. Wenn höhere Mächte ins Spiel kamen, hatte er verloren. So viel immerhin hatte er während seiner Beziehung mit Nancy gelernt.
Er bog in die Jefferson Street ein. An der Ecke Henry legte Nancy ihm die Hand auf den Arm.
»Lass mich hier raus, Joe. Ich brauche noch Zigaretten.«
Joe blickte sich um. Die Straße war nicht beleuchtet. Ein China-Laden reihte sich an den nächsten. An der Straßenecke wurde gebaut, die bunten Wohnwagen der Bauarbeiter waren im Schneetreiben nur undeutlich zu erkennen.
Er hatte ein mulmiges Gefühl.
»Soll ich dich nicht wenigstens bis zur Haustür bringen?«
»Nicht nötig. Es sind ja nur noch hundert Schritte.«
Nancy beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange.
»Danke fürs Abholen, Joe«, hauchte sie. Dann glitt sie aus dem Wagen wie ein Schatten. Nur ihr Geruch blieb zurück, ein unbestimmtes Gemisch aus Veilchenduft und kalter Asche.
Joe winkte ihr zum Abschied zu, dann verschwand Nancy West hinter einem Schleier von Schnee.
***
Es war spät geworden gestern Abend. Ich hatte mir mit Freunden eine Vorstellung im National Comedy Theatre angesehen, eine urkomische Truppe aus Kroatien. Wir hatten zwar kein Wort verstanden, aber trotzdem viel gelacht. Anschließend waren wir noch in einem Club auf der Eighth Avenue gelandet und hatten etwas getrunken. Das rächte sich jetzt in Form von Kopfschmerzen und einem tauben Gefühl auf der Zunge.
Zum Glück hatte ein praktisch veranlagter Mensch den coffee to go erfunden.
Ein Jumbobecher dieses segensreichen Zaubertrunks stand verheißungsvoll dampfend im Getränkehalter auf dem Armaturenbrett.
Als Phil an der gewohnten Ecke einstieg, erfüllte köstlicher Kaffeeduft das Innere des Jaguar.
»Ist das ein neuer Service?«, grinste Phil und wollte nach dem Becher greifen. »Find ich gut.«
Ich kam ihm knapp zuvor.
»Nur für Nachteulen«, beschied ich ihn und ließ den glühend heißen Wachmacher durch meine Kehle fließen.
Phil zog eine Grimasse.
»Hast du dich wenigstens gut amüsiert?«
»Die Jungs waren großartig. Hast du leider was verpasst.«
Ursprünglich hatte Phil vorgehabt, sich die Vorstellung anzusehen. Dann hatte ein Cousin kurzfristig seinen Besuch angekündigt, und ihm war nichts anderes übrig geblieben als mir die Karte zu überlassen.
Seit Tagen schon schneite es im Big Apple. Aber weil die Temperatur am Boden tagsüber nicht kalt genug war, blieb der Schnee nicht lange liegen, sondern verwandelte sich schon bald in klumpigen Matsch – vermischt mit dem Dreck der Straße und den Rußablagerungen aus den Auspuffrohren eine echte Augenweide auf glänzendem Autolack. Als ich den Jaguar auf meinem Parkplatz in der Tiefgarage des FBI-Building abstellte, sah ich ein, dass ein Besuch in einer Waschanlage dringend nötig war.
Wegen eines Entführungsfalls in West Orange waren wir einige Tage nicht im Büro gewesen. Der Eingangskorb quoll über, und das Postfach im PC enthielt 167 E-Mails. Geduldig machte ich mich an die Arbeit, eine nach der anderen zu öffnen und auf ihre Dringlichkeit zu prüfen.
Plötzlich meldete sich mein Partner, der ebenfalls dabei war, sein elektronisches Postfach zu checken.
»Erinnerst du dich an den Fall mit den gefälschten Bildern?«
»Dunkel. Was ist damit?«
»Sie haben den Fälscher endlich verknackt. Nicht mal sein teurer Anwalt konnte ihm am Ende helfen.«
»Dann haben wir offenbar ein paar Dinge richtig gemacht«, konstatierte ich zufrieden.
Es war immer ein gutes Gefühl, wenn die Arbeit, der man Tag für Tag nachging, belohnt wurde. Jeder braucht solche Erfolgserlebnisse. In unserem Job kam es leider viel zu oft vor, dass wir monatelang an einem Fall arbeiteten, recherchierten, observierten und Beweise sicherten, um dann zu erleben, dass ein gerissener Anwalt vor Gericht die gesamte Beweisführung zerpflückte und der Verbrecher als freier Mann nach Hause gehen durfte.
Dann war die ganze Arbeit umsonst gewesen. In solchen Momenten verfluchte man seinen Job. Umso erfreulicher waren Erfolgsmeldungen wie die, die mein Partner soeben verkündet hatte.
Er wollte gerade raus auf den Flur, um sich einen Kaffee aus dem Automaten zu ziehen, als mein Telefon klingelte.
»Es ist Helen«, erkannte ich beim Blick aufs Display. Ich nahm das Gespräch an.
»Schön, dass ihr wieder im Lande seid, Jerry. Der Chef hat Sehnsucht nach euch.«
»Dann will ich ihn nicht länger warten lassen.«
Ich erhob mich und nickte meinem Partner zu.
»Vergiss den Automat. Du bekommst was Besseres.«
Zum ersten Mal an diesem Tag sah Phil richtig glücklich aus.
***
Wir waren nicht die einzigen Besucher. Als wir das Büro von Mr High betraten, erhob er sich und stellte uns vor.
»Jerry, Phil – das ist Detective Lieutenant Tom Brown vom NYPD. – Special Agent Cotton und Special Agent Decker.«
»Agents.« Der Lieutenant deutete eine knappe Verbeugung an. Er war um die fünfzig, hatte eine hohe Stirn und verblüffend große Ohren. Tom Brown war mir auf Anhieb sympathisch.
Wir setzten uns, und Mr High erteilte dem Lieutenant das Wort.
»Vor zwei Tagen ist vor der Saint Teresa’s Church an der Ecke Henry und Rutgers eine Frau ermordet worden. Präziser gesagt: Sie wurde erstochen. Todeszeitpunkt zwischen ein und fünf Uhr morgens.«
Er reichte uns ein Foto. Es zeigte eine hübsche junge Frau mit blonden Haaren und ebenmäßigen Zügen. Sie war stark geschminkt und hatte ein kleines, sichelförmiges Muttermal unter dem linken Ohrläppchen. Ihre Augen waren geschlossen. Die Frau war tot.
Ich verstand immer noch nicht, was Phil und ich damit zu tun hatten. Mordfälle sind in unserer Stadt in der Regel eine Sache des NYPD.
Mr High schien unsere Gedanken erraten zu haben. Er blickte Tom Brown an.
»Erzählen Sie den Agents, was Sie bei der Leiche gefunden haben.«
»In Ordnung.« Der Lieutenant wandte sich uns zu. Seine Miene war konzentriert und angespannt. Ein kleiner Schweißtropfen lief langsam die linke Schläfe hinunter. Vermutlich war es sein erster Besuch im Field Office.
»Viel haben wir leider nicht sicherstellen können. Der Mörder hat ihr alle persönlichen Dinge abgenommen. Dabei hat er allerdings eine angebrochene Schachtel Zigaretten und einen Kaugummi übersehen.«
Tom Brown holte zwei Klarsichthüllen aus einer Tasche und legte sie vor uns auf den Tisch. Ich betrachtete sie ohne großes Interesse.
»Offenbar wollte er verhindern, dass wir die Identität der Frau allzu schnell lüften.«
»Sie wissen also immer noch nicht, wer sie ist?«, fragte ich.
Der Lieutenant schüttelte den Kopf.
»Wir haben ihr Foto auf unsere Fahndungsseite gestellt. Außerdem haben wir Röntgenbilder ihres Zahnschemas an sämtliche Zahnärzte und kieferorthopädische Kliniken geschickt. Bisher ohne Reaktion.«
Mr High nickte dem etwas umständlichen Cop auffordernd zu. Tom Brown hatte offenbar etwas vergessen.
»Ja, richtig – dann war da noch dieser Schlüsselanhänger.«
Er kramte eine weitere Klarsichthülle hervor. Sie enthielt Beweisstück Nummer drei.
»Der Anhänger lag etwa drei Meter abseits der Toten, unter einer Straßenlaterne. Es ist also nicht sicher, ob er tatsächlich zu ihr gehört.«
»Er könnte auch dem Mörder gehört haben«, fügte Mr High vielsagend hinzu und sah uns mit einem merkwürdigen Blick an.
»Sieht aus wie ein ganz gewöhnlicher Schlüsselanhänger«, zuckte Phil die Schultern.
