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Sammelband 34: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2945: Sterben geht ganz einfach
2946: Deborah - verzweifelt gesucht
2947: Die Hoover Boys
2948: Undercover ins Jenseits
2949: Hass, der niemals endet
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
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Seitenzahl: 681
Veröffentlichungsjahr: 2021
Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 34
Cover
Impressum
Sterben geht ganz einfach
Jerry Cotton aktuell
Vorschau
Sterben geht ganz einfach
Antonio Monti trug nichts am Leib außer seiner randlosen Brille mit dem goldenen Gestell.
Als er die Tür des Badezimmers öffnete, hörte er hinter sich ein leises Klopfen an der Schlafzimmertür. Ein Signal, das außer ihm nur sein Leibwächter Ralph Benton kannte.
»Komm rein, Ralph«, sagte er und drehte sich um.
Die Tür des Schlafzimmers öffnete sich. Benton stand darin. »Mister Cesare Caligiuri möchte Sie sprechen, Sir«, meldete er.
»Caligiuri? Seit wann lässt man solches Gesindel wie Caligiuri in ein vornehmes Hotel? Schmeiß den Kerl raus!«
Monti trat in das Badezimmer. Im gleichen Augenblick hörte er hinter sich einen Schuss. Eigentlich waren es drei Schüsse, aber als der zweite fiel, war er bereits tot.
Das Erste, was wir von Antonio Monti sahen, war der nackte Hintern, den er uns entgegenreckte. Er tat das nicht aus Unhöflichkeit oder um seine Verachtung für Polizisten aller Art zu zeigen. Monti tat überhaupt nichts mehr. Er hing nur über dem Rand der leeren Badewanne, seine Knie berührten noch den Boden, sein Oberkörper, die Arme und der Kopf hingen in der Wanne.
»Darf ich ihn mir ansehen?«, fragte Phil.
Lieutenant Donovan, ein untersetzter grauhaariger Mann, der knapp vor der Pensionierung stand, nickte.
»Wir sind mit der Untersuchung des Tatorts so gut wie fertig. Auch der Doc hat seine Arbeit vorerst beendet. Drei Kugeln in den Rücken, abgegeben aus einer Entfernung von etwa fünf Yards. Der Mörder stand wohl dort drüben in der Tür, die vom Wohnraum hierher in das Badezimmer führt.«
Phil sah die Einschusslöcher im Rücken des Toten, aber kaum Blut. Ein Laie hätte sich über diese geringe Anzahl von Blutstropfen gewundert, aber Tote bluten nun mal kaum. Ihr Herz schlägt nicht mehr und befördert deshalb kein Blut mehr durch die Adern.
»Ich glaube, er ist vor seinem Mörder hierher ins Badezimmer geflohen«, sagte Lieutenant Donovan.
»Eine Badewanne ist ein guter Schutz gegen Kugeln«, nickte ich. »Aber trotzdem scheint mir Ihre Vermutung nicht ganz einleuchtend. Wenn er geflohen wäre, hätte er die Badezimmertür hinter sich zugeschlagen und neben der Tür Deckung gesucht.«
»Er war in Panik«, widersprach Donovan. »Ein unbewaffneter, splitternackter Mann fühlt sich entsetzlich hilflos, wenn plötzlich ein Kerl mit einer großkalibrigen Kanone vor ihm auftaucht. Er rennt um sein Leben, ohne lange nachzudenken.«
»Monti war einer der hartgesottensten Gangsterbosse in ganz New York. Hatte seine bemerkenswerte Karriere als Schläger und Killer begonnen. Ein solcher Bursche gerät nicht so leicht in Panik. Ich schätze, dass er seit seinem siebten Lebensjahr nicht eine Sekunde lang unbewaffnet war.«
»Wir haben in der ganzen Suite nicht eine einzige Waffe gefunden. Das ist ungewöhnlich für einen Gangsterboss, das gebe ich zu. Aber meine Leute haben bestimmt nichts übersehen.«
»Monti hat offenbar keinerlei Gefahr befürchtet«, meinte Phil. »Entweder hat er keinen Besucher erwartet oder jemanden, dem er vertraute. Vielleicht eine seiner blutjungen Gespielinnen.«
»Möglich«, stimmte Lieutenant Donovan zu. »Es heißt, dass er minderjährige Mädchen bevorzugte.«
»Keine seiner Freundinnen war älter als sechzehn. Erwachsenen Frauen traute er nicht über den Weg. Sie waren ihm zu raffiniert und zu hinterhältig. Der Mann war dreimal geschieden. Jede dieser Scheidungen hat ihn ein Vermögen gekostet.«
»Jeder Mensch, ob Mann oder Frau, der zu Monti wollte, musste an Montis Leibwächter Ralph Benton vorbei«, überlegte ich laut. »Mit diesem Burschen würde ich gern sprechen.«
»Er wartet im Nebenzimmer«, sagte Donovan.
Das überraschte mich. Wer einen Gangsterboss ermorden will, muss erst dessen Leibwächter aus dem Weg schaffen. Wenn der Bodyguard versagt, treffen ihn die ersten Kugeln. Mit anderen Worten: Er ist tot. Wenn er noch lebt, kann das nur bedeuten, dass er mit den Mördern unter einer Decke steckt. In diesem Fall verschwindet er sofort nach der Tat. Nicht etwa, weil er Angst vor der Polizei hätte. Viel mehr als die Polizei fürchtet er die Rache der Freunde seines ermordeten Bosses.
Benton saß in einem Sessel im Nebenzimmer, kaute hingebungsvoll einen Kaugummi, hatte die Hände über dem Leib gefaltet und sah mit einem breiten Grinsen zu dem Cop hinüber, den Lieutenant Donovan zu seiner Bewachung abgestellt hatte.
Er schien nicht im Geringsten besorgt zu sein. Im Gegensatz zu dem Cop, dem es offenbar unangenehm war, dem Leibwächter eines Gangsters nahe zu sein. Er schien zu befürchten, dass der Bursche ihm gleich seinen Kaugummi ins Gesicht spucken würde.
Als wir eintraten, blickte Benton uns vergnügt entgegen. Dann beschloss er aufzustehen.
Er sah genau so aus, wie man sich den Bodyguard eines Gangsters vorstellt. Hoch wie eine Tür, breit wie ein Schrank, mit dem Brustkorb eines Gorillas und einem Gesicht, das wie aus Granit gemeißelt schien.
»Sie sind also Montis Leibwächter«, sagte ich.
Der Gorilla zog indigniert die linke Augenbraue hoch.
»Ich bin sein Sekretär«, sagte er.
Ich verschwendete keine Zeit damit, seine Behauptung zu bezweifeln. »Als sein Sekretär kannten Sie doch sicherlich seinen Terminkalender?«
»Klar«, antwortete Benton, immer noch genüsslich seinen Kaugummi kauend.
»Hat er Besuch erwartet?«
»Nein. Er wollte nur noch ein Bad nehmen, einen Whiskey trinken und dann zu Bett gehen.«
»Keine hübschen jungen Mädchen?«
»Ganz gewiss nicht!«
Der Mann, der so heftig widersprach, war nicht Benton, sondern ein älterer, elegant gekleideter schlanker Herr, den Lieutenant Donovan uns als Mr Folsom vorgestellt hatte. Folsom war der Direktor des Hotels.
»Das Palace ist keine Absteige!«, protestierte er. »Wir stellen unseren Gästen keine Prostituierten zur Verfügung.«
»Natürlich nicht«, sagte der Lieutenant lächelnd. »Hier geht es so sittsam zu wie in einem Nonnenkloster. Und es hat natürlich auch kein Gast die Möglichkeit, sich telefonisch eine sehr entgegenkommende Dame auf sein Zimmer zu bestellen.«
»Wir würden niemals zulassen, dass Frauen von zweifelhaftem Ruf unsere Gäste belästigen.«
»Nun, abgesehen davon, dass sich nicht jeder Gast in einem solchen Fall belästigt fühlen würde … Wenn die junge Dame behauptet, die Tochter des Gastes zu sein, würden Sie sie doch bestimmt zu ihm durchlassen, oder?«
»Wenn er bestätigt, dass sie seine Tochter ist, sicher.«
»Mister Monti hat keinen Damenbesuch erwartet«, sagte Benton, der Leibwächter. »Das hätte ich gewusst.«
»Haben Sie die Schüsse gehört?«, fragte ich.
»Nein, wenn der Täter einen Schalldämpfer benutzt, ist nicht viel zu hören. Ich hatte wahrscheinlich seit Stunden geschlafen, als die Schüsse fielen.«
»Die Schüsse fielen zwischen 11 Uhr abends und Mitternacht«, sagte Lieutenant Donovan. »Gefunden hat man den Toten morgens um sechs.«
»Wer hat ihn gefunden?«, fragte ich.
»Ich«, sagte Benton. »Ich bringe ihm jeden Morgen Punkt sechs seinen Lieblingswhiskey ans Bett. Aber heute hatte er verständlicherweise keinen Durst mehr.«
Ich hatte den Eindruck, dass der Bursche Mühe hatte, seine Heiterkeit zu unterdrücken.
