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Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 3015 - Beim Sterben ist jeder der Erste
Jerry Cotton 3016 - Tödliche Wahrheiten
Jerry Cotton 3017 - Von der Meute gehetzt
Jerry Cotton 3018 - Eine falsche Entscheidung
Jerry Cotton 3019 - Leichen schweigen nicht
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Seitenzahl: 668
Veröffentlichungsjahr: 2023
Jerry Cotton SB 48
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2014 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | PanicAttack
ISBN: 978-3-7517-4707-3
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Jerry Cotton 3015
Beim Sterben ist jeder der Erste
Jerry Cotton 3016
Tödliche Wahrheiten
Jerry Cotton 3017
Von der Meute gehetzt
Unsere Empfehlungen
Jerry Cotton 3018
Eine falsche Entscheidung
Unsere Empfehlungen
Jerry Cotton 3019
Leichen schweigen nicht
Unsere Empfehlungen
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Contents
Beim Sterben ist jeder der Erste
»Hey, Mann, was glotzt du so?«
Barry Nolan ließ das Päckchen mit dem schneeweißen Pulver in der linken Tasche seines Mantels verschwinden. Die Rechte griff nach der Waffe, die er am Gürtel trug, einem kurzläufigen Revolver Kaliber 22. Nolan riss die Waffe heraus. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Pupillen unnatürlich geweitet. »Ja, dich meine ich!«, rief er heiser.
Er richtete den Revolver auf den schwarzbärtigen Mann mit der Baseballkappe, der wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien. »Warum verfolgst du mich?«
»Ich verfolge Sie nicht. Ehrlich!«
Barry Nolan kam näher. Der Bärtige wagte es nicht, sich zu rühren.
Barry Nolan spannte den Hahn seines Revolvers.
Die Gedanken rasten nur so durch Barry Nolans Kopf. Er wandte sich kurz um. Der Dealer, von dem er den Stoff hatte, war längst auf und davon. Aber dieser schwarzbärtige Kerl dort hatte alles gesehen, die ganze Transaktion, da war sich Nolan sicher.
»Hören Sie, ich werde jetzt einfach weitergehen«, sagte der Bärtige. »Und Sie gehen auch weiter. Ich weiß nicht, wer oder was Ihnen heute so auf die Nerven gegangen ist, dass Sie mit einer Waffe herumfuchteln. Aber ich will nichts von Ihnen, und da wir uns vollkommen zufällig begegnet sind, wüsste ich auch nicht, was Sie von mir wollen.«
Nolans Revolverhand zitterte.
Ein Cop, das war sein erster Gedanke gewesen. Ein Cop, der mir eine Falle gestellt hat, in die ich hineingetappt bin!
Aber an dieser Theorie hatte Nolan inzwischen erhebliche Zweifel. Es musste irgendetwas anderes dahinterstecken.
Der Bärtige drehte sich um.
Offenbar wollte er seine Ankündigung in die Tat umsetzen und tatsächlich einfach gehen. Aber so leicht wollte Nolan ihn nicht davonkommen lassen.
»Keine Bewegung«, sagte er.
Sie befanden sich in einem Hinterhof. Die Müllcontainer quollen über. Ein paar parkende Fahrzeuge wirkten wie ausgeschlachtet. Es war nicht gerade die beste Gegend von Philadelphia.
Der Bärtige blieb stehen.
»Nicht umdrehen«, sagte Nolan. Er ging von hinten an den Bärtigen heran und setzte ihm den kurzen Lauf des Revolvers an den Kopf. Mit der anderen Hand begann er, den Mann zu durchsuchen. Er war auf jeden Fall unbewaffnet. In den Taschen des ausgeleierten Parkas, den der Bärtige trug, fand Nolan eine Brieftasche. Die nahm er heraus, trat dann ein paar Schritte zurück.
In der Brieftasche befanden sich ein gültiger Führerschein, eine Kreditkarte, die Karte einer Krankenversicherung – alle ausgestellt auf den Namen Gordon O’Meany.
»Ich habe Sie schon einmal gesehen, Gordon O’Meany«, stellte Nolan fest.
»Das glaube ich nicht.«
»Gestern, als ich in dem Coffee Shop war. Da saßen Sie in einem parkenden Wagen auf der anderen Straßenseite!«
»Hören Sie, ich sagte es schon einmal, ich will nichts von Ihnen.«
»Und ich stelle Ihnen jetzt noch einmal die Frage: Warum spionieren Sie mir hinterher?«
»Sie reden Unsinn.«
»Ich glaube einfach nicht an Zufälle, Mr O’Meany. Dass Sie mir an zwei Tagen an zwei verschiedenen Orten begegnet sind, muss einen Grund haben.«
»Ihre rote Nase auch.«
»Was soll das denn heißen?«
»Falls Sie Allergiker sind oder sich total erkältet haben, gar nichts. Aber falls Sie andere Probleme haben, nehmen Sie sich eine der Karten aus meiner Brieftasche und rufen Sie mich gelegentlich an.«
Nolan steckte die Waffe ein, um beide Hände frei zu haben. Falls der Kerl ihn angreifen sollte, konnte er sie schnell genug aus der Manteltasche ziehen. Er lockerte die Krawatte. Dann sah er genauer in der Brieftasche nach und fand die Visitenkarten, die der bärtige O’Meany offenbar meinte.
» Fight the Drugs Foundation «, las Nolan stirnrunzelnd. Er steckte die Karte ein. Seine Hand glitt dabei in die Manteltasche und umfasste wieder den Revolvergriff.
»Da arbeite ich mit«, sagte der Bärtige. »Genauer gesagt, ich leite das Philadelphia-Büro der Organisation.«
Nolans Gesicht lief dunkelrot an. Er riss die Waffe erneut heraus und richtete sie auf O’Meany.
»Verpiss dich!«, stieß er hervor.
»Ihr Mantel ist aus Kamelhaar, Ihr Anzug sieht aus, als hätte er mehr als 1000 Dollar gekostet. Ich glaube nicht, dass Sie auf den Inhalt meiner Brieftasche wirklich angewiesen sind, Mr!«
O’Meany streckte die Hand aus.
»Na los, verpiss dich, du Scheiß-Gutmensch!«, rief Nolan dann und warf ihm die Brieftasche hin. O’Meany hob sie auf und steckte sie ein.
»Was ich gesagt habe, meine ich ernst«, sagte O’Meany. Dann drehte er sich um und ging.
Nolan sah ihm einen Moment nach. Er steckte die Waffe ein und ging weiter.
Als er um die Ecke ging, bekam O’Meany gerade noch mit, wie Nolan sich etwas von dem Stoff, den er gerade gekauft hatte, auf den Handrücken häufte, um ihn zu schnupfen.
***
»Mike LaRea, Philadelphia Police Department, Abteilung für organisierte Kriminalität«, sagte der großgewachsene Mann mit dem spitzen Kinn. LaRea war Mitte vierzig und hatte, abgesehen von einem kurzgeschorenen Kranz um die Kopfmitte, kein Haar mehr auf dem Kopf. Seine Augen waren grau und wirkten falkenhaft und durchdringend.
Der uniformierte Cop sah stirnrunzelnd auf LaReas Dienstausweis.
»Ich dachte, das ist ein Fall für die Homicide Squad«, meinte der Officer.
»Überlassen Sie das Denken am besten den Rängen, die dafür auch eine Zulage bekommen, Officer«, sagte Mike LaRea.
Dem Uniformierten schien diese Bemerkung überhaupt nicht zu gefallen. Sein Gesicht wurde finster. »Ich habe schon von Ihnen gehört, LaRea.«
»Nur Gutes, hoffe ich.«
»Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass Sie von Lieutenant Finch dringend erwartet werden.«
»Was Sie nicht sagen.«
LaRea ließ den Officer stehen und ging weiter. Lieutenant Finch stand neben dem Toten, über den sich gerade der Gerichtsmediziner beugte.
»Was wollen Sie denn hier, LaRea?«, fragte Finch, der korpulente Chef der Homicide Squad. LaRea und Finch hatten in derselben Abteilung angefangen, später hatten sich ihre Wege getrennt.
