Jerry Cotton Sammelband 44 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 44 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 2995 - Das Gesicht der Angst
Jerry Cotton 2996 - Der Feind undercover
Jerry Cotton 2997 - Tödlicher Grenzverkehr
Jerry Cotton 2998 - Regieanweisung für den Tod
Jerry Cotton 2999 - Trau keiner Spur

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 659

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 44

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | Black creator

ISBN: 978-3-7517-4703-5

www.bastei.de

www.sinclair.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Jerry Cotton Sammelband 44

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Jerry Cotton 2995

Das Gesicht der Angst

Jerry Cotton aktuell

Jerry Cotton 2996

Der Feind undercover

Jerry Cotton aktuell

Jerry Cotton 2997

Tödlicher Grenzverkehr

Jerry Cotton aktuell

Jerry Cotton 2998

Regieanweisung für den Tod

Jerry Cotton aktuell

Jerry Cotton 2999

Trau keiner Spur

Jerry Cotton aktuell

Guide

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Contents

Das Gesicht der Angst

Er verließ die Bar, um rechtzeitig beim Barbecue sein zu können. Für Sam Boxer war es die schönste Jahreszeit in Anchorage, wenn für wenige Wochen das ansonsten ewige Eis zurückwich.

»He, Lieutenant Boxer?«

Er stoppte mitten in der Bewegung und wandte sich dem Mann zu, der unvermittelt neben dem Wagen aufgetaucht war. Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich in Boxers Nacken aus. Sein bestätigendes Nicken erfolgte reflexartig – und dann streckten ihn die Kugeln zu Boden. Ungläubig schaute der sterbende Pilot auf den ihm unbekannten Mörder.

Sie saßen in einem Konferenzraum im Gebäude des Alaska Bureau of Investigation, um sich dort mit den bisherigen Ermittlungsergebnissen vertraut zu machen. Special Agent Astrid Kapriski und ihr Partner Special Agent Hank Baron von der Criminal Investigation Division betrachteten die Fotografie eines Airforce-Piloten in seiner Ausgehuniform.

»Hätte nicht gedacht, dass ich diesen Mistkerl noch einmal als Fall in die Hände bekomme«, stieß Agent Kapriski hervor.

Ihr Partner hob verwundert den Kopf und musterte die schlanke Frau. Er kannte Kapriski als eine sehr professionelle Ermittlerin, die genug Erfahrung hatte, um sich nicht so leicht aus der Bahn werfen zu lassen.

»Du kennst das Opfer?«, fragte er.

Agent Kapriski schnaubte. »Allerdings. Wobei er damals besser in die Rolle des Täters passte«, erwiderte sie.

Da in diesem Augenblick der Kollege vom ABI kam, verschob Agent Baron weitere Fragen auf einen späteren Zeitpunkt. Der Bericht des Ermittlers war knapp und präzise.

»Zwei Schüsse wurden von einem Zeugen gemeldet, doch die Streifenbeamten konnten weder ein Opfer noch den Schützen finden. Das ist der einzige Hinweis auf ein mögliches Verbrechen, und bislang können wir keine Verbindung zum Verschwinden von Lieutenant Boxer herstellen«, erklärte der Kollege.

»Das gehört vermutlich nicht zusammen, wenn du mich fragst. Entweder liegt der Lieutenant irgendwo zusammengeschlagen in einer Gasse oder im Bett mit einer schönen Frau«, stellte Agent Baron fest.

Er und seine Partnerin hatten das Gebäude des ABI verlassen, um zur Elmendorf Airforce Base zu fahren. Dort wollten sie mit den Vorgesetzten und Kameraden des verschwundenen Piloten sprechen. Lieutenant Samuel Boxer bewohnte ein kleines Haus auf dem Stützpunkt und war unverheiratet.

Wie meistens steuerte Agent Kapriski den Dienstwagen, sodass ihr Partner sich in aller Ruhe seine Gedanken über den aktuellen Fall machen konnte. Seine Bemerkung löste ein weiteres Schnauben voller Verachtung bei ihr aus.

»Du solltest mir langsam mehr über diese alte Geschichte erzählen, anstatt immer nur so zu reagieren«, beschwerte Agent Baron sich.

Doch bevor Agent Kapriski sich dazu durchringen konnte, erreichten sie das Stabsgebäude der Staffel, in der Lieutenant Boxer als Pilot einer F-22 Raptor seinen Dienst versah.

Bei den anschließenden Gesprächen mit dem Staffelchef sowie den Kameraden wurde ihnen der Vermisste als Musterbeispiel eines Airforce-Piloten dargestellt. Niemand wollte einen Grund kennen, wieso Lieutenant Boxer einfach so verschwinden oder ermordet werden sollte.

»Er ging ab und an in die Altstadt, um dort eine Runde Texas Hold’em zu spielen«, erklärte Lieutenant Thomas.

Er war der Wingman von Boxer, also für seine Absicherung im Lufteinsatz verantwortlich, und entsprechend eng mit ihm verbunden. Steven Thomas war ein nachdenklicher Mann mit rostbraunen Haaren und blauen Augen, mit denen er Agent Kapriski offen musterte. Er war verheiratet und Vater zweier Töchter, auf die er sichtlich stolz war.

»Haben Sie und Boxer sehr viel in Ihrer Freizeit gemeinsam unternommen?«, fragte Kapriski.

»Er ist nicht so sehr der Familientyp, obwohl Maggie mehrfach versucht hat, den armen Sam mit einer ihrer Freundinnen zu verkuppeln. Er ist mehr der Kumpel, mit dem man ein Bier trinken geht, einige Bälle wirft oder einfach am Motor das Wagens herumschraubt«, antwortete Lieutenant Thomas.

Dieses Bild eines einsamen Wolfes schien bei Agent Kapriski erneut unschöne Assoziationen hervorzurufen, wie ihr Partner mit einem Seitenblick registrierte. Als Ergebnis ihrer vielen Befragungen blieb nach drei Stunden nicht mehr als der vage Hinweis auf gelegentliche Pokerrunden in der Altstadt von Anchorage übrig. Obwohl es keiner seiner Kameraden direkt aussprach, gab es offenbar immer wieder Pokerabende, an denen sehr viel Geld über den Tisch ging.

»Vielleicht hat Boxer sich mit den falschen Leuten eingelassen und Schulden gemacht, die er nicht zurückzahlen konnte«, spekulierte Agent Baron.

Seine Bemerkung blieb unerwidert, was ihn lediglich zu einem Seitenblick veranlasste, den er zu seiner Partnerin hinter dem Lenkrad schickte. Sie hatten die Airforce Base wieder verlassen und fuhren zurück in die Stadt, um mehr über diese Pokerrunden in Erfahrung zu bringen.

Agent Kapriski war in brütendes Schweigen verfallen. Ihr Partner kannte sie gut genug, um sie jetzt nicht mit Fragen zu löchern. Agent Baron nahm sich vor, sie später nochmals auf die alten Ermittlungen anzusprechen. Vorerst gewährte er Agent Kapriski die Ruhe, die sie offenbar haben wollte.

Schweigend saß er auf dem Beifahrersitz und dachte über das seltsame Verschwinden von Lieutenant Samuel Boxer nach. Von den Kollegen der örtlichen Polizei gab es keine hilfreichen Hinweise, die ihnen bei der Aufklärung weiterhelfen konnten. Der letzte Kriminalfall, in den ein Angehöriger der Streitkräfte verwickelt gewesen war, lag vier Jahre zurück. Damals hatte ein Mastersergeant sich als Drogendealer versucht und war so ins Visier der Polizei von Anchorage gekommen.

»Das muss die Bar sein, von der Lieutenant Thomas gesprochen hat«, sagte Agent Kapriski.

Ihr Partner wurde mitten in seinen Überlegungen unterbrochen und schaute hinüber zu der unscheinbaren Eingangstür. Die Bar lag in der Barrow Street in Sichtweite des Ramada Hotel .

»Wie gut, dass man uns nicht dort einquartiert hat«, sagte Agent Baron.

Sein Blick war auf das Ramada gerichtet, ein sehr einfaches Hotel, das seine besten Jahre eindeutig hinter sich gelassen hatte.

»In der Bar wird es kaum viel besser aussehen«, erwiderte Agent Kapriski.

Sie schloss den Wagen ab und setzte sich in Bewegung. Hank Baron folgte seiner Partnerin und ließ seine Windjacke auf der Rückbank des Ford Taurus liegen. Im Juli konnte es ausgesprochen heiß in Anchorage werden, und dieser Tag gehörte ohne Frage dazu.

***

In Washington war es bereits früher Abend, doch Edward G. Homer gehörte zu den Männern, die sehr viel Zeit in ihrem Büro verbrachten. Eigentlich hatte er an diesem Mittwoch in der Oper sein wollen, doch eine Meldung hatte ihn an seinem Schreibtisch festgehalten.

»Ich möchte alle Informationen sofort einsehen können. Ja, bevor sie durch die Ermittler überarbeitet wurden«, sagte Homer.

Er sprach am Telefon mit dem Leiter des Field Office in Montgomery. Ihm wurde zugesagt, dass er umgehend Zugriff auf diese Informationen erhalten würde. Edward G. Homer drehte seinen Schreibtischstuhl ein wenig zur Seite, um einen Blick auf die riesige Übersichtskarte der Bundesstaaten der USA werfen zu können.

Sein Blick wanderte nach Alabama und blieb an der Stadt Montgomery hängen. Dort war ein scheinbar bereits zerschlagenes Netzwerk des organisierten Verbrechens vor einigen Wochen wieder zum Leben erweckt worden. Noch stand nicht fest, wer die Anführer waren, und doch bereitete es Edward G. Homer jetzt schon großes Kopfzerbrechen.

