Jerry Cotton Sammelband 39 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 39 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 39: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!

G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
2970: Friss nicht oder stirb
2971: Ein Puzzleteil zu viel
2972: Mord vor großem Publikum
2973: Die Rechnung wird mit Blei bezahlt
2974: Die Freibeuter von New York
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Jetzt herunterladen und garantiert nicht langweilen!

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Seitenzahl: 684

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Impressum

BASTEI LÜBBE AG Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Für die Originalausgaben: Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive von © shutterstock: stockcreations | ostill ISBN 978-3-7517-2976-5 www.bastei.de www.luebbe.de www.lesejury.de

Jerry Cotton

Jerry Cotton Sammelband 39

Inhalt

Jerry CottonJerry Cotton - Folge 2970"Tot allen Übergewichtigen", so lautete die Parole. Und schon bald fanden wir die erste Leiche. Es war Brendon McGaill, gute 260 Pfund schwer, und er war durch systematischen Nahrungsentzug, kombiniert mit starker körperlicher Belastung, in den Tod getrieben worden. Bei unseren Nachforschungen stießen wir auf eine Gruppe, die sich "Robin Food" nannte und der Fast Food Industrie den Kampf angesagt hatte. Doch Phil und mich erwarteten noch einige Überraschungen, nicht zuletzt, weil mein Partner vergaß, dass er FBI-Agent ist ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2971Serienmörder zeichnen sich durch eine unverwechselbare Handschrift aus. Wir hatten hier in New York eine verstümmelte Leiche, die in allen Einzelheiten auf einen Serienmörder aus dem Mittleren Westen hindeutete. Bei unseren Nachforschungen stießen Phil und ich auf einige Merkwürdigkeiten, die uns daran zweifeln ließen, es mit eben diesem Täter zu tun zu haben. Doch dann stellte sich dieser der Polizei und legte ein umfassendes Geständnis ab ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2972Senator Ronald Waldman sprach im Central Park über den Niedergang der USA und darüber, wie er - wenn er erst Präsident wäre - dies verhindern wollte. Phil und ich mussten uns die manchmal recht abstrusen Ansichten des Politikers aus Idaho notgedrungen anhören, der bei seiner Kritik auch das FBI nicht verschonte, denn wir waren zu seinem Schutz abgestellt. Dann fiel ein Schuss und Waldman brach am Rednerpult zusammen. Jetzt mussten wir beweisen, dass seine Einschätzung des FBI falsch war ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2973Dog Hanson hatte einen Fehler gemacht. Wie groß dieser Fehler wirklich war, konnte er nicht einmal erahnen. Er sah nur den Profit, den seine Dealer machten, indem sie ihren teuflischen Stoff vor den High-Schools an Jugendliche, fast noch Kinder, verkauften. Was dabei herauskam, sahen Phil und ich auf Dr. Drakenharts Seziertisch liegen. Es ging darum, die Stadt von einem skrupellosen Drogenbaron zu befreien, aber nicht nur wir wollten das ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2974Bei den Ermittlungen zu einem Mordfall tauchten Phil und ich tief in die Grauzone eines grausamen Geschäfts ein. Der Tote war ein Vermittler wenn es darum ging, Seeleute, die sich in Gefangenschaft somalischer Piraten befanden, freizukaufen. Wir drangen in einen Bereich ein, wo es weder gut noch böse gab, nur eine Anzahl von skrupellosen Männern, die zuallererst eines im Sinn hatten - ihre persönliche Bereicherung...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Friss nicht oder stirb

Jerry Cotton aktuell

Vorschau

Friss nicht oder stirb

Brendon hievte sich auf der Matratze hoch, lehnte sich an die kalte Betonwand. Seine Brust schmerzte wie von einer unsichtbaren Eisenklammer zusammengeschnürt, und er hatte Hunger wie nie zuvor in seinem Leben. Die Tür wurde aufgestoßen. Nicht schon wieder, dachte er, doch plötzlich blendete ihn ein gleißendes Licht und er nahm den blinkenden Punkt einer Videokamera wahr. »Lies das laut vor«, bellte ihn der vermummte Mann an und legte ein Blatt Papier in seinen Schoß.

Brendon räusperte sich, las die Zeilen und stotterte dann: »Ich wiege 240 Pfund und bin ein fettes Schwein! In neunzig Tagen werde ich mit Sport und Disziplin zu einem gesunden Menschen.«

Oh Gott, das überlebe ich nicht, dachte er und Tränen liefen sein Gesicht hinunter.

Es war Sonntagmorgen, der Frühling kündigte sich an, und ich joggte in gleichmäßigem Tempo durch den Central Park, als ich den Schrei hörte. Unweit von mir stand eine Frau, wild mit ihrem Handy gestikulierend, und sie schrie immer wieder. Mit ein paar Schritten war ich bei ihr und sah auf den sehr übergewichtigen Mann, der neben dem Gebüsch lag. Ich griff an seinen Hals, um den Pulsschlag zu prüfen, doch er war eindeutig tot. Die abklingenden Leichenflecken an seinen Unterarmen waren ein deutliches Anzeichen, dass er nicht erst seit heute Morgen hier lag.

Leichen sind immer ein grausiger Anblick, doch der Mann wirkte besonders mitleiderregend zwischen dem jungen Grün der Büsche und den Krokussen, an diesem sonnigen Frühlingstag.

Mittlerweile hatte sich eine Menschenmenge gebildet und ich versuchte sowohl die Zeugin als auch die Passanten zu beruhigen, als die heulende Sirene der Ambulanz zu hören war.

Der Notarzt sprang aus dem Wagen und überprüfte sofort die Vitalfunktionen.

»Er ist tot?«, wandte ich mich an den Doc.

Der drehte sich zu mir. »Ja, und wer sind Sie?«

»Agent Cotton, FBI«, erklärte ich nüchtern, und mir entging nicht, dass er meinen verschwitzten Sweater und die Shorts skeptisch betrachtete. »Herzinfarkt?«, fragte ich geradeheraus, seinen Blick ignorierend.

Der Arzt sah wieder auf den Toten, dann nickte er bedächtig. »Anzunehmen, keine äußerliche Gewalt auf den ersten Blick, und bei dem Übergewicht, na ja! Aber wenn Sie wirklich vom FBI sind, dann wissen Sie, dass in solch einem Fall immer eine Obduktion erfolgt.«

Als der Streifenwagen endlich vor Ort war, wurde mir klar, dass mein Sonntagmorgen anders verlaufen würde als geplant. Ich seufzte ganz unwillkürlich.

***

Das hätte ein ganz guter Montagmorgen werden können. Meine Laune steigerte sich noch, als ich den Jaguar startete. Wie jedes Mal, wenn ich das tiefe Grollen der 510 PS hörte und es einfach nur genoss, den Wagen aus der Tiefgarage wieder auf die Straße zu bringen.

Phil wartete wie immer an der gewohnten Ecke und stieg mit einem Grinsen und zwei Starbucks-Kaffee ein. Als wir im Field Office aus dem Aufzug stiegen und Helen uns abpasste, schwante mir schon, dass es mit dem entspannten Morgen bald vorbei sein würde.

»Guten Morgen, ihr beiden«, meinte sie mit einem Lächeln. »Jerry, Phil, Mister High erwartet euch.« Dann sah sie auf die Pappbecher in unseren Händen und zog die Augenbrauen hoch. »Wie ich sehe, seid ihr versorgt.«

»Äh«, brachte Phil noch heraus, doch Helen war bereits in ihrem Büro verschwunden. Damit hatten wir ein Eigentor geschossen, denn auf ihren Kaffee mussten wir heute wohl verzichten.

Der Assistant Director saß am ovalen Besprechungstisch in eine Akte vertieft und begrüßte uns wie immer höflich, aber förmlich und bedeutete uns, Platz zu nehmen.

»Sir, Sie wollten uns dringend sprechen«, ergriff ich das Wort.

Er nickte und schob uns eine Akte zu. »Ja, es geht um eine verschwundene Person, ein gewisser Brendon McGaill. Er flog vor zwei Wochen von Minnesota nach New York, um an einem Arbeitsseminar von Kunstkritikern im Metropolitan Museum of Art teilzunehmen. Er ist zwar in New York, aber nie bei dem Seminar angekommen. Der verantwortliche Leiter des Met schaltete einen Tag später das NYPD ein, nachdem er sich bei McGaills Chef und auch der Fluggesellschaft rückversichert hatte. Seit seiner Ankunft auf dem Flughafen ist der Mann wie vom Erdboden verschluckt.«

Phil räusperte sich kurz. »Eine vermisste Person. Tut mir leid, Chef, so ganz verstehe ich nicht, wieso das bei uns gelandet ist, nicht gerade ein typischer Fall für das FBI.«

»Da haben Sie recht, Phil, aber ich denke, Sie werden Ihre Meinung ändern, wenn Sie sehen, was am Wochenende ins Internet gestellt wurde.«

Er drückte die Taste der Fernbedienung und der Wandbildschirm am Ende des Tisches leuchtet auf. Man sah eine Google-Internetseite mit einem typischen YouTube-Upload, der den Titel trug: Niemand muss fett sein. Dann spielte sich das Video ab – und in dem Moment wurde mir flau im Magen.

