Jerry Cotton Sammelband 4 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 4 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 4: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!

G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!

Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:

2795: Kein Deal für den Ripper

2796: Blutiger Schnee

2797: Raubtiere auf dem Catwalk

2798: Die Wächter Amerikas

2799: Der Nationalparkmörder

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Jetzt herunterladen und garantiert nicht langweilen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 677

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive von © shutterstock: Flik47 | mr. Timmi ISBN 978-3-7325-7014-0

Jerry Cotton

Jerry Cotton Sammelband 4 - Krimi-Serie

Inhalt

Jerry CottonJerry Cotton - Folge 2795Schon sechs junge Frauen hatte James Riffkin bestialisch umgebracht, als er sich dem FBI stellte. Und er wollte einen Deal, den ihm Staatsanwalt Coburn auch zugestand. Daraufhin kochte die Empörung in der Bevölkerung hoch, besonders aber bei den Eltern der Opfer. Kurz darauf wurde die 10jährige Tochter des Staatsanwalts entführt und für ihre Freilassung nur eine Bedingung gestellt: Kein Deal für den Ripper...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2796Ashley Rowan, Tochter von Richter Rowan, wurde ermordet auf einer einsamen Straße gefunden. Was lag näher, als an einen Racheakt gegen den Richter zu denken. Doch das brachte Phil und mich nicht weiter. Wir standen unter dem Druck der Medien, die diesen Fall natürlich groß aufbauschten. Uns blieb nichts anderes übrig, als ein bisschen im Nebel herumzustochern und zu hoffen, dass wir jemanden aufscheuchten ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2797Die New Yorker Fashion Week ist für die Modewelt eins der Ereignisse des Jahres. Phil und mich ließ der Event eigentlich ziemlich kalt - bis bei einer Modeschau gleich vier Mannequins auf dem Laufsteg tot zusammenbrachen. Wir waren noch mit der Beweissicherung beschäftigt, als in einem Nachtclub in Midtown die Hölle losbrach. Von diesem Augenblick an hatte wir vom FBI alle Hände voll zu tun, um nicht im Strudel der Gewalt unterzugehen...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2798Unser Kollege Jack Frost wurde ermordet auf einem Friedhof gefunden. Phil und ich nahmen die Ermittlungen auf, wobei Frosts Partner schnell unter Verdacht geriet, mit dem Mord etwas zu tun zu haben. Aber bevor wir ihn befragen konnten, war auch er Opfer eines geheimnisvollen Killers geworden. Der Fall wurde immer größer, doch wie groß er werden sollte, ahnten Phil und ich nicht im Entferntesten...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2799Der Adirondack State Park ist ein beliebtes Erholungsgebiet im äußersten Norden von New York State. Eher ungewöhnlich war es, dass man dort die Leiche eines Drogentoten fand. Es blieb nicht die einzige und als Phil und ich nachforschten, stellte sich heraus, dass jemand mit Designerdrogen experimentierte. Wir begaben uns auf der Suche nach der Drogenküche in die endlosen Wälder und sahen dabei den Wald vor lauter Bäumen nicht...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Kein Deal für den Ripper

Vorschau

Kein Deal für den Ripper

Seine Augen leuchteten voller Vorfreude, als er die panische Angst in Tamaras Augen registrierte. Die junge Studentin hing in dem Gestell und ihr Körper zeigte die Spuren seiner besonderen Folter. Einige gerötete Stellen der Haut warfen Blasen, was James in pure Wollust versetzte.

»Daubner wird dich lynchen«, schrie Tamara voller Verzweiflung.

Doch James Riffkin spürte nur die wachsende Erregung und nahm ihre Drohung überhaupt nicht wahr. Eine weitere Stunde quälte er die Studentin, bevor ihr Kreislauf versagte und der Tod seine Erregung zerstörte.

Phil balancierte die beiden Eisbecher geschickt mit einer Hand, um die Tür zu unserem Büro aufzustoßen. Die Hitzewelle hatte New York fest im Griff und daher wollte mein Partner uns mit dieser kleinen Abkühlung erfrischen. Mein Blick fiel auf den verlockenden Eisbecher und es kostete mich ungeheure Überwindung, die Aufforderung unseres Chefs an Phil weiterzugeben.

»Mister High möchte uns sofort in seinem Büro sprechen, Phil.«

Meinem Partner entglitten nahezu die Gesichtszüge bei meinen Worten, dann grinste er grimmig.

»Der war nicht übel, Jerry. Fast wäre ich darauf hereingefallen!«

Er setzte sich bequem in seinen Schreibtischstuhl und steckte den Löffel in sein Schokoladeneis. Besser gesagt, er wollte den Löffel hineinstecken, doch ich zog den Becher ein Stück weg und schüttelte den Kopf.

»Nichts da, Phil. Der Chef wartet bereits und daher kannst du dein Eis nicht sofort genießen.«

Mein Partner studierte meine Miene und erkannte den bitteren Ernst darin. Seufzend erhob er sich und deutete anklagend auf den Eisbecher.

»Wenn wir wiederkommen, ist das Eis längst geschmolzen.«

Ich nickte mitleidig und nahm meinen Eisbecher mit, was Phil irritiert anhalten ließ.

»He, was soll das denn werden?«

»Mein Eis geht an Helen. Vielleicht kannst du dein Eis ja einem der Kollegen überlassen«, erklärte ich mein Vorhaben.

Phil und ich eilten hinüber zum Büro unseres Chefs, wo ich im Vorzimmer den Eisbecher mit einem Lächeln vor Helen auf den Schreibtisch stellte. Phil hatte seinen Eisbecher einem völlig überraschten Joe Brandenburg in die Hand gedrückt.

»Danke, Jerry! Das ist aber nett«, freute sich die Sekretärin unseres Chefs.

Mr High saß an seinem Schreibtisch und schaute auf, als Phil und ich eintraten. Mit einer Geste forderte er mich auf, die Verbindungstür zu schließen.

»Setzen Sie sich bitte. Es geht um den Mann, der von den Medien als College-Ripper bezeichnet wird.«

Mit dieser Eröffnung hatte Mr High umgehend unsere ungeteilte Aufmerksamkeit. Bislang hatte der sadistische Mörder fünf junge Studentinnen auf dem Gewissen, und trotz einer Sonderkommission des FBI gab es immer noch keine brauchbaren Hinweise auf ihn. Bislang waren fünf junge Frauen tot aufgefunden worden, deren Leichen schlimme Folterspuren aufwiesen, und da es alles Studentinnen waren, prägten die Medien den Begriff des College-Rippers.

»Hat die Sonderkommission endlich eine Spur gefunden?«, fragte ich voller Hoffnung.

Die Mordserie hatte dazu geführt, dass junge Frauen trotz der Hitzewelle am Abend nicht mehr allein ins Freie gingen und bei geschlossenen Fenstern schliefen – unabhängig davon, ob ihre Wohnung über eine Klimaanlage verfügte oder nicht. Die Angst hatte nicht nur junge Studentinnen in ihrem Griff, obwohl der Ripper bisher nur in diesem Personenkreis seine Opfer gesucht hatte.

»Nein, der Mörder will sich stellen. Allerdings nur dem FBI, und unter der Zusage, dass er in ein Schutzprogramm kommt.«

Phil stieß einen Laut aus, den ich als eine Mischung aus Überraschung und Verärgerung interpretierte.

»Wie bitte?«

Mein Kommentar drückte es ähnlich aus.

»Das findet auch nicht meine Zustimmung, aber der Staatsanwalt hat uns angewiesen, James Riffkin in Sicherheitsgewahrsam zu nehmen.«

Phil und ich tauschten einen ungläubigen Blick, obwohl wir im Grunde das Handeln des Staatsanwalts nachvollziehen konnten.

»Warum stellt dieser Riffkin sich freiwillig, wenn es überhaupt keine Beweise gegen ihn gibt?«, fragte Phil.

Mr High sah uns an und mir lief ein kalter Schauder über den Rücken. So überraschend seine Eröffnungen bisher schon gewesen waren, die größte Überraschung stand uns offensichtlich noch bevor.

»Professor Riffkin hat zu spät gemerkt, dass sein sechstes Opfer Tamara Goldwell gewesen ist.«

An unseren fragenden Blicken konnte Mr High ablesen, wie wenig uns dieser Name sagte.

»Miss Goldwell ist die Patentochter von Cedrick Daubner«, ließ er die Bombe platzen.

Einen Moment glaubte ich, mich verhört zu haben. Cedrick Daubner leitete eines der gefährlichsten Kartelle des ganzen Landes, das auch in New York neue Maßstäbe in der organisierten Kriminalität gesetzt hatte. Daubner hatte ein Management, um das ihn so manches Aktienunternehmen im Lande beneidete.

»Und jetzt hat Riffkin Angst, dass Daubner ihn erwischt. Na, da stellt man sich doch lieber und geht ins Gefängnis«, kam es sarkastisch von mir.

Mr High sah mich nur durchdringend an, und als ich leicht nickte, fuhr er mit der Besprechung fort.

»Bislang wurde der Mord an Tamara Goldwell nicht bekannt gegeben, so wie es der Staatsanwalt gefordert hat. Sie und Phil holen den Professor an der State University ab und bringen ihn in eine sichere Wohnung.«

Ich verkniff mir weitere Bemerkungen und saß zehn Minuten später mit Phil in einem Pontiac, den ich mit grimmiger Entschlossenheit durch den zäh fließenden Verkehr steuerte. Meinen geliebten Jaguar konnte ich für diese Fahrt nicht nutzen, da der sechsfache Mörder sich natürlich nicht auf den Notsitz falten konnte.