»Ihre gute Laune überrascht mich ein wenig«, sagte ich. »Befürchten Sie nicht, nach dem plötzlichen Ableben Ihres Brötchengebers Ärger mit seinen Freunden zu bekommen?«
»Ja, ich werde Schwierigkeiten haben, einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden. Mister Monti war ein guter Boss. Hat seine Leute anständig behandelt und sehr gut bezahlt.«
»Und Ihnen ist es nicht gelungen, sein Leben zu retten«, sagte Lieutenant Donovan. »Obwohl Sie sich im Zimmer nebenan befanden, als er starb.«
»Wie schon gesagt, ich war nicht sein Bodyguard, sondern sein Sekretär. Ich habe seinen Terminkalender geführt, für seine Sicherheit war ich nicht zuständig.«
***
Phil, Lieutenant Donovan und ich hatten das Zimmer verlassen, um uns ein wenig unterhalten zu können, ohne dass der Leibwächter uns hören konnte.
»Mordfälle sind für mich wirklich nichts Neues«, sagte Donovan. »Aber dieser Fall so kurz vor meiner Pensionierung ist mir wirklich unangenehm. Wenn ich Montis Mörder nicht finde, nehmen seine Freunde mir das übel. Wenn ich den Mörder aber schnappe, sind die Auftraggeber des Mordes sauer auf mich. In beiden Fällen könnten sich die Kerle an mir rächen.«
»Wie ich Sie kenne, wird Sie das nicht daran hindern, Ihre Pflicht zu tun«, sagte Phil.
»Dieser angebliche Sekretär verblüfft mich. Warum hat der Mörder ihn am Leben gelassen? Steckt er mit den Mördern unter einer Decke? Warum ist er dann nach der Tat nicht abgehauen?«
»Vielleicht hat er selbst den Mord begangen«, meinte Phil. »Aber dann hätte er erst recht einen Grund gehabt zu verschwinden. Und wie ist es ihm gelungen, die Tatwaffe zu beseitigen?«
»Das wäre nicht sehr schwer gewesen«, antwortete ich. »In einem so großen Hotel gibt es bestimmt den einen oder anderen Angestellten, der Beziehungen zur Unterwelt hat. Ein solcher Angestellter hätte keine Schwierigkeiten, die Tatwaffe wegzuschaffen.«
»Dieser Benton scheint sich völlig sicher zu fühlen«, wunderte sich Donovan. »Mir scheint fast, dass Monti von seinen eigenen Leuten ins Jenseits geschickt wurde. Von seinen Freunden, vielleicht sogar von seinen Verwandten. Deshalb hat der von ihnen beauftragte Mörder ihre Rache nicht zu fürchten.«
»Ich werde ein paar Erkundigungen über das Hotel und seine Besitzer einziehen«, sagte ich. »Du solltest inzwischen hier bleiben und den merkwürdigen Leibwächter genauer unter die Lupe nehmen, Phil. Vielleicht findet sich auch ein Angestellter, der in der vergangenen Nacht etwas Verdächtiges gesehen oder gehört hat. Wir müssen auch wissen, ob Monti ein Stammgast dieses Hotels ist, seit wann er hier wohnt, mit wem er sich hier getroffen hat und möglichst auch, mit wem er telefoniert hat.«
»Möchtest du auch wissen, was er zum Frühstück zu essen pflegte?«, grinste Phil.
»Zum Frühstück, zu Mittag, am Abend und zwischendurch«, nickte ich.
***
Sie erwischten mich genau vor dem Eingang des Hotels. Das bedeutete, dass sie auf mich gewartet hatten und genau wussten, auf wen sie warteten. Der eine baute sich vor mir auf, der andere stand so dicht hinter mir, dass er mich fast berührte. Beide sahen aus, als wären sie Brüder von Ralph Benton, dem Leibwächter des ermordeten Antonio Monti. In der riesigen Limousine am Straßenrand saß ein dritter Mann am Steuer. Ich konnte nicht viel von ihm sehen, aber er schien von der gleichen Sorte zu sein.
»Der Boss will Sie sprechen«, sagte der Bursche vor mir mit rauer Stimme.
»Was Ihr Boss will, interessiert mich herzlich wenig«, sagte ich. »Und wenn mein Boss mich sprechen wollte, würde er mir nicht so schräge Vögel wie euch schicken.«
»Ich mag die Bullen nicht«, sagte der Mann dicht hinter mir. »Und am wenigsten mag ich die Kerle, die ein so großes Maul haben.«
»Dass Sie mich nicht mögen, bricht mir das Herz.«
»Der Boss wartet nicht gerne«, sagte der Mann vor mir.
»Wollen Sie mir nicht verraten, wer Ihr Boss ist?«
Der Mann riss vor Erstaunen den Mund auf und vergaß, ihn wieder zu schließen. »Sie kennen unseren Boss nicht?«, wunderte er sich. »Mann, ich dachte, Sie kennen sich aus in unserer Branche.«
»Wahrscheinlich kenne ich Ihren Boss«, nickte ich. »Ich kenne so ziemlich jeden Oberhalunken in dieser Stadt. Aber ihr beide seid mir noch nie über den Weg gelaufen. Eure Galgenvogelgesichter hätte ich bestimmt nicht vergessen.«
»Wenn du dem Boss gegenüber genauso unverschämt bist wie uns gegenüber, erlaubt er mir vielleicht, die die Fresse zu polieren«, sagte der Mann hinter mir.
»Ihre Ausdrucksweise lässt arg zu wünschen übrig«, sagte ich, ohne mich zu ihm umzusehen. »Ich hoffe, Sie sind kein typisches Produkt unseres Schulsystems. Und jetzt wollen wir euren Boss nicht länger warten lassen. Bringt mich endlich zu ihm!«
Ich muss gestehen, dass ich mich keineswegs so gut fühlte, wie ich vorgab. Aber die Kerle hatten offenbar nicht die Absicht, mich zu entführen oder gar umzubringen. In diesem Fall hätten sie mir keinesfalls auf einer so belebten Straße mitten in New York aufgelauert.
Ich wartete, bis die Kerle mir die hintere Tür der Limousine geöffnet hatten, und stieg dann ein. Der Kerl, der mir unbedingt die Fresse polieren wollte, setzte sich neben mich und starrte mich unverwandt an, mit einem Blick aus Abscheu und Hass. Der andere nahm neben dem Fahrer Platz.
Es war keine weite Fahrt. Wir fuhren genau nach Norden, bogen schon bald in eine Querstraße ab und rollten dann in eine Tiefgarage hinunter. Kein Mensch war hier unten zu sehen außer dem kräftigen Burschen, der vor den Liften stand und offenbar auf uns gewartet hatte. Er blieb auch vor dem Lift stehen, als ich und meine beiden Begleiter eingestiegen waren und nach oben fuhren.
Im obersten Stockwerk hielt der Lift an. Keine der Türen in dem Flur, in dem wir uns befanden, hatte ein Namensschild oder eine Nummer. Das deutete darauf hin, dass das ganze Stockwerk dem Unbekannten gehörte, der mich auf so nachdrückliche Weise eingeladen hatte.
Offenbar wurden wir durch Kameras beobachtet, denn die zweite Tür rechts von uns öffnete sich in dem gleichen Augenblick, in dem wir sie erreichten. Wir traten ein.
»Ihr beide könnt draußen bleiben«, sagte eine Männerstimme von irgendwoher. »Mister Cotton ist nicht von eurer Sorte, er stößt mir kein Messer in den Leib, wenn ich ihm mal den Rücken zukehre.«
Die beiden zogen sich zurück, die Tür schloss sich geräuschlos hinter ihnen.
Der Raum war groß – so groß, dass meine gesamte Wohnung leicht darin Platz gehabt hätte. Aber es war nicht leicht, bis zum Ende des Raumes zu blicken. Es gab eine Menge mächtiger Baumstämme hier, von denen auf den ersten Blick nicht zu sagen war, ob sie echt waren oder aus Kunststoff bestanden. Von den Ästen hingen zahllose Lianen herab und aus dem weichen Boden, auf dem ich stand, wuchsen Büsche empor. Ich kam mir vor wie mitten im Urwald.
»Gleich wird ein Affe von den Bäumen springen«, sagte ich. »Oder gar Tarzan selbst, der Herr des Urwalds.«
Irgendwo hinter mir lachte jemand. »Tarzan, ja, der Name gefällt mir. Ich glaube, ich werde mich in Zukunft so nennen lassen. Ich mag die Tarzanfilme, besonders die alten, mit Johnny Weißmuller in der Titelrolle. Ich glaube, ich sehe ihm ähnlich. Und dieser Urwald – wirkt er nicht geradezu friedlich im Vergleich zu dem Asphaltdschungel da draußen?«
Ich drehte mich um.
Der Mann, der ein paar Schritte hinter mir stand, hatte im Gegensatz zu seiner Behauptung nicht die geringste Ähnlichkeit mit Tarzan. Er war klein, mit seinen kurzen Beinen und dem mächtigen Oberkörper wirkte er eher wie ein Schimpanse, sein Kopf war fast kahl.