»Ich bin hier, um Ihnen den Fall aus der Hand zu nehmen, Finch.«
»Ich habe gehört, Sie machen das immer noch.«
»Was?«
»Alles an sich ziehen und nichts richtig beenden. Aber dafür ab und zu mal in der Zeitung stehen. Damit macht man sich nicht unbedingt bei den Kollegen beliebt.«
Mike LaRea achtete nicht auf die bissigen Worte seines Kollegen Finch. Seine Konzentration galt voll und ganz dem Toten, der auf dem Pflaster ausgestreckt dalag. Die Nase war so rot wie bei einem Zirkusclown. Das kam bei Leuten, die Kokain schnupften, häufig vor. Nach einer gewissen Zeit wurden die Nasenschleimhäute stark in Mitleidenschaft gezogen. Ständige Entzündungen waren dann die Folge.
»Kann man schon irgendetwas sagen?«, fragte LaRea den Gerichtsmediziner.
»Sieht nach einer Überdosis aus. Er hatte sich wohl gerade eine ziemlich große Portion bei einem Dealer gekauft. Das meiste ist noch in seiner Manteltasche. Allerdings …«
»Ja?«
»Ich werde ihn erst untersuchen müssen.«
»Ich will, dass zuerst das Rauschgift analysiert wird«, sagte LaRea. »Doc, sichern Sie jedes einzelne Pulverkörnchen, das Sie an der Nase finden. Ich brauche die Analyse vorgestern.«
Captain Finch wandte sich an den Gerichtsmediziner. »Das ist Mike LaRea, der Kerl mit der schlechtesten Laune im ganzen Philadelphia Police Department. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er hier auftaucht, sonst hätte ich Sie vorgewarnt.«
Der Gerichtsmediziner runzelte die Stirn. Er war ziemlich jung. Gerade mit dem Examen fertig, schätzte LaRea. Und darüber hinaus wirkte er aufgrund seiner weichen Gesichtszüge, die noch von seinen Naturlocken betont wurden, ohnehin sehr jungenhaft.
Er sah LaRea offen an.
»Ich bin übrigens Dr. James Kellray«, sagte der Gerichtsmediziner ruhig. »Ich gebe zu, dass ich neu hier bin, aber können Sie mir mal sagen, weshalb dieser Aspekt für Sie so wichtig ist?«
»Machen Sie einfach Ihren Job und berichten Sie mir. Dann kann nichts schiefgehen«, sagte LaRea.
»Aber wenn jemand Rauschgift schnupft, ist das in der Regel immer Kokain – mal mit mehr und mal mit weniger Zusätzen.«
»Ja, aber in diesem Fall ist es das vielleicht nicht«, gab LaRea zurück. »Dieser Fall könnte zu unserer Serie gehören. Jemand verkauft Heroin-Pulver als Kokain. Kein Junkie kann das so ohne Weiteres auseinanderhalten, aber …«
»… wer Heroin schnupft, ist kurz danach tot«, stellte Kellray fest.
»Na, wenigstens das wissen Sie«, knurrte LaRea.
Kellray sah auf den Toten. »Ich dachte, das wäre eine normale Überdosis gewesen oder Tod infolge starker Vorschädigungen des gesamten Organsystems durch andauernden Drogenkonsum.«
»Na, gut, dass Sie den Totenschein noch nicht unterschrieben haben«, gab LaRea gallig zurück. »Wahrscheinlich hätten Sie sich auch eine Obduktion erspart.«
»Wir sind gehalten, auf die Kosten zu achten«, sagte Kellray.
»Klugscheißer«, murmelte LaRea.
»Wie wär’s mal mit der Teilnahme an einem dieser Anti-Aggressionskurse, die unser Department anbietet, LaRea?«, mischte sich Lieutenant Finch ein. »Vielleicht noch mit dem Zusatzangebot ›Wie mache ich meine Kollegen froh? Tipps und Tricks für gute Zusammenarbeit‹?«
LaRea wandte das regungslose Gesicht in Finchs Richtung. Er sagte kein Wort, aber sein Blick zeigte die Geringschätzung, die er in diesem Moment empfand.
»Sehen Sie, Dr. Kellray, das meinte ich: LaRea versteht absolut keinen Spaß.«
»Wer war der Tote?«, fragt Mike LaRea ungerührt, als hätte er nichts von dem mitbekommen, was Finch gesagt hatte.
»Er heißt Barry Nolan und arbeitet als Creative Director in einer Werbeagentur am anderen Ende der Stadt«, gab Finch Auskunft.
»Hat er Familie?«, fragte LaRea.
»Frau und zwei Kinder.«
»Wissen sie schon Bescheid?«
»Ein Kollege ist unterwegs. Und die Agentur weiß auch Bescheid. Man hat ihn da schon vermisst.«
Mike LaRea nickte langsam. »Da fährt dieser feine Mr Nolan durch die halbe Stadt, um in dieser miesen Gegend ein paar Gramm Kokain zu kaufen, und ist wenig später tot«, stellte Mike LaRea fest.
»Wie wollen Sie vorgehen, LaRea?«, fragte Lieutenant Finch.
»Ich will, dass alle bekannten Dealer hier in der Gegend einkassiert und verhört werden.«
»Sie wollen herausfinden, wer Mr Nolan den Stoff verkauft hat?«
»Ja. Oder ob einer von denen was beobachtet hat. Ich halte es für ausgeschlossen, dass das ein Fremder war. Schließlich achten die Dealer peinlich genau darauf, dass keine Konkurrenz in ihrem Gebiet Kasse zu machen versucht.«
***
»Ich bin FBI Inspektor Jerry Cotton – und dies ist mein Kollege Inspektor Phil Decker«, stellte ich uns vor. »Und Sie müssen Mike LaRea von der Abteilung gegen organisiertes Verbrechen vom Philadelphia Police Department sein.«
»Bin ich«, sagte der Mann, der uns vom Flughafen abholte.
Wir hatten anderthalb Stunden vorher in Washington eingecheckt, und spätestens jetzt begann die Arbeit an dem Fall, den wir in Philadelphia zu bearbeiten hatten.
Unser Gegenüber ließ keinen Zweifel daran, dass er keine Zeit verlieren wollte. Und ich hatte dafür volles Verständnis.
»Das Hotel, in dem Sie beide untergebracht wurden, ist nicht unbedingt Luxusklasse oder dergleichen«, eröffnete Mike LaRea uns. »Aber es hat den Vorteil, dass es direkt neben dem Hauptquartier des Philadelphia Police Department liegt. So verlieren Sie nicht unnötig Zeit.«
»Wir wissen kurze Wege zu schätzen«, sagte Phil.
»Sie sind ja auch nicht hier, um einen Erholungsurlaub zu machen«, sagte LaRea.
»Auf diesen Gedanken wäre ich auch nie gekommen«, bekannte ich.
»Die Initiative dafür, dass Sie eingeschaltet wurden, ging übrigens von mir aus, auch wenn Ihr Chef nur mit meinem Chef gesprochen hat und ich erst eine Menge Wind machen musste, damit es dazu gekommen ist.«
»Wir sind hier, um Ihnen zu helfen«, sagte ich.
Mike LaRea musterte uns kurz und abschätzig. »Ehrlich gesagt bin ich etwas enttäuscht. Sie kommen mit einem ultra-sparsamen Aufgebot, scheint mir. Eigentlich dachte ich, Sie bringen ein paar Experten mit und nicht nur zwei …«
Ich hob die Augenbrauen. »Ja?«
Mike LaRea machte eine wegwerfende Handbewegung. »Lassen wir das. Ich habe heute nicht meinen freundlichen Tag.«
»Ich kann Sie beruhigen«, sagte ich.
»Ach, ja?«
»Wir sind keineswegs auf uns allein gestellt, sondern können uns auf ein Team von Fachleuten stützen, das aber nicht unbedingt am Ort der Ermittlungen anwesend sein muss, um unserer Arbeit trotzdem wesentliche Impulse zu geben.«
»Ja, das ist wohl die blumige Umschreibung für die Tatsache, dass man uns in Washington offenbar mit unserem Mist alleine lässt. Nichts für ungut, und Ihre Unterstützung weiß ich auch sehr zu schätzen, aber … »
»Aber was?«
Mike LaRea stemmte die Arme in die Hüften und blieb stehen. »Etwas mehr Engagement der FBI-Zentrale hätte ich mir schon gewünscht, muss ich sagen. Hier bricht schließlich sehr wahrscheinlich in Kürze ein Gangsterkrieg los, wie er nur alle paar Jahrzehnte mal vorkommt.«
»Sie können sicher sein, dass man sich in Washington der Brisanz der Lage voll und ganz bewusst ist«, erklärte ich.