»Mir geht es genauso gegen den Strich, Jerry. Es bringt uns aber auch nicht weiter, wenn wir uns ständig daran reiben. Wir übernehmen den Fahrdienst für den Professor und damit ist die Angelegenheit für uns erledigt.«

Phil sah es nüchterner als ich, und obwohl ich zustimmend brummte, fühlte ich mich kein Stück besser.

***

Die folgenden zwei Tage beherrschte dieses Thema erwartungsgemäß die Medien. Ein angesehener Professor für neue englische Literatur hatte sich als der College-Ripper zu erkennen gegeben und sich den Behörden gestellt. Der Staatsanwalt hatte dafür gesorgt, dass der wahre Hintergrund hierfür aus den Berichten herausgehalten wurde. Cedrick Daubners Verbindung zu dem Fall wurde konsequent verschwiegen, stattdessen schob Oliver Coburn den Ermittlungsdruck als das Motiv für Riffkins Handeln vor. Natürlich wusste Coburn, wie wertvoll dieser Fall für seine politischen Ambitionen war.

»Wir haben Anweisungen, keine Kommentare gegenüber den Medien durchsickern zu lassen.«

Phil las die Anweisung laut vor, obwohl ich sie natürlich ebenso erhalten hatte.

»Als wenn wir es je anders gehandhabt hätten. Coburn sieht sich auf dem Sprung in die Politik und will diesen Professor Riffkin für seine Zwecke nutzen«, kommentierte ich die Anweisung unverblümt.

Bis zum späten Nachmittag genossen wir die angenehme Kühle der Klimaanlage, was uns die ansonsten wenig geliebte Büroarbeit erheblich versüßte. Ich war gerade mit einem Bericht aus der Abteilung für Wirtschaftskriminalität befasst, als Phil mich mit einem seltsamen Unterton in der Stimme ansprach.

»Jerry? Das solltest du dir einmal ansehen.«

Ich schaute zu meinem Partner über den Tisch und bemerkte, wie Phil mit gerunzelter Stirn auf den Monitor seines Computers starrte. Als ich neben ihm stand und auf den Livestream eines Nachrichtensenders schaute, verstand ich seine angespannte Haltung.

»Staatsanwalt Coburn hat einem Deal mit Riffkin dem College-Ripper zugestimmt«, lautete die schockierende Meldung.

»Das dürfte ziemlich viel Wirbel veranstalten. Himmel, was hat sich Coburn nur dabei gedacht?«

Phil und ich diskutierten die zu erwartenden Unruhen, die solch ein Deal mit einem Serienmörder in der Bevölkerung auslösen würde. Professor James Riffkin war clever vorgegangen, indem er bisher beharrlich über den Verbleib seines letzten Opfers schwieg. Der Professor hatte die politischen Ambitionen des Staatsanwalts geschickt eingesetzt, um seine Sicherheit im Gegenzug gegen die Bekanntgabe seiner Folterwerkstatt zu erkaufen.

Coburn konnte sich ausrechnen, wie groß die Medienwirksamkeit sein würde, wenn er der Öffentlichkeit diesen Ort mitsamt der Leiche von Tamara Coldwell präsentieren konnte. Daher war seine Bereitschaft zu diesem Deal mit Riffkin absolut nachvollziehbar, der selbst in einem Gefängnis kaum vor der Rache Daubners sicher wäre. Diesem Sadisten würden die wenigsten Menschen einen Deal zubilligen, selbst wenn er dafür im Gegenzug seine Folterwerkstatt sowie den Leichnam von Tamara zugänglich machte.

Es war ein grausames Spiel mit den Emotionen der Menschen und passte hervorragend zu einem Sadisten, wie es eben James Riffkin war. Am Abend schaltete ich den Fernseher in meinem Apartment ein, um meine schlimmsten Befürchtungen bestätigt zu sehen.

»Kein Deal für Riffkin«, lautete die einhellige Meinung der Menschen.

Das Büro der Staatsanwaltschaft wurde von Demonstranten belagert, die erst ein großes Aufgebot des NYPD vertreiben konnte. Ich war heilfroh, dass Phil und ich nichts mit dieser unschönen Geschichte zu tun hatten.

***

Auch der folgende Tag bescherte uns eine trockene Hitze, wie man sie eher in den Wüsten von Arizona erwartet hätte. Die vielen Millionen Menschen im Big Apple stöhnten unter den Temperaturen und jeder suchte einen Ort, wo ihm die Klimaanlage wenigstens eine Zeit lang angenehme Frische ermöglichte. Phil und ich saßen im Hemd an unseren Schreibtischen, um die Verwaltungsarbeit mit seltener Ausdauer zu erledigen. Keiner von uns zeigte die sonst übliche Unruhe, sondern genoss die Kühle im Field Office. Als unser Chef uns um ein Uhr mittags zu sich rief, ahnten wir nichts Gutes.

»Damit dürfte unsere Auszeit im Büro vermutlich der Vergangenheit angehören«, unkte Phil.

Helen winkte uns nur durch, während sie auf zwei Telefonleitungen parallel mit Gesprächspartnern verhandelte.

»Sieht fast so aus, als wenn es eine größere Krise geben würde«, raunte ich meinem Partner zu.

Als wir uns beim Chef meldeten, deutete Mr High auf den Besprechungstisch und telefonierte weiter. Nachdem er sein Gespräch beendet hatte, kam er zu uns an den Tisch.

»Die Tochter von Staatsanwalt Coburn ist nach der Schule nicht nach Hause gekommen. Es gibt keinen Zweifel daran, dass man sie entführt hat. Ein Bekennerschreiben ging bei der Staatsanwaltschaft ein, in dem nur eine einzige Forderung für die Freilassung aufgeführt wird.«

Phil und ich starrten auf Mr High, da er eine dramatische Pause eingelegt hatte. Mit seinem nachfolgenden Satz stürzte er uns in tiefe Erschütterung.

»Kein Deal für Riffkin.«

Phil stieß die angehaltene Luft aus und mir kam ein nicht druckreifer Fluch über die Lippen. Unsere schlimmsten Befürchtungen waren sogar noch übertroffen worden. Jemand hatte sich die unschuldige Tochter von Coburn geschnappt, um den Deal des Staatsanwalts zu verhindern.

»Gibt es irgendwelche Hinweise auf die Entführer?«, fragte ich mit gepresster Stimme.

»Nein. Staatsanwalt Coburn verlangt nach meinen besten Agents, und daher übertrage ich Ihnen die Ermittlungen.«

Auf diese Ehre hätte ich liebend gerne verzichtet, doch das Leben eines unschuldigen Kindes stand auf dem Spiel. Tess Coburn war zehn Jahre alt und musste jetzt für die politischen Ambitionen ihres Vaters möglicherweise büßen. So weit wollte ich es auf keinen Fall kommen lassen.

»Diese brutale Vorgehensweise deutet meines Erachtens auf Cedrick Daubner hin. Wir sollten den Schwerpunkt unserer Nachforschungen auf ihn und seine Organisation richten«, schlug Phil vor.

»Normalerweise würde ich dir ja zustimmen, Phil. Angesichts der schlimmen Taten von Riffkin könnte ich mir jedoch auch andere Eltern als verzweifelt genug vorstellen, damit unbescholtene Bürger zu dem drastischen Mittel einer Entführung greifen.«

Mr High schloss sich meiner Argumentation an und wollte keine einseitige Recherche in Richtung von Cedrick Daubner zulassen. Phil und ich verließen unmittelbar nach der Besprechung das Field Office, um uns im Büro des Staatsanwalts mit Coburn zu treffen.

»Warten Sie bitte einen Augenblick, Agents. Der Staatsanwalt hat gleich Zeit für Sie.«

Die Assistentin von Coburn bat uns, im Vorraum zu warten. Phil warf mir einen mahnenden Blick zu, da er meine aufflammende Ungeduld spürte. Was konnte in diesem Moment für Coburn wichtiger sein, als mit den Ermittlern des FBI zu sprechen, die nach seiner entführten Tochter suchten? Mühsam zügelte ich meine Ungeduld und blieb stehen, was mir einen langen Blick der Assistentin eintrug. Als unsere Blicke sich trafen, lächelte sie voller Verständnis und ich erkannte, wie ähnlich offenbar ihre Gedankengänge waren. Ihr schien das Verhalten des Staatsanwalts genauso unverständlich zu sein wie mir. Dann flog die Tür zum Büro von Oliver Coburn auf und er trat mit einer herrischen Geste auf uns zu.

»Na, endlich! Was gedenken Sie zu tun?«

»Special Agent Cotton, und das ist mein Partner, Special Agent Decker. Könnten wir uns in Ihrem Büro in Ruhe unterhalten, Sir?«

Coburn blinzelte irritiert, dann wandte er sich brüsk um.

»Die nächsten fünf Minuten keine Störungen, Ann. Danach muss ich dringend mit der PR-Agentur sprechen.«

Ich biss die Zähne zusammen und hielt mich zurück, bis die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war.

»Gibt es dringendere Angelegenheiten für Sie als Ihre entführte Tochter? Fünf Minuten ist alles, was Sie an Zeit für unsere Unterstützung erübrigen wollen?«

Meine Fragen hätten jeden normalen Menschen wie Ohrfeigen treffen müssen, doch Coburn versetzte mich in Staunen.

