Jerry Cotton Sammelband 45 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 45 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 3000 - Goodbye New York!
Jerry Cotton 3001 - Requiem für einen Killer
Jerry Cotton 3002 - Stopover in der Hölle
Jerry Cotton 3003 - Die Lücke in der Kette
Jerry Cotton 3004 - Der nackte Tod

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 830

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 45

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | PanicAttack

ISBN: 978-3-7517-4704-2

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Jerry Cotton Sammelband 45

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Jerry Cotton 3000

Biographie

Goodbye New York!

Die Erfolgschroik

Danksagung

Jerry Cotton 3001

Requiem für einen Killer

Jerry Cotton 3002

Stopover in der Hölle

Jerry Cotton 3003

Die Lücke in der Kette

Jerry Cotton 3004

Der nackte Tod

Guide

Start Reading

Contents

Gestatten: Jerry Cotton

Im Herbst 1954 erblickte ich das Licht der Welt – als ein gestandener Mann von gut dreißig Jahren. Manche (männlich) bezeichnen mich als gut aussehend, andere (weiblich) schlicht als ihren Schwarm. Mit beidem kann ich leben.

Kaum hatte ich, vom Lande kommend, New York betreten, traf ich auf einen Mann, der sich Phil Decker nannte und mich seinem Chef, Mr High, vorstellte. Von diesem Augenblick an war ich Special Agent des FBI. Wenn ich damals gewusst hätte, was in den nächsten sechzig Jahren auf mich zukommt, hätte ich das großzügige Angebot, mich der Verbrechensbekämpfung zu widmen, abgelehnt – na ja, wahrscheinlich doch nicht.

Als ich in den fünfziger Jahren in New York Gangster jagte, war alles noch viel einfacher, man konnte sich ab und zu einen Whiskey genehmigen und auch mal den Frauen hinterher pfeifen. Stellen Sie sich das heute einmal vor. Phil und ich waren damals keine Kostverächter. Kaum hatte ich ein bisschen Geld gespart, legte ich mir ein Auto zu. Schon damals zeigte sich mein Hang, etwas Besonders darzustellen, denn es war keiner der üblichen amerikanischen Schlitten, sondern einer aus Merry Old England, ein schwarzer Jaguar XK 120 mit roten Lederpolstern. Bevor ich den aber abbezahlt hatte, hatten ihn Gangster schon längst in die Luft gesprengt. Doch ich blieb der Marke treu, kaufte einen Jaguar E und dann schließlich einen XKR, der in der Schrottpresse endete. Heute fahre ich einen Jaguar E Nachbau auf der Basis eines Dodge Viper. Also bin ich endlich doch irgendwie bei einem amerikanischen Auto gelandet.

Wie meinen Fahrzeugen, so erging es auch mir. Ich wurde in den 3000 Fällen, die ich inzwischen für das FBI gelöst habe, ganz schön von den Gangstern gebeutelt, habe ungefähr 1000 Kugeln abbekommen, mir insgesamt wohl alle Knochen zweimal gebrochen und selbst die Jahresproduktion einer mittleren Munitionsfabrik verschossen. Doch das endgültige Schicksal meiner Jaguars ist mir bis jetzt erspart geblieben. Obwohl – ziemlich knapp war es manchmal schon.

Liefen wir uns früher die Schuhsohlen durch, um an Informationen zu kommen, schoben zwielichtigen Gestalten einen 50 Dollarschein zu, damit sie Namen preisgaben, ist das heute alles ein bisschen anders. Wir sitzen an Computern, durchforsten Dateien oder das Internet und die Büroarbeit ist nicht weniger, sondern nur anders geworden.

Die Mode – und damit die Kleidungsvorschriften beim FBI – hat sich natürlich auch geändert. In den fünfziger und sechziger Jahren liefen wir wie eine Volksausgabe der Men in Black herum, und wenn ich an die unsäglichen Nyltest-Hemden denke, bekomme ich schon wieder einen Ausschlag, während man heute beim FBI doch zu einigen modischen Zugeständnissen bereit ist. Ich will Sie nicht neidisch machen, aber ich habe immer noch die gleiche Konfektionsgröße wie bei meinem Eintritt ins FBI und bin fit wie eh und je.

In den sechziger Jahren war ich inzwischen so berühmt geworden, dass mein Leben und meine Fälle verfilmt wurden. Insgesamt acht Beispiele aus der großen Anzahl fanden den Weg auf die Leinwand. Der Herr Nader hat in den Filmen seine Sache recht gut gemacht, auch wenn unser Alltag bei weitem nicht immer so turbulent war, wie es in den Filmen erscheint.

Und heute?

Nun ich fühle mich gut, strotze nur so vor Kraft und Tatendrang, und auch meinem Partner Phil geht es gut. Wir beide stehen natürlich wie immer unter einem enormen Zeitdruck, denn jeder Fall, den wir übernehmen, muss in einer Woche abgeschlossen sein. Nun möchte ich Sie nicht länger mit meiner Person langweilen, alles, was über mich zu sagen ist, können Sie jede Woche neu erfahren. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen viel Spaß mit meinen Abenteuern, die Sie jede Woche in der Bastei-Reihe G-man Jerry Cotton nachlesen können.

Goodbye New York!

»He, Weißbrot, was soll das denn werden?«

Der Mann, der an dem baufälligen Zaun vor einer ebenso heruntergekommenen Holzhütte entlangtorkelte, reagierte nicht.

Sugar Ray schaute Danny und Bloodshot an, die neben ihm auf der Treppe saßen. Dann schraubte er sich in die Höhe. Der Weiße hatte wirklich Nerven, sich hier in die Gegend zu wagen. Langsam gingen die drei farbigen Jugendlichen zum Zaun. Der Mann konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Noch bevor sie ihn erreicht hatten, brach er zusammen. Sugar Ray stieß ihn mit dem Fuß an. Kaum eine Reaktion. Dann filzten sie ihn. Aus der Brusttasche der Jacke zog Bloodshot eine Brieftasche heraus. Ein zufriedenes Grinsen huschte über sein Gesicht, als er die Dollarscheine sah. Dann fand er noch etwas und er stieß einen leisen Pfiff aus.

Es war acht Uhr morgens. Phil und ich hatten gerade unsere Computer hochgefahren und wollten den Tag mit der üblichen Routine beginnen, als das Telefon klingelte. Phil griff nach dem Hörer und meldete sich. Mr Highs Sekretärin Helen war am Apparat.

»Ja. Natürlich, wir kommen sofort.«

Ich hatte den Kopf gehoben, und was ich hörte, klang nicht sehr gut. Phil und Helen hatten auf jegliche ansonsten üblichen Nettigkeiten verzichtet, und das bedeutete, dass etwas ziemlich Ernstes anlag.

»Wir sollen sofort zum Chef kommen«, teilte mir Phil mit, als er aufgelegt hatte, und war schon unterwegs zur Tür.

»Um was geht es?«, wollte ich wissen, während ich ihm folgte.

Er zuckte nur die Schultern. »Helen weiß es nicht oder wollte dem Chef nicht vorgreifen.«

Kurz darauf saßen wir dem Assistant Director gegenüber. Er schien nervös, so als ob er auf etwas wartete. Nach einer kurzen Begrüßung war kein weiteres Wort gefallen. Phil und ich sahen uns verstohlen an. Dann brach Mr High das Schweigen.

»Jerry, Phil, sind Sie mit der Hierarchie des FBI vertraut?«

War das eine Feststellung oder eine Frage, und wenn ja, erwartete unser Chef eine Antwort?

Phil und ich nickten langsam.

»Vielleicht nicht in allen Einzelheiten«, räumte ich ein.

»Gut, dann werde ich Sie über die Feinheiten aufklären. Ich habe gestern Abend spät einen Anruf aus Washington erhalten«, teilte uns Mr High mit. »Vom Director des FBI persönlich.«

Damit hatte Mr High sofort unsere ungeteilte Aufmerksamkeit und ich verspürte ein Kribbeln, das nichts Gutes verhieß. Instinktiv beugten Phil und ich uns auf unseren Stühlen vor.

»Er hat mich für heute Morgen in die Zentrale bestellt. Ich habe unverzüglich die Leitung der Field Operation Section East zu übernehmen.«

Nun war die Bombe geplatzt. Wir schauten unseren Chef an und versuchten zu begreifen, was das bedeutete.

»Und was ist mit Assistant Director Homer?«, fragte ich mit rauer Stimme.

Mr High zuckte die Schultern – eine Geste, die ich noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Sie war Ausdruck von Ratlosigkeit und Unwissen zugleich.

»Ich habe keine Ahnung. Mir wurde nur gesagt, dass ich mich heute in der Zentrale einfinden soll …« Er machte eine kleine Pause, während der wir Schlimmes erahnen konnten. »Und Sie beide soll ich mitbringen.«

Nun war es an Phil und mir, ratlos zu sein. Wir schauten uns an.

»Und Sie haben wirklich keine Ahnung, nicht mal eine Vermutung, um was es sich handelt?«, hakte Phil nach.

»Tut mir leid«, gab der Assistant Director zurück, »ich habe Ihnen alles gesagt, was ich selbst weiß.«

***

Deputy Johnson hasste es, durch die nördlichen Randgebiete von Tupelo zu patrouillieren – besonders wenn sich die Abenddämmerung langsam auf die Stadt herabsenkte. Dann kamen die zweibeinigen Ratten aus ihren Löchern. Hier, direkt am Highway 45 in Richtung der Staatsgrenze zu Tennessee, befand sich die Haupteinflugschneise für jede Art von illegalen Drogen und natürlich auch die Banden, die damit handelten.