»Nur auf den ersten Blick«, korrigierte unser Chef.
Ich nahm den Anhänger in die Hand und musterte ihn stirnrunzelnd.
Dann wusste ich, was unser Chef meinte.
Santa Claus. Ein kleiner, flacher Schlüsselanhänger aus Metall, der den Kopf des Weihnachtsmanns zeigte. Rote Mütze, weißer Bart. Ich drehte den Anhänger um.
Die Gravur. Es lief mir heiß und kalt den Rücken runter.
»Merry Xmas – FBI.«
Als ich den Blick hob, traf ich auf den unseres Chefs.
»Kommt Ihnen der Anhänger irgendwie bekannt vor, Jerry?«
Und ob. Dieser Santa-Claus-Schlüsselanhänger war die Eintrittskarte zur letzten FBI-Weihnachtsfeier gewesen. Im Jahr davor war es ein vergrößerter Computerchip gewesen, davor eine Spielkarte mit dem FBI-Chef als Herz König.
Im letzten Jahr war es ein Schlüsselanhänger.
»Dann ist Ihnen auch klar, was das bedeutet?«, fragte Mr High. Eigentlich war es eher eine Aufforderung als eine Frage.
»Entweder der Mörder oder sein Opfer waren anscheinend Gast auf unserer letzten Weihnachtsfeier«, schluckte Phil.
»Oder einer von beiden hatte engeren Kontakt zu einem der Teilnehmer«, ergänzte unser Chef.
Ich runzelte die Stirn. Die Vorstellung, vor wenigen Wochen einem Mörder die Hand geschüttelt zu haben, gefiel mir ganz und gar nicht. Mit seinem Opfer auf Weihnachten angestoßen zu haben war ein kaum reizvollerer Gedanke.
Jedenfalls wusste ich endlich, warum uns Mr High bei dem Gespräch dabeihaben wollte.
»Wir müssen so schnell wie möglich herausfinden, wem dieser Schlüsselanhänger gehört«, sagte unser Chef eindringlich. »Erst dann können wir einschätzen, in welcher Beziehung die Person zum FBI steht. Oder stand.«
In dem Moment klingelte das Handy des Lieutenant. Er entschuldigte sich und trat ein paar Schritte zur Seite.
Nach kurzem Gespräch steckte er das Handy wieder ein und drehte sich zu uns um.
»Das war eine Zahnklinik in Brooklyn. Die Tote hat sich dort vor zwei Jahren ein Implantat einsetzen lassen. Ihr Name ist Nancy West, 25 Jahre alt, wohnhaft 27, Rutgers Street.«
Einen Steinwurf entfernt von dem Ort, an dem sie ihr junges Leben ausgehaucht hatte.
***
Bevor wir in die Rutgers Street aufbrachen, hatten wir uns sämtliche Fotos angesehen, die bei der internen Feier gemacht worden waren. Es waren Hunderte. Auf keinem hatten wir Nancy West gefunden. Das Gleiche galt für die Bilder von den drei Überwachungskameras, die am Eingang, am Hinterausgang und vor den Aufzügen installiert waren.
Dabei war sie keine Frau, die man übersah.
»Du warst doch selbst dabei, Jerry«, meinte Phil süffisant. »Und rein äußerlich entspricht die Dame voll deinem Beuteschema. Gib zu, sie hat dir einen Korb gegeben.«
»Ich wusste gar nicht, dass ich ein Beuteschema habe«, konterte ich.
Darauf fiel ihm keine passende Antwort ein. Vielleicht war ihm auch nur aufgegangen, dass es unpassend war, über eine Tote Scherze zu machen.
Phil selbst hatte im letzten Jahr nicht an der Weihnachtsfeier teilgenommen. Er hatte einen Kurzurlaub in Florida vorgezogen, was man ihm nicht verdenken konnte.
Das Apartment, in dem Nancy West bis vor drei Tagen gelebt hatte, lag im dritten Stock eines der typischen New Yorker Brownstone-Häuser. Im Erdgeschoss waren ein kleines chinesisches Restaurant und ein Unisex-Friseursalon untergebracht.
Das Apartment selbst war großzügig geschnitten und geschmackvoll eingerichtet. Es bestand aus einem großen, hellen Raum, der durch eine Stufe geteilt wurde. Die Sitzecke war ganz in Weiß gehalten, Küche und Essbereich in schwarz. Zwei Wandspiegel, die bis unter die Decke reichten, ließen den Raum größer erscheinen.
»Ganz billig war das nicht«, registrierte mein Partner zutreffend. »Die Dame hat auf großem Fuß gelebt.«
Wir hatten uns schon im Treppenhaus Latex-Handschuhe und blaue Kunststoff-Überzieher für die Schuhe übergestreift. Es handelte sich zwar nicht um einen Tatort, trotzdem würde sich die Spurensicherung das Apartment vornehmen, und wir wollten keine zusätzlichen Spuren hinterlassen.
Während Phil sich die Regale im Wohnbereich vornahm, sah ich mich in Bad und Schlafzimmer um.
Das Badezimmer wirkte weniger luxuriös als minimalistisch. Keine von Cremedosen und Parfüm-Flakons überbordenden Ablagen, wie man sie oft in von Frauen bewohnten Apartments findet.
Nur das Nötigste. Der schwarze Naturstein, mit dem der Raum ausgekleidet war, verbreitete eine Atmosphäre von wohltuender Kühle.
Im Schlafzimmer stieß ich auf ein Foto, das auf einem Sideboard über dem Doppelbett stand. Es zeigte Nancy West zusammen mit einem Mann, der mir vage bekannt vorkam. Die beiden lümmelten sich auf einer Hollywoodschaukel, im Hintergrund konnte man schneebedeckte Berge erkennen.
Ich zeigte Phil das Foto. Bei ihm klingelte es sofort.
»Joe Cumber. Sein Bruder Jason war einer der Drahtzieher der Drogen-Mafia von Brooklyn, die wir vor einigen Jahren hochgenommen haben. Die Farce um den Flieger aus Guinea-Bissau auf der Landebahn des JFK. Du erinnerst dich?«
Und ob. Wir hatten damals einen Tipp bekommen. Als die Boeing aus Catió gelandet war, präsentierten wir dem Kapitän einen Durchsuchungsbeschluss. Aber gerade, als unsere Leute an Bord der Maschine gehen wollten, um die zwei Tonnen hochwertige Kokapaste sicherzustellen, tauchte ein Diplomat auf und erklärte die Boeing für politisch immun.
Als wir uns nach fünf Stunden endlich Zutritt verschaffen konnten, ausgestattet mit allen erforderlichen Dokumenten und der Unterstützung des Militärs, fanden wir zwar die Kokapaste. Aber alle an dem geplanten Drogendeal Beteiligten hatten den Flieger inzwischen verlassen.
Die ganze minutiös vorbereitete Aktion war ein Schuss in den Ofen gewesen.
Immerhin gelang es uns, den Mann zu stellen, der für die Annahme der Ware und deren Verteilung auf verschiedene Drogenlabore zuständig war. Über ihn gelangten wir nach und nach an die Hintermänner, sodass wir letztendlich doch einen nachhaltigen Schlag gegen das mächtige Drogenkartell feiern konnten.
Dieser Mann war Jason Cumber.
Auch sein Bruder Joe, offenbar der Freund der Toten, hatte ein beachtliches Vorstrafenregister, hauptsächlich Eigentums- und Betrugsdelikte.
Phil musterte das Foto nachdenklich. »Glaubst du, sie war auf Drogen?«
»Würdest du dir ein Foto vom Bruder deines Drogendealers ans Bett stellen?«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Joe Cumber war ihr Freund, nicht ihr Dealer. Wie viele Jahre hat sein Bruder eigentlich bekommen?«
»Keine Ahnung. Ich frag Sarah.«
Phil zückte sein Handy. Sarah Hunter war eine Kollegin. In ihrer Anfangszeit beim FBI hatte ich eine Zeitlang mit ihr zusammengearbeitet. Aber das war lange her.
Ich ging zurück ins Schlafzimmer und sah mir die Schränke etwas genauer an. Genug Klamotten, um eine ganze Mädchenschule auszustatten. Das hatte ich erwartet. Aber etwas anderes war auffällig.
Während der eine Schrank elegante und sportliche Kleidung enthielt, gehörte die Garderobe im zweiten Schrank einer völlig anderen Kategorie an. Diese Kleider waren eindeutig darauf angelegt, die Vertreter des anderen Geschlechts für ihre Trägerin zu interessieren. Man konnte sie aufreizend nennen. Oder ordinär.
Als sie ihrem Mörder begegnete, hatte sie ein Kleid aus dem zweiten Schrank getragen.
Phil kam herein, seine Miene war ernst.
