Jerry Cotton Sammelband 43 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 43 E-Book

Jerry Cotton

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 2990 - Rache ist ein hartes Brot
Jerry Cotton 2991 - Zahltag für Zeugen
Jerry Cotton 2992 - Söldner Blues
Jerry Cotton 2993 - Wetten auf den Tod
Jerry Cotton 2994 - Wenn es Tag wird in der Unterwelt

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 688

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 43

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | lfH

ISBN: 978-3-7517-4702-8

www.bastei.de

www.sinclair.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Jerry Cotton 2990

Juri Semjow, ein russischer Oligarch, war am helllichten Tag auf der Fifth Avenue vor dem legendären Juwelier Tiffany's entführt worden.

Phil und ich und einige andere Kollegen wurden auf den Fall angesetzt. Was uns zuerst auffiel war das fast passive Verhalten der Leibwächter bei dieser Entführung. Dann fanden wir heraus, dass die junge bildschöne Gattin Semjows einen Liebhaber in New York hatte und dass der Sohn mit einer Amerikanerin verlobt war, die es eigentlich nicht gab ...

Jerry Cotton 2991

Gary Scarlatti war in viele krumme Geschäfte verwickelt gewesen, hatte aber durch seine umfassende Aussage dazu beigetragen, dass eine Reihe von großen Bossen für lange Zeit auf Rickers Island verschwinden würde. Es dauerte nicht lange, dann wurde ihm die Rechnung präsentiert. Man sprengte ihn mit seinem Wagen in die Luft.   Das Schlimme dabei war, dass er sich zu diesem Zeitpunkt in Phils und meiner Obhut befand. Wie um uns zu verhöhnen erreichte mich kurz danach eine SMS die besagte: Ihr könnt niemanden schützen ...

Jerry Cotton 2992

Wir ermittelten in dem Mordfall Cal Jenkins, der Inhaber einer Security Firma gewesen war. Bald stellte sich heraus, dass diese Firma weit mehr zu bieten hatte als Personen- und Objektschutz. Sie stellte ganze Söldnertruppen auf, die weltweit in Krisengebieten agierten.

Und es dauerte nicht lange, dann tauchten weitere Leichen aus diesem Umfeld auf. Phil und ich mussten befürchten, dass New York zum Schauplatz einer Auseinandersetzung geworden war, die mit kriegstauglichen Waffen geführt wurde ...

Jerry Cotton 2993

Fashion Week in New York. Die ganze Stadt ist aus dem Häuschen und dazu noch vollgepfropft mit Prominenz aller Couleur. Und dann fand man das Top-Model Kendra Bunder ermordet im Brunnen des Lincoln Center.

Kein angenehmer Job, den Phil und ich übernehmen mussten, denn es stellte sich schnell heraus, dass in der Modebranche Mordgedanken praktisch an der Tagesordnung waren. Nur, wer war skrupellos genug, diese Gedanken auch in die Tat umzusetzen...

Jerry Cotton 2994

Dave Bricks, ein kürzlich entlassener Gangster, hatte sich vom Dach eines Hauses in den Tod gestürzt. Alles deutet auf einen Selbstmord hin. Er war der Einzige, den man nach dem Überfall auf einen Geldtransporter vor einigen Jahren gefasst hatte - und er hatte geschwiegen.   Seine Komplizen blieben verschwunden - genau wie die Beute. Das war genug um Phil und mich stutzig zu machen und nicht an einen Selbstmord zu glauben ...

Jerry Cotton Sammelband 43

Cover

Titel

Impressum

Zusammenfassung

Inhalt

Jerry Cotton 2990

Rache ist ein hartes Brot

Jerry Cotton aktuell

Jerry Cotton 2991

Zahltag für Zeugen

Jerry Cotton aktuell

Jerry Cotton 2992

Söldner-Blues

Jerry Cotton aktuell

Jerry Cotton 2993

Wetten auf den Tod

Jerry Cotton aktuell

Jerry Cotton 2994

Wenn es Tag wird in der Unterwelt

Jerry Cotton aktuell

Guide

Start Reading

Contents

Rache ist ein hartes Brot

Juri Semjow stieg aus der Stretch-Limousine und starrte plötzlich in eine Pistolenmündung.

Der russische Oligarch verlor nicht die Nerven. Er blieb wie erstarrt stehen. Aus dem Augenwinkel bemerkte Semjow eine schnelle Bewegung. Ein dumpfes Schlaggeräusch ertönte. Neben ihm ging sein Leibwächter Sergej Patkin zu Boden. Der zweite Bodyguard war noch im Wagen.

Semjow wurde von dem Mann am Revers seines Maßanzugs gepackt. Eine Frau kreischte erschrocken. Auf dem breiten Bürgersteig der Fifth Avenue waren viele Passanten unterwegs.

Doch der Angreifer hatte mehrere Helfer. Gemeinsam zerrten sie den reichen Geschäftsmann zum Bordstein und warfen ihn in einen Van, der nun hinter der Limousine hielt.

Mit radierenden Reifen schoss der Lieferwagen vorwärts. Die Entführung des Oligarchen hatte keine drei Minuten gedauert.

Phil und ich saßen in unserem Büro im 23. Stockwerk des Federal Building. Wir checkten widersprüchliche Zeugenaussagen in einem Chinatown-Schutzgeldfall. Da klingelte mein Telefon. Ich griff zum Hörer.

»Agent Cotton hier.«

»Könnten Sie und Phil bitte sofort zu mir kommen, Jerry?«

»Selbstverständlich, Sir.«

Ich beendete das Telefonat und stand auf. Mein Freund warf mir einen fragenden Blick zu.

»Der Chef will uns sehen?«

Ich nickte. »Hoffentlich hat Mister High etwas Spannenderes für uns als diese Zeugen, die plötzlich alle unter Gedächtnisverlust leiden«, seufzte Phil. Dieser Schutzgeld-Fall war sehr zermürbend, weil die Zeugen ständig ihre Aussagen widerriefen und sich gegenseitig beschuldigten. Aber ich war natürlich auch gespannt, was der Assistant Director nun für uns hatte.

Helen begrüßte uns mit einem freundlichen Lächeln, als Phil und ich wenig später das Vorzimmer des Chefs betraten.

»Der Kaffee ist schon fertig. Ihr könnt gleich zu Mister High durchgehen.«

»Du bist die Beste, Helen«, sagte mein Freund augenzwinkernd. Der Leiter des FBI District New York erwartete uns bereits am Besprechungstisch. Nachdem Helen uns alle mit Kaffee versorgt hatte, kam der Chef sofort zur Sache.

»Sagt Ihnen der Name Juri Semjow etwas, Jerry und Phil?«

»Allerdings, Sir«, gab ich zurück. »Semjow ist einer der mächtigsten und reichsten Männer Russlands, ein echter Oligarch. Dieser Mann gilt als ein Duzfreund des russischen Präsidenten. Er hat sein Geld als Bauunternehmer gemacht. Semjow ließ Fußballstadien in Südamerika und Wolkenkratzer in Ostasien errichten. Die Presse verpasste ihm deshalb den Spitznamen Betonmann .«

»Und Semjows Ehefrau Olga soll eine außerordentliche Schönheit sein«, ergänzte Phil. »Sie war vor ihrer Heirat Tänzerin beim weltbekannten Bolschoi-Ballett in Moskau, wenn man unseren Klatschreportern glauben darf.«

»In den Nachrichten war zu hören, dass sich Semjow momentan auf Geschäftsreise in den Staaten aufhält«, sagte ich. »Tatsächlich wurde der Betonmann in Washington mit großen Ehren empfangen. Ich fühlte mich fast an einen Staatsbesuch erinnert.«

John D. High nickte. Seine Miene war düster.

»Der Vergleich mit einem Staatsbesuch ist nicht verkehrt, Jerry. Man kann Semjows Einfluss auf die russische Regierung gar nicht hoch genug einschätzen. Umso dramatischer ist es, dass Semjow vor knapp einer Stunde mitten auf der Fifth Avenue gekidnappt wurde.«

Obwohl der Chef leise und ruhig gesprochen hatte, wirkten seine Worte wie Hammerschläge auf uns. Mir war sofort klar, dass eine solche Entführung üble Auswirkungen haben konnte. Phil ging es genauso, wie mir ein Blick auf sein besorgtes Gesicht zeigte.

»Wieso hielt sich Semjow denn überhaupt in unserer Stadt auf, Sir? In der Presse war nur von einem Besuch in Washington die Rede.«

»Das stimmt im Prinzip auch, Jerry. Semjow ist mit seiner Frau Olga und seinem Sohn Dimitri für einen Tagesausflug von der Hauptstadt aus nach New York geflogen. Nach ersten Erkenntnissen wollten sie hier nur ganz privat shoppen und auf Sightseeing-Tour gehen, abends aber wieder nach Washington zurückkehren.«

»Wenn Semjow so eine wichtige Persönlichkeit ist, warum hat man ihn dann nicht besser bewacht?«, wollte Phil wissen. »Der Schutz ausländischer Diplomaten und Staatsgäste fällt doch in die FBI-Zuständigkeit. Da hätte man doch uns auch mit Semjows Abschirmung beauftragen können.«

»Das war vom Hauptquartier in Washington auch beabsichtigt, Phil. Aber Semjow wollte keine FBI-Agents in seiner Nähe haben. Semjow versteht es, seinen Willen durchzusetzen. Außerdem ist er eben kein Mitglied einer Regierungsdelegation. Er hatte zwei eigene Leibwächter aus Russland mitgebracht und war wohl der Meinung, dass diese Männer zu seinem Schutz ausreichen würden.«

»Da hat sich der Oligarch getäuscht«, knurrte ich. »Und wir sollen Semjow jetzt wiederfinden?«

Der Chef nickte.