»Na, da bin ich ja beruhigt … Denn wenn es hier losgeht, kann es gut sein, dass die Sache auf Miami überspringt. Schließlich hat unser Fall mit einer anderen Sache zu tun, die sich vor einigen Jahren ereignet hat.«
Phil und ich waren erst am Morgen von Mr High, dem Leiter der Field Operation Section East, mit den groben Einzelheiten des Falles vertraut gemacht worden. Im Großen und Ganzen ging es darum, dass Kokainsüchtigen pulverförmiges Heroin verkauft worden war. Pulverisiertes Heroin anstelle von Kokain zu schnupfen war ein ziemlich sicheres Todesurteil. Das Problem war nur, dass die Konsumenten das nicht ohne Weiteres unterscheiden konnten.
Captain LaReas Theorie war, dass ortsfremde Drogenkartelle sich in Philadelphia breitmachen und durch solche Maßnahmen den Markt verunsichern und neu aufmischen wollten.
Vor ein paar Jahren hatte es in Miami ebenfalls eine Reihe von Todesfällen durch Heroin-Pulver gegeben und es gab den Verdacht, dass beide Fälle zusammenhingen.
»Ausgerechnet hier in Philadelphia musste sich Jack Campanella niederlassen, nachdem er seine Zeit abgesessen und sich obendrein in der Drogenszene von Miami unmöglich gemacht hat«, kam Mike LaRea ziemlich schnell zum Kern seiner Theorie. »Glauben Sie mir, Campanella will hier was Großes aufziehen, und dafür geht er über Leichen.«
»Mag ja sein«, gab ich zurück.
»Das würde jedenfalls erklären, wieso jemand Heroin als Kokain verkauft, obwohl Ersteres dreimal so teuer ist. Das macht nämlich nur dann Sinn, wenn man annimmt, dass es dem Urheber dieses Wahnsinns auf diesen Verlust nicht ankommt. Jemand, der einfach nur den Markt in Angst und Schrecken versetzen will, sodass die Junkies ihren angestammten Dealern nicht mehr vertrauen. Verstehen Sie, was ich meine, Inspektor Cotton?«
»Nennen Sie mich ruhig Jerry«, sagte ich. »Wir werden in der nächsten Zeit viel miteinander zu tun haben, nehme ich an.«
Normalerweise bin ich nicht unbedingt dafür, sofort ein allzu vertrautes Verhältnis zu suchen. Seit Phil und ich nicht mehr Special Agents in den Straßen von New York City waren, sondern man uns zu FBI-Inspektoren mit dem Zuständigkeitsbereich für den gesamten Osten der Vereinigten Staaten befördert hatte, hatte sich auch das Verhältnis zu den Kollegen geändert.
In New York waren wir größtenteils von vertrauten Personen umgeben gewesen, mit denen wir jahrelang zusammengearbeitet hatten und bei denen man wusste, dass man sich auf sie verlassen konnte. In unserer neuen Zuständigkeit mussten wir immer wieder mit anderen Kollegen zusammenarbeiten – und manchmal waren die sogar Teil des Problems, um das wir uns kümmern mussten.
Aber in diesem Fall hatte ich das Gefühl, irgendwie das Eis brechen zu müssen. Auch wenn es Mike LaReas Initiative zu verdanken gewesen war, die FBI-Zentrale in Washington einzuschalten, weil er offenbar frühzeitig die übergeordnete Dimension des Falles erkannt hatte, schien LaRea Vorbehalte gegen uns zu haben.
Allerdings sollten wir schon sehr bald merken, dass wir da keineswegs Ausnahmen darstellten. Mike LaRea hatte offenbar Vorbehalte gegenüber fast jedermann, und seine schlechte Laune schien chronisch zu sein. Mit ihm zusammenzuarbeiten stellte für Kollegen sicherlich erhöhte Anforderungen an die eigene psychische Stabilität. Aber das hieß nicht, dass er ein schlechter Polizist war, ganz im Gegenteil.
Er schien einen sehr sicheren Blick für die Lage zu haben, die sich in Philadelphia zusammenbraute. Und wenn jemand dafür sorgte, dass frühzeitig geeignete Maßnahmen ergriffen werden konnten, um eine Eskalation zu verhindern, dann war das auf jeden Fall begrüßenswert.
»Ich denke, ich bleibe für Sie vorerst lieber Lieutenant LaRea«, wies mein Gegenüber das Verbrüderungsangebot allerdings schroff zurück.
»Ganz wie Sie wünschen, Lieutenant«, gab ich zurück.
Wir gingen zu LaReas Wagen. Er fuhr einen Geländewagen, der auf den Straßen von Philadelphia irgendwie etwas deplatziert wirkte.
Mehrere Beulen und Kratzer sprachen für einen eher rustikalen Fahrstil. Wir verstauten unser Gepäck. Ich setzte mich neben LaRea auf den Beifahrersitz. Phil zögerte noch, ehe er einstieg. Sein Blick war auf das Display seines Smartphones gerichtet und er wirkte ziemlich konzentriert dabei.
»Wir könnten auf dem Weg zum Hauptquartier bei den Angehörigen des letzten Opfers vorbeifahren, diesem Barry Nolan«, schlug er vor.
»Meiner Ansicht nach ist das Zeitverschwendung«, sagte LaRea.
»Und meiner Ansicht nach ist es niemals Zeitverschwendung, sich den Hinterbliebenen eines Opfers zu widmen«, gab Phil etwas pikiert zurück.
»Und ich denke, wir sollten uns um Jack Campanella und seine Machenschaften kümmern. Aber Sie sind die Inspektoren, nicht ich.«
»Sie denken, dass es keine gezielte Auswahl der Opfer gibt?«, mischte ich mich ein.
»Genau so ist es«, nickte LaRea. »Ich dachte, wir wären uns darüber einig, dass hier einfach nur die Konsumentenszene der Kokser verunsichert werden soll, sodass am Ende niemand mehr seinem angestammten Dealer traut und den etablierten Mitspielern in diesem unappetitlichen Spiel das Geschäft versaut werden soll.«
»Wir wissen nicht, ob es wirklich so ist.«
»Und die Sache damals in Miami? Wieso sind Sie überhaupt hier, wenn Sie den Zusammenhang nicht sehen?«
»Nun mal ganz ruhig«, sagte ich und wusste eigentlich schon in dem Moment, in dem ich das ausgesprochen hatte, dass ich nicht den richtigen Ton getroffen hatte, um LaRea zu besänftigen. »Die Tatsache, dass es in Miami eine ähnliche Serie von Todesfällen …«
»Morden!«, korrigierte mich Mike LaRea. »Es waren Morde, nicht einfach Todesfälle.«
»Wie auch immer, wir sollten in alle Richtungen ermitteln«, erklärte ich. »Und abgesehen davon wüsste ich gerne mehr über das letzte Opfer. Denn bislang können wir noch keineswegs ausschließen, dass bei dieser Serie die Opfer nicht doch bewusst ausgesucht wurden.«
LaRea atmete tief durch. »Okay, ich fahre Sie hin«, sagte er. »Aber klären Sie bitte vorher telefonisch, ob überhaupt jemand zu Hause ist, damit wir da nicht umsonst auftauchen.«
»Kein Problem«, sagte Phil.
***
Die Fahrt zu den Nolans dauerte etwas länger, als Phil angenommen hatte. Das lag in erster Linie an den Verkehrsverhältnissen und einer Baustelle.
Die Adresse gehörte zu einem Brownstone-Haus in zentraler Lage. Mrs Janice Nolan empfing uns mit einem Säugling auf dem Arm.