»Wir haben uns lange nicht mehr gesehen, Caligiuri«, sagte ich. »Sehr lange. Sie waren einer der ersten Gauner, die ich als junger FBI-Agent eingelocht habe. Damals konnten Sie sich noch keinen eigenen Urwald und eigene Gorillas leisten.«
Cesare Caligiuri lachte. »Dass ich eine so schöne Karriere gemacht habe, verdanke ich zum Teil auch Ihnen, Cotton. In dem Gefängnis, in das Sie mich damals brachten, habe ich eine Menge wichtiger Kontakte geknüpft. Und ich habe von den alten Knastbrüdern dort eine Menge gelernt, was ich in den Slums von New York nie hätte lernen können.«
Er trat mit kurzen Schritten näher und betrachtete mich von Kopf bis Fuß. Dann schüttelte er verwundert den Kopf.
»Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass ich mich eines Tages freuen würde, Sie wiederzusehen, Cotton. Jahrelang habe ich mit dem Gedanken gespielt, Sie umzubringen. Heute bin ich froh, dass ich es nicht getan habe. Sie sind der einzige Mensch, an den ich mich wenden kann.«
»Das klingt, als bräuchten Sie meine Hilfe.«
»So ist es«, nickte Caligiuri. »Aber bevor ich Ihnen sage, weshalb ich Sie hierhergebeten habe, möchte ich Ihnen einen Begrüßungstrunk anbieten. Gehen wir doch in meine Hütte!«
***
Als Phil nach dem kurzen Gespräch mit Lieutenant Donovan und mir in Bentons Zimmer zurückkam, lümmelte Benton wieder in seinem Sessel und wälzte einen Kaugummi von einer Seite seines Mundes auf die andere. Er grinste wie immer. Der Cop stand immer noch neben der Tür und fühlte sich unwohl. Nur Mr Folsom, der Direktor des Hotels, war nicht mehr zu sehen.
Der Cop verstand Phils suchenden Blick und deutete mit dem Kopf auf eine zweite Tür. Phil ging hinüber und öffnete sie. Es war ein Schlafraum. Folsom war nicht hier. Phil durchquerte den Raum, erreichte eine weitere Tür und öffnete sie vorsichtig einen Spalt weit.
Die Tür führte auf einen Flur. Einige Schritte entfernt, mit dem Rücken zu Phil, stand Mr Folsom. Er hielt ein Handy an sein Ohr und sprach so leise, dass Phil ihn kaum verstehen konnte.
»Jawohl, Sir«, hörte Phil, »die Polizei ist noch da. Es treiben sich auch zwei Burschen vom FBI hier herum, Jerry Cotton und Phil Decker. Sie stellen eine Menge Fragen. Im Augenblick haben sie gerade Mister Benton in der Mangel.«
Einige Sekunden lang hörte Folsom zu, was sein Gesprächspartner zu sagen hatte. Dass es sich um einen Mann handelte, schloss Phil aus der Anrede »Sir«, die Folsom gebraucht hatte.
»Jawohl, Sir«, sagte Folsom wieder. Unwillkürlich verbeugte er sich dabei. Sein Gesprächspartner schien eine hochgestellte Persönlichkeit zu sein. »Aber meinen Sie nicht, dass es ratsam wäre, wenn Mister Benton verschwinden würde?«
Wieder lauschte er kurz. »Wie Sie meinen, Sir«, sagte er dann und nickte. »Ja, ich erstatte Ihnen Bericht, sobald die Polizisten weg sind.«
Er nahm Haltung an wie vor einem Vorgesetzten, dann schob er das Handy ein.
Phil öffnete die Tür und trat hinaus auf den Flur. Jetzt hörte ihn Folsom und drehte sich zu ihm um.
»Scheußliche Sache, so ein Mord im eigenen Hotel«, sagte Folsom und wischte sich mit der linken Hand den Schweiß von der Stirn. »Das ist gar nicht gut für unser Renommee. Ich hoffe, Sie werden die Gäste in den anderen Stockwerken nicht allzu sehr belästigen?«
»Wir gehen so diskret vor wie irgend möglich«, versicherte Phil. »Und wir werden Sie selbst so diskret wie möglich im Auge behalten«, fügte er in Gedanken hinzu.
***
Caligiuri hatte tatsächlich eine Hütte in seinem künstlichen Urwald. Allerdings war diese Hütte nicht so klein und bescheiden wie die, die Tarzan mit seiner Jane und dem Schimpansen Cheeta bewohnt hatte. Die Bar im Wohnraum dieser Hütte war so üppig mit Getränken aus aller Welt ausgestattet, dass man ein Dutzend Alkoholiker einen Monat lang ausreichend hätte versorgen können.
»Einen Cocktail?«, fragte Caligiuri.
Ich zögerte. Es gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, während des Dienstes zu trinken. Und erst recht nicht, mich mit einem Gangsterboss zu besaufen.
Caligiuri lächelte verständnisvoll.
»Das ist kein Bestechungsversuch, Cotton«, sagte er. »Wenn ich Sie kaufen wollte, würde ich Ihnen eine Million Dollar in bar auf den Tisch legen. Es ist auch kein Mordversuch. Die Borgias, Päpste und Giftmischer, gehören nicht zu meinen Vorfahren. Wenn ich töte, bevorzuge ich eine Pistole. Es kommt allerdings nur noch selten vor, dass ich derlei Dinge selbst erledige. Dafür habe ich jetzt meine Leute, die das ausgezeichnet machen.«
»Sie sind erstaunlich offenherzig«, sagte ich.
Caligiuris Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen.
»Sie sind kein Anfänger in Ihrem Beruf, Cotton. Sie wissen, wer ich bin und auf welche Weise ich mein Geld verdiene. Glücklicherweise können Sie mir nichts nachweisen, sonst säße ich längst hinter Gittern. Und dass ich Ihnen eben ein paar Morde gestanden habe … Vor Gericht könnten Sie damit nichts anfangen, da es keine Zeugen gibt. Sie tragen auch keine Wanze bei sich. Woher ich das weiß?« Caligiuri lachte jetzt laut. »Heutzutage muss man einen Menschen nicht mehr von Kopf bis Fuß abtasten, um ihn nach Waffen oder Mikrofonen zu untersuchen. Dieses Haus ist vollgestopft mit Elektronik. Schon bevor Sie den Lift verließen, wusste ich, dass Sie nur Ihre Pistole, ein Handy und ein paar Schlüssel bei sich haben.«
Caligiuri studierte amüsiert mein Gesicht. »Wollen Sie wirklich nicht mein Spezialrezept versuchen?«
»Nun gut«, nickte ich. »Es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass einer der obersten Gangsterbosse von New York mich zu einem Drink einlädt.«
»Sie sind ein Mann nach meinem Geschmack, Cotton. Darf ich Sie Jerry nennen?«
»Jerry nennen mich nur meine Freunde. Sie werden nie dazugehören.«
»Vermutlich nicht«, nickte Caligiuri. Er mixte seinen Spezialdrink und kehrte mir dabei den Rücken zu. Entweder fürchtete er wirklich keine Gefahr von mir, oder hier zwischen den Bäumen steckten einige seiner Leute und ließen mich nicht den Bruchteil einer Sekunde aus den Augen.
Sein Drink schmeckte wirklich nicht schlecht. »Woher haben Sie dieses Rezept?«, fragte ich.
»Geklaut natürlich«, lachte Caligiuri. »Man könnte auch sagen: geerbt. Der Erfinder braucht es nicht mehr. Er hatte einen schrecklichen Unfall.«
»Ich vermute, Sie haben mich nicht hierhergeholt, um mit mir erlesene Cocktails zu schlürfen und über schreckliche Unfälle zu plaudern.«
Caligiuri wurde plötzlich ernst. Mir schien sogar, als zeige sein Gesicht Besorgnis.