»Ja, Jerry. Die Kollegen vom NYPD haben eine Sofortfahndung ausgelöst, die bisher aber zu keinem Ergebnis geführt hat. Sämtliche Highways, Airports, Fähren und Häfen in New York und New Jersey werden verstärkt überwacht. Ich muss wohl nicht betonen, dass die Politik uns mächtig unter Druck setzt. Auch die Medien stürzen sich natürlich auf dieses Thema. Man wird uns wieder einmal Unfähigkeit vorwerfen. Aber ich weiß, dass Sie Ihre Arbeit erstklassig erledigen werden. Geben Sie mir nur Bescheid, falls Sie weitere Unterstützung brauchen.«

Das Gespräch war beendet. Phil und ich wollten zunächst zum Tatort fahren, um uns ein Bild von den Umständen des Kidnappings zu machen.

***

Wir holten meinen roten Jaguar-E-Hybriden aus der Tiefgarage und machten uns auf den Weg. Ich hatte den Chef gar nicht gefragt, wo genau die Entführung stattgefunden hatte. Die Fifth Avenue ist schließlich lang. Aber wir erblickten schon aus der Entfernung die rotierenden roten Lichter auf den Dächern zahlreicher Streifenwagen, die den Abschnitt sicherten.

Hinter der Polizeiabsperrung hatten sich auch schon einige Übertragungswagen von TV-Stationen postiert. Natürlich war ein solches Verbrechen ein gefundenes Fressen für die Medien. Und dass Semjow auch noch mit einer attraktiven Frau verheiratet war, würde die Einschaltquoten zusätzlich in die Höhe treiben.

Ich parkte neben einem Streifenwagen des NYPD. Phil und ich hatten unsere FBI-Marken bereits an den Revers befestigt. Wir drängten uns zwischen den Schaulustigen und den Paparazzi hindurch. Die Reporter wurden unruhig, als einige von ihnen uns erkannten.

»Hey, da sind Cotton und Decker vom FBI!«, rief einer. Im Handumdrehen wurde es noch schwieriger, bis zum gelben Trassierband vorzudringen, das die Cops gespannt hatten. Sämtliche Journalisten versperrten uns nun den Weg, Mikrofone wurden wie Waffen auf uns gerichtet. Es war fast kein Durchkommen mehr.

Schließlich gelang es Phil und mir doch, bis zur Absperrung durchzukommen. Ein baumlanger schwarzer Cop hob das Trassierband für uns. Gemeinsam mit seinen Kollegen drängte er die Presseleute zurück.

Wir wurden von Detective Eva Lombardi und Detective Sergeant Sean O’Brien begrüßt. Eva war eine zierliche italienischstämmige Brünette, ihr rothaariger athletischer Dienstpartner hatte eindeutig familiäre Wurzeln in Irland.

»Wir dachten uns schon, dass das FBI den Fall übernehmen würde«, sagte Eva Lombardi, nachdem die Kollegen uns zu der Stretch-Limousine geführt hatten. »Aber die erste Alarmmeldung lautete nur ›Schusswaffengebrauch auf der Fifth Avenue‹. Erst nach und nach wurde den uniformierten Kollegen klar, was sich hier abgespielt hat.«

Ich nickte und schaute durch die offenstehende Tür in den luxuriösen Innenraum des repräsentativen Gefährts.

»Geben Sie uns bitte die Kurzfassung.«

»Gern, Agent Cotton.« Eva Lombardi schlug ihr Notizbuch auf. »Zwischen 11.15 und 11.21 Uhr gingen mehrere Notrufe in der Alarmzentrale ein. Unterschiedliche Personen gaben an, dass hier geschossen worden sei. Außerdem war von einer Entführung die Rede.«

»Gab es Tote oder Verletzte?«, hakte ich nach.

»Keinen Toten und nur einen Verletzten. Offenbar hatte einer der Kidnapper nur einen Warnschuss abgegeben, als ein kanadischer Tourist den Helden spielen wollte. Daraufhin hat sich der Kanadier zu Boden geworfen, so wie die meisten anderen Passanten, die sich in der Nähe befanden. Es war das Beste, was sie tun konnten.«

»Wie muss ich mir den Tathergang vorstellen?«

Diesmal beantwortete O’Brien meine Frage.

»Dieser russische Millionär Semjow hatte offenbar für sich und seine Familie eine Stretch-Limousine gemietet. Damit fuhren sie vom JFK direkt zur Fifth Avenue. In dem Fahrzeug befanden sich neben Semjow noch seine Frau und sein Sohn sowie die beiden Bodyguards Sergej Patkin und Victor Karan. Die Limousine hielt an der Bordsteinkante vor dem Juweliergeschäft. Dort stieg Semjow aus, gefolgt von Sergej Patkin. In diesem Moment schlugen die Entführer zu.«

»Es waren also mehrere Täter?«, vergewisserte ich mich.

»Ja, Agent Cotton. Laut den Zeugenaussagen waren vier Männer an der Entführung beteiligt. Einer von ihnen bedrohte Semjow mit einer Pistole. Sein Komplize schlug währenddessen den Leibwächter Patkin nieder.«

»Patkin ist die verletzte Person? Und was tat der zweite Bodyguard?«

»Nichts«, erwiderte der Detective Sergeant trocken. »Offenbar blieb der Mann namens Victor Karan in der Limousine, obwohl die hintere Tür die ganze Zeit offenstand. Jedenfalls schoss der zweite Täter in die Luft, als der kanadische Tourist eingreifen wollte. Gleich darauf stießen noch zwei weitere Komplizen dazu. Mit vereinten Kräften schafften sie Semjow in einen Van, der in der Zwischenzeit hinter der Stretch-Limousine gehalten hatte.«

»Wir können also noch von einem fünften Täter ausgehen, nämlich dem Fahrer«, meldete sich Phil zu Wort. »Gibt es schon genauere Personenbeschreibungen der Täter?«

Eva Lombardi schüttelte den Kopf.

»Wir haben Zeugenaussagen, aber besonders hilfreich sind sie nicht. Angeblich handelt es sich bei allen vier Kidnappern um weiße männliche Personen. Die Kerle waren von normaler Statur, also weder besonders groß oder klein, dick oder dünn. Sie trugen schwarze oder graue Kapuzenpullover sowie Jeans. Die Männer hatten die Kapuzen über die Köpfe gezogen, deshalb haben wir auch keine Angaben zu Haarfarben.«

»Und keiner der Zeugen ist ein ausgesprochener Waffenkenner«, meinte Sean O’Brien. »Deshalb wissen wir noch nicht einmal, ob Pistolen oder Revolver für die Tatausführung verwendet wurden, von den Herstellermarken ganz zu schweigen. Und da nur ein Schuss in die Luft abgegeben wurde, werden wir wohl das Projektil niemals finden.«

»Das sind wirklich dürftige Angaben«, sagte ich. »Aber eines steht für mich jetzt schon fest.«

Eva Lombardi, Sean O’Brien und Phil schauten mich fragend an.

»Die Kidnapper müssen ganz genau gewusst haben, wann und wo Semjow seine Shopping-Tour beginnen wollte. Sie werden nicht zufällig genau hier auf ihn gewartet haben.«

Wenigstens zu dem Fluchtfahrzeug gab es genauere Informationen. Es sollte sich um einen dunkelblauen Mitsubishi Van mit New Yorker Kennzeichen handeln. Natürlich hatten die NYPD-Kollegen dieses Auto schon zur Großfahndung ausschreiben lassen. Jede Streifenwagenbesatzung würde die Augen nach dem verdächtigen Van aufhalten.

»Wir wollen mit den Angehörigen und den Bodyguards sprechen«, sagte Phil zu den Zivil-Cops. Eva Lombardi nickte.

»Natürlich, Agent Decker. Die Frau und der Sohn des Entführten werden sich im Maxwell Hotel einquartieren, bis es Neuigkeiten von Juri Semjow gibt. Sie hatten ja ursprünglich vor, heute noch nach Washington zurückzukehren. Aber sie wollen jetzt hier vor Ort bleiben.«

»Das ist verständlich«, sagte ich. »Aber warum steigen sie ausgerechnet im Maxwell ab und nicht im Ritz-Carlton , im Sheraton oder einem der anderen Luxushotels?«

Diese Frage konnten Eva Lombardi und Sean O’Brien nicht beantworten. Auf jeden Fall hatte der unverletzt gebliebene Leibwächter Victor Karan die Angehörigen begleitet. Sein Kollege Sergej Patkin wurde hingegen im Bellevue Hospital behandelt. Ihn würden wir uns später vornehmen.

Zunächst bedankten wir uns bei den beiden NYPD-Ermittlern. Sie hatten in der kurzen Zeit viel herausgefunden. Trotzdem war der Fall noch völlig rätselhaft.

Phil und ich kämpften uns durch die Menschentrauben zu meinem roten Flitzer zurück. Ich setzte den Blinker und fädelte mein Auto in den nordwärts fließenden Verkehr ein, denn das Maxwell Hotel befindet sich auf der Upper West Side.

»Das war Profi-Arbeit, Jerry. Für mich klingt es so, als ob ein eingespieltes Team am Werk war. Die Entführer haben effizient gehandelt und unnötiges Blutvergießen vermieden. Ich schätze, das organisierte Verbrechen hat die Tat eingefädelt.«

»Oder ein Geheimdienst. Vergiss nicht, dass Semjow in seiner Heimat enge Verbindungen zur Politik hat. Es ist auch möglich, dass ein Konkurrenzunternehmen hinter der Entführung steckt. Soweit ich weiß, ist Semjow in gewissen Kreisen Russlands verhasst.«

»Okay, aber mit einem Mordanschlag haben wir es nicht zu tun. Wer immer Semjow in die Hände bekommen wollte, brauchte ihn lebend. Außerdem ist der Betonmann steinreich. Früher oder später können wir gewiss mit einer Lösegeldforderung rechnen.«

»Team-Arbeit ist ein gutes Stichwort. Wir sollten im Field Office checken, ob in den letzten Monaten noch andere Kidnappings nach demselben Muster begangen wurden. Es könnte eine Bande sein, die US-weit operiert und fest aufeinander eingespielt ist.«

***

Wenig später hatten wir das Maxwell erreicht. Das Hotel war ein mittelgroßes unauffälliges Gebäude, das fast einen ganzen Häuserblock einnahm. Wir zeigten an der Rezeption unsere FBI-Ausweise. Dort lungerten bereits einige Paparazzi herum, die allerdings von der hauseigenen Security in Schach gehalten wurden.