Als Analyst mit der besonderen Gabe, bedrohliche Entwicklungen vorherzusehen, hatte er als bislang Einziger im Hauptquartier verschiedene Meldungen aus unterschiedlichen Bundesstaaten unter einem gemeinsamen Gesichtspunkt betrachtet und bewertet.

»Alabama, dann Tennessee, Mississippi, Georgia und natürlich Florida. Das passt zusammen«, murmelte er halblaut.

Vor seinen Augen schienen sich Fäden wie ein Spinnennetz über diese Staaten auszudehnen und die Struktur einer ungewöhnlich gefährlichen Organisation abzubilden. Noch existierte alles nur in Homers Kopf, doch er erkannte die Anzeichen und musste wachsam bleiben. Längst war die Aufführung von La Bohème aus seinem Denken entschwunden. Einmal mehr hielt Edward G. Homer die Arbeit im Büro fest.

Bislang reichten die vorliegenden Informationen nicht aus, um die anderen leitenden Beamten zu einer Sonderermittlung zu bewegen. Doch das würde sich vermutlich sehr bald ändern. Davon war Homer überzeugt. Er wandte sich zurück an den Schreibtisch und öffnete eine spezielle Personaldatei. Hier sammelte Homer Kandidaten aus den unterschiedlichen Field Offices, die er als Agents für eine solch brisante Ermittlung in Betracht zog.

In den folgenden zwei Stunden schmiedete Edward G. Homer einen Plan, damit er bei entsprechender Entwicklung ohne zeitliche Verzögerung reagieren konnte. Kurz nach zehn Uhr am Abend löschte er schließlich das Licht in seinem Büro und verließ das Hauptquartier. Selbst auf dem Weg zu seiner Wohnung wollten ihn die dunklen Gedanken nicht völlig loslassen.

***

Die Agents Kapriski und Baron hatten sich in der Bar umgehört, soweit es möglich gewesen war. Außer einem Barkeeper und einer sehr mundfaulen Bedienung hielten sich lediglich sechs Gäste darin auf. Sehr schnell erkannte Agent Kapriski, dass man gegenüber Bundesagenten wenig auskunftsfreudig war.

Sowohl der Barkeeper als auch die Kellnerin konnten sich partout nicht an Samuel Boxer erinnern, obwohl Kapriski ihnen eine Auswahl guter Fotografien des Jetpiloten vorlegte. Sie und Baron gaben ihre Bemühungen schließlich auf, um nahe der Bar in ihrem Wagen auf Beobachtungsposten zu gehen.

»Irgendwie erscheint es mir immer unwahrscheinlicher, dass Boxer in dieser Kaschemme zu Pokerpartien mit hohem Geldeinsatz gewesen sein soll«, beschwerte sich Agent Baron.

Der Abend war mittlerweile erheblich fortgeschritten und alles, was die beiden Ermittler bislang feststellen konnten, war eine nicht sehr ansprechende Gästeauswahl der Bar.

Agent Kapriski wollte ihrem Partner gerade vorschlagen, nur noch eine halbe Stunde auszuhalten, als ein schwarzer Jeep Grand Cherokee vor ihrem Ford in der Straße ausrollte. Sofort richtete sich auch Agent Baron im Beifahrersitz auf und verfolgte aufmerksam, wie vier Männer aus dem Wagen ausstiegen und in der Bar verschwanden.

»Das ist allerdings nicht die übliche Art von Gästen«, stellte er fest.

»Diese Typen sehen eher wie Schläger eines Gangsterbosses aus«, erwiderte Agent Kapriski.

Sie beobachteten die Tür der Bar. Der Auspuff des Jeeps stieß ohne Unterlass kleine Abgaswolken in die Nachtluft von Anchorage. Angesichts der hohen Temperaturen konnte es kaum dazu dienen, den Wagen mit ausreichend Wärme im Innenraum zu versorgen.

Wie erwartet tauchten zwei der Gangster bald wieder auf und sprangen in den Jeep. Der löste sich sofort vom Bordstein und fuhr zügig los.

»Was nun?«, fragte Agent Baron.

Seine Partnerin löste das Problem auf ihre übliche direkte Art.

»Du behältst weiter die Bar im Auge, während ich dem Jeep folge«, sagte sie.

Sie war rein formell die dienstältere Ermittlerin und hatte damit das Sagen im Team, doch normalerweise besprachen Agent Kapriski und Agent Baron das weitere Vorgehen. Blieb jedoch dafür keine Zeit, entschied sie sich schnell und erteilte klare Anweisungen.

Agent Baron schnappte sich seine Windjacke und sprang aus dem Ford Taurus. Er schaffte es nur teilweise, die Seitentür zu schließen. Agent Kapriski beschleunigte so schnell, dass die Tür von selbst ins Schloss fiel. Baron reagierte mit einem leichten Kopfschütteln auf die hastige Aktion seiner Partnerin.

»Immer kühl bis in die Haarspitzen«, sagte er.

Agent Baron schlüpfte in seine Windjacke, da es langsam kühl wurde. Als er den Reißverschluss langsam nach oben zog, warnte ihn sein Instinkt. Seine Rechte fuhr unter die Jacke, doch es war bereits zu spät.

»So nicht, Kumpel!«

Die Stimme war dicht an seinem linken Ohr und gleichzeitig traf Agent Baron ein brutaler Hieb in Höhe der Leber. Der stechende Schmerz ließ ihn aufstöhnen und leicht in die Knie gehen. Baron nutzte die unwillkürliche Reaktion, um sich nach hinten zu werfen. Während weiterhin bunte Sterne vor seinen Augen platzten, spürte der Agent der CID, wie sein Körper scheinbar schwerelos wurde.

Sein Angreifer hatte die Attacke vorausgeahnt und Baron einfach ins Leere hechten lassen. Der harte Aufschlag trieb dem Agent die Luft aus den Lungen, und trotzdem rollte er sich blitzschnell zur Seite. Der Fluch des Angreifers wurde von dem metallischen Geräusch untermalt, als der Totschläger den Bodenbelag und nicht Agent Barons Kopf traf. Der zog die Beine an und trat dem Mann mit voller Wucht gegen die Kniescheiben.

»Du Scheißbulle!«

Dieser Ausruf zeigte Agent Baron, dass er nicht das zufällige Opfer eines Raubüberfalls geworden war. Der Angreifer schien genau zu wissen, mit wem er sich gerade anlegte. Das war keine sehr beruhigende Erkenntnis, doch vorerst musste der Agent sich ausschließlich um sein Wohlbefinden sorgen.

Er rollte bis an die Mauer des westlichen Gebäudes und schob sich hastig in die Höhe. Dabei suchte seine Rechte nach der Waffe, die sich jedoch nicht länger im Holster am Gürtel befand.

»Suchst du etwa die hier?«, fragte eine Stimme.

Agent Baron erkannte, dass er es mit mindestens zwei Angreifern zu tun hatte. Viel half ihm diese Erkenntnis nicht mehr. Der zweite Mann schlug Agent Baron mit einer Waffe hart gegen den Kopf, und während es dunkel vor seinen Augen wurde, ging ihm ein letzter Gedanke durch den Kopf.

»Der hat dich soeben mit deiner eigenen Pistole außer Gefecht gesetzt«, dachte Agent Baron.

Was danach passierte, erlebte er nicht bei Bewusstsein. Die beiden Gangster schleiften den Agent durch die Gasse und warfen ihn schließlich in den Laderaum eines weißen Kleintransporters.

***

Es war eine Wohltat, in einem klimatisierten Büro sitzen zu dürfen. Phil und ich hatten in den beiden zurückliegenden Wochen einen Killer gejagt, der siebzehn Menschen auf dem Gewissen hatte. Vor drei Tagen war es uns gelungen, ihn zu stellen, und deswegen mussten wir nicht mehr die meiste Zeit die Hitze in den Straßenschluchten Manhattans ertragen.

»Fehlt nur noch eine schöne Frau, die uns regelmäßig frischen Eistee serviert«, scherzte Phil.

Ausnahmsweise freute es uns, dass wir jede Menge Schreibtischarbeit zu erledigen hatten. Als Helen uns eine Stunde später ins Büro des Chefs bat, schwante mir nichts Gutes. Phil und ich schlüpften in unsere Sakkos, um wie gewünscht bei Mr High anzutreten. Unser Chef machte es kurz, was aber die Überraschung kaum milderte.

»Sie und Phil begleiten Assistant Director Homer zu einer Sonderermittlung nach Anchorage. In einer Stunde erwartet er Sie am Flughafen«, erklärte er.

Ich warf meinem Partner einen Seitenblick zu. Edward G. Homer war der Leiter der Field Operation Section East des FBI. Es kam selten vor, dass er persönlich eine Ermittlung leitete, und entsprechend gespannt durften wir sein. Da wir für solche Fälle immer eine gepackte Reisetasche im Field Office bereithielten, konnten Phil und ich rechtzeitig am Flughafen sein. Ein Wagen der Flughafenpolizei fuhr uns hinaus zu einer wartenden Sondermaschine des FBI.

»Das wäre schon der zweite positive Aspekt«, sagte ich.

»Stimmt, ein eigener Jet gefällt mir auch. Was wäre deiner Meinung nach der andere Aspekt?«, fragte Phil.

»Anchorage liegt bekanntermaßen im schönen und vor allem kühlen Alaska«, erwiderte ich.

Fünf Minuten später schnallten wir uns an, da der Jet bereits zur Startbahn rollte. Assistant Director Homer musste alle Sonderrechte ausgenutzt haben, um einen vorrangigen Start zu ermöglichen. Ich musterte den hageren Vorgesetzten aus Washington, der wie immer einen schwarzen Maßanzug mit dunkler Krawatte trug.