Besonders schlimm war es, wenn man auch noch die falsche Hautfarbe hatte – ein Weißbrot war, wie die Farbigen verächtlich Leute wie Deputy Johnson nannten. Da half es nicht viel, dass sein Partner die richtige Hautfarbe hatte. Er war den Gangs genauso verhasst, vielleicht sogar noch mehr, weil er als Bruder auf der falschen Seite stand.

Während Johnson den Streifenwagen des Lee County Sheriff Department langsam durch die Straßen mit den verfallenen Häusern lenkte, beobachtete sein Partner, Deputy Walker, die ausschließlich farbigen Jugendlichen und versuchte ihre provokanten Gesten und Schimpfworte zu ignorieren.

»Mach mal langsam«, forderte er Johnson auf.

Mein Gott, dachte Johnson hinter dem Steuer, hoffentlich nicht wieder irgendwelcher Ärger, dem sie nicht aus dem Weg gehen konnten, und verringerte die Geschwindigkeit.

»Da vorne, an dem Lattenzaun, siehst du das Bündel?«, fragte Walker.

Johnson kniff die Augen zusammen und versuchte die Scheinwerfer des Wagens auf das Bündel am Straßenrand zu lenken. »Wahrscheinlich nur Abfall.«

»Nein, halt mal an. Sieht aus wie ein Mensch. Wir müssen nachsehen, was mit ihm ist.«

Johnson stöhnte auf. »Sicher wieder nur ein Junkie oder ein Betrunkener. Der kommt schon zurecht.«

»Halt an!«, ließ sich Walker nicht beirren.

Als der Wagen zum Stehen gekommen war, schraubte sich der Hüne aus dem Beifahrersitz. Seine beeindruckende Gestalt von fast sieben Fuß verschaffte ihm selbst hier auf der North Side von Tupelo einen gewissen Respekt.

Johnson stieg auf der anderen Seite aus und schaute sich aufmerksam um. Es schien auf den ersten Blick nicht bedrohlich zu sein, trotzdem schwebte seine Hand über dem Gürtelholster mit der großkalibrigen Waffe. Er nahm das Mikrofon des Funkgeräts in die Hand und meldete der Zentrale: »Möglicherweise ein 3-16. Officers verlassen das Fahrzeug.«

Inzwischen hatte sich Walker schon neben das Bündel gehockt. Johnson war hinter ihn getreten und schaute ihm über die Schulter. Es war kein Abfall, sondern ein Mann, zudem noch ein Weißer. Und es stand nicht gut um ihn.

»Kaum noch Puls«, stellte Walker fest, als er dem bewusstlos Daliegenden die Fingerspitzen an den Hals legte.

»Drogen?«, fragte Johnson mit einem angewiderten Unterton in der Stimme.

Walker zuckte die Schultern und untersuchte den Mann genauer, während Johnson zum Streifenwagen zurückging, um einen Rettungswagen anzufordern.

Als er wieder zu dem Bewusstlosen kam, hatte Walker den Mann umgedreht und in eine stabile Seitenlage gebracht. Mehr konnten die beiden Deputys im Moment nicht für ihn tun.

»Passt irgendwie nicht hierher«, stellte Walker fest und deutete auf den Mann. »Hat keine Papiere bei sich. Keine offensichtlichen Verletzungen oder Wunden …«

»Wahrscheinlich ist er bis zum Stehkragen mit irgendeinem Teufelszeug voll«, mutmaßte Johnson.

»Aber was hat er hier gewollt? Das hier ist ein absolutes NO GO für ein …«, bevor er es noch aussprechen konnte, korrigierte sich Walker sofort, »… einen Weißen.«

»Er sieht eigentlich auch nicht nach einem Junkie aus. Die Klamotten sind zwar dreckig, aber nicht alt und von nicht schlechter Qualität. Und er hat sich bestimmt heute Morgen noch rasiert«, stellte Johnson fest, als er mit der Taschenlampe den Mann zu ihren Füßen abgeleuchtet hatte.

Ein Rascheln hinter dem Zaun ließ die beiden Deputys zusammenzucken. Johnson trat einen Schritt an den Zaun heran und ließ den Lichtkegel der Taschenlampe durch das gleiten, was vor langer Zeit mal ein Vorgarten gewesen war. Jetzt traf die Bezeichnung Schuttabladeplatz den Sachverhalt wesentlich besser. Zwischen Mülltonnen, jeder Art von Gerümpel und einem alten Autowrack führte ein Trampelpfad zu der Ruine eines ehemals wohl ganz ansehnlichen Holzhauses. Fünf Stufen führten zu einer Veranda hinauf.

»Nichts zu sehen«, berichtete Johnson. »Vielleicht war es eine Ratte.«

»Zweibeinig oder vierbeinig?«, fragte Walker.

»Ich hoffe vierbeinig«, gab Johnson zurück, der sich alles andere als wohl in der Situation fühlte. Die zweibeinigen Ratten hatten die Angewohnheit, wie aus dem Nichts aufzutauchen und wirklich Ärger zu machen, wenn man sich nach Einbruch der Dunkelheit auf ihrem Territorium herumtrieb. Da half weder der Deputy-Stern noch der .45er-Colt etwas. Der Stern war nur ein Stück Blech, und im Zweifelsfall hatten sie auch die größeren Kanonen.

Fast befreiend war es, als die beiden Männer die Sirene des Krankenwagens hörten.

***

Laute Musik dröhnte aus den Boxen; es war weit nach Mitternacht und Sugar Ray, Danny und Bloodshot waren absolut gut drauf. Die 200 Dollar aus der Brieftasche des Weißbrots machten sie zu Hot Shots in dem schäbigen Club, wo der ausgeschenkte Alkohol noch die harmloseste Droge war. Die drei dealten zwar ab und zu mit den harten Sachen, ließen aber bis jetzt selbst die Finger davon.

Sie saßen mit den anderen ihrer Gang, die sich den hochtrabenden Namen Cosmic Kings gegeben hatten, in einer Ecke des Lokals, tranken Bier und ließen die Tequila-Flasche kreisen. Bedrock, der offizielle Anführer der Kings , war nicht begeistert. Irgendwie stahl ihm Sugar Ray an diesem Abend die Show. Er hielt sich aber zurück, denn alle profitierten von Sugar Rays plötzlichem Reichtum, und morgen würde es wieder ganz anders sein. Die Dollars wären Sugar Ray und seinen beiden Kumpels noch in dieser Nacht vollständig durch die Finger geronnen. King für eine Nacht, dachte Bedrock hämisch und ließ seine Bierflasche gegen die von Sugar Ray klingen.

»Und ihr habt das Weißbrot so einfach ausgenommen?«, fragte er, denn Sugar Ray hatte nur mit wenigen Worten erklärt, woher sein plötzlicher Reichtum gekommen war.

»Klar, Mann«, antwortete Bloodshot mit schon schwerer Zunge. »Einfach so.«

»Er hat sich einfach vor uns hingelegt und gesagt: Hier, bedient euch, Jungs«, ergänzte Danny.

Bedrock schüttelte ungläubig mit dem Kopf. »Und, was habt ihr dann gemacht?«

»Liegen gelassen«, sagte Sugar Ray. »Der hat es bestimmt nicht mehr lange gemacht. Der sah schon ziemlich fertig aus.«

»Direkt vor eurem Unterschlupf?«, fragte Bedrock ungläubig.

Bloodshot zuckte die Schultern. »Was soll’s. Irgendjemand wird ihn schon finden und wegschaffen, was kümmert’s uns?« Und meinte dann mit einem Grinsen: »Wir haben doch damit nichts zu tun.«

»Und außer dem Geld hatte er nichts in seinen Taschen?«, wollte Bedrock wissen, und seine Stimme hatte einen lauernden Tonfall angenommen.

Die drei sahen sich kurz an, unauffällig wie sie meinten, aber Bedrock kannte seine Gang-Mitglieder gut genug, um auch in dem schummrigen Licht sofort zu erkennen, dass jetzt eine Lüge folgen würde.

Ich glaube, es war 1963 als ich anfing, Jerry Cotton zu lesen und erinnere mich noch gut an Heft 500, damals schon eine wackere Leistung für einen »Heftchenroman«. Und jetzt kommt Nummer 3000 (in Worten: dreitausend!). … Ich wünsche allen Jerry-Cotton-Mitarbeitern alles Gute für die Zukunft, dem verehrten Mr. High den verdienten Ruhestand und Jerry und Phil die längst fällige Beförderung – aber: Wer soll dann das Verbrechen im Big Apple bekämpfen? Also – in diesem Sinne – herzlichen Glückwunsch, Mr. Cotton und »Carry on, G-man«

Herzliche Grüße Helene Eyer-Hirnschal

»Nein«, antwortete Sugar Ray und schüttelte zur Bestätigung den Kopf. »Keine Kreditkarten, keinen Führerschein – gar nichts.«

»Vielleicht hat ihn vorher schon jemand gefilzt«, warf Bloodshot ein.

»Ja, und der hat gemeint, die 200 Dollar sind viel zu auffällig, um sie mitzunehmen«, erklärte Bedrock hämisch und fügte dann noch hinzu: »Arschloch.«

Sugar Ray war nicht wohl in seiner Haut, irgendwas schien Bedrock zu ahnen, fragte sich nur, wie weit der Boss der Cosmic Kings gehen würde, um es herauszufinden. Ein Ablenkungsmanöver war jetzt angesagt.