Man sah einen verzweifelten, sehr übergewichtigen Mann, der blass und krank auf einer Matratze kauerte, in der Hand hielt er ein Blatt Papier und stotterte mit unsicherer Stimme: »Ich wiege 240 Pfund und bin ein fettes Schwein! In neunzig Tagen werde ich mit Sport und Disziplin zu einem gesunden Menschen.« Dann erschien ein knallroter Schriftzug auf dem Standbild:

Kein Mensch muss fett sein, wenn er das nicht will!

»Das ist dieser McGaill?«, fragte Phil leicht entsetzt. Mir hatte es vollkommen die Sprache verschlagen.

Mr High nickte mit ernstem Gesichtsausdruck. »Ja, und wie es aussieht, wird er gefangen gehalten, es geht ihm nicht gut und er hat Todesangst. Sein Arzt bestätigte dem NYPD bereits, dass er keine Chance hat, wenn er nicht schnell mit seinen Medikamenten versorgt wird. Er leidet an einer ernsten Herzkrankheit, die auch für seine Stoffwechselerkrankung und die daraus resultierende Fettleibigkeit verantwortlich ist. Wenn wir ihn nicht innerhalb der nächsten vier Tage finden, dann ist er so gut wie tot.«

Endlich fand ich die Sprache wieder. »Das ist er bereits«, hörte ich mich selbst leise sagen. Phil und Mr High sahen mich überrascht an.

»Er wurde gestern Morgen im Central Park gefunden und ist bereits bei der SRD zur Obduktion.«

»Was«, polterte Phil heraus, »woher willst du das wissen?«

Irgendwie hatte ich die gestrigen Ereignisse vollkommen verdrängt, bis mir das Video von diesem Mann auf nüchternen Magen serviert wurde. Es gab keinen Zweifel: Der Tote im Central Park war Brendon McGaill. Also fasste ich den Vorfall von Sonntagmorgen zusammen und setzte beide ins Bild. Phil sah mich wie vom Donner gerührt an, da ich während der Autofahrt kein Sterbenswörtchen erwähnt hatte, wie gesagt, ich hatte es irgendwie verdrängt.

Unser Chef hatte sich besser im Griff, er seufzte kurz, dann sprach er in seinem harten Tonfall, der ganz normal war, wenn es um Mord ging.

»Jerry, Phil, Sie beide fahren sofort zur SRD. Wir müssen ganz genau wissen, woran er gestorben ist. Es ist Ihr Fall, legen Sie alles andere zur Seite!«

Wir standen fast simultan auf und ich griff mir die Akte. »Sir, ich wurde gestern als eine Art Zeuge vernommen, wir sollten sicherstellen, dass es keine rechtlichen Konsequenzen nach sich zieht, wenn ich als ermittelnder Agent an dem Fall arbeite.«

Mr High erhob sich ebenfalls. »Ich kümmere mich darum, Jerry, und werde gleich mit der Staatsanwaltschaft sprechen, Sie hören von mir.«

***

Wir gingen in unser Büro, denn es war besser, erst einmal von hier mit der Pathologie der SRD zu sprechen und eine halbe Stunde zu warten, bis der Franklin Roosevelt East River Drive, der hoch zur Bronx führte, die Rushhour überstanden hatte.

Ich wählte den direkten Anschluss von Dr. Chow und atmete noch einmal tief durch. Auch wenn Dr. Chow das Beste war, das die Pathologie zu bieten hatte, so war der Mensch Chow, na, sagen wir etwas schwierig.

»Chow«, brummte es am anderen Ende.

»Cotton hier, sagen Sie, ist die Leiche gestern aus dem Central Park bereits auf dem Tisch gewesen?«, kam ich gleich zur Sache, denn ich kannte Chow, und Höflichkeiten sparte man bei ihm besser aus.

»Das darf ich Ihnen nicht sagen, Sie sind ein Zeuge.« Hörte ich da ein Kichern? Schön, wenn man seine eigenen Witze so liebt, dachte ich und knurrte ein wenig in den Hörer.

»Schon gut, ich fand es nur sehr witzig, als ich mir den Polizeibericht angesehen habe und Ihren Namen sah. Wusste gar nicht, dass Sie auch sonntags über Leichen gehen.« Dann wurde Chow abrupt ernst. »Nein, da er noch nicht identifiziert ist, steht er hinten an, warum?«

»Wir wissen, wer er ist: Brendon McGaill, ein Entführungsopfer, das getötet wurde. Wir brauchen einen Experten an der Sache und werden an der Autopsie teilnehmen, es sollte so schnell wie möglich gemacht werden.« Dann erklärte ich kurz, was wir bisher wussten.

Chow dachte wohl einen Moment nach, denn es dauerte, bis ich eine Antwort bekam. Die plötzlich viel zu hohe Stimme am anderen Ende der Leitung jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. »Na, dann schwingen Sie und Ihr Partner sich mal schnellstens zu uns rüber. Ich mach das selbst, möchte nicht verpassen, wie Ihnen mal wieder übel wird. Elf Uhr!«

Chow war einer der wenigen Menschen, die es immer wieder schafften, dass ich die Fassung verlor, doch ich hatte keine Chance, etwas zu erwidern. Chow hatte bereits aufgelegt.

Anschließend rief ich das entsprechende Police Department an, bei dem die Vermisstenmeldung von McGaill aufgenommen worden war, und sprach mit dem verantwortlichen Detective. Der Kollege versprach mir, die medizinischen Unterlagen, die McGaills Arzt ihnen hatte zukommen lassen, sofort per Mail an Dr. Chow zu senden. Ich bekam von dem hilfsbereiten Detective auch eine kurze Zusammenfassung der Ermittlung, die angesichts der durchschnittlich dreitausend aktiven Vermisstenfälle pro Jahr nicht immer üppig ausfallen.

Dennoch erfuhr ich, dasa McGaill bei der Autovermietung einen Wagen bestellt und auch die Papiere und Schlüssel am Flughafen an sich genommen hatte. Irgendwo zwischen dem Avis-Schalter und dem Parkdeck hatte sich dann seine Spur verloren.

Der Wagen wurde nie bewegt, aber Schlüssel und Papiere waren mit dem Mann verschwunden. Die Videoüberwachung des Parkdecks war wie so oft in solchen Fällen wegen eines Schadens nicht in Betrieb.

Ich legte auf und sah Phil vertieft in die McGaill-Akte. Es war bereits viertel nach zehn – ideal, um jetzt hoch in die Bronx zu fahren –, als Helen plötzlich mit zwei Tassen Kaffee erschien und diese mit einem entzückenden Lächeln vor mir und meinem Partner abstellte.

»Ich dachte mir, ihr braucht vielleicht doch noch einen richtigen Kaffee. Mister High lässt ausrichten, dass mit der Staatsanwaltschaft alles geklärt ist, die haben keine Einwände, Jerry.« Dann war sie auch schon wieder verschwunden. Ich trank einen Schluck des köstlichen Gebräus und dachte, dass dieser verkorkste Morgen gerade eben die erste angenehme Wendung erfahren hatte.

Gegen halb elf waren wir endlich auf dem FRD Drive. Zwar war die Hauptverkehrszeit vorbei, doch nach etwa zwei Meilen steckten wir trotzdem fest. Scheinbar hatte sich ein Unfall ereignet, und momentan ging nichts mehr.

Selbst wenn ich Warnlicht und Sirene angeschaltet hätte, wären wir keinen Deut schneller vorangekommen. Der Verkehr drängte sich so dicht auf den drei Spuren, dass man uns noch nicht einmal eine Gasse hätte freimachen können.

»Wenn wir zu spät kommen, dann rufst du Chow an«, meinte ich an Phil gewandt und ließ mein Seitenfenster ein wenig herunter. Es war wieder ein prächtiger Frühlingstag in New York, der mit seiner leichten Brise jeglichen Dunst weggefegt hatte. Wir standen in Höhe der Rockefeller University, und durch das Beifahrerfenster sah man Roosevelt Island über den East River, der gemächlich dahinfloss und silbern das Sonnenlicht reflektierte.

»Klar«, erwiderte Phil gelassen. Er hatte mit Chow weniger Schwierigkeiten. Das lag vielleicht daran, dass Phil auch gerne mal einen gewissen Sarkasmus durchblicken ließ. »Was hältst du von der Sache?«, fragte er und blätterte schon wieder durch die Akte McGaill.

»Wie es scheint, hat da jemand was gegen Übergewichtige«, antwortete ich und rollte etwa fünf Yards weiter.