»Sie haben von dem traurigen Schicksal Montis gehört?«
»Ich war gerade bei ihm. Er konnte mir nicht mehr sagen, ob Sie ihn erschossen haben. Oder sein Leibwächter in Ihrem Auftrag. Sie machen sich ja nicht mehr selbst die Hände schmutzig.«
»Eigentlich ist es mir egal, wer den Kerl über den Jordan geschickt hat. Oder gar in die Hölle. Ich würde den Mörder sogar in mein tägliches Abendgebet einschließen. Dass der Verdacht auf mich fallen wird, kümmert mich auch nicht weiter. Jeder weiß, dass Monti und ich Feinde waren. Seit Jahrzehnten. Eigentlich sogar schon seit unserer Jugend. Man hat mir schon schlimmere Dinge vorgeworfen.« Caligiuri machte eine wegwerfende Handbewegung. »Es kümmert mich nicht, was die Leute über mich denken, gleich ob Berufsgenossen oder Bullen. Bisher bin ich mit jeder Gefahr fertig geworden. Aber diesmal ist die Sache ernster.«
»Sie muss sogar sehr ernst sein, wenn Sie sich ausgerechnet an mich wenden.«
»Sie sind der einzige Mann, der es je geschafft hat, mich ins Gefängnis zu bringen, Cotton. Deshalb habe ich Respekt vor Ihnen. Und obwohl Sie ein Bulle sind, sind Sie ein ehrlicher Mann. Kein bisschen korrupt. Ganz anders als diese Blauröcke, die auf meiner Gehaltsliste stehen.«
»Wenn so viele korrupte Polizisten für Sie arbeiten, weshalb brauchen Sie dann mich?«
»Auf bestechliche Leute ist kein Verlass. Wer Geld von mir nimmt, hat auch keine Bedenken, noch mehr Geld von meinen Feinden anzunehmen. Sie brauche ich nicht zu bezahlen. Kein noch so hohes Bestechungsgeld könnte Sie dazu bringen, mich zu verkaufen.«
»Vor wem haben Sie Angst?«
»Wenn ich das wüsste, bräuchte ich Sie nicht. Ich hätte den Kerl schon längst zur Hölle schicken lassen. Aber ich habe keine Ahnung, wer hinter dieser ganzen Mordserie steckt.«
»Mordserie?«
»Sie sollten sich nicht nur dafür interessieren, was hier in New York vor sich geht. Brandt in Chicago, Rojas in Honduras, Carmichael in London, sie alle haben innerhalb weniger Wochen ins Gras gebissen. Und keiner weiß, wer diese Morde begangen hat.«
»Von Carmichael habe ich gehört. Verdiente eine Menge mit Prostitution. Versprach ahnungslosen Mädchen aus Osteuropa ehrbare Jobs im Westen und zwang sie dann, in seinen Bordellen zu arbeiten. Dass er tot ist, wusste ich nicht. Die beiden anderen Namen sind mir nicht bekannt.«
»Sie waren kleine Lichter. Strebsame Leute, die überzeugt waren, eine große Karriere in der Unterwelt zu machen. Jemand hat diese hoffnungsvollen Karrieren abrupt beendet. Und ein paar andere Karrieren dazu.«
»Wenn dieser Unbekannte nur kleine Nachwuchsgangster beseitigen lässt, haben Sie doch nichts zu befürchten, Caligiuri. Sie gehören doch einer ganz anderen Liga an. Oder haben die Leute, die Sie eben aufgezählt haben, etwa für Sie gearbeitet?«
Caligiuri lächelte zufrieden. »Sehen Sie, Cotton, deshalb habe ich mich an Sie gewandt. Sie haben mehr Grips als die meisten Leute, die ich kenne. Ihnen braucht man nicht viel zu erklären. Stimmt, ich hatte geschäftliche Beziehungen zu einigen der Ermordeten. Aber das allein würde mich nicht beunruhigen. Wenn jemand meine Freunde umbringt, weiß ich, dass ich den Auftraggeber dieser Morde unter meinen Feinden zu suchen habe. Aber es wurden auch Leute getötet, die weiß Gott nicht zu meinen Freunden gehören. Und das macht die Sache so rätselhaft. Der Mörder könnte einer meiner Freunde sein. Er könnte auch einer meiner Angestellten sein. Oder gar – mein Bruder.«
»Jetzt verstehe ich Ihr Dilemma«, sagte ich. »Sie vertrauen niemandem in Ihrer Umgebung. Aber was erhoffen Sie sich von mir?«
»Dass Sie gute Arbeit leisten und den Drecksack schnappen, der hinter all diesen Morden steckt. Wenn die Polizei den Kerl aus dem Verkehr zieht – in Ordnung. Wenn Ihre Beweise für eine Verurteilung nicht ganz ausreichen, dann geben Sie mir einen kleinen Tipp – und Sie brauchen sich nicht weiter um die Sache zu kümmern.«
»Wenn Sie glauben, dass ich Ihnen helfe, einen Mord zu begehen, muss ich Sie enttäuschen.«
»Das verlange ich gar nicht von Ihnen. Erledigen Sie einfach Ihre Arbeit. Dafür werde ich Ihnen ewig dankbar sein. Retten Sie mein Leben, Cotton! Sie sind der einzige Mensch, dem ich noch traue.«
»Ich hoffe, Sie überschätzen meine Fähigkeiten nicht, Caligiuri. Wenn ich diese Mordserie aufklären soll, brauche ich Informationen.«
»Die bekommen Sie. Natürlich nur solche Informationen, die mich nicht selbst belasten. Die erste dieser Informationen gebe ich Ihnen sofort: Ich habe den Mord an Antonio Monti nicht befohlen.«
»Wer sonst?«
»Keine Ahnung. Sicher ist nur, dass Montis Leibwächter Benton mit in der Sache steckt. Auch das ist eine Parallele zu den anderen Morden. Keiner von ihnen wäre möglich gewesen ohne die Hilfe von Leuten aus dem Umkreis der Opfer. Auch mich wird jemand umlegen, der jederzeit Zugang zu mir hat.«
»Noch eine Frage, Caligiuri: Gehört Ihnen das Hotel, in dem Monti erschossen wurde?«
»Das Palace?« Caligiuri zögerte mit der Antwort. »Es hat mir mal gehört«, sagte er dann. »Bis vor drei Jahren. Dann habe ich es verkauft. Zu einem ordentlichen Preis. Und erst nachträglich erfahren, wer der Käufer wer.«
»Wer?«
»Monti. Der letzte Mensch auf der Welt, dem ich irgendetwas verkaufen würde. Außer vielleicht die Syphilis.«
»Es war ein interessantes Gespräch, Mister Caligiuri«, sagte ich. »Und der Drink war wirklich ausgezeichnet.«
»Schade, dass wir keine Freunde sind, Cotton. Leute wie Sie könnte ich gebrauchen. Übrigens wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie nicht überall herumerzählen würden, worüber wir gesprochen haben. Es würde meinem Ruf in meinen Kreisen sehr schaden, wenn bekannt würde, dass ich ausgerechnet das FBI um Hilfe gebeten habe. Ich wäre erledigt. Man darf den Teufel um Hilfe bitten, aber niemals die Polizei.«
»Was werden Sie jetzt tun?«, fragte ich.
»Ein paar Telefongespräche führen, ein paar Freunde empfangen und keinen Schritt aus dieser Wohnung machen.«
»Gehört diese Wohnung Ihnen?«
»Das ganze Haus gehört mir. Ich bewohne nur das oberste Stockwerk. Alle anderen Stockwerke sind vermietet. An Leute, die keine Ahnung haben, womit ich mein Geld verdiene.«
»Übrigens, auch wenn ich den Mund halte, könnte es sich herumsprechen, dass ich Sie besucht habe. Ihre Leute haben Ihre Einladung an mich nicht gerade zurückhaltend überbracht. Wahrscheinlich hat jemand beobachtet, dass ich in Ihren Wagen gestiegen bin.«
Caligiuri grinste fröhlich.
»Ihr Besuch braucht mir nicht peinlich zu sein. Ich erzähle einfach überall herum, dass Sie bei mir waren, um mir die neuesten Informationen aus FBI-Kreisen zu geben und meinen allmonatlichen Gehaltsscheck entgegenzunehmen. Jeder Mann in meiner Position besticht Leute bei der Polizei. Daran findet niemand etwas Verwerfliches.«
»Ich schon. Diese Geschichte wäre auch nicht gerade gut für meinen Ruf.«
Caligiuris Grinsen wurde jetzt noch fröhlicher.
»Ich bin ein Gauner, das gebe ich zu. Jetzt, nach Ihrem Besuch bei mir, gehören Sie mir, mit Haut und Haaren. Jeder glaubt jetzt, dass Sie für mich arbeiten. Auch meine Feinde. Vor allem die Leute, die mich ermorden wollen. Da die Killer glauben, dass ich von Ihnen beschützt werde, werden sie zuerst versuchen, Sie aus dem Weg zu räumen.« Caligiuri lachte schallend. »Es liegt also jetzt auch in Ihrem Interesse, den Kerl zu finden, der mich in die Hölle schicken will. Sonst sterben Sie noch vor mir …«
Ich war nicht gerade bester Laune, als ich Caligiuris Dschungel im Penthouse verließ. Seine beiden Leibwächter, die mich hergebracht hatten, lungerten im Flur vor dem Lift herum. Ich wandte mich an den einen von ihnen, der seine Abneigung gegen mich so deutlich ausgedrückt hatte.
»Ihr Boss lässt Ihnen etwas ausrichten«, sagte ich.
»So?«
»Er erteilt Ihnen die Erlaubnis, mir die Fresse zu polieren.«
Er lächelte so glücklich wie ein Kind in Erwartung des Weihnachtsmannes. Dann ballte er die Fäuste und ging auf mich los.
Jedenfalls wollte er es. Sein Kumpel hielt ihn zurück.
»Idiot! Wenn du einen FBI-Agenten zu Brei schlägst, darfst du es nicht hier tun, im Haus des Bosses. Es wird sich eine andere Gelegenheit ergeben.«
Dass die Kerle diese Gelegenheit suchen und finden würden, daran hegte ich keinen Zweifel. Im Augenblick jedoch registrierte ich, dass die beiden Burschen offensichtlich mein Gespräch mit Caligiuri nicht mitgehört hatten. Sie hatten ganz offenbar keine Ahnung, worüber wir beide gesprochen hatten.