Wahrscheinlich hatte sich ein Page ein Extra-Taschengeld verdient, indem er den Medien den Aufenthaltsort der Semjows verraten hatte. Der Fall hatte innerhalb kürzester Zeit viel Staub aufgewirbelt. Semjows Entführung war eine Sensation, sogar für eine so aufregende Stadt wie New York City.

»Mistress Semjow hat zwei Suiten gemietet, für sich selbst und für ihren Sohn«, teilte mir der Rezeptionschef mit. »Darf ich Sie anmelden?«

Ich nickte. Phil und ich fuhren mit dem Lift in das zweite Stockwerk hoch. Dort stand ein Anzugträger mit militärischem Haarschnitt vor einer Eichenholztür.

»Verschwindet, Presseschnüffler«, sagte er mit starkem russischem Akzent. Phil schüttelte den Kopf. Wir präsentierten abermals unsere Ausweise. Der Bodyguard zeigte kein nennenswertes Mienenspiel. Seine Gesichtszüge waren undurchdringlich.

»Sie sind Victor Karan?«, vergewisserte ich mich.

»Ja, der bin ich.«

»Zu Ihnen kommen wir später. Jetzt müssen wir mit Olga und Dimitri Semjow sprechen.«

Der Leibwächter nickte unwirsch und ließ uns herein. Er machte einen abweisenden und aggressiven Eindruck. Vielleicht schämte er sich auch nur, weil er bei der Entführung so kläglich versagt hatte. Es wäre sein Job gewesen, eine solche Tat zu verhindern. An seiner Stelle hätte ich mich als Versager gefühlt.

Olga Semjow saß auf einem Sofa im Salon der Suite, die langen Beine übereinandergeschlagen. Sie trug ein enges modisches Seidenkleid, das ihre schlanke Figur betonte. Meiner Einschätzung nach war sie mindestens zwanzig Jahre jünger als ihr Ehemann. Man konnte sich gut vorstellen, dass sie einmal eine erfolgreiche Balletttänzerin gewesen war.

Ihr Sohn Dimitri war ein semmelblonder Bursche von Mitte zwanzig. Er trug einen protzigen Siegelring. Dimitri beachtete uns gar nicht, sondern lief nervös hin und her, wobei er in rasendem Tempo ständig etwas in sein Smartphone tippte.

Ich stellte Phil und mich noch einmal vor. Olga Semjow blickte auf und tupfte mit einem Taschentuch die Gesichtshaut unter ihren sorgfältig geschminkten Augen ab. Aber es sah für mich nicht so aus, als ob sie geweint hätte. Wem wollte sie mit dieser Show etwas beweisen?

»Ist das nicht schrecklich, Agents?«, fragte die Ehefrau des Entführungsopfers, nachdem sie uns Platz angeboten hatte. Ihr Englisch war fließend. »Ich habe immer schon gehört, dass New York City eine sehr gefährliche Stadt ist. Aber mit so einer Untat hätten wir niemals gerechnet. Wer kann meinen armen Mann nur entführt haben?«

»Wir ermitteln in alle Richtungen«, sagte ich. »Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, dass es sich um eine Zufallstat handelt. Juri Semjow wurde gezielt entführt, Mistress Semjow. Hat er irgendwelche Feinde?«

Noch bevor die elegante Lady antworten konnte, mischte ihr Sohn sich ein. Er ließ sich in einen Sessel fallen und begann wild zu gestikulieren.

»Feinde, Agent Cotton? Soll das ein Witz sein? Mein Vater ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann mit Verbindungen in die höchsten politischen Kreise unserer Heimat. Selbstverständlich hat Juri Semjow Feinde, und das nicht zu knapp. Mir fallen auf Anhieb mindestens ein Dutzend einflussreicher Männer ein.«

Dimitri Semjow nannte uns zahlreiche russische Namen, die ich mir alle notierte. Offenbar waren es andere Oligarchen, die mit Semjow daheim konkurrierten. Ob einer dieser Männer gute Verbindungen in die Staaten hatte, würden wir checken müssen.

Ich vergegenwärtigte mir, dass die Entführer bei dem Kidnapping kein Wort gesprochen hatten. Es gab keinen Beweis dafür, dass die Verbrecher Amerikaner waren. Es konnten also ebenso gut auch Russen sein.

Ich wandte mich wieder an Olga Semjow und schaute sie prüfend an.

»Ihr Sohn hat uns gerade zahlreiche Verdächtige genannt. Wie steht es mit Ihnen, Mistress Semjow? Wer könnte Ihrer Meinung nach hinter diesem Verbrechen stecken?«

»Ich weiß es wirklich nicht, Agent Cotton. Ich würde Ihnen gerne helfen, aber mir fällt keine Person ein. Ich habe mich aus den Geschäften meines Mannes immer herausgehalten.«

»Wessen Idee war eigentlich dieser Shopping-Trip nach New York?«, warf Phil ein.

»Das kann ich gar nicht mehr so genau sagen. Ich glaube, Juri und ich haben es gemeinsam beschlossen. Mein Mann wollte ja ansonsten auf dieser USA-Reise nur Geschäftsverhandlungen mit neuen amerikanischen Partnern führen. Juri fürchtete wohl, dass es für mich zu langweilig werden würde. Er hat immer nur an mein Wohl und das unseres Sohnes gedacht, der Ärmste.«

Die Ehefrau wischte sich wieder mit dem Taschentuch durch das Gesicht. Aber die Geste kam mir theatralisch vor. Glaubte Olga Semjow wirklich, zwei erfahrenen Agents grenzenlose Trauer vorspielen zu können?

»Wer wusste denn von Ihrer Tagestour nach New York?«, hakte ich nach.

Die ehemalige Balletttänzerin machte eine vage Handbewegung.

»Das kann ich nicht sagen. Womöglich hat jemand in unserem Washingtoner Hotel eine Bemerkung aufgeschnappt. Oder in dem Restaurant, in dem wir gestern Abend gespeist haben. Wir sprachen ja in aller Öffentlichkeit darüber. Auch einige von Juris Geschäftskontakten werden es gewusst haben. Woher hätten wir denn ahnen sollen, dass es eine solche Tragödie geben würde?«

»Wir gehen momentan davon aus, dass Ihrem Mann nichts geschehen wird«, sagte ich beruhigend. »Wir werden Ihnen ein FBI-Team hier ins Hotel schicken, falls die Entführer Kontakt mit Ihnen aufnehmen. Dann ist es beispielsweise entscheidend, ein Telefonat zurückverfolgen zu können.«

Weder Mutter noch Sohn schienen von dieser Ankündigung sehr begeistert zu sein. Aber sie protestierten nicht dagegen. Die Ehefrau des Oligarchen gab mir ein Foto ihres Mannes. Das war eigentlich überflüssig, denn Bilder und Videos, die Juri Semjow zeigten, wurden inzwischen von allen TV-Stationen gesendet und von allen New Yorker Zeitungen gedruckt. Ich nahm das Foto trotzdem an mich.

Dann sprach ich wieder Dimitri Semjow an. »Was für eine Rolle kam Ihnen eigentlich bei dieser Reise zu, Mister Semjow?«

Der junge Mann warf sich selbstbewusst in die Brust.

»Ich werde einst das Semjow-Imperium erben, Agent Cotton. Ich war auf einer Moskauer Elite-Universität, wo ich Wirtschaft studiert habe. Mein Vater bindet mich jetzt schon in die Leitung seiner Unternehmen ein. Es war seine erste USA-Reise, während ich schon öfter in Ihrem Land war und wichtige Verbindungen geknüpft habe.«

Während ich mit Semjow junior redete, forderte Phil per Handy ein Techniker-Team an. Als die Kollegen mit ihrer Ausrüstung eintrafen, verabschiedeten wir uns einstweilen von der Familie.

»Wir werden Sie über den aktuellen Stand unserer Ermittlungen informieren«, versprach ich. Doch bevor wir gingen, nahmen wir uns noch Victor Karan zur Brust. Phil und ich bauten uns vor dem Bodyguard auf und kamen sofort zur Sache.

»Warum haben Sie eigentlich nicht eingegriffen?«, fragte ich ihn direkt. »Sie müssen doch vom Rücksitz der Limousine aus gesehen haben, dass Ihr Boss in Gefahr geriet. Die Autotür stand doch offen, oder?«

»Ja, die verfluchte Tür stand offen«, knurrte Karan. »Aber es ging alles so schnell. Und dann waren da auch noch Mistress Semjow und der Sohn, die ich beschützen musste. Bevor ich aussteigen konnte, hatten diese Lumpenhunde schon meinen Boss verschleppt. Und mein Kollege lag bewegungslos am Boden.«

»Dann ist Ihre Schrecksekunde aber ziemlich lang, jedenfalls für einen Leibwächter«, bemerkte Phil trocken. Victor Karan warf meinem Freund einen hasserfüllten Blick zu und ballte die Fäuste.

»Wollen Sie damit sagen, dass ich ein Feigling bin?«

»Wir sind nur davon ausgegangen, dass ein Bodyguard solche und ähnliche Situationen immer wieder trainiert«, sagte ich, bevor Phil etwas erwidern konnte. »Hat es denn in der Vergangenheit schon ähnliche Entführungsversuche gegeben?«

Victor Karan schüttelte den Kopf, aber besonders glaubhaft fand ich ihn nicht. Ich beschloss, ihn und seinen Kollegen gründlich zu durchleuchten.