»Dies sind Inspektor Cotton und Inspektor Decker vom FBI, die Ihnen gerne ein paar Fragen stellen würden, Mrs Nolan«, stellte LaRea uns vor.
»Kommen Sie herein«, forderte sie uns auf.
Sie führte uns ins Wohnzimmer. Dort saß eine Frau, die große Ähnlichkeit mit Mrs Nolan hatte. Nur war sie einige Jahre jünger. »Das ist meine Schwester April«, erklärte sie. »Sie hilft mir ein bisschen und sorgt dafür, dass ich nicht völlig durchdrehe – nach dem, was passiert ist.«
Ein ungefähr siebenjähriger Junge schaute durch die Tür herein und musterte uns. Ich sah ihn an.
»Jagen Sie die Drogenhändler?«, fragte der Junge.
»Unter anderem tue ich auch das«, sagte ich.
»Dann hoffe ich, dass Sie den kriegen, der die Drogen an meinen Vater verkauft hat«, meinte er und sein Gesicht wurde ziemlich finster dabei. Er drehte sich um und ging wieder hinaus.
»Kannst du dich um die Kinder kümmern?«, wandte sich Janice Nolan an ihre Schwester.
»Natürlich.«
Wenige Augenblicke später waren wir mit Mrs Nolan allein im Raum. Sie saß in sich zusammengesunken da, die Schultern nach vorn gebogen, das Gesicht von ein paar markanten Linien durchzogen, die sich unmöglich erst in der kurzen Zeit, die seit dem Tod ihres Mannes vergangen war, in ihr fein geschnittenes Gesicht gegraben haben konnten.
»Wie haben denn Ihre Kinder den Tod Ihres Mannes aufgenommen?«, fragte ich.
»Ich glaube, die haben das noch gar nicht richtig begriffen«, sagte Janice Nolan. Sie hob die Schultern etwas an. Den direkten Blickkontakt vermied sie. »Irgendwie ist das auch nicht verwunderlich. Barry war mehr in der Agentur als zu Hause. Das Geschäft mit der Werbung ist nicht mehr die Goldgrube, die es vielleicht vor ein paar Jahren noch war. Der Wettbewerb ist enorm hart, und da überleben nur die besten Agenturen.«
»Sie wussten, dass Ihr Mann Kokain genommen hat?«
»Ja. Je größer der Druck wurde, desto mehr hat er davon genommen. Ich weiß, es klingt schrecklich, aber irgendwie habe ich damit gerechnet, dass man ihn irgendwann mal so finden würde. Mit einer Überdosis.« Eine zusätzliche Falte erschien auf ihrer Stirn, als sie nun den Blick hob. »Sie sind vom FBI? Es gibt so viele Drogentote. Wieso interessiert sich das FBI für meinen Mann?«
Phil und ich warfen zur gleichen Zeit einen fragenden Blick zu Mike LaRea, der nur die Schultern zuckte. Offenbar hatte man die Angehörigen von Barry Nolan zwar darüber informiert, dass Nolan umgekommen war, aber nicht darüber, dass man davon ausging, dass man es mit einem Mord zu tun hatte.
»Ihr Mann hat Heroin-Pulver geschnupft – anstatt Kokain«, sagte ich.
»Das hat man mir gesagt. Und auch, dass das wohl die Todesursache war. Aber früher oder später musste er ja mal an einen Dealer geraten, der ihm falschen Stoff anbietet. Ich habe mich etwas im Internet schlau gemacht. Wenn man so hört, was da manchmal so alles an Zusätzen drin ist, fragt man sich, wie jemand so etwas überhaupt zu sich nehmen kann!«
»In diesem Fall gehen wir davon aus, dass das mit Vorsatz geschah«, erklärte ich.
Sie sah mich an. »Wie meinen Sie das?«
»Heroin ist dreimal so teuer wie Kokain. All die Zusätze, von denen Sie sprachen, dienen dazu, den Stoff zu verlängern und mehr Gewinn herauszuschlagen. Wer immer Ihrem Mann dieses falsche Kokain verkauft hat, muss ein sehr schlechtes Geschäft gemacht haben.«
»Und wer … sollte so etwas tun?«
»Das wissen wir nicht. Es gibt mehrere Fälle, die dem Ihres Mannes ähneln. Ob das Ganze Teil einer Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Drogensyndikaten um Marktanteile ist oder ob die Opfer irgendetwas gemeinsam haben, wissen wir bisher nicht.«
Mrs Nolan schluckte. Ihr Gesicht wirkte angestrengt und wurde jetzt dunkelrot. »Davon hat mir bisher niemand etwas gesagt.«
»Mrs Nolan, ich möchte, dass Sie sich die Liste der bisherigen Opfer ansehen. Wenn Ihnen irgendein Name bekannt sein sollte, dann sagen Sie es uns. Wir haben außerdem Fotos, die Sie sich auf dem Laptop meines Kollegen Inspektor Decker ansehen können. Dafür gilt dasselbe: Wenn Sie irgendeine dieser Personen schon einmal gesehen haben oder Ihr Mann vielleicht mal einen der Namen erwähnt hat …«
»Gut«, sagte sie. »Ich werde tun, was Sie wollen.«
Phil klappte seinen Laptop auf. Bis er hochgefahren war, hatte ich Zeit für eine weitere Frage.
»Ich habe in den Unterlagen gelesen, dass man in der Manteltasche Ihres Mannes einen .22er-Revolver gefunden hat.«
»Ja, er hatte so ein Ding seit einiger Zeit immer bei sich.«
»Warum? Gab es dafür einen bestimmten Grund?«
»Er hat sich die Waffe angeschafft, nachdem er vor drei Jahren überfallen worden war und ihm irgendwelche Straßengangster die Brieftasche abgenommen hatten. Er hat immer gesagt, das hätte ihn verändert …«
»Sie sagen das so, als …«
»… als ob ich das nicht so richtig geglaubt hätte?«
»Das sind jetzt Ihre Worte.«
Sie nickte. »In den ersten anderthalb Jahren nach dem Überfall lag die Waffe meistens hier zu Hause im Schrank. Aber dann wurde es schlimmer mit ihm. Er glaubte andauernd, dass er verfolgt würde und dass irgendjemand es auf ihn abgesehen hätte.«
»Hat er Genaueres dazu gesagt?«
»Ich glaube, das hing alles mit seiner Sucht zusammen. Ich habe mich erkundigt. Paranoide Schübe können eine Nebenwirkung sein.«
»Sie meinen, er hat sich das alles nur eingebildet?«
»Er war manchmal unausstehlich. Dass er mit einer Waffe herumlief, war ja nur ein Aspekt. Ich war einmal dabei, als er den Revolver urplötzlich aus der Jacke zog und auf irgendeinen Passanten richtete, weil er glaubte, der hätte ihn verfolgt.«
»Was ist dann passiert?«
»Ich konnte die ganze Situation bereinigen. Und zum Glück hat der Mann das auf sich beruhen lassen und Barry nicht angezeigt.«
»Hat Ihr Mann irgendwo Hilfe gesucht?«
»Nein. Hat er nicht. Er beharrte darauf, dass alles in Ordnung sei. Und dass er das Kokain nur ab und zu brauche, um länger wach zu bleiben und um mehr Ideen zu haben. Aber ich glaube nicht, dass er dadurch mehr Ideen hatte. Ich glaube eher, dass er sich damit zugrunde gerichtet hat.«
»Ich habe im Tatort-Bericht gelesen, dass Ihr Mann in seiner Manteltasche noch die Karte einer Anti-Drogen-Organisation hatte. Werfen Sie darauf mal einen Blick?«
Ich hielt ihr mein Smartphone hin und zeigte ihr eine Aufnahme dieser Visitenkarte. Sie war deutlich zu lesen.
» Fight the Drugs Foundation «, las Janice Nolan.