***
George Hendry kannte seinen Onkel Bill Caligiuri schon sein ganzes Leben lang. Trotzdem wunderte er sich bei jeder Begegnung wieder, wie ähnlich dieser kleine, untersetzte Mann mit dem riesigen kahlen Kopf seinem Bruder Cesare Caligiuri sah. Ähnlichkeit unter Zwillingsbrüdern ist nicht selten, aber diese beiden sahen einander so ähnlich, als wären sie Clone.
Jedes Mal wenn George in den Spiegel blickte, dankte er dem Schicksal dafür, nicht so auszusehen wie diese beiden. Seine Mutter war eine Schwester von Bill und Cesare Caligiuri, aber sie hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit ihren Brüdern.
Bill Caligiuri behielt seine riesige Zigarre in der rechten Hand, als er seinen Neffen begrüßte. Obwohl er sich dabei fast auf die Zehen stellte, reichte er dem jungen Mann kaum bis ans Kinn. Dann deutete er mit seiner fleischigen Hand und der Zigarre darin auf eine bequeme Sitzgruppe. Die beiden Männer nahmen Platz.
»Was verschafft mir das Vergnügen deines Besuchs?«, fragte Bill Caligiuri. »Hat dir der böse Onkel Cesare zu wenig Taschengeld gegeben und du möchtest jetzt mir dein Leid klagen?«
»Ich verdiene mein Geld schon lange selbst«, antwortete George Hendry. Er ärgerte sich, dass Bill Caligiuri ihn immer noch wie ein kleines Kind behandelte. »Und mit Taschengeld gebe ich mich schon längst nicht mehr zufrieden.«
»Was er dir bezahlt, ist wirklich eine lächerliche Summe.«
»Woher willst du wissen, was er mir bezahlt?«
Bill Caligiuri lächelte. »Meine Ohren sind zwar nicht besonders schön, aber sie sind groß. Ich höre sehr viel damit. Und deshalb weiß ich, dass mein knausriger Bruder dir nicht das bezahlt, was du wert bist. Ich würde dir das Doppelte geben.«
»Ich arbeite nicht für Onkel Cesare. Und ich werde auch nie für dich arbeiten. Oder für sonst jemanden auf der Welt.«
»Jeder Mensch braucht eine Familie. Die Familie ist das Einzige, worauf man sich verlassen kann. Väter, Brüder, Söhne, Neffen, Vettern, Schwager … wer sich auf sie nicht verlassen kann, ist verloren. Und im weiteren Sinn gehören zur Familie auch Freunde, Angestellte …«
George Hendry gab sich keine Mühe, seinen Spott zu unterdrücken. »Ich höre dir gern zu, wenn du von der Familie mit so warmen Worten sprichst, Onkel. Du und dein Bruder Cesare, ihr seid ja das Musterbeispiel eines Brüderpaars.«
Bill Caligiuri nickte. »Leider ist unsere Beziehung nicht so, wie sie sein sollte. Bruder Cesare ist leider ein wenig aus der Art geschlagen. Denkt anders über Dinge wie Familie und Freundschaft als ich. Er war immer ein Egoist. Glaubte immer, keine Brüder und Freunde zu brauchen. Selbst damals, als ihn dieser Cotton ins Gefängnis brachte, suchte er nicht Hilfe bei Freunden und Verwandten.«
»Special Agent Jerry Cotton?«
»Genau der. Du hast von ihm gehört?«
»Ich habe ihn heute gesehen. Er ermittelt im Mordfall Monti.«
Bill Caligiuri nickte gleichmütig. »Natürlich zieht das NYPD in einem solchen Fall das FBI hinzu. Monti war schließlich ein bekannter Mann in unseren Kreisen.«
»Dieser Cotton ist in Onkel Cesares Wagen weggefahren. Nicht ganz freiwillig, wie mir schien. Drei von Cesares Leibwächtern haben ihn begleitet. Sie sind in Cesares Haus gefahren.«
»Und was haben sie dort besprochen?«
»Keine Ahnung. Meine Ohren sind nicht so gut wie deine. Ich habe auch keine Informanten in seinem Haus. Und keine Wanzen.«
»Hast du gesehen, dass Cotton wieder lebend aus dem Haus herausgekommen ist?«
»Lebend und ohne den geringsten Kratzer.«
»Das ist tatsächlich bemerkenswert. Als Cesare damals ins Gefängnis kam, zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben, hat er bei allen Heiligen und allen Teufeln geschworen, diesen G-man mit seinen eigenen Händen umzubringen. Mich hat immer gewundert, dass er es nie getan hat.«
»Menschen ändern sich im Laufe der Zeit.«
»Cesare nicht. Er ist der gleiche bösartige, hinterhältige Bastard geblieben, der er schon als Kind war. Er hält nicht alle seine Versprechungen, aber seine Drohungen hat er noch immer wahr gemacht.«
»Vielleicht verspricht er sich von einem lebenden G-man mehr als von einem toten.«
Bill Caligiuri nickte nachdenklich. »Ich würde zu gern wissen, was er vorhat«, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu seinem Besucher. »Cesare war immer grenzenlos ehrgeizig. Wollte nie mit anderen teilen. Als Kind seine Schokolade nicht, als junger Mann seine Freundinnen nicht und später nicht seine Macht.«
»Diesen Eindruck macht er auf mich überhaupt nicht. Er gibt sich anderen Bossen gegenüber immer sehr freundlich.«
»Ja, er ist ein glänzender Heuchler. Aber ich kenne ihn. Besser als jeder andere Mensch auf der Welt. In unseren Kreisen ist es gefährlich, zu viel Ehrgeiz an den Tag zu legen. Wenn dein Boss befürchtet, dass du seinen Platz einnehmen willst, verschafft er dir einen Platz auf dem Friedhof. Nur Leute, die keinen Ehrgeiz haben – oder ihn gut verbergen können – bleiben am Leben.«
George Hendry strich sich sein glattes schwarzes Haar zurück. Dann schien er nicht mehr zu wissen, wohin mit seinen Händen.
»Ich würde dich gern etwas fragen, Onkel«, begann er unsicher.
»Über meinen geliebten Bruder? Nur zu!«
»Es ist etwas peinlich.«
»Du möchtest wissen, ob ich es für möglich halte, dass Bruder Cesare hinter dem Mord an seinem alten Todfeind Monti steckt? Natürlich traue ich ihm das zu. Ich traue ihm sogar zu, dass er hinter der ganzen Mordserie der letzten Monate steckt. Und ich traue ihm ebenso zu, dass er irgendwann auch mich umbringen wird. Und dich.«
***
Auf dem Flur, der zu meinem und Phils Büro führt, traf ich unseren indianischen Kollegen Zeerookah. »Phil ist nicht im Büro«, sagte er. »Mister High wollte ihn sprechen. Und dich auch. Er wartet schon eine ganze Weile auf dich. Mir scheint, er wird allmählich ungeduldig.«
Zeery muss wohl einen sechsten Sinn haben, denn Mr High ist ein Wunder an Selbstbeherrschung. Er lässt sich nie Ungeduld oder ähnliche Gefühle anmerken. Auch als ich sein Büro betrat, lag in seinem Blick keinerlei Vorwurf.
Ich nahm auf einem der Besuchersessel neben Phil Platz.
»Phil hat mir über den bisherigen Stand der Ermittlungen Bericht erstattet«, begann Mr High. »Und er weiß inzwischen auch, wem das Hotel, in dem Monti ermordet wurde, gehört.«
»Früher gehörte es Cesare Caligiuri«, berichtete Phil. »Genauer gesagt: Einer der vielen Tarnfirmen, die Caligiuri betreibt. Er verkaufte das Hotel an Happy Holiday, eine Hotelkette, die einem gewissen Paul Hendry gehörte.«
»Paul Hendry?« Ich horchte auf. »Der Name kommt mir bekannt vor.«
Mr High nickte. »Der Mann war bekannt unter ehrbaren Geschäftsleuten und noch bekannter in der Unterwelt. Er war der Schwager der Gebrüder Cesare und Bill Caligiuri. Seine Frau Rosa ist eine Schwester der beiden.«
»Sie sprechen in der Vergangenheitsform. Weilt der Mann nicht mehr unter den Lebenden?«
»Er starb bei einem Verkehrsunfall. Vor drei Jahren schon. Irgendein besoffener Kerl fuhr ihn über den Haufen, als er gerade aus seinem Lieblingsnachtclub kam und die Straße überquerte, um zu seinem Wagen zu gehen.«
»Aus Ihren Worten schließe ich, dass der Fahrer des Wagens nicht identifiziert wurde.«
»Es gab ein paar Augenzeugen. Einer von ihnen war so geistesgegenwärtig, sich die Nummer des Unfallwagens einzuprägen, als dieser mit hoher Geschwindigkeit davonraste. Leider half das der Polizei nicht viel. Der Wagen war gestohlen. Er wurde übrigens bis heute nicht entdeckt. Liegt wohl in irgendeiner Kiesgrube unter einer fünf Meter dicken Schicht von Müll. Oder zehn Meter tief unter Wasser.«
»Ein betrunkener Autofahrer, der einen Menschen auf dem Gewissen hat, macht sich nicht so viel Mühe, seinen Wagen verschwinden zu lassen«, überlegte ich laut. »Das tun nur Gangster.«
Mr High nickte. »Der Gedanke liegt natürlich nahe, dass es sich damals nicht um einen Unfall handelte, sondern um einen Mord. Aber offenbar hatten damals selbst die Verwandten des Toten keinen dringenden Verdacht, wer der Täter sein könnte. Nach allem, was wir wissen, haben sie nie Rache genommen.«
»Außer möglicherweise in der vergangenen Nacht«, fügte Phil hinzu. »Paul Hendry hatte das Hotel mit gutem Gewinn weiterverkauft. An ehrbare Geschäftsleute, wie er damals glaubte. Er muss sich furchtbar geärgert haben, als er erfuhr, dass der wirkliche Käufer kein anderer als Antonio Monti war, der Todfeind seines Schwagers Cesare. Seine Anwälte legten sich gewaltig ins Zeug, um den Verkauf rückgängig zu machen, aber sie hatten keinen Erfolg damit. Paul Hendry soll ein paar wüste Drohungen ausgestoßen haben, dass er sich sein Eigentum bald zurückholen werde. Aber ein paar Tage später war er so ungeschickt, unter einen Wagen zu kommen.«
»Und du meinst, seine Verwandten haben sich jetzt, Jahre später, an Monti gerächt?«
»Es ist lediglich eine Möglichkeit, die wir im Auge behalten müssen. Es wäre immerhin ein Motiv für die Tat.«
»Damit kommen wir zu Ihrer Unterhaltung mit dem möglichen Auftraggeber des Mordes an Monti«, sagte Mr High. »Was hatte Caligiuri denn so Wichtiges mit Ihnen zu besprechen, dass er Sie gleich von dreien seiner Gorillas abholen ließ?«
»Ich hoffe, Sie lachen mich nicht aus, Sir. Er bat um meine Hilfe.«
Phil grinste breit. Auf Mr Highs schmalem Gesicht erschien nur ein kaum merkliches Lächeln.