»Hey, Danny, besorg mal Nachschub«, forderte Sugar Ray seinen Kumpel auf.

Bedrock schien die Sache auf sich beruhen zu lassen, aber bestimmt nicht lange. Nach kurzer Zeit kam Danny mit einem Tablett voller Bierflaschen und einer weiteren Flasche Tequila zurück.

Zwei Stunden später liefen Sugar Ray, Danny und Bloodshot durch die verlassenen Straßen des heruntergekommenen Viertels. Sie waren froh, endlich von Bedrock und seinem forschenden Blick weg zu sein. Er hatte zwar das Thema nicht mehr angesprochen, doch es war allen dreien klar, dass die Sache noch nicht ausgestanden war.

»Lass uns das Ding loswerden«, schlug Danny vor.

Sugar Ray blieb stehen. »Mann, das ist viel zu wertvoll, um es einfach wegzuwerfen.«

»Dann gib es Bedrock«, meinte Bloodshot.

Sugar Ray dachte nach. »Keine schlechte Idee, aber dafür muss er was springen lassen. Ist vielleicht das Beste, was wir machen können.«

Die beiden anderen nickten beifällig. »Wir können sowieso nichts damit anfangen.«

»Schon klar«, räumte Sugar ein, »aber etwas bringen muss es schon.«

Sie setzten sich wieder in Bewegung und hatten nach einer Viertelstunde die Straße erreicht, in der die baufällige Hütte stand, die ihnen als Unterschlupf diente. Erst als sie das Grundstück fast erreicht hatten, bemerkten sie, dass das Bündel am Zaun fehlte.

»Die Müllabfuhr ist heute aber früh gekommen«, kicherte Danny.

Sugar Ray nahm die Sache nicht so leicht und sah sich aufmerksam um. Von dem Weißbrot fehlte jede Spur. Konnte sich der Mann selbst weitergeschleppt haben? Eher unwahrscheinlich. Er warf einen Blick in den zugemüllten Vorgarten. Auch da war nichts zu sehen.

»Na, auf jeden Fall ist er weg. Hauen wir uns aufs Ohr.« Die anderen beiden folgten Sugar durch den Müll, die fünf Stufen auf die Veranda hinauf und dann ins Haus. Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, überkam Bloodshot ein merkwürdiges Gefühl. Er langte nach dem Lichtschalter. Eine trübe Glühbirne flammte auf und tauchte den Raum bestenfalls in Dämmerlicht. Aber es genügte.

An der gegenüberliegenden Wand, auf dem einzigen Stuhl im Zimmer, saß ein Weißer. Von Schrecksekunde konnte man bei den drei Farbigen nicht sprechen, eher von Unglaube, dass sich ein Weißbrot in ihre Hütte gewagt hatte.

»Hallo, Jungs«, sagte der Mann, als würde er seine Söhne begrüßen, die gerade von einem Baseballspiel nach Hause gekommen sind.

Sugar Ray war der Erste, der seine Sprache wiederfand. »Echt krass, Weißbrot. Ich glaube, du hast einen ziemlich großen Fehler gemacht.«

Der Mann lächelte. »So kann man sich irren. Ihr habt etwas, was mir gehört, und das will ich zurückhaben.«

»Keine Ahnung, wovon du sprichst, Mister«, antwortete Sugar Ray, aber in seine Stimme hatte sich ein leichtes Zittern eingeschlichen.

Der Mann lächelte noch immer, aber es war, als ob ein Krokodil die Zähne fletschte. »Falsche Antwort.«

»Eine andere kriegst du nicht«, gab Sugar Ray zurück, und seine Hand schob sich langsam an seinem Hosenbund nach hinten, wo die kurzläufige Smith & Wesson steckte. Noch bevor er die Bewegung ausgeführt hatte, blitzte es in der Hand des Mannes auf und Sugar Ray brach mit einem kleinen kreisrunden Loch in der Stirn lautlos zusammen. Bevor Danny und Bloodshot überhaupt realisierten, was geschehen war, lagen sie genauso tot neben ihrem Kumpel.

Der Mann stand auf, schraubte den Schalldämpfer von der Glock und steckte beides in den Aktenkoffer, der neben dem Stuhl gestanden hatte. Dann ging er hinüber zu den drei Toten. Er musste nicht lange suchen. Aus der hinteren Jeanstasche von Sugar Ray zog er ein in Plastik eingeschweißtes Ausweispapier: ein FBI-Dienstausweis ausgestellt auf den Namen Edward G. Homer .

***

Kaum waren wir mit dem Learjet des FBI auf dem Dulles Airport in Washington gelandet, lief alles wie am Schnürchen – nur noch schneller. Eine Limousine stand bereit und wurde mit einer Motorrad-Eskorte zum J. Edgar Hoover Building in der Pennsylvania Avenue geleitet. Die Fahrt dauerte noch nicht einmal 30 Minuten.

In Empfang genommen wurden wir von einem recht blass wirkenden Büromenschen, der sich als Mister Miller vorstellte. Unwillkürlich hatte ich Zweifel, dass dies sein richtiger Name war.

»Assistant Director John D. High?«, fragte er in Richtung unseres Chefs, der als Antwort kurz nickte. Dann wendete er sich Phil und mir zu.

»Assistant Special Agent in Charge Cotton und Special Agent Decker?«

Es war nicht ganz klar, wer wer sein sollte. Er wusste es wahrscheinlich auch nicht. Wir nickten beide gleichzeitig.

Aus der Jackentasche zog er drei mit einem Clip versehene, in Plastikhüllen befindliche Pässe hervor, die er uns überreichte. Dabei stellte sich heraus, dass er anscheinend doch genau wusste, wer ihm gegenüberstand. Wir hefteten uns die Pässe ans Jackettrevers.

»Entschuldigung, Mister …«, setzte unser Chef an, kam aber nicht weiter.

»Director Fuller erwartet Sie«, sagte Mister Miller. »Bitte folgen Sie mir.« Und mit diesen Worten hatte er sich schon umgedreht und war auf die Aufzüge im Hintergrund der Empfangshalle losmarschiert. Wir standen noch einen Moment unschlüssig herum, was Miller dazu veranlasste, uns nochmals aufzufordern. »Bitte, es ist dringend.«

Mich beschlich ein sehr ungutes Gefühl. Zuerst die Dringlichkeit, mit der wir nach Washington kommen mussten, dann die hochoffizielle Titulierung, aber vielleicht tickten die Uhren in der Zentrale des FBI auch ganz anders als in unserem durch einen sehr kollegialen Umgangston geprägten Field Office in New York.

Nach einer endlos anmutenden Odyssee durch Korridore, in Liften und dann weiteren Korridoren öffnete Miller eine Tür und signalisierte uns einzutreten. Wir standen in einem Konferenzraum und schauten uns um, während hinter uns die Tür mit einem leisen Geräusch geschlossen wurde.

Den Mann an der Stirnseite des Tisches kannte jeder FBI-Agent, obwohl die wenigsten ihn während ihrer Laufbahn je zu Gesicht bekommen. Es war Director James E. Fuller – unser oberster Chef. Zu seiner Linken saßen drei Herren, die ich nicht kannte. Aber auf dem Weg zum Tisch raunte Mr High Phil und mir zu, dass dies die Chefs der anderen drei Field Operation Sections wären.

»Willkommen, Assistant Director High. Vielen Dank, dass Sie es so schnell möglich machen konnten«, begrüßte Director Fuller unseren Chef. »Special Agents …« Damit waren wohl Phil und ich gemeint.

»Kein Problem, Director Fuller. Selbstverständlich sind wir sofort gekommen.«

Mit einer kurzen Handbewegung forderte der Director uns auf, den drei Herren gegenüber an der Längsseite des Tisches Platz zu nehmen.

»Darf ich vorstellen«, begann Director Fuller, nachdem wir Platz genommen hatten. »Assistant Director Segal, Field Operation Section Midwest, Asssitant Director Sheckley, Field Operation Section Mountain, und Assistant Director Gardner, Field Operation Section Pacific.«

Wir nickten unisono den drei Herren zu und warteten ab. Mr High blickte den Director fragend an.

»Ja, Sie vermissen Assistant Director Homer«, fuhr Fuller fort, »und genau das ist unser Problem, denn wir vermissen ihn auch.«

Jetzt blickten wir drei den Chef des FBI erstaunt an.

Director Fuller griff zu einem dünnen Aktenhefter, in dem sich eine Reihe von Computerausdrucken befand.

»Ich bringe Sie kurz auf den Stand unseres Wissens«, begann Director Fuller. »Vor einer Woche, exakt am 30.6., stellte Assistant Director Homer einen Dienstreiseantrag nach Jackson, Mississippi, um einen Termin in dem dortigen Field Office wahrzunehmen. Er trat diese Reise einen Tag später, am 1.7 an. Er nahm den Linienflug AA601 mit American Airlines vom Dulles-Flughafen. Abflug 11.45, Ankunft in Jackson 16.00 Uhr.« Fuller blickte in die Runde. »Und bevor Sie nachfragen: Er war definitiv an Bord der Maschine.«

Trotzdem schauten Phil und ich uns fragend an. Mr High schien äußerlich völlig ungerührt.