»Sagt Ihnen nichts?«
»Nein.«
»Und der Name des Mitarbeiters: Gordon O’Meany? Hat er den mal erwähnt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich wäre sehr glücklich gewesen, wenn er tatsächlich professionelle Hilfe gesucht hätte. Vielleicht hätte das unsere Ehe und unsere Familie noch retten können.«
»So schlimm stand es also schon?«
»Ja«, murmelte sie. »Diese unbegründeten Stimmungsschwankungen, die plötzliche Aggression. Unser Ältester hatte nachts Alpträume davon. Barry war nicht oft hier, aber wenn, dann war es für unseren Ältesten meistens kein schönes Erlebnis.«
Phil hatte inzwischen die Anzeige auf dem Laptop so weit vorbereitet, dass sich Janice Nolan die Liste der anderen Opfer mit den dazugehörigen Fotos ansehen konnte.
Zuerst zeigte Phil ihr die Bilder der anderen Opfer, die es in Philadelphia gegeben hatte, anschließend die aus Miami.
Aber es schien kein Treffer dabei zu sein. »Ich kenne niemanden von diesen Personen«, erklärte sie. »Ich meine, mein Mann kennt natürlich bedingt durch seinen Beruf sehr viele Menschen.«
»Colin Bratseth, Miami, war auch aus der Werbebranche«, stellte Phil fest. »Vielleicht kannte Ihr Mann ihn.«
»Vor fünf Jahren hat sich mein Mann bei einer Agentur in Miami beworben.«
»Wissen Sie noch, welche Agentur das war?«
»Nein, tut mir leid. Aber wenn ich die Sachen meines Mannes nach und nach ordne, werde ich das sicher herausfinden können.«
»Es wäre gut, wenn Sie sich damit etwas beeilen könnten.«
»Glauben Sie, dass das irgendeine Bedeutung hat?«
»Das wissen wir nicht, Mrs Nolan. Im Moment sammeln wir einfach alles, was wir an Informationen kriegen können.«
***
»Ich hoffe, Sie sind jetzt zufrieden damit, dass wir mindestens eine Stunde wertvolle Ermittlungszeit verschwendet haben«, sagte Mike LaRea, nachdem wir bereits wieder im Wagen saßen.
Ich hatte diesmal auf dem Rücksitz Platz genommen und die etwas anstrengende Konversation mit unserem Kollegen Phil überlassen.
Ich bekam einen Anruf aus Quantico.
Dr. Frederik George Fortesque aus Quantico war am Apparat. Der Chemiker, Physiker und Ballistiker des Scientific Research Team war natürlich längst mit dem Fall befasst. »Hallo, Jerry. Ich wollte Sie nur kurz darüber informieren, dass das Heroin, das dem Opfer im Fall Nolan zum Verhängnis wurde, jetzt eingetroffen ist.«
Fortesques britischer Akzent war unüberhörbar und hatte den großen Vorteil, dass man ihn selbst dann noch gut verstehen konnte, wenn die Handyverbindung instabil war und man durch eine Unmenge an Nebengeräuschen abgelenkt war.
»Na, das müsste Sie doch freuen, FGF. Dann können Sie ja loslegen.«
»Ich werde einige weitergehende chemische Analysen vornehmen. Sie wissen ja, vollkommen reinen Stoff gibt es nicht. Und die Zusätze können wie ein Fingerabdruck sein. Mit etwas Glück gelingt es uns vielleicht, die Herkunft zu ermitteln.«
»Das würde uns sicher weiterbringen.«
»Ich habe eine Bitte, Jerry.«
»Und welche?«
»Sorgen Sie dafür, dass ich auch Proben des Heroins bekomme, das in den anderen Fällen eine Rolle spielte. Und zwar meine ich damit wirklich alle Fälle, die wir damit bislang in Verbindung bringen.«
»Also auch die Toten von Miami.«
»Ich sehe, Sie verstehen mich, Jerry. Die Polizei von Miami war da leider nicht sehr kooperativ, und die bürokratischen Hürden sind da wohl nicht ganz unerheblich.«
»Ich werde mit Mr High darüber sprechen«, schlug ich vor. »Und ich wette, da wird sich was machen lassen.«
»Sehr gut. Sobald ich Näheres weiß, sage ich es Ihnen. Ach ja, es interessiert Sie vielleicht, dass unser Kuhschwanz zu Ihnen nach Philadelphia fliegt.«
Mit unser Kuhschwanz meinte Fortesque niemand anderen als unseren Gerichtsmediziner Dr. Gerold M. Willson. Der rustikale Texaner mit dem Gemüt eines Fleischergesellen und der distinguierte Brite waren in jeder Hinsicht ausgesprochen gegensätzliche Charaktere, aber vielleicht war gerade das der Grund dafür, dass sie sich bei ihrer Arbeit im Scientific Research Team nahezu perfekt ergänzten.
»Wir können hier jede Unterstützung brauchen«, sagte ich.
»Er hat gesagt, dass er die Befunde der gerichtsmedizinischen Untersuchung haarklein überprüfen will. Und wie ich unseren Cowboy kenne, werden sich da ein paar Leute ziemlich warm anziehen müssen.«
»Gibt es denn Zweifel daran, ob das Heroin wirklich in allen Fällen die Todesursache war?«, hakte ich nach.
»Zweifel gibt es immer, Jerry. Der Zweifel ist der Motor der Wissenschaft, wussten Sie das nicht? Und die Selbstgewissheit könnte man ihren Totengräber nennen. Wie auch immer, ich melde mich, sobald es hier etwas Neues gibt.«
»Wie schön Sie das gesagt haben, FGF«, sagte ich.
»Sehen Sie, ich wusste doch, dass Sie Sinn für so ein Bonmot haben – ganz im Gegensatz zu unserem Kollegen aus Texas.«
***
Eine halbe Stunde später saßen wir im Büro von Mike LaRea. Im Hauptquartier des Philadelphia Police Department waren Großraumbüros vorherrschend. Umso auffälliger war der Umstand, dass man Mike LaRea in einem abgetrennten Raum untergebracht hatte, wo er für sich war.
Aber so, wie Phil und ich ihn bisher kennengelernt hatten, gehörte er wohl zu den Kollegen, die schlicht und ergreifend besser allein waren.
»Wenn Sie einen Kaffee wollen, gehen Sie zum Automaten und holen sich einen. Ansonsten habe ich in einer halben Stunde eine Lagebesprechung angesetzt. Ich hoffe, Sie haben nichts anderes vor.«
»Bis jetzt nicht«, machte Phil den Versuch, LaRea mit Humor zu antworten. Allerdings schien LaRea auf so etwas überhaupt nicht anzusprechen, ganz im Gegenteil. LaRea hatte für sich selbst einen Kaffeebecher vom Automaten geholt, uns allerdings selbstverständlich keinen mitgebracht. Er trank ihn mit einem Schluck zur Hälfte leer. »Es hat sich übrigens auch ein gewisser Agent Ted Nash vom FBI Field Office Philadelphia gemeldet.«
»Ja, das ist unser Verbindungsmann hier«, sagte ich. »Er wird in die Ermittlungen einbezogen.«
»Schön, dass ich das auch noch erfahre, Inspektor Cotton!«
»Ich habe das auch erst heute Morgen von meinem Chef erfahren. Und abgesehen davon werden wir die Unterstützung des Field Office hier in Philadelphia mit Sicherheit noch benötigen.«
»Wenn Sie das sagen … Meine Meinung über die Kollegen dort ist …«
»… so schlecht wie über den Rest der Welt, Lieutenant LaRea. Das haben wir inzwischen begriffen«, konnte Phil jetzt nicht mehr an sich halten und fuhr entsprechend dazwischen. »Sie werden wohl oder übel mit dieser ganzen Bande von Stümpern auskommen müssen, wenn Sie in diesem Fall was erreichen wollen.«
»Oh, die Weisung eines Inspektors!«
»Nein, nur ein guter Rat. Denn in einem stimme ich Ihnen voll und ganz zu: Da könnte sich in der Drogenszene von Philadelphia eine Lage zusammenbrauen, die wir unbedingt verhindern müssen.«
Mike LaRea wirkte überrascht. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass ihm jemand dermaßen Kontra gab.
LaRea schaute auf die Uhr. »Gehen wir zum Meeting«, sagte er einfach.