»Ich habe meine Prioritäten, und die lasse ich mir auch nicht von irgendwelchen Entführern durcheinanderbringen. Genau darauf zielen diese Verbrecher doch ab mit ihrer Aktion. Hier ist eine Mappe mit allen erforderlichen Informationen über Tess. Meine Assistentin ist angewiesen, alle Anfragen des FBI ohne lange Rücksprache mit mir zu klären. Sonst noch etwas?«

Ich blätterte durch die Seiten in der Mappe, in der jemand tatsächlich ein ungewöhnlich detailliertes Bild der zehnjährigen Tochter Coburns entworfen hatte. Selbst an Telefonlisten aller ihrer Kontaktpersonen war gedacht worden.

»Ich nehme an, die Haken hinter den Namen sollen uns anzeigen, dass mit jeder dieser Personen bereits gesprochen wurde?«

Coburn hatte seine Assistentin darauf angesetzt, und die hatte sich bei allen Bekannten oder Freunden von Tess erkundigt, ob diese etwas aussagen könnten.

»Es gibt leider nicht einen brauchbaren Hinweis, Agent Cotton. Hier ist das Mobiltelefon meiner Tochter, das zur Kontaktaufnahme mit mir eingesetzt wurde.«

Oliver Coburn reichte mir ein iPhone in einer durchsichtigen Tüte, wie sie üblicherweise von den Technikern der Spurensicherung verwendet wurden.

»Einer meiner eigenen Ermittler hat es aus dem Umschlag geholt, mit dem die Entführer es an mein Büro geschickt hatten. Der Umschlag ist bereits auf dem Weg ins Kriminallabor.«

Der umsichtige Ermittler der Staatsanwaltschaft hatte den Umschlag von beiden Seiten fotografiert und die Aufnahmen in die Mappe von Tess mit eingefügt. Phil nahm die Tüte mit dem Mobiltelefon an sich und aktivierte es. Nach wenigen Sekunden hatte er die Bildnachricht mit einer Sprachaufzeichnung von Tess aufs Display geholt und zeigte es mir.

»Sehr clever. Auf diese Weise kann es keine Zweifel geben, dass die Entführer Tess wirklich in ihrer Gewalt haben. Würden Sie sagen, dass es auch die Stimme Ihrer Tochter ist?«

Oliver Coburn hatte keine Zweifel an der Echtheit der Tonaufzeichnung.

»Zum Abgleich der Stimmen habe ich eine DVD von einer Geburtstagsfeier meiner Tochter mit ins Kriminallabor geschickt. Sobald Sie mit dem Mobiltelefon fertig sind, geht es ebenfalls dorthin, damit die Techniker einen Stimmabgleich durchführen können.«

Mir war Coburn als Mensch nicht sonderlich sympathisch, doch als Staatsanwalt beherrschte er offensichtlich sein Metier. Trotz der Krise dachte er logisch und handelte folgerichtig. Immerhin ein Pluspunkt für unsere Ermittlungen.

»Haben Sie einen speziellen Verdacht, wer hinter der Entführung stecken könnte?«

Phil stellte die Frage, obwohl wir beide die Antwort von Coburn ahnen konnten.

»Daubner steht natürlich ganz oben auf der Liste, Agent Decker. Aber wir dürfen auch die anderen Eltern nicht vergessen, die mit Sicherheit auf Rache aus sind. Ein bekanntermaßen sehr starkes Motiv, und da könnte auch Entführung als Mittel akzeptiert werden.«

Mein Partner hob verwundert die Augenbrauen, als Coburn nahezu die identische Argumentation wie ich zuvor im Büro von Mr High anführte.

»Sie schätzen demnach die Situation genauso ein, Agent Cotton?«

Oliver Coburn war hellsichtig genug, um Phils Reaktion korrekt zu interpretieren.

»Ja, Sir. Cedrick Daubner verfügt sicherlich am ehesten über die Möglichkeiten, eine Entführung glatt über die Bühne zu bringen. Trotzdem werden wir alle anderen fünf Elternpaare ebenso gründlich überprüfen. Wir können uns keine Fehler leisten!«

Coburn stimmte dem zu, und als wir kurz darauf aus dem Büro traten, schaute ich automatisch auf die Armbanduhr. Die gesamte Besprechung hatte keine fünf Minuten gedauert, aber durch die hervorragende Vorarbeit Coburns verfügten Phil und ich dennoch über alle relevanten Informationen.

»Mister Coburn ist ein außergewöhnlich effektiver Mensch, Agent Cotton. Vielleicht kommt es Ihnen zugute und damit auch der armen Tess.«

Die Assistentin hatte meine Geste bemerkt und kommentierte sie mit einem Lächeln. Nach dem Tod der Mutter von Tess Coburn war Ann Manors quasi in die Mutterrolle geschlüpft, wie der Staatsanwalt uns zum Schluss noch berichtet hatte. Aus diesem Grunde hatte er auch seiner Assistentin die Aufgabe als Schnittstelle zum FBI übertragen.

»Womit möchtest du anfangen, Jerry?«

Phil hatte die Mappe auf dem Schoß und sah mich fragend an, als ich die Vipermaschine unter der langen roten Schnauze des Jaguar zum Leben erweckte.

»Mit einem Anstandsbesuch bei Cedrick Daubner.«

Aus dem Augenwinkel sah ich Phils verblüfftes Gesicht, der offenbar etwas anderes erwartet hatte.

»Er steht auch bei mir ganz oben auf der Liste, Phil. Aber eben nur an der Spitze einer Liste mit mehreren Namen!«

***

Die New Yorker Büros von Daubners Unternehmen befanden sich in der Sixth Avenue und würden keinem unbedarften Besucher als die Niederlassung einer Verbrecherorganisation erscheinen. In den Büros und auf den Gängen sah es keinen Deut anders aus als bei irgendeinem anderen Unternehmen, egal welcher Branche. Auch das von drei Angestellten besetzte Vorzimmer hinterließ einen sehr seriösen Eindruck. Einer der Männer sprach auf Russisch ins Telefon und schien sich in der Sprache souverän auszudrücken. Ich verstand nur wenige Brocken, aus denen ich keine Rückschlüsse auf den Inhalt des Telefonats ziehen konnte.

»Warten Sie bitte einen Augenblick, Agent Cotton. Mister Daubner hat mir Anweisung erteilt, Sie sofort in sein Büro zu bringen, sobald Sie eingetroffen sind.«

Da sich noch hochrangige Besucher im Büro des Chefs befanden, musste der Mitarbeiter Cedrick Daubner vorwarnen.

»Sieh mal einer an. Mister Daubner erwartet also Besuch vom FBI«, sagte Phil anzüglich.

Ein Mann wie Daubner hatte vermutlich längst von der Entführung der Tochter des Staatsanwalts erfahren, sodass uns seine Haltung wenig wundern durfte. Der Mitarbeiter holte uns keine zwei Minuten später ab und führte uns in ein kleines Besprechungszimmer.

»Mister Daubner ist sofort bei Ihnen. Bedienen Sie sich bitte.«

Er deutete auf einen Tisch an der linken Wandseite, auf dem diverse Getränke bereitstanden. Ich verblüffte meinen Partner ein weiteres Mal, als ich mir tatsächlich ein Glas eiskaltes Mineralwasser einschenkte. Normalerweise schlug ich ähnliche Angebote von Gangstern aus, doch bei Daubner zogen solche kleinen Psychotricks nicht.

Ich nippte an meinem Glas, als die Tür aufging und der drahtige Cedrick Daubner in den Raum kam. Der dunkelbraune Anzug war maßgeschneidert und die handgearbeiteten Schuhe an seinen Füßen zeugten vom erlesenen Geschmack des Kartelloberhauptes. In seinem gebräunten Gesicht zeigten sich einige Falten und in den eisgrauen Augen unter den dunkelblonden Haaren stand ein nicht definierbarer Ausdruck.

»Special Agent Cotton, und das ist Special Agent Decker. Wir gehören zum Field Office New York und ermitteln in einem Entführungsfall, Mister Daubner.«

Er reichte uns eine kalte Hand zu einem festen Händedruck und bot uns Platz am Tisch an. Während ich diesem Angebot nachkam, blieb Phil ans Sideboard gelehnt stehen. Daubner sah ihn kühl an, kommentierte Phils Verhalten jedoch mit keinem Wort.

»Ich habe von der Entführung bereits gehört, Agent Cotton. Tess Coburn ist ein unschuldiges Mädchen und niemand hat das Recht, sie zu entführen. Völlig unerheblich, was ihr Vater für ein Unmensch ist!«

Das war ein klares Statement, mit dem ich so nicht unbedingt gerechnet hatte.

»Demnach klopfen wir bei Ihnen an der falschen Tür, wenn wir Tess finden wollen?«, fragte Phil.

Der zynische Unterton war schwer überhörbar, doch Daubner ignorierte es geflissentlich.

»Allerdings, Agent Decker. Sie erhalten von meinem Angestellten die Auflistung aller unserer New Yorker Immobilien. Meine Rechtsabteilung hat eine Einverständniserklärung beigefügt, die Ihnen jederzeit die Durchsuchung erlaubt.«

Das war ein überraschender Schachzug, der an Kooperationsbereitschaft kaum zu überbieten war. Selbst Phil war einen Augenblick regelrecht sprachlos. Cedrick Daubner beugte sich vor und legte die Hände flach auf den Tisch, schaute einige Sekunden auf seine manikürten Fingernägel. Dann hob er den Kopf und fasste Phil und mich gleichermaßen ins Auge.

»Ich bin wahrlich kein Mann, der seine Ziele nicht mit allen Mitteln durchzusetzen pflegt. Aber auch für mich gibt es Grenzen, und dazu zählt die Entführung eines zehnjährigen Mädchens!«

Seine Stimme klirrte ein wenig und in seinen Augen lag ein Blick voller Verachtung.

