Jerry Cotton Sammelband 38 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 38 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 38: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2965: Manhattan Voodoo
2966: Ein Kidnapper zu viel
2967: Heiße Fracht für Miami
2968: Die "Tigerin" im Fadenkreuz
2969: Im wahren Leben lauert der Tod

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
Jetzt herunterladen und garantiert nicht langweilen!

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EPUB

Seitenzahl: 673

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive von © shutterstock: stockcreations | PanicAttack ISBN 978-3-7517-2975-8 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Jerry Cotton

Jerry Cotton Sammelband 38

Inhalt

Jerry CottonJerry Cotton - Folge 2965Phil und ich blickten auf die beiden Leichen, die in einem Abbruchhaus gefunden worden waren. Ein Mann und eine Frau, die augenscheinlich aus Haiti stammten. Alles deutete auf einen Rache- oder Fememord hin. Den beiden waren die Zungen herausgeschnitten worden. Unsere Suche nach den Tätern führte uns in die sehr hermetische Gruppe der haitianischen Einwanderer in New York und zu Molita Theosmy, einer Voodoo-Priesterin...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2966Leslie Carson, die Frau des Hotdog-Millionärs Miles Carson, war entführt worden, als sie mit ihrem Speed-Boot auf dem Hudson unterwegs gewesen war. Das Boot fand die Küstenwache verlassen treibend auf dem Wasser. Spuren, die einen Hinweis auf die Täter oder den Tathergang hätten geben können, wurden nicht gefunden. Phil und ich nahmen die Ermittlungen auf und stießen auf eine Reihe potentieller Kidnapper und einen altklugen Kriminalromanschriftsteller...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2967Irvin Bealer war Kronzeuge in dem Prozess gegen den Gangsterboss Archibald Kingston. Phil und ich hatten den Auftrag, ihn sicher nach Miami zu bringen und dem dortigen FBI zu übergeben. Leider ging das gehörig schief und kostete einem Agent das Leben. Auch mein Partner bekam einiges ab. Die erste Erkenntnis war, dass es im Field Office Miami einen "Maulwurf" geben musste, der die Übergabe verraten hatte. Unsere Ermittlungen wurden zu einem Wettlauf gegen die Zeit, denn der Prozess gegen Kingston sollte schon in 3 Tagen stattfinden...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2968Indah Surhato, genannt die "Tigerin", war eine Umweltaktivistin aus Indonesien, die sich gegen die Zerstörung der Tropenwälder engagierte. Sie stammte aus einer reichen, angesehenen Familie, was ihrer Stimme einiges Gewicht gab. Noch bevor sie in New York eintraf, erhielten wir konkrete Hinweise auf einen Anschlag. Das hielt die junge Frau aber nicht davon ab, ihre öffentlichen Auftritte wahrzunehmen und machte es für uns fast unmöglich, sie zu schützen ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2969Die Schauspielerin Angel LaRoche, Star der Soap "Long Island", war verschwunden. Beim NYPD und bei uns vom FBI herrschte binnen Kurzem Großalarm. Phil und ich übernahmen die Ermittlungen und stießen auf einen untreuen Ehemann, eine verzweifelte Agentin, einen ebenso verzweifelten Produzenten - nur nicht auf eine brauchbare Spur. Es war noch nicht einmal klar, ob Angel LaRoche entführt worden war, oder sich einfach nur aus dem Staub gemacht hatte ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Manhattan Voodoo

Jerry Cotton aktuell

Vorschau

Manhattan Voodoo

Henry Picker hatte es eilig. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, schlurfte er so schnell es ging auf ein Haus in der West 141st Street zu. Hastig schlüpfte er durch eine nicht gesicherte Tür im Untergeschoss. Im ersten Stock schlug ihm ein merkwürdiger Geruch entgegen, und die Tür zu der Wohnung, die sein Ziel war, stand weiter offen, als er sie am Vormittag zurückgelassen hatte.

Im Salon, hinter dem Eisengitter des falschen Kamins, lag eines seiner Verstecke. Henry streckte schon die Hand aus, um die Flasche hervorzuziehen, als er aus den Augenwinkeln etwas wahrnahm, das nicht hierhergehörte. Langsam wandte er den Kopf. Als er sah, was dort am Boden lag, begann er zu schreien.

An diesem diesigen Montagmorgen im März stieg Phil mit einem breiten Grinsen an der üblichen Ecke zu mir in den Wagen. Mein Partner und ich hatten ein freies Wochenende hinter uns – eine Seltenheit in unserem Job. Ich hatte Freunde auf dem Land besucht, und Phil erzählte gut gelaunt von einem Broadway-Musical, das er sich mit einer neuen Bekannten, einer australischen Stewardess, angesehen hatte.

»Hey, Partner, du klingst so begeistert. Wird da was Ernstes draus?«, fragte ich schmunzelnd.

»Vermutlich nicht. Sie ist viel unterwegs und ich bin viel beschäftigt, wie du weißt.«

»Stimmt, meistens bin ich ja dabei.«

Ich parkte den Wagen in der Tiefgarage und wenige Minuten später betraten wir unser Büro im 23. Stock des New York Field Office. Wir hatten uns kaum an unsere Schreibtische begeben, als Helen anrief.

»Jerry, Phil, bitte kommt doch gleich zum Chef«, bat sie uns. Es hörte sich dringend an.

Mr Highs Bürotür stand offen, wir wurden gleich durchgewunken und nahmen am Besprechungstisch Platz, wo uns der Assistant Director einen neuen Fall übertrug.

»Es geht um Doppelmord. Die Sache hat sich gestern im Laufe des Tages in Hamilton Heights ereignet. Henry Picker, ein Obdachloser, hatte sein Lager in einem Abbruchhaus aufgeschlagen. Als er gestern Abend dorthin kam, fand er zwei Leichen.«

Unser Chef schob uns mit ernstem Blick einige Tatortfotos zu.

»Himmel!«, entfuhr es Phil beim Anblick der beiden Toten, die ziemlich übel zugerichtet waren.

»Ein Mann und eine Frau, beide vermutlich Mitte bis Ende dreißig. Es gibt Hinweise darauf, dass sie aus der Karibik, genauer gesagt aus Haiti, stammen. Sie trugen außer ihrer Kleidung keinerlei persönliche Sachen bei sich«, erläuterte uns der Assistant Director die bisherigen Erkenntnisse.

»Was ist mit den beiden passiert?«, wollte ich wissen.

»Schwere Misshandlungen vor dem Tod. Beiden wurde außerdem die Zunge herausgeschnitten.«

Phil und ich wechselten einen Blick.

»Drogengeschäfte? Sind sie jemandem in die Quere gekommen, haben sie mit den falschen Leuten geredet?«, fragte mein Partner.

»Möglich. Am Tatort wurden Spuren diverser Substanzen gefunden. Ob sie mit den Opfern etwas zu tun haben, können wir noch nicht sagen. Das Haus soll abgerissen werden, könnte aber einigen Leuten als Schlafplatz dienen und vermutlich auch zumindest gelegentlich Straßendealern als Versteck für ihre Ware. Das NYPD und die Spurensicherung haben den Fundort bereits gestern Abend abgesucht. Im Haus haben sie niemanden angetroffen. Falls außer Henry Picker jemand die Toten gesehen hat, ist das noch nicht bekannt.«

Mister High strich sich über sein kurz geschnittenes, silbergraues Haar, bevor er fortfuhr. »Vor einem Jahr gab es ein ähnliches Verbrechen in New Orleans. Damals wurde ein junger Einwanderer auf diese Art getötet. Die dortige Polizei konnte den Fall bis heute nicht klären.«

»Haben wir es mit demselben Täter zu tun?«

»Das kann ich noch nicht mit Sicherheit sagen, aber ich habe bereits veranlasst, dass wir die Unterlagen über diesen Mord so schnell wie möglich bekommen, um die Details abgleichen zu können.«

Er sah uns ernst an. »Momentan können wir nichts ausschließen, weder Drogen noch Serienmord oder Okkultismus. Wir wissen bisher auch noch nicht, ob die beiden Toten Touristen oder illegale Einwanderer waren.«

»Könnte es sein, dass sie selbst dort übernachten wollten?«

»Nein, Jerry, davon ist nicht auszugehen. Die Leute waren allem Anschein nach nicht wohlhabend, aber keine Obdachlosen oder Menschen, die sich üblicherweise an solchen Orten aufhalten. Wir müssen herausfinden, wer sie waren und was sie dort wollten.«

Beim Anblick der Fotos konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass es schwierig werden würde, die beiden zu identifizieren.

***

Nachdem die Besprechung mit Mr High beendet war, führte unser erster Weg uns in die Gerichtsmedizin. Eine Ärztin – ihr Namensschild wies sie als Dr. Donna Blaisdel aus – hatte die beiden unbekannten Toten obduziert und diktierte gerade ihren Bericht, als wir eintrafen und uns vorstellten.

»Agents Cotton und Decker«, begrüßte sie uns. »Übernehmen Sie also diesen Fall?«

»Sieht so aus. Die Toten stammen wohl nicht aus New York?«

»Das ist richtig. Anhand der Kleidung und des Zustands der Zähne ist davon auszugehen, dass die beiden Ermordeten nicht dauerhaft in den USA gelebt haben. Am Rock der Frau haben wir das Etikett eines Schneiders aus Port-au-Prince gefunden. Sie könnten also Haitianer sein. Mehr Anhaltspunkte gibt es derzeit nicht.«

»Die Zungen?«, fragte ich.

