6,99 €
Sammelband 36: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2955: Bonuszahlung für Mörder
2956: Bombenstimmung in New York
2957: Alte Bosse singen nicht
2958: Am Ziel wartet der Tod
2959: Eine Kollegin in Not
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
Jetzt herunterladen und garantiert nicht langweilen!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 667
Veröffentlichungsjahr: 2022
Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 36
Cover
Impressum
Bonuszahlung für Mörder
Jerry Cotton aktuell
Vorschau
Bonuszahlung für Mörder
Das gesamte Hotel war für die Tagung in New York gebucht worden. Die europäische Gruppe befand sich in ihrer ersten Pause und ließ sich von Angestellten des Hotels mit Erfrischungen versorgen.
»He, passen Sie doch auf!«, rief Karl Meißner.
Der aus Frankfurt am Main stammende Vertriebsmanager von Nangsung ärgerte sich über den Kellner. Der starrte den Deutschen kalt an, zog eine Pistole und schoss Meißner nieder. Weitere Schüsse krachten, während die anderen Manager vor Schreck aufschrien. Karl Meißner starrte blicklos gegen die Decke des Raumes.
Wir trafen keine halbe Stunde nach dem Blutbad im Hotel ein. Mr High hatte Phil und mich sofort in Marsch gesetzt, kaum dass er vom NYPD informiert worden war.
»Es gibt zurzeit einen Toten, der aus Deutschland stammt. Eine Russin und ein Franzose wurden verletzt, die italienische Kollegin entführt. Und alle arbeiten fürs Management von Nangsung«, fasste Phil zusammen.
Ich warf meitnem Partner einen Seitenblick zu. Wir hatten es nicht nur mit einem Angriff auf verschiedene Ausländer zu tun, sondern auch mit leitenden Angestellten eines multinationalen Konzerns.
»Da dürfte diplomatisches Fingerspitzengefühl gefragt sein«, erwiderte ich.
Phil lachte unfroh auf.
»Das ist bekanntermaßen eine deiner Spezialitäten«, sagte er.
Ich verkniff mir eine Erwiderung, da wir die Absperrung des NYPD erreicht hatten. Der baumlange Cop schaute auf meinen Jaguar, verzog die Miene und machte eine eindeutige Handbewegung.
»Er möchte, dass wir von hier verschwinden«, kommentierte Phil.
Es war nicht das erste Mal, dass mein ungewöhnlicher Dienstwagen Anlass zu Missverständnissen gab. Außer mir fuhr eben kein Agent einen Jaguar E-Type – der allerdings nur äußerlich dem englischen Oldtimer entsprach. Dieser Officer reagierte daher wie viele seiner Kollegen in ähnlicher Situation. Ich öffnete die Seitenscheibe und hielt dem Mann meinen Ausweis vor die Nase.
»FBI, Special Agent Cotton, und das ist mein Partner, Special Agent Decker«, sagte ich.
Er schaute ungläubig auf meine Marke, salutierte und zerrte dann sofort die Absperrung zur Seite. Ich dankte ihm im Vorbeifahren und durfte die gleiche Prozedur in der Tiefgarage des Hotels wiederholen. Schließlich führte uns ein Cop zu einem Captain des NYPD. Der Revierleiter wirkte sichtlich angespannt und nahm unser Erscheinen mit großer Erleichterung auf.
»Gut, dass Sie so schnell gekommen sind. Der General-Manager von Nangsung hatte seine eigene Truppe von der Leine gelassen. Der Sicherheitsdienst dieser Unternehmensgruppe tritt auf wie der Secret Service und will sich nichts sagen lassen«, sagte er.
Er deutete hinüber zu einer Tür, vor der eine Gruppe Kriminaltechniker wartete. Ich schob mich an dem Captain vorbei und ging direkt auf die beiden Männer an der Tür zum Konferenzraum zu. Beide trugen dunkle Anzüge, hatten Headsets am Ohr und wirkten tatsächlich wie Agents des Secret Service. Ihre Mienen drückten klar aus, dass sie eindeutige Befehle befolgten und niemanden in den Raum lassen würden.
»FBI, Special Agent Cotton, und das ist mein Partner, Special Agent Decker. Wir übernehmen ab sofort die Ermittlungen. Sie verlassen bitte die Sperrzone«, sagte ich.
Zunächst gab der linke Mann mit asiatischem Einschlag über Funk etwas in einer Sprache durch, die ich für Koreanisch hielt. Nangsung hatte den Stammsitz in Seoul und daher ging ich davon aus, dass der Sicherheitsdienst vorwiegend in dieser Sprache kommunizierte.
»Sie müssen sich zuerst beim General-Manager melden, Agent Cotton«, sagte der andere Sicherheitsmitarbeiter.
Er war weiß und sein Englisch ließ mich vermuten, dass er aus dem Mutterland dieser Sprache stammte.
»Nein, so läuft es hier nicht. Agent Decker und ich werden zuerst den Tatort ansehen. Danach geben wir ihn für die Kriminaltechniker frei und dann sprechen wir mit Mister Jeung«, widersprach ich.
Phil hatte völlig recht. Diplomatie war eine meiner Stärken, wenn auch nicht die ausgeprägteste. Vermutlich wäre es für die weitere Ermittlung von Vorteil gewesen, wenn ich zuerst mit dem General-Manager gesprochen hätte. Dadurch verloren wir aber zu viel Zeit und mein Hauptaugenmerk lag nun einmal nicht darauf, Mr Jeung zufriedenzustellen. Ich wollte die Männer erwischen, die für dieses Blutbad verantwortlich waren.
»Wir dürfen Sie aber noch nicht in den Konferenzraum lassen«, wiederholte der Asiate stur.
Sein Englisch war ebenfalls lupenrein, sodass es keine Verständigungsprobleme geben konnte. Hier ging es ausschließlich darum, seine Macht unter Beweis zu stellen. Ich wandte mich an den Captain.
»Lassen Sie diese beiden Männer abführen. Sie behindern die Ermittlungen des FBI«, ordnete ich an.
Vermutlich tat ich den Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes damit sogar einen Gefallen. So konnten sie ihr Gesicht wahren, und das zählte angeblich im asiatischen Umfeld besonders viel. Vier Cops eilten herbei, und einen kurzen Augenblick lang sah es fast so aus, als wenn die Sicherheitsmänner es auf einen Kampf ankommen lassen wollten.
Dann sprach der Asiate wieder in seiner Sprache mit jemandem über Funk. Gleich darauf ließen sie sich widerstandslos abführen. Als sie außer Reichweite waren, wandte ich mich erneut an den Captain.
»Es reicht völlig, wenn man sie eine halbe Stunde auf der Rückbank eines Streifenwagens schmoren lässt«, sagte ich.
Anschließend überließen wir zunächst den Technikern das Feld. Sie sorgten dafür, dass keiner von uns irgendwelche Spuren vernichten konnte. Nachdem sie einen Weg markiert hatten, auf dem Phil und ich uns durch den Raum bewegen durften, konnten wir den Tatort inspizieren.
»Es gibt Aufzeichnungen einer Überwachungskamera. Die Angreifer haben die Servicemitarbeiter überwältigt und sind an ihrer Stelle in den Raum gegangen«, erklärte der Leiter der Kriminaltechnik.
Einer seiner Mitarbeiter hatte sich bereits alle Aufzeichnungen des Hotels beschafft und spielte uns nun die entsprechende Sequenz vor. Da es auch im Konferenzraum eine elektronische Überwachung gab, konnten wir den Angriff mit eigenen Augen verfolgen.
»Sie wollten eine Duftmarke setzen«, sagte Phil.
Die brutale Vorgehensweise ließ mich zum gleichen Schluss kommen. Der Deutsche wurde aus kurzer Distanz niedergeschossen. Zwei der Angreifer schnappten sich eine der Managerinnen und feuerten auf alle im Raum Anwesenden, während sie sich zurückzogen.
»Schnell, hart und rücksichtslos. Eine Entführung allein war definitiv nicht ihr Ziel«, stimmte ich zu.
Womit sich die Frage stellte, womit wir es eigentlich zu tun hatten. Bevor Phil und ich darüber diskutieren konnten, erschien ein hagerer Mann in einem dunkelgrauen Anzug. Der General-Manager hatte eingesehen, dass er uns nicht zu sich zitieren konnte. Lee Jeung war daher zum Konferenzraum gekommen und wollte mit mir sprechen.
;
Ich fügte mich in mein Schicksal und überließ Phil die Auslösung der Fahndung nach den Angreifern. Das umfangreiche Bildmaterial sollte uns dabei eine große Hilfe sein. Lee Jeung warf einen knappen Blick auf meinen Ausweis, bevor er mir eine Visitenkarte von sich aushändigte. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man sich so unter Geschäftsmännern im asiatischen Raum verhielt. Also zückte ich ebenfalls eine Visitenkarte und streckte sie Jeung hin. Sein eifriger Assistent nahm sie an sich und steckte die Karte achtlos in die Seitentasche seines Sakkos.
»Unsere Techniker sichern zurzeit die Spuren im Konferenzraum. Haben Sie einen Verdacht, wer für diesen Überfall verantwortlich sein könnte?«, fragte ich.
In den dunklen Augen des General-Managers konnte ich lesen, dass er jedes Wort verstanden hatte. Dennoch übersetzte sein Begleiter es auf Koreanisch, wodurch wertvolle Zeit verstrich. Ich kämpfte meine Ungeduld hinunter und spielte den Gelassenen.
»Nein«, erwiderte der Assistent.