»Nach 16.00 Uhr am 1. Juli gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihm, nur ein Hinweis aus dem Field Office in Little Rock, Arkansas, dass sich Edward G. Homer bei ihnen telefonisch für den 3. Juli angemeldet hätte. Das Field Office hielt daraufhin Rücksprache mit Assistant Director Segal, der ja der zuständige Leiter der Field Operation Section Midwest ist. Eine Kontaktaufnahme mit Assistant Director Homer war bislang nicht möglich. Die üblichen Nachforschungen des Field Office vor Ort haben auch zu keinem Ergebnis geführt …«

»Denken Sie an eine Entführung?«, platzte ich betroffen in die Ausführungen des Director.

Fuller hob eine Augenbraue, kommentierte meine Unverschämtheit aber nicht. Er dachte einen Moment nach und meinte dann: »Bis jetzt haben wir keine Hinweise darauf, aber wir haben auch keine Hinweise auf irgendein Verbrechen, einen Unfall oder …« Der Chef des FBI führte den Satz nicht zu Ende.

»Das glauben Sie nicht wirklich, Director Fuller«, meldete sich Mr High zu Wort.

Ich schaute Phil an und hatte keine Ahnung, was Mr High damit andeuten wollte. Anscheinend wussten alle anderen, was damit gemeint war, nur wir beide standen auf dem Schlauch, wie ich dem Schulterzucken meines Partners unschwer entnehmen konnte.

Sheckley von der Field Operation Section Mountain übernahm es, Mr High zu antworten. »Nun, man kann den Leiter einer Field Operation Section schon als hochkarätigen Geheimnisträger einstufen. Er verfügt über ein Wissen, das in bestimmten Kreisen ein Vermögen wert ist. Diese Kreise sind auch bereit, ein Vermögen zu zahlen, um an diese Informationen heranzukommen, und möglicherweise, ich betone möglicherweise, bewahrheitet sich wieder einmal, dass jeder seinen Preis hat.«

Unser Chef schaute den Kollegen auf der anderen Seite des Tisches entgeistert an. »Das glauben Sie doch nicht wirklich.«

Es erfolgte keine Reaktion.

»Ich kenne Assistant Director Homer nun schon ziemlich lange, und wenn ich für jemanden die Hand ins Feuer legen müsste, dann für ihn. Er ist …«

Director Fuller hob beschwichtigend die Hände. »Natürlich ist es bei uns genauso, aber Sie wissen so gut wie ich, dass wir bei unseren Nachforschungen keine Möglichkeit außer Acht lassen dürfen.«

Betroffen nickten wir drei aus New York etwas unwillig. Er hatte recht, leider hatte das unsere Berufspraxis immer wieder gezeigt. Trotzdem konnte auch ich nicht daran glauben.

»Nun«, fuhr Fuller fort, »wenn der Leiter einer Field Operation Section verschwindet, können wir nicht untätig herumsitzen oder die Sache den Agents vor Ort, vielleicht sogar den dortigen Polizeikräften überlassen. Wir müssen handeln. Assistant Director Homer hat Sie, Assistant Director High, immer in den höchsten Tönen gelobt, und als Leiter des größten Field Office in den USA ist es keine Frage, dass wir Ihnen die Leitung der Field Operation Section East anvertrauen.« Dabei lächelte er Mr High an und erklärte fast wie zur Beruhigung: »Natürlich nur kommissarisch, bis Assistant Director Homer wieder seinen Dienst versehen kann.«

Mr High nickte zur Bestätigung.

»Wir wollen die Sache mit dem Verschwinden eines Leiters einer Field Operation Section solange es nur geht, beziehungsweise bis wir irgendeine Gewissheit haben, unter dem Deckel halten, auch damit uns die Homeland Security nicht auf den Pelz rückt. Bis jetzt ist das eine interne FBI-Angelegenheit, ist das klar, meine Herren?« Dabei schaute er mich und Phil mit einem so kalten Blick an, als ob wir potenzielle Verräter wären.

»Selbstverständlich, Sir«, befleißigten wir uns sofort zu versichern.

»Sie haben einen Stellvertreter, der innerhalb von 24 Stunden die Geschäfte in New York übernehmen kann?« Es klang wie eine Frage, erweckte aber nicht den Anschein, eine zu sein.

»Kein Problem, Sir«, gab Mr High zurück.

»Gut, dann erwarte ich Sie morgen zur gleichen Zeit hier in Ihrem neuen Büro.«

Automatisch schob ich meinen Stuhl nach hinten und wollte aufstehen, da die Sache für mich durchgestanden schien.

»Agents.«

Die schneidende Stimme des Director nagelte mich auf meinem Stuhl fest. Inzwischen war mir klar, warum dieser Mann das FBI leitete und, wie man so sagte, manchmal auch den Justizminister.

»Agents«, sein Ton war von einer Sekunde zur anderen deutlich umgänglicher geworden, »Sie sind nicht hier, weil ich der Meinung bin, dass Assistant Director High eine Eskorte braucht. Auch Sie wurden von Assistant Director Homer in den höchsten Tönen gelobt, ja man könnte fast meinen, dass er ein freundschaftliches Verhältnis mit Ihnen gepflegt hat. Sie haben ja auch einige gemeinsame Einsätze gehabt.«

Ich nickte und musste innerlich grinsen. Das einzige freundschaftliche Verhältnis, das Homer pflegte, war das zu den Dienstvorschriften. Anscheinend war mein Grinsen doch nicht ganz innerlich gewesen.

»Darf ich Ihrer Mimik entnehmen, dass Sie anderer Meinung sind, Agent Cotton?«

»Nun«, begann ich und versuchte mir eine gute Antwort auszudenken. »Nun, der Ausdruck ›freundschaftliches Verhältnis‹ hat eine weite Auslegungsbreite …«

»Schon gut, spielt jetzt keine Rolle, das können Sie gegebenenfalls mit Assistant Director Homer persönlich klären. Sie und Agent Decker werden in dem Fall ermitteln. Sie begeben sich vor Ort und finden heraus, was mit Assistant Director Homer in den letzten fünf Tagen passiert ist. Dazu werden Sie auf Zeit in den Rang von Inspektoren erhoben und sind mir persönlich unterstellt. Ihre Aktionen werden Sie allerdings mit Ihrem bisherigen Vorgesetzten, Assistant Director High, abstimmen, der außer mir als Einziger Ihnen gegenüber weisungsbefugt ist. Alles klar, Agents?«

Phil und ich brachten es tatsächlich fertig zu nicken. Wir beide FBI-Inspektoren! Das war vielleicht ein Karrieresprung. Die Inspektoren waren so etwas wie die letzte Eingreiftruppe des FBI, wenn die Field Offices nicht mehr weiterkamen. Normalerweise waren sie dem Headquarter direkt unterstellt und hatten weitgehende Machtbefugnisse, selbst die Leiter der Field Offices kamen da nicht mit. Genau das bereitete mir ein ungutes Gefühl und zeigte deutlich, dass es hier untergründig heftig brannte.

»Sie fliegen jetzt wieder zurück nach New York, regeln Ihre Angelegenheiten, und morgen erwarte ich Sie um elf Uhr in meinem Büro zu einem letzten Briefing. Vielen Dank.«

***

Schwester Mitler unterdrückte ein Gähnen und öffnete leise die Tür. Die Nachtlampe brannte und warf einen schmalen Lichtschein auf die im Bett liegende Gestalt. Leise trat die Krankenschwester ein und kontrollierte die Geräte, die im beruhigenden Gleichklang summten und ab und zu im regelmäßigen Abstand einen hellen Ton von sich gaben.

Die Lebensfunktionen des Unbekannten, der von Officer Walker und Johnson mehr tot als lebendig vor ein paar Stunden eingeliefert worden war, hatten sich stabilisiert. Sobald er aufwachte, was aber nicht vor dem Ablauf weiterer vier bis fünf Stunden zu erwarten war, würde man darangehen können, seine Identität zu klären.

John Doe, wie sie ihn insgeheim nannte, eigentlich eine Bezeichnung, die nur auf unbekannte Tote angewandt wurde, hatte sich ganz schön abgeschossen. Zuerst hatten die Ärzte geglaubt, es mit einem Junkie mit Überdosis zu tun zu haben, dann hatte es sich aber herausgestellt, dass John Doe einen fast tödlichen Cocktail aus Barbituraten im Blut hatte.

Sue Mitler hat gleich ihre Zweifel gehabt. Der Mann war zu alt – sie schätzte ihn auf Ende vierzig, Anfang fünfzig. Junkies wurden normalerweise nicht so alt, und wenn, dann sahen sie anders aus. Eigentlich machte der Unbekannte einen gepflegten Eindruck, und seine schmutzige und teilweise zerrissene Kleidung war relativ neu und von bester Qualität.

Nachdem die Krankenschwester alles noch einmal gewissenhaft überprüft hatte, huschte sie leise aus dem Zimmer. Durch das Flurfenster fiel das erste trübe Licht des Morgens, was für sie das Ende ihres Arbeitstages ankündigte. Sue Mitler unterdrückte ein weiteres Mal ein Gähnen und schüttelte den Kopf, um den Anflug von Schlaf zu vertreiben.

Im Schwesternzimmer nahm sie sich die Wachpläne vor, überprüfte noch einmal alles und setzte den einen oder anderen Haken in die entsprechende Spalte.

Sie ahnte die Bewegung mehr, als dass sie sie sah. Ihr Kopf ging in Richtung Tür, in der ein Mann in weißem Kittel stand, die Hände lässig in den Taschen.

»Guten Morgen, Doctor «, sagte Sue automatisch und wollte sich schon wieder ihren Papieren zuwenden, als ihr Gehirn erst mit einiger Verzögerung registrierte, dass etwas nicht stimmte. Der Mann im Kittel trug einen Mundschutz und eine OP-Haube.