Dr Blaisdel schüttelte bedauernd den Kopf. »Sind verschwunden. Sie wurden mit einem sehr scharfen, glatten Schneidewerkzeug abgetrennt, vermutlich hat der Täter ein Messer benutzt. Gekonnt, würde ich mal sagen, wenn es nicht so pietätlos klingen würde.«

»Könnte ein perverser Serienmörder sein, der sich seine Souvenirs mitnimmt«, murmelte Phil.

»Die beiden waren schon tot, als die Zungen entfernt wurden«, fügte die Gerichtsmedizinerin hinzu. »Sie wurden vor ihrem Tod misshandelt. Da die Fesselungsspuren nicht besonders ausgeprägt waren, wissen wir, dass ihre Folterung nicht lange gedauert haben kann.«

»Was genau war denn die Todesursache?«

»Man hat ihnen gezielt ins Herz gestochen, Agent Cotton.«

»Da scheint sich jemand mit Messern aber gut auszukennen«, erwiderte ich.

»Bei dieser Verletzung gehe ich von einem Dolch aus. Schmal, lang, sehr scharf geschliffen.« Donna Blaisdel warf einen Blick auf die Gesichter der Toten. »Man hat sie übel zugerichtet. Sie werden keine Fotos von ihnen für die Fahndung nutzen können.«

»Wann wurden die Morde begangen?«

»Am Sonntag, am frühen Nachmittag. Mehr kann ich noch nicht sagen«, antwortete sie.

»Und die anderen Spuren?«

»Der Tatort ist ein Albtraum! Nicht nur wegen des brutalen Todes der beiden Menschen dort. Das Haus sollte diese Woche abgerissen werden. Irgendjemand hat dort vor einiger Zeit eine vernagelte Tür zum Souterrain geöffnet. Sehr professionell und bei einfachem Hinsehen kaum erkennbar. In dem einzigen noch begehbaren Stockwerk haben wir eine ganze Reihe von Spuren gefunden. Die alle auszuwerten wird Tage, wenn nicht Wochen dauern.«

»Klingt, als wären dort Horden von Menschen ein- und ausgegangen«, konstatierte Phil.

Donna Blaisdel zuckte hilflos die Schultern. »Wir haben Hinweise auf Drogen. Dazu natürlich auf den Mann, der die Leichen gefunden hat, sowie mindestens einen weiteren Obdachlosen. Darüber hinaus ältere Blutspuren, die wir noch nicht einwandfrei zuordnen konnten. Und das da.« Sie griff hinter sich und nahm einen kleinen Plastikbeutel von einem der Edelmetalltische. Darin lag etwas in der Größe einer kleinen Kirsche.

»Was ist das?«, fragte ich.

»Eine Holzperle. Schon älter, abgenutzt. Trotzdem kann ich sagen, es handelt sich um ein handbemaltes Stück, könnte von einer Kette oder einem Armband stammen. Durch die Handarbeit hat sie einen besonderen Charakter.«

»Wo haben Sie die Perle gefunden?«

»Sie lag in einer Ecke des Zimmers, in dem sich die Toten befanden.«

»Trug die Ermordete einen solchen Schmuck?«

Donna Blaisdel schüttelte schweigend den Kopf.

»Dann könnte es ein Hinweis auf den oder die Mörder sein. Vielleicht gab es einen Kampf, ein Gerangel, oder die Kette ist bei dem Mord aus einem anderen Grund zerrissen. Können wir das Stück mitnehmen?«

»Noch nicht, Agents. Ich muss es noch genauer untersuchen, aber ich schicke Ihnen vorab Fotos.«

»Wird wohl sowieso eine Suche nach der Nadel im Heuhaufen«, brummte Phil, bevor wir uns bei der Gerichtsmedizinerin bedankten.

***

Nachdem wir uns von Dr. Blaisdel verabschiedet hatten, fuhren wir zu dem Abbruchhaus, in dem man die Toten gefunden hatte. Während ich den Jaguar durch den Verkehr lenkte, kündigte Phil unser Kommen im Büro der jetzigen Eigentümer an und machte es dringend. Es handelte sich um eine Investorengemeinschaft, die vermutlich nach dem Abriss des Gebäudes etwas Größeres auf dem Grundstück bauen wollte.

»Sie schicken jemanden, der mit uns reingeht«, informierte er mich, bevor er auf seinem Smartphone das Vernehmungsprotokoll des Obdachlosen abrief, das uns das NYPD bereits übermittelt hatte.

»Er hat von Samstag auf Sonntag in seinem Versteck übernachtet, das er am Sonntag gegen neun Uhr morgens verlassen hat. Den ganzen Tag über hat er sich auf dem Gelände einer Kirchengemeinde aufgehalten. Hat dort seinen Stammplatz, an dem er nach dem Gottesdienst immer einige Münzen in seinem Becher findet. Geht nach dem Gottesdienst stets in die Suppenküche. Am Nachmittag macht er sich dort immer im Garten ein wenig nützlich, so auch an diesem Tag. Das wurde von den Cops bereits überprüft, dieser Picker ist sauber, er hat ein astreines Alibi.«

»Gab es andere Stammgäste in seinem Unterschlupf?«

»So wie er sagt, kam ab und zu ein Dealerpärchen vorbei. Einmal feierte eine Horde von Jugendlichen eine Party. Dem Verhalten nach Kids aus gutem Hause, wie er vermutet, die das wohl aufregend fanden.«

Das Haus, das wir suchten, war ein ehemaliges Mietshaus mit vier Stockwerken. Vor der verwitterten Fassade aus rotbraunem Stein wartete ein Mann in Arbeitskleidung. Er lehnte an einem blauen Lieferwagen und schaute uns aufmerksam entgegen.

»Facility Management. Ich bin Mark Miller«, stellte er sich vor und ging ohne weitere Worte durch den Haupteingang voraus ins Haus. Dort warnten nicht nur ein großes Schild, sondern inzwischen auch gelbe Absperrbänder vor dem Betreten.

Auf jeder Etage lagen zwei Wohnungen. Während im Erdgeschoss sämtliche Türen verbarrikadiert waren, konnte man im ersten Stock die verwaisten Wohnungen betreten. Die Türen zeigten Spuren von der brachialen Gewalt, mit der sie aufgebrochen worden waren.

»Weiter hinauf geht es nicht«, erklärte der Mann das Offensichtliche. Die Treppe ins zweite Stockwerk fehlte fast gänzlich, auf den wenigen noch vorhandenen unteren Stufen lagen Schutt und Brocken von Mauerwerk. Ein Stück oberhalb klaffte ein großes Loch in der Wand, durch das die kühle Märzluft blies.

»Nicht sehr gemütlich. Wer sich hier noch einnistet, der muss wohl ziemlich verzweifelt sein«, sagte Phil.

Der Hausmeister zuckte die Schultern, als habe er schon längst aufgehört, über gewisse Dinge nachzudenken.

»Die neuen Hauseigentümer wollten es nicht zu verlockend aussehen lassen, daher das Loch in der Wand. Manche Leute stören sich aber an gar nichts. Allerdings sind die beiden Wohnungen hier noch ganz gut in Schuss.«

Miller machte eine Tür auf und wir betraten den Tatort. Früher, als das Haus noch bewohnt war, hätte man die Wohnung durchaus als passabel bezeichnen können. Es gab drei Schlafzimmer und einen kombinierten Raum, in dem Küche, Esszimmer und Wohnzimmer ineinander übergingen. »Dort haben sie gelegen«, wies uns der Mann den Weg.

Phil und ich blickten stumm auf die dunklen Flecken. Es war weit weniger Blut geflossen, als man bei einer solchen Todesart annehmen konnte, weil die Toten durch die Stiche ins Herz nach innen verblutet waren. Die Spuren, die wir sahen, waren durch das Abtrennen der Zungen entstanden.

Meine Aufmerksamkeit fiel auf den gemauerten falschen Kamin, in dem zu besseren Zeiten sicher elektronisches Feuer echte Flammen vorgegaukelt hatte. Sogar ein Metallgitter hatten die Vorbesitzer angebracht, damit es authentischer wirkte. Es war aufgezogen. Henry Picker hatte sein Alkoholversteck noch geleert, bevor er seine Zelte hier abbrach.

»Dort also hatte Picker seine Flaschen versteckt.«

»Ja, Jerry. Und er hat trotz allem, was hier geschehen ist, noch daran gedacht, sie mitzunehmen.«

Mark Miller konnte uns nichts über die ehemaligen Mieter der Wohnung sagen.

»Das Haus wurde vor einigen Monaten an die Gesellschaft verkauft, die mich eingestellt hat. Wenn Sie Informationen über die Zeit davor benötigen, müssen Sie die Hausverwaltung der früheren Besitzer fragen. Ich hatte bei der Übergabe mal mit jemandem von denen zu tun.«

Dabei kramte er eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche und nannte uns eine Adresse in der Nähe der Columbia University. Bevor wir dorthin fuhren, sahen wir uns noch ein wenig um.

»Um sich Zugang zum Haus zu verschaffen, benötigt man Kraft und Werkzeug«, konstatierte Phil beim Anblick der aufgebrochenen Außentür. »Henry Picker ist nicht in bester körperlicher Verfassung, und zu seinen Habseligkeiten zählten weder Brecheisen noch ähnliche Dinge. Wie, glauben Sie, hat er es bewerkstelligt, hier hereinzukommen?«

Miller schob die Unterlippe vor und kratzte sich am Kopf. »Vermutlich war die Tür schon auf. Es hieß, dass sich vor einiger Zeit eine Gruppe von Jugendlichen hier herumgetrieben hat.«

»Wann und wer, das wissen Sie nicht?«

Er sah mich treuherzig an und schüttelte den Kopf. »Das Objekt hier zu überwachen gehörte nicht zu meinen Aufgaben. Ich bin Hausmeister, kümmere mich um die vermieteten Häuser meiner Auftraggeber.«

Ich reichte ihm zum Abschied meine Visitenkarte mit der Bitte, mich anzurufen, sollte ihm noch etwas einfallen.