»Wir werden von Ihrer Einwilligung Gebrauch machen müssen, Mister Daubner. Ich danke Ihnen aber für die offenen Worte und die Kooperation.«

Mit diesen Worten erhob ich mich und schüttelte Daubner auch zum Abschied die Hand. Es war ein zwiespältiges Gefühl in mir, als Phil mit den Dokumenten in der Hand neben mir im Aufzug stand.

»Daubner versteht es hervorragend, seine Mitmenschen zu manipulieren. Wir sollten herausfinden, welche Objekte seiner Organisation hier in New York nicht auf der Liste stehen«, sprach ich meine Gedanken schließlich laut aus.

Phil grinste erleichtert, als wir in den Jaguar stiegen.

»Und einen Moment lang hatte ich schon Angst, er hätte dich mit seiner Nummer da oben überzeugt.«

Ich schaute meinen Partner an.

»Er hat jedenfalls nicht mein Gefühl verändert, dass es auch andere Verdächtige gibt. Sagt dein Instinkt etwas anderes?«

Phil horchte in sich hinein und musste schließlich einräumen, dass er keinen besonderen Verdacht gegen Daubner verspürte. Es blieben uns also immer noch die anderen fünf Familien.

***

Als wir auf die Tür des Reihenhauses in Queens zugingen, flog diese auf und zwei bullige Männer stürmten die Treppen hinunter.

»Verschwindet von hier oder es setzt Prügel!«

Phil und ich tauschten einen verwunderten Blick aus. Ich griff in die Tasche, als mich urplötzlich von hinten zwei kräftige Arme umfingen und mir die Luft aus der Lunge pressten. Mein Blick schoss hinüber zu Phil, doch der hatte es gleich mit zwei Männern zu tun, die ihn zu Boden ringen wollten.

»FBI! Lassen Sie mich los!«

Doch Phils Rufe wurden von bösen Flüchen überlagert und mir wurde langsam schwarz vor Augen. Offenbar hatte es ein Gorilla oder Orang-Utan auf mich abgesehen, denn trotz meiner verzweifelten Bemühungen, den Griff zu lockern, gaben die Arme keinen Millimeter nach. Es gab nur zwei denkbare Angriffsflächen, die der Mann hinter mir offen ließ: die Füße oder sein Kopf. Ich entschied mich für einen harten Kopfstoß und wappnete mich für den kurzen Moment, in dem sich der Griff hoffentlich entscheidend lockern würde.

Als mein Hinterkopf gegen die Nase und Stirn meines Angreifers krachte, zuckten grelle Blitze in meinem Kopf auf und ich wusste schon in der gleichen Sekunde, dass mich höllische Kopfschmerzen erwarten würden. Tatsächlich spürte ich, wie meine Lungen sich wieder mit Luft füllten, und ich warf mich mit aller Kraft nach hinten. Meine Taktik erwies sich als goldrichtig, denn der Mann hinter mir taumelte rückwärts und gab mich endlich komplett frei. Sofort wirbelte ich herum und hob die Fäuste, um mich auf eine harte Auseinandersetzung vorzubereiten.

»Cassidy!«

Die kräftige Frauenstimme fuhr wie eine Peitsche durch die sengend heiße Luft und alle Kämpfer hielten inne. Ich nutzte die Unterbrechung, zog blitzschnell mein Etui und klappte es auf, sodass meine Dienstmarke im Sonnenlicht aufblitzte.

»Damned! Das sind echte Agents, Leute.«

Einer von Phils Gegnern starrte auf meine Marke und stieß den verblüfften Ruf aus. Langsam zogen sich die beiden bulligen Männer zurück, bis sie neben dem unfassbar kräftig gebauten Mann mit den langen Armen standen. Der presste seine Linke auf die gebrochene Nase und stierte mich fassungslos an.

»Verzeihung, Agents. Die Jungs wollen uns nur beschützen. Diese Reporter treiben uns alle hier in den Wahnsinn.«

Ich nahm den Blick von Cassidy, der ebenfalls zu der Sprecherin hinüberschaute. Die Frau von zirka fünfunddreißig Jahren stand auf der Treppe vor dem Haus, es musste demnach Karen Gabler, die Mutter des dritten Opfers, sein. Ihr schönes Gesicht wirkte extrem blass, da Karen komplett in Schwarz gekleidet war.

»Mistress Gabler?«

Sie nickte und trat dann zu dem Mann mit der Gorillafigur.

»Geh zu deiner Mum und sag ihr, dass ihr in die Klinik fahren müsst. Die Nase ist gebrochen, Cassidy. Geht das in Ordnung, Agent Cotton?«

Phil und ich hatten längst erkannt, dass der Mann nur in körperlicher Hinsicht als erwachsen gelten konnte. Cassidy musste von jemandem zu dem Angriff verleitet worden sein, und daher nickte ich zustimmend.

»Es tut mir leid, Cassidy. Ich wollte Ihnen nicht die Nase brechen, aber ich hatte Angst und musste kämpfen.«

Karen ließ ein scheues Lächeln aufblitzen, als ich mich bei dem geistig zurückgebliebenen Mann entschuldigte.

»Schon gut, Agent. Er spricht nie mit Fremden«, übernahm Karen die Antwort.

Mir fiel auf, wie Cassidy auf die Stelle an meinem Sakko starrte, wo ich mein Etui wieder verstaut hatte.

»Möchten Sie sich die Marke einmal ansehen?«, fragte ich spontan.

Ein erfreutes Leuchten erschien in Cassidys Gesicht, und als ich mein Etui in die Pranke legte, hob er es hoch und betrachtete die Dienstmarke voller Ehrfurcht.

»Cassidys Vater ist bei der Armee und er liebt Abzeichen. Er sammelt sie seit Jahren.«

Mir tat es fast selbst weh, wie schwer ich Cassidy mit meinem Kopfstoß verletzt hatte. Phil verschwand zum Jaguar, tauchte mit dem Oberkörper an der Beifahrerseite ab und kehrte einen Augenblick später mit einer kleinen Schachtel in der Hand wieder auf. Er sah mich fragend an, und da mir seine Idee sehr gefiel, nickte ich zustimmend.

»Cassidy? Jerry und ich möchten Ihnen etwas schenken.«

Als Phil die Anstecknadel aus der Schachtel nahm, wurde Cassidy noch aufgeregter. Sein Blick huschte zu Karen Gabler, und als die Frau nickte, nahm er Phil die Nadel ab und reichte mir gleichzeitig mein Etui zurück. Ich verstaute es wieder im Sakko, während einer der Männer Cassidy sanft am Arm wegführte. Nach zirka zwanzig Yards drehte dieser sich unvermutet um und schaute über die Schulter zurück.

»Danke, Jerry.«

Ich winkte Cassidy zu und musste schlucken. Die Kopfschmerzen waren auf einmal weniger unerträglich, und so konnte ich endlich mit Karen Gabler über den Grund unseres Besuchs sprechen. Noch zeigte die Mutter der ermordeten Emily ein freundliches Lächeln, aber das würde sich vermutlich bald legen.

»Special Agent Cotton, und das ist mein Partner, Special Agent Decker. Könnten wir einen Moment mit Ihnen und Ihrem Mann reden, Mistress Gabler?«

»Zuerst möchte Donald sich entschuldigen, Agent Cotton.«

Der übrig gebliebene Angreifer rang sichtlich nervös mit den Händen und konnte uns kaum in die Augen sehen. Phil oblag es, die Entschuldigung anzunehmen oder den Angriff härter zu ahnden.

»Es ehrt Sie, wenn Sie die Familie Gabler vor aufdringlichen Reportern beschützen, Donald. Sehen Sie nur zu, dass Sie nicht noch einmal einen Unbeteiligten angreifen. Dann kommen Sie nicht mehr so glimpflich davon. Verstanden?«, beließ Phil es bei einem Verweis.

Nachdem dies nun auch geklärt war, führte Karen uns in das kleine Reihenhaus. Im Erdgeschoss saß ein apathisch wirkender Mann auf der Couch und sah sich eine Sendung im Fernsehen an. Karen schaute ihn traurig an und schaltete das Fernsehgerät mit der Fernbedienung aus.

»Burt? Diese Herren sind Agents vom FBI. Sie müssen mit uns sprechen.«

Karen redete mit ihrem Mann in ähnlicher Weise, wie sie es mit Cassidy gemacht hatte. Da nach unseren Unterlagen Burt Gabler bis zum Mord an seiner Tochter ein angestellter Klimagerätetechniker gewesen war, führte ich seine apathische Haltung auf das erlittene Trauma zurück. Was für eine zusätzliche Last für Karen Gabler, die ganz offensichtlich um ihre Haltung kämpfte.

»Bitte setzen Sie sich doch. Darf ich Ihnen ein Glas Limonade anbieten?«

Phil und ich nickten pflichtschuldig, während wir uns an den Esstisch setzten. Karen verschwand durch eine Schwingtür, die den Küchenbereich vom Wohnzimmer abtrennte.

»Kein Deal für Riffkin!«

Ich zuckte erschrocken zusammen, als Burt Gabler den Satz voller Inbrunst ausstieß. Phil und ich wechselten einen Blick, der unseren Unglauben über die Beteiligung der Gablers an der Entführung von Tess ausdrückte. Mit einer knappen Kopfbewegung deutete ich auf die Haustür und Phil runzelte zuerst fragend die Stirn, doch dann verstand er meine Anspielung. Konnten die Jungs, wie Mrs Gabler unsere Angreifer betitelte, hinter der Entführung stecken?

»Was führt Sie zu uns, Agent Cotton?«

Karen Gabler setzte sich zu uns an den Esstisch und schaute mich abwartend an.