Mein Geduldsfaden verlor weiter an Stärke.
»Es gibt doch sicherlich Konkurrenten, die Ihrem Unternehmen Schaden zufügen wollen. Wir benötigen eine Aufstellung, die uns darüber einen Überblick verschafft. Es könnte immerhin sein, dass der Anschlag von einem dieser Unternehmen in Auftrag gegeben wurde«, sprach ich weiter.
Erneut übersetzte der Begleiter, und dieses Mal benutzte Jeung eindeutig mehr Worte für seine Antwort. Der Assistent nickte mehrfach pflichtbewusst, bevor er sich wieder mir zuwandte.
»Nein.«
Mir reichte es.
»Ihr Verhalten ist indiskutabel. Sie behindern die Ermittlungen meiner Behörde, und da stellt sich die Frage, ob Sie überhaupt Interesse an der Aufklärung haben. Ich erwarte, dass uns diese Aufstellung noch im Laufe dieses Tages zugeht«, wiederholte ich.
Der Assistent krauste die Stirn und rang nach Worten.
»Sie verschwenden Ihre Zeit, Agent Cotton. Die Liste geht Ihrem Field Office innerhalb der nächsten Stunde zu. Sie erlauben, dass wir uns entfernen. Ich möchte der Familie von Mister Meißner persönlich mein Mitgefühl aussprechen«, antwortete Lee Jeung.
Damit ließ er mich stehen und verschwand in einem der Fahrstühle, immer seinen eilfertigen Assistenten im Schlepptau.
»Agent Cotton?«
Der Captain tauchte urplötzlich am Ende des Ganges auf. Seinem Verhalten nach musste etwas vorgefallen sein, was meine sofortige Aufmerksamkeit erforderte.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
Zu meiner Überraschung erfuhr ich, dass ein Team des Sicherheitsdienstes von Nangsung einen der Angreifer gestellt haben wollte.
»Sie haben pflichtgemäß das NYPD informiert«, erklärte der Captain.
Allerdings erst nachdem sie den Mann eingekreist hatten. Bis zu dem entsprechenden Bürogebäude mussten wir lediglich drei Blocks weit fahren. Phil informierte ich im Laufen, sodass er während der kurzen Fahrt die Daten des Bürogebäudes beschaffen konnte.
»Es befinden sich mindestens dreihundert Personen im Haus«, sagte er.
Das waren wirklich keine optimalen Umstände, unter denen wir einen der Gangster stellen konnten. Im Hotel hatte ich mir ein Headset des Sicherheitsdienstes aushändigen lassen, um mit den Angestellten über die speziell verschlüsselten Kanäle sprechen zu können.
»Agent Cotton vom FBI. Sie behalten die Zielperson nur unter Beobachtung. Kein Zugriff! Bestätigen Sie die Anweisung«, forderte ich.
Nach allem, was wir bislang mit diesen Sicherheitsleuten erlebt hatten, wollte ich völlig sicher sein, dass sie keine Dummheiten begingen. Die Bestätigung erfolgte nicht.
»Die ignorieren mich einfach«, beschwerte ich mich.
Wenige Minuten später rannten wir durch die Lobby des Bürogebäudes und befragten die Angestellten hinter dem Tresen. Die Sicherheitsmitarbeiter von Nangsung hatten den Verdächtigen in einem der Büros ausfindig gemacht.
»Wie ist ihnen denn das Kunststück gelungen?«, fragte ich.
Phil teilte meine Verblüffung nur zum Teil. Er hatte einen Blick auf die Tafel mit den im Haus angesiedelten Unternehmen geworfen.
»Diese Handelsagentur ist eine hundertprozentige Firmentochter von Nangsung«, sagte er.
Phil deutete auf das Firmenschild. So langsam dämmerte es mir, dass Jeung uns im Hotel absichtlich aufgehalten hatte. Darüber würde ich später mit Mr High zu sprechen haben. Jetzt galt es, den Verdächtigen aus den Klauen des Sicherheitsdienstes zu befreien. Im elften Stockwerk stürmte ich aus dem Lift über den Gang und riss dann die betreffende Bürotür auf.
»FBI! Wo sind die Sicherheitsmitarbeiter von Nangsung?«, fragte ich.
Phil und ich hatten die Marken am Revers unserer Jacken befestigt. Hinter uns folgte der Captain mit drei Cops. Die junge Frau hinter dem Schreibtisch am Fenster deutete stumm vor Schreck auf eine Tür. Ich stieß sie auf und sah mich mit drei Männern in dunklen Anzügen konfrontiert, die einen eingeschüchtert wirkenden Mann in eine Ecke getrieben hatten.
»FBI! Zurück«, befahl ich.
Die Sicherheitsmitarbeiter tauschten einen schnellen Blick aus, doch ich trat bereits zur Seite. Die Officers drängten die Anzugträger weg von ihrem Opfer.
»Special Agent Cotton, und das ist Special Agent Decker. Wir lautet Ihr Name?«, fragte ich.
Er stellte sich als Hector Pasquale vor.
»Was haben Sie mit dem Überfall im Hotel zu tun?«, bohrte ich weiter.
Der verängstigt wirkende Pasquale schien mir nicht der Typ eines eiskalt mordenden Gangsters zu sein.
»Ich war für den Service verantwortlich«, antwortete er.
Phil schnaubte verärgert. Der Sicherheitsdienst wusste demnach, dass Pasquale ein wichtiger Zeuge des Überfalls gewesen war. Offenbar hatte ihr Boss ihnen befohlen, den Leiter des Serviceteams ausfindig zu machen und zu befragen.
»Sie haben also die Angreifer gesehen?«, fragte ich.
Pasquale warf einen scheuen Blick auf den ältesten Mann von den Sicherheitsmitarbeitern. So kamen wir nicht weiter.
»Nehmen Sie die Männer wegen Behinderung der Ermittlungen in Gewahrsam, Captain«, ordnete ich an.
Der Protest wurde vom energischen Auftreten der Cops im Keim erstickt. Als man die drei Mitarbeiter von Nangsung aus dem Büro geschafft hatte, wandte ich mich wieder an Hector Pasquale.
»Jetzt überlegen Sie sich bitte genau, ob Sie das Schicksal dieser Männer teilen wollen. Es wäre klug von Ihnen, wenn Sie mit dem FBI kooperieren würden«, mahnte ich ihn.
Er war clever genug, seine Chancen abzuwägen. Pasquale erzählte uns genau, wie er den Überfall erlebt hatte. Die Gangster waren wie aus dem Nichts in dem Servicebereich aufgetaucht.
»Sie zwangen uns, in einen der Kühlräume zu gehen. Dort hörten wir kurz darauf die Schüsse und ich löste Alarm aus«, berichtete er.
Es gab einen Notschalter im Kühlraum, den er betätigte. So konnte er sich und seine Kollegen befreien, doch da war der Überfall bereits vorbei.
»Warum sind Sie nicht im Hotel geblieben, um uns sofort bei den Ermittlungen zu helfen?«, fragte ich.
Da klappte Pasquale auf einmal den Mund zu und weigerte sich, weitere Fragen zu beantworten. Er bestand darauf, dass der Firmenanwalt von Nangsung verständigt wurde.
»Das ist doch alles oberfaul, wenn du mich fragst«, schimpfte Phil.
»Allerdings. Der Sicherheitsdienst bei Nangsung ist erstklassig ausgebildet und nimmt seine Aufgaben ernst. Wie es angehen konnte, dass trotzdem eine Gruppe schwer bewaffneter Gangster in den Konferenzraum gelangen konnte, sollten wir dringend klären«, stimmte ich zu.
»Bei der Gelegenheit müssen wir uns gleich auch darum kümmern, warum Jeung seine Angestellten davon abhält, mit uns zu kooperieren«, warf Phil ein.
Das Verhalten von Hector Pasquale deutete in diese Richtung. Ein Mann wie er war niemals ohne die Zustimmung eines der leitenden Angestellten aus dem Hotel verschwunden. Vermutlich war es Pasquale sogar direkt befohlen worden. Von wem und warum, wollte ich ebenfalls in Erfahrung bringen.
»Die Ermittlungen werden ausgesprochen kompliziert werden«, sagte ich.
Mein Partner widersprach nicht, sondern organisierte bereits den Abtransport von Pasquale.
;
Unser Weg führte uns nicht wie geplant ins Field Office, sondern zurück ins Hotel. Schuld daran war eine Meldung, die mit der Entführung zu tun hatte. Als wir am Konferenzraum eintrafen, erwartete uns dort der Leiter der Kriminaltechnik.
»Wir haben weitere Aufnahmen der Überwachungskamera ausgewertet. Dabei stießen wir auf diese Sequenzen«, erklärte er.
An einem Laptop zeigte er uns die betreffenden Filmausschnitte. Wir sahen darauf, wie die Gangster sich auf der Fahrt im Lift einige Fotografien anschauten. Der Techniker hatte sie bereits bearbeitet, sodass er uns das Ergebnis präsentieren konnte.
»Es sind Aufnahmen von Ornella Barachi. Sie leitet das Marketingbüro in Mailand«, sagte er.
Damit stand fest, dass es in erster Linie doch eine Entführung gewesen war. Das brutale Auftreten der Kidnapper hatte uns glauben lassen, dass die Entführung nur ein Nebeneffekt des Überfalls sein konnte.
»Diese Aufnahmen müssen doch auch die Sicherheitsleute von Nangsung entdeckt haben«, stieß Phil hervor.