In diesem Moment war der vermeintliche Arzt auch schon neben ihr, riss ihren Kopf nach hinten und setzte ein Skalpell an ihren Hals. Selbst die fast kaum spürbare Berührung ritzte die Haut und ein paar Blutstropfen drangen hervor.

»Hör zu, Sweetheart«, flüsterte der Mann hinter dem Mundschutz hervor, »du machst, was ich dir sage, wenn nicht, bist du sofort kaltes Fleisch. Verstanden?«

Sue Mitler bekam keinen Laut heraus.

»Verstanden?« Der Druck des Skalpells verstärkte sich.

»Ja … ja«, keuchte Sue und versuchte zu nicken.

»Gut, dann pass gut auf. Ihr habt heute Nacht doch einen Junkie eingeliefert bekommen, der fast hinüber war – wo liegt der?«

»Einen Junkie?«, gab Sue unsicher zurück, obwohl sie natürlich wusste, dass es sich nur um den als Joe Doe Bezeichneten handeln konnte.

»Keine Zicken, Sweetheart.« Die Stimme war noch um eine Nuance bedrohlicher geworden. Der Mann schob die freie Hand unter Sues Arm und riss sie vom Stuhl hoch. Sue stöhnte auf und blickte hilfesuchend zur Tür. Doch dort stand nur ein zweiter Mann, ebenfalls im weißen Kittel und mit Mundschutz vor dem Gesicht und OP-Haube auf dem Kopf, sodass man nur seine Augen sehen konnte.

»Du bringst uns jetzt zu dem Junkie, klar?«

Mit unsicheren Schritten betrat Sue den Flur und ging dann nach rechts in Richtung des Zimmers von John Doe. Das Skalpell klebte immer noch an ihrem Hals. Der zweite Mann blieb hinter ihnen und schob einen Rollstuhl vor sich her. Der Flur lag wie immer verlassen da. Sue Mitler hoffte, dass einer der Patienten klingeln würde und sie damit vielleicht die Chance bekäme, den beiden Männern zu entkommen, aber nichts tat sich, bis sie die Tür zum Krankenzimmer erreicht hatte.

Der Mann nahm das Skalpell von Sues Hals, öffnete die Tür und stieß die Krankenschwester in den Raum. Schnell folgten er und sein Komplize. Dann flammte das Licht auf.

»So, Sweetheart, jetzt mach ihn mal reisefertig.«

»Das geht nicht. Der Mann muss permanent an den Geräten angeschlossen sein, sonst stirbt er möglicherweise«, wandte Sue Mitler entrüstet ein.

Lieber Jerry Cotton, als »älteres Semester« habe ich schon vor einigen Jahrzehnten spannende (und heimliche!) Leseerfahrungen mit deiner Heftserie gemacht … In diesem Sinne, lieber Jerry Cotton: Herzlichen Glückwunsch zum 60. Geburtstag und zum 3000. Heftroman!

Dr. phil. Siegfried Mohm, Riegelsberg

»Wenn du ihn nicht abhängst, dann stirbst du«, zischte der Mann hinter seiner Maske und hob drohend das Skalpell.

Die Krankenschwester stand unschlüssig neben dem Bett. Ihr Peiniger machte einen Schritt auf sie zu, während der andere hinter dem Rollstuhl wie eine Statue verharrte.

»Los jetzt!«, forderte der mit dem Skalpell sie nochmals auf. »Sonst übernehme ich das, dann hat dein Freund noch geringere Chancen.«

Widerwillig folgte Sue Mitler der Aufforderung und begann langsam die Verbindungen von John Doe zu den Geräten zu lösen. Dabei überlegte sie angestrengt, wie sie unauffällig den Rufknopf drücken könnte. Als alle Geräte abgekoppelt waren, schob der Mann sie beiseite und hob John Doe aus dem Bett.

In dem Moment zuckte Sues Hand vor und drückte den Rufknopf neben dem Kopfteil. Ein leises Plopp ertönte und Sue Mitler brach zusammen. Auf ihrer Brust breitete sich ein tiefroter Fleck aus. Der Mann hinter dem Rollstuhl ließ die Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer seelenruhig wieder in der Kitteltasche verschwinden.

»Verdammt«, keuchte der andere und wuchtete John Doe in den Rollstuhl. »Konnte dieses dumme Luder nicht einfach stillhalten!«

Die beiden Männer wickelten John Doe in eine Decke ein, sodass kaum mehr als sein Kopf zu erkennen war.

»Raus hier. Gleich wird es hier nur so von Personal wimmeln.«

Die Entführer hetzten über den Flur auf den Lift zu. Doch bevor sie ihn erreichten, bogen zwei Pfleger um die Ecke.

»He, was ist denn hier los?«, riefen sie den beiden Ärzten entgegen, die im Laufschritt einen Rollstuhl mit einem Patienten vor sich herschoben.

Die erste, durch den Schalldämpfer fast unhörbare Kugel schlug neben den beiden Pflegern in der Wand ein, doch bevor sie realisieren konnten, was da passiert war, lagen sie schon von zwei weiteren Schüssen getroffen sterbend auf dem Krankenhausflur.

Die beiden Männer mit dem Rollstuhl hatten den Lift erreicht. Einer von ihnen zog einen Schlüssel aus der Tasche und betätigte damit die Vorrangschaltung des Fahrstuhls. John Doe im Rollstuhl stöhnte auf.

Die beiden »Ärzte« blickten sich kurz über den Mundschutz hinweg an. Dann verkündete ein helles Pling die Ankunft des Lifts. Die Türen glitten auf und die beiden schoben den Rollstuhl in die Kabine. Hinter ihnen auf dem Flur breitete sich eine Blutlache unter den beiden Pflegern aus.

Ohne anzuhalten glitt der Lift die drei Stockwerke nach unten und hielt im Erdgeschoss. Am Empfang des Krankenhauses herrschte Unruhe. Mehrere Personen in weißen Kitteln standen heftig diskutierend vor der Pförtnerloge.

So unauffällig wie möglich schoben die beiden Männer den Rollstuhl aus dem Lift, wandten sich nach rechts und verließen unbemerkt durch einen Seiteneingang das George Fountain General Hospital in Tupelo.

Kaum standen sie draußen, rollte ein dunkler Van mit dem Schriftzug einer örtlichen Großwäscherei heran. Die Hecktüren wurden aufgestoßen, eine Planke herausgeschoben, und binnen weniger Sekunden waren die beiden falschen Ärzte und der Rollstuhl mit John Doe darin verschwunden.

***

Johnson und Walker saßen an ihren Schreibtischen im Lee County Sheriff Department und erledigten den Papierkram der Nacht. Draußen war es schon hell, die Tagschicht schon eingetroffen, und die Kollegen standen mit Kaffeebechern in den Händen auf dem Flur.

Die üblichen morgendlichen Gespräche machten die Runde, Telefone klingelten, und die ersten Teams machten sich in den Streifenwagen auf den Weg zu vermuteten Einbrüchen und Autodiebstählen. Nicht auszuschließen, dass auch die eine oder andere Leiche noch dazukam.

Walker und Johnson konnte das egal sein, sie hatten jetzt Dienstschluss.

»Walker! Johnson!«

Die Stimme von Sheriff Samuelson dröhnte den Flur entlang bis ins Büro der beiden Deputys. Walker und Johnson sahen sich an, überlegten kurz, was sie wohl falsch gemacht haben konnten, und sprangen dann auf. Im selben Moment stand auch schon Samuelson im Türrahmen.

Im Gegensatz zu seiner Stimme war er eher schmächtig, hatte kurz geschnittene, graue Haare und abstehende Ohren, an deren Rötung man ziemlich genau den Zustand seiner Erregung ablesen konnte. Im Moment waren sie blassrosa, was ein gutes Zeichen war.

»Sie haben doch gestern Abend den Junkie aus der Telmac Street ins General gebracht!«

Obwohl es keine Frage war, nickten die beiden automatisch.

»Irgendeine Ahnung, wer das war?«

»Nicht die geringste«, antwortete Walker und zuckte die Schultern.

»Er hatte keinerlei Papiere bei sich«, fügte Johnson hinzu.

»Nun, es scheint wohl kein einfacher Junkie gewesen zu sein«, erklärte Sheriff Samuelson mit deutlich reduzierter Phonstärke. »Man hat ihn heute Morgen gegen 5.30 Uhr aus dem Krankenhaus geholt …«

»Wieso … und wer?«, wollte Johnson sofort wissen.

»Weder das eine noch das andere ist klar. Klar ist nur, dass wir dort drei Leichen haben, die auf das Konto der Leute gehen, die ein besonders starkes Interesse an diesem Junkie haben.«

Johnson und Walker sahen sich sprachlos an. »Wie bitte? Das ist doch ein Scherz«, sagte Walker mit einem unsicheren Grinsen.

»Ganz bestimmt nicht. Die Mordkommission ist vor Ort und möchte sofort mit Ihnen sprechen. Also setzen Sie sich in Bewegung, Deputys!«

Eine Viertelstunde später bog der Wagen des Sheriff Department mit heulenden Sirenen und rotierendem Blaulicht in die Auffahrt zum George Fountain General Hospital ein und Johnson stieg in die Bremsen. Das Heck des Ford Crown brach aus, der Wagen stellte sich quer und kam gerade noch vor der Ansammlung von Fahrzeugen, die die Einfahrt blockierten, zum Stehen.