In seinen Halbschuhen hätte ich den Sitz meiner eigenen Kleidung überprüfen können, so sehr spiegelte sich das Leder. Seine grauen Haare in Verbindung mit der blassen Haut ließen ihn genau so wirken, wie man sich einen Verwaltungsbeamten vorstellte.

»Sie fragen sich sicherlich, welche spezielle Aufgabe uns in Anchorage erwartet. Bevor ich darauf eingehe, studieren Sie bitte zuerst die vorliegenden Informationen«, sagte Edward G. Homer.

Der Jet hatte mittlerweile seine Reiseflughöhe erreicht, sodass wir uns frei in der Maschine bewegen konnten. Während Phil und ich die Monitore vor uns aktivierten, erhob Assistant Director Homer sich. Ich schaute ihm nach, wie er zur Toilette ging und darin verschwand.

»Verträgt er das Fliegen nicht?«, fragte Phil.

Es war sehr leicht, unseren Vorgesetzten aus Washington zu unterschätzen. Phil kannte ihn nicht so gut wie ich, daher verwunderte mich die Anspielung nicht sonderlich.

»Falls ja, würde es seine Selbstbeherrschung nicht zulassen, es zu zeigen«, erwiderte ich.

Anschließend vertieften wir uns in die Dateien zu dem Mord an Lieutenant Samuel Boxer sowie dem Verschwinden eines Ermittlers der CID.

»Ein interessanter Fall. Ich frage mich nur, warum Assistant Director Homer persönlich die Ermittlungen an sich zieht und uns dazu angefordert hat«, sagte Phil.

Unser Vorgesetzter war mittlerweile in ein Gespräch mit einem Steward verwickelt, der ihm offenbar einen Wunsch nicht erfüllen konnte.

»Wenn Sie Ihre Aufgabe mit mehr Ernsthaftigkeit erfüllen würden, gäbe es solche Nachlässigkeiten nicht«, fuhr Edward G. Homer ihn an.

Phil und ich tauschten einen Seitenblick aus. Mit einer abrupten Bewegung wandte Homer sich um und eilte auf uns zu. Er ließ sich in seinen Sitz fallen und schickte dem sichtlich erschrockenen Steward noch einen bösen Blick zu.

»Es ist wohl kaum zu viel verlangt, dass man an Bord einen vernünftigen Darjeeling bekommen kann«, schimpfte er.

Seine aufbrausende Art war mir nicht fremd und es überraschte mich auch nicht, wie schnell er sich wieder beruhigte und kühl über die aktuelle Ermittlung sprechen konnte.

»Zuerst verschwindet ein verdienter Pilot der Airforce, anschließend ein Ermittler der CID, der den Fall untersucht. Es gibt seit einigen Monaten zunehmende Schwierigkeiten mit organisierter Kriminalität in Alaska. Das Field Office ist leider personell unterbesetzt und daher können die Kollegen vor Ort diese Ermittlung nicht selbst übernehmen«, sagte Edward G. Homer.

In der knappen Art eines erfahrenen Analytikers fasste er die aktuelle Situation in Anchorage zusammen. Es gab nichts an seinen Ausführungen zu bemängeln, allerdings beantworteten sie auch nicht alle meine Fragen.

»Was macht diesen Fall so besonders, dass Sie persönlich an den Ermittlungen teilnehmen?«, fragte ich.

Mein Partner zuckte leicht zusammen. Vermutlich erwartete er eine harsche Reaktion von Homer, doch der konnte Phil überraschen.

»Es gibt möglicherweise eine Verbindung zu einer Organisation, die sich von Alabama ausbreitet und mehrere Nachbarstaaten bedroht«, antwortete er.

Ich war auf dem Laufenden, soweit es dazu Informationen im System nachzulesen gab. Von einer kriminellen Organisation aus Alabama mit solchen Expansionsgelüsten hörte ich zum ersten Mal. Phil schaute ähnlich verwundert in das hagere Gesicht von Edward G. Homer.

»Gedulden Sie sich bitte, Cotton. In Anchorage werden wir uns ausführlich mit Special Agent Astrid Kapriski von der CID unterhalten. Dann können Sie und Decker Ihre eigenen Schlüsse ziehen«, sagte er.

Da Homer nicht zu den Menschen gehörte, die sich durch geheimnisvolle Andeutungen wichtig machen wollten, akzeptierte ich seine vertröstende Antwort. Gleichzeitig wuchs meine Neugier. Alle mir bislang bekannten Informationen deuteten auf keine gewöhnliche Ermittlung hin. Nahm ich noch die Hinweise auf die Organisation aus Alabama hinzu, erwartete ich eine besondere Herausforderung.

***

Schon die Ankunft in Anchorage hielt eine faustdicke Überraschung bereit. Als ich hinter Edward G. Homer den Jet verließ, traf mich ein Schwall heißer Luft.

»Willkommen im immer kühlen Alaska«, stieß ich hervor.

Der Assistant Director wandte sich verwundert zu mir um.

»Sie haben doch nicht wirklich erwartet, dass der Juli in Anchorage kalt ist?«, fragte er.

Ich beeilte mich zu versichern, dass ich natürlich vom herrlichen Sommerwetter in Alaska gehört hatte. Phil kämpfte um seine Beherrschung, während Edward G. Homer zufrieden nickte und weiter auf die wartende Limousine zuging.

»Lügner«, raunte Phil mir zu.

Ich war heilfroh, dass meine Reisetasche ausnahmslos Kleidung für sommerliches Wetter enthielt. Abgesehen von einer Lederjacke, Handschuhen und Stiefeln, aber die musste Homer ja nie zu Gesicht bekommen. Der Kollege des Field Office von Anchorage wirkte durch die Anwesenheit des Assistant Director aus Washington sichtbar nervös. Völlig aus dem Konzept brachte ihn dann Homers Anweisung, uns sofort zum Hauptsitz des Alaska Bureau of Investigation zu bringen.

»Sie wollen nicht zuerst mit unserem Leiter des Field Office sprechen?«, fragte er.

»Dann hätte ich es Ihnen schon gesagt, Agent Kramer!«, antwortete Edward G. Homer.

Das reichte aus, um jeden weiteren Protest im Keim zu ersticken. Eine gute halbe Stunde später führte uns ein Ermittler des ABI in ein Büro, in dem Special Agent Astrid Kapriski an einem Schreibtisch saß. Ihre Reaktion auf unser Eintreffen war sehr abweisend, wie ich verwundert erkannte.

»Assistant Director Homer, nehme ich an?«, fragte sie.

Unser Vorgesetzter schüttelte die angebotene Hand und stellte uns vor. Agent Kapriski ließ den Blick ihrer wachsamen blauen Augen über uns gleiten. Ihr Familienname deutete genau wie die hohen Wangenknochen auf eine Abstammung von Slawen hin. Die dunkelblonden Haare hatte Agent Kapriski zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammengebunden.

»Wir haben viele Fragen und ich möchte keine Zeit verlieren. Lassen Sie uns also gleich beginnen«, sagte Edward G. Homer.

In Kapriskis Gesicht kämpften verschiedene Emotionen miteinander. Zuerst stieg Protest auf, doch dann siegte ihre berufliche Professionalität. Da es nur zwei Besucherstühle im Raum gab, lehnte ich mich neben dem Fenster an die Wand.

Agent Kapriski fasste die bisherigen Ergebnisse ihrer Ermittlungen zusammen. Es war ein klarer Bericht, der normalerweise kaum Grund zum Nachfragen gegeben hätte. Doch Homer bombardierte die Kollegin der CID mit Fragen, deren Sinn sich ihr kaum erschließen konnte.

»Sie wurden von den beiden Männer im Jeep in eine Falle gelockt und angegriffen?«, hakte er nach.

Erste Anzeichen von Unmut traten in Agent Kapriskis Augen. Sie musste den Eindruck bekommen, dass Homer ihren Ausführungen nicht glaubte.

»Wie ich ja bereits gesagt habe, Sir. Ich sah den geparkten Jeep und suchte die Umgebung nach den beiden Männern ab. Die griffen mich urplötzlich an, und bei der Auseinandersetzung traf mich das Messer am linken Unterarm«, wiederholte Agent Kapriski.

»Hatten Sie den Eindruck, dass die Angreifer Sie töten oder eventuell nur kampfunfähig machen wollten?«, fragte Edward G. Homer.

So langsam wurde uns allen klar, in welche Richtung seine Überlegungen gingen. Agent Kapriski versank einige Sekunden in nachdenkliches Schweigen, in denen Sie vermutlich ihre Erinnerungen überprüfte. Schließlich hob sie den Kopf und nickte verwundert.

»Sie haben recht, Assistant Director Homer. Die Gangster haben es nicht darauf angelegt, mich zu töten. Glauben Sie, ich sollte genau wie Agent Baron nur entführt werden?«, fragte sie.

Auch wenn ich die Zielrichtung seiner Fragen langsam besser erkannte, blieb mir der Hintergrund von Homers Fragen dennoch unklar. Welchen Zweck sollte die Entführung eines Airforce-Piloten sowie zweier Ermittler der CID verfolgen?

»Um das zu klären, benötigen wir weitere Informationen. Ich möchte auf einen anderen Aspekt Ihrer Aussage zurückkommen, der uns hierhergeführt hat. Sie haben in Ihrem Bericht geschrieben, dass einer der Angreifer mit einem Südstaatenakzent gesprochen hat«, antwortete Homer.