***
An der Besprechung nahmen ungefähr zwei Dutzend Personen teil. Alle waren irgendwie in den Fall eingebunden. Lieutenant Finch von der Homicide Squad war auch dabei, denn seine Abteilung hatte die ersten Ermittlungen im Fall Nolan durchgeführt. Die anderen kamen zumeist aus der Abteilung gegen das organisierte Verbrechen. So schwierig LaRea als Mensch auch sein mochte, er hatte einige sehr sinnvolle Schritte eingeleitet. Zum Beispiel hatte er jeden verfügbaren Drogenfahnder in der Gegend, in der Nolan zu Tode gekommen war, darauf angesetzt, herauszubekommen, wer wohl der Dealer gewesen sein mochte, von dem das Opfer seinen Stoff gekauft hatte.
Und dazu lagen bereits Ergebnisse vor.
Detective Eartha McGwellan, eine rothaarige Mittdreißigerin, berichtete darüber, dass insgesamt zu diesem Thema bereits eine Flut von Hinweisen eingegangen sei, die jetzt abgearbeitet würden. »Außerdem haben wir Berichte einiger Informanten erhalten, die unseren Verdacht erhärtet haben: Da versucht offenbar jemand mit aggressiven Preisen und rabiaten Methoden den Drogenmarkt in Philadelphia aufzumischen. Dealer werden abgeworben, bedroht, verprügelt oder verschwinden von der Bildfläche, und es weist alles in Richtung von Jack Campanella.«
»Wir brauchen etwas Handfestes, um den Kerl aus dem Verkehr ziehen zu können«, meinte LaRea. »Eine Schande, dass der damals in Miami nur fünf Jahre gekriegt hat.«
»Gute Anwälte, würde ich sagen«, meinte Phil. »Da war nicht mehr drin, ich habe die Prozessakten während des Fluges hierher überflogen.«
»Campanella wird hier genauso kompromisslos vorgehen wie in Miami«, vermutete LaRea.
»Ja, aber nach allem, was ich weiß, halte ich ihn für intelligent genug, um dazuzulernen«, widersprach Phil.
LaRea hob die Augenbrauen. »Was soll das heißen?«
»Er hat sich durch seine aggressiven Methoden damals in der Drogenszene unmöglich gemacht. Niemand war danach noch bereit, ihn noch mal ins Geschäft zu lassen. Ich könnte mir denken, dass er die Lektion gelernt hat und diesmal darauf achtet, dass er Verbündete hat.«
»Im Moment sieht es für mich eher danach aus, dass er seine brutale Nummer aus Miami einfach nur an einem anderen Ort abzieht«, glaubte LaRea.
»Einige ungesicherte Informationen, die wir über einen Informanten haben, deuten darauf hin, dass Ihre Theorie stimmen könnte, Inspektor«, schlug sich hingegen Detective Eartha McGwellan auf Phils Seite. »Angeblich soll sich Campanella mit einer sehr wichtigen Figur getroffen haben: Randolph Milano. Der kontrolliert viele Clubs in Philadelphia, über die gerade Kokain und Designerdrogen starke Verbreitung finden.«
In diesem Augenblick erreichte uns Special Agent Ted Nash vom FBI Field Office Philadelphia.
Ich hatte vor unserem Abflug aus Washington kurz mit ihm telefoniert. Insofern war er für mich kein gänzlich Unbekannter.
Nash begrüßte kurz die Anwesenden. »Tut mir leid, ich bin aufgehalten worden«, sagte er. Anschließend berichtete er auch, weswegen er aufgehalten worden war. Ein Termin, an dem außer Nash auch der Chef des Field Office, ein Vertreter der Staatsanwaltschaft und ein Bezirksrichter teilgenommen hatten, musste wohl länger gedauert haben als erwartet. »Ich kann Ihnen aber mitteilen, dass wir jetzt die rechtlichen Voraussetzungen für umfangreiche Überwachungsmaßnahmen haben, die es uns erleichtern werden, gegen einige wichtige Personen der Drogenszene von Philadelphia vorzugehen – darunter auch Jack Campanella, der ja von Ihnen in Zusammenhang mit den jüngsten Todesfällen durch Heroin-Pulver gesehen wird.«
Für Phil und mich war das keine Überraschung, denn Mr High hatte diese Maßnahmen durch ein Gespräch mit dem örtlichen Chef des Field Office letztlich initiiert und uns darüber in Kenntnis gesetzt. Dass die Rolle des örtlichen FBI in diesem Fall nun vielleicht doch etwas größer war, als es Mike LaRea lieb gewesen wäre, musste der Ermittler des Philadelphia Police Department einfach schlucken.
»Die nötigen Maßnahmen umfassen eine Überwachung der Telekommunikation«, erläuterte Agent Ted Nash. »Natürlich müssen wir davon ausgehen, dass Jack Campanella mit allen Wassern gewaschen und entsprechend vorsichtig ist. Wir haben außerdem mehrere Immobilien ermittelt, die unter dem Namen von Strohmännern innerhalb des letzten Jahres von Campanella gekauft wurden. Wir vermuten, dass es sich um Rückzugsressorts handelt, die Campanella für den Fall, dass die Justiz auf ihn aufmerksam wird, das Untertauchen erleichtern. Manche dieser Immobilien kommen auch als Drogenlager in Frage und stehen nun unter Beobachtung.«
»Da wird sich Campanella aber fürchten«, spottete LaRea. »Bei allem Respekt, Agent Nash, Campanella rechnet doch mit solchen Maßnahmen. Während Sie sich auf ihn und ein paar Immobilien mit zweifelhafter Verwendung konzentrieren, sorgen seine Handlanger dafür, dass weiterhin Menschen durch Heroin-Pulver umgebracht werden, das anstelle von Kokain verkauft wird. Niemand traut seinem Lieferanten, niemand weiß, wen es als Nächsten trifft – und dann kann Campanella mit seinen Leuten als sicherer Lieferant auftreten und Marktanteile für sich sichern.«
»Irgendetwas müssen wir unternehmen«, erwiderte Agent Nash. »Unsere Maßnahmen werden mittelfristig sicherlich wertvolle Erkenntnisse bringen, die es uns erlauben, Campanellas Organisation besser zu verstehen. Und vielleicht erfahren wir dann auch, mit wem in Philadelphia er sich insgeheim verbündet hat. Denn dass er Verbündete unter den alteingesessenen Drogenbossen haben muss, liegt eigentlich auf der Hand. Allein hätte er das nie auf die Beine stellen können.«
»Ja, das ist in der Tat ein Punkt, der mich von Anfang an gewundert hat«, bekannte ich. »Campanella ist in Miami zu fünf Jahren verurteilt worden und als gerupftes Huhn aus der ganzen Angelegenheit hervorgegangen. Aber kaum ein Jahr später ist er wieder obenauf.«
»Es gibt eben Leute, die haben ein unverschämtes Glück«, knurrte Mike LaRea.
»Ich frage mich eher, woher er das Geld hat«, bekannte ich. »So ein Geschäft zieht man doch nicht einfach so aus dem Nichts heraus auf. Da muss man zunächst mal ganz schön investieren. Und den Stoff liefert auch niemand umsonst.«
»Ehrlich gesagt habe ich mich das auch schon gefragt, Inspektor Cotton«, sagte Detective Eartha McGwellan. »Und zwar seit dem Zeitpunkt, da Jack Campanella hier die Bühne von Philadelphia betreten hat. Und ich habe jede Menge Berichte von Informanten, die alle in dem einen Punkt übereinstimmen: Dieser Mann schwimmt in Geld.«
»Ich schätze, er wird sich in seiner Zeit in Miami einiges zurückgelegt haben«, meinte LaRea. »Und wenn er einigermaßen geschickt damit umgegangen ist, dann konnte er das irgendwo auf den Bahamas oder sonst wo in der Welt bunkern.«
»Vielleicht sollten wir Concita mal darauf ansetzen«, wandte sich Phil in meine Richtung und ich konnte ihm da nur zustimmen.
Concita Mendez war die Wirtschaftswissenschaftlerin in unserem Scientific Research Team in Quantico. Niemand war in der Lage, Geldströme so sicher aufzuspüren und zu verfolgen wie sie. Dafür hatte sie einen sechsten Sinn, der sich nur mit sehr viel Übung ausbildet. Ich nahm mir vor, Concita deswegen später anzurufen.