Die beiden Deputys stiegen aus und wurden, nachdem sie sich identifiziert hatten, sofort zu Lieutenant Aldiss gebracht, der den Einsatz leitete. Mit wenigen Sätzen brachte er Walker und Johnson auf den Stand der Ermittlungen, wobei der Ablauf der Ereignisse, die zum Tod der Krankenschwester und der beiden Pfleger geführt hatte, ziemlich klar war. Es ging im Moment einzig um das Warum .

»Sie haben den Mann in der Telmac Street bewusstlos gefunden?«, überprüfte der Lieutenant noch einmal das, was er im Aufnahmeprotokoll des Krankenhauses schon gelesen hatte.

Walker und Johnson bejahten.

»Und Sie haben keinen Anhaltspunkt, wer der Mann sein könnte?«

»Wir dachten, es sei ein Junkie, der etwas zu viel oder schlechten Stoff abbekommen hat. Er war ziemlich hinüber, als wir ihn fanden.«

Aldiss nickte. »Nun, hier im Krankenhaus hat sich herausgestellt, dass sein Zustand durch einen heftigen Cocktail von Barbituraten herbeigeführt worden ist …«

Walker und Johnson schienen nicht beeindruckt. Auf ihren Gesichtern stand deutlich geschrieben: Was diese Junkies nicht alles nehmen, wenn sie keinen Stoff haben …

»… und es ist, wie die Ärzte meinen, ziemlich unwahrscheinlich, dass er sich diese Dosis selbst beigebracht hat. Es waren Medikamente, die ihm in regelmäßigen Abständen verabreicht worden sein müssen, wozu er nach der ersten Einnahme gar nicht mehr fähig gewesen wäre.«

Nun horchten auch die beiden Deputys auf.

»Also, meine Herren, irgendwelche Vermutungen, wer der Mann sein könnte?«

Johnson und Walker sahen sich an. Dann begann Walker zu sprechen. »Nun, Lieutenant, er schien nicht wirklich in die Gegend zu passen. Die Telmac Street ist Gangland, gehört zu den Cosmic Kings . Keine wirklich wilde Gang, aber auch bei denen regieren die Gewalt, die Drogen und das Geld. Außerdem war er ein Weißer. Kein Weißer aus Tupelo oder Umgebung würde freiwillig dorthin gehen. Und seine Kleidung war eigentlich zu gut für einen Tramp, der sich vielleicht dorthin hätte verirren können. Ich bin der Meinung, es muss ein Fremder sein.«

Lieutenant Aldiss nickte. »Danke, Deputy. Leider haben wir nichts in der Hand. Weder konnte der Mann befragt werden, noch ist er fotografiert worden, denn niemand konnte ja damit rechnen, dass er so schnell wieder verschwinden würde. Es hat wohl auch keinen Zweck, aufgrund Ihrer Erinnerung ein Phantombild anzufertigen …«

Walker schüttelte den Kopf und Johnson meinte: »Nein, Lieutenant, ich kann mich kaum noch erinnern, wie er ausgesehen hat. Wir haben ihn ja auch nur in der dunklen Straße gesehen, da lag er auf dem Boden und wir hatten andere Sorgen – Sie wissen ja: Gangland!«

»Verstehe«, räumte Aldiss ein. »Ich hatte auch nichts anderes erwartet. Wir sind gerade dabei, das Krankenzimmer kriminaltechnisch zu untersuchen. Vielleicht finden wir ja ein paar Fingerabdrücke von dem Mann, die uns möglicherweise weiterhelfen können. Und natürlich auch von den Entführern, obwohl ich das für noch unwahrscheinlicher halte.«

»Können wir dann wieder gehen?«, fragte Johnson.

Der Lieutenant dachte einen Moment nach. »Kennen Sie sich auf der North Side aus?«

Johnson zuckte die Schultern. »Wie man sich in einem solchen Viertel schon auskennen kann.«

»Ich denke, Sie sollten sich dort einmal umhören. Vielleicht ist der Mann ja jemandem aufgefallen. Wie Sie schon sagten, er gehörte nicht dorthin. Vielleicht ist er auch ausgeraubt worden und wir haben Glück und stolpern über die Täter. Dann hätten wir vielleicht irgendetwas, was uns seine Identität offenbart.«

Weder Johnson noch Walker waren begeistert. Die Leute in der Telmac Street und den umliegenden Straßen waren in solchen Fällen nicht besonders gesprächig, ja eher verstockt, wenn ein Polizist etwas von ihnen wollte.

»Ich denke, Sie übernehmen das, Walker. Ich stelle Ihnen Detective Mosley zur Seite«, bestimmte Aldiss und schickte einen in der Nähe stehenden Officer los, den Detective zu holen. Johnson blickte den Lieutenant irritiert an.

»Tut mir leid, Johnson, das ist nichts gegen Sie persönlich, aber für diesen Einsatz sind Sie etwas zu blass. Das würde die Sache nur noch komplizieren.«

»Klar, ein Weißbrot hat dort keine Chance«, stimmte Johnson zu.

***

Der nächste Morgen hatte für Phil, mich und Mr High um sechs Uhr begonnen und war bis zu diesem Zeitpunkt, da mein Partner und ich in einem FBI-Jet Richtung Jackson Mississippi flogen, an Hektik wohl kaum zu überbieten gewesen. Ausgestattet mit den Privilegien eines Inspektors des FBI – und das waren nicht unerhebliche, wie zum Beispiel die Benutzung eines FBI-Flugzeugs –, waren wir auf dem Weg, das Verschwinden von Edward G. Homer zu klären.

»Wir haben nichts«, stellte Phil resigniert fest und legte den dünnen Aktendeckel, den wir von Director Fuller erhalten hatten, zur Seite.

»Ich glaube, es hat keinen Sinn, sich jetzt weiter darüber Gedanken zu machen. Warten wir ab, was wir vor Ort herausbekommen«, gab ich zurück und zuckte die Schultern.

»Glaubst du, dass Homer sich verkauft hat?«

Ich blickte Phil entgeistert an. »Völlig unmöglich! Absolut ausgeschlossen!«

Phil nickte beiläufig.

Mit einem leisen Pling gingen die Anschnallzeichen an und die Maschine verlor merklich an Höhe. Ich warf einen Blick aus dem Fenster. Unter uns zogen sich die endlosen Felder von Mississippi dahin. Wir befanden uns im Landeanflug auf Jackson.

Vor dem Flughafengebäude empfingen uns die schwüle Sommerhitze und Special Agent Mayfair Crispel vom Field Office in Jackson.

»Inspektor Cotton, Inspektor Decker.« Sie streckte uns ihre schmale Hand entgegen. Vor uns stand eine farbige Frau Ende zwanzig. Ihr Teint war nicht ganz dunkel, eher hatte ihre Haut die Farbe von Milchkaffee. Sie war knapp sechs Fuß groß und hatte ihr Kraushaar kurz rasiert, sodass es wie ein schwarzer Helm ihren Kopf umschloss.

Ihre großen Augen musterten uns aufmerksam. Im rechten Ohrläppchen schimmerte ein Ohrstecker. Ich vermutete, dass es ein kleiner Brillant war, der uns da anglänzte. Sie trug eine weite, helle Baumwollhose, ein gelbes T-Shirt und darüber eine einfache Jacke.

Es war nicht schwer zu erkennen, dass sie kein Pfund zu viel auf den Knochen hatte und dass die vorhandenen Pfunde genau richtig verteilt waren.

Phil und ich waren einen Moment verwirrt. Es war das sonst übliche »Agent«, was wir vermissten.

»Agent Crispel, schön, dass Sie uns abholen«, gab ich nach einem kurzen Räuspern zurück. »Mächtig heiß haben Sie’s hier.«

Wir schüttelten uns die Hände. Während ihre trocken wie die Sahara waren, hatte sich bei mir schon ein dünner Schweißfilm auf der Haut gebildet. Crispel führte uns zu einem neutralen Wagen, der nur ein paar Yards entfernt in einer absoluten Parkverbotszone abgestellt war. Hinter dem Lenkrad saß ein weiterer Agent des Field Office. Wir verstauten unsere Reisetaschen im Kofferraum und ließen uns im klimatisierten Innenraum des Wagens in die Sitze fallen.

Lieber Bastei-Verlag; Herzliche Gratulation und ein großes Dankeschön für 60 Jahre JERRY COTTON. Jerry Cotton begleitet mich schon über 50 Jahre. In dieser schnelllebigen Medienwelt einen Groschenroman 60 Jahre im Zeitschriftenmarkt zu vermarkten verdient großen Respekt.

Markus Rudin, Basel

»Guten Flug gehabt?«, fragte Crispel von Beifahrersitz und drehte sich halb zu uns um.

»Ganz bestimmt, wenn man mit der Flugbereitschaft des FBI reist«, gab Phil zurück und wollte es wohl ein bisschen nonchalant klingen lassen. Doch bei Crispel schien es eher das Gegenteil zu bewirken.

»Ja, Inspektor zu sein hat schon seine Vorzüge.« Sie richtete die Worte an keinen von uns beiden direkt, sondern erweckte den Eindruck, es einfach so vor sich hin zu sagen.

Ich wollte Mayfair Crispel schon darauf hinweisen, dass auch wir gestern noch einfache Agents gewesen waren, doch ich hielt mich gerade noch zurück und warf auch Phil einen warnenden Blick zu.

Director Fuller hatte uns klar zu verstehen gegeben, dass wir uns bedeckt halten und nicht zu kollegial auftreten sollten, solange wir die Situation nicht klar einschätzen konnten.