»Würden Sie uns verraten, was Sie und Ihr Mann seit heute Vormittag gemacht haben?«

Karen schaute mich verblüfft an, sah zu ihrem Mann, und erneut zeigte sich eine große Traurigkeit in ihrem Gesicht.

»Wir waren die ganze Zeit hier, Agent Cotton. Wenn wir das Haus verlassen wollten, würden uns Kamerateams umlagern, und das vertragen wir einfach nicht.«

Phil trank von seinem Glas, lobte Karen wegen der guten Limonade und sprach dann über die Entführung von Tess Coburn.

»Wir müssen Ihnen daher diese Fragen stellen, Mistress Coburn. Verstehen Sie das?«

Es war eine ausgesprochen unangenehme Situation, die Phil und ich gerne baldmöglichst hinter uns bringen wollten. Ihre Gegenfrage bewies mir, wie überlegt Karen reagieren konnte, obwohl die Trauer sie schier überwältigte.

»Sie haben erlebt, wie die Jungs aus der Nachbarschaft uns beschützen. Jetzt überlegen Sie sich natürlich, ob sie zu so einer Riesendummheit in der Lage wären. Ja, aber es fehlt Ihnen der Kopf für die Planung einer Entführung, Agent Cotton! Donald und seine Freunde haben das Herz auf dem rechten Fleck. Sie waren gut mit Emily befreundet, aber nie so klug wie unsere Tochter.«

»Emily.«

Burt wiederholte den Namen seiner Tochter, und es machte den Eindruck, als wenn Karens Mann sich langsam aus unserer Welt verabschiedete. Sie deutete meinen schockierten Blick richtig.

»Burt bekommt Medikamente, Agent Cotton. Doch irgendwann muss er sie wieder absetzen und sich der Realität stellen. Noch fehlt ihm die Kraft dazu.«

Karen Gabler empfahl uns, mit den Redaktionen der verschiedenen kleinen Regionalsender zu sprechen und uns deren Filmmaterial anzusehen.

»Sie werden darauf erkennen, dass Donald und seine Freunde immer in der Nähe unseres Hauses waren. Burt hat keinen Schritt vor die Tür gesetzt und ich erst, als ich die Prügelei bemerkte.«

Karens Aussage war schlicht und ich konnte mir keine Sekunde diese gebrochenen Menschen als Entführer von Coburns Tochter vorstellen. Das Gleiche galt für Donald und seine beiden Freunde. Trotzdem würde ich das Bildmaterial der regionalen Fernsehsender anfordern, um auch letzte Zweifel auszuräumen. Phil und ich waren sehr erleichtert, als wir wieder in den Jaguar einsteigen konnten.

»Was macht dein Kopf?«

Er fragte es, während er seine linke Schulter massierte. Bei dem kurzen Kampf hatte Phil sich eine Zerrung eingehandelt.

»Ich werde in den nächsten Tagen einige Aspirintabletten schlucken müssen, aber sonst geht es. Und deine Schulter?«

Phil sah auch keinen Grund, sich über die Zerrung groß Gedanken zu machen.

»Damit wäre die Familie Gabler vermutlich aus dem Rennen, oder?«

Ich stimmte meinem Partner zu und wir machten uns auf den Weg zur nächsten Familie.

***

Sechs Stunden waren seit der Entführung von Tess Coburn vergangen und wir hatten drei Familien aufgesucht, deren Töchter James Riffkin auf dem Gewissen hatte. Der Zwischenfall bei den Gablers war ein Beleg dafür, wie sehr diese Verbrechen die Menschen veränderte. Bei der zweiten Familie konnten wir lediglich mit einem Rechtsanwalt sprechen, der die Familie in allen juristischen Belangen vertrat. Auf unsere Nachfrage nach den Alibis seiner Mandanten wurde der Anwalt nach kurzer Verblüffung sehr wütend. Er beschuldigte uns sogar, dass wir im Mordfall seiner Mandanten nicht halb so entschieden ermittelt hätten.

»Doch wenn es die Tochter des Staatsanwalts trifft, zieht das FBI auf einmal alle Register. Das wird sich in den Medien sehr gut machen, Agent Cotton! Allein diese Unterstellung, dass meine Mandanten mit der Entführung zu tun haben könnten, stellt eine unfassbare Beleidigung dar!«

Es gelang uns nicht, den aufgebrachten Rechtsanwalt zu beruhigen, der uns aus der Wohnung warf. Zusammen mit einer Beschwerde würde er ein beglaubigtes Alibi in Schriftform vorlegen.

»Jetzt steht noch das Ehepaar Lewis auf unserer Liste«, seufzte Phil.

Für uns bedeutete es eine lange Fahrt in den Norden der Bronx, und das mitten durch den Feierabendverkehr. Da es keine Alternative gab, rollten wir mit dem Verkehr mit und erreichten am frühen Abend die Straße, in der Esther und Courtney Lewis in einem kleinen, schmucken Apartmenthaus wohnten. Ihnen gehörte das Wohnhaus mit acht Apartments und sie nutzten eine der Wohnungen selbst.

»Esther arbeitet in einem Pharmaunternehmen und Courtney ist technischer Angestellter in einer Firma für Kommunikationstechnik«, umriss Phil die Hintergründe des Ehepaars.

Esther hatte eine kleine Erbschaft gemacht und damit war der Grundstock für den Erwerb des Mehrfamilienhauses gelegt worden. Sehr geschickt hatte sich das Ehepaar für ein Haus in einer der aufstrebenden Ecken der Bronx entschieden und zahlte seit elf Jahren problemlos das Darlehen ab.

»Selbst die Immobilienkrise konnte den Lewis nichts anhaben. Allem Anschein nach sind es grundsolide Leute, und vermutlich verschärfen wir nur deren Trauer mit unseren Fragen«, schloss Phil den Bericht mit einer Bemerkung, die tief blicken ließ.

»Und dennoch können wir nur diesen Weg wählen, Phil. Es geht um ein zehnjähriges Mädchen, und da riskier ich schon einige Unannehmlichkeiten.«

Es sollte gar nicht so hart rüberkommen, doch Phil hob die Hände und seufzte schwer.

»Ist ja in Ordnung, Jerry. Ich wollte dein Vorgehen überhaupt nicht in Frage stellen. Mir gehen diese Gespräche mittlerweile einfach an die Nieren«, räumte er ein.

Schließlich erreichten wir die ruhige Straße im Norden der Bronx und stoppten den Jaguar vor dem Mehrfamilienhaus. Drei junge Männer lehnten am Zaun eines Basketballfeldes und sahen zu uns herüber. Obwohl sich die Sonne schon längst als roter Ball hinter die Hochhäuser gesenkt hatte, hing die Hitze wie unter einer Glocke zwischen den Häusern und ließ auch die jungen Männer in ihrer passiven Haltung schwitzen. Einer trug sein Unterhemd als Stirnband und sein Oberkörper glänzte im Licht der Straßenlampe.

Es mochte eine überflüssige Geste sein, dennoch schlug ich mein Sakko wie zufällig zurück, sodass die Männer einen Blick auf meine Dienstmarke und die Pistole werfen konnten. Dann betraten wir das Haus und blieben im Eingangsbereich kurz zur Orientierung stehen. In der ersten Etage drückte ich auf den Klingelknopf, der neben der Wohnungstür von Esther und Courtney Lewis angebracht war. Der letzte Ton der Dreiklangglocke war noch nicht völlig verklungen, als ein Mann in meinem Alter die Tür öffnete.

»Special Agent Cotton vom FBI. Das ist mein Kollege, Special Agent Decker. Mister Lewis?«

Courtney Lewis besah sich die Dienstausweise sehr gründlich, bevor er uns in die Wohnung ließ. Während Courtney eine fast schwarze Hauttönung aufwies, war Esther eine typische Latinofrau. Die kaffeebraune Haut, die braunen Augen und die störrischen Haare deuteten auf eine Herkunft aus einem südamerikanischen Land hin.

»Das ist Esther, meine Frau. Die Agents sind vom FBI.«

Esther und Courtney hatten offenbar ihr Abendessen unterbrochen, als Phil und ich gekommen waren.

»Wir möchten Sie nicht lange aufhalten, Mister und Mistress Lewis. Es gibt lediglich eine Frage. Können Sie uns sagen, wo Sie seit heute Vormittag gewesen sind?«

Das Ehepaar tauschte einen fragenden Blick aus, doch sie erkundigten sich nicht nach dem Hintergrund meiner Frage.

»Wir haben gearbeitet, Agent Cotton. Ich war auf vier verschiedenen Baustellen, um nach den Fortschritten beim Einbau von Klimageräten zu sehen«, gab Courtney bereitwillig Auskunft.

»Und ich habe die Apotheken in SoHo und South Manhattan aufgesucht. Ich bin Außendienstmitarbeiterin eines Pharmaunternehmens«, ergänzte Esther ohne zu zögern.

Damit verfügten weder Courtney noch seine Ehefrau über erstklassige Alibis.

»Führen Sie ein Fahrtenbuch?«

Phils Frage ging an beide Ehepartner, die nach einem erneuten Blickwechsel zustimmend nickten. Dieser Besuch unterschied sich völlig von den bisherigen und mein Instinkt meldete sich. Irgendetwas stimmte mit dem Ehepaar Lewis nicht, so viel stand für mich fest.

»Sind alle Wohnungen im Haus vermietet, Mister Lewis?«

Auf diese Frage kam nicht mehr sofort eine Antwort, und ich bemerkte erstmals eine Wolke von Unmut über Courtneys Gesicht huschen.