Das war wahrscheinlich, und aus diesem Grund suchten wir den Leiter auf. Cameron Smythe war in Hongkong aufgewachsen und hatte seine Laufbahn bei der dortigen Polizei begonnen. Sehr viel mehr konnte Phil in der Kürze der Zeit nicht über ihn herausbekommen. Wir fanden Smythe in einem Büro ein Stockwerk tiefer.
»FBI, Special Agent Cotton, und das ist mein Partner, Special Agent Decker«, sagte ich.
Smythe winkte ab.
»Ich weiß. Womit kann ich Ihnen helfen?«, erwiderte er.
Ich berichtete von den Aufnahmen aus dem Fahrstuhl und wollte wissen, wieso man uns davon nicht früher berichtet hatte.
»Die Entführer haben dadurch einen größeren Vorsprung, als es erforderlich wäre«, beschwerte ich mich.
Smythe zuckte die Schultern.
»Sorry, Agent Cotton. Ich erhalte meine Anweisungen von Mister Jeung. Er vertraut Ihrer Behörde leider nicht, daher führe ich eigene Ermittlungen durch«, gab er zu.
Es verschlug mir für einen Moment glatt die Sprache. Die Arroganz des Südkoreaners war beispiellos und es wurde Zeit, diesem Unfug ein schnelles Ende zu bereiten.
»Hören Sie jetzt gut zu, Mister Smythe. Das FBI ermittelt allein, und jeder, der uns dabei behindert, wandert umgehend ins Gefängnis. Händigen Sie uns sofort alle Unterlagen aus, die Ihre Leute bislang gesammelt haben«, sagte ich.
Cameron Smythe hielt meinem Blick stand.
»Das müssten Sie vorher mit unserem General-Manager klären, Agent Cotton. Ich darf Ihnen keine Unterlagen ohne seine Zustimmung aushändigen«, antwortete er.
Ich war nahe dran, den Sicherheitsleiter festzunehmen. Doch es würde uns mehr aufhalten als voranbringen. Ich verließ grußlos das Büro und suchte nach Lee Jeung. Wir stießen jedoch nur auf seinen Assistenten, der sich meine Beschwerden und Drohungen seelenruhig anhörte. Dann nickte er mit neutraler Miene.
»Ich habe Sie verstanden, Agent Cotton. Sobald Mister Jeung ein wenig Zeit hat, trage ich ihm Ihre Wünsche vor«, versicherte er uns.
So kamen wir eindeutig nicht weiter. Auch den Assistenten ließ ich grußlos zurück und eilte aus dem Hotel. Im Foyer trafen wir auf den Captain, der einigermaßen ratlos am Empfangstresen stand.
»Wie geht es denn jetzt weiter?«, fragte er.
Ich bat ihn, weiterhin das Hotel abzuschirmen und uns über jede Bewegung des Sicherheitsdienstes zu informieren. Anschließend fuhren Phil und ich ins Field Office.
»So, und jetzt reden wir mit dem Chef«, sagte ich.
;
Mr High hörte sich schweigend unseren Bericht an. Seine Miene verdüsterte sich bei meinen Schilderungen, wie umfassend die Behinderung der Ermittlungen durch Jeung und seinen Sicherheitsdienst war.
»Darum kümmere ich mich. Sie und Phil konzentrieren sich zunächst auf die Entführung«, sagte er schließlich.
Die Fahndung nach den Entführern hatte bislang zu keinem Ergebnis geführt. Kaum saßen Phil und ich jedoch hinter unseren Schreibtischen, erreichte uns eine alarmierende Meldung aus dem Hotel.
»Smythe hat soeben mit sechs seiner Männer das Hotel verlassen. Sie hatten es extrem eilig«, meldete der Captain.
Phil bat die Kollegen von der Verkehrsüberwachung, die Fahrzeuge des Sicherheitsdienstes ausfindig zu machen. Zum Glück hatte der Captain seine Officers gut instruiert, sodass wir über die Marken der Fahrzeuge sowie die dazugehörigen Kennzeichen verfügten. Dieses Wissen sollte dafür sorgen, dass die Wagen schnell entdeckt wurden.
»Wie bitte?«
Ich schaute auf, da mir Phils Reaktion auf den eingehenden Anruf stutzig machte. Seine Augen verdüsterten sich.
»Versuchen Sie, jedes der Fahrzeuge im Blick zu behalten«, sagte er.
Nachdem Phil das Gespräch beendet hatte, weihte er mich ein.
»Die Wagen haben sich getrennt und fahren in unterschiedliche Richtungen weiter«, sagte er.
Smythe ahnte also, dass wir ihm auf die Finger schauten. Der Trick mit den Wagen war sehr effektiv, denn er zwang uns dazu, unsere Kräfte aufzuteilen. Ich informierte den Chef über den erneuten Versuch, unsere Ermittlungen zu behindern.
»Folgen Sie Ihrem Instinkt, Jerry. Ich sehe zu, dass dieses Störfeuer baldmöglichst beendet ist«, erwiderte er.
Ich lehnte mich nachdenklich zurück. Während ich mich in die Denkweise von Cameron Smythe zu versetzen suchte, verfolgte Phil die eintreffenden Sichtmeldungen aus der Verkehrsüberwachung.
»Wir gehen falsch vor«, sagte ich laut.
Phil hob verwundert den Kopf an.
»Was meinst du denn damit?«, wollte er wissen.
Ich erklärte es ihm und musste nicht lange ausholen. Phil erkannte unseren Fehler ebenfalls und daher änderten wir die Taktik. Zuerst ging ich ins Büro von Mr High. Als ich fünf Minuten später zu Phil zurückkehrte, nickte ich ihm zu.
»Der Chef überträgt die Fahndung nach den Geiselnehmern June und Blair. Wir können uns völlig auf die Führungsebene von Nangsung konzentrieren«, sagte ich.
;
Sie hatten kaum Zeit gehabt, sich mit den Details des Falles vertraut zu machen. Während Blair den roten Dodge Nitro durch den Verkehr steuerte, brachte seine Partnerin ihn auf den aktuellen Stand der Ermittlungen.
»Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass Smythe sich persönlich um das Ziel kümmert«, sagte er.
June und er hatten sich nach kurzer Beratung dazu durchgerungen, dem Wagen des Leiters von Nangsungs Sicherheitsdienst zu folgen. Wenn es eine brisante Information gab, die möglicherweise zum Versteck der Geiselnehmer führte, würde Smythe sicherlich keinem seiner Mitarbeiter den Zugriff überlassen.
»Sein Wagen hat den Broadway verlassen. Er fährt durch den Theater District weiter«, meldete June.
Bereits eine Meile später musste Blair den Dodge ausrollen lassen. Die Kollegen der Verkehrsüberwachung hatten sie gewarnt, dass Smythe in eine Seitengasse eingebogen war. June deutete auf die Einmündung.
»Ich steige hier aus und sehe mich ein wenig um. Bleib du im Wagen, falls Smythe nur eventuelle Verfolger abhängen will«, sagte sie.
Blair nickte und fuhr wenige Augenblicke später an der Einmündung der Gasse vorbei. Aus dem Augenwinkel bemerkte er den schwarzen SUV der Marke GMC, mit dem Smythe unterwegs war. Den Leiter des Sicherheitsdienstes konnte er jedoch nirgends sehen.
»Pass nur auf dich auf«, murmelte Blair.
Der Adressat seiner Warnung bewegte sich zehn Yards hinter dem SUV und versuchte zu ergründen, ob noch jemand im Wagen mit den abgedunkelten Scheiben saß.
»FBI. Steigen Sie langsam aus«, rief June.
Mit der SIG in der Hand näherte sie sich der Fahrertür. Ihr Blick huschte zum Seitenspiegel, ohne darin eine Bewegung ausmachen zu können. Als sie sich auf Höhe der Tür befand, flog diese urplötzlich auf und traf June hart an der rechten Seite.
»Das ist eine Falle!«, rief sie.
June und Blair trugen Headsets, um sich verständigen zu können. Ihre Warnung erreichte ihren Partner im Wagen. Blair sprang hinaus und eilte mit gezückter Waffe ebenfalls in die Gasse. Er wollte June beistehen, obwohl die Situation reichlich unübersichtlich war.
»FBI! Kommen Sie aus dem Wagen. Ich will Ihre leeren Hände sehen«, rief er.
Sein Blick blieb an der offenen Fahrertür kleben, während June sich mühsam vom Boden erhob.
»Da ist keiner mehr drin«, stieß sie hervor.
Mit langen Schritten war Blair bei seiner Partnerin und half ihr auf. June klopfte sich den Dreck von der Kleidung und deutete mit der Mündung ihrer SIG auf eine Eisentür.
»Er hat mich mit der Tür von den Füßen geholt und ist anschließend sofort im Gebäude verschwunden«, erklärte sie.
Blair forderte Streifenwagen zu ihrer Unterstützung an, bevor er mit June ebenfalls ins Gebäude eindrang. Ein muffiger Geruch von abgestandener Luft empfing sie. Es gab zwar eine lange Reihe von Oberlichtern, doch die ließen kaum noch Licht durch.
»Wir trennen uns«, sagte June.
Ihr Partner legte zwar Protest ein, doch sie blieb hartnäckig. Blair schlich gleich darauf in westlicher Richtung an der Wand entlang. Mehr und mehr nahm er den beißenden Geruch von Chemikalien war. Es dauerte eine Weile, bis Blair die Räume als Bestandteil einer ehemaligen Großwäscherei einstufte. Die riesigen Bottiche und Trommeln untermauerten seine Annahme. Vermutlich hatte der Betrieb die Arbeit einstellen müssen. Seine Gedanken verflogen im gleichen Augenblick, als Blair die Bewegung zwischen zwei der Bottiche ausmachte.