***

Agent Dan Hawks war der Leiter des Technikerteams. Er versprach, mich sofort anzurufen, falls sich die Kidnapper meldeten. Phil und ich verloren keine Zeit und fuhren hinüber ins Bellevue Hospital. Nach einigem Hin und Her gelangten wir zu dem Arzt, der den verletzten Sergej Patkin behandelt hatte.

»Der Leibwächter hatte Glück im Unglück«, sagte Doc Ingalls zu uns. »Er bekam zwar einen Schlag mit einem harten Gegenstand auf den Hinterkopf, aber die Verletzung war nicht sehr schwer. Eine Gehirnerschütterung ist dem Patienten erspart geblieben. Er war bei seiner Einlieferung auch nicht bewusstlos, nur leicht benommen. Wir können ihn morgen früh schon wieder entlassen.«

»Könnte man sagen, dass der Täter absichtlich nicht besonders hart zugeschlagen hat?«, wollte ich wissen. Doc Ingalls hob die Schultern.

»Für solche Schlussfolgerungen sind Sie zuständig, Agents. Aber nach einem Schlag mit voller Wucht sieht mir die Verletzung nicht aus. Entweder hatte der Angreifer nicht genug Kraft oder er wollte den Leibwächter nicht ernsthaft verletzen.«

Nach diesem kurzen Gespräch wurden wir zu Sergej Patkin in sein Krankenzimmer gelassen. Auch dieser Leibwächter hatte eine Kurzhaarfrisur und wirkte kräftig und durchtrainiert. Er starrte uns genauso finster an wie sein Kollege im Hotel. Ich nannte ihm unsere Namen.

»Wie konnte es zu der Entführung kommen?«, fragte ich auch ihn ohne Umschweife.

»Woher soll ich das wissen, Agent Cotton?«, erwiderte er mit russischem Akzent. »New York ist doch Ihre Stadt, nicht meine. Sie haben es zu verantworten, wenn hier so viel kriminelles Gesindel frei herumläuft.«

»Lenken Sie nicht ab!«, rief Phil empört. »Sie haben sich bei der Entführung wie ein Anfänger verhalten.«

Patkin wurde knallrot im Gesicht.

»Das muss ich mir nicht bieten lassen! Waren Sie vielleicht dabei, he? Ich wäre beinahe totgeschlagen worden. Was glauben Sie, weshalb ich hier im Hospital bin?«

Er deutete auf seinen Kopfverband, als ob der irgendetwas beweisen würde.

»Was ist mit der Umgebung?«, bohrte ich nach. »Sind Ihnen verdächtige Personen aufgefallen, als Sie den Wagen verließen? Oder wurde Ihr Fahrzeug eventuell auf dem Weg vom JFK Airport zur Fifth Avenue verfolgt?«

»Ich habe nichts bemerkt. Und wenn Sie mich nach verdächtigen Personen fragen: Ich finde, in New York laufen sehr viele schräge Vögel herum.«

Patkin war offenbar keine Hilfe. Wir verzichteten auf eine weitere Befragung.

Auf dem Weg zum Hauptausgang des Bellevue Hospital ergriff Phil wieder das Wort.

»Um was wollen wir wetten, dass die beiden Bodyguards Dreck am Stecken haben? Womöglich sind sie sogar Komplizen der Entführer.«

»Ich würde nicht dagegenhalten«, gab ich zurück.

***

Wir kehrten zunächst ins Field Office zurück. Eine Datenbank-Recherche über Entführer-Gangs brachte uns nicht weiter. Es gab zwar mehrere Verbrechergruppen, die aus eingespielten Teams bestanden, aber alle passten nicht.

Ich wollte stattdessen lieber versuchen, in Semjows Heimat Hinweise auf die Täter zu finden.

Ich rief bei der Moskauer Kriminal-Miliz an. Nach einigem Hin und Her bekam ich einen Beamten an den Apparat, der fließend Englisch sprach. Er stellte sich mir als Leutnant Iwanow vor.

»Ich brauche Ihre Amtshilfe, Leutnant. Es geht um zwei verdächtige Personen, die sich momentan in New York City aufhalten. Beide sind russische Staatsbürger.«

»Das lässt sich machen, Agent Cotton. Kennen Sie die Namen?«

Ich sagte dem Moskauer Polizisten, dass es sich um Sergej Patkin und Victor Karan handelte. Leutnant Iwanow bat mich um etwas Geduld und legte das Gespräch in die Warteschleife. Währenddessen rief Phil bei der Homeland Security an. Es war ja möglich, dass die Kollegen dort Erkenntnisse über die beiden Bodyguards vorliegen hatten.

Einige Minuten später meldete sich der Mann aus Moskau wieder. Doch während er zuerst freundlich und aufgeschlossen geklungen hatte, war seine Stimme nun kalt und förmlich.

»Ich kann Ihnen leider keine Informationen über diese Personen geben, Agent Cotton. Das bedaure ich.«

»Wie meinen Sie das, Leutnant Iwanow? Haben Sie keine Daten von Patkin und Karan?«

»Doch, selbstverständlich. Aber ihre Akten sind gesperrt, jedenfalls für ausländische Polizeibehörden.«

»Und aus welchem Grund?«, hakte ich nach, wobei ich meine Verärgerung niederkämpfte.

»Das darf ich Ihnen ebenfalls nicht sagen.«

Ich atmete tief durch.

»Liegt es vielleicht daran, dass Patkin und Karan als Leibwächter von Juri Semjow arbeiten?«

»Dazu werden Sie von mir weder ein Ja noch ein Nein hören.«

»Sehr schön«, knurrte ich. »Mein Kollege und ich arbeiten mit Hochdruck daran, Juri Semjow zu retten, der hier in New York gekidnappt wurde.«

»Juri Semjow wurde entführt? Das ist ja schrecklich.«

»Deshalb ist es so wichtig für uns, jede mögliche Information zu bekommen.«

»Das verstehe ich, Agent Cotton. Leider sind mir trotzdem die Hände gebunden.«

»Wie steht es mit möglicherweise gescheiterten Entführungsversuchen von Semjow oder seinen Angehörigen in Russland?«

»Hierzulande wird Juri Semjow mit großem Sicherheitsaufwand abgeschirmt. Daran ist nicht nur die Miliz, sondern auch der Geheimdienst beteiligt. Es erscheint mir unrealistisch, dass Semjow in seiner Heimat gekidnappt werden könnte. Womöglich haben die Entführer nur auf die Gelegenheit gewartet, dass er eine Auslandsreise antritt.«

»Das ist doch immerhin schon mal etwas. Falls Ihnen noch etwas zur Lösung dieses Falles in den Sinn kommt, können Sie mich gerne anrufen. Meine Nummer haben Sie ja jetzt.«

Mit diesen Worten beendete ich das Telefonat. Phil schaute mich fragend an. Da er selbst auf seinem Apparat gesprochen hatte, war ihm der Inhalt meines Wortwechsels mit dem Leutnant entgangen. Ich brachte meinen Freund kurz auf den neuesten Stand.

Phil pfiff durch die Zähne. »Das ist ja ein dicker Hund! Aber es wundert mich eigentlich nicht, Jerry. Diese beiden Bodyguards werden mir immer verdächtiger.«

»Was hat denn eigentlich die Homeland Security gesagt?«

»Nichts von Bedeutung. Die Pässe von Patkin und Karan waren offenbar in Ordnung. Allerdings wurden sie erst vor wenigen Wochen von der Passbehörde in Moskau ausgestellt.«

»Und das, obwohl Juri Semjow mehrere internationale Unternehmen besitzt und in der Welt herumreist? Hatte er bei seinen früheren Geschäftstrips andere Leibwächter bei sich? Es ist doch kein Zufall, dass sowohl Patkin als auch Karan mit druckfrischen Papieren in die Staaten eingereist sind.«

Bevor Phil antworten konnte, klingelte mein Telefon. Ich nahm das Gespräch an.

»Agent Cotton hier.«

Dan Hawks war am Apparat.

»Jerry, wir haben jetzt im Maxwell unser Equipment aufgebaut und halten uns bereit, falls die Entführer anrufen. Aber ich wollte dir Bescheid sagen, dass der Leibwächter verschwunden ist.«

»Victor Karan?«

»Heißt er so? Jedenfalls sollte er doch Semjows Ehefrau und Sohn bewachen. Die Familie hat für ihn auch ein eigenes Zimmer im Hotel buchen lassen. Aber Karan ist verschwunden. Zunächst dachte Dimitri Semjow, der Bodyguard wäre nur kurz auf sein Zimmer gegangen, um sich frisch zu machen. Aber dort ist er nicht. Wir würden ja das Hotelpersonal und die Gäste befragen, aber wir müssen uns für einen möglichen Anruf bereithalten.«

»Wir schicken euch Unterstützung, Dan.«

Diesmal hatte ich den Lautsprecher eingeschaltet, daher war auch Phil informiert.

»Auch Olga und Dimitri Semjow können wir nicht von jedem Verdacht ausschließen, Jerry. Der Sohn hat schließlich zugegeben, dass er einst das Firmenimperium erben wird. Es ist gut möglich, dass er nicht so lange warten will. Und die Frau? Auch ihre Bestürzung schien sich in Grenzen zu halten, um es mal vornehm auszudrücken.«

»Das sehe ich auch so, Phil.«

Zum Glück hatte Mr High sofort Zeit für uns. Wir schilderten ihm die neuesten Entwicklungen. Der Assistant Director nickte und griff zum Telefonhörer.

»Ich werde veranlassen, dass die Familie unauffällig observiert wird. Steve Dillaggio und Zeerookah sollen Olga Semjow überwachen, während Joe Brandenburg und Les Bedell Dimitri Semjow im Auge behalten. Könnten Sie das Hotelpersonal und die Gäste befragen?«

»Selbstverständlich, Sir«, gab ich zurück. »Victor Karan hat sich durch sein Verschwinden jedenfalls ziemlich verdächtig gemacht.«

Auf dem Weg zum Maxwell fuhren Phil und ich noch beim Bellevue Hospital vorbei. Ich hatte eine ungute Vorahnung, die sich nun auch bestätigte.