»Ich würde doch jetzt gerne erst einmal erfahren, in welchem Zusammenhang Sie diese Fragen stellen. Worum geht es hier eigentlich?«

Esther nickte ebenfalls und schaute mich gespannt an.

»Es geht um die Entführung der Tochter von Staatsanwalt Coburn. Tess ist zehn Jahre alt und wurde vor mehr als sechs Stunden vor ihrer Schule entführt.«

Meine Stimme enthielt keinen Vorwurf und trotzdem zog sich Courtney ein Stück zurück, stellte sich ostentativ neben den Stuhl von Esther.

»Warum kommen Sie damit zu uns?«

Esthers Stimme klang abweisend und ihr Blick wurde hart.

»Weil wir alle Familien überprüfen, die gegen Staatsanwalt Coburns Absichten im Verfahren Riffkin sind. Sie und die anderen Angehörigen der ermordeten jungen Frauen haben ein starkes Motiv für eine Entführung. Wir müssen Ihre Alibis überprüfen, um eine Beteiligung an der Entführung ausschließen zu können.«

Meine Worte hingen wie dunkle Wolken im Raum und verdüsterten die Mienen des Ehepaars weiter.

»Glauben Sie nicht, dass wir genug mit der Trauer um unsere Kristin zu tun haben? Können Sie sich wirklich vorstellen, dass wir als Druckmittel ebenfalls ein Mädchen entführen, obwohl wir genau den Schmerz einer solch grausamen Tat kennen? Glauben Sie das wirklich, Agent Cotton?«

Courtneys Stimme wurde immer lauter, und als er einen Schritt auf mich zumachte, beide Hände zu Fäusten geballt, hob ich Einhalt gebietend die Hand.

»Lassen Sie solche Drohgebärden, Mister Lewis. Sosehr mein Partner und ich Ihren Schmerz über den Verlust von Kristin nachvollziehen können …«

»Können Sie das wirklich? Wurde Ihre Tochter entführt, gefoltert und ermordet?«

Esther fuhr aus dem Stuhl hoch und schleuderte mir die Worte ins Gesicht, während ihr Tränen der Wut und Verzweiflung über die Wangen liefen.

»Nein, das nicht. Ich will auf keinen Fall Ihre Trauer stören, Mistress Lewis. Solange aber dieses kleine Mädchen unsere Hilfe braucht, muss ich auch unbequeme Fragen stellen«, wehrte ich ab.

Es war schon wieder eine verfahrene Situation, und mittlerweile wünschte ich mir richtiggehend, dass Cedrick Daubner hinter der Entführung von Tess stecken würde. Gegen ihn und seine Handlanger konnte ich ohne die geringsten Skrupel hart vorgehen, doch nicht gegen Menschen wie Esther und Courtney Lewis. Sie taten mir in der Seele leid und ich hätte sie am liebsten nicht mit den Fragen behelligt.

»Warum kommen Sie dann in unser Haus und beschuldigen uns eines derartig grausamen Verbrechens?«

Es gab ein Detail dieser Entführung, über das wir bislang nicht außerhalb des Field Office gesprochen hatten. Da Mrs Lewis aber in einem Pharmaunternehmen beschäftigt war, wollte ich dieses zusätzliche Argument einsetzen.

»Weil uns die Zeit besonders schnell wegläuft, Mistress Lewis.«

Ich führte den Umstand an, dass Tess Coburn an einer seltenen Krankheit litt, die umgangssprachlich als Glasknochenkrankheit bezeichnet wurde. Solange das zehnjährige Mädchen regelmäßig ein spezielles Präparat einnahm, konnte Tess sich fast ohne Einschränkungen bewegen. Doch ohne den Wirkstoff dieses Medikaments reichten minimale Belastungen aus, um schwerste Brüche zu verursachen.

»Bedenken Sie bitte, dass die Entführer Tess sehr wahrscheinlich irgendwo eingesperrt und womöglich sogar dem Mädchen Fesseln angelegt haben«, gab ich meine Bedenken weiter.

Esther erwiderte meinen Blick, und als ich darin kein Verständnis über diese besonders angespannte Situation von Tess lesen konnte, beschlich mich ein fürchterlicher Verdacht. Phil erging es offensichtlich ganz ähnlich, denn er rückte ein wenig von mir ab. Es war eine rein instinktive Reaktion, um sich bei einem Vorgehen gegen das Ehepaar in einer günstigeren Ausgangsposition zu befinden. Standen uns womöglich doch die Kidnapper von Tess gegenüber?

»Es ist besser, wenn Sie jetzt gehen.«

Courtney machte eine auffordernde Geste, dass wir seine Wohnung verlassen sollten. Phil und ich hatten nur unser Gefühl, sodass wir nicht einmal eine vorläufige Festnahme in Betracht ziehen konnten. Kein Richter der Welt würde uns das erforderliche Dokument ausstellen, und daher mussten wir zähneknirschend der Aufforderung nachkommen.

»Mit dem Ehepaar stimmt etwas nicht«, sagte Phil auf der Treppe nach unten.

»Das sagt mir mein Gefühl auch, Phil. Dummerweise fehlen uns handfeste Beweise oder wenigstens belastende Indizien.«

Jeder gute Strafverteidiger würde die auffälligen Reaktionen des Ehepaars als Ursache des frisch erlebten Verlustes anführen und damit hundertprozentig durchkommen.

***

Auf der Straße ging ich nur zwei Schritte, als mir das veränderte Licht auffiel. Ich sah hinüber zu dem Basketballfeld, bemerkte die nicht mehr leuchtende Laterne und die Abwesenheit der drei jungen Männer.

»Phil?«

Mein Partner hatte ebenfalls die Anzeichen erkannt und bewegte sich aus dem Lichtschein der Eingangstür weg, doch dann krachten die Schüsse.

»Deckung! Der Schütze muss auf dem Spielfeld sein«, rief ich und warf mich zur Seite.

Es war kein besonders guter oder erfahrener Schütze, denn er hatte zu lange gezögert. Phil und ich waren erstklassige Ziele gewesen, als wir aus der Haustür traten. Doch der unbekannte Schütze hatte erst auf uns gefeuert, als wir zur Seite sprangen und dadurch weitaus schwieriger zu treffen waren. Mein Blick suchte das Mündungsfeuer, und als der Schütze zwei Kugeln in unsere Richtung schickte, antworteten ihm zwei Pistolen. Phil und ich deckten den Mann mit Kugeln ein, glitten abwechselnd weiter vor. Unser abgestimmtes Vorgehen sorgte dafür, dass immer einer von uns den Schützen in Deckung zwingen konnte, während der Partner zur nächsten Position wechselte.

»Er muss rechts von dem Trafohäuschen sein«, raunte Phil mir zu.

Wir hatten uns bis zu einem überdachten Zuschauerplatz vorgearbeitet, sodass wir nur wenige Yards voneinander entfernt kauerten. Ich spähte in die angegebene Richtung und stimmte mit Phil überein. Mit Gesten erklärte ich ihm meinen Plan und erhielt ein zustimmendes Nicken meines Partners.

Als ich den ersten Anlauf unternahm, passierte ein dummes Missgeschick. Ich huschte zwischen den Sitzplätzen entlang und musste einige Stufen nach unten überwinden, bevor ich mich quasi im toten Winkel hinter dem Trafohäuschen befand. Doch mein Fuß rutschte auf der vorletzten Stufe weg, weil sie brüchig war.

Ich strauchelte und rollte unvermittelt aufs freie Feld, sodass der unbekannte Schütze zu einer hervorragenden Gelegenheit kam. Für die Dauer eines Wimpernschlags lag ich ohne jede Deckung auf dem freien Feld und erwartete den Einschlag einer Kugel in meinem Körper. Der Schütze gab drei Schüsse auf mich ab, die jedoch in knappem Abstand links und rechts von meinem Körper im Feld einschlugen. Dann rannte Phil urplötzlich durch die Sitzreihen und schoss im Laufen. Damit zwang er den Schützen in Deckung und gab mir ausreichend Gelegenheit, aus der Gefahrenzone zu verschwinden.

»Bist du verletzt?«

Phil fragte besorgt nach, während er das Magazin in seiner Pistole austauschte.

»Nein, das ist ein miserabler Schütze«, stellte ich erfreut fest.

Mein Partner nickte zustimmend und dann gingen wir mit einer Zangenbewegung gegen das Trafohäuschen vor. Während Phil den längeren Weg hinten herum wählte, nahm ich die kürzere Distanz von vorne. In regelmäßigen Abständen jagte ich eine Kugel in Richtung der vermeintlichen Position des unbekannten Schützen. In der Ferne hörte ich sich näherndes Sirenengeheul und wusste, dass in absehbarer Zeit Verstärkung eintreffen würde. Dann war ich an der Ecke des Trafogebäudes und wagte es schließlich, mit einem Satz herumzuspringen. Einige Sekundenbruchteile starrten Phil und ich uns gegenseitig an, bevor wir erkannten, dass der Schütze sich aus dem Staub gemacht hatte.

»Sieh dir einmal an, was für ein Schussfeld er gehabt hat.«

Ich war an die Ecke getreten, an der vor wenigen Augenblicken noch der unbekannte Schütze gelauert haben musste. Trotz des fehlenden Lichts der defekten Laterne hatte ich nach meinem Sturz wie auf dem Präsentierteller gelegen, und dennoch hatte der Schütze mich nicht einmal getroffen.

»Was für Stümper«, entfuhr es Phil.

Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen von der Seite missbilligend an.

»Sorry, Jerry. Aber dich hätte eigentlich selbst ein halbblinder Anfänger treffen müssen«, blieb Phil bei seiner Einschätzung.