Phil sah mich an. »Hm, kein Wunder. Wusstest du, dass 25 Prozent der Amerikaner fettleibig sind und zwei Drittel übergewichtig? Ich habe gelesen, dass die Prognosen in ein paar Jahren mit 75 Prozent rechnen.«

»Komm, hör auf, Phil, ich bin der Meinung, dass jeder selbst zu entscheiden hat, wie er lebt. Wenn jemand rauchen will, soll er es, solange er seine Mitmenschen nicht schädigt. Will er unbedingt dick sein, bitte. Das ist ein Teil unserer Verfassung, die Freiheit, das selbst zu entscheiden.«

»Nein, Jerry, bist du noch nie im Flugzeug bei deinem Sitzplatz angekommen und hast festgestellt, dass dein Sitznachbar, die Hälfte deines Sitzes einnimmt? Das bringt mich wirklich auf die Palme. Ich zahle den vollen Preis, aber dann quillt über und unter der Armlehne etwa zehn Kilo Nachbar auf deinen Sitz, und am Ende eines dreistündigen Fluges brauchst du erst mal eine Massage, weil du dich so verkrümmt hast auf dem Sitz, dass du vollkommen verspannt bist.«

»Himmel, Phil, das ist doch ein Fehler der Airline! Ich bitte dich, wenn die sagen, ein Sitzplatz in der Economy hat 43 Zentimeter, und solange die Armlehnen runtergehen, wird nur ein Platz bezahlt, dann kannst du doch nicht die Übergewichtigen dafür verantwortlich machen.«

Doch kaum hatte ich das ausgesprochen, kam mir eine Idee. »Mit welcher Airline ist eigentlich McGaill geflogen? Wenn er wirklich hundertzwanzig Kilo schwer war, dann war das ganz schön eng in der Economy Class.«

Phil sah mich erstaunt an, aber blätterte in der Akte und griff sich dann sein Handy. Er rief Irwin Foster an und bat ihn, bei South-West zu überprüfen, welchen Sitzplatz McGaill hatte und ob es irgendwelchen Ärger während des Fluges gegeben hatte. Phil hatte natürlich sofort verstanden, worauf ich hinauswollte.

Nachdem er aufgelegt hatte, sah er mich an und meinte: »Ist eine Möglichkeit, aber selbst wenn ich mich schon öfter auf diesen Flügen geärgert habe, so habe ich noch nie jemanden entführt, weil er zu dick war!«

»Du bist ja auch ein FBI-Agent!«, antwortete ich lachend. Dann schloss ich das Fenster, denn wie es schien, war die Unfallstelle geräumt worden, und mit etwas Glück kamen wir doch noch pünktlich in der Pathologie an.

***

Da stand Dr. Chow. Wir waren gerade mal zehn Minuten zu spät. Dennoch klopfte sie mit ihren für eine Pathologin zu langen Fingernägeln demonstrativ auf den stählernen Seziertisch. Die langen dunklen Haare unter der Haube versteckt, blickte sie uns mit ihren Mandelaugen in einem Engelsgesicht an, in dem allerdings eindeutig der Teufel steckte, das wusste ich.

»Morgen, Chow«, sagte Phil locker, als wir eintraten.

»Zehn Minuten, Phil und Agent Cotton, zehn Minuten zu spät, in der Zeit hätte ich noch eine andere Au­topsie durchführen können«, war ihre Antwort. Sie konnte mich einfach nicht leiden. Warum, wusste ich nicht. Vielleicht war ich ihr einfach zu konservativ, denn mit Phil hatte sie keine Probleme.

»Hab dich nicht so«, erwiderte Phil und griff einen Mund- und Nasenschutz für mich und sich selbst vom Regal. »Hast du eine Ahnung, wie der Verkehr auf dem Drive momentan ist?«

Ich hörte nur eine Art Grunzen, als sie sich selbst den Schutz und die Latexhandschuhe überzog. Dabei fixierte sie mich wie eine Kobra. Dann schaltete sie das Mikro über dem Tisch ein, deckte Brendon McGaill auf und griff zum Skalpell.

»Haben Sie die Krankenakte schon gelesen?«, fragte ich vorsichtig.

»Quatschen Sie mir nicht in den Autopsie-Bericht«, blaffte sie mich an. »Klar habe ich den gelesen, kam ja vor zwanzig Minuten.« Dann tat sie den ersten Schnitt in McGaills massigen Körper, die erste Seite des Ypsilons. Hierbei wurde von beiden Schlüsselbeinen schräg zum Brustbein geschnitten und von dort gerade bis zum Schambein.

Bevor jedoch dieser Teil der Obduktion anfing, hatte Chow den Körper routinemäßig auf Hautauffälligkeiten abgesucht, das Gewicht und die Maße genommen und anschließend war die Leiche gereinigt worden. Darum ging ich auch nicht davon aus, dass sie hier untätig zehn Minuten auf uns gewartet hatte.

Dann begann ein Prozedere, das mich immer wieder ihre Boshaftigkeiten vergessen ließ. Denn wenn ich sie bei ihrer Arbeit beobachtete, war sie wie eine Maschine. Sie arbeitete mit einer unglaublichen Präzision. In den Momenten konnte ich nichts anderes tun als sie bewundern.

Bei Dr. Chows Autopsien wurde nie jemandem schlecht, weil es einfach zu faszinierend war, wie sie arbeitete. Entdeckte sie etwas Ungewöhnliches, rief sie mich und Phil nahe an den Tisch und sprach begeistert von dieser oder jener Anomalie. Manchmal mochte ich sie in diesen Momenten fast.

Es dauerte lange, bis sie endlich das Mikro abstellte und es ihrer Assistentin überließ, die Leiche wieder zu schließen.

Wir gingen in ihr Büro, nachdem sie sich aus dem klinischen Overall geschält hatte, und nahmen vor ihrem mit Papieren überhäuften Schreibtisch Platz.

»Tja, der Junge hatte ein schwaches Herz und ist an den Belastungen gestorben«, meinte sie beiläufig. »Können Sie sich vorstellen, Agent Cotton, warum ich die Haut auf seinen Hüften zusätzlich bis zum Muskelgewebe freigelegt habe?«

»Um zu sehen, inwieweit sich sein subkutanes Fettgewebe in den letzten zwei Wochen zurückgebildet hat«, antwortete ich ruhig auf ihre Frage.

Sie zog anerkennend die Augenbrauen hoch. »Stimmt. Ich schätze, man hat den armen Kerl richtig hungern lassen. Der hat in seiner Gefangenschaft mindestens fünfzehn Kilo abgenommen, das heißt nichts zu essen bekommen. Außerdem habe ich bei dem Schnitt in seinen Tibialis anterior und seinen Biceps femoris …«

An dieser Stelle stöhnte Phil laut.

»Die Muskulatur seines Wadenbeins und des Oberschenkels«, griff ich ein und erntete ein Lächeln von Chow.

»Also in diesen Muskeln konnte ich schon allein mit dem Vergrößerungsglas ordentliche Risse feststellen. Wir werden das Gewebe noch mikroskopieren, aber ich kann jetzt schon sagen, dass der Mann vor lauter Muskelkater höchstwahrscheinlich geschrien hat vor Schmerzen.«

»Sie meinen, er hat plötzlich viel Sport getrieben?«, fragte ich perplex.

Sie sah mich verwirrt an. »Nein, er wurde dazu gezwungen. Und wenn ich sage, er hat vor Schmerzen geschrien, dann meine ich das so. Dieser Mann hat aufgrund seiner angeborenen Herzschwäche und der Stoffwechselkrankheit nie Sport treiben können. Außer mal eine Treppe hochzusteigen oder ein paar hundert Meter irgendwohin zu laufen hat er nie etwas Intensiveres gemacht. Aber vor ein paar Wochen zwang ihn jemand zu laufen, und das so lange, bis er zusammenbrach. Die Verletzungen in den Muskeln sind nicht nur Mikrorisse, die für Muskelkater verantwortlich sind. Ich habe Muskelfaserrisse gesehen, die von unglaublicher Belastung stammten.«

Phil schüttelte fassungslos den Kopf. »Du meinst wirklich, da hat ihn jemand hungern lassen und zusätzlich zum Sport gezwungen?«

Chow nickte. »Genau das, und zwar so lange, bis sein Herz versagte. Er hat sich buchstäblich zu Tode gelaufen. Sein Herzmuskel hatte nicht genug Zeit, um den erforderlichen Aufbau zu betreiben, der nötig gewesen wäre, um die Blutdruckbelastung zu verkraften.« Sie machte eine Pause.

»Dazu kamen Mangelerscheinungen. Ihm fehlten Mineralien und Vitamine, das zeigen seine Organe. Zwar hatte er genug Wasser, aber nicht genug Salze, um den Verlust durch Schweiß auszugleichen. Er muss unglaubliche Krämpfe in den Muskeln gehabt haben. Die Radikalkur, die ihm da jemand verabreicht hat, führte definitiv zum Tod. Ergo wurde Brendon McGaill ermordet.«

Wir schickten uns an zu gehen. Phil war bereits auf dem Gang, als ich Chow die Hand hinhielt. » Danke, Doktor Chow.«

Sie zog die kleine Brille von ihren Mandelaugen auf die Nasenspitze und sah mich darüber hinweg an. »Woher kennen Sie sich so gut mit der ärztlichen Terminologie aus?«, fragte sie.

Ich drückte ihre Hand. »Weil ich Wert darauf lege, den Tibialis anterior und den Biceps femoris fast täglich zu trainieren«, erwiderte ich und konnte mir ein Lächeln gerade noch so verkneifen.

Sie schob die Brille wieder auf ihren Nasenrücken, entzog mir die Hand und knurrte: »Das nächste Mal sind Sie pünktlich, verstanden?«

»Natürlich, Ma’am!«

***

Als wir wieder im Field Office ankamen, war es später Nachmittag. Wir hatten unterwegs bei einem Subway angehalten und wenigstens einige Sandwiches und zwei Smoothies mitgenommen. Eigentlich hätte es sich gar nicht mehr gelohnt, noch mal ins Büro zu fahren. Doch ich wollte noch mit Irwin sprechen, ob er Neuigkeiten hatte, was die Fluggesellschaft anging, bevor wir Feierabend machten.

Während wir unsere Sandwiches aßen, berichtete Irwin uns, was er erfahren hatte. Brendon McGaill war mit South-West geflogen und, wie wir es uns schon gedacht hatten, in der Economy-Klasse.