»Er hat Ihnen versichert, dass er nicht den Auftrag zu Montis Ermordung gegeben hat, nehme ich an.«
»Mir scheint, es ist ihm vollkommen gleichgültig, ob wir ihn verdächtigen oder nicht. Der Mann hat Angst um sein Leben. Oder er spielt diese Angst überzeugend.«
»Hat er denn Morddrohungen erhalten?«
»So könnte man es nennen. Einige seiner Freunde sind in den letzten Monaten plötzlich und unerwartet verstorben.«
»Hier in New York? Davon müssten wir doch wissen.«
»Die meisten dieser Morde geschahen außerhalb der Vereinigten Staaten, und die meisten Opfer waren ziemlich kleine Ganoven.«
»Und jetzt befürchtet er, dass er der Nächste sein könnte, der plötzlich zu seinen Vätern gerufen wird?«, fragte Phil. »Das ist doch für einen Mann seines Schlages kein Grund, ausgerechnet das FBI um Hilfe zu bitten.«
»Stimmt. Mit seinen Feinden ist Caligiuri immer allein fertig geworden. Aber er weiß nicht, ob wirklich seine Feinde hinter diesen Morden stecken oder irgendjemand aus seiner engsten Umgebung. Vielleicht sogar einer seiner Verwandten. Irgendjemand zieht durch die Welt und bringt Gangster um. Nicht die großen Bosse, bisher, aber Leute aus der zweiten Reihe. Leute, die den unterschiedlichsten Syndikaten angehören. Deshalb ist es für die Unterweltbosse so schwierig, herauszufinden, auf wen er es eigentlich abgesehen hat. Er scheint sich seine Opfer ziemlich wahllos …«
»Dann müsste er völlig verrückt sein«, unterbrach mich Mr High. »In Mexiko und in Südamerika gibt es Drogenkartelle, die einen erbarmungslosen, blutigen Krieg gegeneinander führen, aber selbst dort sind die Fronten klar. Niemand ist so verrückt, sich mit allen anderen Banden anzulegen.«
»Genau das aber befürchtet Caligiuri«, sagte ich. »Er vermutet offenbar, dass irgendjemand nicht zufrieden ist mit der Rolle, die er in der Unterwelt spielt, und ganz nach oben kommen will. Mit einer ebenso einfachen wie brutalen Methode: Er bringt die Bosse der anderen Syndikate um.«
»Dass es solche Syndikate gibt, ist schon schlimm genug«, sagte Mr High. »Aber wenn es einem Mann gelingen würde, sich allein an die Spitze aller dieser Syndikate zu setzen, dann wäre das eine Katastrophe. Er hätte weit mehr Macht als selbst Al Capone in seinen besten Zeiten. Wir müssen diesem Mann das Handwerk legen, so schnell wie möglich.«
***
Die schwarz gekleidete schlanke Frau mit dem langen schwarzen Haar stand am Fenster des riesigen Wohnraums in George Hendrys Haus auf Long Island und blickte hinaus in den üppig blühenden Garten. George erkannte sie, noch bevor sie sich zu ihm umdrehte.
»Es ist jedes Mal eine Freude, dich wiederzusehen«, sagte er und schloss sie in seine Arme. »Es gehört sich vielleicht nicht, das zu sagen, aber du bist immer noch die schönste Frau, die ich kenne.«
Rosa Hendry lächelte. »Jede Frau hört solche Komplimente gern, auch wenn sie vom eigenen Sohn kommen. Aber gleichzeitig bin ich ein wenig traurig darüber, dass du keine Frau kennst, die schöner als ich ist. Interessierst du dich etwa nicht für Frauen?«
»Doch. Aber ich bin in dieser Hinsicht sehr verwöhnt und deshalb ziemlich wählerisch. Ich habe eben noch keine Frau gefunden, die sich mit dir vergleichen könnte.«
»Ich hoffe, du findest sie bald. Ich wünsche mir eine Menge hübscher kleiner Enkel.«
Ein Schatten fiel auf Georges Gesicht. »Ich weiß nicht, ob ein Mann wie ich eine Familie gründen sollte.«
»Warum nicht? Du bist ein gutaussehender, charmanter Bursche. Du gefällst den Frauen. Es gibt etliche, die dich sofort heiraten würden.«
»Ja, Frauen aus unseren Kreisen«, sagte George bitter. »Töchter von Gangstern. Früher durften die Söhne von Henkern nur ebenfalls Henker werden, wie ihre Väter. Und sie konnten nur Töchter von Henkern heiraten. In ehrbare Familien einzuheiraten war ihnen vollkommen unmöglich. Und das ist auch mir unmöglich. Ich bin Gangster, wie mein Vater und Großvater, und dazu bestimmt, die Tochter eines Gangsters zu heiraten.«
Rosa Hendry strich ihrem Sohn über die Wange. »Du taugst nicht zum Gangster«, sagte sie leise. »Du bringst es nicht übers Herz, einen Menschen kaltblütig zu ermorden. Du solltest dich aus diesem Geschäft heraushalten und die schmutzige Arbeit deinen beiden Onkeln überlassen. Die empfinden keinerlei Gewissensbisse.«
»Du weißt, dass man nicht einfach aussteigen kann, wenn man aus einer Familie wie der unseren stammt. Ich stecke bereits viel zu tief drin in diesem Schmutz. Aber sprechen wir lieber über dich! Schwarz steht dir ausgezeichnet. Trotzdem solltest du endlich diese Trauerkleidung ablegen und etwas Fröhlicheres anziehen. Vater ist immerhin schon drei Jahre tot.«
»Ich werde nie aufhören, um ihn zu trauern. Er war der anständigste Mann, den ich je gekannt habe. Und ich werde nie aufhören, die Leute zu hassen, die ihn ermordet haben.«
»Ich weiß, dass du ihn geliebt hast. Aber er war ein Gangster, wie jeder andere Mann in unserer Familie.«
»Ja, er war ein Gangster. Aber selbst unter Gangstern gibt es Unterschiede. Meine beiden Brüder … Ich habe mir nie irgendwelche Illusionen über sie gemacht. Sie haben einen Beruf gewählt, der zu ihrem Charakter passt. Das ist wohl auch der Grund, weshalb sie noch leben. Dein Vater war nicht wie sie. Er besaß Anstand. Er war kein Heiliger, weiß Gott nicht. Aber er war ein Mann, den eine Frau lieben konnte, ohne sich vor sich selbst zu ekeln. Und diesen Mann hat man mir genommen! Ich werde seine Mörder verfluchen, solange ich lebe.«
»Weißt du denn, wer seine Mörder sind?«
»Nein, ich habe keine Ahnung.«
»Wenn du es weißt, dann sag es mir! Und überlasse den Rest mir! Ich werde den Halunken geben, was sie verdienen.«
Rosa Hendry schüttelte den Kopf. »Du bist nicht der richtige Mann für eine solche Arbeit. Du bist zu anständig. Deshalb mache ich mir Sorgen um dich. Du solltest dir einen anderen Beruf wählen. Einen, der weniger schmutzig ist und weniger gefährlich. Du bist das Einzige auf der Welt, was mir noch geblieben ist. Ich möchte dich nicht auch noch verlieren.«
***
Es war längst Nachmittag geworden, als Phil und ich wieder im Hotel Palace eintrafen. Trotzdem waren Lieutenant Donovan und seine Leute immer noch dabei, Angestellte und Gäste zu befragen, höflich, aber gründlich.