Sergej Patkin war ebenfalls fort. Er musste sich von der Krankenstation fortgeschlichen haben. Weder Ärzte noch Krankenschwestern oder Mitpatienten hatten seine Flucht bemerkt. Auch die Überwachungskameras des Hospitals waren in diesem Fall keine Hilfe. Ich ließ den Bodyguard sofort zur Fahndung ausschreiben.

***

Phil und ich trafen uns kurz mit unseren Kollegen Steve Dillaggio, Zeery, Joe Brandenburg und Les Bedell.

»Wir können im Hotel ganz offen ermitteln, denn Olga und Sergej kennen Phil und mich schon«, sagte ich. »Ihr hingegen haltet euch im Hintergrund. Aber gebt uns bitte sofort Bescheid, falls sich etwas Verdächtiges tut.«

»Mister High hat uns instruiert«, sagte Steve Dillaggio. »Die Ehefrau und der Sohn werden von uns noch nicht einmal eine Schuhspitze zu sehen bekommen.«

Ich nickte ihm zu. Auf unsere Kollegen konnten wir uns felsenfest verlassen. Phil und ich begannen mit den Befragungen im Hotel. Dabei teilten wir uns auf, sonst hätte die Arbeit einfach zu lange gedauert. Wir hatten uns Fotos von Victor Karan besorgt. Es gab eine gute Aufnahme von Juri Semjow, auf der auch die Gesichter der beiden Bodyguards links und rechts von ihm deutlich zu erkennen waren.

Ich sprach mit einigen Hotelgästen, die ihre Zimmer auf derselben Etage hatten wie die Semjows. Einige von ihnen hatten den Bodyguard dann und wann vor der Suite von Olga Semjow gesehen, aber sein Verschwinden hatte niemand bemerkt.

Es gab keinen Grund, an den Aussagen zu zweifeln. Die Zeugen waren ausnahmslos auswärtige Touristen, die sich die Sehenswürdigkeiten von New York City anschauen wollten. Sie würden sich gewiss nicht stundenlang auf muffigen Hotelfluren herumdrücken.

Am Ende des Ganges war ein Zimmermädchen gerade damit beschäftigt, in einem leeren Raum die Betten abzuziehen. Sie zuckte zusammen, als ich durch die offenstehende Tür zu ihr kam. Sie warf mir einen verängstigten Blick zu.

Ich lächelte beruhigend, zeigte ihr meinen FBI-Ausweis und ließ sie das Foto sehen, auf dem Victor Karan zu sehen war.

»Wir sind auf der Suche nach diesem Mann«, sagte ich.

Die junge Frau sprach mit osteuropäischem Akzent, als sie mir nun antwortete. Sie warf mir einen scheuen Blick zu.

»Ist er ein Verbrecher?«

»Das wissen wir noch nicht. Stammen Sie aus Russland?«

Das Zimmermädchen nickte ernsthaft. »Ich lerne in jeder freien Minute Englisch, aber anscheinend nicht gut genug.«

»Ihr Englisch ist fehlerfrei, aber Sie sprechen mit russischem Akzent. Wir wissen nicht, ob dieser Mann in kriminelle Machenschaften verwickelt ist. Es gab eine Entführung, und die Familie des Verschleppten macht sich große Sorgen. Wenn Sie etwas wissen, dann sagen Sie es mir bitte.«

Das Zimmermädchen stellte sich als Irina McMillan vor. Sie hatte offenbar einen Amerikaner geheiratet, jedenfalls trug sie einen Ehering. Irina kämpfte offenbar mit sich, aber dann begann sie doch zu reden.

»Ich stamme aus Russland und lebe erst seit ein paar Jahren in den Staaten. Dieser Mann auf dem Foto ist ein ›dicker Arm‹, nicht wahr?«

»›Dicker Arm‹?«, hakte ich nach. »Was soll das heißen?«

»So nennt man in Russland die Bodyguards der Reichen. Oft sind es ehemalige Verbrecher, denen man nicht trauen kann. Ich habe sofort bemerkt, dass er aus meiner alten Heimat stammt.«

»Haben Sie mit ihm gesprochen, Mistress McMillan?«

»Nein, das nicht. In Russland haben die ›dicken Arme‹ einen schlechten Ruf. Ich bin dem Mann aus dem Weg gegangen, aber er hat mich auch gar nicht bemerkt. Er stand ja immer nur vor der Suite 3 B, schaute dabei ziemlich finster drein. Und ich war erleichtert, als er verschwand.«

Ich horchte auf.

»Das haben Sie also mitbekommen? Sie waren anwesend, als er fortging?«

»Ja, er hätte mich beinahe über den Haufen gerannt. Ich kam aus der Wäschekammer, als er durch einen der Notausgänge das Hotel verließ. Dabei sprach er leise in sein Handy.«

»Konnten Sie verstehen, was er sagte?«

Irina McMillan zögerte, aber ich schaute sie aufmunternd an.

»Der Mann sprach Russisch. Seine Worte waren: ›Mir wird es zu heiß. Ich komme zu euch nach Coney Island.‹«

»Das war alles? Mehr konnten Sie nicht verstehen?«

»Nein, das war nicht möglich. Der Bodyguard rempelte mich an und ich hatte Mühe, meinen Stapel an Bettwäsche nicht fallen zu lassen. Ich ärgerte mich über ihn, aber eigentlich war ich froh, ihn nicht mehr sehen zu müssen. Er hatte etwas Furchteinflößendes an sich.«

Ich gab dem Zimmermädchen meine Visitenkarte und bat die junge Frau, später im Field Office ihre Aussage schriftlich niederzulegen. Jetzt durften wir keine Zeit verlieren. Ich eilte zu Phil, um mit ihm unsere nächsten Schritte zu besprechen.

»Also ist Karan auf dem Weg nach Coney Island? Okay, dort leben viele russische Einwanderer. Es ist gut vorstellbar, dass er dort Kontaktleute hat. Aber Coney Island ist weitläufig, es gibt dort unzählige Versteckmöglichkeiten.«

»Das stimmt, Phil. Aber versetze dich doch für einen Moment in Victor Karan hinein. Du musst dringend aus dem Hotel verschwinden, weil das FBI dir unangenehme Fragen gestellt hat, dich vielleicht sogar verdächtigt.«

»Ja, und ich rufe meine Kumpane an, damit sie mich empfangen können.«

»Richtig, und wie kommst du nach Coney Island?«

»Wenn ich Karan wäre, würde ich mich in New York nicht auskennen. Ich hätte auch kein eigenes Auto. Also würde ich ein Yellow Cab nehmen.«

Ich nickte.

»Die Fahrt von der Upper West Side nach Coney Island ist ziemlich weit. Für den Cabbie ist das eine gute Tour, an die er sich bestimmt erinnern wird.«

Phil seufzte.

»Dann müssen wir jetzt nur noch den richtigen Taxifahrer auftreiben. Von denen gibt es aber leider mehr als genug.«

***

Wir konzentrierten uns auf die Taxibetriebe, die an dem Tag Yellow Cabs in Manhattan auf der Straße hatten. Das waren immer noch mehr als genug, denn die meisten New-York-Touristen halten sich in diesem Bezirk auf. Doch wir hatten Glück. Zwei Stunden später fanden wir wirklich den Cabbie, der Victor Karan gefahren hatte.

Phil und ich trafen den Fahrer in der Garage seiner Firma an der Amsterdam Avenue. Er war ein bulliger Schwarzer namens Alexander Horn.

»Ja, die Fahrt werde ich so schnell nicht vergessen, Agents! Ich hatte gerade mit meiner Schicht begonnen und gurkte auf der Suche nach Fahrgästen am Maxwell vorbei, als plötzlich dieser Russe aus der Seitenstraße gerannt kam. Er winkte, ich fuhr an die Bordsteinkante und er ließ sich in meine Karre fallen.«

»Woher wussten Sie, dass der Mann ein Russe ist?«, hakte ich nach. Alexander Horn grinste.

»Als New Yorker Cabbie kann man die meisten Akzente dieser Welt ganz gut unterscheiden, Agent. Er sagte, ich sollte ihn zur Surf Avenue fahren. Wenn ich eine Tour nach Coney Island kriege, dann sage ich nicht Nein. Der Kerl beachtete mich gar nicht weiter. Nachdem ich losgefahren war, quatschte er die ganze Zeit auf Russisch in sein Handy. Natürlich verstand ich kein Wort.«

»Und wo haben Sie ihn abgesetzt?«

»Die Adresse lautete 1102 Surf Avenue. Das ist ein schäbiges Brownstone-Haus direkt neben einer Pfandleihe. Ich fragte mich noch, was der Russe dort zu schaffen hatte. Aber nach zwanzig Berufsjahren wundere ich mich über gar nichts mehr.«

Wir dankten dem Cabbie. Nachdem wir wieder in meinen Jaguar gestiegen waren, trat ich kräftig aufs Gaspedal. Außerdem setzte ich die Sirene und das blinkende Rot-Blau-Licht hinter dem Kühlergrill ein, um möglichst schnell nach Coney Island zu kommen.

Als mein Bolide die Surf Avenue schon fast erreicht hatte, schaltete ich die Warnsignale wieder aus. Wir wollten Karan schließlich nicht warnen.

Ich parkte direkt vor dem Gebäude. Alexander Horns Aussage war zutreffend. Das Haus sah wirklich heruntergekommen aus.

Offenbar gab es insgesamt sechs Apartments. Aber in welches war Karan gegangen? Bevor wir diese Frage einem Hausbewohner stellen konnten, ertönten Geräusche im ersten Stockwerk. Phil und ich hatten das Haus gerade betreten.