Vorsichtig schob er sich in diese Richtung vor und gab seine Beobachtung über Funk an June weiter. Eine Antwort erhielt Blair nicht, was ihn beunruhigte. Ein Mann huschte vor Blair über den Gang, ohne ihn zu bemerken. Der registrierte die Waffe in der Hand des Unbekannten und folgte ihm unter größter Vorsicht. Sie legten etwa fünfzehn Yards zurück. Dann duckte der Mann sich und hob die Waffe an.
»June? Melde dich!«, drängte Blair.
Seine Lage war prekär. Solange er nicht ausschließen konnte, dass der Mann vor ihm auf seine Partnerin anlegte, musste Blair handeln. Erneut blieb die Rückmeldung aus, sodass er reagieren musste.
»FBI! Waffe fallen lassen und mit dem Gesicht nach unten auf den Boden legen«, rief er.
Der Mann bewegte sich zwar, aber nicht so wie befohlen. Er hechtete zur Seite und schoss dabei auf Blair. Der ging ebenfalls in Deckung und erwiderte das Feuer. Das Krachen der Schüsse zerriss die Stille. Von der östlichen Seite der Halle war auf einmal ebenfalls der Klang unterschiedlicher Waffen zu hören. Das ließ Blair hoffen.
Er baute darauf, dass June zum Angriff übergegangen war. Vorerst galt es, den Mann vor sich auszuschalten. Blair hatte sich klar zu erkennen gegeben und musste nun keine Rücksicht mehr nehmen. Wer auf einen Agent des FBI schoss, musste die Konsequenzen seines Handelns kennen. Blair drückte sich am Rande eines Bottichs entlang und ignorierte den beißenden Geruch. Als sein Fuß gegen einen weichen Gegenstand trat, schaute er automatisch nach unten.
»Besser, du konzentrierst dich«, schalt er sich selbst.
Die Kugel prallte knapp neben seinem linken Ohr vom Bottich ab und schwirrte als Querschläger ins Halbdunkle. Blair erwiderte das Feuer und vernahm das leise Aufstöhnen. Offenbar hatte er besser gezielt und seinen Gegner angeschossen.
»Geben Sie auf! Das Gebäude ist umstellt«, rief er.
Sein sofortiger Positionswechsel verhinderte, dass die für ihn gedachte Kugel ihr Ziel fand. Wer auch immer auf ihn schoss, war offenkundig zum Äußersten entschlossen. Blair schob sich zwischen zwei der riesigen Waschmaschinen und näherte sich dem vermuteten Versteck des Schützen. Blair konnte die Silhouette des Gangsters ausmachen, der in die falsche Richtung starrte.
»Waffe fallen lassen!«, befahl er.
Als der Mann die Stimme in seinem Rücken vernahm, erstarrte er. Langsam richtete er sich auf.
»Weg mit der Pistole oder ich schieße!«, warnte ihn Blair.
Das Geräusch hinter ihm kam so unerwartet, dass Blair den Bruchteil einer Sekunde zu spät reagierte. Der harte Schlag traf ihn am Hinterkopf. Eine Vielzahl bunter Blitze explodierte vor Blairs Augen und seine Knie gaben nach. Stöhnend sank er zu Boden.
»Das war’s dann«, schoss es ihm durch den Kopf.
Für seine Angreifer war er jetzt ein leichtes Ziel, und ihr bisheriges Verhalten ließ keine Zweifel daran, welches Schicksal ihn erwartete.
;
June konnte ihrem Partner nicht antworten. Auf ihrem Weg an der Wand entlang stieß sie unerwartet auf einen bewaffneten Mann. Zu ihrem Glück schaute er genau in die entgegengesetzte Richtung, sodass June sich hastig ein Stück zurückziehen konnte. Sie betete inbrünstig, dass Blairs Stimme aus dem Kopfhörer nicht zu laut war und den Mann warnen würde.
Im nächsten Augenblick krachten Schüsse und June blieb keine Wahl. Sie sprang wieder vor, doch der Mann hatte seine Position verändert. June hörte Blairs Aufforderung, dass jemand seine Waffen fallen lassen sollte. Sie huschte weiter und suchte nach dem Gangster.
»Das Gebäude ist umstellt!«, rief Blair.
June verzog das Gesicht.
»Netter Bluff, Partner. Leider sind die Cops noch nicht hier, aber vielleicht fallen die Gangster trotzdem darauf rein«, murmelte sie.
Im gleichen Augenblick entdeckte sie den Mann wieder – und er sie. Ansatzlos schoss er auf June, die im Fallen das Feuer erwiderte. Beide Kugeln verfehlten ihr Ziel. Der Gangster tauchte zwischen zwei Maschinen unter, während June sich hastig erhob. Sie folgte ihm und erkannte sehr bald, dass er sich in Richtung der Seitentür bewegte.
June nutzte ihre inzwischen erlangte Ortskenntnis, um seinen Weg zu kreuzen. Zu ihrer Verwunderung tauchte der Gangster jedoch nicht an der erwarteten Stelle auf. Dafür hörte sie ihren Partner ganz in der Nähe rufen. Seiner Aufforderung folgten einige dumpfe Geräusche, deren Ursache June nur ahnen konnte. Im nächsten Augenblick strömte Tageslicht durch die Seitentür ins Gebäude. Zwei Männer flohen, während June unweit von sich leises Stöhnen vernahm.
»Blair? Alles in Ordnung?«, fragte sie.
Aus dem Kopfhörer kam das gleiche Stöhnen, daher ließ June die Gangster fliehen und eilte zu ihrem Partner. Blair lag am Boden und blutete aus einer Wunde am Hinterkopf. Er war bei Bewusstsein und fluchte vor sich hin. June war mit wenigen Schritten neben ihm und half ihm auf die Beine.
;
Wir hatten den Nachmittag damit zugebracht, uns in die komplizierte Aufstellung des multinationalen Konzerns einzuarbeiten. Am späten Abend saßen wir am Besprechungstisch von Mr High, um die ersten Ergebnisse auszutauschen.
»Der tote Deutsche und die entführte Italienerin schwächen das europäische Vertriebssystem sehr stark. Nangsung wird sicherlich einige Umsatzeinbußen hinnehmen müssen«, stellte Phil fest.
Ich rieb mir die brennenden Augen. Dann glitt mein Blick hinüber zu Blair, der immer noch sehr wütend dreinschaute.
»Diesen Aspekt können wir vorerst zurückstellen«, erwiderte der Chef.
»Was uns vor allem große Probleme bereitet, ist das Verhalten von Nangsung. Jeung verlässt sich mehr auf seinen Sicherheitsdienst, als dass er uns vertrauen würde«, warf ich ein.
»Ich habe gleich morgen Vormittag ein persönliches Gespräch mit Lee Jeung. Er kommt ins Field Office, sodass ich ihm unsere Position besser verdeutlichen kann«, erwiderte Mr High.
Seine bisherigen Versuche in dieser Richtung waren auf simple und dabei sehr effektive Weise geblockt worden. Jeung ließ sich permanent verleugnen. Der General-Manager von Nangsung spielte auf Zeit, und unserem Chef fehlten die erforderlichen Druckmittel, um viel dagegen auszurichten. Irgendwie war es ihm aber trotzdem gelungen, den wichtigsten Manager von Nangsung zu einem Treffen im Field Office zu bewegen.
»Einen der Entführer konnten wir dank Blairs Hilfe identifizieren«, sagte June.
Ihr Partner hatte unmittelbar vor seinem Niederschlag einen kurzen Blick auf den unmaskierten Schützen werfen können.
»Sein Name lautet Alexander Borinkosch. Er stammt ursprünglich aus Georgien. Borinkosch war einige Jahre in einer Spezialeinheit der russischen Polizei, bevor er korrupt wurde und aufflog. Seitdem ist er als Söldner tätig gewesen. Aktueller Aufenthaltsort ist aber unbekannt«, erklärte Blair.
Auf dem Wandmonitor tauchten die bekannten Daten des Söldners auf. Blair hatte gute Arbeit geleistet, denn das Dossier war bis kurz vor Borinkoschs Abreise aus Moskau lückenlos.
»Wenn er damals bereits von den russischen Kollegen gesucht wurde, muss ihm doch jemand bei der Ausreise geholfen haben«, warf ich ein.
Es war nur so ein Gedanke, doch mir fiel Olga Gorbok ein. Als Phil die Abreisedaten genauer überprüfte, ging ein verwundertes Raunen um den Tisch.
»Glückwunsch, Jerry. Auf diese Verbindung muss man erst einmal kommen«, lobte mich Mr High.
»Was bedeutet das aber für unsere Ermittlungen? Ist Borinkosch erneut korrupt geworden und hat sich gegen seine ehemalige Retterin gewandt?«, fragte Phil.
Bislang wussten wir nur, dass Gorbok damals dafür gesorgt hatte, dass Borinkosch unbehelligt aus Russland ausreisen konnte. Heute gehörte er auf einmal zu einem Killerkommando und entführte zusätzlich eine Kollegin von Olga Gorbok.
»Dazu sollten wir uns vielleicht mit Mistress Gorbok unterhalten. Vorher möchte ich aber ein möglichst umfassendes Dossier über sie zusammenstellen«, antwortete ich.
Der Chef hob Einhalt gebietend die Hand. Sein Blick wanderte über unsere Gesichter.