***

Die Büros der ehemaligen Hausverwaltung befanden sich in einem so stark renovierungsbedürftigen Gebäude, dass es wenig Gutes für die verwalteten Objekte ahnen ließ.

Sara Barker, Assistentin der Geschäftsleitung stand auf einem Schild, das in ein staubig riechendes, völlig überfülltes Büro gleich im Erdgeschoss wies.

»Egal, was Sie wollen. Ich bin neu hier und muss mich erst orientieren«, begrüßte uns eine schlanke Frau um die dreißig. Sie trug einen schwarzen Pullover und Leggins mit Leopardenprint, ihr mittelblondes Haar war oben auf dem Kopf zu einem unordentlichen Dutt gedreht, der aussah, als könnten Vögel darin nisten.

»Jerry Cotton vom FBI New York.« Ich hielt meine Dienstmarke hoch. »Und das ist mein Kollege Phil Decker.«

»Ach herrje!« Sie sank mit einem Seufzen auf einen Bürostuhl, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte. »Sagen Sie bloß nicht, mein Boss ist mit der Kasse abgehauen. Ich räume hier seit Tagen das Büro auf und habe seither weder ihn noch Geld gesehen.«

»Wir kommen wegen eines Gebäudes, das früher von Ihnen verwaltet wurde«, informierte ich sie und gab ihr die Adresse.

Als Reaktion darauf huschten ihre Augen hin und her über diverse Aktenstapel, die sich auf Tischen, Stühlen und sogar am Boden türmten.

»Das Haus wurde erst kürzlich verkauft«, half Phil der stummen Suche etwas nach.

»Ach so«, murmelte sie, zog eine Schublade auf und begann darin eine hektische Suche.

»Hier ist es!« Sie blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn, nahm ein beschriebenes Blatt Papier aus einem Schnellhefter und reichte es uns. Es war eine Übersicht der Häuser, die die Firma im Vorjahr noch verwaltetet hatte.

Ratlos blickten Phil und ich auf die uns bereits bekannte Adresse.

»Welche Nummer steht neben dem Objekt, um das es geht?« Sara Barker war in einem Nebenraum verschwunden.

Von meinem Standpunkt aus konnte ich hohe Metallregale sehen: das Archiv der Firma also.

Phil nannte ihr die fünfstellige Nummer und wenig später kam sie mit einem dicken Ordner zurück.

»Hier steht alles drin«, brummte sie und tippte mit dem Finger darauf. »Mitnehmen können Sie nichts, aber ich kopiere Ihnen gerne, was Sie brauchen«, fügte sie noch hinzu.

Das Ablagesystem war gewöhnungsbedürftig, dennoch hatten wir nach einigen Minuten die Mieterliste des Abbruchhauses gefunden.

»Das ist es, wonach wir suchen.«

Sara Barker kopierte die Liste für uns. »War das alles?«, fragte sie.

»Vorläufig ja. Wenn wir noch etwas brauchen, melden wir uns.«

Sie verabschiedete uns freundlich, dabei jedoch sichtlich erleichtert, ungestört mit den Aufräumarbeiten in ihrem Büro fortfahren zu können.

»Man hat allen Mietern rechtzeitig gekündigt. Einige sind schon vor einer Weile umgezogen, die Wohnung, in der sich die Tat ereignet hat, wurde bis zum letztmöglichen Auszugstermin vor dem Verkauf von einer Familie Alkmar bewohnt. Es handelt sich dabei um ein Ehepaar mit einem erwachsenen Sohn.« Phil fasste die Informationen auf der Fotokopie noch einmal zusammen, während ich den Jaguar aus der Parklücke herauslenkte.

»Hier steht zwar keine neue Adresse, aber aus dem Dokument geht hervor, dass der Vater, Nazaire Alkmar, ein kleines Geschäft mit Kunsthandwerk hier im Viertel an der Edgecombe Avenue führt«, fuhr mein Partner fort.

»Das ist nicht weit. Am besten, wir fahren gleich mal vorbei.«

Phil nickte und steckte die Fotokopie ein.

***

In der Straße, in der Alkmars Shop lag, wimmelte es jetzt, um die Mittagsstunde, von Leuten. Menschen der unterschiedlichsten Hautfarben, viele davon in bunten Gewändern, andere im angesagten Streetstyle. Ein Straßenmusiker malträtierte seine Gitarre, einige asiatische Touristen fotografierten sich kichernd gegenseitig inmitten des Trubels.

Wir mussten zwei Mal um den Block fahren, bevor ich eine winzige Lücke fand, in der ich den Jaguar parken konnte.

»Hoffentlich kommen wir da wieder raus, ohne die Kühlerhaube zur Ziehharmonika geformt zu haben«, meinte mein Partner. »Das wäre doch schade um unsere Sonderanfertigung.«

»Ich gebe dir recht, aber wenn ich ihn da hineinbugsieren konnte, kommen wir auch wieder raus«, versicherte ich ihm. Von unserem Parkplatz aus waren es circa 200 Yards bis zu dem Geschäft, das wir suchten. Ein kleiner Laden mit einem großen, holzgefassten altmodischen Schaufenster, dessen Scheiben allerdings so blind waren, dass man von außen kaum erkennen konnte, welche Waren hier angeboten wurden.

Wir betraten das Geschäft unter dem melodischen Bimmeln einer Glocke. Phil fing sofort an zu husten und auch mich plagte umgehend ein Kratzen im Hals. Was auch immer hier in der Luft lag, es reizte unsere Atemwege.

»Guten Tag, Gentlemen. Womit kann ich dienen?«

Ein dunkelhäutiger Mann mit schwarzem, kurz geschnittenem Haar war fast lautlos im hinteren Teil des Ladens aufgetaucht. Er ließ den schweren Vorhang, der den Geschäftsraum von dem, was dahinter lag, trennte, wieder an seinen Platz fallen und kam näher.

Nach einem kräftigen Räuspern stellte ich uns vor.

»FBI New York. Wir sind die Agents Jerry Cotton und Phil Decker. Sind Sie Nazaire Alkmar?«

Dem Mann war nicht anzumerken, ob er über unseren Besuch erstaunt war oder nicht. Mit unergründlichem Blick unter leicht gesenkten Lidern sah er uns an, ohne auch nur zu blinzeln.

»Ja, ich bin Nazaire Alkmar«, antwortete er und blieb abwartend stehen.

»Sie haben bis vor einiger Zeit in einer Wohnung in der West 141st Avenue gewohnt, ist das richtig?«

Der Ladenbesitzer nickte stumm.

»Wann waren Sie zuletzt dort?«, klinkte Phil sich ein.

Der Mann schien verblüfft über die Frage.

»Am Tag unseres Auszugs.« Er nannte das Datum, das wir bereits aus den Unterlagen der Hausverwaltung kannten.

Es entstand eine kurze Pause, in der wir uns gegenseitig musterten. Normalerweise fragen die Leute, warum wir bei ihnen auftauchen. Nicht so Alkmar.

»Das Haus sollte abgerissen werden. Wir waren die letzten Mieter, die auszogen«, fügte er seinen Worten lediglich hinzu.

»Ihr Name stammt aus der Karibik?«

Alkmar wandte sich Phil zu und nickte, kaum wahrnehmbar. »Meine Frau und ich sind vor vielen Jahren aus Haiti hierhergekommen.«

»Haben Sie kürzlich Besuch bekommen oder erwartet, jemanden aus Ihrer alten Heimat?«

Alkmars Brauen hoben sich erstaunt. »Nein, Agent Cotton. Für die meisten Haitianer ist es nicht einfach, in die USA zu reisen. Ganz zu schweigen von den Kosten, die hier anfallen. Haiti ist ein armes Land.«

»Dennoch sind zwei Menschen in Ihrer ehemaligen Wohnung gefunden worden, die unseren ersten Erkenntnissen nach von dort stammen. Haben Sie dafür eine Erklärung?«

Alkmar starrte mich erschrocken an.

»Was heißt das, gefunden worden?«

»Sie sind tot. Ermordet«, erklärte Phil.

Alkmar schien verblüfft. Er schüttelte langsam den Kopf. »Das ist ja schrecklich. Es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nichts dazu sagen. Wer sind die beiden?«

Phil und ich tauschten einen kurzen Blick, bevor ich antwortete. »Wir haben sie noch nicht identifiziert.«

Alkmar gab einen undefinierbaren Laut von sich. Ich stellte ihm noch ein paar Fragen, unter anderem nach seiner neuen Adresse. Währenddessen schlenderte Phil ein wenig im Laden herum. Vor einem Regal blieb er längere Zeit stehen. Als ich mich zu ihm umdrehte, verstand ich auch, warum.

»Schöne Perlen«, meinte mein Partner zu Alkmar, der daraufhin zu ihm hinüberging. Phil hielt ein Armband in der Hand, das aus dicken Holzperlen bestand, auf denen sich Kreise, Linien und Punkte in knalligen Farben befanden.

»Handbemalt, jedes Stück ist ein Unikat«, erläuterte Alkmar, in dem nun der Verkäufer erwacht war.