»Jason Cumber hat zwölf Jahre bekommen. Sein Bruder Joe war damals auch im Gerichtssaal. Als das Urteil verkündet wurde, ist er aufgesprungen und hat dem FBI blutige Rache geschworen.«
Blut war tatsächlich geflossen. Allerdings nicht beim FBI, sondern bei Joe Cumbers Freundin.
***
Durch einen Anruf im Field Office erfuhren wir die aktuelle Adresse von Joe Cumber. Er wohnte in Williamsburg, 111, Frost Street. Aber bevor wir ihm einen Besuch abstatteten, hatten wir noch eine andere unangenehme Aufgabe zu erledigen.
Da die Identität von Nancy West erst vor wenigen Stunden aufgeklärt worden war, hatten ihre Eltern noch keine Ahnung, dass ihre Tochter einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war. Immerhin bestand die Aussicht, dass wir bei der Gelegenheit etwas über die näheren Lebensumstände der Toten erfahren würden.
Zum Beispiel über ihren Besuch auf der Weihnachtsfeier des FBI.
Das Ehepaar West wohnte in Queens in der Crescent Street. Wir nahmen den Weg über die Queensboro Bridge, legten unterwegs einen kurzen Stopp in einem Diner ein, um uns für das Folgende zu stärken, und klingelten gerade in dem Moment an der Wohnungstür, als Barbara West das Mittagessen auf den Tisch stellte.
»FBI?«, runzelte sie ahnungsvoll die Stirn, den kupfernen Soßenlöffel in der Hand. »Es ist doch nichts mit Nancy?«
»Vielleicht können wir das besser in der Wohnung besprechen«, schlug Phil zögernd vor.
»Bitte«, erwiderte sie mechanisch und ging ein paar Schritte zurück. Ich schloss die Tür, und wir folgten ihr in die Küche. Ihr Mann saß bereits am Tisch, vor sich eine dampfende Schüssel Gulaschsuppe, und starrte uns mit großen Augen an.
»Was ist passiert?«, fragte er fast ohne die Lippen zu bewegen.
»Es tut mir leid, wir haben eine traurige Nachricht für Sie«, fing ich an. Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, als Nancys Mutter einen lauten Schrei ausstieß und den Soßenlöffel fallen ließ. Ihr Mann fuhr hoch und fing sie auf, bevor ihre Beine den Dienst versagten.
»Nancy?«, brachte er mühsam über die Lippen. Ich nickte.
»Ihre Tochter wurde vorgestern Nacht ermordet, nur wenige Meter von ihrer Wohnung entfernt.«
Mrs West schloss die Augen. Ich half ihrem Mann, sie zum Sofa im angrenzenden Wohnzimmer zu führen. Er goss ihr ein großes Glas Cognac ein und setzte es behutsam an ihre Lippen. Als sie das Glas geleert hatte, goss er sich selbst etwas ein und kippte es in einem Schluck.
Eine ganze Weile sagte niemand ein Wort. Dann tat der Alkohol langsam seine Wirkung. Nancys Vater war der Erste, der seine Sprache wiederfand.
»Wie … ich meine, was genau ist passiert?«
»Sie ist ihrem Mörder begegnet, als sie auf dem Heimweg war«, erklärte mein Partner. »Vielleicht war sie im Kino. Oder hat Freunde besucht.«
»Und wie ist sie …«
»Sie wurde erstochen. Unmittelbar vor der Saint Teresa’s Church.«
»Sie war sofort tot«, ergänzte ich, weil ich wusste, dass diese Information vielen Angehörigen den Schmerz ein wenig erträglicher machte. »Ihre Tochter hat nicht gelitten.«
Mrs West weinte leise vor sich hin. Ihr Mann reichte ihr wortlos ein Taschentuch.
»Ich hab immer gewusst, dass es einmal so endet«, stieß er verbittert hervor. Phil und ich tauschten einen kurzen Blick.
»Wie meinen Sie das?«
»Dieser Kerl, dieser Joe, mit dem sie zusammen war. Das war doch ein Betrüger. Ein Krimineller. Sogar im Knast hat er schon gesessen.«
Das klang nicht nach einem harmonischen Familienleben.
»Er war kein Umgang für sie. Und erst sein Bruder. Dieser Drogenfreak. Der war ja noch viel schlimmer.«
»Kein Wunder, dass sie in die falschen Kreise geraten ist.«
»Falsche Kreise?«, hakte ich ein. »Wollen Sie damit andeuten, dass Ihre Tochter Drogen konsumiert hat?«
Mr West warf seiner Frau einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Wir suchen nur nach Anhaltspunkten, die uns zu ihrem Mörder führen könnten«, sagte ich schnell.
Nancys Vater entspannte sich sichtlich.
»Sicher waren wir uns nicht, aber manchmal hatten wir den Eindruck, dass sie nicht sie selbst war«, versuchte er zu erklären.
»Nancy war dann ganz aufgekratzt«, erinnerte sich seine Frau. »Besonders wenn sie aus dem Studio kam. Richtig albern konnte sie dann sein. Wie ein kleines Mädchen.«
Sie schien unsere Verwirrung zu bemerken.
»Nancy wollte ein Star werden«, sagte sie stolz. »Sie machte schon Probeaufnahmen. Der Produzent war ganz vernarrt in sie. Das hat er uns selbst gesagt, als er sie mal hier abgesetzt hat.«
»Strebte Ihre Tochter eine Gesangskarriere an?«, erkundigte sich Phil.
»Nancy wollte Schauspielerin werden«, belehrte ihn Mrs West herablassend. »Sie hatte mehr Talent als die junge Marylin Monroe. Das haben alle im Studio gesagt. Besonders ihr Produzent, Sam Sullivan.«
Plötzlich fiel ihr wieder ein, dass sie derartige Komplimente über ihre Tochter nie mehr hören würde, und sie wurde von einem neuen Weinkrampf geschüttelt.
»Was für ein Typ ist dieser Sam Sullivan? Haben Sie ihn einmal persönlich kennengelernt?«, wandte ich mich an Mr West. Er schüttelte den Kopf und schenkte sich noch einen Cognac ein.
»Leider nicht. Sein Vater hat ein Vermögen mit Airbags gemacht. Als er vor fünf Jahren bei einem Flugzeugunglück ums Leben kam, hat Sam sein Erbe in ein TV-Studio in Sunnyside Gardens gesteckt. Er dreht Werbefilme und Musikclips. Nancy hat erzählt, dass er sie in einem Videoclip für Kendrick Lamar unterbringen will. Das ist irgend so ein Rapper von der Ostküste.«
Phil musterte Nancys Vater nachdenklich.
»Hatte Joe Cumber kein Problem damit, dass Ihre Tochter mit diesem Millionärssöhnchen zusammenarbeitete?«, fragte er skeptisch.
»Und ob!« Das kam wie aus der Pistole geschossen, als hätte Nancys Vater auf diese Frage gewartet. »Joe hasste den Kerl. ›Wenn er dich anpackt, bring ich ihn um‹, hat er zu Nancy gesagt. ›Und danach bist du dran!‹«
Er schluckte, als ihm klar wurde, dass Joe Cumbers Drohung nach Nancys gewaltsamem Tod eine brisante Aktualität bekommen hatte. Seine Augen wurden schmal und zuckten zwei-, dreimal, als wäre ihm eine kleine Fliege unters Lid geraten.
»Wenn er unsere Nancy auf dem Gewissen hat, knipse ich ihm die Lampe aus!«, zischte er. »Das schwöre ich – so wahr ich Carl Zachary West heiße!«
***
»Glaubst du, dass Joe Cumber seine Freundin umgebracht hat?«
Wir hatten Nancys Eltern mit ihrem Kummer und der köstlich duftenden Gulaschsuppe allein gelassen und waren auf dem Weg nach Brooklyn. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, stand die Sonne schon tief und würde bereits in knapp zwei Stunden hinter der Skyline von Manhattan verschwunden sein.
»Die Frage beantworte ich dir, wenn wir mit ihm gesprochen haben«, gab Phil zurück. »Aber ausschließen würde ich es nicht.«
»Scheint ein Hitzkopf zu sein, der erst handelt, bevor er denkt. Solche Leute sind unberechenbar.«
»Es könnte aber auch dieses Millionärssöhnchen gewesen sein«, gab mein Partner zu bedenken. »Vielleicht war er eifersüchtig auf Cumber. Typen wie er sind gewöhnt, alles zu bekommen, was sie wollen. Wenn nicht, nehmen sie es sich. Notfalls mit Gewalt.«
»In dem Fall hätte er Joe Cumber beseitigen müssen und nicht das Objekt seiner Begierde.«
»Stimmt. Aber du kennst doch die Kinder aus dem Sandkasten, die lieber ihr Spielzeug kaputt machen, als es jemand anderem zu überlassen. Nach dem Motto: Wenn ich nicht damit spielen darf, soll auch kein anderer damit spielen!«
Den Rest der Fahrt legten wir schweigend zurück.