»Wir haben einen langen, harten Tag hinter uns. Wenn wir keine Fehler aufgrund unserer Erschöpfung machen wollen, müssen wir einige Stunden ausruhen«, erklärte er.
Bis Mitternacht waren es nur noch fünfunddreißig Minuten. Der Chef hatte recht. Wir einigten uns auf eine Unterbrechung von sechs Stunden. Dann wollten wir uns erneut in die Arbeit stürzen. Auf dem Heimweg erwies sich Phil als sehr schweigsam. Zuerst vermutete ich einfach die Müdigkeit als Ursache, doch eine Frage von ihm änderte meine Ansicht dazu.
»Könnte Jeungs Verhalten eventuell damit zusammenhängen, dass es einen Machtkampf innerhalb der Führungsriege gibt?«, fragte er.
Ich warf Phil einen überraschten Seitenblick zu. So weit waren meine Überlegungen noch nicht vorgedrungen, aber angesichts der neuesten Entwicklung hielt es für denkbar.
»Gut möglich. Wenn es so sein sollte, dürfte unser morgiges Gespräch mit Mistress Gorbok noch aufschlussreicher werden«, erwiderte ich.
Für weitere Gedankenspiele blieb keine Zeit. Ich setzte Phil an der üblichen Ecke ab und fuhr weiter. Doch selbst unter der Dusche, die ich mir zum Abschluss des Tages gönnte, wanderten meine Gedanken immer wieder zurück zu Phils Überlegung. Lee Jeung hatte möglicherweise mehr Schwierigkeiten, als wir bislang angenommen hatten.
Der Überfall sowie die Entführung konnten aber genauso gut auf sein Konto gehen. Noch fehlten zu viele Puzzlestücke, um das Mosaik zu erkennen. Ich zwang meinen Kopf, dieses Karussell abzustellen, und sank in einen traumlosen Schlaf.
;
Am nächsten Morgen betraten Phil und ich das Mercy Hospital bereits um kurz nach sieben Uhr. Auf der Station suchten wir zunächst den verantwortlichen Arzt auf, um mehr über die Verletzungen der Managerin zu erfahren.
»Mistress Gorbok hat großes Glück gehabt, Agent Cotton«, sagte er.
Lediglich ein Schuss war auf sie abgefeuert worden, und dabei hatte Olga Gorbok einen Streifschuss an der rechten Schulter erlitten. Der Arzt sah in dem Schock das schwerwiegendere Problem.
»Schussopfer fallen häufig in ein Trauma, das ihre soziale Verbindung zur Außenwelt schwer beschädigt«, erklärte er.
»Zeigt Mistress Gorbok Ihrer Ansicht nach solche Anzeichen?«, fragte ich.
Das verneinte der Arzt. Gleichzeitig warnte er uns aber auch, dass solche Reaktionen öfter mit einer zeitlichen Verzögerung auftraten. Im Beruf von Gorbok sah er aber auch die Chance, dass sie den Schock leichter verdauen konnte.
»Wer auf diesem internationalen Niveau als Manager tätig ist, verfügt in der Regel über sehr gute Nerven«, sagte er.
Mit dieser Einschätzung betraten Phil und ich kurze Zeit später das Krankenzimmer von Olga Gorbok. Vor ihrer Tür hatte das NYPD zwei Cops postiert, um weitere Überfälle zu verhindern. Als wir eintraten, hob sie den Kopf und musterte uns mit gefurchter Stirn.
»Ich wollte nicht gestört werden«, sagte sie.
Ihr Englisch war sehr gut, abgesehen von der typischen Färbung vieler Osteuropäer. Die zu raue Aussprache ließ Olga Gorbok noch abweisender wirken, doch das schreckte uns überhaupt nicht.
»FBI, Special Agent Cotton, und das ist mein Partner, Special Agent Decker«, stellte ich uns vor.
Sie prüfte die Marken flüchtig, bevor sie sich mit einem Seufzer zurücklehnte.
»Ich kannte die Angreifer nicht, und als es knallte, warf ich mich gleich zu Boden. Nicht schnell genug, wie man leicht erkennen kann. Mehr weiß ich nicht«, sagte sie dann.
Es war eine ausgesprochen magere Aussage, die wir so natürlich nicht stehen lassen konnten. Vielleicht half ein kleiner Schock weiter.
»Einer der Schützen war Alexander Borinkosch. Was sagen Sie dazu?«, fragte ich.
In den dunkelblauen Augen leuchtete es kurz auf, doch mehr Reaktion zeigte die Russin nicht.
»Schwer zu glauben. Ich war ihm einmal dabei behilflich, aus einer sehr misslichen Lage zu entkommen. Sollte er es mir so vergelten? Welche Beweise haben Sie?«, erwiderte sie.
Ihr Verstand funktionierte einwandfrei. Olga Gorbok war nicht der Versuchung erlegen, ihre spezielle Vergangenheit mit Borinkosch zu verschweigen. Sie ahnte vermutlich, dass wir sowieso bereits darüber informiert waren, und wollte sich keine Blöße geben. Dieser Versuch hatte keinen Erfolg gehabt. Phil blieb bei der Taktik.
»Könnte der Überfall sowie die Entführung von Mistress Barachi etwas mit den internen Kämpfen im Vorstand von Nangsung zu tun haben?«, fragte er.
Dieses Mal traf es Gorbok erkennbar härter. Ihre Miene verdüsterte sich.
»Ebenfalls kaum vorstellbar. Woher wissen Sie darüber Bescheid? Hat Jeung sich etwa dazu geäußert?«, fragte sie.
Immerhin erhielten wir so die Bestätigung, dass es innerhalb des Führungszirkels tatsächlich eine Auseinandersetzung um die Macht gab.
»Ihr General-Manager hält sich lieber im Hintergrund. Seine Kooperation bei den Ermittlungen ist ausgesprochen zurückhaltend«, gab ich zu.
Diese Formulierung entlockte Olga Gorbok ein hartes Lachen.
»Das glaube ich Ihnen gerne. Lee Jeung gehört zur typischen Führungskaste der alten asiatischen Schule. Er ist ein Diktator und erwartet blinde Loyalität. Jeung schickt lieber seine eigenen Leute aus, um die Täter zu finden und zu bestrafen«, sagte sie dann.
Das entsprach absolut unserer Erfahrung. Gorboks Bemerkung zeigte mir aber auch, dass sie kein Freund von Jeung war.
»Was also war das Motiv für den Überfall?«, wiederholte ich meine Frage.
Gorbok forschte in meinem Gesicht, bevor sich ein überhebliches Lächeln zeigte.
»Ist das nicht Ihr Job, diese Frage zu klären?«, stellte sie die Gegenfrage.
Die Russin war nicht so leicht aus der Reserve zu locken, aber uns blieb noch eine Trumpfkarte. Phil spielte sie aus.
»Sie gehen demnach davon aus, dass Sie lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Verstehe ich Sie richtig?«, hakte er nach.
Olga Gorbok spendierte höhnisch Beifall.
»Gut, dann können wir beruhigt die Posten abziehen. Diese Officers werden woanders dringender benötigt«, sagte ich.
Die Reaktion der Russin war bemerkenswert. Ihre Miene verhärtete sich, während sie hörbar die Luft einzog.
»Ich bestehe darauf, dass man mich beschützt!«, verlangte sie.
Ich hob in gespielter Verwunderung die Augenbrauen an.
»Sie haben doch gerade eben selbst gesagt, dass die Angreifer es nicht auf Ihre Person abgesehen hatten. Dann benötigen Sie auch keinen speziellen Schutz. Für die normalen Probleme verfügt das Krankenhaus über einen sehr fähigen Sicherheitsdienst«, erwiderte ich.
Mit einem knappen Nicken wandte ich mich um und folgte Phil, der bereits die Türklinke in der Hand hielt.
»Warten Sie! Vielleicht war es doch kein Zufall, dass ausgerechnet die Gruppe der europäischen Manager zum Ziel der Gangster wurde«, rief Gorbok.
Phil gönnte sich ein schnelles Lächeln, bevor er sich mit neutraler Miene genau wie ich wieder umdrehte.
»Vergeuden Sie nicht unsere Zeit mit Andeutungen oder Unterstellungen. Gibt es konkrete Hinweise, auf die Sie uns aufmerksam machen wollen?«, fragte ich.
Es kostete die Russin sichtlich Überwindung, die Frage mit einem deutlichen Nicken zu beantworten. Phil und ich kehrten zurück an ihr Bett. Unbewusst strich sich Gorbok über die verletzte Schulter, während sie uns über die Missstimmung innerhalb der Führungsmannschaft von Nangsung aufklärte.
»Es gibt seit Monaten Anfechtungen und gegenseitige Beschuldigungen. Die amerikanische Sektion wirft uns vor, dass wir das Überseegeschäft torpedieren«, berichtete sie.
Angeblich nutzten die für den europäischen Wirtschaftsraum verantwortlichen Manager die Politiker der EU, um durch Sanktionen die amerikanischen Bestrebungen zu blockieren.
»Das ist natürlich völlig aus der Luft gegriffen«, versicherte Gorbok.
Es gab ähnliche Vorwürfe gegenüber den Sektionen des Konzerns aus dem asiatischen Raum.
»Die Manager von Jeung wiederum trauen weder uns noch den amerikanischen Kollegen. Am liebsten würde er überall nur mit Landsleuten aus Südkorea arbeiten«, sprach Gorbok weiter.