»Hier haben wir Halsketten und Ohrhänger aus demselben Material.« Er zeigte auf einen kleinen Drehständer, an dem die Sachen hingen.

»Wie oft verkaufen Sie so etwas?«, wollte ich wissen.

Er fuhr gedankenverloren über ein Lederband, an dem drei Holzperlen nebeneinander aufgereiht waren.

»Nicht mehr sehr häufig, leider. Ab und zu gibt es einen Schub, wenn Ethnomode propagiert wird. Aber zurzeit tragen die jungen Frauen lieber etwas, das mehr glitzert und blinkt.«

Ich zog mein Smartphone heraus und zeigte Alkmar das Foto der Perle, die man bei der toten Frau gefunden hatte.

»Könnte die von Ihnen sein?«

Er besah sich das Foto lange und intensiv. »Genau kann ich Ihnen das leider nicht sagen. Wenn es hier in New York gekauft wurde, ist es aber sehr wahrscheinlich. Ich kenne keinen anderen Laden, der diese Sachen führt.«

Er gab mir mein Gerät zurück. »Hat es etwas mit Ihrem Fall zu tun?«

»Das wissen wir noch nicht«, gab ich vorsichtig zurück. Ich wollte dem Mann nicht zu viel verraten.

Phil hatte sich entschieden, das Armband mitzunehmen, und fingerte einen Schein aus seiner Tasche. Während Alkmar den Einkauf in eine Tüte packte, schauten wir uns noch ein wenig im Geschäft um. Alkmar bot neben dem üblichen Sortiment wie Masken, Schatullen und Schmuck auch Lederbeutel, Amulette, kleine Lampen, farbige Öle und Trommeln an.

»Wonach riecht es eigentlich hier in Ihrem Laden?«, fragte ich, nachdem Phil die Tüte und das Wechselgeld eingesteckt hatte.

Alkmar sah mich merkwürdig an und zeigte mit dem Kinn auf eine Metallschale im hinteren Bereich des Geschäfts. Darin kokelte etwas vor sich hin.

»Ich räuchere«, antwortete er. »Bevor Sie kamen, hatte ich ein bisschen Räucherkohle angezündet.«

Auf meine Frage, wofür das gut sei, lächelte er kurz. »Man reinigt damit die Luft. Das ist ein alter Brauch, der nicht nur auf Haiti ausgeübt wird, sondern auch in Asien.«

Mein Partner warf mir nach dieser Erklärung einen skeptischen Blick zu und wir verabschiedeten uns vorläufig.

***

»Merkwürdiges Zeug, das einen solchen Gestank verbreitet, dass man husten muss«, kommentierte Phil Alkmars letzte Bemerkung, kaum dass wir wieder auf der Straße standen. In der Tat erschien uns die New Yorker Stadtluft fast schon angenehm nach dieser Erfahrung.

»Hoffentlich ist das bei ihm zu Hause nicht auch so«, ergänzte mein Partner noch. Die neue Wohnung der Alkmars lag nur zwei Querstraßen weiter, und wir beschlossen, zu Fuß zu gehen.

Der Ladenbesitzer hatte uns gesagt, dass wir seine Frau Maite dort antreffen würden. Der gemeinsame Sohn halte sich allerdings seit über einer Woche in Europa auf.

»Wofür ist das Armband? Ein Mitbringsel für die Stewardess?«

Phil grinste kurz und schüttelte den Kopf. »Wir suchen jemanden, der oder die uns etwas zu diesen Perlen sagen kann. An so ein Schmuckstück erinnert man sich besser, wenn man es als Ganzes sieht.«

Maite Alkmar war eine zierliche, gut gekleidete Frau von Ende vierzig, die uns mit nervösem Blick musterte.

»Mein Mann hat soeben angerufen und mich bereits darüber informiert, dass Sie kommen«, begrüßte sie uns. Sie bot uns Platz im Esszimmer des neuen Domizils an und servierte einen hervorragenden Kaffee.

Doch auch das Gespräch mit ihr brachte keine neuen Erkenntnisse.

»Es muss ein Zufall sein, dass die beiden Toten ausgerechnet in unserer ehemaligen Wohnung gefunden wurden«, lautete ihre Vermutung.

Ich schwieg eine Weile, normalerweise ein probates Mittel, um Menschen zum Reden zu bringen. Maite Alkmar war das Schweigen sichtlich unangenehm, ihre Finger verknoteten sich ununterbrochen ineinander, und ihre Blicke wanderten in schnellem Wechsel von Phil zu mir und wieder zurück. Aber sie sagte nichts. Bis Phil etwas aus seinem Jackett zog.

»Mistress Alkmar, können Sie mir sagen, was das hier ist?«

Die Augen der Frau weiteten sich und sie presste kurz die Fingerspitzen ihrer rechten Hand auf den Mund.

»Das … das ist eine Nadel. Wo haben Sie sie her?«

Verblüfft schaute ich auf das, was Phil in der Hand hielt. Wie eine normale Nadel sah das Teil nicht aus, dafür war es viel zu lang und zu dick.

»Das haben wir gefunden. Noch kann ich Ihnen nicht sagen, wo.«

Maite Alkmar starrte meinen Partner einen Moment lang erschrocken an. Dann richtete sie sich auf und strich sich kurz über die Stirn.

»Ich kenne eine solche Nadel nicht«, sagte sie mit schleppender Stimme.

Wenig später verabschiedeten wir uns, ohne noch irgendetwas erfahren zu haben.

»Was war das denn eben?«

Phil schaute nachdenklich vor sich hin, als er antwortete. »Diese Nadel habe ich vorhin im Laden von Alkmar gefunden. Sie lag am Boden, halb unter einem der Verkaufstische verborgen.«

»Und du hast das Ding einfach mitgehen lassen?«

Phil antwortete nicht gleich.

»Jerry, was fällt dir denn ein, wenn du an Haiti denkst?«

»Armut, Naturkatastrophen, instabile politische Verhältnisse«, zählte ich auf.

»Und – Voodoo«, ergänzte Phil.

»Stimmt. Daran habe ich auch schon gedacht. Aber ich wollte nicht schon mit einer festen Vermutung an den Fall rangehen, auch wenn die herausgeschnittenen Zungen doch sehr merkwürdig sind.«

»Genauso geht es mir auch. Aber Alkmar verkauft in seinem Laden diese Nadeln, und genau die benutzt man für Rituale.«

»Dann verkauft Alkmar nicht nur Handwerkskunst, sondern womöglich auch Zubehör für diesen Voodoo-Kult?«

»Sieht ganz so aus, Jerry. Oder aber er hat sich die Sachen besorgt, um selbst tätig zu werden. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses komische Räucherwerk auch etwas damit zu tun hat.«

Maite Alkmar hatte uns auf jeden Fall nicht die Wahrheit gesagt. Selbst wenn sie nichts mit Voodoo am Hut hatte, die Utensilien dafür waren in ihrer Heimat jedem bekannt.

***

Als Nächstes stand ein Gespräch mit Henry Picker auf unserem Plan. Er war zwar erfreulicherweise unserer Vorladung ins Field Office gefolgt, schaute aber reichlich unbehaglich drein, als wir dort in einem Befragungsraum mit ihm zusammentrafen.

»Gibt es eine Belohnung?«, fragte er mit rauer Stimme und unruhigem Blick. Daher wehte also der Wind! Wir klärten ihn freundlich über seine Bürgerpflicht uns zu helfen auf, bevor wir die Befragung begannen. Das Gespräch verlief stockend, aber schließlich gelang es uns, dem Mann Informationen zu entlocken, die er bei der ersten Vernehmung durch Beamte des NYPD nicht angegeben hatte.

Picker gab an, die geöffnete Souterraintür zu dem Abbruchhaus erst etwa eine Woche zuvor entdeckt zu haben.

»Jemand war da schon drin gewesen«, erklärte er. Dieser Jemand hatte in der gegenüberliegenden Wohnung seinen Schlafplatz gehabt und aus unerfindlichen Gründen geräumt, bevor unser Zeuge das Haus für sich entdeckte.

»In einer Nacht ging ich nicht in meinen Unterschlupf«, fuhr Picker fort und kratzte sich ausgiebig am Kopf, bevor er erklärte, warum.

»Eine Gruppe von jungen Leuten hat in der Nachbarwohnung eine Party gefeiert. Alle schwarz gekleidet, die Gesichter weiß.«

»Gothics?«

Picker sah Phil unsicher an, bevor er nickte. »Ja, könnte sein. Ich habe ein paar von denen reingehen sehen und mich zunächst im Kellerabgang verborgen. Sie haben merkwürdige Musik gehört und …« Er stockte kurz, bevor er weitersprach, immer noch sichtlich beunruhigt. »Es gab noch etwas, hörte sich an wie ein Wimmern.«

»Was lief da genau ab?« Ich spürte, wie ich nervös wurde.

Picker schüttelte den Kopf. »Mehr weiß ich nicht. Mir wurde ehrlich gesagt himmelangst, als ich merkte, was da stattfand. Auf keinen Fall wollte ich in etwas hineingeraten. Leute wie ich werden manchmal angegriffen, Sie wissen schon.«

»Sie hatten also Angst, Sie könnten angegriffen werden, und haben die Nacht woanders verbracht?«

»Ja, Agent Cotton. Bin erst am nächsten Abend wieder dorthin. Hatte ja noch meine Sachen dort.«

Die unheimlichen Partygänger hatten zwei schwarze Kerzenstummel zurückgelassen, die Picker eingepackt hatte.