Ich stutzte bei dieser Frage. Demnach kannte Edward G. Homer den Bericht von Agent Kapriski bereits, der vermutlich nur an ihren Vorgesetzten gegangen war. Hatte ihn wirklich nur der Hinweis auf einen Gangster aus den Südstaaten dazu bewogen, mit Phil und mir nach Anchorage zu fliegen? Das erschien mir kaum denkbar.

»Ja, stimmt. Hat mein Vorgesetzter Sie angefordert?«, fragte Agent Kapriski.

Sie blinzelte verwirrt und schaute von Homer zu mir. Ich konnte der Kollegin aber auch keinen Hinweis darauf geben, warum das FBI mit einer Sonderermittlungsgruppe nach Alaska gekommen war. Edward G. Homer nickte mehrfach, so als wenn er soeben eine wichtige Auskunft erhalten hätte. In mir wuchs das ungute Gefühl, nicht über alle Aspekte der laufenden Ermittlung informiert zu sein. Was erwartete uns wirklich in Anchorage?

***

Da Homer darauf bestand, sich persönlich in der Altstadt von Anchorage umzusehen, verfrachtete Agent Kapriski uns in einen Ford Taurus.

»Ich zeige Ihnen die Bar und die Stelle, an der mich die Gangster aus dem Jeep überfallen haben«, erklärte sie.

Mir gefiel ihre schnörkellose Art. Kapriski war nicht sehr glücklich über unser Auftauchen, fügte sich jedoch schnell ins Unvermeidliche. Edward G. Homer ließ es sich nicht nehmen, sowohl bei der Seitengasse gegenüber der Bar als auch auf dem abgelegenen Parkplatz an einer Konservenfabrik auszusteigen. Er wirkte leicht unpassend in seinem schwarzen Maßanzug, wie er fast in der Manier eines Pilzsammlers jeden Stein inspizierte.

»So ein echter Ermittler ist das aber nicht, oder?«, fragte Agent Kapriski.

Sie verfolgte ungläubig, wie Edward G. Homer die beiden Orte auf seine ganz eigene Art untersuchte.

»Vielleicht nicht so wie Sie und ich. Assistant Director Homer ist aber bereits früher bei schwierigen Ermittlungen eine große Hilfe gewesen. Er erkennt oft Zusammenhänge weit vor jedem anderen«, antwortete ich.

Agent Kapriski zuckte die Achseln und schaute wieder zu unserem Vorgesetzten. Phil lehnte am Ford. Er schien seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Ich drehte mich um und schaute mir die Gebäude sowie die Stichstraße genauer an.

Dabei fiel mein Blick auf einen dunkelblauen oder schwarzen Jeep Grand Cherokee, der soeben von der Hauptstraße abbog. Sein Fahrer lenkte den Wagen mit großer Geschwindigkeit in die Stichstraße, sodass der Jeep uns in wenigen Augenblicken erreichen würde.

Während ich mich an die Beschreibung von Agent Kapriski in Bezug auf den Wagen ihrer Angreifer erinnerte, stieß Phil einen Warnruf aus.

»Da kommt ein Wagen auf uns zu«, rief er.

Mittlerweile war auch Agent Kapriski aufmerksam geworden und stieß einen heftigen Fluch aus.

»Das ist der Jeep mit den Gangstern«, warnte sie uns.

Selbst Edward G. Homer erkannte, dass es gefährlich für uns wurde. Er eilte auf den Ford zu und machte hektische Gesten.

»Weg hier!«, befahl er.

Im Grunde war es ein klarer Befehl eines Vorgesetzten, dennoch ignorierten Phil und ich ihn. Die Gangster hatten den Angriff gut abgestimmt und uns jeden Fluchtweg abgeschnitten.

»Zu spät, Sir«, rief ich.

Wir hatten unsere SIG bereits gezogen, genauso wie Agent Kapriski ihre Beretta. Edward G. Homer warf einen Blick darauf und bat um Aushändigung einer Pistole.

»Sie haben sicherlich Ersatzwaffen im Dienstwagen, oder?«, fragte er.

Es blieb uns keine Zeit für lange Diskussionen, daher eilte die Kollegin der CID zum Kofferraum des Taurus und händigte Homer eine Schrotflinte aus. Es war die beste Waffe, um auch einen ungeübten Schützen mit ausreichend Feuerkraft auszustatten.

»Wir gehen dort hinein«, rief ich.

Es kam mir nicht in den Sinn, die Gangster auf freiem Gelände in Empfang zu nehmen. Während Phil und Homer mir sofort zu dem Nebengebäude der Konservenfabrik folgten, setzte Agent Kapriski noch einen Funkruf ab und forderte Unterstützung an. Als wir eine Tür erreichten, konnte Phil sie mit seinem speziellen Einbrecherwerkzeug in Sekundenschnelle für uns aufschließen.

»Sehr gut, Decker«, lobte Edward G. Homer.

Während meine beiden Kollegen weiter ins Gebäude eindrangen, blieb ich an der offenen Tür stehen. Der Jeep und der Ford Maverick würden Agent Kapriski in wenigen Augenblicken erreicht haben. Ich verschaffte ihr ein wenig Zeit, indem ich auf beide Fahrzeuge schoss. Es gelang mir ein Glückstreffer. Am Maverick platzte der linke Vorderreifen und brachte den Wagen ins Schleudern. Dadurch war die Aufmerksamkeit für einen Moment lang nicht auf Agent Kapriski konzentriert, sodass sie in einem schnellen Spurt die Seitentür erreichte.

»Danke, Jerry«, stieß sie hervor.

»Phil und Homer sind da oben in Deckung gegangen«, sagte ich.

Nachdem ich die Tür zugeworfen hatte, eilten wir nebeneinander durch die Halle mit Stapeln von Holzpaletten sowie Verpackungsmaschinen für Lebensmittelkonserven. Ich deutete im Laufen auf eine Art Galerie mit verschiedenen Räumen, zu der eine Metalltreppe hinaufführte.

»Von dort aus können wir uns bis zum Eintreffen der Cops die Gangster vom Hals halten«, erwiderte Agent Kapriski.

Als wir eine Minute später einen Rollcontainer als Deckung an den Rand der Galerie schoben, flog die Seitentür auf und zwei Gangster stürmten schießend in die Halle.

»Bleib beim Assistant Director«, sagte ich.

Mein Partner warf einen Seitenblick auf unseren Vorgesetzten, der nervös mit der Pumpgun hantierte, und nickte verstehend.

»Wir übernehmen die Rückseite, damit die Gangster uns nicht überraschen können«, sagte ich.

Die Kollegin von der CID überließ mir das Kommando und folgte mir. Hinter den Bürocontainern gab es lediglich einen schmalen Gang, der vermutlich selten benutzt wurde. Wie richtig ich mit meiner Annahme über das weitere Vorgehen der Angreifer lag, bewiesen die in der Rückwand der Container einschlagenden Kugeln.

Weitere Gangster waren unter dem Schutz ihrer Komplizen in die Halle eingedrungen und hatten die Treppe umgangen. Ich zählte drei Mündungsfeuer, während ich durch gezielte Schüsse die Gangster in Deckung zwang.

»Das dürfte sie von einem Sturmangriff abhalten«, rief Astrid.

Sie bezog sich damit auf das erneute Krachen der Schrotflinte, die auf kurze Distanz eine fürchterliche Waffe sein konnte. Sie hatte recht. Die Gangster würden es kaum riskieren, unter diesem Feuer einen schnellen Angriff über die Treppe zu wagen. Der kleine Vorsprung hatte uns die Gelegenheit verschafft, eine gute Verteidigungsposition einzunehmen.

»Die Cops sind ebenfalls bereits in Anmarsch«, erwiderte ich.

***

Der Klang von Sirenen wurde immer lauter und veranlasste die Gangster dazu, sich unter permanentem Deckungsfeuer aus der Halle zurückzuziehen. Vor der Halle entbrannte kurz darauf ein wildes Feuergefecht. Während Phil weiterhin bei Edward G. Homer blieb, rannten Astrid und ich zur Seitentür. Wir wollten die Gangster ins Kreuzfeuer nehmen und so zur Aufgabe zwingen.

»Das ist keine gute Position«, sagte Astrid.

Wir hatten die Tür aufgestoßen und sahen nun, was sich auf dem Platz vor der Halle abspielte. Die beiden Streifenwagen standen unmittelbar hintereinander auf der Stichstraße. Die Cops kauerten dahinter in Deckung und waren offenkundig vom Ausbruch der Gangster überrascht worden.

Agent Kapriski schätzte die Lage richtig ein. Während die Gangster es angesichts der sich gegenseitig behindernden Cops leicht hatten, sich zu ihren Fahrzeugen abzusetzen, konnte unsere Verstärkung selbst kaum aktiv werden.

»Dann übernehmen wir das eben«, stieß ich hervor.

Die Kollegin von der CID nickte grimmig und machte mir ein Zeichen. Sie würde aus der Halle nach links laufen, sodass mir die rechte Seite blieb. Blieb nur zu hoffen, dass die Cops unsere Dienstmarken bemerkten, die wir offen trugen.

Dann huschte ich rechts an der Wand der Halle entlang und erreichte schließlich eine Position, von der ich freies Schussfeld auf die Wagen der Gangster hatte.

»FBI! Werfen Sie die Waffen weg und ergeben Sie sich«, rief ich.

Jetzt erkannten die Angreifer die bedrohliche Lage und reagierten blitzschnell, aber unvernünftig. Zwei von ihnen wirbelten herum und schossen auf mich, obwohl sie keine Deckung hatten. Ihre Komplizen rannten auf die beiden Fahrzeuge zu, sprangen hinein und schoben dann die Mündungen ihrer Waffen über die gesenkten Seitenscheiben.