»Im Moment möchte ich, dass der Schwerpunkt unserer Arbeit darauf gelegt wird, genau zu ermitteln, was eigentlich passiert ist. Wir brauchen Zeugen, und deswegen will ich so viele Drogendealer wie möglich aus der Gegend, in der Nolan starb, hier im Hauptquartier in den Verhörräumen sitzen sehen. Alle weiteren Schritte werden sich vielleicht aus diesen Aussagen ergeben.«
Mike LaReas Telefon ging. Er nahm das Gespräch entgegen, aber außer den Worten »Hier LaRea, was gibt’s?« sagte er nichts. Kurze Zeit später beendete er das Gespräch und sagte: »Das waren die Kollegen aus North. Die haben einen Drogendealer mit reichlich Stoff erwischt. Er behauptet, er wüsste, wer Nolan das Heroin verkauft hat.«
***
Mit North hatte Mike LaRea North Philadelphia gemeint, einen Stadtteil, der am Delaware River liegt. North Philadelphia war in den sechziger Jahren durch Rassenunruhen zu trauriger Berühmtheit gelangt.
Phil und ich bekamen vom Philadelphia Police Department einen eigenen Dienstwagen zur Verfügung gestellt – allerdings erst auf unseren ausdrücklichen Wunsch hin.
LaRea schien das mehr oder weniger für Verschwendung zu halten. Aber wir bekamen unseren Wagen. Er war nichts Besonderes. Ein einfacher Ford, nicht das neueste Modell und ziemlich unscheinbar.
Als ich am Steuer saß und hinter LaRea herfuhr, musste ich an die alten Zeiten denken: die alten Zeiten, als ich meinen Jaguar-Hybriden als Dienstfahrzeug genutzt hatte und damit durch die Straßen New Yorks gefahren war. Jetzt diente mir der Jaguar nur noch zu privaten Fahrten rund um Washington.
»Nimm’s nicht so schwer, Jerry«, meinte Phil, dem ich meine Gedanken dazu gar nicht zu sagen brauchte. Er erriet sie, ohne dass ich sie auszusprechen brauchte. »Ob im Big Apple oder in der Metropolregion Philadelphia: Es dürfte kaum einen Flecken Asphalt geben, auf dem keine Geschwindigkeitsbegrenzung gilt. Insofern spielt es keine Rolle, ob man in einem Jaguar oder in einem alten Ford sitzt.«
»Doch, Phil. Das spielt trotzdem eine Rolle.«
»Ach, ja?«
»Es ist einfach ein anderes Gefühl«, meinte ich.
»Wir hätten die Strecke von Washington nach Philadelphia ja auch mit deinem Jaguar zurücklegen können, Jerry. »
»Ist schon besser so.«
»Zeitlich wäre das fast auf dasselbe rausgekommen: zwei Stunden auf dem Highway oder die Kontrollen am Airport plus die 45 Flugminuten.«
»Ich sagte doch: Ist schon besser so.«
»Gib’s zu, du hast nur Angst, dass an das gute Stück etwas drankommt«, grinste Phil.
»Und wenn schon«, gab ich zurück.
Als wir an einer Ampel direkt hinter Mike LaReas Wagen halten mussten, seufzte Phil. »Könntest du dir vorstellen, mit so einem Stinkstiefel jeden Tag im Büro zu sitzen?«
»Er ist ein guter Polizist, Phil.«
»Aber einer, mit dem ich nicht unbedingt länger zusammenarbeiten möchte!«
»Wer hat gesagt, dass unser Job ein Wohlfühlaufenthalt ist, Phil?«
»Ich dachte eigentlich eher an die armen Kollegen, die nicht die Aussicht haben, seine schlechte Laune nicht mehr ertragen zu müssen, wenn der Fall aufgeklärt ist.«
»Ich bin jedenfalls mal gespannt, was dieser Dealer uns zu sagen hat«, meinte ich.
»Ich befürchte, der wird uns alles erzählen, was wir hören wollen. Hauptsache, er bekommt irgendeinen Strafnachlass oder so etwas.« Phil ließ sich auf seinem Smartphone den Stadtplan von Philadelphia anzeigen. »Der Ort, an dem dieser Kerl festgenommen wurde, liegt jedenfalls nur zwei Blocks von der Stelle entfernt, wo Nolan aufgefunden wurde.«
Ein Telefonanruf erreichte uns. Es war meine Nummer, die angewählt wurde. Über die Freisprechanlage nahm ich das Gespräch entgegen.
Am anderen Ende der Verbindung war Mrs Nolan.
»Ich habe herausgefunden, bei welcher Agentur sich mein Mann damals beworben hat«, sagte sie. »Sie hieß Merryman and Friends .«
»Wissen Sie noch, warum damals nichts daraus geworden ist?«
»Er bekam einfach hier ein Angebot, das genauso gut war. Und da wir uns hier in Philadelphia sehr wohl gefühlt haben, war uns das lieber.«
»Ich verstehe. Haben Sie vielen Dank, dass Sie uns so schnell weitergeholfen haben.«
»Ich dachte …« Sie sprach zunächst nicht weiter.
»Was?«
»Ich dachte, auch wenn in der letzten Zeit nicht mehr alles zwischen uns gestimmt und die Sucht ihn sehr verändert hatte, sollte Barrys Mörder gefasst und einer gerechten Strafe zugeführt werden.«
»Das sehe ich ganz genau wie Sie, Mrs Nolan«, gab ich zurück.
Es dauerte keine fünf Minuten mehr, bis Phil mit Hilfe seines Smartphones herausgefunden hatte, dass der Agentur Merryman & Friends auch Colin Bratseth angehört hatte – eines der Opfer aus Miami.
»Denkst du wirklich, dass es da einen Zusammenhang gibt, Jerry?«
Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung.«
»Naja, im Moment …«
»… schließen wir noch keine Ermittlungsrichtung aus, Phil.«
»… greifen wir nach jedem Strohhalm, wollte ich eigentlich sagen, Jerry.«
***
Zwanzig Minuten später befanden wir uns in einem Polizeirevier in North Philadelphia und saßen Hal Cummings gegenüber, der von den Kollegen mit einem Drogenvorrat festgenommen worden war, der ausreichte, um ihn die nächsten Jahre hinter Gitter zu bringen.
Außer Phil, mir und Mike LaRea war noch Detective Jackson anwesend, der Cummings festgenommen hatte, sowie Melanie W. Smith als Vertreterin des Bezirksstaatsanwalts und Cummings’ nicht besonders engagiert wirkender Pflichtverteidiger.
»Sie sind dabei gefasst worden, wie Sie aktiv gedealt haben, Mr Cummings«, sagte Melanie W. Smith. »Man hat Sie quasi in flagranti erwischt und Sie sind einschlägig vorbestraft. Straffreiheit ist da ausgeschlossen, und eine Bewährungsstrafe können Sie auch nicht im Ernst erwarten.«
»Vielleicht sagen Sie zur Abwechslung auch mal was«, wandte sich Cummings an seinen Pflichtverteidiger. »Oder bekommen Sie Ihr Geld fürs Nichtstun?«
»Wir können über das Strafmaß reden und darüber, ob einige zusätzliche Anklagepunkte fallengelassen werden sollten, Mr Cummings«, fuhr unterdessen Melanie Smith fort. »Mehr ist einfach nicht drin. Beim besten Willen nicht.« Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft verschränkte die Arme vor der Brust.
Cummings sah sie an.
»Dann werde ich den Mund halten und Sie werden der Presse erklären müssen, wieso ein Irrer immer noch frei herumläuft, der Heroin als Kokain verkauft und damit Leute umbringt!« Cummings rieb sich die Nase. Er war nicht nur Dealer, sondern konsumierte auch selbst. Das sah man auf den ersten Blick.
»Sie haben einen Polizeibeamten bei der Festnahme angegriffen und eine Waffe gezogen«, sagte Detective Jackson. »Vielleicht lassen Sie sich von Ihrem Verteidiger mal erklären, was das für einen Unterschied für Sie ausmachen könnte, wenn die Staatsanwaltschaft diese Anklagepunkte fallenlässt.«
»Eigentlich müssten Sie das wissen«, meinte Melanie Smith. »Schließlich sind Sie genau wegen dieser Kombination von Vorwürfen schon einmal angeklagt und verurteilt worden.«
»Mehr ist nicht rauszuholen«, sagte der Pflichtverteidiger. »Gehen Sie darauf ein, Cummings. Dann kommen Sie am besten weg.«
»Okay, okay!«, sagte Cummings.