»Also, man sagte mir, dass die Sitznachbarin sich beschwerte, aber da er die Armlehnen runterklappen konnte, wurde er nicht von dem ausgebuchten dreistündigen Flug ausgeschlossen. Dennoch wurde der Frau, einer gewissen Alicia Star, dann ein Flugbegleiter-Sitzplatz angeboten. Das Ganze wurde protokolliert, weil die Fluggesellschaft mit einer Schadensersatzforderung von Miss Star rechnete, doch es kam nichts. Wenn ihr mich fragt, nicht der Rede wert«, meinte Irwin abschließend.

»Danke, dass du das gemacht hast«, erwiderte Phil kauend.

Als Irwin unser Büro verließ, sagte Phil nachdenklich: »Also, die Entführung, das Hungern … für mich klingt das alles zu fanatisch. Kann da eine Organisation dahinterstecken? Du weißt schon, diese Gesundes-Essen-schützt-die-Menschen-und-Tiere-Leute.«

»Du meinst, Leute wie du?«, fragte ich nicht besonders ernsthaft.

»Sehr witzig! Komm, es ist halb sechs, lass uns los. Wollen wir später noch was beim Italiener essen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein danke, nach Chows Skalpell-Attacken ist mir nicht nach Saltimbocca alla Romana. Ein anderes Mal. Ich möchte einfach nur die Füße hochlegen und ein Bier trinken.«

Dabei war mir klar, dass ich mit dem Bier dasitzen und meine Gedanken immer wieder bei Brendon landen würden, weil ich über das Wieso und Warum nachdenken würde. Denn hatte man das erst mal ausgetüftelt, bekam man eine ungefähre Vorstellung davon, wie der Mörder gestrickt war.

***

Als wir am nächsten Morgen in Richtung Gramercy unterwegs waren, regnete es wie aus Kübeln, was in New York immer ein noch schlimmeres Verkehrschaos hervorruft, als es der normale Berufsverkehr schon tut. Auf der 59th vor dem Ritz Carlton Hotel parkten die Taxis bereits in zweiter Reihe. Ich verlor langsam die Geduld und drängte mich nach links vor einen schwarzen Mercedes, was mit einem wilden Hupkonzert von hinten belohnt wurde. Als wir endlich links auf die Second Avenue abbiegen konnten, ging es schneller voran.

»Wo in Gramercy wohnt Alicia Star?«

»220 East 17th Street, etwa Höhe Stuyvesant Square musst du rechts rein. Hoffentlich finden wir einen Parkplatz in der Nähe, sonst werden wir klitschnass«, meinte Phil und sah auf die Scheibenwischer, die mit dem Regen kämpften.

Wir hatten Glück: Genau gegenüber dem sehr gepflegten weißen vierstöckigen Haus wurde gerade etwas frei, als wir ankamen. Mit einem schnellen Spurt über die Straße standen wir wenige Sekunden später in der Eingangshalle vor dem Doorman, schüttelten die Tropfen von unseren Trenchcoats und wiesen uns aus.

Nach einem kurzen Telefonat wies er uns in Richtung Aufzug. Alica Stars Wohnung lag im dritten Stock auf der linken Seite. Phil hatte bei ihr vor einer Stunde angerufen, um sicherzustellen, dass wir sie auch so früh am Morgen antrafen. Als die Aufzugstür sich öffnete, klingelte mein Handy.

»Hi, Jerry, wo bist du?«, hörte ich Helens Stimme.

»In Gramercy, wir wollen gerade eine Zeugin befragen.«

»Komm sofort ins Büro, Mister High braucht dich. Das kann nicht warten. Er hat einen Besucher und will dich dabeihaben.«

»Okay, wir kommen!«, meinte ich, legte auf und ließ das Handy in meine Sakkotasche gleiten.

Phil hielt immer noch den Aufzug offen. »Will er uns beide?«, fragte er etwas genervt.

»Nein, nur mich.«

»Warum fährst du nicht? Ich mach das hier schon. Ist doch nur eine Zeugenbefragung, nichts Besonderes. Das kann ich ausnahmsweise mal allein erledigen. Danach nehme ich mir ein Taxi ins Büro.« Er betrat den Aufzug und hielt den Knopf gedrückt.

Eine Sekunde lang ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass es nicht den Vorschriften entsprach, Phil dabei allein zu lassen. Aber er hatte recht: Sie war nur die Passagierin, die zufällig neben McGaill gesessen hatte. Was sollte schon passieren? Daher nickte ich ihm kurz zu und sah, wie sich der Aufzug schloss.

***

Obwohl ich wieder auf den Broadway musste, dauerte es keine zehn Minuten, bis ich in die Worth Street abbog und vor der Durchfahrsperre neben dem weißen Wachhaus zur Tiefgarage stand. Dank meines auffälligen Wagens kannte mich der Officer und ließ mich sofort die Metallrampe herunterfahren.

Als ich Mr Highs Büro betrat, sah ich zu meinem Erstaunen Les Bedell, Joe Brandenburg und einen sehr gut gekleideten Mann mittleren Alters dort sitzen. Vom Haarschnitt mit den grau melierten Strähnen und dem Maßanzug bis zur Pietro-Baldani-Krawatte war alles an ihm exklusiv.

Er wurde mir als Roger Swonsen, juristischer Berater der weltweit größten Fastfood-Kette, vorgestellt. Mit über dreißigtausend Restaurants in mehr als einhundert Ländern, etwa zwei Millionen Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von dreißig Milliarden war Burger Kids fast einmalig mit seinem Erfolgskonzept. Hatte es doch über Jahrzehnte bewiesen, das trotz aller kultureller Unterschiede von Japan bis Russland über Europa und die Vereinigten Staaten in einer Sache Einigkeit bestand: Das Fastfood von Burger Kids schien allen zu schmecken.

»Gut, dass Sie es so schnell geschafft haben, Jerry, wir haben auf Sie gewartet«, begann Mr High, während Helen mir einen Kaffee brachte. »Mister Swonsen kommt direkt von einer Vorstandssitzung des Konzerns. Man hat kurzfristig beschlossen, sich an das FBI zu wenden, daher kam der Besuch etwas überraschend.«

Er blickte zu dem Anwalt. »Mister Swonsen, warum wiederholen Sie für unsere Agents nicht, was Sie mir kurz am Telefon erläutert haben? Agent Cotton arbeitet an einem gleich gelagerten Fall, darum wollte ich ihn unbedingt dabeihaben.«

Swonsen räusperte sich, lehnte sich in seinem Stuhl am Besprechungstisch zurück, nahm seine Brille herunter und kniff sich in den Nasenrücken, dabei sah man die Manschettenknöpfe seines Hemdes kurz, die das Logo der Universität Yale trugen. Der Mann war scheinbar stolz auf seine Ausbildung, und es war auch nicht von der Hand zu weisen: Yale brachte nun einmal die genialsten Juristen hervor.

»Burger Kids hat im Staat New York mehr als eintausend Filialen. In den letzten sechs Monaten wurden zweihundert davon attackiert. Man warf Scheiben ein oder verschmierte die Gebäude mit Graffiti, in denen man uns vorwirft, die Menschen mit ungesundem Essen krank zu machen. Immer wieder wurde ein gewisses Logo benutzt, eine Gruppe, die sich Robin Food nennt. In Abstimmung mit der Konzernleitung wurden die Delikte beim NYPD angezeigt, aber leider blieben deren Ermittlungen ohne Erfolg. Vor drei Monaten bekamen wir dann die erste von mittlerweile zehn Droh-Mails. Unseren IT-Experten war es nicht möglich, die Herkunft der Mails zu lokalisieren. Die ersten Drohungen enthielten so unsinnige Forderungen wie die Verwendung ökologisch angebauter Nahrungsmittel bei unseren Speisen, Softdrinks ganz aus dem Angebot zu nehmen, umweltfreundliche Verpackungen, Mindestlöhne für Angestellte, Kalorientabellen auf den Menüs und so weiter. Die Liste ist lang und der größte idealistische Dreck, den ich je gelesen habe. Verzeihen Sie mir meine Direktheit«, unterbrach er kurz seinen Redefluss, räusperte sich, indem er eine Hand elegant vor den Mund legte, und fuhr dann fort: »Dramatischer wurde es dann vor etwa vier Wochen. Man drohte ganz massiv mit gezielten Anschlägen, wobei die Verwendung von Gift, Feuer und auch Bomben erwähnt wurden. Wenn ihre Forderungen, so stand es im Text, nicht sofort sichtlich wenigstens zum Teil umgesetzt werden, sollte es zu einer massiven Aktion kommen. Es gab nie irgendwelche Geldforderungen. Als dann vor genau siebzehn Tagen eine kleine Filiale in Brooklyn nachts ausbrannte, nahmen wir die Mails ernster. Der Brandsachverständige konnte zwar nicht bestätigen, dass ein Brandbeschleuniger verwendet wurde, aber vier Tage nach dem Brand erhielt der Konzern eine Bekenner-Mail. Robin Food erklärte sich für den Brand verantwortlich und nannte es einen Warnschuss. Eine wesentlich größere Aktion ist geplant und wird ausgeführt, so schrieb man uns.«