***
Joe Cumber wohnte im Dachgeschoss eines schmalen, zweistöckigen Hauses an der Ecke Meeker Avenue. Die Schindeln an der Frontseite waren ausgebleicht und rissig, das schmiedeeiserne Geländer am Treppenaufgang war aus der Halterung gerissen und lag zwischen den Mülltonnen, von denen ein süßlicher Geruch nach verfaultem Fleisch ausging. Über allem dröhnte der Lärm des achtspurigen Brooklyn Queens Expressway.
»Ein kuscheliges Nest«, bemerkte Phil trocken.
Wir drückten die Eingangstür auf und bahnten uns zwischen alten Farbeimern und zerbeulten Fahrradreifen den Weg zur Treppe. Aus der Wohnung im ersten Stock drang ein Geschrei, als wären gerade Fünflinge zur Welt gekommen, untermalt von den schrillen Geigenklängen eines Barockkonzerts. Ein Hund kläffte tapfer dagegen an und kratzte verzweifelt an der Tür in dem vergeblichen Bemühen, diesem ersten Kreis der Hölle zu entkommen.
Im obersten Stockwerk herrschte wohltuende Ruhe. Hinter Joe Cumbers Wohnungstür war nur die monotone Stimme eines Nachrichtensprechers zu hören. Offenbar lief der Fernseher. Wir postierten uns links und rechts der Tür und zogen unsere SIGs. Dann klopfte ich dreimal an die Tür.
»Aufmachen! FBI!«
Nichts. Ich klopfte erneut. »FBI! Öffnen Sie die Tür!«
Jetzt kam Leben in die Bude. Eine Tür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen. Dann verstummte der Fernseher. Ein Schlüssel wurde umgedreht. Dann war es plötzlich still.
Ich nickte meinem Partner kurz zu, dann trat ich ein paar Schritte zurück und warf mich mit meinem ganzen Gewicht gegen die Tür.
Sie gab sofort nach. Ich prallte gegen die Flurwand. Mit zwei Schritten war ich bei der Tür zum Wohnzimmer. Sie war verschlossen. Mit der SIG im Anschlag trat ich sie ein.
Eiskalte Winterluft schlug mir entgegen. Das Fenster zum Hof stand sperrangelweit offen. Der Vogel war ausgeflogen.
Ich konnte gerade noch sehen, wie er sich über eine braune Backsteinmauer hangelte und im Hof einer Reparaturwerkstatt verschwand.
»Den schnapp ich mir!«, rief ich Phil zu. »Schneid du ihm den Weg über die Meeker ab!«
Dann sprang ich aus dem Fenster auf das vorstehende Dach einer Garage und von dort in den Innenhof. Ich stieg durch ein Loch in einem Stacheldrahtzaun und gelangte auf den Parkplatz einer Spedition. Links neben dem Auftragsbüro entdeckte ich die Backsteinmauer, über die Joe Cumber geklettert war. Unter den irritierten Blicken eines jungen Mannes hinter einem schicken Tablet lief ich auf die Mauer zu und schwang mich drüber.
Auf der anderen Seite landete ich direkt in den Armen eines vierschrötigen Mannes, der in einer grünen, mit glänzenden Ölflecken gesprenkelten Latzhose steckte wie die Wurst in der Pelle.
»Halt, mein Freundchen! So geht das nicht! Du bist jetzt schon der Zweite! Das ist eine Werkstatt und kein Hindernis-Parcours!«
Ich hatte keine Zeit, mich auf eine Grundsatzdiskussion einzulassen, zückte meinen Ausweis und sah den in seinem Elan ausgebremsten Automechaniker eindringlich an: »Welche Richtung!?«
Er starrte erst mich an, dann meinen Ausweis, seufzte tief und deutete dann wortlos auf einen Maschendrahtzaun, der die Werkstatt von einem winzigen Wohnzimmerkino trennte, das sich augenzwinkernd Hello Hollywood nannte. Zwei wacklige Tische und eine Handvoll Klappstühle im Hinterhof ließen auf einen eher intimen Rahmen der Vorführungen schließen.
Ich nahm den Weg durch den Keller und landete auf der Withers Street. Von Joe Cumber weit und breit keine Spur.
Auch Phil hatte keinen Erfolg gehabt. »Er wird den Fluchtweg nicht zum ersten Mal benutzt haben«, mutmaßte er.
»Vermutlich nicht«, stimmte ich zu. »Allerdings spricht die Tatsache, dass er vor dem FBI die Flucht ergreift, nicht unbedingt für ihn.«
»Glaubst du, er weiß schon, was mit seiner Freundin passiert ist?«
»Wenn er ihr Mörder ist, ist davon auszugehen.«
»Es sei denn, Joe Cumber ist eine gespaltene Persönlichkeit«, bemerkte Phil trocken. »Oder vergesslich.«
Ich setzte mich mit dem zuständigen Polizeirevier in Verbindung und veranlasste eine Nahbereichsfahndung. Innerhalb weniger Minuten schwärmten Cops im ganzen Viertel aus und suchten nach einem Mann, der möglicherweise ein Mörder war, vielleicht aber auch völlig unschuldig.
Die Aktion verlief im Sand, Joe Cumber war wie vom Erdboden verschluckt.
***
Zwei Stunden später trafen wir wieder im Field Office ein. Die meisten Kollegen hatten schon Feierabend gemacht, Mr High war vor einer halben Stunde zu einem offiziellen Termin des Justizministeriums aufgebrochen. Nur Steve Dillaggio saß noch auf seinem Platz und skypte mit einem Kollegen in San Antonio.
Wir besorgten uns Kaffee aus dem Automaten und kümmerten uns in der nächsten Stunde um die Anrufe und Mails, die während unserer Abwesenheit eingegangen waren. Es war nichts dabei, was uns weitergebracht hätte.
»Joe Cumber arbeitet seit drei Monaten bei einer Spedition in Ridgewood«, meldete Phil und warf einen Blick zur Uhr. »Aber heute treffen wir dort wahrscheinlich niemanden mehr an.«
Er druckte die Adresse aus und fuhr seinen PC runter. Im nächsten Moment steckte Steve seinen Kopf herein.
»Lasst ihr euch auch noch mal hier sehen«, flachste er.
Ich berichtete ihm kurz über unseren Misserfolg in Williamsburg und erkundigte mich dann nach dem Stand der Dinge seiner Aktion gegen ein mexikanisches Drogenkartell. Der Einsatz wurde seit Wochen vorbereitet, nur die unmittelbar Beteiligten waren in die Einzelheiten des Planes eingeweiht.
»Wir erwarten die Lieferung in zwei Tagen. Aber bei den Mexikanern weiß man nie. Die wechseln ihre Pläne öfter als ihre Hemden.«
»Arbeitest du mit dem Neuen in der Nachrichtenabteilung zusammen?«, wollte Phil wissen.
»Thomas Gloome«, nickte Steve. »Ein guter Mann. Manchmal noch ein bisschen unsicher, aber das gibt sich mit der Zeit.«
Ich hatte Thomas Gloome bei unserer Weihnachtsfeier kennengelernt. Er war erst im Herbst zum New Yorker Field Office gekommen. Wo er vorher gewesen war, hatte ich vergessen. Jedenfalls hatte er eine ausgesprochen hübsche Frau.
»Da fällt mir ein – ich hab noch was für euch. Moment …«
Steve Dillaggio verschwand kurz in seinem Büro und kam mit einem Zettel zurück, auf dem er sich einige Notizen gemacht hatte.
»Ich weiß nicht, ob das interessant für euch ist. Hab die Tagesnotiz von eurer Toten vor der Saint Teresa’s Church gelesen und mal ein bisschen recherchiert.«
Er reichte mir den Zettel.
»Auf exakt genau die gleiche Weise sind schon zwei andere Frauen ermordet worden.«
Phil und ich sahen uns überrascht an.
»Der erste Stich seitlich rechts in den Hals, der zweite von unten durch den Bauchraum ins Herz.«
Ich warf einen Blick auf die Notizen unseres Kollegen.
»Vor drei Jahren eine gewisse Phoebe Franklin in Jacksonville und vor fünf Jahren Karen Chase in Memphis.«
Er reichte mir noch einen zweiten Zettel.
»Ich habe die Telefonnummern der zuständigen Beamten in Memphis und Jacksonville aufgeschrieben.«
Ich sah meinen Partner angespannt an.