Mein Partner hatte natürlich recht, und dennoch spürte ich eine gewisse Verärgerung bei seinen offenen Worten. Fünf Minuten später standen zwei Streifenwagen in der Straße vor dem Basketballfeld. Die roten und blauen Signallampen schickten regelmäßig ihre Blitze über das Feld und tauchten es in ein gespenstisches Licht. Als sich zwei der erfahrenen Cops unsere Schilderung des Feuergefechts anhörten, tauschten sie einen ungläubigen Blick aus.

»Da drüben haben Sie gelegen und der Schütze hat nicht einen einzigen Treffer gelandet? Alle Achtung, Agent Cotton! Da haben Sie aber unfassbar viel Glück gehabt«, staunte der Streifenführer mit vier Schrägbalken am Ärmel seines Uniformhemdes.

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«

In mir keimte ein Verdacht auf, aber noch fehlten mir verschiedene Puzzleteilchen. Also schwieg ich und überließ den Cops das Feld. Phil und ich fuhren zurück ins Field Office.

»Wir können wenigstens ausschließen, dass es sich bei den Schützen um Courtney oder Esther gehandelt hat«, stellte Phil auf der Rückfahrt fest.

»Ja, natürlich. Die beiden wirken aber auch nicht so, als ob sie Bundesagenten angreifen würden.«

Ich hatte zwar einige Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Ehepaars Lewis, aber ich hielt sie nicht für so verrückt, auf uns zu schießen.

***

Ich rieb mir die Augen, die vor Erschöpfung bereits brannten. Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigte, dass Tess Coburn mittlerweile über neun Stunden in der Gewalt der Erpresser war.

»Es geht los, Jerry.«

Mein Partner hatte erneut den Livestream eines der regionalen Nachrichtensender auf den Monitor seines Computers geholt, da wir uns die Pressekonferenz mit Staatsanwalt Oliver Coburn ansehen wollten.

»Die Entführer haben ausdrücklich verlangt, dass Coburn bei dieser Pressekonferenz die Rücknahme des Deals verkünden soll. Glaubst du, dass er es macht?«

Phil sah zu mir auf.

»Nein, das wird er nicht tun.«

Unsere Blicke begegneten sich und keiner sprach aus, welche Konsequenzen dieses Verweigern für Tess haben könnte. Alles hing von der Entschlossenheit ihrer Entführer ab. Wenn es Menschen wie Esther und Courtney Lewis wären, gab es noch Hoffnung. Eine Hoffnung, an die ich mich klammerte.

»Der Deal wird nicht zurückgenommen«, stellte Phil wenige Minuten später mit heiserer Stimme fest.

Der Staatsanwalt hatte die Presse über die Entwicklung im Fall des geständigen Professors James Riffkin informiert und war mit keinem Wort auf die Forderungen der Entführer eingegangen. Ab jetzt lief die Uhr gnadenlos für Tess ab.

»Vielleicht kommt eine letzte Warnung von den Entführern. Ein Ohr oder ein Finger«, mutmaßte Phil.

Allein der Gedanke, dass jemand einem zehnjährigen Mädchen ein Ohr oder einen Finger amputieren würde, um Coburn doch noch zum Einlenken zu bewegen, verursachte mir Übelkeit. Trotzdem war Phils Einwand durchaus berechtigt und entsprach unseren Erfahrungen bei Entführungen, wenn beide Seiten nicht zum Einlenken bereit waren.

»Willst du hier bleiben?«

Im Grunde hätten wir kurz in unsere Wohnungen fahren wollen, um uns frisch zu machen und die Kleidung zu wechseln. Doch mein Instinkt riet mir, auf diesen Luxus zu verzichten.

»Ja, Phil. Wenn du fahren möchtest, mach es ruhig. Ich kann dich ja jederzeit erreichen.«

Mein Partner schürzte die Lippen und schüttelte schließlich den Kopf.

»Ich geh nur in den Waschraum und zieh mir andere Sachen aus der Tasche für Noteinsätze an.«

Der gleiche Gedanke war mir ebenfalls gekommen, sodass wir die Fahrtzeit hinauf zur Upper West Side sparen konnten. Die Weigerung des Staatsanwalts musste zwangsläufig eine Reaktion der Entführer auslösen, und es würde sicherlich nicht sehr lange dauern. Phil und ich hielten abwechselnd Stallwache, während der andere sich im Waschraum frisch machte und ein sauberes Hemd überzog. Dann konnten wir nur warten, und als die Zeiger meiner Armbanduhr sich Mitternacht näherten, keimte leise Hoffnung in mir auf. Vielleicht hatte Coburn richtig gehandelt und es mit weniger entschlossenen Entführern zu tun. Sollten sie eingesehen haben, dass der Staatsanwalt zu keinem Kompromiss bereit war? Auch dann nicht, wenn das Leben seiner Tochter auf dem Spiel stand?

»Special Agent Cotton?«

Mein Pulsschlag ging sofort in die Höhe, als ich die Stimme eines Detectives vom NYPD am anderen Ende der Leitung vernahm.

»Es bestehen keine Zweifel? Danke. Wir kommen sofort.«

Als ich zu Phil über den Tisch schaute, wusste mein Partner sofort Bescheid. Die vielen gemeinsamen Jahre hatten uns gelehrt, wie der Kollege auf bestimmte Dinge reagierte.

»Tess? Tot?«

Ich nickte und schluckte schwer. Dann erhob ich mich, zog mein Sakko über und machte mich auf den Weg, um Mr High zu informieren. Unser Chef hatte es sich ebenfalls nicht nehmen lassen, an seinem Schreibtisch die Entwicklung abzuwarten.

***

Das Areal an der Schule von Tess Coburn war weitläufig abgesperrt und die grellen Lichter der Scheinwerfer erhellten den Schulhof, sodass jedes grausige Detail gut zu erkennen war.

»Der Hausmeister hat seinen Hund ausgeführt, der sich ungewöhnlich wild gebärdete. Als der Mann den Hund in die Richtung laufen ließ, in die er unbedingt wollte, stieß er auf den Leichnam von Tess Coburn.«

Der Detective hatte eisengraue Haare und sicherlich über dreißig Dienstjahre auf dem Buckel, dennoch war er sichtlich erschüttert. Sein jüngerer Kollege hatte den Schock noch immer nicht verdaut und starrte mit bleichem Gesicht auf die Kinderleiche.

»Die Schweine haben Tess getötet, obwohl sie nichts für die Sturheit ihres Vaters kann. Warum tut man so etwas einem kleinen Mädchen an?«

Die Stimme des Detectives drohte zu versagen, daher fuhr er sich mit der flachen Hand übers Gesicht. Phil stand zehn Yards von uns entfernt und starrte auf die weißen Gestalten, die sich rund um den Leichnam von Tess zu schaffen machten. Die Rechtsmediziner sowie die komplette Schicht der Kriminaltechnik waren in erstaunlich kurzer Zeit am Tatort. Es wurden nur sehr wenige Worte gewechselt und ansonsten gepflegte verbale Wortgefechte blieben ganz aus.

»Agent Cotton?«

Die Stimme des Detectives klang dringlich, daher schaute ich zu ihm hinüber. Er deutete auf die schwarze Limousine des Staatsanwalts, die soeben an der Absperrung durchgelassen wurde.

»Das sollte Coburn nicht sehen müssen.«

Der Mann hatte natürlich recht und auch Phil hatte sich aus seiner vorübergehenden Lethargie gelöst. Gemeinsam traten wir an den Wagen von Coburn, der in Begleitung seiner Assistentin erschienen war. Als der Staatsanwalt ausgestiegen war und zu dem Punkt auf dem Schulhof schaute, an dem die vielen Techniker in ihren weißen Schutzanzügen die Sicht verstellten, lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf mich.

»Es tut mir sehr leid, Sir. Es gibt keine Zweifel, dass es Ihre Tochter Tess ist. Wir werden alle Hebel in Bewegung setzen, um ihren Mörder zu finden.«

Es waren schwache Worte und selten war ich mir hilfloser oder unsensibler vorgekommen. Im bleichen Gesicht von Ann Manors wechselten sich Schock und Angst um ihren Chef ab. Oliver Coburn starrte mich an, doch sein Blick ging durch mich hindurch.

»Sie haben es getan. Wirklich getan.«

Der Oberstaatsanwalt flüsterte die Worte beinahe, und daher konnten nur die Menschen in seiner unmittelbaren Umgebung sie verstehen. Sein Unglaube war quasi mit Händen zu greifen, doch dann veränderte sich sein Blick.

»Tun Sie es nicht, Sir! Sie werden es bereuen!«

Doch Coburn schob sich mit erstaunlicher Kraft zwischen Phil und mir durch, stakste auf seinen langen Beinen zum Leichnam seiner Tochter. Ann Manors setzte sich in Bewegung, um ihrem Chef zu folgen. Doch dieses Mal reagierte Phil blitzartig und hielt die Assistentin auf. Ann schien sich wehren zu wollen, doch dann redete mein Partner auf Ann ein und sie gab nach. Als ich hinter Coburn hereilte, warf ich einen kurzen Blick in Anns Gesicht und bemerkte den stummen Schrei in ihren Augen.

»Lassen Sie mich!«, fauchte Coburn.

Ich trat neben den Staatsanwalt, der die Hand des Rechtsmediziners abschüttelte. Coburn ging in die Hocke und zog die Plane von Tess, die jemand zum Schutz vor neugierigen Blicken über sie ausgebreitet hatte. Es war leider schon vorgekommen, dass sogar Rettungssanitäter oder Cops mit ihren Mobiltelefonen Aufnahmen von Toten angefertigt und diese dann an Zeitungen verkauft hatten.