Wieder geriet das Gespräch ins Stocken. Phil und ich mussten unsere ganze Verhörkunst aufbringen, bis unser Zeuge mit einem weiteren Detail herausrückte.

»Sie hatten mit Kreide etwas auf den Boden gemalt«, murmelte er. Was genau es war, erschloss sich erst, als wir ihn aufzeichnen ließen, was er entdeckt hatte.

»Ein Pentagramm!« Ich fuhr zu Phil herum, der mit vorgeschobener Unterlippe nachdenklich auf Pickers krakelige Zeichnung sah.

»Warum haben wir nichts Derartiges gefunden?«, wollte mein Partner wissen.

Dieses »Zeug«, wie Picker es nannte, hatte ihm so ein Unbehagen eingeflößt, dass er es weggewischt hatte!

***

»Gothic Freaks sind meines Wissens zwar merkwürdig, aber nicht gefährlich. Was aber, wenn es sich um eine ganz andere Gruppierung handelt?«

Phil und ich saßen bei unserem Stammitaliener, dem Mezzogiorno, um den Arbeitstag ausklingen zu lassen. Trotz der Geräuschkulisse aus Gesprächsfetzen und Geschirrklappern um uns herum unterhielten wir uns mit gedämpfter Stimme.

»Du meinst Satanisten?« Phil sah nicht überrascht aus. »Schwarze Kerzen, ein Pentagramm, düstere Musik – das könnte passen. Dann frage ich mich schon die ganze Zeit, was es mit dem Wimmern auf sich hat.«

Aus Picker hatten wir nichts mehr herausbekommen. Das Wimmern, da war er sich sicher, stammte nicht von einem erwachsenen Menschen. Auch war der zeitliche Abstand zu unserem Doppelmord zu groß, als dass man hier einen direkten Zusammenhang vermuten könnte.

»Was aber, wenn diese Gruppe am Sonntag zurückgekommen ist? Entweder mit dem Paar zusammen, oder sie haben sie dort angetroffen. Dann kam es zu dem Mord. Aus Gründen, über die ich momentan gar nicht nachdenken will. Nur, was wollten die beiden in dem Abbruchhaus?«

Phil überlegte.

»Dr. Blaisdel sagte doch, man habe Spuren von Drogen dort gefunden. Aus Pickers erster Vernehmung wissen wir, dass das Haus zumindest kurzzeitig als Umschlagplatz genutzt wurde. Was, wenn unsere Toten mit der Satanistengruppe gar nichts zu tun hatten? Vielleicht waren sie doch Dealer und hatten dort ein Versteck? Sie sind den falschen Leuten in die Arme gelaufen und – den Rest kennen wir.«

»Dazu würden die Folterspuren passen. Jemand wollte etwas aus ihnen herauspressen.«

»Könnte sein.«

Unser Gespräch wurde unterbrochen, als ein Kellner uns das Essen servierte. Während wir uns mit gutem Appetit darüber hermachten, zogen wir noch die eine oder andere Möglichkeit in Erwägung, bevor wir mit der Arbeit für diesen Tag endgültig Schluss machten und nach Hause fuhren.

***

»Guten Morgen, Agent Cotton. Hier spricht Carla Johnson von der amerikanischen Botschaft in Port-au-Prince. Sie hatten gestern eine Anfrage an uns geschickt.«

Die Stimme am anderen Ende des Telefons klang freundlich und warm.

»Es gab im fraglichen Zeitraum nur ein Paar, auf das alle Merkmale Ihrer Suche zutreffen. Es handelt sich um ein Ehepaar, das vor wenigen Tagen mit einem Touristenvisum nach New York gereist ist.«

Sie nannte mir die Namen und sagte, sie schicke das und noch weitere Details per E-Mail.

»Weshalb ich Sie anrufe – ist den Leuten etwas passiert?«

Wir hatten den Grund unserer Anfrage so allgemein wie möglich gehalten. Nun hörte ich echte Besorgnis in Miss Johnsons Frage mitklingen.

»Kannten Sie die beiden persönlich?«, wollte ich daher von der Frau zunächst wissen.

»Nicht direkt. Sie waren hier in der Stadt bekannt dafür, als örtliche Verbindungsleute eine der Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützten. Ich weiß nur, dass sie es ziemlich eilig hatten mit dem Visum, das fiel mir auf.«

Als ich Carla Johnson über den Tod des Paares aufgeklärt hatte, mit der dringenden Bitte, diese Information vertraulich zu behandeln, schwieg sie betroffen.

»Wenn ich Sie unterstützen kann bei Ihrer Arbeit, jederzeit gerne«, sagte sie und ich nahm sie beim Wort und bat sie, mir nach den offiziellen Daten sowie Fotos der Ermordeten noch ein paar Informationen über den Voodoo-Kult in Haiti zu schicken.

Wenige Minuten später hatte ich dann auch schon das angekündigte Dossier aus Haiti auf meinem Bildschirm.

»Bei unseren Toten handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um das Ehepaar Evelyne und Francklyn Saint Hilaire«, las ich laut vor. Phil hatte es sich auf seinem Bürostuhl gemütlich gemacht und kaute auf einem Bleistift herum.

»Sie sind vor zwei Tagen nach New York gekommen. Als Kontaktadresse hier haben sie ein Apartment im Theater District angegeben.«

»Sie haben hier Bekannte besucht. Warum dann keine Vermisstenanzeige?«

»Werden wir herausfinden. Miss Johnson hat noch ein paar erklärende Worte dazu geschrieben. Demnach gehört das Ehepaar eher zur Mittelschicht und hat mit seiner Tochter in einer der besseren Gegenden etwas außerhalb von Port-au-Prince gewohnt.«

»Wissen die Angehörigen schon Bescheid?«

»Nein, Phil. Ich bin mit Miss Johnson so verblieben, dass wir erst einmal klären, ob es sich wirklich um die Saint Hilaires handelt.«

»Dann überprüfen wir doch gleich mal die New Yorker Adresse, die sie angegeben haben.« Phil legte den Bleistift weg. Er schnappte sich sein Jackett und ich tat es ihm gleich.

***

Der Mann, der uns die Tür des Apartments öffnete, wirkte mit seinen kreuz und quer stehenden Haaren, den verquollenen Augen und dem dunklen Bartschatten ziemlich unausgeschlafen.

Wir wiesen uns aus und fragten nach der Mieterin des Apartments, Miss Valentin.

»Sophie? Die ist nicht da«, brummte er und blickte missmutig vor sich hin. Auf die Frage, wo sie sei und wann er sie zurückerwarte, zuckte er zunächst gleichgültig die Schultern. Dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht.

»Heute nicht und morgen auch nicht«, nuschelte er, bevor er uns hereinbat. Das Apartment war klein und nur mit dem Nötigsten eingerichtet. In dem Zimmer, in das wir dem Mann folgten – er hatte sich uns inzwischen als Serge Audran vorgestellt –, fiel mein Blick sofort auf die dunkel gerahmten, großformatigen Schwarz-Weiß-Fotos, die überall an den weiß gekalkten Wänden hingen.

Es waren ausnahmslos Aufnahmen von Menschen, wie man sie aus den Krisenregionen dieser Welt kannte. Die Verbindung erschloss sich uns sofort, als Serge uns erzählte, dass Sophie diese Fotos geschossen hatte und wo die junge Frau arbeitete.

»Sie ist für eine Hilfsorganisation ständig unterwegs. Zurzeit hält sie sich in Haiti auf. Wie lange genau dieser Einsatz noch dauert, weiß sie selbst noch nicht. Solange die Spendengelder reichen, heißt es ziemlich vage.«

Serge griff nach einer zerdrückten Zigarettenpackung, zog eine Filterlose heraus, klopfte sie auf dem Daumennagel fest und zündete sie an. Eine starke, krautige Duftwolke schwebte durch die Luft und erinnerte mich an die Räucherkugeln in Nazaire Alkmars Laden.

»In welcher Verbindung stehen Sie zu Miss Valentin?« Phil wedelte den Rauch beiseite, während er sprach.

»Sophie ist meine Cousine. Unsere Mütter sind Schwestern, stammen aus Frankreich. Mein Onkel ist Schweizer, er war im diplomatischen Dienst, und Sophie ist hier in den Staaten zur Welt gekommen, hat aber einen großen Teil ihrer Jugend in der Schweiz verbracht. Seit einigen Jahren lebt sie wieder hier und arbeitet für diese Organisation. Weil sie so gut französisch spricht, setzt man sie gerne in Gebieten ein, in denen das die Landessprache ist. So wie jetzt auf Haiti.«

Serge besuchte seine Cousine häufig. Offensichtlich auch, wenn sie nicht da war.

»Ich habe den Schlüssel zum Apartment und sie lässt mich hier wohnen, wann immer ich in New York bin.«

»Sagen Ihnen die Namen Evelyne und Francklyn Saint Hilaire etwas?«

Serge zog den Zigarettenrauch tief in die Lunge und stieß ihn heftig wieder aus, bevor er den Kopf schüttelte. »Sorry, Leute, nie gehört.«

»Können Sie sich erklären, warum die beiden diese Adresse als Aufenthaltsort angaben, als sie in die Staaten einreisten?«

Serge zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Sophie hat nichts davon gesagt, dass noch jemand kommt. Wäre auch ein bisschen eng hier, zu dritt.« Seine Blicke wanderten durch die zwei kleinen, ineinander übergehenden Räume. Außer dem zurzeit noch ungemachten Bett und der großen Couch, auf der Serge saß, gab es keine Schlafgelegenheiten.