Als der Jeep und der Maverick zurücksetzten, gerieten sie ins Kreuzfeuer von Agent Kapriski und den Cops. Ich schaltete schnell hintereinander die beiden Gangster aus, die auf mich feuerten.

»Komm schon, verdammt noch mal!«

Der Beifahrer im Maverick forderte seinen Komplizen auf, in den anfahrenden Wagen zu springen. Ihn hatte meine Kugel an der Schulter getroffen, wobei er die Pistole verlor. Trotz seiner Verwundung hechtete der Mann in den Fond des Maverick, dessen Fahrer anschließend Vollgas gab.

Sowohl die Cops als auch die Kollegin der CID belegten die beiden flüchtenden Fahrzeuge mit einem mörderischen Feuer. Dennoch gelang es ihnen, unter Zurücklassung eines verwundeten Komplizen, vom Gelände zu entkommen.

»Die Cops nehmen die Verfolgung auf«, sagte Agent Kapriski.

Mit einer knappen Bewegung ersetzte sie das leergeschossene Magazin durch ein volles. Ich hatte meine SIG bereits zurück ins Halfter am Gürtel geschoben. Während ein Streifenwagen umgehend den flüchtenden Gangstern nachsetzte und die Besatzung die weitere Verfolgung organisierte, kümmerten sich die beiden anderen Officers um den angeschossenen Gangster.

»Special Agent Cotton vom FBI. Kennen Sie den Mann?«, fragte ich.

Der eine Cop war in meinem Alter und wirkte sehr erfahren. Er drehte den bewusstlosen Gangster auf den Rücken und warf einen Blick in sein bleiches Gesicht. Meine Kugel musste ihn mitten in der Bewegung getroffen haben, denn sein Hemd unter der offenen Jacke war in Höhe der rechten Hüfte von Blut durchtränkt.

»Ja, das ist Stanley Osmond. Er gehört zu einer Bande, die nahezu in alle illegalen Geschäfte von Anchorage verstrickt ist«, erwiderte der Officer.

Phil und Edward G. Homer kamen aus dem Gebäude. Der Assistant Director trug immer noch die Pumpgun unterm Arm und wirkte einigermaßen gefasst. Mein Partner zog mich auf die Seite.

»Alles in Ordnung bei dir?«, fragte er.

»Ja, die Kugeln sind mir aus dem Weg gegangen. Und bei euch?«, erwiderte ich.

Weder Phil noch Homer waren bei der Schießerei verletzt worden.

»Er hat sich erstaunlich gut gehalten. Assistant Director Homer hat das Feuer auf die Angreifer genau im richtigen Augenblick eröffnet und ihnen so die Lust an einem Frontalangriff genommen«, erklärte er.

Es war Phil anzumerken, dass er unseren Vorgesetzten aus Washington ab sofort mit anderen Augen ansehen würde. Ich deutete auf den verwundeten Gangster.

»Die Cops kennen ihn. Sein Name ist Stanley Osmond, ein lokaler Gangster«, sagte ich.

Mein Partner schaute mit gefurchter Stirn auf den Bewusstlosen und dann hinüber zu Agent Kapriski, die leise mit Edward G. Homer sprach.

»Ergibt irgendetwas davon einen Sinn für dich?«, fragte er.

Darauf konnte ich ihm noch keine befriedigende Antwort geben. Gleichzeitig war ich mir jedoch sicher, dass der Angriff auf uns kein Zufall war und die Entschlossenheit der Gangster mir als Warnung diente. Edward G. Homer war offenbar einer größeren Sache auf der Spur und bewies wieder einmal seine besonderen analytischen Fähigkeiten.

***

Wir hatten zwei Stunden im Hauptquartier des ABI zugebracht, um unsere Aussagen zu Protokoll zu geben. Edward G. Homer ließ uns anschließend ins Field Office bringen, wo uns Special Agent in Charge Albert Storm begrüßte. Als Leiter war er natürlich auch für alle Operationen in seinem Verantwortungsbereich zuständig, selbst wenn ein hochrangiger Beamter wie Edward G. Homer eine Operation leitete.

»Ich habe Ihnen alle erforderlichen Informationen beschafft und einen Konferenzraum als Einsatzzentrale vorbereiten lassen«, erklärte Storm.

Der drahtige Kollege lächelte wenig und seine kieselgrauen Augen unter den von grauen Strähnen durchzogenen braunen Haaren glühten wie kleine Laser. Der braune Anzug wirkte, genauso wie das eindeutig mit Wäschestärke versehene Hemd, wie frisch aus der Reinigung geholt.

SAC Storm war ohne Frage äußerst kompetent, verströmte allerdings auch eine Aura von Engstirnigkeit. Er zeigte in seinem Verhalten, ohne es mit einem Wort wirklich anzusprechen, wie wenig ihm die Anwesenheit unserer kleinen Ermittlergruppe zusagte.

»Danke. Wir benötigen zwei Einsatzfahrzeuge mit der üblichen Ausstattung sowie Headsets für die Kommunikation während der Feldeinsätze«, erklärte Homer.

Einen Augenblick lang sah es tatsächlich so aus, als wenn Storm dagegen Einwände vorbringen wollte. Doch die Autorität von Edward G. Homer sorgte dafür, dass es bei einem zustimmenden Nicken blieb.

Fünf Minuten später setzten wir uns im Konferenzraum zusammen. Zu meiner Verblüffung huschte ein Lächeln über das hagere Gesicht von Homer.

»Für jeden Leiter eines Field Office ist es schwer, sich von einem Verwaltungsmann wie mir Anweisungen im operativen Bereich erteilen zu lassen. Er fragt sich bestimmt, wie Sie beide es mit mir aushalten«« sagte er.

Ich erwiderte unwillkürlich das Lächeln.

»Er hat Sie noch nie mit einer Pumpgun im Einsatz erlebt«, erwiderte ich.

Edward G. Homer rieb sich die rechte Schulter.

»Das wird hoffentlich so schnell auch nicht wieder erforderlich sein«, antwortete er.

Als Nächstes studierten wir die vom ABI gesammelten Informationen, wobei uns besonders die Daten des schwer verwundeten Gangsters interessierten.

»Osmond ist ein typischer Berufsverbrecher, der seine gesamte kriminelle Karriere in Alaska durchlaufen hat. Vom Straßenräuber bis hin zum Totschläger«, stellte Phil fest.

Es gab keine Anzeichen, dass er jemals an einem Kidnapping beteiligt gewesen wäre. Stanley Osmond war sozusagen lediglich ein halbschwerer Junge, weshalb seine Verstrickung in unsere Ermittlungen vorerst noch mit einem Fragezeichen zu versehen war.

»Die Kollegen des ABI bringen den Angriff auf uns mit dem bestehenden Anstieg von organisierter Kriminalität in Verbindung. Da liegen sie falsch«, warf Homer ein.

Ich fand deren Schlussfolgerungen gar nicht so abwegig, sparte mir aber einen entsprechenden Hinweis.

»Ich werde AD High veranlassen, dass er zwei Ermittler auf die Vergangenheit von Samuel Boxer ansetzt. Schließlich stammt er aus New York, wo seine Familie immer noch lebt«, sagte Edward G. Homer.

Er zog sich in eine Ecke zurück, um ungestört sein Telefonat führen zu können. Ich überflog die weiteren Einträge im System und stieß dabei auf ein neues Protokoll von Agent Kapriski.

»Hast du den Bericht unserer Kollegin von der CID schon gelesen?«, fragte ich Phil.

Mein Partner schüttelte den Kopf und holte es umgehend nach. Als er einen leisen Pfiff ausstieß, wusste ich, dass er die bewusste Stelle entdeckt hatte.

»Schon wieder ein Gangster aus den Südstaaten? Langsam können wir den Gedanken an einen Zufall wohl abschreiben. Er hat es längst gewusst, oder?«, fragte er.

Phil deutete mit dem Kinn in Homers Richtung, der weiterhin telefonierte.

»Sieht ganz so aus. Die Schlussfolgerung der Kollegen vom ABI hält er für falsch«, erwiderte ich.

Als ich Homer fünf Minuten später auf die Passage mit dem Gangster in Agent Kapriskis Bericht ansprach, nickte er nachdrücklich.

»Mir sind die Zusammenhänge auch noch nicht klar, aber es gibt erkennbare Anzeichen. Wir müssen unbedingt mehr über Lieutenant Boxer in Erfahrung bringen. Seine Vergangenheit in New York wird von Ihren Kollegen überprüft«, erklärte er.

Er wollte mit dem militärischen Vorgesetzten, den Kameraden von Boxer sowie den Nachbarn auf dem Stützpunkt sprechen. Phil kümmerte sich um einen Dienstwagen, während Homer und ich die erforderlichen Anrufe tätigten.

»Wir können jederzeit mit Colonel Andrew P. Jefferson sprechen. Er ist der Kommandeur auf der Elmendorf Airforce Base. Er sorgt dafür, dass uns auch Lieutenant Steven Thomas für eine Befragung zur Verfügung steht«, sagte Edward G. Homer.

Mir war es gelungen, mit der Ehefrau von Thomas sowie einem Nachbarn von Boxer ein Treffen zu vereinbaren. Nach diesen Gesprächen würde sich ein komplexeres Bild von dem Entführungsopfer ergeben. Während wir das Field Office verließen und zum Wagen mit Phil am Steuer gingen, stellte ich Homer eine Frage. Der Gedanke beschäftigte mich immer stärker.

»Gehen Sie davon aus, dass noch eine Forderung eingeht?«, fragte ich.

Homer blieb neben der Beifahrertür stehen und schaute mich gedankenverloren einige Sekunden an. Dann fixierte er mich mit einem festen Blick.