Mr Folsom, der Hoteldirektor, blieb immer in der Nähe, als wolle er sicherstellen, dass keiner seiner Gäste belästigt wurde.
Auch Ralph Benton war noch hier, der Leibwächter des ermordeten Antonio Monti. Er kaute immer noch Kaugummi. Er erinnerte mich an eine wiederkäuende Kuh.
Phil und ich nahmen ihn uns noch mal vor.
»Ein Jammer, das mit Mister Monti«, sagte er, ohne mit dem Wiederkäuen aufzuhören. »Dass er so sterben musste! Er wirkte so friedlich, als er weggebracht wurde und ich noch einen letzten Blick auf ihn werfen durfte. Das Gesicht eines Heiligen.«
»Es muss Ihnen in tiefster Seele wehtun, dass es Ihnen nicht gelungen ist, diesen Heiligen zu beschützen«, sagte Phil.
»Das war nicht meine Aufgabe. Ich bin … ich meine, ich war nicht sein Leibwächter, sondern sein Sekretär.«
»Und wer ist sein Leibwächter?«
»So etwas hatte er nicht. Ein ehrbarer Geschäftsmann wie er braucht keinen Leibwächter.«
»Es wäre besser für ihn, wenn er einen gehabt hätte, dann wäre er wohl noch am Leben. Seine trauernden Hinterbliebenen jedenfalls werden es Ihnen sehr übel nehmen, dass er ermordet wurde, während Sie im Nebenzimmer friedlich schliefen.«
Benton zeigte sich unbeeindruckt.
»Es war der Schlaf des Gerechten«, sagte er. »Niemand kann mir auch nur den leisesten Vorwurf machen.«
»Falls Ihnen jemand einen Vorwurf macht, haben Sie nicht mehr lange zu leben«, sagte ich. »In Montis Kreisen wendet man sich in solchen Fällen nicht an die Polizei, sondern erledigt die Sache selbst. Mit ein paar Kugeln.«
Benton sah mich an, als höre er von solchen Gepflogenheiten in der Unterwelt zum ersten Mal.
»Kennen Sie Cesare Caligiuri?«, fragte ich.
»Nie gehört den Namen.«
Benton antwortete viel zu schnell, um glaubhaft zu wirken. Offenbar bemerkte er seinen Fehler und gab jetzt vor, intensiv nachzudenken. »Caligiuri? Ja, ich glaube, ich habe den Namen mal in der Zeitung gelesen. In dem Artikel wurde angedeutet, dass Caligiuri ein Gangster ist.«
»Hat Ihr verstorbener Boss jemals diesen Namen genannt?«
»Weshalb sollte er? Mister Monti hat nur ehrbare Geschäfte gemacht. Mit Gangstern hatte er nie zu tun.«
»Und wer hat ihn dann auf so brutale Weise umgebracht?«, fragte Phil.
Benton hob die breiten Schultern. »Vielleicht eine seiner drei Exfrauen. Ich kenne zwar keine von ihnen, aber nach allem, was Mister Monti über sie erzählt hat, müssen es ziemliche Hexen sein. Er traute ihnen jede Gemeinheit zu. Auch einen Mord.«
***
Die riesige Limousine, die vor dem Haupteingang von George Hendrys Haus stand, war schwarz lackiert. Der große schlanke Mann, der neben der Limousine wartete, war ebenso schwarz gekleidet wie die Frau, der er eben die hintere Wagentür aufriss.
Er wartete, bis sie sich gesetzt hatte, dann setzte er sich neben sie. Er nickte dem Fahrer jenseits der gläsernen Trennscheibe kaum merklich zu. Fast geräuschlos setzte der schwere Wagen sich in Bewegung.
Rosa Hendry blickte durch die getönten Fensterscheiben hinaus in den riesigen Park, der von einer hohen Mauer umgeben war.
»Er ist nicht hart genug«, sagte sie schließlich. »Die hohen Mauern und die bewaffneten Wächter, die Hunde und die Alarmanlagen werden ihn nicht beschützen. Er ist nicht für diese Art von Leben geboren.«
»Er lernt jeden Tag dazu«, sagte der Mann neben ihr. »Eines Tages wird er so gut sein wie sein Vater.«
»Ihm wird nicht genug Zeit bleiben, alles zu lernen, was er können muss, um in diesem Dschungel voller Raubtiere zu überleben. Auch sein Vater war nicht hart genug.«
»Ich habe für seinen Vater gearbeitet, jetzt arbeite ich für ihn. Ich werde ihn beschützen.«
»So wie Sie seinen Vater beschützt haben? Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, Ingham. Wer in diesem Beruf arbeitet, muss sich selbst beschützen können. Wenn er auf die Hilfe anderer angewiesen ist, ist er verloren. George muss aus diesem Sumpf heraus, so bald wie möglich. Ich werde ihm das klarmachen. Meinetwegen kann er dann das Leben eines reichen Playboys führen. Oder an der Universität altorientalische Sprachen studieren. Alles ist besser, als von Feinden, die man nicht kennt, aus dem Hinterhalt ermordet zu werden. Wie Monti in der vergangenen Nacht.«
»Ich kenne nicht viele Leute, die Monti eine Träne nachweinen werden«, sagte Robert Ingham. »An seinem Grab werden viele stehen. Aber das Einzige, was sie denken werden, wenn der Sarg in die Tiefe gelassen wird, ist: Werde ich der Nächste sein?«
»Sie werden an Georges Stelle treten, Ingham«, sagte Rosa Hendry. »Sie werden ein besserer Nachfolger für meinen Mann sein als mein Sohn. Sie werden viel Macht haben und viel Geld verdienen. Aber Ihres Lebens keine Sekunde sicher sein.«
»Das war ich nie. Ich bekam die erste Kugel ab, als ich fünf Jahre alt war. Sie war eigentlich für meinen Vater gedacht. Dass mein Leben in Gefahr ist, bin ich gewohnt. Aber jetzt bin ich kein kleines Kind mehr. Jetzt kann ich mich wehren.«
»Was wissen Sie über die polizeilichen Ermittlungen im Mordfall Monti?«
»Reine Routinearbeit. Fotos, Spurensuche, Zeugenvernehmungen … Im Augenblick versuchen die Leute vom FBI gerade, Ralph Benton in die Mangel zu nehmen. Benton ist ein geübter Lügner. Von dem werden sie nicht viel in Erfahrung bringen.«
»Halten Sie mich auf dem Laufenden!«
***
Peter Folsom, der Direktor des Palace, fühlte sich reichlich unwohl in seiner Haut. Eigentlich sollte er sich an dieses Gefühl längst gewöhnt haben, denn es dauerte schon eine ganze Weile an. Schon seit dem Tag, an dem Monti das Hotel kaufte. Folsom wusste, dass der neue Besitzer ein Gangster war. Jetzt wusste er auch, dass das Leben eines Gangsterbosses gefährlich ist und sehr schnell enden kann.
Folsom saß hinter seinem imposanten Schreibtisch in seinem Büro, blickte durch die riesigen Fensterscheiben auf die Skyline von Manhattan und dachte über seine Situation nach. Schließlich streckte er die Hand nach einem der beiden Telefone auf dem Schreibtisch aus. Als er das Telefon berührte, zog er die Hand zurück, als habe er einen elektrischen Schlag erhalten.
Vielleicht hörte die Polizei seine Telefone ab. Vielleicht hatte auch Monti selbst hier im Büro des Direktors Wanzen angebracht. Leute wie Monti trauten keinem ihrer Angestellten, besonders dann nicht, wenn sie keine Berufsverbrecher waren. Auf jeden Fall war es besser, das Handy zu benutzen. Handys sind nicht so leicht abzuhören.
Er nahm das winzige Mobiltelefon aus einer Tasche seines Maßanzugs und tippte eine Nummer ein.
»Folsom hier«, sagte er. »Ja, die Polizei ist noch hier. Sie scheinen nicht die Absicht zu haben, bald zu verschwinden. Keine Sorgen? Mann, Ihre Nerven möchte ich haben! Ich bin es nicht gewohnt, der Polizei unzählige Fragen beantworten zu müssen. Auch die beiden Kerle vom FBI sind wieder hier, Cotton und Decker. Ich habe das Gefühl, dass sie mehr wissen, als sie zugeben. Im Augenblick drehen sie gerade Benton durch die Mangel. Wie Sie meinen, Sir. Ja, gut, ich sage es ihm. Es ist wohl wirklich das Beste, wenn er so bald wie möglich verschwindet.«
***
Natürlich glaubten wir Benton nicht. Wir glaubten ihm nicht, dass er Montis Sekretär gewesen war, wir glaubten ihm nicht, dass er die tödlichen Schüsse auf seinen Boss nicht gehört hatte, und wir glaubten ihm nicht, dass er sehr überrascht gewesen war, als er am nächsten Morgen seinen toten Arbeitgeber gefunden hatte, mit dem Oberkörper in der Badewanne hängend. Wir glaubten ihm nicht, dass er von dem Mord nichts wusste, sondern hielten es für sehr wahrscheinlich, dass er selbst mit in der Sache drinsteckte.