»Dann müssen wir Ihre Cousine kontaktieren.« Phil zog einen Notizblock aus der Tasche. »Geben Sie uns bitte ihre Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse.«

Serge ratterte beides herunter. »Klappt aber nicht immer«, fügte er noch hinzu. »Die Verbindungen auf und von der Insel sind, gelinde gesagt, Glückssache.«

***

Carla Johnson konnte es kaum erwarten, nach dem Telefonat mit dem FBI-Agent die Botschaft zu verlassen. Doch so eilig sie es auch hatte, sie war gezwungen gewesen, vorher noch einige Dinge in ihrem Büro zu erledigen. Danach eilte sie mit weit ausholenden Schritten die Straße entlang, über den Boulevard 15 Octobre hinunter und bog nach Osten in die Rue Flerio ab, vorbei an zu Schutt zerfallenen Gebäuden und behelfsmäßigen Baracken.

Sie wollte zum Büro der Hilfsorganisation, für die ihre Freundin Sophie arbeitete. Die Straßen waren voller Menschen. Überall boten Straßenverkäufer ihre Ware an, Frauen saßen hinter großen Körben voller Obst und Gemüse, Kinder und Halbwüchsige drückten sich herum. Hier und dort standen Männer in kleinen Gruppen zusammen, sie lachten, rauchten, musterten die Vorübergehenden. In der Luft lag ein Geruch aus Gebratenem, Motorradabgasen und menschlichen Ausdünstungen.

Die Räume der Hilfsorganisation waren eher spärlich eingerichtet. Es war warm dort und es lag so etwas wie Resignation in der Luft. Carla Johnson wusste, warum. Die Spendengelder, von denen das Projekt bezahlt wurde, waren fast aufgebraucht, ohne dass auch nur annähernd erreicht worden war, was man sich nach der letzten Naturkatastrophe an Aufbauarbeiten vorgenommen hatte.

»Sophie?« Carla stürmte in das Büro, das sich ihre Freundin mit zwei anderen Mitarbeitern der Hilfsorganisation teilte.

Die Angesprochene, eine blonde, sehr hellhäutige junge Frau, schaute erstaunt auf.

»Wir müssen reden. Dringend. Kommst du?« Carla wusste, dass sie sich leicht hysterisch anhörte. Irgendwie war sie das auch. Sophie bedeutete ihren beiden Kollegen, sie sei in Kürze wieder zurück, und begleitete Carla vor die Tür.

»Was ist los?«, wollte sie wissen.

»Evelyne und Francklyn. Ich fürchte, es ist ihnen etwas passiert.« Carla flüsterte den Satz dicht an Sophies Ohr.

»Das FBI hat bei uns eine Anfrage gestellt. Das bedeutet nichts Gutes.«

Sophie blickte ihre Freundin erschrocken an.

»Streng genommen darf ich dir das alles gar nicht sagen«, sprudelte es aus ihr heraus. »Aber sie haben ja deine Adresse als Kontaktadresse in New York angegeben.«

Ein langes, lastendes Schweigen war die Antwort.

»Ach das«, antwortete Sophie betont gleichmütig. »Das ist meine geringste Sorge. Kann mir ja niemand verbieten, mein Apartment guten Bekannten zur Verfügung zu stellen.«

Carla sah ihre Freundin mit gerunzelter Stirn an.

»Wusstest du, was die beiden dort wollten? Sie haben unheimlich Druck gemacht mit dem Visum, wären am liebsten von heute auf morgen in die USA geflogen.«

Sophie zog ihre Unterlippe ein und begann, daran zu nagen. Ihr Blick hatte etwas Vorsichtiges bekommen.

»Sie wollten Bekannte besuchen. Es ging wohl um eine große Familienfeier. So genau weiß ich es nicht«, antwortete sie und es klang ausweichend.

Carla Johnson spürte, dass die Freundin ihr nicht die Wahrheit sagte, und fragte sich, was der Grund dafür sein mochte.

»Ich muss wieder rein«, sagte Sophie.

»Dann komm doch heute Abend auf ein Glas Wein bei mir vorbei«, schlug Carla vor. Sophie nickte und fasste ihre Besucherin sanft am Ellbogen, um sie zur Tür zu begleiten. Die Amerikanerin war so verblüfft, dass sie gar nichts mehr dazu sagte.

»Gut, bis heute Abend«, stimmte sie dann zu und trat, verwirrt über das merkwürdige Verhalten ihrer Freundin, auf die Straße hinaus, um in ihr Büro zurückzukehren.

Sophie Valentin ging sofort, nachdem Carla Johnson sie verlassen hatte, zu ihrem Vorgesetzten, um sich für den Rest des Tages freizunehmen.

»Eine dringende private Angelegenheit«, teilte sie ihm mit. Der Mann, ein grauhaariger Texaner, der sich bereits sein halbes Leben lang in Krisengebieten aufhielt, hatte nichts dagegen.

Sie war so eilig verschwunden, dass sie sogar vergessen hatte, ihren Computer auszuschalten. Als der Teamleiter an diesem Nachmittag noch einmal an ihrem Schreibtisch vorbeiging, blinkte das Nachrichtensymbol. Er dachte sich nichts dabei, die Mails abzurufen. Es ging hier schließlich um berufliche Belange. Eine Nachricht jedoch irritierte ihn gewaltig.

»FBI?«, murmelte er, nachdem er sie gelesen hatte.

»Was wollen die denn von Sophie?«

***

Auch wenn wir noch nicht wirklich etwas Greifbares hatten, erwies sich die Verbindung zu Sophie Valentin als eine ganz heiße Spur.

»Sie wird die beiden gekannt haben, hat ihnen ihre Anschrift als Kontaktadresse für das Visum zur Verfügung gestellt. Entweder hat sie nicht geahnt, dass ihr Cousin gerade jetzt auftaucht, oder sie hat gewusst, dass die Saint Hilaires dort nicht erscheinen würden. Wenn wir Glück haben, kann sie uns sagen, wohin die beiden wirklich wollten.«

Doch vorläufig forderte uns bei jedem Versuch, Sophie Valentin zu erreichen, eine Computerstimme auf, später noch einmal anzurufen, der Teilnehmer sei nicht erreichbar. Ich schickte ihr eine E-Mail und bat sie, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

Wir nutzten die Zeit, uns in unserem Büro in den alten Fall aus New Orleans zu vertiefen. Während Phil die Informationen durchsah, die inzwischen über unseren Computer abrufbar waren, ging ich die Akte durch, die mit einem Kurierdienst eingeflogen worden war.

Der Tote stammte aus Haiti. Er war aber, im Gegensatz zu den Saint Hilaires, vor Jahren offiziell eingewandert. In New Orleans hatte er in einem Schlachthof gearbeitet, er hatte allein gelebt und war niemals auffällig geworden. Bis man ihn eines Montagmorgens an seinem Arbeitsplatz gefunden hatte: misshandelt, an einen Stuhl gefesselt, die Zunge abgetrennt. Die Todesursache war ein gezielter Stich mitten ins Herz gewesen.

»Auch der Tatort damals dürfte für die Spurensicherung der reinste Albtraum gewesen sein«, murmelte ich, als ich die Fotos sah. Ein großer, weiß gekachelter Raum. Überall Blutspritzer und große Wannen mit rohem Fleisch. Mittendrin der Getötete, dessen Blut sich am Boden mit dem des geschlachteten Viehs vermischt hatte.

»Jemand muss gewusst haben, dass sich sonntags dort niemand aufhält und es keine Überwachung gibt«, konstatierte Phil.

»Der Junge hatte einen Schlüssel?«, fragte ich.

»Nee, das nicht.« Phil schüttelte den Kopf. »Hier steht, er habe sich einschließen lassen. Er muss mit seinem Mörder verabredet gewesen sein, ihm die Tür geöffnet haben.«

»Warum, glaubst du, hat ihn der Mörder dort sitzen lassen? Sieht doch ganz so aus, als sei das Absicht gewesen.«

»Wenn du mich so fragst, Phil: Ich denke, an dem Mann wurde ein Exempel statuiert. Sein Tod sollte als Abschreckung dienen. Sobald wir wissen, für wen und warum, können wir womöglich eine Verbindung zu unserem toten Paar herstellen.«

***

Den restlichen Tag verbrachten wir damit, die anderen ehemaligen Mieter des Abrisshauses unter die Lupe zu nehmen. Dabei fiel uns auf, dass es mindestens noch drei weitere Familien gab, die von der Insel Hispaniola stammten. Zwei kamen, wie die Alkmars, aus Haiti, eine andere aus der Dominikanischen Republik.

»Was, wenn der Fundort der Leichen nur zufällig die ehemalige Wohnung der Alkmars war? Die oberen Stockwerke sind nicht mehr begehbar. Wenn noch mehr Haitianer in dem Haus gelebt haben, ist die Verbindung eventuell dort zu suchen und nicht in einer der zwei noch zugänglichen Wohnungen.«

Phil konnte recht haben mit seiner Vermutung. Anhand der Liste, die wir von Sara Barker bekommen hatten, gingen wir die einzelnen ehemaligen Bewohner des Hauses durch und fingen bei denen an, deren neue Adressen bereits vorlagen. Wir bestellten alle für den kommenden Tag ins Field Office, wo sie befragt werden sollten. Als wir unsere Arbeit beendet hatten, war es bereits dunkel.

Hundemüde fuhren wir nach Hause.

***

Das penetrante Brummen meines Mobiltelefons holte mich aus einem tiefen und traumlosen Schlaf.