Er machte eine dramatische Pause, bevor er wieder ansetzte. »Natürlich könnten Sie sich nun fragen, warum wir nicht zwei, drei Wachleute einsetzen, um die Filialen Tag und Nacht zu bewachen. Das Szenario haben wir erwogen, doch es geht nicht um die zusätzlich dreitausend Löhne, die wir investieren müssten. Es geht darum, dass unsere zwanzigtausend Mitarbeiter in New York darüber vollkommen verunsichert wären. Alles, was ich Ihnen hier erzählt habe, sind Informationen, die momentan nur der Konzernleitung bekannt sind. Wenn das durchsickert und die Mitarbeiter etwas ahnen, dann wissen es die Kunden einen Tag später, und Sie können sich vorstellen, was das bedeuten würde. Darum wurde gestern entschieden, sich an das FBI zu wenden.«

Er griff in die Lederaktentasche neben seinem Stuhl, zog einen Hefter heraus und legte ihn auf den Tisch. »Das sind alle Mails, die wir bekommen haben – chronologisch geordnet. Sie finden auch die Fotos der Filialen, die besprüht oder demoliert wurden, den Brandbericht und natürlich eine Liste mit allen Filialen und den entsprechenden Mitarbeitern. Sie können unseren EDV-Experten jederzeit kontaktieren, wobei ich denke, er steht Ihren IT-Leuten in nichts nach. Haben Sie noch Fragen?«

Les, Joe und ich sahen uns kurz an. Jeder von uns dachte das Gleiche: Mr Staranwalt hatte seinen neuen Mitarbeitern beim FBI mal kurz die Richtung gewiesen und erwartete jetzt zack, zack Ergebnisse. Solche Leute wie Swonsen haben mich immer schon aufgeregt, wenn sie Schwerstkriminelle mit juristischen Winkelzügen wieder auf freien Fuß brachten und oft monatelange Ermittlungen zunichte machten. Unser Chef hatte als Einziger den Monolog stoisch über sich ergehen lassen. Entweder war er ein Meister der Beherrschung oder er verlor wirklich nie die Contenance.

»Sind Sie unser Ansprechpartner?«, fragte er gelassen.

»Ja«, erwiderte Swonsen, »die Konzernleitung kann sich nicht mit solchen Bagatellen beschäftigen, das verstehen Sie bestimmt.«

»Natürlich«, kam es plötzlich sehr betont von Joe Brandenburg, und ich war heilfroh, dass er nicht mehr sagte. Er konnte ziemlich spitz werden, wenn er sich nicht zusammennahm.

»Erfahre ich jetzt, welchen Zusammenhang es zwischen den Drohungen und Ihrem Fall gibt, Agent Cotton?«, überging Swonsen Joes Bemerkung.

»Tut mir leid«, nahm der Chef mir die Worte aus dem Mund, »es handelt sich um eine laufende Ermittlung, und wir sind verpflichtet, gegenüber Zivilisten Stillschweigen zu bewahren. Agent Bedell und Agent Brandenburg werden sich um die Drohungen gegen Burger Kids kümmern. Ich halte Sie persönlich auf dem Laufenden.«

Oha, dachte ich, da hatte Mr Swonsen es tatsächlich geschafft, selbst den Chef gegen den Strich zu bürsten, denn das waren eindeutige Worte gewesen. Ich zog mir den Hefter rüber und begann die letzte Mail zu lesen, während Roger Swonsen sich erhob und Mr High die Hand schüttelte. Uns andere bedachte er mit einem »Meine Herren« und verließ gefolgt vom Chef das Büro. Vertieft in die Mail, hörte ich nur am Rande, wie Joe vor sich hin knurrte und einige nicht gerade professionelle Kommentare zu dem Gespräch abgab.

Als der Chef sich wieder zu uns setzte, hatte ich die letzten drei Mails gelesen.

»Und was denken Sie, Jerry, gibt es einen Zusammenhang mit McGaills Tod?«, fragte er ohne Umschweife, denn er hatte erwartet, dass ich mich bereits eingelesen hatte.

Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme, war mir einfach nicht sicher, und das sagte ich auch. »Ich bin mir nicht sicher, Chef. Es kann sein, denn diese sogenannte Organisation Robin Food benutzt den gleichen Slogan, wie wir ihn auf dem YouTube-Video von McGaill gesehen haben: Kein Mensch muss fett sein. Mir ist auch aufgefallen, dass besonders die letzte der Mails sehr massiv ist. Das hört sich nach verdammt viel Entschlussfreudigkeit an. Ich meine, so etwas habe ich das letzte Mal bei radikalen Extremisten gesehen. Daher glaube ich, Robin Food ist kein kleiner durchgeknallter Verein, der aus Lange­weile gegen Junkfood demonstriert. Auf der anderen Seite wissen wir nur zu gut, dass große Konzerne fast immer von ehemaligen Mitarbeitern bedroht werden. Das können wir hier auch nicht ausschließen.«

Der Assistant Director dachte einen Moment nach und erklärte dann mit entschlossener Stimme: »Wir bearbeiten die beiden Fälle zusammen. Les, Joe, Sie kümmern sich um Burger Kids, Jerry, Sie bleiben mit Phil an McGaill. Ich erwarte, dass Sie sich bei allen Informationen austauschen.«

***

Als Phil im dritten Stock aus dem Aufzug stieg, erwartete ihn schon eine offene Tür – und eine atemberaubende Frau: Alicia Star. Sie machte ihrem Namen alle Ehre, denn selbst Phil, dem schon so einige sehr schöne Frauen in seinem Leben begegnet waren, musste schlucken, bevor er sich vorstellen konnte.

Sie war an die sechs Fuß groß, so dass Phil immer noch ein wenig auf sie herabsah, als er endlich bei der Tür angekommen war. Langes rötliches Haar wallte ihr über die Schultern, das markante Gesicht mit den vollen Lippen und den tiefgrünen Augen.

Sie streckte ihm die Hand entgegen. Die schlanken, aber muskulösen, sehr definierten Arme wirkten wie gemalt, genau wie der Rest von ihr. Geballte Kraft, geschmeidige Bewegungen – Phil musste automatisch an die Schönheit einer Raubkatze denken, als er ihren kräftigen Händedruck erwiderte.

»Agent Decker, bitte kommen Sie rein. Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie, und die Stimme setzte dem Ganzen die Krone auf: dunkel, geheimnisvoll, mit einer leicht heiseren Note, die ungemein sexy klang.

Phil folgte ihr in die geschmackvoll eingerichtete Zweizimmerwohnung mit einer kleinen Küche, die durch einen Tresen mit drei Hockern vom Wohnzimmer getrennt war.

Sie machte eine einladende Bewegung in Richtung Sofa. Phil zog den Trenchcoat aus, den sie ihm abnahm und über einen der Hocker legte.

»Trinken Sie einen Kaffee? Ich habe gerade frischen aufgebrüht«, fragte sie.

»Gern«, antwortete Phil und starrte wie gebannt auf diese ungewöhnliche Frau. »Bitte schwarz!«

»Genau wie ich ihn trinke.« Sie lachte und ihre weißen, perfekten Zähne erschienen zwischen den weichen Lippen.

In dem Moment zog es Phil den Boden unter den Füßen weg. Verdammt, diese Frau war das Schärfste, das er je in seinem Leben gesehen hatte. Als er sie dort stehen sah, fiel ihm alles Mögliche ein, nur Brendon McGaill nicht.

***

»Verfluchte Scheiße, Norman, das ist doch nicht dein Ernst«, schimpfte Christa wieder. »Eine Bombe, das kann nicht dein Ernst sein!«

Norman saß halb auf seinem Schreibtisch und blickte in die Runde. Eine Strähne seines schulterlangen Haars fiel ihm über ein Auge. Er wirkte immer ein bisschen wie ein Junge – ein Junge, dem man alles durchgehen ließ. Das machte sein Charisma aus: Er sagte etwas und man folgte ihm begeistert. Doch eine Bombe? Jetzt ging er zu weit.

»Kapiert ihr denn nicht? Der Brand in Brooklyn war wie ein Segen für uns. Die haben uns doch glatt abgenommen, dass wir das waren. Jetzt müssen wir noch einen draufsetzen. Leute, es wird doch nur ein Sachschaden, nichts Ernstes. Die Filiale wird erst am Samstag mit viel Tamtam eröffnet. Wenn da am Freitag eine Bombe hochgeht, passiert niemandem etwas. Die Handwerker sind bereits fertig, morgen wird alles bestückt, und dann steht der Laden für einen ganzen Tag leer. Wir müssen uns nur Donnerstagnacht da reinschleichen und eine einfache Rohrbombe installieren. Der Zeitzünder wird für Freitagnachmittag eingestellt, dann ist kein Mensch mehr da. Wir richten das Ding so aus, dass es richtig funkt, aber die Gasöfen kein Feuer fangen. Dabei bleiben sogar die Außenfenster heil – nur für den Fall, dass sich jemand bei dem Shopping-Center rumtreibt.«

»Und was ist mit dem Laden darüber? Der soll doch auch am Samstag eröffnet werden«, fragte Calvin und fühlte sich genau wie Christa nicht besonders wohl bei der Vorstellung, die Aktion so weit zu treiben.