»Nun«, erwiderte ich zurückhaltend, »wir haben die Regeln nicht gemacht.«

Mayfair Crispel wurde auch sofort wieder sachlich. »Special Agent in Charge Peter Brandon erwartet Sie im Field Office. Geht es um den verschwundenen Assistant Director?«

Ich schaute die Frau erstaunt an. Ein leichtes Grinsen stahl sich auf ihr Gesicht.

»Inspektor Cotton, auch wir hier im tiefen Süden haben eine ordentliche Ausbildung genossen und können zwei und zwei zusammenzählen …«

»Nun«, gab ich zögerlich zurück, »Sie werden verstehen, dass wir bestimmten Vorschriften unterliegen …«

In diesem Moment unterbrach Phil meine wohlgesetzten Worte, und es war klar, dass er sich noch nicht auf seine neue Rolle als Inspektor eingestellt hatte.

»Natürlich geht es um Assistant Director Homer. Das dürfte ja wohl klar sein, Agent Crispel. Reden wir nicht lange herum, wir sind hier, um den Verbleib des Assistant Director zu klären. Können Sie uns dabei weiterhelfen?«

Mayfair Crispel zuckte die Schultern und vertröstete uns auf den Leiter des Field Office.

***

Deputy Walker ließ den Streifenwagen langsam am Bordstein ausrollen. Als der Wagen stand, schaute Ben Mosley den Kollegen fragend an.

»Genau hier hat der Mann gelegen«, erklärte Walker und deutete an dem Detective auf dem Beifahrersitz vorbei auf den verfallenen Bretterzaun. Mosley öffnete die Tür und stieg aus, während Walker noch die Meldung an die Zentrale durchgab, dass sie jetzt den Wagen verließen. Dann stieg er ebenfalls aus und ging um den Wagen herum zu Mosley, der sich hingehockt hatte und die bezeichnete Stelle in Augenschein nahm. Als er sich wieder aufrichtete, schüttelte er den Kopf.

»Nichts zu finden. Keinerlei Spuren.«

Deputy Walker nickte zustimmend.

»Dann wollen wir mal die Gegend in Augenschein nehmen.«

Die beiden Cops blickten sich um. In der drückenden Mittagshitze war niemand zu sehen. Ob das gut oder eher schlecht war, mochte Walker nicht entscheiden. Irgendwo würden die Gangs schon herumlungern.

Sie gingen an dem Zaun entlang, bis sie zu einer Lücke kamen, in der sich in besseren Zeiten wohl eine Tür befunden hatte. Der Blick in den Vorgarten des verfallenen Holzhauses war mehr als ernüchternd: ein Müllplatz, der sich allerdings nicht viel von den Nachbargrundstücken unterschied.

»Ich denke, wir fangen am besten gleich hier an«, schlug Walker vor.

»Hey, was wird denn das, Bruder ?«

Alarmiert drehten sich Walker und Mosley um. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite standen fünf farbige Kerle, die betont lässig an dem Wrack eines Ford F-150 lehnten. Walker trat einen Schritt nach vorn. »Was glaubst du denn, was das wird, Bruder ?«

»Das da drüben ist Privatbesitz«, erklärte der Anführer der fünf und stieß sich von dem Pickup ab, »und wir haben es nicht so gern, wenn man bei uns herumschnüffelt.«

»Ach ja, dann habt ihr also was zu verbergen«, mischte sich Mosley ein und schob sein Jackett etwas zurück, sodass man seine Waffe im Gürtelholster sehen konnte.

Wie hingezaubert hielten auf einmal drei der Farbigen Baseballschläger in der Hand. Jetzt bewegten sich alle betont langsam über die Straße auf die beiden Polizisten zu. Walker brachte seine Hand ebenfalls in die Nähe seiner Dienstwaffe und schob sich unmerklich auf den Streifenwagen zu.

Die Situation war nicht wirklich bedrohlich, konnte aber schnell aus dem Ruder laufen. Wenn die Kerle mit irgendwas zugedröhnt waren, dann half ihnen ihre Polizeimarke nur wenig, und wenn sie gezwungen waren, gezielt zu schießen, dann konnte das gut einen Krieg auslösen.

»Mal ganz ruhig, Jungs. Wir wollen alle ganz ruhig bleiben und keinen Ärger machen, okay?«, versuchte Walker die Situation in den Griff zu bekommen. Er hatte bemerkt, dass die fünf zu den Cosmic Kings gehörten. »Ihr seid doch von den Cosmic Kings . Meint ihr, Bedrock würde es imponieren, wenn ihr hier wegen dieses alten Schuppens einen Aufstand anfangt?«

»Da wohnen drei von unseren Kumpels. Das ist Gang-Territorium, da haben die Bullen nichts verloren.«

Walker holte tief Luft. Die fünf waren inzwischen bis auf zwei Yards an die beiden Cops herangekommen. Sie waren anscheinend nicht zugedröhnt, wie Walker glaubte feststellen zu können, also war es nur das übliche Drohgehabe.

»Ich mach euch einen Vorschlag. Wir haben nur ein paar Fragen, die wir euren Kumpels im Haus da drüben stellen wollen. Also, warum kommt ihr nicht einfach mit, damit ihr seht, dass wir nichts von ihnen wollen?«

Detective Mosley traten die Schweißperlen auf die Stirn. Was Walker da vorschlug, war reiner Selbstmord. Wenn die fünf Gang-Mitglieder erst einmal so nahe an sie herangekommen waren, dann hätten sie ganz bestimmt keine Chance mehr. Er hoffte, dass der Deputy wusste, was er tat.

Die Farbigen sahen sich an, wussten anscheinend nicht, wie sie sich zu diesem Angebot stellen sollten. Dann verzog sich das Gesicht des Wortführers zu einem breiten Grinsen. »Okay, greifen wir den Bullen mal unter die Arme.«

Walker und Mosley gingen umringt von den Mitgliedern der Cosmic Kings durch die Lücke im Zaun auf den mit Müll übersäten Hof. Mosley blickte sich unauffällig um, aber wenn es hier irgendeinen Hinweis geben sollte, würde man ein komplettes CSI-Team brauchen, um ihn zu finden.

Als sie am Fuß der Treppe zur vorderen Veranda angekommen waren, rief der Anführer der Gruppe: »Hey, Sugar Ray, Danny, Bloodshot. Hier ist ein SWAT-Team, das euch den Arsch aufreißen will. Besser ihr kommt mit erhobenen Händen und runtergelassenen Hosen heraus!«

Walker warf dem Schreihals einen vernichtenden Blick zu. Der zuckte nur die Schultern, während seine Kumpels in lautes Lachen ausbrachen.

Der Deputy achtete nicht weiter darauf und hatte die fünf Stufen mit zwei großen Schritten genommen. Seine Schritte dröhnten auf der Veranda, als er auf die Tür zuging. Noch bevor ihm der süßliche Leichengeruch bewusst wurde, hatte er schon die morsche Tür aufgerissen und das Haus betreten.

Eine schwarze Wolke von Fliegen erhob sich vom Boden und surrte böswillig durch den Raum. Der Gestank traf Walker wie eine massive Wand, er machte instinktiv einen Schritt zurück und prallte gegen Mosley, der direkt hinter ihm stand. Von den fünf Cosmic Kings kam ein kollektives Aufstöhnen.

Walker riss ein Taschentuch aus seiner Hosentasche und presste es vor die Nase. Dann machte er vorsichtig drei Schritte in den Raum. Durch die mit Brettern fast vollständig vernagelten Fenster drang das gleißende Sonnenlicht nur gedämpft herein, aber es war hell genug, um die drei Körper zu sehen, die verkrümmt auf dem Boden lagen und schon Spuren der einsetzenden Verwesung aufwiesen.

Die Fliegen tobten ob der Störung wütend um die Köpfe der beiden Cops, während einer der Jungs sich deutlich hörbar auf der Veranda übergab. Walker machte kehrt und lief zum Streifenwagen.

***

Special Agent in Charge Brandon war ein mittelgroßer Farbiger mit glattrasiertem Schädel. Als wir sein Büro betraten, erhob er sich aus seinem Stuhl und kam um den Schreibtisch herum, um uns zu begrüßen.

»Inspektor Cotton, Inspektor Decker, was kann ich für Sie tun?«

Wir reichten uns die Hände, nahmen auf den angebotenen Stühlen am Besprechungstisch Platz. Die Sekretärin, an der wir vorbeigekommen waren, trat hinter uns ein und stellte vier Flaschen Wasser auf den Tisch. Brandon nickte ihr zu und sie verließ das Büro wieder.

»Nun, Special Agent«, begann ich, »am meisten würde es uns helfen, wenn Sie uns den Aufenthaltsort von Assistant Director Homer nennen könnten.« Es sollte locker klingen, die gespannte Atmosphäre etwas entschärfen. Doch Brandon hielt es nicht einer Antwort für würdig.

»Special Agent Brandon.« Phils Stimme hatte einen ziemlich offiziellen Klang angenommen, anscheinend hatte er schneller als ich begriffen, dass Kollegialität und Inspektor zwei Dinge waren, die nicht zusammenpassten. »Assistant Director Homer hatte sich für den 1. Juli hier angemeldet. Was war der Grund für seinen Besuch? Warum wurde er nicht wie wir vom Flughafen abgeholt? Was haben Sie unternommen, als Assistant Director Homer nicht zur erwarteten Zeit hier eingetroffen ist? Sind zwischen dem 1. Juli und heute irgendwelche Nachforschungen über seinen Verbleib angestellt worden?«

Brandon hatte fast gelangweilt Phils Fragenkatalog zugehört. Jetzt gab er seine entspannte Sitzhaltung auf und beugte sich nach vorn.