»Agent Cotton?« Die Männerstimme am anderen Ende klang gedämpft.

»Am Apparat«, murmelte ich.

Meine Uhr zeigte ein Uhr morgens an.

»Hier ist Mark Miller.«

Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es sich um den Mitarbeiter des Facility Management handelte, der uns am Vormittag ins Abbruchhaus begleitet hatte.

»Sie sagten doch, ich solle anrufen, wenn was ist.«

Schlagartig war ich so hellwach, als habe mir jemand einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf gegossen.

»Richtig, um was geht es?«

Ich war schon aus dem Bett und angelte nach meinen Socken.

»In dem Haus ist jemand«, klärte er mich über den Grund seines Anrufs auf.

»Wissen Sie, wer das ist?«

»Nein. Es dringt ein leichter Lichtschein aus einer der Wohnungen. Kerzen, wenn Sie mich fragen, es flackert.«

»Wie ist das möglich?«

Mein Gesprächspartner murmelte etwas, das sich verdammt danach anhörte, die Tür sei erneut aufgebrochen worden.

Ich unterdrückte einen Fluch.

»Bin da, so schnell ich kann. Gehen Sie nicht rein, bleiben Sie draußen und warten Sie auf uns. Falls sich etwas tut, jemand das Haus verlässt oder betritt, rufen Sie mich wieder an.«

Ich wartete nicht auf Antwort, sondern beendete das Telefonat, um Phil anzurufen. Dann sprintete ich kurz ins Bad, bevor ich mich in Windeseile anzog. Wenige Minuten später sprang mein Partner an einer Straßenecke nahe seiner Wohnung in den Wagen.

Mark Miller trat zwischen zwei geparkten Autos auf die Straße in das Scheinwerferlicht des Jaguar und gab uns mit der Hand ein Zeichen, vor seinem Wagen einzuparken.

»Ich hatte den Auftrag, heute Abend das Haus zu kontrollieren«, ließ er uns leise wissen, nachdem wir ausgestiegen und zu ihm getreten waren.

»Aber ein Wasserschaden in einem der anderen Häuser hat mich sehr lange aufgehalten. Danach habe ich in einem Diner etwas gegessen. Als ich hier ankam, war es Mitternacht. Da habe ich es gesehen.«

Er deutete nach oben. Sämtliche der Straße zugewandten Fenster des Hauses waren schwarz und leer. Nur in einem flackerte ein schwaches, gelbes Licht.

»Kerzen«, raunte Phil.

»Warum haben Sie mich erst eine Stunde später angerufen?«, wollte ich wissen.

»Ich habe die Zugänge überprüft und festgestellt, dass die Tür zum Souterrain wieder geöffnet worden war.«

»Waren Sie drin?«

Miller fuhr sich mit einer verlegenen Geste durchs Haar. Dann nickte er. »Im Erdgeschoss. Habe Stimmengemurmel gehört. Junge Leute, wenn Sie mich fragen. Sie haben nach einer Weile einen Singsang angestimmt, dass es mir kalt den Rücken runtergelaufen ist. Und dann …«, er stockte kurz, bevor er weitersprach. »… war da noch so ein Geräusch. Hörte sich an wie ein Wimmern.«

»Könnte es von einem Erwachsenen stammen? Oder von einem Tier?« Phil sah Miller aufmerksam an.

Der schüttelte den Kopf. »Eher wie von einem Kind. Einem sehr kleinen Kind, wenn Sie mich fragen.«

Alarmiert blickten wir uns an.

»Lass uns reingehen«, forderte Phil mich auf. Wir zogen unsere Dienstwaffen und sagten Miller, er solle vor dem Haus bleiben und sich nicht vom Fleck rühren.

Im Untergeschoss war es stockdunkel, sodass wir uns nur im Licht einer kleinen Taschenlampe bewegen konnten. Es roch modrig, erst im Erdgeschoss wurde es etwas besser. Von weiter oben zog frische, kalte Nachtluft herein und ich erinnerte mich an das große Loch in der Wand. Gleichzeitig kitzelte noch etwas anderes meine Nase: etwas, das mich an die Räucherkohle im Geschäft von Nazaire Alkmar erinnerte.

Dunkles, vielstimmiges Summen drang zu uns herab. So, als ob ein Dutzend Menschen versuchten, sich gemeinsam auf eine Tonart einzustimmen. Obwohl man uns dort aufgrund dieses Geräuschpegels nicht hören konnte, setzten wir unsere Schritte vorsichtig.

Überall auf den Stufen lagen kleine Steinbrocken und dicker Staub herum. Dazwischen sah man die Fußspuren derjenigen, die sich im Stockwerk über uns versammelt hatten.

Am Treppenansatz angekommen, blieb ich kurz stehen. Phil war direkt hinter mir und nickte mir knapp zu.

Die SIG im Anschlag, schob ich mich auf den Gang. Die Tür zur ehemaligen Wohnung der Alkmars war noch versiegelt. Jemand hatte zudem zwei lange Bretter in Form eines großen X an die Türfüllungen genagelt.

In der Wohnung gegenüber war das Siegel zerrissen. Die Tür stand einen kleinen Spaltbreit offen. Hier konnte man das Tanzen des Kerzenlichts deutlich sehen. Inzwischen war auch das vielstimmige Summen lauter angeschwollen, untermalt von einer düsteren Musik. Und mitten in dieser Geräuschkulisse konnte man es hören: das Wimmern und Weinen eines Kindes.

Dann verstummten das Summen und die Musik urplötzlich. Phil sah mich überrascht an. »Haben sie uns gehört?«, schien sein Gesichtsausdruck zu sagen. Doch nichts dergleichen schien der Auslöser für die Veränderung zu sein. Aus dem Inneren des Raumes drang eine Stimme zu uns heraus.

»Wir rufen dich«, rief eine Stimme, die tief und rau war, aber dennoch einem jungen Mann zu gehören schien.

»Zeige dich uns, deinen ergebenen Dienern«, fuhr er fort. Ich bewegte mich ganz vorsichtig auf die Tür zu. Nun konnte ich einen Blick ins Innere werfen.

Ungefähr ein Dutzend Menschen, alle schwarz gekleidet, hockten im Kreis auf dem Boden. In ihrer Mitte war ein Pentagramm aufgezeichnet, in dessen Zentrum stand eine flache Metallschale, aus der schwacher Rauch aufstieg. Ein holziger, scharfer Geruch lag in der Luft. Mehrere schwarze Kerzen bildeten die einzige Lichtquelle im Raum.

Mir gegenüber stand der Sprecher der Gruppe. Ein jüngerer Mann, der schwere Stiefel und einen schwarzen Umhang trug. Seine Kapuze lag auf dem dunklen, halblangen, lockigen Haar, das er offen trug. Er sah mich nicht, denn er hielt den Blick auf den Boden gerichtet. Als ich diesem Blick folgte, wurde mir heiß und kalt.

Vor ihm am Boden stand ein altmodischer, geflochtener Kinderkorb, aus dem auch das Wimmern drang. Der Korb war so klein, dass nur ein Baby darin Platz haben konnte. Das halbrunde Kopfteil war hochgezogen, sodass ich von meinem Standort aus nicht hineinsehen konnte. Das Kind darin schien zu spüren, in was für einer Situation es sich befand, denn nun schwoll sein ängstliches Wimmern an zu einem lauten Weinen. Dem Sprecher der seltsamen Gruppe entlockte das Geräusch nur ein kaltes Lächeln.

Er beugte sich leicht nach vorne, und eine schon fast greifbare Nervosität machte sich im Raum breit.

»Komm und nimm unser Opfer an!«, forderte er und zog mit der Linken ein langes, scharfes Messer aus dem weiten Ärmel seines Umhangs.

***

»FBI! Keiner rührt sich!«

Mit einem kräftigen Fußtritt gegen die Tür hatte ich mir Zutritt zu dem Raum verschafft. Der Mann mit dem Messer sah mich mit weit aufgerissenen Augen an. Wen immer er erwartet hatte, ich war es nicht.

»Hände nach oben, alle an die Wand!« Ich schrie diese Worte förmlich in den Raum. Phil war wie ein Schatten neben mir aufgetaucht, und einer der Anwesenden, ein junger Mann mit zum Pferdeschwanz gebundenem Haar, der wohl in der Absicht zu fliehen auf die Tür zugetreten war, zog sich wieder zurück beim Anblick unserer Waffen.

Alle anderen blickten stumm und verständnislos auf uns.

»Los jetzt, umdrehen, Hände nach oben, an die Wand, Beine auseinander.«

Es waren dreizehn Leute in der Wohnung. Und das Kind. Einige der Schwarzgekleideten versuchten herauszufinden, was ihr Anführer meinte tun zu müssen. Noch immer hielt er das Messer in der Hand.

»Was wollen Sie von uns, wir machen doch nichts Ungesetzliches«, fragte er träge und schob sich mit der Rechten die Kapuze vom Kopf.

»Sie meinen, außer dass Sie in ein Abbruchhaus eindringen und schwarze Messen abhalten?«

Noch stand er zu nahe an dem Kinderkorb und ich war zu weit weg, um ihn mit einem Schlag zu überwältigen, sollte er dem Baby etwas antun wollen.

»Ach das.« Er machte eine wegwerfende Handbewegung. Aus den Augenwinkeln heraus betrachtete er seine Anhänger, die inzwischen von Phil mit eindeutigen Gesten an die Wand zurückgedrängt worden waren. Einige drehten sich brav um, andere schienen unsicher.