»Es würde mich sehr wundern, Cotton. Diese Entführung bereitet mir mehr Kopfzerbrechen, als es scheint. Nichts wäre mir lieber, als dass Lieutenant Boxer unversehrt wieder auftaucht und das Kidnapping sich als Irrtum erweist. Es würde auch meine Theorie bestärken, doch ich habe da große Zweifel«, antwortete Edward G. Homer.

Langsam verstand ich seine Denkweise besser. Solange es noch große Lücken in Homers Theorie gab, würde er sie uns gegenüber auch nicht darlegen. Wenn Samuel Boxer ursprünglich in Alabama oder Georgia zu Hause gewesen wäre, könnte ich mir auch einen Zusammenhang vorstellen.

Vorerst mussten wir jedoch weiter fleißig Indizien sammeln und durften die Hoffnung nicht aufgeben, dass wir Boxer noch aus den Klauen seiner Entführer befreien konnten. Genauso wie Agent Hank Baron, dessen Verschwinden uns kaum weniger Rätsel aufgab.

»So oder so, fehlt es uns an wichtigen Informationen. Lassen Sie uns das ändern, Cotton. Dann muss sich zwangsweise irgendwann der Schleier lüften und wir wissen, wonach wir suchen müssen«, sagte Homer.

Wir stiegen ein und er gab Phil die Anweisung, zur Elmendorf Air Force Base zu fahren. Vom Gespräch mit dem Kommandeur und dem engsten Vertrauten des Entführungsopfers erhoffte der Assistant Director sich offenbar wertvolle Informationen, die uns zum Durchbruch bei den Ermittlungen verhelfen konnten.

Die Fahrt verlief überwiegend schweigend und ich war froh, dass der Buick über eine gute Klimaanlage verfügte. Wer hätte gedacht, dass es im Juli in Anchorage so heiß sein würde?

***

Für June Clark und Blair Duvall hörte sich der aktuelle Auftrag des Chefs nach einer Routineaufgabe an. Sie sollten Angehörige eines Entführungsopfers befragen und so zur Erhellung des Hintergrunds von Lieutenant Samuel Boxer beitragen.

»Ted Boxer und seine Frau Erica haben sich auf dem College kennengelernt. Unmittelbar nach dem Abschluss eröffneten sie ein Geschäft für Lernmaterialien in Brooklyn. Samuel ist der ältere von zwei Brüdern und es gibt noch eine Tochter, die im kommenden Jahr das College abschließen soll«, sagte June.

Während ihr Partner wie meistens den roten Dodge Nitro steuerte, nutzte sie die Zeit, um alle im System vorhandenen Informationen zu sichten. Dazu nutzte June den in der Mittelkonsole eingebauten Computer.

»Ist die Familie reich?«, fragte Blair.

Doch die finanzielle Situation von Ted Boxer und seiner Familie entsprach exakt der vieler Menschen aus der Schicht der oberen Mittelklasse.

»Dann können wir Geld vermutlich als Motiv für die Entführung ausklammern«, stellte Blair fest.

Die Boxers gehörten keiner besonderen religiösen Gemeinschaft an und boten auch ansonsten keinen Grund, andere Menschen gegen sich aufzubringen.

»Offenbar haben wir es mit einer typischen Familie der weißen Mittelschicht zu tun, die das Rückgrat unserer konservativen Gesellschaft bildet und kein Anlass für eine extreme Handlung liefert«, sagte June.

Umso sinnloser erschien die Entführung von Samuel Boxer. June hatte aber noch etwas im System entdeckt und ging diesem Hinweis nach. Sie benötigte dafür die restliche Fahrzeit, bis Blair den Dodge vor dem Geschäft in der Forster Avenue anhielt.

»Es gab zu Beginn von Samuel Boxers Zeit bei der Air Force einen Zwischenfall, der aber nicht einmal in seiner Dienstakte festgehalten wurde. Bislang konnte ich lediglich einen Hinweis auf eine Ermittlung der Kollegen der CID finden«, weihte June ihn ein.

Als sie es bei der Befragung gegenüber den Eltern erwähnte, gab es einen Moment peinlicher Betroffenheit.

»Das war ein Fehlverhalten einer angehenden Pilotin, die sich offenbar in Sam verliebt hatte. Nachdem er ihre Avancen nicht erwiderte, streute sie unschöne Gerüchte. Es gab eine Ermittlung durch die CID, die seine Version bestätigte«, erklärte Ted Boxer.

Seine Aussage untermauerte die Hinweise, die June im System gefunden hatte. Darüber hinaus war es den Eltern nicht möglich, neue Erkenntnisse zu liefern. Sie standen unter Schock und konnten sich schlicht nicht erklären, wer oder warum jemand ihren Sohn kidnappen sollte.

»Seitdem werden alle unsere Telefone sowie Computer überwacht. Niemand hat Kontakt aufgenommen. Ich wäre heilfroh, wenn es endlich passieren würde«, sagte Erica Boxer.

Ihre Stimme versagte ihr immer wieder den Dienst, sodass Ted sie fürsorglich in den Arm nahm.

»Wir geben den Entführern alles, was sie wollen. Sagen Sie es ihnen, falls Sie Kontakt zu Ihnen aufnehmen«, flehte er.

Das konnte June den Eltern zusagen, da es vermutlich nie so weit kommen würde. Außerdem gehörte es durchaus zum taktischen Vorgehen, scheinbar auf die Forderungen einzugehen und sie so aus dem Versteck zu locken. June hoffte für Ted und seine Frau, dass es dazu kommen würde. Anschließend verließen sie und Blair das Geschäft, um die Rückfahrt ins Field Office anzutreten.

»Ich hatte vorhin eine Anfrage an die CID gestellt und um die Möglichkeit eines Gesprächs mit den Ermittlern im Fall Boxer gebeten«, sagte June.

Zu ihrer Freude hatten die Kollegen ihr den Namen samt Anschrift eines der beiden Ermittler geschickt.

»Kevin Farlow ist vor einem Jahr aus dem Dienst ausgeschieden und arbeitet heute als Privatermittler bei einer großen Anwaltskanzlei in Manhattan«, sagte June.

Sie rief in der Kanzlei an, während Blair den Dodge startete und losfuhr. June hatte Glück und konnte direkt mit Farlow sprechen. Er war mit einem Treffen einverstanden und bat June, mit ihrem Partner in sein Büro in der Madison Avenue zu kommen.

***

Eine Stunde später nahm Kevin Farlow die beiden Ermittler des FBI an einem Empfangstresen im dreizehnten Stockwerk des Bürohochhauses in Empfang.

»Special Agent June Clark, und das ist mein Partner, Special Agent Blair Duvall«, sagte June.

Farlow war einen halben Kopf größer als June, hatte hellblonde Haare und warme, braune Augen. Er verströmte die Aura eines kompetenten Menschen, der seinen Beruf mit größter Hingabe ausübte.

»Ich wollte auf der Dachterrasse einen kleinen Lunch einnehmen. Können wir unsere Unterhaltung dabei führen oder benötigen wir mehr Diskretion?«, fragte er.

June sah keinen Grund, warum man nicht beides miteinander verbinden sollte. Sie und Blair nutzten die Chance, selbst eine Kleinigkeit zu essen.

Als sie Farlow auf die alte Ermittlung ansprach, in die Samuel Boxer verwickelt gewesen war, reagierte er verwundert.

»Sie denken, er wäre das Opfer gewesen?«, fragte er.

June tauschte einen Blick mit Blair aus. Die Eltern des Piloten hatten es ihnen gegenüber so dargestellt.

»Nein, so war es nicht. Vielmehr handelte es sich um einen glasklaren sexuellen Übergriff des Second Lieutenant«, widersprach Kevin Farlow.

Er aß kleine Happen seines Salats mit Hähnchenbrust und schilderte dabei, was sich vor vielen Jahren an der Flugschule abgespielt hatte.

»Senna Bergham hat sich ihrer Zimmerkameradin anvertraut, die ihr schließlich zur offiziellen Meldung riet. Der Kommandeur der Schule hat daraufhin sofort die CID angefordert, sodass Astrid und ich die Ermittlungen aufnahmen«, erzählte er.

Allem Anschein nach hatte Samuel Boxer der Kameradin massiv nachgestellt und sich am Ende an ihr vergangen. Zwei seiner männlichen Kameraden gaben ihm zwar ein schwammiges Alibi, doch weder Kevin Farlow noch Agent Kapriski zweifelten an seiner Schuld.

»Die Indizien und Zeugenaussagen reichten zur Einleitung eines Verfahrens völlig aus«, sagte er.

June trank einen großen Schluck Mineralwasser, um den üblen Geschmack im Mund hinunterzuspülen. Ihr Käsesandwich schmeckte auf einmal überhaupt nicht mehr.

»Soweit ich es in unserem System erkennen konnte, kam es jedoch nie so weit. Warum nicht?«, wollte sie wissen.

Blair schaute mit einer Mischung aus Unverständnis und Abscheu zu Kevin Farlow. Der machte eine Geste der Abwehr.

»He, an uns lag es nicht, Agent Duvall. Astrid und mir waren die Hände gebunden, nachdem Senna Bergham ihre Anzeige zurückgezogen hatte«, protestierte er.

Mit dieser Entwicklung hatte June nicht gerechnet. Sie setzte soeben zu einer Frage an, als ihr die beiden Männer am Zugang zur Dachterrasse auffielen. Etwas in ihrer Art löste einen inneren Alarm bei June aus, sodass sie sich unwillkürlich aufsetzte.

»Seht ihr die beiden Männer an der Tür? Kennen Sie die, Mister Farlow?«, fragte sie.

Ihr Partner und der Privatermittler schauten gleichzeitig hinüber zum Zugang, wodurch sie die Männer allerdings auch auf den Tisch aufmerksam machten.