»Inspektor Decker, werden im Hauptquartier keine Akten mehr über wie mir scheint doch sehr relevante Vorgänge wie das Verschwinden eines Leiters einer Field Operation Section mehr angelegt?«

Touché , dachte ich mir, verzog aber keine Miene.

»Nun, wir würden es aber gerne aus Ihrem Mund hören, und ich brauche Ihnen ja nicht zu sagen, dass jede Kleinigkeit von Bedeutung sein kann.«

»Gut«, lenkte Brandon ein, stand auf, ging zu seinem Schreibtisch und kam mit einem dünnen Aktendeckel zurück. »Ein Teil dessen, was ich Ihnen jetzt sage, ist natürlich erst wesentlich später festgehalten worden. Also nageln Sie mich bei Zeitangaben nicht auf die Minute fest.«

»Schon klar«, warf ich ein, um die Situation zu entspannen. In Phils Ton konnte es nicht weitergehen, wir brauchten die Unterstützung der Kollegen vor Ort.

»Am 30. Juni, so gegen 14 Uhr, erhielt ich einen Anruf von Assistant Director Homer, in dem er seinen Besuch für den darauffolgenden Tag ankündigte. Auf meine Frage, was der Grund dafür sei, wiegelte er ab und vertröstete mich auf seine Ankunft. Auf die Frage, wann ich ihm einen Wagen zum Flughafen schicken sollte, antwortete er, er wüsste noch nicht genau, welchen Flug er nehmen würde, und er wollte kein Aufheben machen und sich ein Taxi nehmen. Als er dann am 1. Juli auch mit der letzten Maschine um 20 Uhr nicht in Jackson eingetroffen war, rief ich in Washington an und erfuhr, dass Assistant Director Homer bereits um 16 Uhr hätte hier eingetroffen sein müssen.« Brandon klappte den Aktendeckel zu. »Der Rest müsste bekannt sein.«

Phil und ich nickten. »Und die Nachforschungen sind sämtlich ohne einen Anhaltspunkt geblieben?«

Jetzt nickte Brandon. »Wir wissen, dass er angekommen ist, die Maschine verlassen hat und danach wie vom Erdboden verschwunden ist.«

»Taxifahrer?«, fragte ich.

Brandon zuckte die Schultern. »Wissen Sie, wie viele Taxis es in Jackson gibt? Ein absolut unauffällig aussehender Mann in einem Geschäftsanzug verlässt den Flughafen und nimmt sich ein Taxi – wie groß ist Ihrer Meinung nach die Chance, dass der Taxifahrer sich an ihn erinnert?«

Ich antwortete nicht. Brandon hatte absolut recht, und wenn wir die Nadel im Heuhaufen hätten suchen müssen, wären unsere Chancen im Moment wesentlich besser gewesen. Andererseits, wenn man einmal das Undenkbare denkt und Homer hatte sich wirklich kaufen lassen, dann hätte es tausend bessere Möglichkeiten gegeben, sich abzusetzen. Also, was blieb? Er war entführt worden. Aber wieso und warum? Viel brennender war allerdings die Frage: Wer hatte von dem Trip nach Jackson wissen können?

»Wer wusste von der Ankunft von Assistant Director Homer?«

Brandon schaute mich irritiert an.

»Ich meine, wer hat gewusst, dass der Assistant Director dem Field Office einen Besuch abstatten wollte?«

»Ich und meine engsten Mitarbeiter, die ich natürlich davon informiert hatte. Ich hatte auch nicht den Eindruck, dass Assistant Director Homer den Besuch als top secret behandelt haben wollte – und außerdem, Inspektor Cotton, wie ich schon sagte: Keiner wusste, wann der Assistant Director genau hier ankommen würde.«

Das war ein Argument, aber kein unbedingt schlüssiges.

***

Was Walker und Mosley hatten verhindern wollen, war jetzt eingetreten: Krieg stand im Gangland bevor. Die Holzhütte, in der sie die drei Leichen gefunden hatten, war von Einsatzkräften des Police Department und des Sheriff-Büros abgeriegelt, die Männer der CSU in ihren weißen Plastikoveralls suchten jeden Inch des Geländes ab, und die fünf Mitglieder der Cosmic Kings standen in Handschellen schwer bewacht am Straßenrand und warteten auf ihren Abtransport ins Police Headquarter.

»Schöne Scheiße«, knurrte Lieutenant Aldiss und schaute die Telmac Street hinunter, wo sich hinter der Polizeiabsperrung eine Menge farbiger Jugendlicher versammelt hatten, denen der Hass deutlich ins Gesicht geschrieben stand.

Natürlich waren die Cosmic Kings davon überzeugt, ihre Kumpels wären von einer rivalisierenden Gang umgebracht worden – ein Gedankengang, den die anderen Gangs nachvollziehen und sich ausmalen konnten, was als Nächstes passieren würde.

Eine Frau vom CSU-Team trat zu dem Lieutenant und schob sich die Kapuze vom Kopf. Ihr Haar klebte am Kopf und der Schweiß lief ihr in Strömen über das Gesicht.

»Und, Doctor Chambers?«, fragte Aldiss.

»Nichts Greifbares, leider«, gab die Frau zurück. »Vielleicht könnte es sich so abgespielt haben: Der oder die Täter haben auf die Jungs gewartet, und als sie das Haus betreten haben, sind sie erschossen worden. Wenn Sie mich fragen, glaube ich allerdings an einen Einzeltäter. Es sieht für mich so aus, als ob alle drei mit der gleichen Waffe erschossen wurden. Keine Gegenwehr, obwohl einer wohl noch eine Waffe ziehen wollte. Genaueres wie üblich nach der Obduktion.«

»Todeszeitpunkt?«

Ein Rascheln des Overalls ließ darauf schließen, dass Chambers die Schultern zuckte. »Acht bis zehn Stunden, grob geschätzt.«

»Okay, danke, Doc. Ich warte auf Ihren Bericht.«

Dr. Chambers ging zum Van der CSU, und schon auf dem Weg dorthin schälte sie sich aus dem lästigen Overall, der in der Hitze wie ein Saunaanzug wirkte.

»Hängt das mit unserem Vermissten zusammen oder ist das nur so ein verdammter Zufall, der jegliche Ermittlungen zum Alptraum werden lässt?« Lieutenant Aldiss schaute Detective Mosley und Deputy Walker auffordernd an.

»Irgendwie sieht das nicht wie ein Gang-Mord aus«, erklärte Walker zögerlich. »Schon gar nicht, wenn sich bestätigen sollte, dass die drei mit einer Waffe ermordet worden sind. Man geht hier nicht alleine in das Gebiet einer anderen Gang, das wäre Selbstmord. Und dann noch die Smith & Wesson, die hätte man nie zurückgelassen. Ich glaube, das hängt irgendwie zusammen.«

Lieutenant Aldiss nickte nachdenklich. Er warf einen letzten Blick über die Einsatzkräfte in der Telmac Street und sagte dann: »Gut, gehen wir mal davon aus, dass Sie recht haben, Deputy, dann liegt ein schönes Stück Arbeit vor uns. Ich brauche Sie auf jeden Fall für unsere Ermittlungen. Einsatzbesprechung heute um 16 Uhr im Revier.«

»Aber Lieutenant …«, setzte Walker an.

»Schon gut, Deputy. Ich kläre das mit Sheriff Samuelson ab. Sie und Mosley bilden ab sofort ein Team.«

Walker und Mosley schauten sich an.

»Na, dann führe ich Sie mal im Gangland ein«, meinte Walker mit einem Grinsen. Mosleys Begeisterung hielt sich in Grenzen.

»Zuerst versuchen wir mal herauszubekommen, was die drei Leichen getrieben haben, als sie noch nicht in diesem Zustand waren.«

***

»Wie gehen wir jetzt weiter vor?«, fragte ich Phil und fühlte mich selten hilflos. Nach der ziemlich unerquicklichen Unterhaltung im Field Office hatten wir uns zuerst zu der Autovermietung begeben, bei der ein Wagen für uns reserviert worden war. Ein Ford Explorer, für den auch die in Mississippi noch häufig vorhandenen Staubpisten kein Problem darstellten. Danach hatten wir uns ins Hotel begeben und erst einmal geduscht. Jetzt saßen wir in der klimatisierten Bar vor einer eisgekühlten Cola und versuchten unsere Ratlosigkeit zu bekämpfen.

»Vielleicht bietet die Sache mit dem Field Office in Little Rock einen Ansatzpunkt«, schlug Phil vor.

»Da haben wir aber auch nicht mehr in der Hand als einen Telefonanruf von Homers Handy und somit auch keinen Hinweis, wo er sich zu diesem Zeitpunkt befand«, hielt ich meinem Partner entgegen.

»Gehen wir einmal davon aus, Homer ist entführt worden. Niemand hat sich gemeldet und Lösegeld oder etwas anderes gefordert. Warum ist er also entführt worden?«

»Um an Informationen zu kommen«, beantwortete ich die Frage.

Phil ließ sich in seinen Gedankengängen nicht irritieren. »Gehen wir davon aus, dass er nicht entführt, sondern schlicht ermordet worden ist, dann suchen wir eine Leiche und die Täter. Auch hier ist die Frage wieder: Warum?«

»Glaubst du wirklich?«, fragte ich und mir lief ein kalter Schauder den Rücken hinunter.