So geräuschlos wie möglich eilten wir die Treppe hinauf. Die Tür zu einem Apartment war nur angelehnt. Von innen war Klappern und Knarren zu hören. Ich drückte gegen das Türblatt.

Die schäbige Wohnung bestand nur aus einem Raum, es gab allenfalls noch ein Bad. Mitten im Zimmer lag eine Leiche inmitten einer Blutlache. Es war Victor Karan.

Ein Mann beugte sich über den Toten.

»FBI!«, rief ich. »Hände hoch!«

Der Verdächtige blickte auf. Dann hob er den rechten Arm und schoss mit seiner Pistole auf mich.

Das Projektil verfehlte sowohl Phil als auch mich. Entweder war der Kerl ein schlechter Schütze oder er war wegen des Mordes nervös.

Mein Freund und ich befanden uns nur ungefähr vier Yards von ihm entfernt. Es wäre durchaus möglich gewesen, einen von uns zu treffen. Aber der Verbrecher unternahm keinen zweiten Versuch. Stattdessen flankte er über das durchgesessene Sofa und entkam durch das offenstehende Fenster. An der Außenwand gab es eine Feuertreppe.

»Den schnappe ich mir, kümmere du dich um Karan!«, rief ich Phil zu. Es war ja möglich, dass der Bodyguard noch lebte. Das konnte man nach einem flüchtigen Blick auf den bewegungslosen Körper nicht beurteilen.

Ich schnellte durch den Raum und sprang durch das Fenster auf die schmale Plattform der Feuerleiter. Auf den Täter hatte ich nur einen flüchtigen Blick werfen können. Er war ein junger Latino, der in seiner Baseballjacke und den zerrissenen Jeans schmutzig und ungepflegt wirkte.

Er hangelte sich unter mir an der Leiter hinab, hatte nun ihr Ende erreicht und ließ sich von da aus auf das Pflaster des Innenhofs fallen. Dieser war von einer Mauer umgeben, allerdings führte ein schmaler Durchgang Richtung Surf Avenue. Dort standen große Müllcontainer.

Der Verbrecher kletterte auf einen der Behälter, um ihn zu übersteigen. Aber da hatte ich auch schon den Boden erreicht. Bevor der Latino auf der anderen Seite wieder hinunterspringen konnte, packte ich seinen Fuß. Ich zog daran. Der Ganove rutschte ein Stück weit rückwärts.

Er fluchte auf Spanisch und trat mit dem anderen Bein nach hinten aus wie ein Maulesel. Sein Fuß traf mich seitwärts am Kopf. Aber ich ließ ihn nicht los und zerrte den Kerl von dem Müllcontainer hinunter.

Gemeinsam gingen wir zu Boden. Der Killer hatte seine Pistole immer noch in der Hand. Er versuchte, auf mich anzulegen. Aber ich bog seinen Arm zur Seite. Ein Schuss löste sich. Das Projektil traf eine Wand und jaulte als Querschläger davon.

Die Energie des Kriminellen verpuffte sehr schnell. Nachdem ich etwas fester zugedrückt hatte, ließ er seine Waffe fallen. Er unternahm noch ein paar halbherzige Versuche, mich zu schlagen. Dann war seine Kraft verbraucht. Ich konnte ihm den rechten Arm auf den Rücken drehen, gleich darauf auch den linken. Wenig später klickten die Handschellen.

Ich durchsuchte seine Taschen, fand aber keine gefährlichen Gegenstände. Außer drei Dollar und 50 Cents sowie Zigaretten, Feuerzeug und Kaugummi hatte der Mann nichts bei sich.

»Ich verhafte Sie wegen des Mordes an Victor Karan«, sagte ich und belehrte den Latino über seine Rechte.

»Mord an wem? Ich habe niemanden umgelegt«, beteuerte er. Doch der Leibwächter von Juri Semjow lebte nicht mehr, wie uns wenig später ein Gerichtsmediziner bestätigte. Ich ließ für den Verhafteten einen Gefangenentransporter kommen. Er sollte an der Federal Plaza ärztlich untersucht und erkennungsdienstlich behandelt werden. Falls er vernehmungsunfähig war, konnten wir ihn immer noch in die Krankenabteilung von Rikers bringen lassen. Ich hatte den starken Verdacht, dass bei diesem Mann Drogen im Spiel waren.

***

Phil hatte dafür gesorgt, dass außer dem Pathologen auch ein Team der Scientific Research Division erschien. Die Spezialisten in ihren weißen Schutzanzügen begannen mit ihrer Arbeit.

»Das Opfer wurde durch zwei Schüsse aus nächster Nähe getötet«, sagte der Gerichtsmediziner. »Den Wundrändern nach zu urteilen kann der Schütze nicht weiter als eine Armlänge von ihm entfernt gestanden haben.«

»Konnten Sie Abwehrverletzungen feststellen?«

»Nein, Agent Cotton.«

»Karan muss arglos gewesen sein«, stellte ich fest. »Er hat seinen Mörder entweder gekannt oder ihn nicht als Bedrohung eingestuft. Karan hat als Bodyguard gearbeitet. Wir können davon ausgehen, dass er riskante Situationen besser einschätzen konnte als ein Normalmensch.«

»Wenn man einmal von Semjows Entführung absieht«, meinte Phil trocken. »Aber da gehen wir ja davon aus, dass Karan und Patkins sich absichtlich so amateurhaft verhalten haben.«

Die Spurensicherer stellten in dem Apartment insgesamt drei Patronenhülsen sicher. Der Russe war durch zwei Schüsse getötet worden, außerdem hatte der Verdächtige einmal auf Phil und mich gefeuert. Wenn der Latino also wirklich den Bodyguard ermordet hatte, konnten wir schon aufgrund der Indizien seine Schuld beweisen. Die Patronen, die im Körper gefunden wurden, ließen sich eindeutig der Mordwaffe zuordnen.

Bei Karans Leiche wurden keine Wertgegenstände gefunden. Seine Taschen waren leer. Dabei hatte er laut Aussage des Taxifahrers auf dem Weg zur Surf Avenue wenigstens noch ein Handy besessen. Und er musste auch Geld gehabt haben, sonst hätte er die Taxifahrt nicht bezahlen können.

»Hatte der Latino Karans Besitztümer bei sich, Jerry?«

Ich verneinte Phils Frage.

»Ich habe seine Taschen durchsucht. Und er kann das Diebesgut nirgendwo anders deponiert haben. Wir kamen ja direkt dazu, nachdem er Karan erschossen hat.«

Es stellte sich heraus, dass kein Hausbewohner die beiden Schüsse gehört haben wollte. Allerdings waren zwei von ihnen betagt und schwerhörig, während die anderen Nachbarn grundsätzlich nichts mit den Cops oder dem FBI zu tun haben wollten. Von ihnen würden wir niemals eine brauchbare Zeugenaussage bekommen.

Immerhin hatte ich die Waffe des Latinos sicherstellen können und sie sofort den SRD-Kollegen zur Auswertung übergeben. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ein Abgleich mit den Patronenhülsen vorgenommen werden konnte.

Phil und ich verdrückten noch schnell einen der legendären Coney-Island-Hot-Dogs auf dem Boardwalk und fuhren dann zurück nach Manhattan, um uns den Verdächtigen vorzuknöpfen.

***

Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung war die Identität des Mannes schnell festgestellt worden. Phil rief die elektronische Fallakte in der NYSIIS-Datenbank auf und las laut vor: »Emilio Martinez, Straßenname Ruggo. Geboren vor 22 Jahren in Mexico City, lebt seit seinem siebten Lebensjahr in New York. Mehrfach vorbestraft wegen Drogenbesitz, Drogenhandel, räuberischer Erpressung, Widerstand gegen die Staatsgewalt. Zeitweise drogenabhängig, neuerdings angeblich wieder clean.«

Das klang nach einem typischen Kleinkriminellen, wie es sie in New York ziemlich häufig gibt. Auch unser FBI-Arzt Doc Reiser konnte mit einer Kurzdiagnose aufwarten.

»Der Patient ist in einem schlechten Allgemeinzustand, aber vernehmungsfähig. Momentan nimmt er keine Drogen, aber er scheint auch nicht besonders oft etwas zu essen. Jedenfalls hat er leichtes Untergewicht. In der Vergangenheit dürfte er allerdings Rauschgifterfahrungen gemacht haben, wenn ich mir seine Leberwerte anschaue.«

Jedenfalls war Martinez durch seine Verhaftung der Appetit nicht vergangen. Er machte sich gierig über die Sandwiches her, die wir ihm zusammen mit einem Becher Kaffee in den Verhörraum hatten bringen lassen. Wir gingen zu ihm, nannten noch einmal unsere Namen und setzten uns ebenfalls.

»Freut mich, dass es Ihnen bei uns schmeckt«, sagte Phil zu dem Verdächtigen.

»Ja, die Sandwiches sind köstlich«, pflichtete Martinez eifrig kauend meinem Freund bei. »Trotzdem weiß ich nicht, was Sie überhaupt von mir wollen. Ich habe doch gar nichts gemacht.«

»Schüsse auf zwei Bundesbeamte im Dienst, das zählt für Sie nicht?«, hakte ich nach.

»Doch vor allem werfen wir Ihnen den Mord an Victor Karan vor«, ergänzte Phil. Martinez schüttelte störrisch den Kopf.

»Das sagte Ihr Kollege schon zu mir, Agent Decker. Sie meinen wahrscheinlich den Typen, dessen Taschen ich gefilzt habe, oder? Aber ich habe ihn weder beklaut noch umgelegt. Und dass ich auf Sie geballert habe, tut mir leid. Ich bekam Panik, als Sie aufgekreuzt sind. Ich wollte nicht schon wieder in den Knast. Da habe ich nicht nachgedacht, sondern einfach abgedrückt. Aber Ihnen ist ja zum Glück nichts passiert.«

»Erzählen Sie doch einfach aus Ihrer Sicht, was sich abgespielt hat«, schlug ich vor. Martinez spülte das letzte Sandwich mit Kaffee herunter und begann mit seinem Bericht. Er wollte kooperieren, und das war immer ein gutes Zeichen.