»Waffen! Alles in Deckung!«, brüllte Farlow.

Während er seine Warnung ausstieß und eine Panik unter den Gästen der Dachterrasse auslöste, warf der Privatermittler sich seitlich vom Stuhl. June und Blair taten es ihm nach. Noch im Fallen zogen sie die SIG, während die Kugeln aus den Pistolen der Gangster ihnen um die Ohren flogen.

Die Schützen nahmen keinerlei Rücksicht auf Unbeteiligte. Sie feuerten in rasender Geschwindigkeit auf Farlow und seine beiden Gäste. Da diese das Feuer erwiderten, krachten unablässig Waffen und übertönten meistens die Angstschreie der anderen Gäste auf der Dachterrasse.

»Wir müssen sie ausschalten, ansonsten gibt es ein Blutbad!«, rief Blair.

Links von ihm robbte ein Kellner bereits mit einer Schussverletzung in der Wade hinter einen Tresen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die herumfliegenden Projektile weitere Unschuldige trafen.

Farlow machte den beiden Agents Zeichen. Er wollte das Feuer für einen Moment auf sich ziehen, um so June und Blair ein besseres Schussfeld zu ermöglichen.

»Ich nehme den linken Schützen«, rief June.

Damit waren die Ziele verteilt und der ehemalige Kollege von der CID sprang auf. Kevin Farlow war bestens in Form und daher standen seine Aussichten, den Sprung über fünf Yards unversehrt zu überstehen, sehr gut.

Kaum wurde er sichtbar für die Gangster, lenkten sie wie erwartet das Feuer ausschließlich auf ihn. June und Blair nutzte die Gelegenheit, ihre ausgewählten Gangster unter Beschuss zu nehmen. Beide Schützen wurden getroffen und gingen zu Boden.

»Alles in Ordnung, Farlow?«, fragte June.

Ihr Partner eilte bereits geduckt auf die am Boden liegenden Gangster zu, wobei er die SIG schussbereit im Anschlag behielt. Als June keine Antwort von dem Privatermittler hörte, zögerte sie. Da im gleichen Augenblick drei Cops im Durchgang erschienen und Blair bei der Absicherung unterstützten, wandte June sich um.

Mit drei Schritten war sie an dem Blumenkasten aus massivem Beton, den Kevin Farlow sich als neue Deckung ausgesucht hatte. Als June die Beine dahinter bemerkte, spürte sie ein Gefühl der Schwäche in sich aufsteigen.

»Farlow?«, rief sie erneut.

Sie tat den letzten Schritt und schaute hinunter auf den leblosen Privatermittler. Kevin Farlow lag halb auf der linken Seite. In seinem Rücken konnte June zwei Einschusslöcher ausmachen und ging neben ihm in die Hocke.

»Kevin? Können Sie mich hören?«, fragte sie.

Mit größter Vorsicht drehte sie den Privatermittler auf den Rücken und schaute fassungslos in das friedliche Gesicht des Toten. Mit einem leisen Fluch erhob June sich und ging hinüber zu ihrem Partner.

»Fahr zur Hölle!«, brüllte einer der Gangster.

Seine Flüche waren an Blair Duvall gerichtet, der in aller Seelenruhe für ihre Überstellung nach Rikers Island sorgte. Bei dem Ausruf des Gangsters zuckte June überrascht zusammen und warf ihrem Partner einen fragenden Blick zu.

»Alabama. Dieser freundliche Killer hat seine Wurzeln im Cotton State«, sagte er.

»Killer trifft es. Kevin Farlow wurde von zwei Kugeln getroffen«, erwiderte June.

Sie hatte Blair zuvor ein Stück zur Seite geschoben und teilte ihm jetzt mit, dass die Gangster leider ihren Auftrag erfolgreich ausgeführt hatten. Betroffen schaute der hochgewachsene Farbige hinüber zu dem Blumenkübel, wo ein Notarzt den Privatermittler in Augenschein nahm.

»Insgesamt gibt es also einen Toten, drei angeschossene Gäste und zwei verletzte Gangster. Einer davon stammt aus dem Süden, und ich bin sehr gespannt, wer den Auftrag für diesen Mord erteilt hat«, fasste Blair zusammen. In seiner Stimme schwang ein unheilvolles Knurren mit.

Blair wandte sich um und ging neben dem Gangster in die Hocke, der ihn zuvor bereits übel beschimpft hatte. Dann beugte er sich so weit vor, dass seine Lippen fast das linke Ohr des Verletzten berührten. Niemand konnte verstehen, was der Hüne dem Gangster zuflüsterte.

June registrierte jedoch das leichte Zusammenzucken, und dann strömten die Worte nur so aus dem Mund des Angeschossenen. Nach einer Minute erhob Blair sich mit zufriedener Miene.

»Mister Warcott wird isoliert transportiert und auch in Rikers separat untergebracht. Er ist ein wertvoller Zeuge für unsere Ermittlungen«, wies er die Cops an.

Anschließend ging er zusammen mit June in die Anwaltskanzlei, in der Kevin Farlow seit seinem Abschied bei der CID gearbeitet hatte. Einer der Seniorpartner nahm die Nachricht vom Tod des Privatermittlers schockiert entgegen. Er sicherte June die volle Unterstützung seiner Kanzlei bei den Ermittlungen zu.

»Farlow war ein hervorragender und integrer Mitarbeiter. Wir möchten genau wie Sie, dass die Anstifter für diesen feigen Mord zur Verantwortung gezogen werden«, sagte er.

Anschließend fuhren June und ihr Partner zur Wohnung des Privatermittlers. Während der Fahrt nutzte sie die Gelegenheit, Mr High über die aktuelle Entwicklung zu informieren.

»Einer der Killer stammt aus Montgomery in Alabama. Er ist bereit, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen«, sagte June.

Sie warf Blair einen Seitenblick zu, da sie immer noch nicht wusste, wie er den Gangster dazu überredet hatte. Vorerst waren andere Dinge wichtiger, wie etwa die Durchsuchung der Wohnung von Kevin Farlow.

Als die beiden Ermittler sich bei dem Portier auswiesen und sich nach dem Privatermittler erkundigten, stutzte der sichtlich.

»Was ist los? Hat Sie bereits jemand nach Mister Farlow gefragt?«, hakte Blair nach.

Der Portier wischte sich mit der flachen Hand über die Stirnglatze und schaute unwillkürlich hinüber zu den Fahrstühlen.

»Allerdings. Das sind Kollegen von Ihnen. Die Bundesagenten gehören zur CID«, erwiderte er.

Mehr musste er nicht sagen. June und Blair hasteten zu den Aufzügen. Während sie in einen davon sprangen, forderte June bereits Unterstützung durch die Cops an. Weder sie noch ihr Partner gingen auch nur eine Sekunde lang davon aus, dass die Männer im Apartment von Kevin Farlow wirklich zu seiner ehemaligen Dienststelle gehörten. Als die Anzeige die 21. Etage ankündigte, hielten beide ihre SIG bereits in der Hand.

***

Am frühen Morgen des zweiten Tages saßen Homer und wir im Konferenzraum des Field Office. Er hatte noch am Abend zuvor die Aussagen der verschiedenen Zeugen in einem Computerprogramm eingegeben und trug uns nun die Erkenntnisse daraus vor. Hier war Edward G. Homer absolut in seinem Element und konnte mit seinen analytischen Fähigkeiten glänzen.

»Nach außen lebte Lieutenant Boxer das Leben eines ganz normalen Offiziers der Air Force. Anhand der kleinen Anmerkungen sowie der Aussage von Lieutenant Steven Thomas können wir aber auch die dunkle Seite erkennen. Trotz dieser Informationen liegt meines Erachtens weiterhin kein ernsthaftes Motiv für seine Entführung vor. Anmerkungen oder Ergänzungen?«, fragte Edward G. Homer.

Seine Zusammenfassung war lückenlos und daher konnten wir nur den Kopf schütteln. Als Homer sich in seinem Stuhl zurücklehnte, glaubte ich erste Anzeichen einer beginnenden Resignation in seinem Gesicht zu finden.

»Dann haben wir bislang nicht an den richtigen Stellen gesucht oder die falschen Fragen gestellt«, sagte er.

Das klang allerdings nicht danach, als wenn Edward G. Homer jetzt schon die Flinte ins Korn werfen wollte. Das Mobiltelefon von Agent Kapriski klingelte. Mit einer entschuldigenden Geste erhob die Kollegin der CID sich und eilte aus dem Raum. In den darauf folgenden Minuten besprachen wir unsere nächsten Schritte.

Egal wie wir es auch drehten und wendeten, uns blieb nur die Spur mit den illegalen Pokerrunden. Agent Storm hatte uns ein Dossier dazu erstellen lassen, worauf wir jetzt zugriffen. Bevor wir uns aber intensiver damit befassen konnten, betrat Agent Kapriski den Raum. Der geschockte Ausdruck in ihren Augen sprach Bände.

»Cops haben den Leichnam von Lieutenant Boxer am Ufer des Cook Inlet entdeckt«, sagte sie.

Alle bisherigen Pläne waren damit über den Haufen geworfen. Wir verließen das Field Office und fuhren umgehend zur Fundstelle des Leichnams. Polizei und Ermittler des ABI hatten den gesamten Uferbereich jeweils eine Meile westlich und östlich des Cook Inlet abgesperrt. Kriminaltechniker schwärmten am Strand und sogar im seichten Wasser aus, um jede noch so winzige Spur zu sichern.

Außer den üblichen Schaulustigen hatten sich auch schon diverse Reporter an der Absperrung eingefunden. Die Medienvertreter bedrängten einen Agent des ABI, der unsere Ankunft mit sichtlicher Erleichterung aufnahm.