»Hast du dir mal angesehen, was das für ein Laden ist? Mann, so eine typische Barbie-Boutique, XS-Größen für Bulimie-kranke Teenager, die Americas Next Top-Model werden wollen! Von mir aus kann der ganze Scheiß da oben mit abfackeln. Kommt schon, Leute, das ist eine einmalige Gelegenheit. Stellt euch doch mal vor: Burger Kids verliert seine Kunden, weil die einfach Angst haben vor Anschlägen. Spätestens dann müssen sie reagieren.«

»Ich weiß nicht«, kam es wieder zögerlich von Christa. Sie strich sich mit einer Hand nervös über ihren Mund.

»Hör zu, Christa, wenn dir das zu heiß ist, dann gehst du besser, und zwar jetzt, genau wie alle anderen, denen das zu heiß ist. Ich ziehe das durch für Robin Food«, erwiderte Norman hart und stand auf. »Der Kampf gegen das Establishment ist nicht durch friedliche Demonstrationen und Proteststreiks zu gewinnen. Wenn wir was erreichen wollen, müssen wir die Konzerne dort packen, wo es ihnen weh tut: an ihren Bankkonten.« Er trat in die Mitte der sieben Mitglieder des inneren Zirkels von Robin Food, dann hob er die Hand und ballte eine Faust.

»Hasta la victoria siempre«, schrie er plötzlich, und nach und nach erschien ein Lächeln bei seinen Leuten, selbst bei Christa. Norman hatte recht, sie würden etwas Großes damit erreichen.

***

»Mami, schau mal!« Der kleine Blondschopf stürmte zu seiner Mutter, die gerade von der Arbeit gekommen war. Seine Großmutter saß lächelnd im Sessel und sah sich ihren fünfjährigen Enkel an, der mit dem Stapel von Antwortkarten auf seine Mutter zurannte. Charlie breitete ihre Arme auf und fing den kleinen Jungen, wirbelte ihn herum, sodass die Karten durch den Flur flogen. Sie küsste ihn.

»Und haben viele zugesagt?«, fragte sie lächelnd.

»Alle!«, rief Gavin begeistert und umarmte sie wieder. Sie ließ ihn herunter und er sammelte euphorisch die Karten auf, während Charlie ihre Jacke auszog, die Tasche auf den Schuhschrank legte und ihre Pumps von den Füßen streifte.

»Hi, Mom, war er lieb?«, fragte sie. Sie beugte sich zu ihrer Mutter und drückte ihr einen Kuss auf die Wange.

»Ein wahres Engelchen, wie immer. Gavin ist total aus dem Häuschen wegen der Geburtstagsfeier, Charlaine. Das war die beste Idee, die du je hattest. Dadurch wird er so viele Freunde finden in dem Kindergarten, es ist einfach grandios.« Die kleine etwas pummelige Frau mit den weißgrauen Haaren lächelte glücklich.

Charlie sah sie an. Es war alles verdammt schwer gewesen, doch plötzlich schien sich ihr Glück zu wenden. Langsam, aber sicher wurde alles wieder gut. Die drei waren erst vor zwei Monaten von Washington nach New York gezogen, nachdem Charlie zur Filialleiterin eines Burger Kids befördert worden war. Eine Filiale, die erst diesen Samstag eröffnet werden sollte. Endlich hatte sie es geschafft, nach all den harten Jahren.

Marc hatte sie verlassen, als Gavin gerade mal ein Jahr alt war, wegen seiner Sekretärin, die er nur einige Monate nach ihrer Scheidung heiratete. Eigentlich wäre es nicht so schlimm gewesen, denn Marc war ein erfolgreicher Anwalt – wenn Charlie damals vor ihrer Hochzeit nicht diesen verfluchten Ehevertrag unterschrieben hätte.

Es war für sie Liebe gewesen, und sie hätte niemals gedacht, dass Marc sich so verändern könnte. Ihre Mom war immer skeptisch gewesen, was Marc betraf, und als der Ehevertrag zur Sprache kam – natürlich erst, als alles bereits zu spät war –, hatte sie nur den Kopf geschüttelt und gesagt: »Mein Schatz, das stehen wir auch noch durch.«

Ja, so war Charlies Mom. Sie hatte sich von Tag eins der Trennung um Gavin gekümmert, hatte ihr geholfen, eine billige Wohnung zu finden, nachdem er Charlie einfach aus der Villa geworfen hatte. Doch sie hatte allen Prognosen zum Trotz das Sorgerecht für Gavin bekommen und sogar das Gericht überzeugen können, dass ein Umzug nach New York im Interesse des Kindes war.

Vier Jahre lang hatte sie sich abgerackert. Angefangen als Küchenhilfe bei Burger Kids, war sie langsam immer weiter aufgestiegen, denn der Filialleiter in Washington sah Potenzial in ihr. Warum auch nicht? Sie hatte das College besucht und Marc erst kennengelernt, als sie beide studierten: er Jura, sie Finanzen. Doch die Liebe hatte gesiegt, sie heirateten und Charlie brach ihr Studium ab.

Da Marc sich mit der Wahl seiner Ehefrau gegen den Willen seiner sehr betuchten Eltern gestellt hatte, musste ein Ehevertrag unterschrieben werden, um nicht allen Kontakt mit seinen Eltern zu verlieren. Doch damals dachte Charlie immer noch, dass es eine Formalität sei, nicht mehr und nicht weniger.

»Ja, ich glaube, du hast recht. Es ist alles vorbereitet, die Handwerker sind heute fertig geworden, und morgen wird den ganzen Tag gereinigt. Donnerstag werden die Lebensmittel angeliefert, und ich habe fünf meiner neuen Mitarbeiter überreden können, am Freitag zu kommen. Es wird Hamburger, Pommes, Softeis, Apfeltaschen und jede Menge Werbegeschenke geben.« Sie lachte laut. »Die sind zwar für die Eröffnung am Samstag gedacht, aber ich denke, es macht nichts, wenn wir schon ein paar der Plüschtiere und Actionfiguren bei Gavins Party verteilen.«

Sie ließ sich fröhlich auf die Couch fallen. »Wie viele Kinder kommen denn eigentlich?«, fragte sie ihre Mutter.

Die liebenswerte alte Frau sah sie an. »Na, was glaubst du? Alle haben zugesagt. Wir haben eine wilde Horde von zwanzig Kindern, mit Müttern, und manche der Väter kommen auch, da sie Freitagnachmittag früher freinehmen können. Ach«, seufzte sie, »unser Gavin wird nicht mehr der Neuling sein, sondern der meistgeliebte Junge des Kindergartens. Ein ganzer Burger Kids allein für seine Geburtstagsparty!«

***

Es war mittlerweile kurz vor fünf. Ich hatte drei Nachrichten auf Phils Mailbox hinterlassen. So langsam machte ich mir ernsthaft Sorgen. Ich hatte ihn um neun Uhr in Gramercy zurückgelassen. Die Besprechung mit Swonsen hatte fast bis Mittag gedauert, danach hatten Les, Joe und ich uns zusammengesetzt, damit ich sie mit dem Fall McGaill vertraut machen konnte.

Wir waren nur kurz runter in die Read Street gegangen, um uns bei Okami Sushi mit einem Take-Away einzudecken. Es lag nur vier Minuten zu Fuß entfernt und war qualitativ nicht schlecht.

Als ich danach das erste Mal bewusst wieder auf die Uhr sah, war es bereits nach drei Uhr. Seitdem hatte ich dreimal bei ihm angerufen. In der Zwischenzeit hatte ich mich mit Roger Swonsens Unterlagen beschäftigt. Akten lesen war eine Aufgabe, die mir gar nicht lag, aber erledigt werden musste. So war die Zeit vergangen.

»Hi, Jerry«, hörte ich plötzlich, als ich gerade wieder den Kopf über die Akten gebeugt hatte und eigentlich schon überlegte, entweder eine Fahndung nach Phil rauszugeben oder selbst in die 220 East 17th Street zu fahren. Dort stand Phil, und er sah irgendwie anders aus. Ich konnte nicht genau sagen, was es war, doch er wirkte irgendwie verändert.

»Sag mal, wo zum Teufel hast du dich rumgetrieben? Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, die Cops hinter dir herzuschicken. Mensch, ich habe mir Sorgen gemacht«, polterte ich heftiger heraus, als ich eigentlich wollte.

Er lächelte nur. »Schon gemerkt, ich bin ein großer Junge, ich habe ermittelt. Sorry, dass ich nicht zurückgerufen habe. Ich war bei Alicia Star länger als geplant. Danach habe ich mit der Nachbarin gesprochen und anschließend versucht, den Taxifahrer ausfindig zu machen, der Alicia vom Flughafen nach Hause gebracht hat. Alles erledigt. Die Sache im Flugzeug war wirklich nur eine Bagatelle. Sie ist direkt vom Flughafen mit einem Taxi nach Hause gefahren, und eine Nachbarin bestätigte das, sie hat ihr die Post gebracht.«

»Aha«, entwich es mir, »und Miss Star ist wohl sehr nett, wie ich das aus deinen Worten heraushöre, von wegen Alicia«, provozierte ich leicht, doch Phil grinste wieder nur.