»Sieht so aus, als hätten wir es mit einem Serientäter zu tun.«
***
Der nächste Tag brachte noch mehr Schnee. Inzwischen blieb er liegen. Die Räumfahrzeuge waren rund um die Uhr im Einsatz. Wenn es so weiterging, würden bald die ersten Flüge gestrichen.
Wir hatten kurz angehalten, um uns mit Kaffee zu versorgen. Phils Kaffeemaschine streikte, und an Tagen wie diesem lief bei ihm ohne den schwarzen Muntermacher gar nichts. Leider waren wir nicht die Einzigen, die ein plötzliches Verlangen nach Kaffee überkam. Viele New Yorker hatten angesichts der schwierigen Straßenverhältnisse kapituliert und ihr Auto stehen lassen. Vor dem Coffeeshop hatte sich eine Schlange gebildet.
Ich nutzte die Zeit für einen Anruf bei der Spedition in Ridgewood. Unsere Befürchtung bestätigte sich: Joe Cumber hatte sich krankgemeldet. Ich gab die Nummer unserer Fahndungsabteilung ein. Sidney Lomax meldete sich.
»Was willst du wissen, Jerry?«
»Es geht um den Mord vor der Saint Teresa’s Church. Ein Tatverdächtiger ist abgetaucht. Sein Name ist Joe Cumber.«
»Ich gebe sofort eine Fahndung raus.«
»Danke, Sid. Du kannst Gedanken lesen.«
»Manchmal ist das nicht so schwer.«
Wir wechselten noch ein paar Worte, dann verabschiedete ich mich.
Ich stand auf einem Bürgersteig irgendwo in Midtown. Der Schnee fiel lautlos auf die Stadt und verwandelte New York in die unwirkliche Kulisse eines kitschigen Weihnachts-Musicals am Broadway.
Ich dachte an Nancy West und daran, dass sie dieses fantastische Schauspiel nicht mehr erleben konnte. Und spürte eine wilde Entschlossenheit, ihren Mörder für dieses sinnlose Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen.
Phil kam zurück und drückte mir einen Becher Kaffee in die Hand.
»Was Neues von Joe Cumber?«
Ich berichtete ihm kurz von meinem Gespräch mit Sidney Lomax. »Am besten sehen wir uns erst mal die Sullivan Studios an«, schlug ich vor. »Vielleicht erfahren wir dort etwas über Nancy West.«
Wir schafften es in Rekordzeit nach Queens. Ich konnte mich nicht erinnern, die Queensboro Bridge jemals so verlassen gesehen zu haben. Sogar nachts war hier normalerweise mehr los. Unter uns lag der East River wie geschmolzenes Blei.
***
Die Studiogebäude lagen an der Woodside Avenue, in Höhe des Pennsylvania-Railroad-Geländes. Zersiedeltes Industriegelände, flache Fertigungshallen und hingeduckte Lagerhäuser zogen sich endlos hin, unterbrochen hin und wieder von einer Tankstelle oder einem finsteren Shoppingcenter aus dunkelrotem Backstein.
Ich parkte den Jaguar vor dem schmucklosen Eingang. Neben den Treppenstufen standen einige gelbe Signallampen, übrig geblieben von einem Nachtdreh. Eine rostige Reklametafel, die im Schnee neben einem fleckigen Bretterzaun lag, verriet, dass hier früher einmal Autobatterien hergestellt worden waren.
Der Mann an der Pforte sah aus, als hätte er seit drei Tagen kein Bett mehr gesehen. Trotz unserer Ausweise bestand er darauf, dass wir einen Besucherschein ausfüllten.
»Hier kommt keiner durch ohne Schein«, knurrte er und unterdrückte mühsam ein Gähnen. »Nicht mal der Präsident persönlich.«
»Wir möchten mit Mister Sullivan sprechen«, erklärte ich ihm und schob den Passierschein unter der schusssicheren Glasscheibe durch.
»Das wollen viele«, winkte er ab und legte den Zettel auf einen Haufen weiterer Zettel.
Phil schob mich zur Seite.
»Hören Sie, Mister! Sie haben genau zwei Minuten Zeit, Ihren Boss zu holen! Andernfalls hat er sich morgen früh um Punkt sieben im Field Office einzufinden. Ich glaube kaum, dass er davon begeistert wäre!«
Manchmal wirkt eine höflich vorgetragene Bitte wahre Wunder. Der müde Pförtner wurde plötzlich wach, führte zwei kurze Telefongespräche und deutete dann zum Treppenaufgang.
»Erster Stock, Zimmer 107. Mister Sullivan erwartet Sie.«
»Warum nicht gleich so«, knurrte mein Partner.
Wir stiegen die Treppen hoch und landeten auf einem langen, weiß gestrichenen Gang, von dem unzählige Türen abgingen. Die meisten standen offen, Fetzen von Telefongesprächen, TV-O-Töne, Büroklatsch und Musik der unterschiedlichsten Stilrichtungen drangen auf den Flur und erzeugten die typische aufgekratzte Studioatmosphäre.
Wir fanden den Studioboss in seinem Büro. Allerdings machte er nicht den Eindruck, dass er uns erwartete. Sam Sullivan telefonierte auf zwei Leitungen gleichzeitig, zeichnete dabei in Seelenruhe einige Schriftstücke in einer Dokumentenmappe ab, auf die ein junges Mädchen geduldig wartete, das keinen Tag älter als 16 war.
Zwischendurch fand er noch Zeit, hin und wieder einen Schluck aus einer überdimensionalen Kaffeetasse mit aufgedrucktem Hitchcock-Profil zu nehmen und eine Kippe in eine Jugendstilvase zu schnippen, deren Gladiolen sichtlich unter der konzentrierten Nikotinzufuhr litten.
Er nickte uns kurz zu und wies auf zwei Gartenstühle vor seinem mit Papieren überladenen Schreibtisch. Da auch diese Stühle als Ablagefläche zweckentfremdet wurden, zogen wir es vor stehen zu bleiben.
Endlich beendete Sullivan seine Gespräche, lehnte sich zurück und verdrehte theatralisch die Augen.
»Die Pest und die Cholera haben wir besiegt, da schickte uns der liebe Gott die Schauspieler!«
Wir hatten weder Zeit noch Lust, uns die Klagen eines frustrierten Produzenten über geldgierige und ruhmsüchtige Schauspieler anzuhören. Also kam ich gleich zur Sache.
»Wir würden gerne mit Ihnen über Nancy West sprechen.«
Sam Sullivan runzelte die Stirn, während er eine weitere Zigarette aus der Packung fischte. Als das eine Telefon schon wieder klingelte, nahm er den Hörer ab und bellte hinein: »Ich bin die nächsten zehn Minuten nicht zu sprechen!«
Dann kramte er unter einem Berg Manuskripte ein billiges BIC-Feuerzeug hervor, zündete seine Zigarette an, inhalierte tief und stieß eine beachtliche Rauchwolke an die Decke.
»Wer zum Teufel ist Nancy West?«
Ich hatte mir Sam Sullivan anders vorgestellt. Ein verwöhntes Milliardärssöhnchen, das sich aus purer Langeweile ein Studio gönnt wie andere Leute ein neues Badezimmer oder ein Wochenende an den Niagarafällen. Stattdessen hatte ich einen echten Workaholic vor mir, der seinen Beruf offenbar liebte und sich ganz nebenbei noch seine Gesundheit ruinierte.
»Lesen Sie keine Zeitung?«, erkundigte sich Phil leicht irritiert.
Müde lächelnd deutete Sullivan auf einen Stapel Tageszeitungen.
»Ich komme selten dazu, aber manchmal habe ich fünf Minuten, um einen Blick hineinzuwerfen. Warum fragen Sie?«
Ich holte ein Foto von Nancy West aus der Innentasche meines Jacketts und reichte es ihm.
»Die junge Frau wurde vor drei Tagen ermordet.«
Sam Sullivan starrte das Foto an. Dann gab er es mir zurück.
»Hübsches Ding. Tut mir leid. Aber was habe ich damit zu tun?«
Phil und ich tauschten einen verwirrten Blick.
»Zwölf Stunden vor ihrem Tod war sie hier bei Ihnen im Studio.«
Sullivan blickte mich ungläubig an.
»Kann ich das Foto noch mal sehen?«
Ich gab es ihm. Er musterte es eingehend. Dann schüttelte er den Kopf.
»Ich kenne die Frau nicht. Nie gesehen. Das muss ein Irrtum sein.«
Mit allem hatte ich gerechnet, aber damit nicht. Ich rief mir unseren Besuch bei Nancys Eltern in Erinnerung. War es möglich, dass sie uns angelogen hatten? Völlig ausgeschlossen.
»Von ihren Eltern haben wir erfahren, dass sie demnächst in einem Videoclip mitspielen sollte. Mit einem Musiker.«
Ich sah fragend zu meinem Partner hinüber.