So interessant dieser Einblick in die Machtkämpfe innerhalb der Leitung des Konzerns war, führte er meines Erachtens für uns zu keinen hilfreichen Hinweisen. Doch Olga Gorbok hatte ihre Ausführungen lediglich als Einleitung angesehen.
»Es gab in den zurückliegenden Wochen mehrere Zwischenfälle, bei denen Kollegen von mir durch seltsame Unfälle umkamen. Wir leben seit dieser Zeit in permanenter Angst. Da wir bei diesem Meeting alle zusammen im gleichen Hotel waren, wähnten wir uns sicher. Das war offensichtlich ein Irrtum«, fuhr sie fort.
Phil und ich tauschten einen Blick aus.
»Warum wurde Ornella Barachi entführt? Nimmt sie eine besondere Rolle bei den Auseinandersetzungen ein?«, fragte ich.
Die aus Italien stammende Managerin war so eine Art Shootingstar laut der Auskunft von Olga Gorbok.
»Barachi steht für eine Reihe von wichtigen Innovationen innerhalb des Konzerns. Sie konnte Absatzprobleme im Mittelmeerraum beseitigen und einige sehr begehrte Manager anderer Unternehmen abwerben«, erklärte sie.
Dadurch wuchs die Machtbasis von Barachi unfassbar schnell an und schien mittlerweile sogar Lee Jeung selbst zu bedrohen.
»So eine Frau muss man rechtzeitig beseitigen. Kein Mann in unserer Welt würde zugeben, dass er nicht mithalten kann. Das dürfte der maßgebliche Grund für ihre Entführung sein«, sagte Gorbok.
In ihrer Stimme klang unüberhörbar großer Respekt für die Italienerin durch.
»Sie gehören selbst zum Zirkel von Mistress Barachi, oder?«, fragte Phil.
Nach kurzem Zögern nickte Olga Gorbok. Damit war auch klar, was ihr solche Angst einflößte. Wenn jemand den Einfluss von Barachi mit aller Macht zerstören wollte, konnte er durchaus gleich den gesamten Zirkel der Italienerin aus dem Weg räumen wollen.
»Danke für die Informationen. Die Officers bleiben vorerst auf ihren Posten«, dankte ich Gorbok.
Sie wirkte augenblicklich erleichtert, und als wir ihr Krankenzimmer verließen, war von der anfangs überheblich auftretenden Managerin nicht mehr als eine verängstigte Frau übrig.
;
June und Blair hatten sich die Routen der anderen Fahrzeuge des Sicherheitsdienstes angesehen. Dabei stießen sie auf eine Besonderheit.
»Dieser Wagen hat einen riesigen Umweg genommen, nur um ganz in der Nähe der ehemaligen Wäscherei bei diesem Bürogebäude anzukommen«, sagte Blair.
Seine Partnerin betrachtete die Darstellung auf einer Karte von Manhattan und gab ihm recht.
»Im Grunde lagen wir vermutlich gar nicht so falsch. Smythe hat sich aus der Wäscherei abgesetzt und es Borinkosch überlassen, uns möglichst lange aufzuhalten«, stimmte June zu.
Als sie am Vormittag nochmals den Ablauf der Auseinandersetzung vom Vortag objektiv bewertet hatten, kamen sie und Blair zu einem Schluss.
»Die Angreifer haben es vermieden, uns schwerer zu verletzen oder gar zu töten«, lautete ihr Urteil.
Alles sprach dafür, dass man sie nur hatte aufhalten wollen. In Verbindung mit der neuen Entdeckung wurde ihre Annahme jetzt bestätigt.
»Dann sollten wir uns dieses Gebäude genauer ansehen«, sagte Blair.
In der folgenden Stunde ermittelten sie den Eigentümer des Hochhauses sowie die Mieter der verschiedenen Büroflächen.
»Sieh mal einer an«, stieß June hervor.
Blair unterbrach seine eigenen Nachforschungen, um seiner Partnerin über die Schulter zu sehen. Auf dem Monitor vor ihr konnte er die Angaben einer Mietwagenfirma erkennen.
»Was ist damit?«, fragte er.
June änderte die Darstellung, damit ihr Partner die Inhaber erkennen konnte. Es gab zwar einen Geschäftsführer, doch die Eigentumsverhältnisse waren erheblich komplizierter.
»Vier unterschiedliche Holdings halten Anteile am Unternehmen. Dieser Name sagt mir irgendetwas«, murmelte Blair.
Er tippte mit der Spitze seines Kugelschreibers auf einen Namen am Ende der Aufstellung.
»Vermutlich, weil Packard Automotive vor vier Jahren von Nangsung übernommen wurde. Sie führen zwar weiterhin das Firmenlogo und den ursprünglichen Namen, aber sie unterstehen der Führung von Jeung«, erklärte June.
Blair stieß einen leisen Pfiff aus. Die Koreaner gaben sich die größte Mühe, ihr verschachteltes Firmengeflecht für Außenstehende möglichst undurchdringlich zu gestalten. Ohne die gezielte Suche nach den Besitzern des Bürogebäudes wäre June vermutlich nicht auf die Verbindung zwischen der Mietwagenfirma und Nangsung gestoßen.
»Wo würdest du eine Geisel verstecken? Irgendwo in einem fremden Gebäude oder dort, wo du selbst die Kontrolle über die Räumlichkeiten hast?«, fragte Blair.
Seine Partnerin teilte seine Vermutung und sprach kurz darauf mit Mr High darüber. Der Chef fand die Hinweise ausreichend, um eine Durchsuchung der Räume der Mietwagenfirma zu ermöglichen.
»Ich bitte das NYPD um die Bereitstellung einer SWAT-Einheit. Sollten sich die Entführer als Mitglieder von Nangsungs Sicherheitsdienst herausstellen, könnte uns ein harter Kampf erwarten«, sagte June.
Die Vorbereitung des Zugriffs in Midtown nahm zwei Stunden in Anspruch. Erst in letzter Sekunde sollten Cops die Straße jeweils einen Block vor und hinter dem Bürogebäude sperren. So wollte June vermeiden, dass die Entführer auf den bevorstehenden Zugriff aufmerksam wurden.
»Die gezeigte Brutalität lässt vermuten, dass die Kidnapper im Krisenfall ihre Geisel töten würden«, sagte sie.
Als sie sich unweit des Bürogebäudes mit dem SWAT-Team trafen, instruierte June die Spezialisten eingehend. Dann bezogen alle ihre Positionen. Über Headset waren alle Einsatzkräfte miteinander verbunden, um eine reibungslose Kommunikation zu gewährleisten.
Eine Minute vor dem vereinbarten Zeitpunkt ließ sie sich von jedem Cop eine Klarmeldung geben. Nachdem June sicher sein konnte, dass alle auf ihren Positionen waren, erteilte sie den Einsatzbefehl. Zusammen mit Blair und vier Cops eilte sie durchs Foyer des Bürogebäudes. Hinter einem Empfangstresen saßen zwei Frauen und ein Mann an ihren Schreibtischen. Ungläubig starrten sie auf die vielen Cops, die im Eilschritt zu den Aufzügen sowie zum Treppenhaus eilten.
»FBI! Special Agent Clark. Bleiben Sie bitte ganz ruhig und befolgen Sie die Anweisungen der Polizei«, sagte June.
Drei Augenpaare schauten eingeschüchtert auf die Marken und dann nickten die Angestellten. June und Blair überließen den vier Cops die Kontrolle im Foyer. Sie selbst eilten zu einem der vier Fahrstühle, um ins neunte Stockwerk zu fahren.
»Falls die Entführer unter den Angestellten einen Komplizen haben, sind dem jetzt die Hände gebunden«, sagte Blair.
Solange ihnen die Cops auf die Finger schauten, würde niemand eine Dummheit begehen und die Kidnapper zu warnen versuchen. Falls doch, würde man June über Funk informieren. Als sich die Türen des Fahrstuhls öffneten, bemerkte June zunächst die Rücken der Männer des SWAT-Teams.
»Genau im richtigen Augenblick«, sagte Blair.
Sie verfolgten, wie einer der Spezialisten vorsichtig den Türknauf betätigte. Er zog sich zurück und machte das Zeichen, dass die Tür verschlossen war. Anschließend gab er seinem Kollegen mit der schweren Ramme Feuerschutz, der im nächsten Augenblick die Tür aus dem Schloss sprengte.
»Go! Go!«
Der Befehl des Anführers gellte auch in Junes Ohren. Sie und Blair rückten vorsichtig nach, nur um nach wenigen Yards anzuhalten.
»Drei bewaffnete Männer. Sie haben automatische Waffen!«
Die Spezialisten an der Spitze wurden von schwerem Abwehrfeuer überrascht. Es machte den Eindruck, als wenn die Kidnapper bewusst diesen Zeitpunkt abgepasst hätten.
»Im Eingangsbereich wird es schwierig, eine vernünftige Deckung zu finden«, sagte Blair.
Er tauschte einen besorgten Blick mit seiner Partnerin aus, während lange Salven aus dem Büro zu hören waren. Die Schreie von Verletzten mischten sich darunter und ließen erahnen, wie hart gekämpft wurde. Aus dem Augenwinkel bemerkte June, wie sich die Tür des Nachbarbüros öffnete.
»FBI! Bleiben Sie da drin«, rief sie.
Ihre Annahme, dass Angestellte des anderen Unternehmens in Panik flüchten wollten, wurde durch den Anblick der Mündung einer Waffe korrigiert.
»Achtung! Angriff aus dem Nachbarbüro«, rief sie warnend.