»Momentan habe ich eine Pechsträhne, Agents. Ich wohne in so einer billigen 8th-Street-Absteige. Aber da soll ich rausfliegen, weil ich mit der Miete im Rückstand bin. Also versuchte ich, mir das Geld zusammenzuklauen. Ich habe einer alten Lady am Boardwalk die Handtasche abgenommen, aber da waren nur ein paar Dollar drin. Ich steckte die Kohle ein und warf die Tasche weg, damit die Cops nichts bei mir finden. Dann dachte ich mir, dass ich irgendwo einbrechen könnte. In dem Brownstone-Haus, wo Sie mich getroffen haben, war im ersten Stockwerk eine Apartmenttür nur angelehnt. Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ja, von wegen! Ich sah diese Leiche da auf dem Boden liegen. Aber der Tote hatte weder Geld noch Wertsachen bei sich. Und als ich ihn gerade durchsucht habe, kamen Sie.«

»Wenn Sie Victor Karan nicht erschossen haben, wer hat es dann getan?«

»Keine Ahnung, Agent Cotton. Aber Sie haben doch meine Knarre beschlagnahmt! Es müsste sich doch nachweisen lassen, dass die Mörderpatronen nicht aus meiner Waffe stammen. Jedenfalls ist das in den TV-Krimis immer so.«

Damit hatte der Verdächtige natürlich recht. Bei der kriminaltechnischen Untersuchung stellte sich heraus, dass die Patronenhülsen nicht aus Martinez’ Pistole stammten. Er hatte einmal auf Phil und mich gefeuert, uns aber nicht getroffen. Von diesem Schuss stammte die dritte Patronenhülse.

Und es gab einen schwerwiegenden Grund, seine Pistole als Mordwaffe bei Victor Karan auszuschließen. Der Bodyguard war nämlich durch zwei Patronen vom Kaliber .45 getötet worden. Die Pistole des Latinos hatte Kaliber .38. Und eine zweite Waffe konnte er nicht gehabt haben, denn die wäre bei der Durchsuchung des Tatorts gefunden worden.

»Wie sieht es denn mit Ihrer Verbindung zu russischen Kriminellen aus?«, fragte ich Martinez.

»Ich bin ein Solotänzer, Agent Cotton. Mit den Gangs habe ich nichts zu tun, noch nicht mal mit den Latino-Banden. Und die Russen wollen ganz bestimmt nichts mit mir zu tun haben, die bleiben lieber unter sich.«

Der Verdächtige sagte die Wahrheit, jedenfalls hatte man ihm in der Vergangenheit keine Gang-Beteiligung nachweisen können. Eine Verbindung zwischen Martinez und Karan sah ich nicht. Martinez’ Geschichte war offenbar glaubhaft, zumal bei den Cops inzwischen auch eine Anzeige der bestohlenen Seniorin vorlag. Ihre Beschreibung des Diebs passte haargenau zu unserem Verdächtigen.

Aber vielleicht kam der Latino wenigstens als Zeuge in Frage.

»Sie sagten, dass Sie in dem Haus einbrechen wollten. Haben Sie die Gegend also schon vorher ausgekundschaftet?«

Martinez nickte eifrig. Die Augen des Kleinkriminellen leuchteten, während er antwortete.

»Wegen dieser tollen Karre! Sie war schräg gegenüber von dem Haus geparkt, in dem Sie mich gekrallt haben. Ist Ihnen das Schmuckstück nicht aufgefallen? Ein schwarzer Mustang GT. Solche Superschlitten sieht man nicht oft in dieser miesen Gegend. Aber ich hatte kein passendes Werkzeug bei mir, um so ein Auto zu knacken. Mit einem simplen Schraubenzieher brauchen Sie bei solchen Wagen Ihr Glück gar nicht erst zu versuchen. Außerdem haben die meist eine Alarmanlage. Aber dann merkte ich, dass die Haustür dieser Brownstone-Bruchbude offenstand. Also ging ich lieber dort rein. Und nun hocke ich hier bei Ihnen.«

Ich notierte mir seine Beobachtung. Allerdings konnte ich mich selbst nicht an einen schwarzen Mustang auf der Straße erinnern. Außerdem gab es keinen Hinweis darauf, dass der Wagen mit unserem Fall zusammenhing. Das Nummernschild hatte sich der Kleinkriminelle jedenfalls nicht gemerkt.

»Martinez ist nicht unser Mann«, sagte Phil, nachdem wir den Latino in die Arrestzelle zurückschaffen ließen. »Er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort, wie man so schön sagt.«

»Wegen des Handtaschenraubs und des Angriffs auf uns wird er sich trotzdem verantworten müssen, aber das bringt uns im Fall Semjow nicht weiter. Lass uns checken, wem das Apartment gehört, in dem wir Karan gefunden haben. Vielleicht bringt uns diese Spur zu den Entführern.«

***

Phil und ich kehrten zur Surf Avenue zurück. Von dem Mustang, den Martinez gesehen haben wollte, fehlte jede Spur.

Aber ich stellte diese Beobachtung einstweilen zurück. Wir sprachen mit dem Hausverwalter. Er gab sich sehr entgegenkommend, wollte offenbar keinen Ärger mit den Behörden haben. Doch es war offensichtlich, dass der Mieter unerkannt bleiben wollte.

Der Mietvertrag war nämlich mit einem gewissen John Smith geschlossen worden. Das klang für mich sehr stark nach einem falschen Namen. Und die Miete wurde pünktlich und regelmäßig von einem Konto auf den Cayman-Inseln überwiesen.

»Haben Sie den Mieter denn überhaupt schon einmal gesehen?«, fragte ich den Verwalter. Er schüttelte den Kopf.

»Die Wohnungsschlüssel wurden auf die Cayman-Inseln geschickt, soweit ich weiß. Aber solange alles seine Richtigkeit hat, kümmere ich mich nicht darum.«

»Dieses Apartment ist ein Unterschlupf für Kriminelle«, meinte Phil überzeugt, als wir zu meinem roten Flitzer zurückgingen. »Eine solche Geheimniskrämerei betreibt doch nur jemand, der etwas zu verbergen hat. Das organisierte Verbrechen hat sich die Wohnung bestimmt als einen Rückzugsraum eingerichtet. Dort kann man einen flüchtigen Kriminellen verstecken, aber auch eine Drogenküche einrichten oder eine Prostituierte anschaffen lassen. Und dann ein Konto auf den Cayman-Inseln? Vergiss es, Jerry! Aus diesem Steuerparadies kriegen wir keine Informationen.«

»Karan hat jedenfalls nicht allein gearbeitet, Phil. Er ist tot, aber sein Kollege Patkin lebt wahrscheinlich noch. Er steckt knietief mit im Sumpf, schätze ich. Wir müssen herausfinden, welche Verbindung die beiden Leibwächter zu den Kidnappern haben.«

»Es wäre hilfreich, wenn wir Patkin in die Finger bekommen würden«, seufzte mein Freund. »Aber wo kann der Kerl stecken? New York ist für ihn eine fremde Stadt.«

Plötzlich klingelte mein Handy. Ich nahm das Gespräch an.

»Hier ist Dan Hawks«, sagte unser Kollege, der die Telefonüberwachung der Semjow-Familie leitete. »Die Entführer haben sich soeben gemeldet.«

Phil und ich rasten umgehend zum Maxwell . Dort wurden wir von unseren Techniker-Kollegen sowie Olga und Dimitri Semjow bereits erwartet.

»Mistress Semjow hat den Anruf entgegengenommen«, sagte Dan Hawks. »Für eine Handyortung war das Gespräch zu kurz. Am besten hört ihr es euch selbst an.«

Der Agent drückte auf einen Knopf, und wir lauschten der Tonband-Wiedergabe. Zunächst war die Stimme der Ehefrau zu hören. Man konnte die Anspannung von Olga Semjow förmlich spüren.

»Semjow.«

Die Stimme am anderen Ende klang hart und auf eine seltsame Art fremd, ohne von einem Akzent geprägt zu sein.

»Dein Mann ist unser Gefangener. Wir wollen zehn Millionen Dollar für den tschetschenischen Freiheitskampf. Sonst stirbt Juri Semjow.«

»Aber Juri hat mit Politik nichts zu tun, er …«

»Wir rufen wieder an. Beschaffe das Geld.«

Danach wurde das Gespräch beendet. Natürlich hatten die wenigen Sekunden nicht gereicht, um die Entführer lokalisieren zu können. Außerdem hatten die Täter gewiss ein billiges Prepaid-Handy benutzt, dessen Besitzer man nicht ermitteln konnte. Das war ein beliebter Trick, gegen den wir trotz modernster Technik nichts unternehmen konnten.

Hinzu kam, dass die Stimme des Anrufers offenbar elektronisch verzerrt worden war. Man konnte sie keiner Person zuordnen. Hier waren offenbar Profis am Werk. Diese Leute wussten genau, wie sie ihre Spuren verwischen mussten.