»Kendrick Lamar«, kam er mir zu Hilfe.
»Wir arbeiten tatsächlich mit Kendrick zusammen«, bestätigte Sullivan geschäftig. »Sein Choreograph arbeitet noch am Storyboard. Der Regisseur ist schon gebucht. Außerdem haben wir ein paar Profitänzer vom Broadway Dance Center unter Vertrag. Wir haben vier Drehtage veranschlagt. Der Termin steht auch schon fest. Moment …«
Er wühlte fahrig in einem Berg von Papieren, vermutlich suchte er den Drehplan. Ich tippte auf das Foto.
»Und diese Frau spielt keine Rolle in dem Musikclip?«
»Wie gesagt, ich habe sie noch nie gesehen. Kann mich jedenfalls nicht daran erinnern.«
Schließlich zog er ein Blatt Papier heraus und reichte es mir über den Schreibtisch. »DISPO« stand über einer ausführlichen Tabelle, die jede Menge Namen enthielt.
Und Kaffeeflecken.
»Das sind die Leute, die für den Dreh disponiert sind«, erklärte Sullivan. »Sehen Sie nach, ob Sie ihren Namen finden.«
Der Name Nancy West tauchte in der Tabelle tatsächlich nicht auf. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten? Dann blieb mein Blick an einem Kästchen hängen: »Komparsen«.
»Kann es sein, dass sie als Komparsin eingeplant war?«
Sam Sullivan überlegte kurz.
»Möglich.« Er griff zum Hörer und wählte eine interne zweistellige Nummer. »Kathy, komm doch schnell mal rüber.«
Er sah uns an. »Kathy kümmert sich um die Komparsen. Sie hat eine Kartei, in der die Leute nach Typen sortiert sind. Wenn der Regisseur Komparsen braucht, sagt er Kathy, was er haben will, und sie besorgt es ihm.«
Bei seinen letzten Worten ging die Tür auf und eine magersüchtige Enddreißigerin mit Hakennase und Schmetterlingsbrille betrat den Raum. Uns behandelte sie wie Luft, während sie ihren Chef fragend anblickte. »Was gibt’s, Sam?«
Er zeigte ihr Nancys Foto. »Kennst du diese Frau?«
Kathy warf nur einen kurzen Blick darauf.
»Sie war beim Komparsen-Casting für Kendrick Lamar hier«, schnarrte sie gelangweilt.
»Hat sie einen Job bekommen?«
»Ich habe sie erst mal in meine Kartei aufgenommen. Sie hatte null Erfahrung. Solche Leute sind oft ziemlich anstrengend.«
»Danke, Kathy, das war’s auch schon«, nickte Sullivan ihr zu. »Übrigens kannst du sie wieder aus der Kartei streichen. Sie ist tot.«
Überrascht zog Kathy die Augenbrauen hoch, dann zog sie sich grußlos zurück. Zweifellos war sie zu beschäftigt, um den grundlegenden Regeln der Höflichkeit ihre Reverenz zu erweisen.
»Womit das Rätsel gelöst wäre«, grinste Sam Sullivan und breitete die Arme aus, wobei er es schaffte, die nächste Kippe zielsicher in die Vase mit den bedauernswerten Gladiolen zu befördern.
Es klopfte kurz und ein Mann steckte den Kopf herein. Um die vierzig, dunkler Typ, Stirnglatze, ausgeprägter Bartschatten.
»Der Pultmeister ist jetzt da, Sam. Willst du mit ihm das Beleuchtungskonzept durchsprechen?«
Sam Sullivan blickte wenig begeistert auf.
»Er soll warten. Und hol den Oberbeleuchter dazu.«
Der Mann nickte und wollte sich zurückziehen.
»Warte mal, Monty«, rief Sullivan ihn zurück und hielt ihm Nancys Foto unter die Nase. »Hast du die Kleine schon mal gesehen?«
Der Mann, der Monty hieß, betrachtete das Foto flüchtig. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich den Eindruck, dass seine Wimpern leicht zuckten. Dann hatte er sich wieder unter Kontrolle.
»Nie gesehen, Chef.«
»Alles klar. Du kannst gehen.«
Bevor er sich zur Tür umwandte, begegneten sich unsere Blicke. Ich hatte das undeutliche Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben. Dann drehte er sich um und verließ den Raum.
Das Telefon schrillte.
»War sonst noch was?«, fragte Sam Sullivan ungeduldig.
»Danke, Sie haben uns sehr geholfen«, nickte ich ihm zu. Er telefonierte schon wieder, als wir das Büro verließen.
Es hatte aufgehört zu schneien, trotzdem mussten wir uns den schweren, nassen Schnee von den Schuhen klopfen, bevor wir in den Jaguar stiegen.
»Auf nach Ridgewood«, sagte ich und startete den Motor. Auch wenn Joe Cumber sich krankgemeldet hatte, konnte es nicht schaden, sich ein paar Takte mit seinem Arbeitgeber zu unterhalten.
***
Wir fuhren die 58th Street in südlicher Richtung. Eine fahle Wintersonne stand hoch am Himmel und verlieh New York einen Hauch von Arktis. Maronenhändler, die ihre Verkaufsstände längst für den Sommer eingemottet hatten, hatten sie wieder flottgemacht und machten gute Geschäfte. Und die Bewohner der verschlafenen Einkaufsstraßen, die noch nicht dazu gekommen waren, die Weihnachtsbeleuchtung abzubauen, waren plötzlich stolz auf ihre weise Voraussicht.
»Was hältst du von dem Kerl?«, wollte Phil wissen.
»Für jemanden, der mit einem goldenen Löffel im Mund auf die Welt gekommen ist, scheint er wirklich was auf dem Kasten zu haben.«
»Stimmt«, nickte Phil. »Kein Typ, der einfach den großen Boss markiert. Sein Schreibtisch sah nach Arbeit aus.«
»Und wie er mit den Leuten gesprochen hat, war auch nicht ohne. Der weiß, wovon er redet, und seine Leute spuren.«
»Er hat nur eine Schwäche«, schränkte Phil ein. »Er ist ein Tyrann und duldet keinen Widerspruch. Solche Typen haben oft eine hässliche Seite, die nur wenigen bekannt ist.«
»Doktor Jekyll und Mister Hyde?«
»Warum nicht?«
Schweigen.
»Glaubst du, er hat etwas mit dem Mord an Nancy West zu tun?«
»Gute Frage. Wenn er sich in Vollmondnächten tatsächlich in eine andere Person verwandelt, wäre es durchaus vorstellbar.«
Phil warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Sie enthielt eine Mondphasenanzeige.
»Vollmond haben wir erst wieder in zehn Tagen«, stellte er nüchtern fest.
»War nicht wörtlich gemeint.« Ich bog rechts in die Flushing Avenue ab und fädelte mich in den spärlichen Verkehr ein. »Aber wenn bei ihm tatsächlich noch eine andere, dunkle Seite existiert, ist er genauso verdächtig wie Joe Cumber.«
Auf dem Parkplatz eines Wal-Mart lieferten sich ein paar Jungs eine Schneeballschlacht. Eins ihrer Geschosse strich haarscharf an der Windschutzscheibe des Jaguar vorbei.
»Was war das denn für ’ne komische Nummer von wegen er hätte Nancy West noch nie vorher gesehen?«
»Vielleicht stimmt es ja«, gab ich zu bedenken.
Phil sah mich von der Seite an, als mache er sich Sorgen um meine Gehirnleistung.
»Aber er hat sie doch mal bei ihren Eltern abgeliefert. Das haben sie uns doch selbst erzählt. Schon vergessen?«
»Vorausgesetzt, es war tatsächlich Sam Sullivan«, erwiderte ich ruhig.
Meinen Partner brauchte einen Moment, bis er diesen Gedanken mit allen seinen Konsequenzen durchdacht hatte.
»Du meinst …«
»Es könnte doch jemand gewesen sein, der sich nur als der erfolgreiche Produzent ausgegeben hat«, spann ich meinen Gedanken weiter. »Vielleicht um anzugeben. Oder einfach mal den dicken Max zu markieren.«
»Und was ist mit Nancy? Hat sie das Spiel mitgespielt?«
»Vielleicht. Möglicherweise war sie aber auch gar nicht dabei.«
»Sondern?«
»Ist gleich in ihr Zimmer gegangen und hat sich umgezogen. Oder frisch gemacht.«
Phil dachte darüber nach. »Du hast recht, so könnte es gewesen sein«, gab er schließlich zu. »Und was würde das bedeuten?«
»Ganz einfach: Wir sind keinen Schritt weitergekommen«, bemerkte ich trocken.