Blair reagierte augenblicklich und eröffnete fast gleichzeitig mit seiner Partnerin das Feuer. Die Kugeln aus seiner SIG trafen die Tür, aber auch einen der Gangster. Eine Pistole polterte zu Boden, unmittelbar nach einem lang gezogenen Schrei. June und Blair setzten nach. Sie wollten verhindern, dass sich Bewaffnete frei im Gebäude bewegen konnten.
;
Der Zugriff war nach sechs Minuten beendet. Zwei der Gangster starben bei dem Schusswechsel, nur einer überlebte schwer verletzt.
»Agent Clark?«
Der Einsatzleiter des SWAT-Teams winkte June zu sich, die zusammen mit Blair zu ihm ging. Er schob die Tür zu einem Abstellraum weiter auf, damit man den Leichnam der Frau besser erkennen konnte.
»Das ist Ornella Barachi. Kein Zweifel«, sagte June.
Offenbar hatten sie die Gangster richtig eingeschätzt. Als sie die Aussichtslosigkeit ihrer Lage erkannten, ermordeten sie ihre Geisel. Sie lag auf einer Campingliege und starrte blicklos an die Decke.
»Wir hätten schneller ins Büro gelangen müssen«, sagte der Einsatzleiter.
Seine Stimme klang heiser und seine Miene spiegelte die Verzweiflung wider, die er angesichts der toten Frau empfand. Ein Notarzt schob sich an ihm vorbei und ging neben Barachi in die Hocke. Nach einer flüchtigen Untersuchung erhob er sich wieder und kam zu June.
»Das Opfer muss bereits mehr als vierundzwanzig Stunden tot sein. Vermutlich sogar noch länger, aber das kann Ihnen die Rechtsmedizin nach der Obduktion präzise beantworten«, erklärte er.
June und der Einsatzleiter tauschten einen Blick voller Erleichterung aus. Barachi hätten sie nicht mehr retten können, selbst wenn man den Widerstand der Kidnapper schneller gebrochen hätte.
»Wieso haben sie Barachi scheinbar unmittelbar nach der Entführung ermordet?«, fragte Blair.
Dafür konnte man sicherlich eine logische Begründung finden. June fand aber einen anderen Umstand noch merkwürdiger.
»Falls Ornella Barachi einen der Gangster erkannt hat, musste sie eventuell sterben. Ich verstehe allerdings nicht, warum die Gangster den Leichnam hier aufbewahrt haben und sich immer noch hier aufhielten«, erwiderte June.
Blair nickte zustimmend.
»Wir beenden den Einsatz, Agent Clark«, verabschiedete sich der Einsatzleiter.
Nachdem er mit seinen Kollegen abgerückt war, kamen die Spezialisten der Kriminaltechnik und ein Rechtsmediziner. Er bestätigte die Einschätzung des Notarztes in Bezug auf den vermutlichen Todeszeitpunkt.
»Wir konnten die Geiselnehmer identifizieren«, meldete ein Techniker.
Verblüfft folgten June und Blair dem Mann zu einem Tisch, auf dem die Techniker ihre Laptops aufgebaut hatten.
»Nach Alexander Borinkosch wurde schon gefahndet«, sagte er.
Einer der toten Kidnapper war der Mann, dem Olga Gorbok geholfen hatte. Seinen Kumpan suchte die Polizei aus Österreich. Er gehörte eine Weile zu einer gefährlichen Bande, die in der Alpenrepublik sowie in den angrenzenden Staaten ihr Unwesen getrieben hatte. Bei einer Razzia wurde ein Teil der Bande festgenommen, doch der Österreicher konnte entkommen.
»Das könnte erklären, wieso er Meißner erschossen hat«, sagte Blair.
June schaute ihn fragend an.
»Wenn er ein gesuchter Verbrecher war, wurde sein Foto sicherlich auch in den deutschen Medien gezeigt. Meißner muss ihn erkannt haben und deswegen erschoss man ihn«, erklärte er.
Es war tatsächlich eine mögliche Begründung, warum Meißner eiskalt an Ort und Stelle erschossen worden war. Die anderen Manager wurden lediglich ungezielt beschossen, was die Vorgehensweise der Angreifer so unerklärlich gemacht hatte. Blair hatte einen triftigen Grund gefunden, der diese Seltsamkeit erklären half.
»Barachi lebte in Italien. Vielleicht lief es bei ihr ganz ähnlich ab«, warf June ein.
»Bleibt zu klären, wer diesen Überfall angeordnet hat und welches Ziel damit verfolgt wurde«, erwiderte Blair.
Sie überließen den Technikern das Feld und kehrten zurück ins Field Office. Dort erstatteten sie umgehend Mr High einen mündlichen Bericht.
»Leider konnten wir Mistress Barachi nicht mehr helfen. Wir sind ein kleines Stück vorangekommen, aber was mit dem Überfall bezweckt wurde, können wir noch nicht erklären«, sagte June.
Der Chef wollte abwarten, bis Jerry und Phil zur Besprechung am späten Nachmittag eintreffen würden.
»Dann werden wir hoffentlich ein wenig mehr Licht ins Dunkel bringen können«, sagte er.
June und ihr Partner kehrten an ihren Schreibtisch zurück, um einen vollständigen Bericht über den Zugriff zu verfassen.
;
Bis zur Besprechung beim Chef blieb uns nur noch wenig Zeit, um unsere Aufstellung abzuschließen.
»Da war in den beiden zurückliegenden Jahren reichlich viel Fluktuation innerhalb des Managements bei Nangsung«, sagte Phil.
Während er sich diesem Aspekt gewidmet hatte, forschte ich nach den angeblichen Unglücksfällen. Olga Gorbok hatte nicht gelogen, was dies anbelangte.
»Kein Wunder, wenn insgesamt sechs Führungskräfte bei Unfällen ums Leben kommen«, antwortete ich.
Phil schaute mich perplex an.
»So viele Unglücksfälle und keine Behörde wurde deswegen aufmerksam?«, fragte er.
Das war überhaupt nicht weiter verwunderlich.
»Alle Unglücksfälle ereigneten sich in unterschiedlichen Ländern. Teilweise sogar auf verschiedenen Kontinenten. Man muss schon einen konkreten Verdacht haben, um sich genauer dafür zu interessieren«, antwortete ich.
Wir verglichen unsere Ergebnisse und führten sie schließlich in einer Aufstellung zusammen. Das Resultat war beeindruckend.
»Es gibt wenigstens fünf Kandidaten aus der Führungsriege, die als Wirtschaftsspione in Betracht kommen«, stellte Phil fest.
Zuerst glaubte ich, mich verhört zu haben.
»Wie bitte? Wie kommst du denn auf einmal auf diese Idee?«, wollte ich wissen.
Phil führte es aus, und schon nach wenigen Sätzen hatte er mich überzeugt.
»Das würde in der Tat einiges verständlicher machen. Aber Ornella Barachi kannst du wohl von deiner Liste streichen«, sagte ich.
Mein Partner schüttelte entschieden den Kopf.
»Warum denn? Vielleicht hat Smythe sie enttarnt und Jeung steckt hinter ihrer Entführung. Die Idee mit dem Überfall passt ihm doch ins Konzept. Die Europäer und Amerikaner erhalten einen mächtigen Schock, sodass sie eventuell freiwillig aus dem Konzern aussteigen«, widersprach er.
Das war ein mögliches Szenario, wie ich einräumen musste.
»Kein Wunder, wenn Jeung sich dann so unkooperativ zeigt«, räumte ich ein.
Wir würden alle Fakten dem Chef sowie den Kollegen präsentieren. Auch an unseren Überlegungen würden sie teilhaben und ihre Meinung abgeben. Ich sah unsere beste Chance darin, verstärkt in Phils Richtung zu ermitteln.
Bei der Besprechung reagierte nicht nur Mr High ziemlich skeptisch auf den Vorstoß. Ich unterstützte Phils These und zeigte auf, wie sich dadurch ein Muster in den bislang eher chaotisch wirkenden Zwischenfällen erkennen ließ.
»Das ist ein wichtiger Punkt. Wie würden Sie dann weiter vorgehen wollen?«, räumte der Chef ein.
Darüber hatten Phil und ich nur kurz diskutieren können, aber trotzdem eine Art Generalplan erstellt.
»Zuerst möchten wir Lee Jeung mit unserer Theorie konfrontieren. Seine Reaktion dürfte dabei sehr aufschlussreich sein«, antwortete ich.
Anschließend wollten wir alle Führungsmitglieder intensiv überprüfen, die erst in den zurückliegenden vierundzwanzig Monaten dazugestoßen waren.
»Wieso grenzt ihr den Zeitraum so ein?«, fragte Blair.
Ich brachte das Gespräch auf die vielen Unfälle und welche Auswirkungen sie insgesamt auf die Reputation des Konzerns gehabt hatten.
»Jeder dieser Vorfälle beschädigte den Ruf von Nangsung. Nimmt man dann noch die Chronologie hinzu, ergibt sich ein Zeitraum von zwei Jahren«, erwiderte ich.
Das Muster war erkennbar, sobald man die Parameter richtig festlegte. Phil war es trotz des Zeitdrucks noch gelungen, eine entsprechende Grafik zu entwickeln. Während ich den Kollegen unsere Überlegungen präsentierte, holte er die Datei auf den Wandmonitor.
»Ja, das leuchtet in der Tat ein. Auf wie viele Manager trifft Ihre Eingrenzung denn zu?«, fragte Mr High.