Eine Verkehrsmaschine hob vom Ted Stevens International Airport ab und machte für eine Minute jedes Gespräch unmöglich. Diese Zeitspanne nutzte Edward G. Homer, um uns durch die Absperrung zu lotsen. Der Kollege des ABI musste zwangsläufig weiterhin den Reportern Rede und Antwort stehen. Seine Hoffnung, dass ihn einer von uns erlösen würde, konnten wir nicht erfüllen.

»Ein Mann war mit seinem Labrador am Ufer unterwegs. Als der Hund auf einmal wie verrückt einen Gegenstand im seichten Wasser verbellte, wurde Mister Gorback aufmerksam. Er erkannte zum Glück sofort, was sein Hund entdeckt hatte, und alarmierte uns«, berichtete Officer Meadows.

Die Streifenbeamten identifizierten den Toten als Lieutenant Samuel Boxer und lösten den Großalarm aus.

»Wir haben daraufhin die Suche ausgedehnt. Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass wir auch den Leichnam von Agent Baron hier irgendwo finden«, sagte der Cop.

Er hatte einen Augenblick gezögert, bevor er die Vermutung aussprach. Agent Kapriski hörte mit versteinerter Miene zu, während wir auf das Gespräch mit Dr. Weinstone warteten. Der Rechtsmediziner war mit der ersten Leichenschau noch nicht fertig, daher mussten wir uns in Geduld fassen.

»Das haben Sie richtig gemacht«, lobte Agent Kapriski.

Ihre Reaktion erleichterte den Uniformierten, der sich kurz darauf wieder zu seinen Kollegen begab. Ein Hubschrauber tauchte in der Bucht auf und flog in kleinen Kreisen übers Wasser.

»Hier wird sehr gründlich gearbeitet«, sagte Edward G. Homer.

Mich beeindruckte die reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Cops und den Kollegen des ABI. Es gab offenbar klare Absprachen, sodass die Ermittlungen von Beginn an mit großer Effektivität geführt wurden.

Endlich war Dr. Weinstone so weit, dass wir uns dem Leichnam nähern durften. Der Rechtsmediziner hielt seine Eindrücke auf einem Diktiergerät fest, während gleichzeitig sein Assistent mit einer Digitalkamera fotografierte.

»Sie leiten die Ermittlungen, Sir?«, fragte Dr. Weinstone.

Er hatte in Edward G. Homer sofort den Verantwortlichen ausgemacht. Unser Vorgesetzter stellte sich und dann uns namentlich vor. Anschließend bat er um eine Zusammenfassung der ersten Erkenntnisse des Mediziners.

»Sehen wir uns zunächst an, in welchem Zustand der Tote gefunden wurde. Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ihm die meisten Verletzungen vor seinem Tod zugefügt wurden«, erklärte Dr. Weinstone.

Das war eine verblüffend eindeutige Festlegung zu einem so frühen Zeitpunkt. Als der Mitarbeiter die vorsorglich über den Leichnam ausgebreitete Plane zurückschob, zog Homer neben mir hörbar die Luft ein. Angesichts der vielen Verstümmelungen war es eine mehr als nachvollziehbare Reaktion.

Agent Kapriski, Phil und ich hatten sicherlich schon mehr solcher Verletzungen gesehen, aber auch uns ging es nahe. Ich schluckte die aufsteigende Übelkeit hinunter und konzentrierte mich auf die Ausführungen des Rechtsmediziners.

»Auf den ersten Blick erkennt man Verbrennungen unterschiedlichen Grades, Schnittwunden sowie unzählige Verletzungen durch stumpfe Gewalteinwirkung. Die blutigen Fingerkuppen verraten mir, dass man dem armen Kerl die Nägel gezogen hat«, sagte Dr. Weinstone.

Die Anzeichen für eine schwere Folterung waren auch für einen Laien ohne Schwierigkeiten erkennbar. Der Assistent des Rechtsmediziners hielt das Laken ständig so, dass nur wir den Toten sehen konnten. Ich nahm seine Umsicht als weiteres Anzeichen für die hohe Professionalität der Ermittler vor Ort.

Als Edward G. Homer sich nach dem Todeszeitpunkt und möglichen Hinweisen auf den Aufenthaltsort von Samuel Boxer während der Folterung erkundigte, wehrte Dr. Weinstone dann doch ab. Die Schussverletzungen waren offenbar nicht für den Tod verantwortlich gewesen, mehr wollte er aber zu diesem Zeitpunkt nicht sagen.

»Damit begeben wir uns auf das Feld der Spekulation, und damit wäre Ihnen sicherlich nicht gedient«, sagte er.

Wir dankten Dr. Weinstone, der uns eine bevorzugte Obduktion versprach. Anschließend ging ich zusammen mit Agent Kapriski hinüber zum Wagen, in dem Officer Meadows saß. Offenbar koordinierte er die Suche an Land, denn er hatte eine Karte der Bucht sowie der Umgebung auf dem Monitor in der Mittelkonsole geladen.

»Sie waren zusammen mit Ihrem Partner als Erste am Ufer und haben den Leichnam aus dem Wasser gezogen. Das ist doch korrekt, oder?«, fragte ich.

Meadows stieg aus und überließ einem anderen Officer das Funkgerät.

»Ja, Agent Cotton. Den Anblick werde ich mein Leben lang nicht mehr loswerden«, erwiderte er.

Ich bat ihn, sich trotzdem noch einmal jeden Augenblick davon zu vergegenwärtigen. Officer Meadows war seit vierzehn Jahren als Cop im Dienst und daher waren seine Beobachtungen von großem Wert.

»Ist Ihnen an der Kleidung oder am Leichnam etwas aufgefallen, was uns weiterhelfen könnte? Abgesehen von den Verletzungen natürlich«, fragte ich.

Meadows kniff die Lider zusammen und starrte blicklos über das Wasser des Cook Inlet. Die Sekunden dehnten sich, aber wir beherrschten unsere Ungeduld. Schließlich stieß Officer Meadows einen verwunderten Ruf aus und musterte mich verblüfft.

»Woher wussten Sie das? An die grüne Farbe habe ich bis gerade eben überhaupt nicht mehr gedacht«, staunte er.

Es war ein Schuss ins Blaue gewesen, doch er hatte sich offenbar ausgezahlt. Wir gingen hinüber zum Wagen der Rechtsmedizin, in den man den Leichnam mittlerweile gebracht hatte – alles unter den neugierigen Augen der Schaulustigen und vor den Objektiven der Kameras.

»Zeigen Sie mir, wo dieser Farbfleck sich befindet«, bat ich.

Trotz der verwunderten Blicke von Dr. Weinstone und seinem Assistenten zog Officer Meadows den Reißverschluss des Leichensacks auf und zeigte mir den Fleck.

***

Sie standen auf dem Gang. Die Wohnungstür von Kevin Farlow war nur angelehnt und June befürchtete, dass einer der Eindringlinge den Flur im Blick behielt.

»Wir gehen einfach daran vorbei und warten ab, ob jemand in der Wohnung reagiert«, sagte Blair.

Wie meistens wählte er den direkten Weg, und dieses Mal gab es für June keinen Grund, seinen Vorschlag abzulehnen. June verbarg ihre SIG unter dem Aufschlag der leichten Sommerjacke und hielt sich links von ihrem Partner. Blair schlenderte in seiner unnachahmlichen Lässigkeit über den Gang und plauderte einfach drauflos.

»Die Pelicans wollen angeblich den Mavericks Nowitzki abkaufen. He, das wird nie im Leben funktionieren. Dirk ist doch schon halber Texaner«, sagte er.

June schaltete regelmäßig den Sportkanal ein und wusste daher, über welchen Sportler ihr Partner so vortrefflich dummes Zeug schwadronierte.

»Du und dein alter Heimatklub. He, bei den Knicks spielt die Musik«, widersprach sie.

Auf diese Art und Weise erreichten sie die Apartmenttür, bei der es bislang ruhig blieb. Aus dem Augenwinkel bemerkte June aber eine verdächtige Bewegung und gab Blair das vereinbarte Zeichen. Sie trat blitzschnell gegen die Tür, sodass ihr Partner den dahinter lauernden Mann überfallartig angreifen konnte.

»FBI!«

Mehr brachte Blair nicht heraus, denn sein Gegner reagierte unerwartet schnell und erwies sich als ebenbürtig. June musste hilflos zusehen, wie sich die Arme und Beine der beiden Männer zu einem Knäuel verwickelten.

Bei dem heftigen Austausch von Schlägen und Tritten drangen die Kämpfer ins Wohnzimmer ein. Endlich gab es Raum für June, sich um den zweiten Mann zu kümmern.

»Special Agent Clark, FBI. Halten Sie die Hände so, dass wir sie sehen können!«, rief sie.

Der zweite Mann stand neben der modernen Ledercouch und verfolgte äußerlich ungerührt den harten Fight seines Komplizen mit Blair. June machte einen Schritt zur Seite, um die Wohnzimmerwand im Rücken zu haben.

Das flüchtige Lächeln im Gesicht des dunkelhäutigen Mannes warnte sie, doch es war bereits zu spät. Während aus der geöffneten Badezimmertür ein dritter Gangster trat und June mit der angelegten MP bedrohte, trat sein Komplize von der Couch weg und schlug mit der Handkante gegen Blairs Hals. June musste hilflos mit ansehen, wie ihr Partner zu Boden ging.

»Sie machen gerade den größten Fehler Ihres Lebens. Wir gehören zum FBI und werden nie aufhören, Sie zu jagen«, stieß sie hervor.

»Waffe fallen lassen«, forderte der Dunkelhäutige.