Die Stockholm Street war eine der adretten, kleinen Straßen, von denen es viele in Queens gibt. Zweistöckige Wohnhäuser mit gepflegten Vorgärten, dazwischen urige Tante-Emma-Läden, Reparaturwerkstätten im Familienbetrieb, Delis und hin und wieder ein Dunkin Donut.
Genau das, was man eine bevorzugte Wohngegend nennt.
Die Spedition, für die Joe Cumber arbeitete, lag etwas zurückgesetzt hinter einem schicken Fitnessstudio für Frauen.
Ich parkte den Wagen auf dem Hof und fragte einen Mann in Holzfällerhemd und Cowboystiefeln nach dem Chef der Firma. Er deutete auf einen flachen, weißen Container.
»Da ist sein Büro. Er verlässt es nur zum Feierabend. Und wenn er ein dringendes Bedürfnis hat.«
»Haben Sie Joe Cumber heute schon gesehen?«
»Joe ist krank.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo er sich aufhält?«
Plötzlich blitzte Misstrauen in seinen Augen auf. Er musterte uns prüfend von oben bis unten.
»Wer will das wissen?«
Wir zeigten ihm unsere Dienstmarken. Er betrachtete sie eingehend von allen Seiten. Dann gab er sie uns zurück.
»Hat er was ausgefressen?«, fragte er.
»Schönen Tag noch, Cowboy«, lächelte Phil breit und zog mich mit zu der schlichten Baracke.
***
Die Tür war nicht verschlossen, also traten wir ein. Augenblicklich umfing uns der schwere Qualm schwarzer Brasilzigarren. Der Verursacher der dicken Luft saß in einem hellbraunen, mit Brandflecken übersäten Kunstledersessel vor einem 27-Zoll-Bildschirm und pfiff einen alten Dean Martin-Song vor sich hin. Es dauerte eine Weile, bis er merkte, dass er Besuch bekommen hatte.
Er stieß sich ab, rollte mit seinem Sessel ein paar Schritte zurück und musterte uns neugierig durch die dichten Nebelschwaden, während er nachdenklich auf seinem fast abgebrannten Stumpen kaute.
»Ich grüße Sie, Gentlemen«, schmetterte er uns fröhlich entgegen. »Was kann ich für Sie tun?«
Zweifellos hielt er uns für Kunden.
Wir zückten unsere Ausweise und ernteten einen tiefen Seufzer.
»Und ich dachte, es würde ein guter Tag«, stöhnte der Mann mit dem ungepflegten Vollbart, den ein Schild auf dem Tresen als Hank Vollmann auswies. »Also, raus mit der Sprache: Was hab ich ausgefressen?«
»Es geht um einen Ihrer Mitarbeiter«, erklärte ich ruhig. »Joe Cumber. Wir würden Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.«
Hank Vollmann kniff seine Augen zusammen.
»Warum fragen Sie ihn nicht selbst?«
»Sein derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt«, bemerkte Phil.
»Die Adresse kann ich Ihnen geben, Moment …« Hank Vollmann rollte zurück an seinen Schreibtisch und griff sich einen speckigen Aktenordner.
»In seiner Wohnung hält er sich nicht auf. Joe Cumber ist flüchtig.«
Vollmann ließ den Ordner sinken.
»Flüchtig? Was soll das denn jetzt wieder heißen?«
»Wir wollten ihn im Rahmen einer Mordermittlung befragen, aber er hat es vorgezogen, sich unseren Fragen zu entziehen.«
»Wollen Sie damit sagen, Joe ist ein Mörder?«
Hank Vollmann sog heftig an seinem Zigarrenstummel. Jeden Moment würde die Glut seine Lippen erreichen.
»Wir wollen ihn lediglich als Zeugen vernehmen.«
Sein Boss glaubte uns kein Wort.
»Verstehe«, sagte er gedehnt. »Tja, leider hat Joe sich heute Morgen krankgemeldet. Was sehr ärgerlich war, denn er sollte eine Ladung Mais nach Poughkeepsie bringen und ich hab auf die Schnelle keinen Ersatz gefunden.«
Phil trat an die Karte der Vereinigten Staaten, die hinter dem Inhaber der kleinen Spedition an der Wand hing. Sie war übersät mit kleinen Fähnchen in verschiedenen Farben und Pfeilen, die in alle Himmelsrichtungen zeigten.
»Hat Joe Cumber feste Routen, die er regelmäßig fährt?«, erkundigte er sich.
»Poughkeepsie fährt er jede Woche«, antwortete Vollmann. »Außerdem zweimal White Plains und einmal Jefferson. Aber es kommen auch immer wieder kurzfristig Touren rein. Die werden unter den Fahrern aufgeteilt.«
»Wie lange arbeitet er schon für Sie?«
Hank Vollmann nahm einen letzten tiefen Zug, versenkte den winzigen Stummel in einem Dreh-Ascher aus zerkratztem Chrom und verschränkte die Hände hinter seinem Kopf. Erst jetzt fiel mir sein enormer Bauchumfang auf.
»Knapp zwei Jahre.«
»Sind Sie zufrieden mit ihm?«
»Und ob. Auf Joe kann ich mich hundertprozentig verlassen. Ich kann ihn mitten in der Nacht anrufen und er steht eine halbe Stunde später auf der Matte. Ganz ehrlich, ich kann mir keinen besseren Mitarbeiter vorstellen.«
»Wie sieht es mit Krankfeiern aus? Macht er öfter mal ein paar Tage blau?«
»Nie! Joe hat eine Pferdenatur. Typen wie er werden einfach nicht krank. Ich kann mich nicht erinnern, dass er in den zwei Jahren auch nur einmal die Grippe gehabt hätte.«
Phil und ich wechselten einen vielsagenden Blick. Eine Grippe würde wohl auch diesmal nicht der Grund für sein Fernbleiben sein.
Mein Blick blieb an den Einsatzplänen hängen.
»Wissen Sie, was er vorher gemacht hat? Ich meine, bevor er bei Ihnen angefangen hat?«
Hank Vollmann kratzte sich am Kopf. »Er hat’s mir mal gesagt, aber ich hab’s wieder vergessen.«
»Es gibt doch sicher so was wie eine Personalakte«, half ich ihm auf die Sprünge.
Vollmann seufzte. Offenbar hatte er sich den Weg zum Rollschrank sparen wollen. Ächzend erhob er sich aus seinem Sessel und watschelte schnaufend auf die andere Seite des Büros.
In Situationen wie diesen verfluchte er jede verdammte Zigarre, die er in seinem Leben geraucht hatte.
Schließlich kam er mit einem schmalen, grauen Hefter zurück, ließ sich schwer atmend in den Sessel fallen und schlug den Deckel auf. Umständlich kramte er seine Lesebrille aus der Jacke und schob sie sich auf die Nase.
»Die Unterlagen sind nicht immer vollständig«, entschuldigte er sich mit einem schiefen Lächeln. »Manche Leute haben Schwierigkeiten, ihre Papiere zusammenzuhalten. Aber ich beschäftige keine Kriminellen. So was kommt bei mir nicht in Frage.«
Offenbar hatten unsere Dienstausweise bei ihm Eindruck hinterlassen.
»Na also, wer sagt’s denn«, verkündete er schließlich triumphierend. »Joe Cumbers letztes Zeugnis. Ausgestellt vor zwei Jahren und drei Monaten. Eine ausgezeichnete Beurteilung. Hat mich sofort überzeugt.«
»Und wo hat er gearbeitet?«
»In einer Spedition. Spezialisiert auf High Tech und Konsumgüter.«
»Hier in New York?«
Hank Vollmann schüttelte den Kopf und tippte auf Joe Cumbers Zeugnis.
»Memphis, Tennessee.«
***
Wir hatten beide noch nicht gefrühstückt, darum versorgten wir uns auf der Fahrt zur Federal Plaza mit Bagels, Donuts und Muffins sowie zwei Jumbobechern Kaffee und holten das Frühstück in unserem Büro ausgiebig nach.
»Joe Cumber war in New York, als Nancy West ermordet wurde. Und er war in Memphis, als … Moment …«
Phil ging mit der einen Hand seine Unterlagen durch, während er in der anderen Hand einen Vollkorn-Bagel mit Schinken balancierte.
»… Karen Chase getötet wurde …«
»Der Mord an Karen Chase liegt fünf Jahre zurück. Wir wissen nicht, ob er damals schon im Memphis war«, warf ich ein.
»Das lässt sich rauskriegen. Ich rufe gleich mal bei der Spedition an.«
»Und was ist mit dem dritten Mordopfer? Phoebe Franklin? Vor drei Jahren in Jacksonville?«
Phil verdrehte die Augen.