»Ist sie, und eine tolle Frau, wenn du mich fragst. Sie macht Computergrafik und Design, selbstständig, ziemlich erfolgreich, so wie ihre Wohnung aussieht. Bei dem Flug ging es ihr nicht anders als mir. Sie hat sich über die Fluggesellschaft geärgert, aber dann gedacht, es wäre irgendwie zu billig, noch Schadensersatz zu fordern wegen der Lappalie.«

»Okay, na dann. Wie sieht es aus, wollen wir den Tag beenden?«

Phil ließ sich in seinen Sessel fallen. »Ich weiß nicht. Ich habe keine Ahnung, was heute bei euch passiert ist. Vielleicht wäre es besser, ich würde mich auf den neusten Stand bringen. Ich glaube, ich bleibe noch und nehme mir dann später einfach einen Wagen von der Fahrbereitschaft.«

»Wie du willst. Ich glaube, Les ist noch nebenan, der kann dich bezüglich des Gesprächs von heute Morgen auf den neusten Stand bringen. Auf deinem Schreibtisch liegt eine Kopie der Unterlagen. Dann viel Spaß, ich fahre nach Hause«, sagte ich und sah ihn an, erwartete irgendwie, dass er sagen würde: »Ach, komm schon, das kannst du mir doch viel besser erzählen, ich komm mit«, oder so etwas in der Richtung, doch er schlug bereits die Kopie von Roger Swonsens Unterlagen auf und fing an zu lesen.

»Also sehen wir uns morgen im Büro, wenn du selbst einen Wagen nimmst«, vergewisserte ich mich nochmals und griff mir meinen Trenchcoat.

Phil sah auf und nickte. »Ja, schönen Abend, Jerry, bis morgen!«

Irgendetwas stimmte mit Phil ganz und gar nicht. Doch während der Fahrt auf die Upper West Side verwarf ich den Gedanken. Ich sollte mir abgewöhnen, meinen Freund und Partner kritisch wie ein FBI-Agent zu analysieren.

Er wusste, was er tat, das hatte er oft genug zur Genüge bewiesen. Immerhin waren wir zwei erwachsene Männer und mussten nicht immer wie Kletten aneinanderhängen. Außerdem wollte er gestern mit mir essen gehen und ich hatte es vorgezogen, allein zu sein. Was irritierte mich denn jetzt so daran, dass er noch im Büro blieb, während ich auf dem Weg nach Hause war?

***

Als ich Mittwoch ins Büro kam, war Phil noch nicht da. Auch Helen hatte keinen Anruf von ihm bekommen. Das passte einfach nicht zu Phil. Selbst wenn er krank wäre, hätte er sich gemeldet. Also ergriff ich den Telefonhörer und rief seine Festnetznummer an. Es klingelte ein paar Mal, doch niemand nahm ab. Darum versuchte ich es auf seinem Handy und ließ es durchklingeln.

»Decker«, grunzte er, und mir wurde sofort klar, dass ich ihn geweckt hatte.

»Morgen, Partner«, erwiderte ich und grinste in mich hinein.

»Jerry?«, fragte er und schien langsam wach zu werden. »Verdammt, wie spät ist es?«

»Halb zehn. Gut geschlafen?« Das konnte ich mir nicht verkneifen.

Phil stöhnte und ich hörte, wie er sich aus einem Bett herauswühlte. Wessen Bett, war mir nicht klar. »Tut mir leid«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Ich habe verschlafen, bin unterwegs, aber es dauert vielleicht ein bisschen.«

»Werde erst einmal wach, bevor du dich ins Auto setzt. Mit deiner Fahrpraxis ist es schon ein Risiko wenn du ausgeschlafen bist«, stichelte ich weiter.

»Danke, da erweist sich wieder mal der wahre Freund«, schoss er zurück und legte auf. Ich lachte, denn jetzt wusste ich, dass er wirklich wach war. Die Male, die Phil zu spät zum Dienst erschienen war, konnte ich an einer Hand abzählen, und da ich nicht damit rechnete, dass er bis heute Morgen im Büro gearbeitet hatte, schien er eine neue Flamme am Start zu haben.

Ohne Partner blieb mir nicht so viel anderes übrig. Ich hatte erst einmal Papierkram vor mir. Ich hängte mich so richtig in Brendon McGaills Leben und recherchierte, was immer mir der Computer ausspuckte. Außerdem versuchte ich einiges über Robin Food her­auszubekommen, obwohl ich wusste, dass Les und Joe ihre ganze Energie in diesen Fall steckten.

Was ich von unserem Mordopfer erfuhr, war recht mager. Er war ein ganz normaler Bürger gewesen, der mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen war, dadurch eine Stoffwechselstörung entwickelt und damit sein Leben so gut es möglich war gestaltet hatte. Er besaß einen Universitätsabschluss in Kunst und hatte sich in Minnesota zu einem der führenden Kunstkritiker gemausert. Er war unverheiratet, seine Mutter lebte noch und hatte sich um ihn gekümmert.

Die alte Dame war verzweifelt, weil ihr Junge ermordet worden war, aber sie war stark, trotz ihrer fünfundsechzig Jahre. Sie verstand nicht, warum ihr guter Sohn getötet wurde, und bat mich eindringlich, den Mörder zu finden. Danach sprach ich mit Brendons Chef in Minnesota und anschließend mit dem verantwortlichen Leiter des Met.

Ich war schon drauf und dran, Alicia Star mit dem Computerprogramm zu überprüfen, als ich mich selbst zurückhielt. Phil hatte das zur Genüge getan, und mein Partner wusste, was er tat. Es war nicht an mir, ihn zu kontrollieren. Ich schüttelte den Kopf und ging rüber zu Les und Joe, um dem Papierkram einfach mal kurz zu entfliehen. Es war bereits Mittag. Die beiden saßen gemeinsam vor Joes PC-Bildschirm und sahen sich Videoaufnahmen an.

»Gibt’s bei euch was Neues? Ich bin ziemlich am Ende mit meinen Erkenntnissen«, erklärte ich und Les stoppte die Aufnahme.

»Wir suchen die Nadel im Heuhaufen«, raunzte Joe, »wir schauen uns die Polizeivideos an, die routinemäßig gemacht wurden letztes Jahr: alle Demonstrationen, gegen Fastfood, Softdrinks, Süßwarenkonzerne bis hin zu Fernsehsendern, die Model-Shows ausgestrahlt haben. Wir versuchen vertraute Gesichter wiederzuerkennen, irgendeine Spur, um diese Robin Food-Leute eventuell zu identifizieren.«

Ich nickte ihnen zu. »Verstehe. Lasst mich wissen, wenn es was Neues gibt.« Als ich wieder in mein Büro zurückkam, saß Phil endlich an seinem Schreibtisch und sah hoch, als ich eintrat.

»Und?«, fragte ich, setzte mich ihm gegenüber.

»Und was?«, erwiderte er.

»Erfahre ich jetzt was über deine neue Flamme?«

Er sah mich an, zog die Augenbrauen hoch und dann huschte ein glückliches Grinsen über sein Gesicht.

»Oh!«, entwich es mir. »Agent Decker, hat es Sie erwischt?«

Er zuckte kurz die Schultern, aber sagte keinen Ton.

***

Ich stand mit meiner ersten Tasse Kaffee am Fenster meines Wohnzimmers und blickte auf das Häusermeer von Manhattan. Heute schien die Sonne wieder, als hätte es die elenden zwei Regentage gar nicht gegeben. Plötzlich klingelte mein Handy.

»Guten Morgen, Les«, meldete ich mich, denn im Display wurde mein Kollege als Anrufer angezeigt.

»Morgen, Jerry, bist du noch in deiner Wohnung?«

»Ja, was gibt’s?«, fragte ich verwundert über Les Bedells Anruf.

»Joe und ich sind gerade auf dem Weg auf die Upper West Side, Nähe Lincoln Square, ganz in deiner Nähe. Wir dachten, du willst uns dort vielleicht treffen.«

»Worum geht’s?«, wollte ich wissen.

»Wir haben uns gestern bis in die Nacht die Polizeivideos angesehen und sind einem gewissen Dr. Wayne Hutton auf die Spur gekommen. Er leitet hier auf der Upper West Side ein Adipositas-Selbsthilfe-Zentrum. Der Mann hat an verdammt vielen Demos teilgenommen. Wie sieht es aus, kommst du mit? Wir denken, er könnte was mit diesen Robin Foods zu tun haben.«

Ich dachte kurz nach. »Klar, ich mach mich sofort fertig. Schick mir die Adresse per SMS, ich brauche dreißig Minuten, wenn es nicht zu weit von hier entfernt ist.«

»Nein, es ist gleich bei dir um die Ecke, ich schicke sie dir. Wir warten vor dem Haus auf dich. Beeil dich mit dem Duschen«, meinte Les scherzhaft, doch ich konnte hören, dass er heute Nacht kaum geschlafen hatte, wenn überhaupt. Er klang müde.

Kurz erwog ich Phil anzurufen, doch er hatte immer noch den Wagen der Fahrbereitschaft und ich hatte keine Ahnung, wo in New York er heute Nacht geschlafen hatte. Also gönnte ich ihm sein Frühstück zu zweit und machte mich alleine auf den Weg. Um fünf vor acht parkte ich meinen Wagen hinter dem dunklen Crown Victoria, den Les und Joe immer fuhren. Sie standen vor dem Wagen in der Sonne. Ich ging zu ihnen.

»Habt ihr mit ihm einen Termin gemacht?«

Joe schüttelte den Kopf. »Nein, wir wollen ihn kalt erwischen, damit er nicht lange Zeit hat, sich etwas zurechtzulegen. Aber da seine Sprechzeiten um sieben Uhr beginnen, sollte er eigentlich im Zentrum sein. Er hat noch eine Praxis in Downtown, doch er arbeitet jeden Morgen und ein paar Tage die Woche abends unentgeltlich im Selbsthilfe-Zentrum.«

Wir wurden von der Mitarbeiterin an der Rezeption ins Wartezimmer geschickt. Sie hatte uns gesagt, dass er wahrscheinlich einen Patienten hatte, aber danach immer selbst rauskam, um den nächsten aufzurufen.