Nochmals holte ich ein wenig aus, um unsere Festlegung auf fünf Kandidaten zu erläutern. Bei einigen davon gab es nur wenige Anhaltspunkte. Dennoch fand unser Kreis der Verdächtigen sowohl die Zustimmung des Chefs als auch von June und Blair.
»Allright. Dann gehen Sie so vor. Sobald das Treffen mit Jeung erfolgt ist, erwarte ich einen Zwischenbericht«, stimmt er zu.
Um ein persönliches Gespräch mit dem General-Manager von Nangsung zu organisieren, kehrten Phil und ich in unser Büro zurück. Im Hotel hatte Jeung die oberste Etage für sich allein reserviert. Als ich dort anrief, erreichte ich wie erwartet nur seinen Assistenten.
»Es gibt wichtige Fortschritte, über die wir Mister Jeung informieren müssen«, erklärte ich.
Der Assistent blieb stur und verlangte einen Hinweis, um welche Informationen es sich dabei handelte. Ich warf ihm einen Brocken hin, von dem ich mir eine entsprechende Reaktion erhoffte.
»Wir sind überzeugt davon, dass es innerhalb des Managements von Nangsung einen Wirtschaftsspion gibt«, antwortete ich.
Einige Sekunden lang blieb es still in der Leitung. Offenbar hatte es dem Assistenten tatsächlich die Sprache verschlagen. Nach einem leisen Räuspern meldete er sich wieder.
»Ich gehe davon aus, dass Sie mir keinen Namen nennen werden. Ist doch so, oder?«, fragte er.
Der Köder war ausgeworfen, und mittlerweile glaubte ich, dass Jeung sich in der Nähe des Assistenten aufhielt und ihm soufflierte.
»Nein, solche Verdächtigungen müssen streng vertraulich behandelt werden. Darüber werde ich nur mit Mister Jeung persönlich sprechen«, gab ich zurück.
Erneut trat eine kurze Pause ein.
»Mister Jeung wird sich mit Ihnen morgen Vormittag um acht Uhr hier im Hotel treffen«, sagte der Assistent.
Ich bestätigte den Termin und weihte Phil unmittelbar nach dem Ende des Telefonats ein. Er schürzte überrascht die Lippen.
»Ich hatte so meine Zweifel, ob er sich darauf einlassen würde. Gut gemacht«, lobte er.
Den restlichen Nachmittag verbrachten wir damit, die gefilterten Daten der Manager noch enger zu fassen. Das Bild erhielt dadurch noch mehr Tiefe und bestätigte uns in der schon gefassten Theorie. Auf der Heimfahrt besprachen wir bereits die Taktik für das Gespräch, sodass ich voller Zuversicht für den kommenden Tag war.
;
Ich stand in der Lobby und rang um Fassung. Die Angestellte wirkte aufgewühlt, obwohl es nicht ihre Schuld war.
»Ich erreiche niemanden im Penthouse, Agent Cotton«, sagte sie.
Sie hatte unzählige Versuche unternommen, um irgendwie mit Lee Jeung oder seinem Stab in Verbindung zu treten. Phil und ich hatten nicht erwartet, trotz einer festen Terminvereinbarung so vorgeführt zu werden. Damit die Mieter der obersten Etage nicht gestört werden konnten, benötigte man für den Fahrstuhl eine spezielle Codekarte. Alle Besucher mussten sich anmelden und dann konnte der derzeitige Nutzer des Penthouse von oben aus den Fahrstuhl entsprechend programmieren.
»Sie müssen doch für eventuelle Notfälle über eine Ersatzcodekarte verfügen«, drängte ich.
Das war zwar der Fall, doch unglücklicherweise war diese Karte zurzeit unauffindbar.
»Wo wird sie normalerweise aufbewahrt?«, fragte Phil.
Die junge Angestellte führte uns in ein kleines Büro hinter dem Empfangstresen und deutete auf einen modernen Wandsafe.
»Sie müsste dort drin liegen, Agent Decker. Schauen Sie selbst nach. Sie ist spurlos verschwunden«, erklärte sie.
Ihre Kollegin hatte sich sofort um die Codekarte gekümmert, als wir nach mehreren Versuchen immer noch keinen Kontakt mit dem Penthouse herstellen konnten. Phil öffnete die Safetür erst, nachdem er sich Einweghandschuhe übergestreift hatte. Eine gründliche Durchsuchung bestätigte die Aussage der Angestellten. Ich behielt beide Frauen im Blick und registrierte die erhöhte Nervosität bei der jüngeren Mitarbeiterin des Hotels.
»Was hat man Ihnen dafür gezahlt, dass Sie diese Karte haben verschwinden lassen?«, fragte ich sie direkt.
Alle Blicke gingen zu der Angestellten, die mich wie vom Blitz getroffen anschaute.
»Ich? Mir?«, stotterte sie.
Ihr Verhalten war viel zu auffällig. Selbst im Gesicht ihrer Kollegin war der Zweifel gut ablesbar.
»Raus mit der Sprache! Sie behindern die Ermittlungen des FBI. Ist Ihnen nicht bewusst, welche weitreichenden Konsequenzen das haben kann?«, fragte ich wütend.
Ich ahnte schon, wer hinter dieser unseligen Scharade stecken würde. Sie wurde wachsbleich und schluckte krampfhaft.
»Es war der Assistent von Mister Jeung«, wimmerte sie.
Ich warf einen Blick zu Phil, der verärgert den Kopf schüttelte. Es würde uns kaum weiterhelfen, wenn wir uns den Zutritt zum Penthouse mittels Gewalt verschaffen würden.
»Können Sie uns sagen, wann Mister Jeung mit seinem Stab das Hotel verlassen hat?«, fragte ich.
Die ältere Dame vom Empfang warf ihrer Kollegin einen vernichtenden Blick zu.
»Selbstverständlich, Agent Cotton. Dazu müssen wir lediglich die im Computer gespeicherten Daten aufrufen«, erwiderte sie.
Diese Überprüfung konnte schneller als befürchtet vorgenommen werden. Sobald die Mieter der obersten Etage den Fahrstuhl betraten oder die Tür zum Treppenhaus öffneten, wurde eine gesonderte Aufzeichnung automatisch ausgelöst. Es sollte zum Schutz der meistens prominenten Gäste dienen. Uns half es, überraschend schnell die Aufnahmen mit Jeung und seinem Stab zu finden.
»Er hat freiwillig das Hotel verlassen«, sagte Phil.
»Ja, vermutlich um unser Treffen zu vermeiden. Dieser Kerl ist unfassbar dreist«, stimmte ich zu.
Ich gönnte mir nur einen Augenblick, in dem ich meine Wut zuließ. Dann zwang ich mich wieder zu nüchternem Denken. Schließlich fasste ich einen Entschluss. Ich telefonierte mit Mr High, der sich nach kurzer Diskussion meinem Vorgehen anschloss.
»June und Blair suchen Jeung. Wir beide gehen weiter den Hinweisen zu dem internen Konflikt bei Nangsung nach«, sagte ich zu Phil.
Mein Partner zeigte sich zufrieden mit dieser Aufgabenverteilung und so kehrten wir zurück ins Field Office.
;
Für Blair war der neue Auftrag weniger dazu angetan, sich darüber zu freuen. Er ahnte, dass ein Mann mit dem Vermögen eines Lee Jeung über viele Möglichkeiten verfügte, sich in einer Stadt wie New York zu verstecken.
»Wir fangen damit an, uns jedes noch so kleine Unternehmen der Holding genauer anzusehen. Anschließend sortieren wir jede Adresse im Big Apple aus und kontrollieren, ob Jeung sich in dem Büro oder Gebäude aufhält«, gab June zurück.
Sie verzichtete darauf, lange mit Blair zu diskutieren. Er zog eine wilde Schießerei generell der Büroarbeit vor. Sobald er sich aber an die Arbeit machte, erwies Junes Partner sich als höchst effizient. Blair würde vermutlich noch öfter über die langweilige Nachforschung schimpfen, aber sicherlich kein noch so winziges Detail übersehen.
Nach drei Stunden war das Ergebnis ihrer Suche jedoch so mager, dass selbst June erste Zweifel beschlichen. Blair reckte sich und schaute einige Sekunden verdrossen aus dem Fenster.
»Du bist an der Reihe, Großer. Wie würdest du es jetzt angehen?«, fragte June.
Blair unterbreitete den erwarteten Vorschlag. In der Vergangenheit hatten sie damit einige Erfolge erzielt, weshalb June sich fügte. Da es lediglich drei Adressen gab, bei denen sie vorstellig werden konnten, würde es nicht zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Sie verließen das Field Office und suchten zunächst die nahe gelegenen Büros auf. In beiden Fällen stießen sie auf völlig unverdächtige Angestellte, die nicht einmal ihren wahren Arbeitgeber kannten.
»Ihre Firmen sind dermaßen tief in der Holding versteckt, dass diese Menschen im Traum nicht auf die Idee gekommen wären, dass sie nur ein Teilunternehmen von Nangsung sein könnten«, stellte Blair fest.
Ihnen blieb noch die letzte Anschrift, unter der sich möglicherweise Lee Jeung aufhalten konnte. So richtig glaubte June nicht an diese Möglichkeit, aber sie mussten das Unternehmen für Spezialtransporte natürlich überprüfen. Blair steuerte den Dodge durch den träge dahinfließenden Verkehr.
»Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Mann wie Jeung sich in irgendeinem Hinterzimmer oder billigen Apartment versteckt«, sagte er.
June schaute zu ihm hinüber.
»Sondern?«, fragte sie.