»Ich habe nicht behauptet, dass ich den Fall gelöst habe. Aber Joe Cumber ist eine verdammt heiße Spur.«
Ich nippte an meinem Kaffee. Für ein Getränk aus einem Coffeeshop war er wirklich gut.
»Nancy West war seine Freundin. Warum sollte er sie umbringen?«
»Eifersucht. Ganz klar. Du hast Sam Sullivan doch gesehen. Der Bursche sieht verdammt heiß aus. Ein echter Frauentyp. Vielleicht hat sie mal eine zweideutige Bemerkung gemacht. Cumber hat sie in den falschen Hals bekommen. Manchmal reicht so was schon.«
»Ich weiß nicht. Die beiden waren immerhin seit zwei Jahren zusammen.«
»Der Typ ist jähzornig. Vergiss das nicht. Hast du seinen Auftritt vor Gericht vergessen?«
Hatte ich nicht. Joe Cumber war ausgerastet, als sein Bruder Jason zu zwölf Jahren Haft verurteilt worden war. Er hatte randaliert und wüste Beschimpfungen ausgestoßen. Schließlich mussten ihn drei Leute vom Sicherheitspersonal aus dem Saal tragen.
Aber reichte das, ihn des Mordes an seiner Freundin zu verdächtigen?
»Im Ernst, Phil. Worauf sollte er eifersüchtig sein? Seine Freundin war nicht mehr als eine kleine Statistin. Für Leute wie Sullivan existieren solche Leute überhaupt nicht. Ob Mädels wie Nancy West oder eine Horde Affen in seinen Videoclips herumturnen, ist ihm doch völlig egal. Hauptsache, sie sind billig zu haben.«
Phil kaute nachdenklich an seinem Muffin herum.
»Ich bleibe dabei«, sagte er langsam. »Wenn dieser Sam Sullivan seiner Flamme nachgestiegen ist, halte ich Joe Cumber für zu allem fähig.«
»Wäre es dann nicht logischer, wenn er seinem Nebenbuhler einen Denkzettel verpasst, als gleich seine Freundin umzubringen?«
»Welcher Mörder denkt schon logisch«, konterte mein Partner. Aber er wusste selbst, dass das ein ziemlich dünnes Argument war.
»Und was Sullivan angeht – er schien Nancy West ja nicht mal zu kennen.«
Phil winkte ab. »Das kann eine Finte gewesen sein, um nicht in irgendwelche Mordermittlungen hineingezogen zu werden.«
»Stattgegeben. Aber glaubst du wirklich, er kennt jede seiner Komparsinnen, die in einem seiner Werbeclips einen 7-Sekunden-Auftritt hat?«
Darüber musste Phil einen Moment nachdenken. »Und wenn sie zufällig genau sein Typ war? So was soll vorkommen.«
In dem Fall hätte er uns tatsächlich angelogen. »Du meinst, die beiden hatten eine heimliche Affäre?«
»Warum nicht? Man nennt so was Besetzungscouch. Nancy West wäre nicht das erste hübsche Mädchen, das seine Unschuld für die Aussicht auf Geld und Ruhm im Filmgeschäft geopfert hätte.«
Womit er sicher recht hatte.
»Wenn Joe Cumber dahintergekommen wäre, hätte er tatsächlich ein starkes Mordmotiv gehabt«, gab ich zu.
»Es sei denn …« Phil sah mich angespannt an. »Es sei denn, Nancy West hätte ein doppeltes Spiel gespielt und beide Männer eifersüchtig gemacht. Dann käme auch Sam Sullivan als Mörder in Frage.«
Wir kamen einfach nicht weiter. Und es gab noch eine andere Frage, die mich beschäftigte.
»Gesetzt den Fall, Nancy West wäre wirklich nur eine unbedeutende Statistin gewesen, die hin und wieder ein paar Dollar für einen halben Drehtag bekommen hat: Wovon hat sie dann eigentlich gelebt?«
Die verdutzte Miene meines Partners verriet, dass er sich darüber noch keine Gedanken gemacht hatte.
»Ihre Wohnung in der Rutgers Street ist zwar nicht luxuriös, aber die Mieten in der Gegend sind nicht gerade niedrig. Und mit den Kleidern in den beiden Schränken hättest du eine mittlere Boutique ausstatten können.«
»Vielleicht hat ihr Freund sie unterstützt.«
»Mit dem, was er in dieser kleinen Klitsche verdient? Vergiss es. Damit kommt er wahrscheinlich selbst kaum über die Runden.«
Ich fuhr meinen PC hoch.
»Du wirst sehen, dass ich recht behalte«, sagte ich und trank den letzten Schluck Kaffee aus dem Jumbobecher. »Nancy West hatte noch einen lukrativen Nebenjob. Wenn wir rauskriegen, wo sie gearbeitet hat, kommen wir vielleicht auch ihrem Mörder näher.«
Auch Phil hatte sein Frühstück beendet und wandte sich dem Computer zu.
***
Wir hatten etwa eine halbe Stunde schweigend mit Internetrecherche verbracht, als unser Kollege Steve Dillaggio hereinkam. Man musste kein Psychologe sein, um zu erkennen, dass er ein Problem hatte.
»Störe ich? Oder habt ihr zwei Minuten?«
Wir wandten uns synchron von unseren Monitoren ab. »Auch drei, wenn’s sein muss. Was ist passiert?«
Steve setzte sich und sah uns eindringlich an. »Es gibt einen Maulwurf!«
Eine ganze Weile sagte niemand etwas.
»Ich nehme an, du redest nicht von diesen kleinen, possierlichen Tierchen, die blind geboren werden und …«
»Das ist nicht witzig!«, fiel Steve ihm ins Wort. »Unsere ganze Aktion steht auf dem Spiel! Monatelange Arbeit, Hunderte Überstunden – alles umsonst! Nur weil irgend so ein Idiot den Mund nicht halten konnte!«
Mit der Aktion war der Schlag gegen das mächtige mexikanische Drogenkartell gemeint, der unter der höchsten Geheimhaltungsstufe seit einem halben Jahr minutiös vorbereitet wurde. Nicht nur das New Yorker Field Office war daran beteiligt, sondern auch FBI-Büros in San Antonio, Houston und Kansas City. Ein Misserfolg der Operation wäre eine weitere empfindliche Niederlage gegen das organisierte Verbrechen.
»Wie kommst du darauf, dass es einen Maulwurf gibt?«, fragte ich Steve.
»Die Kollegen in Houston haben einen Tipp bekommen. Zwar anonym, aber die Quelle gilt als sehr verlässlich. Die Leute vom Kartell haben die Drogenlieferung um vierundzwanzig Stunden verschoben, um unseren Zugriff ins Leere laufen zu lassen. Glücklicherweise haben auch wir unsere Verbindungsmänner, sodass wir uns auf den geänderten Ablauf einstellen können.«
»Irgendeine Idee, wer dahinterstecken könnte?«
Steve hob die Schultern.
»Sicher ist nur, dass es sich um jemanden handelt, der in die Aktion involviert ist.«
»Was die Zahl der Verdächtigen immerhin begrenzt«, warf mein Partner ein.
»Kaum. Alles in allem sind an der Aktion mehr als hundert Kollegen und Kolleginnen beteiligt. Die Fahndung nach dem Maulwurf gleicht der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.«
»Wir werden auf jeden Fall die Augen offen halten«, versprach ich, auch wenn mir selbst nicht ganz klar war, wie wir das anstellen sollten.«
»Danke, Jerry«, erwiderte unser Kollege und erhob sich. »Es ist immer gut zu wissen, dass man Freunde hat.«
Mit diesen Worten verließ er uns.
»Armer Kerl. Ich kann mir vorstellen, wie er sich fühlt. Die Arbeit von Monaten steht plötzlich auf dem Spiel. Wegen einem Verräter, der sein eigenes Süppchen kocht.«
Ich konnte Phil nur beipflichten. Aber wir hatten gerade selbst genug Probleme, als dass wir uns länger um Steves Maulwurf kümmern konnten.
»Was hast du über Joe Cumbers Zeit in Memphis rausgefunden?«
»Eine ganze Menge«, verkündete Phil und nahm den Zettel mit seinen Notizen vor. »Er hat vor sechs Jahren als Speditionsfahrer bei der Firma Memphis International Logistics angefangen. Mit anderen Worten: Zum Zeitpunkt des Mordes an Karen Chase befand er sich vor Ort.«
Volltreffer.
»Aber es wird noch besser. Die Spedition in Memphis spielt in einer anderen Liga als der kleine Laden von Hank Vollmann. Zurzeit beschäftigt sie 46 feste Mitarbeiter. Aufträge werden in praktisch sämtlichen Bundesstaaten abgewickelt. Ausnahmen sind lediglich Wyoming, Idaho und North Dakota.«
Ich ahnte, worauf Phil hinauswollte.