Wir glaubten ihm auch nicht, dass weder er noch Monti eine Waffe besessen hatten. Lieutenant Donovans Leute hatten sich in Montis Wohnung gründlich umgesehen, aber keine Waffe gefunden. Das bewies natürlich nicht, dass Benton nicht der Mörder war. Er hatte nach dem Mord die ganze Nacht Zeit gehabt, die Mordwaffe verschwinden zu lassen.
In einem so riesigen Hotel mit Hunderten von Räumen hätten wir die ganze Nacht suchen können, ohne eine Pistole zu finden. Wahrscheinlich war die Tatwaffe längst aus dem Haus geschafft worden.
Aber wir konnten Benton nicht das Geringste nachweisen. Er wusste das und genoss es. Wir hatten nicht einmal genug Beweise gegen ihn, um ihn vorübergehend festnehmen zu können. Ein Anwalt hätte keine fünf Minuten gebraucht, um bei einem Richter seine Freilassung zu erwirken.
»Das wäre vorerst alles, Benton«, sagte ich. »Aber Sie sollten in der Stadt bleiben. Kann leicht sein, dass wir in den nächsten Tagen weitere Fragen an Sie haben.«
Er grinste. »Es ist mir immer ein Vergnügen, mit euch Burschen vom FBI zu plaudern. Ihr gebt mir das schöne Gefühl, beschützt zu sein. In eurer Nähe kann einem braven Bürger wie mir nichts geschehen. Nur schade, dass ihr in der vergangenen Nacht nicht da wart, um den armen Mister Monti zu beschützen …«
Er stand auf und ging. Ich wartete, bis er die Tür wieder geschlossen hatte, dann folgte ich ihm.
Durch die nur einen Spalt weit geöffnete Tür sah ich hinaus auf den Flur. Ein paar von Lieutenant Donovans Leuten standen da, dazu Mr Folsom, der Direktor des Hotels, und Benton.
Folsom redete heftig auf Benton ein und machte beschwörende Gesten mit den Armen. Es mussten wichtige Dinge sein, die er Benton mitteilte, aber er sprach zu leise, als dass ich auch nur ein Wort hätte verstehen können.
Benton blickte sich hastig um. Er blickte auch in meine Richtung, aber vermutlich konnte er mich hinter dem schmalen Türspalt nicht sehen. Dann ging er mit schnellen Schritten auf den Lift zu.
Plötzlich überlegte er es sich anders. Mit wenigen Schritten erreichte er eine unscheinbare Tür neben dem Lift, öffnete sie und trat ein. Die Tür sah so schäbig aus, als befinde sich dahinter nur ein winziger Abstellraum für Besen und Putzeimer. Aber was hatte Benton in einem solchen kaum schrankgroßen Raum zu tun?
»Er haut ab«, sagte ich zu Phil. »Nimm du den Lift, ich folge ihm zu Fuß.«
Wir rannten los. Ich erreichte die Tür, durch die Benton verschwunden war, und riss sie auf. Wie ich vermutet hatte, führte sie zu einer Treppe, die neben dem Liftschacht in die Tiefe führte.
Es war eine schmale Treppe, ohne Fenster und nur schlecht beleuchtet. Vermutlich wurde sie nur selten benutzt. Nicht viel mehr als ein Notausgang für den Fall, dass der Lift einmal nicht funktionierte.
Unter mir, vielleicht zwei Stockwerke tiefer, hörte ich Bentons hastige Schritte. Er ging nicht, er rannte. Ich rannte hinter ihm her. Der Himmel mochte wissen, weshalb er es plötzlich so eilig hatte wegzukommen.
Wahrscheinlich konnte er auch mich hören, aber das störte mich nicht. Ich war entschlossen, ihn einzuholen. Die Pistole ließ ich im Schulterhalfter. Benton war unbewaffnet, ich würde also wohl keine Waffe brauchen, um ihn aufzuhalten.
Ich hetzte die Treppe hinunter, vielleicht zwei oder drei Stockwerke weit. Dabei hatte ich das Gefühl, ihm näher zu kommen.
Dann drang ein leises, aber vertrautes Geräusch an meine Ohren. Es hörte sich fast an wie ein Schuss aus einem Luftgewehr. Plopp. Und dann noch einmal plopp-plopp. Dann lautes Gepolter, wie von einem schweren menschlichen Körper, der zu Boden stürzte, sich mehrmals überschlug und die Treppe hinunterrollte.
Eine Sekunde lang herrschte tiefe Stille. Ich hörte nichts als meine eigenen Schritte und meine Atemzüge. Dann drangen Schritte an mein Ohr. Eine Tür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen.
Ich rannte weiter. Sekunden später sah ich Benton.
Er lag auf einem Treppenabsatz, mit dem unteren Teil seines Körpers noch auf den Stufen. Sein Kopf war zur Seite geknickt, in einem unnatürlichen Winkel. Offenbar hatte er sich bei dem Sturz das Genick gebrochen.
Aber das war nicht die Ursache seines Todes gewesen. Die Ursache waren die drei Einschusslöcher in seiner Brust.
Ich nahm mir nicht die Zeit, mich davon zu überzeugen, dass er wirklich tot war. Er schien mit starrem Blick zu mir aufzuschauen, als ich über ihn hinwegschritt und dann weiterrannte, die Treppe hinunter.
Ich erreichte die Tür, durch die der Mörder geflohen sein musste, und riss sie auf. Der Flur, in den ich blickte, war menschenleer. Zu beiden Seiten gab es etliche Türen mit Nummern darauf. Hinter jeder dieser Türen konnte der Mörder stecken. Es würde viel Zeit kosten, alle Zimmer und Suiten hinter diesen Türen zu durchsuchen. Und wahrscheinlich würden wir den Mörder nicht finden.
Trotzdem war ich entschlossen, die Verfolgung noch nicht aufzugeben. So nahe wie jetzt würde ich Bentons Mörder vielleicht nie wieder kommen.
Ich zog meine Pistole. Der Kerl musste hinter einer der vielen Türen links und rechts des Flurs stecken. Wahrscheinlich stand er jetzt mit angehaltenem Atem und der Mordwaffe in der Faust da und lauschte auf meine Schritte.
Ich wandte mich nach links. Ich war noch keine drei Schritte weit gekommen, als ich hinter mir ein leises Geräusch hörte. Es klang wie ein tiefer Atemzug eines Mannes, der zu einem Schlag ausholt.
Mir blieb keine Zeit mehr, den Kopf zu wenden oder ihn zur Seite zu nehmen. Ich spürte nicht einmal mehr den heftigen Hieb, der meinen Hinterkopf traf.
Das Einzige, was ich noch mitbekam, war, dass der hell beleuchtete Flur, in dem ich mich befand, langsam in tiefer Dunkelheit versank.
***
»Er kommt zu sich.«
Die Männerstimme, die aus weiter Ferne an mein Ohr drang, war mir unbekannt. Ich begriff auch nicht, dass der Sprecher mich meinte. Die Dunkelheit vor meinen Augen löste sich allmählich in einen grauen, wabernden Nebel auf. Aus diesem Nebel tauchte ein Gesicht auf, rund wie der Vollmond. Die ebenfalls runden Augen darin betrachteten mich besorgt.
»Er hat eine Platzwunde am Hinterkopf und heftiges Brummen im ganzen Schädel. Vielleicht wird er sich auch gleich übergeben. Aber er wird es überstehen.«
Dann wurde mir allmählich bewusst, dass ich Schmerzen im Hinterkopf und ein heftiges Brummen im ganzen Schädel hatte, dazu einen Magen, der sich ständig drehte wie ein Betonmixer. Langsam dämmerte mir, dass ich der Mann sein könnte, von dem die Rede war.
Ich versuchte, auf die Beine zu kommen. Kräftige Hände griffen nach mir und halfen mir dabei. Meine Knie fühlten sich an, als wären sie aus Pudding, und die ganze Welt drehte sich in irrwitziger Geschwindigkeit im Kreis um mich. Ohne die kräftigen Hände, die mich stützten, wäre ich nicht auf den Beinen geblieben.
»Wo ist er?«, fragte ich.
»Den suchen wir noch im ganzen Haus«, antwortete der Mann, der bisher gesprochen hatte. »Unsere Chancen, ihn zu finden, sind nicht sehr groß.«
Allmählich kam mir die Erinnerung wieder. Ich erinnerte mich, dass ich einen Mörder verfolgt hatte und dass es dann plötzlich dunkel um mich herum geworden war.
Was mich an der Situation irritierte, war die Pistole, die auf meinen Bauch zielte. War ich etwa den Mördern in die Hände gelaufen?
»Ihre Pistole, Sir«, sagte der Mann, der die Waffe hielt. »Sie haben sie fallen lassen.«
Tatsächlich, die Pistole sah aus wie meine SIG Sauer, und mein Schulterhalfter war leer. Es war also wohl tatsächlich meine eigene Waffe. Ich steckte sie ein.
»Wo liegt der Tote?«, fragte ich.
»Zwei Stockwerke höher«, antwortete jemand. »Genauer gesagt, anderthalb. Auf dem Treppenabsatz.«