»Tess? Liebes?«

Die Stimme des Staatsanwalts brach, während seine Finger sanft eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn seiner Tochter strichen. Mich wunderte es, wie unfassbar ruhig Coburn beim Anblick seiner Tochter blieb. Saß der Schock so tief oder weigerte sein Verstand sich ihren Tod einzugestehen?

»Wurde sie …?«

Der Rechtsmediziner beeilte sich, den Kopf zu schütteln.

»Nein, Sir! Mit Sicherheit nicht!«

Das erleichterte Nicken Coburns und sein intensiver Blick auf seine Tochter nahmen mir fast den Atem. Die Situation war dermaßen emotionsgeladen, dass alle Techniker still standen, um den Moment des Abschieds nicht durch ihre Bewegungen zu stören. Dann ging ein Ruck durch Coburn. Der Staatsanwalt richtete sich auf, strich Sakko und Hose glatt, bevor er sich zu mir umwandte.

»Dafür wird Daubner bezahlen, Agent Cotton!«

Eigentlich hätte ich vehement gegen eine derartige Vorverurteilung protestieren sollen, doch auch ich konnte mir nur Cedrick Daubner als Verantwortlichen vorstellen. »Wir werden den Mörder mit allen Mitteln jagen, Sir. Das verspreche ich Ihnen!«

Er musterte mein entschlossenes Gesicht und nickte knapp. Dann eilte er auf seine Limousine zu, sodass Ann einige Yards im Laufschritt folgen musste, um nicht den Anschluss zu verlieren.

»Coburn hat zur Jagd auf Daubner geblasen, Phil.«

Mein Partner schaute Coburn nach, der im Fond der Limousine abtauchte.

»Wer will es ihm verdenken? Ich sehe auch keinen besseren Kandidaten. Du etwa?«

***

Mr High bat uns, ins Field Office zurückzukehren, obwohl Phil und ich lieber umgehend einen Besuch bei Cedrick Daubner vorgenommen hätten. Er sollte wissen, dass es jetzt hart für ihn wurde. Wir vom FBI kannten keine Nachsicht mit Kindesentführern und noch weniger mit Kindesmördern. Diese Botschaft hätten wir ihm am liebsten sofort überbracht, doch unser Chef bestand auf der unmittelbaren Rückkehr ins Field Office.

»Was meinst du, Jerry? Macht der Chef sich vielleicht Sorgen, dass wir übers Ziel hinausschießen könnten?«

Phil saß auf dem Beifahrersitz des Jaguar und rätselte über das merkwürdige Verhalten von Mr High.

»Würde ich an seiner Stelle vermutlich auch, Phil. Dennoch glaube ich, dass wir eine einmalige Chance verpassen.«

Als wir ins Vorzimmer unseres Chefs kamen, saß Helen hinter ihrem Schreibtisch. Ich war mir ganz sicher, dass sie vor unserem Aufbruch zur Schule von Tess bereits nach Hause gegangen war.

»Helen? Was ist denn hier los?«

Ich starrte die Sekretärin von Mr High verwundert an, die mit ungewöhnlich ernster Miene aufschaute und stumm auf die geschlossene Verbindungstür deutete.

»Ihr sollt gleich durchgehen, Jerry. Mister High erwartet euch bereits.«

Phil und ich wechselten einen Blick voller Erstaunen. Ich klopfte mit dem Knöchel gegen die Tür und stieß sie dann auf. Phil und ich machten nur wenige Schritte ins Büro unseres Chefs, bevor wir mit fassungslosen Mienen stehen blieben. Am Besprechungstisch saß ein Mann, mit dessen Anwesenheit ich im Traum nicht gerechnet hätte.

»Schließen Sie die Tür, Phil. Mister Daubner ist aus freien Stücken ins Field Office gekommen und bietet dem FBI seine umfassende Unterstützung an.«

Cedrick Daubner nickte uns knapp zu und ich hatte große Mühe, meine Fassung wiederzufinden. Der mutmaßliche Auftraggeber der Entführung und Ermordung von Tess Coburn saß mit Mr High am Tisch und bot uns dreist seine Unterstützung an.

»Soll das ein übler Scherz sein, Daubner?«, brach es aus mir heraus.

Er schüttelte nachdrücklich den Kopf.

»Nein, Agent Cotton. In solchen Dingen pflege ich nicht zu scherzen!«

Phil stieß neben mir ein verächtliches Schnauben aus und ballte seine Fäuste. Die Situation nahm an Brisanz zu und es kostete mich schier übermenschliche Zurückhaltung, diesem Mistkerl nicht an die Gurgel zu gehen. So viel Unverfrorenheit war mir noch nie untergekommen, und das provozierte mich mehr als jede Lüge oder Drohung.

»Setzen Sie sich, Agents! Ich möchte, dass Sie sich anhören, was Mister Daubner zu sagen hat!«

Mr High legte sehr viel Schärfe in seine Anweisungen, sodass Phil und ich wussten, wie dicht wir vor einer offiziellen Rüge standen. Unser Chef hatte Daubner offensichtlich gewisse Konzessionen gemacht und würde nicht zulassen, dass einer seiner Agents dagegen verstieß. Also schluckte ich weitere harte Anschuldigungen hinunter und setzte mich auf den Stuhl gegenüber von Cedrick Daubner.

»Mister Daubner hat mich aufgesucht, da er sich ausrechnen konnte, wie sehr wir ihn im Fokus unserer Ermittlungen haben würden. Doch Mister Daubner beteuert seine Unschuld und will alles in seiner Macht Stehende unternehmen, um den wahren Mörder von Tess Coburn zu stellen.«

Während Mr High uns in Auszügen das vorher zwischen ihm und Daubner abgelaufene Gespräch wiedergab, schaute ich in die grauen Augen meines Gegenübers. Daubner hielt meinem Blick stand und verriet durch kein Flackern, dass er möglicherweise nervös sein könnte.

»Warum sollten wir Ihnen dieses Schauermärchen abkaufen, Mister Daubner?«

Ich erkannte meine eigene Stimme kaum wieder, so angespannt war ich. Daubner nahm es weiterhin mit kühler Überlegenheit hin, dass aus jedem Wort von mir das pure Misstrauen sprach.

»Sie sollten sich lediglich fragen, warum ich mich in diese Situation bringen sollte. Wenn ich den Mord an Tess Coburn in Auftrag gegeben hätte, müsste ich mich nur noch zurücklehnen und abwarten. Selbst das mächtige FBI hat Schwierigkeiten, eine professionelle Operation gerichtsfest nachzuweisen, Agent Cotton. Ich weiß, wovon ich spreche, und Sie sowieso.«

Jedes Wort kam sachlich und mit felsenfester Überzeugung aus Daubners Mund. Seine Argumentation hatte einiges für sich, wenn man die Möglichkeiten dieses Mannes berücksichtigte. Cedrick Daubner beschäftigte ein Heer von erstklassigen Rechtsanwälten, die unsere Arbeit fast bis zum Stillstand blockieren konnten. Sollte die Situation für Daubner dann in vielen Jahren doch noch brenzlig werden, könnte er innerhalb weniger Stunden außer Landes sein und wir würden es nicht verhindern können.

»Vielleicht möchten Sie ja Ihre Überlegenheit auskosten und spielen ein Spiel mit uns, Mister Daubner«, klirrte Phils Stimme.

»Ich bin kein Spieler, Agent Decker! Meine Unternehmen würden nicht so florieren, wenn ich kein kühl kalkulierender Geschäftsmann wäre, und genau daran sollten Sie meine Handlungen messen.«

Einige Sekunden hing eisiges Schweigen im Raum, doch dann legte Daubner nach und brachte meine ablehnende Haltung ein wenig ins Schwanken.

»Ich biete dem FBI an, zwei seiner Agents als direkte Kontaktleute zu mir abzustellen. Diese Agents haben völlige Handlungsfreiheit in meinem Unternehmen und können ohne Rücksprache mit mir auf alle Ressourcen zugreifen. Nun, Agent Cotton? Wäre das ein Vorschlag, der Sie überzeugen könnte?«

Überzeugt hatte Daubner mich noch lange nicht, aber sein Entgegenkommen war in der Tat bemerkenswert. Bevor ich auf die Frage reagieren konnte, griff Mr High ein.

»Über diesen Vorschlag werden wir in Ruhe nachdenken, Mister Daubner. Ich danke Ihnen für die offenen Worte, wir melden uns bei Ihnen.«

Daubner nahm den abrupten Rauswurf ebenfalls gelassen auf und verließ nach einem Nicken in unsere Richtung das Büro unseres Chefs.

***

June und Blair standen leicht verunsichert im Flur. Mr High hatte ihnen soeben einen neuen Auftrag erteilt, der so gar nicht nach ihrem Geschmack war.

»Wir als Verbindungsleute bei Cedrick Daubner? Himmel, was hat der Chef sich bloß dabei gedacht?«, brummte Junes farbiger Partner vor sich hin.

Sie räumte ein, dass ihr dieser Auftrag auch wenig schmeckte. Auf der anderen Seite hatte Mr High eine positive Sache an dem ungewöhnlichen Vorgehen gesehen, die June wiederum sehr zusagte.

»Es geht um den Mörder von Tess Coburn, Großer. Wenn wir mit Daubners Handlangern zusammenarbeiten müssen, um ihn zu fassen, werde ich es tun!«

Blair schaute zu seiner Partnerin herab und staunte.

»Ach, echt? Dazu benötigen wir kaum die Hilfe von Gangstern. Wieso traut ihr Daubner eigentlich alle auf einmal?«

June setzte sich in Bewegung und Blair trabte neben ihr den Flur hinunter.