So nahmen wir Platz. Es waren zwei junge Frauen und ein Mann mittleren Alters mit uns im Raum. Sie fixierten uns eher unsicher, da wir drei mit unseren durchtrainierten Körpern und unserem Aussehen nicht so recht hierherpassten.

Als Dr. Hutton sich dann von einer Patientin verabschiedete, traten wir zu ihm und gingen mit ihm in sein Besprechungszimmer. An der altmodischen Einrichtung dieser Behelfspraxis sah man auf den ersten Blick, dass die Selbsthilfegruppe auf Spenden und die selbstlose Arbeit von Ärzten wie Dr. Hutton angewiesen war. Der Raum war zwar sauber, aber er wirkte uralt, und ein unangenehmer säuerlicher Geruch stieg mir in die Nase.

»Dr. Hutton, gehören Sie zu einer Gruppe, die sich Robin Food nennt?«, fiel Joe mit der Tür ins Haus. Seine Stimme war aggressiv. Das machte er gerne so, um sein Gegenüber erst einmal einzuschüchtern, während Les dann später sanfter eingriff. Die Guter-Cop-böser-Cop-Nummer spielten wir alle immer mal wieder.

Der gut aussehende Doktor mit seinen dichten dunklen Haaren und dem markanten Gesicht lächelte. Ich schätzte ihn auf vierzig, vielleicht etwas älter. Er ließ sich von Joe Brandenburg nicht verunsichern. Sehr gelassen faltete er die Hände auf dem Schreibtisch.

»Nein, aber ich kenne einige von ihnen. Fragen Sie erst gar nicht, es sind oder waren meine Patienten, und daher unterliege ich der ärztlichen Schweigepflicht.«

»Wollen Sie sich auch noch auf Ihre Schweigepflicht berufen, wenn Menschen zu Schaden kommen bei den Aktionen von Robin Food?«, übernahm jetzt Les Bedell das Gespräch mit seiner besonnenen, formellen Art.

»Das ist doch lächerlich, Robin Food ist eine Organisation von jungen idealistischen Menschen, die nur helfen wollen. Haben Sie sich mal meine Patienten da draußen angesehen? Das sind keine faulen, verfressenen Nichtsnutze, wie das von vielen so gerne behauptet wird. Das sind junge Leute, die als Kleinkinder nur mit ungesundem, kalorienhaltigem Fastfood großgezogen wurden, die in ihren Babyfläschchen Limonade und Cola hatten, bis ihnen die Zähne schon im Kiefer verfaulten, von der Entwicklung der Fettzellen im Körper mal ganz abgesehen. Schokolade, Limonade, Hamburger, Pizza – haben Sie sich mal gefragt, warum gerade unsere Gesellschaft diese Lebensmittel als schnelles Essen kultiviert hat, anstatt Gemüse-Eintöpfe oder Milchprodukte? Ich kann es Ihnen sagen: weil es süchtig macht.«

Er stieß heftig die Luft aus. »Die Werbung dieser Konzerne konzentriert sich zu 80 Prozent auf Kinder, denn die sind die Konsumenten von morgen.«

»Und das allein ist eine Berechtigung, Menschenleben in Gefahr zu bringen, zum Beispiel indem man droht, Essen zu vergiften?«, warf ich ein, obwohl ich mich eigentlich zurückhalten wollte.

Der Doktor schüttelte den Kopf. »Humbug«, sagte er und seufzte. »Wer hat Ihnen denn das eingeredet? Nein, Robin Foods einzige illegale Aktionen beschränken sich auf Schmierereien, ein bisschen Sachbeschädigung, die die Konzerne aus der Portokasse bezahlen. Nein, Agents, da ist das FBI auf dem falschen Dampfer. Da hat Ihnen jemand ein ganz falsches Bild von Gruppen wie Robin Food gezeichnet. Wenn das dann alles wäre? Ich habe draußen Menschen warten, die mich dringender brauchen.« Er stand bereits auf.

Joe sah ihn eindringlich an. »Geben Sie uns Namen, dann können wir uns selbst davon überzeugen, wie harmlos die sind. Denn wenn etwas passiert, wird man Sie als Mitwisser und wegen Beihilfe zur Verantwortung ziehen.«

Dr. Hutton lachte. »Tun Sie das ruhig, mit der Aussicht kann ich nachts gut schlafen. Nein, ich nenne Ihnen keine Namen, nur damit ein gerissener Rechtsanwalt eines Großkonzerns das Leben eines jungen Menschen zunichte macht, für eine kaputte Fensterscheibe und etwas Graffiti. Tut mir leid. Entschuldigen Sie mich bitte.«

Auch wir standen auf und folgten Dr. Hutton wieder ins Wartezimmer. Er sah auf den übergewichtigen Teenager und sein Gesicht strahlte das Mädchen regelrecht an. »Komm, Lisa, du bist jetzt dran.«

»Hm«, brummte Joe, »das war ja wirklich ergiebig. Und jetzt? Sollen wir uns eine gerichtliche Verfügung holen, um seine Patientenakten einzusehen?«, fragte er, als wir vor den Autos zusammenstanden.

»Ich denke, das müssen wir, denn für uns tickt die Zeit«, erwiderte Les.

Ich nickte. »Das wird eine Sisyphusarbeit für euch, wenn ihr die gerichtliche Genehmigung bekommt. Dann muss jeder einzelne Patient überprüft werden. Ich glaube, Phil und ich werden euch dabei unter die Arme greifen. Was den Fall McGaill angeht, hängen wir momentan sowieso fest.« Wir wollten schon zu unseren Wagen gehen, als mein Handy klingelte.

»Himmel, Jerry, wo bist du?«, hörte ich Phil. Er klang alles andere als ruhig und ich sagte ihm schnell, wo wir waren und warum.

»Komm sofort ins Büro, wir müssen los, das NYPD hat eine Vermisstenanzeige reinbekommen. Unsere Entführer haben sich ein neues Opfer geschnappt.«

»Bist du dir sicher, dass es die gleichen sind wie bei McGaill?«

»Hundert Prozent, ich habe mir mit dem Chef gerade das YouTube-Video angesehen, das heute Nacht hochgeladen wurde.«

***

Ich entschied mich, die Strecke am Hudson runter ins Büro zu nehmen, um die Stadtmitte zu vermeiden, und hatte den richtigen Riecher, denn ich brauchte genau fünfundzwanzig Minuten. Ich wollte schon Richtung Tiefgarage einbiegen, als ich Phil neben dem Wachhaus stehen sah. Also fuhr ich an den Straßenrand und er stieg ein.

»Fahr los, 22 River Terrace«, meinte er anstatt einer Begrüßung.

»Ist das unten beim Battery Park?«, fragte ich und wendete.

»Nein, in der Nähe des World Financial Center, rauf auf den Broadway, dann rechts in die Chambers, wir kommen dann genau darauf zu. Du weißt schon, die roten Ziegelsteinbauten, direkt am Hudson, Feine-Leute-Gegend.«

Ich sah ihn an und runzelte die Stirn. »Die Upper West Side ist Feine-Leute-Gegend«, erwiderte ich scherzhaft, und Phil lachte laut auf.

»Aber im Ernst: zu wem fahren wir? Und meinst du nicht, ich hätte mir als Erstes mal das neue Video ansehen sollen? Ganz abgesehen davon habe ich noch keine Ahnung, wer unser Opfer überhaupt ist.«

Er grinste breit. »Alles erledigt, wofür hast du mich denn.« Er wedelte mit einer Akte rum. »Ich bring dich auf den aktuellen Stand, und das Video habe ich bereits auf den Bord-Computer geschickt. Sobald wir geparkt haben, kannst du dir alles in Ruhe ansehen.«

Phil schien voller Tatendrang und war scheinbar bester Laune. Das vertrieb meine trüben Gedanken, denen ich seit dem Besuch bei Dr. Hutton nachhing.

»Schieß los.«

Er schlug die Akte auf und ich riskierte einen Seitenblick auf das Foto der Frau, da ich gerade bei der roten Ampel Ecke Worth Street und Broadway wartete, um links abzubiegen. Diese Frau war mächtig, schien noch kräftiger zu sein, als es Brendon McGaill war, und mir stellte sich die Frage: Wie konnte man so jemanden entführen? Die typische Routine mit Betäubung oder unerwartet in einen Kleintransporter zerren war hier nicht möglich. Wenn die Robin Food-Leute was damit zu tun hatten, dann musste sie jemanden von der Gruppe gekannt haben.

»Jule Eliza Marrow, dreißig Jahre, Tochter des erfolgreichen Brokers Ted Marrow und seiner Frau Lydia, geborene Dawson«, referierte Phil.

Ich unterbrach ihn kurz. »Lydia Dawson, war die nicht vor zwanzig Jahren so eine Model-Ikone und hat auch Filme gedreht?«

Phil zog übertrieben die Augenbrauen hoch. »Für einen Jungen vom Lande bist du gut informiert.«

Ich verzog den Mund und bekam erst mit, dass es bereits grün war, als hinter mir laut gehupt wurde. Ich bog nach links ab.