»Schieben Sie mir den Korb herüber. Schön langsam«, forderte ich mein Gegenüber nun auf. Der schaute vor sich hin, dann nahm sein Gesicht einen listigen Ausdruck an.

»Das Leben des Kleinen für Sie, freier Abzug für uns«, forderte er.

»Was glauben Sie, mit wem Sie es zu tun haben«, blaffte ich ihn an. Ich hätte natürlich schießen können. Aber dann wären im Raum Panik und Chaos ausgebrochen. Phil hatte bereits Verstärkung angefordert, aber bis die da sein würde, musste ich versuchen, Ruhe zu bewahren, ohne den inzwischen laut weinenden Kleinen zu gefährden.

»Wie heißen Sie?«, wollte ich von dem Mann mit dem Messer wissen.

»Lucas. Lucas Hell.« Er grinste mich unverschämt an. »Den Nachnamen habe ich mir selbst verpasst.«

Ich hätte ihm am liebsten etwas ganz anderes verpasst und spürte, wie sich meine Kiefer unwillkürlich zusammenpressten. Im selben Moment erklang vor dem Haus das charakteristische Sirenengeheul von Streifenwagen, Rotlicht zuckte über die Wände des Zimmers. Die Cops waren da.

Nun kam eine unruhige Bewegung in die seltsame Truppe. Der mit dem Pferdeschwanz versuchte erneut, an Phil vorbei durch die Tür zu kommen, wurde von meinem Partner aber ohne große Mühe mit einem Faustschlag gestoppt. Der verhinderte Flüchtling landete mit einem lauten Fluch unsanft auf dem Boden. Im selben Moment griff sich Lucas den Korb mit dem weinenden Kind und hielt es mit der Rechten vor sich, das Messer in der Linken erhoben.

»Sie werden nicht auf mich schießen!«, schrie er dabei.

Ich überlegte blitzschnell. Wenn er nun mit dem Kind als lebendem Schutzschild die Treppen hinunter flüchtete, konnte es passieren, dass einer der von dem Baby nichts ahnenden Cops das Kind gefährdete.

»Bleiben Sie, wo Sie sind«, forderte ich ihn auf. Von unten drang nun das Geräusch schneller Schritte herauf.

Ich ließ meine Waffe sinken und schob sie zurück ins Holster, warf Phil einen kurzen Blick zu. Er tat es mir nach einem Augenblick gleich.

Dann lenkte ich die Aufmerksamkeit von Lucas wieder auf mich, während Phil den Kollegen zurief, sie sollten draußen warten. Die Gruppe an der Wand war bereits wieder sehr unruhig geworden. Doch Phils und meine Aufmerksamkeit galt Lucas.

Die anderen würden nicht weit kommen, sollten sie jetzt versuchen zu fliehen. Inzwischen standen mindestens drei Streifenwagen vor dem Haus, das praktischerweise nur noch über einen einzigen Zugang verfügte. Die Cops vom NYPD würden die Mitglieder der Gruppe einfach an der Tür einsammeln, eines nach dem anderen.

»Lucas, lassen Sie das Kind los. Stellen Sie den Korb ab und wir können über alles reden. Noch haben Sie sich keines wirklichen Verbrechens schuldig gemacht.«

Ich trat einen Schritt auf ihn zu und hob eine Hand, als wolle ich das Kinderkörbchen in Empfang nehmen. Lucas beobachtete meine Bewegung angespannt.

Auf diesen Moment hatte Phil gewartet, der seitlich von dem jungen Mann stand. Er war mit einem Schritt bei Lucas und riss ihm den Korb aus den Händen. Noch bevor der begriff, war auch ich bei ihm. Meine Hand klammerte sich um seine Linke und schlug sie so kräftig gegen die Wand, dass er mit einem Schmerzenslaut das Messer fallen ließ.

Doch noch gab er nicht auf. Er trat mit einem seiner schweren Stiefel nach mir, ein heftiger Schmerz durchzuckte mein Schienbein, während er versuchte, mich mit der Rechten von sich wegzuschieben.

»Jetzt reicht’s«, knurrte ich und verpasste ihm einen gezielten Schlag direkt aufs Kinn. Sein Kopf zuckte zur Seite und ich packte ihn, drückte ihn nach unten und riss gleichzeitig seinen linken Arm nach oben. Wenige Augenblicke später hatte ich ihm Handfesseln angelegt.

***

Das Kind hatte immer noch geschrien, daher hatte ich verständnislos zu Phil hinübergesehen, als er den Korb einfach abstellte, um einen der Satanisten an der Flucht zu hindern. Inzwischen waren ein halbes Dutzend Cops aufgetaucht, die die schwarz gekleideten Jünger der Hölle einen nach dem anderen versandfertig zum Abtransport aufs Revier machten.

Es war laut geworden, einige der jungen Leute widersetzten sich im letzten Moment noch, die Cops verständigten sich mit lauten Zurufen, und kaum war das Tohuwabohu beendet, tauchte auch noch Mark Miller auf, um nachzusehen, was eigentlich los war.

Ich hatte das Kinderkörbchen an mich genommen und verständnislos hineingesehen. Es lag kein Baby drin, sondern eine große, weiche Puppe aus Stoff, gefüllt mit etwas, das Sand sein konnte. Daneben ein MusicMan mit einem aufgesetzten USB-Stick. Ich drückte den »Aus«-Knopf und das Babyweinen verstummte.

»Verdammt, was sollte das denn!«

»Diese Leute wollten wohl Gott sei Dank kein lebendes Kind umbringen, sie haben sich lediglich an diesem Zirkus ergötzt.« Phil war neben mich getreten und sah in das Körbchen hinein. »Würde mich nicht wundern, wenn irgendwo noch eine Flasche mit Blut auftaucht. Das hätte den Mord an der Puppe noch etwas authentischer gemacht.«

Diese Phiole fand sich tatsächlich, wir entdeckten sie vor der Vernehmung bei Lucas Hell. Der hieß mit bürgerlichem Namen Lucas Hellman und grinste uns frech an, als wir ihn befragen wollten.

»Mein Vater ist Anwalt, er wird gleich hier sein«, prophezeite er uns, bevor er ausgiebig schwieg. Drei Stunden später musste er kleinlaut einsehen, dass der Herr Papa wohl keine Lust hatte, wegen der Eskapaden seines Sohnes mitten in der Nacht beim FBI aufzukreuzen. Zumal wir inzwischen wussten, dass der junge Mann nicht das erste Mal auffällig geworden war.

»Bisschen was mit Drogen, bisschen was mit Ruhestörung, bisschen was mit Fahren ohne Führerschein und unter Alkoholeinfluss«, informierte uns eine müde aussehende Kollegin aus dem Innendienst, die die Aufgabe hatte, sämtliche Personalien der Satansjünger zu checken. »Sein Vater hat ihn mehrfach gleich wieder rausgepaukt. Aber jetzt ist wohl Schluss damit.«

Ja, so sah es aus. Und da Lucas Hellman das auch begriffen hatte, redete er endlich mit uns.

»Wir kennen das Haus«, erklärte er mir. Er saß lässig zurückgelehnt auf dem Vernehmungsstuhl, den Knöchel eines Beins auf den Schenkel des anderen gelegt. Sein Fuß wippte ununterbrochen, während er redete.

»Dort in der Wohnung, wo wir waren, hat früher eine Frau gewohnt, der man magische Kräfte nachsagt.«

Aus den Unterlagen wussten wir, dass diese Frau Molita Theosmy hieß. Wir hatten sie noch nicht gefunden, ihre neue Adresse war der alten Hausverwaltung nicht bekannt.

»Welche magischen Kräfte meinen Sie genau?«, wollte Phil wissen.

»Geisterbeschwörung. Die Ahnen befragen. Kontakt zum Jenseits. Solche Sachen. Der Raum, in dem sie ihre Magie praktizierte, steckt voller Energie.«

Und Lucas Hellman war auf die Idee gekommen, diese Energie für sich zu nutzen.

»Um den Teufel zu beschwören?« Ich hörte selbst, wie ungläubig meine Stimme klang.

In Hellmans Augen blitzte etwas auf wie ein scharfes Messer.

»Sie glauben nicht daran, dass es ihn gibt? Ein Wunder, bei Ihrem Beruf.«

Mir verschlug es kurz die Sprache.

»Wir sorgen dafür, dass es nicht überhandnimmt mit dem Höllenzirkus in dieser Welt«, erklärte Phil trocken und beugte sich nach vorne zu Lucas.

»Aber Menschen wie Sie«, damit tippte er dem jungen Mann direkt auf die Schulter, »wollen offensichtlich, dass es noch mehr Schlechtigkeit gibt.«

Hellman schaute Phil verblüfft an, dann lachte er kurz auf.

»Unsinn. Für uns ist das doch einfach nur ein Kick, ein Spaß. Wir wollten niemandem schaden.«

»Finden Sie das lustig, Babygeschrei aufzunehmen, um ein Tötungsritual an einer Puppe vorzunehmen? Wie oft waren Sie schon dort und was ist Ihnen in dem Haus aufgefallen?« Phil richtete sich wieder auf und sah Hellman auffordernd an.

»Wir waren einmal dort, vor einiger Zeit«, erklärte der nach kurzem Zögern. »Hatten ein bisschen Hokuspokus gemacht. Als ich aus den Medien erfuhr, dass in dem Haus jemand umgebracht wurde, dachte ich, das würde den Kick für uns noch erhöhen. Deshalb sind wir heute Nacht wieder reingegangen.«