»Also tschetschenische Terroristen«, stellte der Sohn des Gekidnappten bitter fest. »Ich hätte nicht gedacht, dass sie meinen Vater hier in den Staaten erwischen würden.«

»Hatte Juri Semjow früher schon Ärger mit diesen Leuten?«, wollte Phil wissen. »Befand er sich im Fokus von Anschlägen? Hatte es Drohungen gegeben?«

»Ich weiß nicht, Agent Decker. Mein Vater ist ein harter Mann, der seine Probleme selbst löst und nicht mit seiner Familie bespricht. Aber es würde mich nicht wundern, wenn die Tschetschenen ihn im Visier hätten. Es ist kein Geheimnis, dass mein Vater sich gut mit dem russischen Präsidenten versteht. Und Sie wissen bestimmt auch, dass Tschetschenien eine Unruheprovinz ist, von der schon etliche Terroranschläge ausgegangen sind.«

»Mir ist aufgefallen, dass der Anrufer die englische Sprache benutzt hat«, stellte ich fest. »Weshalb? Er hat Mistress Semjow auf ihrem Handy angerufen. Warum hat er nicht Russisch gesprochen?«

»Das ist doch nebensächlich!«, knurrte Dimitri Semjow wütend. »Was werden Sie jetzt unternehmen, um meinen Vater zu retten?«

Während der Sohn des Gekidnappten sich aufregte, blieb die Ehefrau seltsam unbeteiligt. Oder stand sie unter Schock? Sie hatte jedenfalls noch kein Wort gesagt, seit Phil und ich hereingekommen waren. Die ehemalige Balletttänzerin schaute uns nur erwartungsvoll an.

»Sie können sicher sein, dass das FBI alle nötigen Schritte unternimmt«, versicherte ich. »Besteht denn die Möglichkeit, das Lösegeld bereitzustellen?«

»Selbstverständlich, Agent Cotton«, gab Dimitri Semjow zurück. »Die Guthaben meines Vaters bei US-Banken sind mehr als ausreichend. Meine Mutter und ich haben vollen Zugriff auf diese Konten. Das ist nur eine Formsache.«

Nun meldete sich plötzlich Olga Semjow zu Wort.

»Woher können wir überhaupt wissen, dass mein Mann nicht schon längst tot ist? Vielleicht bezahlen wir das Lösegeld, nur um irgendwann eine Leiche zu finden. Ich will das zwar nicht hoffen und bete für das Leben von Juri. Aber wir sollten auch über diese schreckliche Möglichkeit sprechen.«

»Wir müssen jede Chance nutzen, um Vater lebendig und wohlbehalten zu befreien«, sagte Dimitri Semjow mit einem Nachdruck, der keinen Widerspruch zuließ. Er wirkte in diesem Moment reifer und erwachsener als je zuvor, seit ich ihn kennengelernt hatte. Seine Mutter schlug beschämt den Blick nieder.

»Ja, du hast recht. Ich sollte mir nicht das Undenkbare vorstellen, es ist einfach zu schrecklich. Aber es ist so ungewohnt, dass ich mir um Juri Sorgen machen muss. Bisher hat er immer alles geregelt.«

***

Phil und ich konnten im Hotel momentan nichts ausrichten. Wir nahmen eine Kopie der Tonaufnahme mit, damit unser Computerspezialist Alec Hanray sich damit befassen konnte. Vielleicht ließ sie sich ja doch noch auswerten. Aber ich hatte nicht viel Hoffnung, dass etwas dabei herauskommen würde.

»Wo ist die Verbindung zwischen den beiden Leibwächtern und den Tschetschenen?«, fragte Phil, als wir wieder in meinem Jaguar saßen. »Und dein Einwand war wirklich berechtigt, Jerry. Warum hat der Anrufer Englisch gesprochen? Er hatte ja noch nicht mal einen Akzent, oder?«

»Nein, den hatte er nicht. Aber ist das bei elektronischer Verzerrung überhaupt technisch möglich? Und die Tschetschenen können natürlich amerikanische Komplizen haben.«

Zumindest dieses Rätsel konnte Alec Hanray lösen, nachdem wir ihm die Tondatei übergeben hatten. Er pfiff anerkennend durch die Zähne.

»Es hat gar kein Mensch angerufen, Jerry und Phil. Stattdessen wurde eine elektronische Sprachsimulation abgespielt. Die klingen heutzutage nicht mehr so künstlich und abgehackt, wie man es aus alten Science-Fiction-Filmen kennt.«

»Unsere Gegner sind also auf dem neuesten Stand der Technik«, stellte ich fest. »Aber man hätte doch die Sprachnachricht auch auf Russisch fabrizieren können, oder?«

»Selbstverständlich.«

»Ich denke nämlich, dass der Anruf aus einem ganz bestimmten Grund auf Englisch erfolgte.«

»Nämlich, Jerry?«, fragte Phil gespannt.

»Die Kidnapper wussten oder ahnten, dass die Semjows mit dem FBI kooperieren. Sie wollten verhindern, dass Mistress Semjow womöglich die Lösegeldforderung uns gegenüber falsch darstellt oder ganz unter den Tisch fallen lässt.«

Phil pfiff durch die Zähne.

»Du glaubst, dass die Ehefrau Semjows Tod in Kauf nimmt?«

»Zumindest schien sie nicht so begeistert davon zu sein, das Lösegeld zahlen zu müssen. Ich glaube nicht, dass sie so sehr um das Leben ihres Mannes besorgt ist. Das war jedenfalls mein Eindruck.«

»Ja, das stimmt. Wir …«

Phil brach ab, denn sein Handy klingelte. Er meldete sich. Das Gespräch war nur kurz. Dann steckte er das Gerät wieder weg.

»Steve hat gerade angerufen, Jerry. Es scheint so, als ob der Verdacht gegen Olga Semjow sich erhärtet. Jedenfalls hat sie sich gerade heimlich aus dem Hotel geschlichen. Da stimmt doch etwas nicht. Steve und Zeery nehmen die Verfolgung auf.«

Phil und ich eilten hinunter in die Tiefgarage. Ich klemmte mich hinter das Steuer des Jaguar, während Phil per Handy den Kontakt zu Steve Dillaggio hielt. Da er inzwischen den Lautsprecher eingeschaltet hatte, konnte ich den Wortwechsel mithören.

»Olga Semjow wurde offenbar erwartet, Phil. Sie ist in einen Chevy Caprice gestiegen, der hinter dem Hotel parkte. Das Fahrzeug hat ein New Yorker Nummernschild. In dem Auto sitzt nur eine weitere Person, nämlich der Fahrer. Wir haben uns an den Chevy gehängt.«

»Okay, wohin geht die Reise?«

»Zunächst Richtung Queens, jedenfalls steuert der Wagen auf die Queensboro Bridge zu. Wir müssen uns etwas zurückfallen lassen, damit wir nicht bemerkt werden.«

Es war schon Abend und der Verkehr relativ dicht. Trotzdem gelang es mir, in meinem roten Flitzer aufzuholen. Steve Dillaggio gab Phil laufend seine Position durch. Schon bald erblickten wir das Fahrzeug unserer beiden Kollegen vor uns.

Momentan sah es nicht danach aus, als ob der Chevy-Fahrer seine Beschatter entdeckt hätte. Vielleicht hatte er ja auch nur Augen für die schöne Olga Semjow auf dem Beifahrersitz.

Bald mussten wir mit dem Tempo heruntergehen, denn die Fahrt ging nun durch ruhige Wohnstraßen des Stadtteils Astoria in Queens. Der Chevy verschwand in der Garage eines großen Hauses, das inmitten eines weitläufigen Gartens stand.

»Endstation«, hörte ich Steve Dillaggio durch den Handy-Lautsprecher. Zeery parkte das Auto unserer beiden Kollegen in der nächsten Querstraße, ich brachte den Jaguar direkt dahinter zum Stehen.

Phil und ich gingen zu Steve und Zeery hinüber und stiegen hinten in ihren Dienstwagen ein. Im Haus wurde das Licht eingeschaltet. Unsere beiden Autos waren durch Bäume und Sträucher am Straßenrand vor Blicken aus dem Haus geschützt. Außerdem hatten wir natürlich die Scheinwerfer ausgemacht.

»Jetzt wird es interessant«, sagte unser indianischer Kollege und reichte mir ein Fernglas. Zeery selbst brachte eine Kamera mit Teleobjektiv in Anschlag.

Man konnte deutlich sehen, dass Olga Semjow ein Zimmer durchquerte. Ihre Körpersprache war verführerisch und lockend. Es war offensichtlich, dass sie nicht allein war. Sie zog ihr Kleid aus, warf den Kopf in den Nacken und streckte die Arme nach jemandem aus. Nun erblickten wir einen Mann, der sie an sich zog und leidenschaftlich küsste. Im nächsten Moment wurden die Jalousien herabgelassen.

»Es ist wohl eindeutig, dass Olga Semjow es mit der ehelichen Treue nicht so genau nimmt«, sagte Zeery und ließ die Kamera sinken. Er hatte etliche Fotos gemacht, die als Beweise dienen konnten.

»Deswegen muss sie allerdings nicht in die Entführung ihres Mannes verstrickt sein«, stellte ich fest. »Trotzdem sollten wir ihren Liebhaber gründlich durchleuchten.«

Es war nicht schwer, die Identität des Mannes festzustellen. Zeery hatte sich die Autonummer des Chevrolet Caprice notiert. Der Wagen war auf einen gewissen Henry Clifford zugelassen. Ihm gehörte auch das Haus in Astoria, in dem er mit seiner Geliebten Olga Semjow verschwunden war. Clifford war polizeilich noch nie in Erscheinung getreten.

Allerdings reiste er laut Auskunft der Homeland Security regelmäßig geschäftlich nach Russland. Ob er dort Olga Semjow kennengelernt hatte? Jedenfalls war sie sehr vertraut mit ihm gewesen.

Am nächsten Morgen fuhren Phil und ich sofort zu ihm. Die Firma Clifford Sales Company hatte ein repräsentatives Büro in der Avenue of the Americas.

In der Empfangshalle stand eine seltsam aussehende Maschine, die von mehreren Scheinwerfern angestrahlt wurde. Eine aparte junge Lady kam lächelnd mit einem Clipboard in der Hand auf uns zu.

»Womit kann ich Ihnen dienen, Gentlemen?«

»Was ist das?«, fragte Phil zurück und deutete auf die Apparatur.

»Eine Rüttelflasche, man benötigt sie im Hochbau. – Sie sind nicht aus der Baubranche?«