»Und diese Vereinbarung gilt nur dann, wenn Sie wirklich etwas zu bieten haben und sich nicht alles hinterher als reines Geschwätz herausstellt«, stellte Melanie Smith fest.
Eine Pause entstand, in der keiner der Anwesenden etwas sagte. Cummings ließ den Blick schweifen. Dann blieb er bei Mike LaRea hängen. »Sie kenne ich«, meinte er.
»Ich dachte, Sie wollten uns jetzt etwas sagen«, beharrte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft, deren Geduld anscheinend jetzt aufs Äußerste strapaziert war.
Aber Cummings hörte ihr gar nicht zu, er starrte LaRea an. »Sie waren hier schon mal in der Gegend und haben überall die Leute mit Ihren Fragen gelöchert.« Er grinste. »Vielleicht sollten Sie sich auch mal ein bisschen Stoff genehmigen. Dann schauen Sie vielleicht etwas entspannter aus der Wäsche.« Er kicherte.
Langsam hatte ich Zweifel daran, ob Cummings zurzeit überhaupt in einem vernehmungsfähigen Zustand war. Er machte eine ruckartige Bewegung und musterte dann Phil und mich. »Die beiden da kenne ich nicht«, stellte er fest. »Neu in der Stadt?«
»Falls Sie noch etwas zu sagen haben, dann sollten Sie das jetzt tun«, sagte ich kühl. Und ich gestehe gerne, dass ich schon das Gefühl hatte, dass wir mit dem Kerl unsere Zeit verschwendeten.
»Ah, es ist doch schön, wenn man das Gefühl hat, gebraucht zu werden«, meinte Cummings. »Und ich habe irgendwie das Gefühl, dass Sie mich alle jetzt sehr dringend brauchen. Wahrscheinlich hassen Ihre Vorgesetzten es, vor der Presse immer wieder dieselben bohrenden Fragen beantworten zu müssen. Wieso kann der Kerl nicht gestoppt werden, der Heroin-Pulver als falschen Schnee verkauft, dürfte die wichtigste davon sein, habe ich recht?« Er lächelte auf eine Art und Weise, die man nur als aasig bezeichnen konnte.
»Ich denke, wir verschwenden hier unsere Zeit«, sagte ich. »Wenn Sie unbedingt so lange warten wollen, bis Ihre Informationen ohnehin nichts mehr wert sind, dann sind Sie auf dem besten Weg dorthin. Nur werden Sie dann kaum noch damit rechnen können, dass man Ihnen irgendwelche Vergünstigungen zugesteht.« Ich wandte mich an Phil. »Gehen wir, Phil.«
Ich war schon an der Tür, als Cummings einlenkte. »Okay, okay …«, sagte er. »Ich sage Ihnen, was Sie hören wollen.«
Er schien eingesehen zu haben, dass er den Bogen überspannt hatte. Ich hob die Augenbrauen und machte zunächst keine Anstalten, mich von der Tür wegzubewegen.
»Es geht hier um die Verhinderung künftiger Verbrechen«, sagte Cummings. »Verbrechen, die Sie nicht ohne meine Informationen verhindern können. Dafür sollte sich die Justiz erkenntlicher zeigen, als dies bisher zum Ausdruck gekommen ist.«
»Und ich hatte gerade gedacht, dass Sie vernünftig geworden sind und Ihre Lage erkannt haben«, gab ich zurück.
»Die Justiz wird das wohlwollend erwägen, falls Sie wirklich etwas vorzuweisen haben, was substanziell ist«, mischte sich Melanie Smith ein. »Und falls das jetzt kommt – und nicht irgendwann mal.«
»Der Mann, der diesem Werbe-Fuzzi den Stoff verkauft hat, heißt Garry Chovsky.«
»Etwas mehr Einzelheiten bitte«, verlangte ich. »Oder soll es das schon gewesen sein?«
»Ich habe ihn gesehen und mir noch gedacht: Scheiße, der ist aber mutig.«
»Wieso das?«
Cummings atmete tief durch. »Chovsky hat seinen Stoff bisher von den Polen gekriegt. Aber wie ich gehört habe, wird er jetzt von dem Typ aus Miami beliefert.«
»Jack Campanella«, sagte ich.
»Genau! Dessen Leute machen sich hier überall breit. Aber das Gebiet, in dem der Werbe-Fuzzi umgekommen ist, gehört immer noch den Dealern der Polen.«
In Philadelphia gab es eine lange Tradition des organisierten Verbrechens. Neben der Scarfo Cosa Nostra der Italiener in South Philadelphia waren es vor allem die Syndikate polnischer und irischer Einwanderer, die in der Stadt früher für Aufsehen gesorgt hatten. In den Sechzigern waren die Black Mafia und die Jamaican Posse hinzugekommen. Zuletzt hatten die mittelamerikanischen Mara Salvatrucha in Philadelphia Fuß fassen können.
»Die Campanella-Leute trauen sich was«, meinte Cummings. »Die tauchen in Gegenden auf, in denen sie absolut nichts zu suchen haben, und machen einem das Leben schwer, indem sie den Stoff so billig anbieten, dass man es kaum glauben kann, dass das wahr ist! Oder sie machen so was wie die Sache mit dem Werbe-Fuzzi. Ich habe gehört, dass der Frau und Kinder hatte …«
Cummings’ Mitleid mit Nolans Angehörigen wirkte irgendwie nicht sehr überzeugend. Ich war mir im Übrigen immer noch nicht sicher, ob sich dieser Dealer einfach nur interessant machen und mit ein paar windigen Gerüchten ein paar Vorteile für seinen eigenen Prozess herausholen wollte oder ob da noch irgendetwas kam, was uns wirklich weitergebracht hätte.
»Woher wissen Sie, dass Garry Chovsky den Stoff an Nolan verkauft hat?«, fragte ich. »Sie haben wohl nicht daneben gestanden, nehme ich an.«
»Er hat es mir erzählt. Wir haben früher für dieselben Leute gearbeitet und Garry ist dann ausgestiegen. Er wollte mich auch abwerben, weil er bei dem Miami-Mann viel mehr vom Erlös behalten könnte. Es klang fantastisch, aber ich glaube, jetzt hat Garry ziemlich starke Kopfschmerzen deswegen.«
»Und wieso?«
»Na, er wusste doch nicht, was er dem Werbetypen da verkauft und dass der im nächsten Moment daran stirbt! Er hat Stoff gekriegt und ihn vertickt, nehme ich an! Aber Garry ist kein Killer!«
»Wo finden wir Garry Chovsky?«
»Kann ich Ihnen sagen«, meinte Cummings. Er wandte sich an Melanie Smith. »Hängt jetzt ein bisschen von Ihnen ab, Ma’am«, sagte er dann und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Je nachdem, wie Sie meinem superharten Verteidiger entgegenkommen, Sie verstehen, was ich meine?«
***
Wenig später saßen wir wieder im Wagen und waren unterwegs zur Albright Street. Nach Angaben von Cummings lebte dort eine gewisse Liza McNelly. Und dort wohnte Garry Chovsky offenbar seit einiger Zeit.
Die Adresse, unter der er offiziell gemeldet war und die er auch bis zum Ablauf seiner letzten Bewährung angegeben hatte, wurde nach Cummings’ Angaben kaum von Chovsky benutzt. Er traute wohl einfach den Cops nicht und wollte nicht so schnell auffindbar sein, falls er wegen irgendetwas in Verdacht geriet.
Mike LaRea fuhr uns mit seinem Dienstwagen voraus. Und außerdem war natürlich Verstärkung angefordert worden, die so schnell es irgend möglich war zur Adresse von Liza McNelly fahren und das Gebäude abriegeln sollte.
Schließlich nahm niemand von uns an, dass Chovsky sich so einfach festnehmen ließ. »Das NYSIIS-Dossier über Chovsky ist ziemlich umfangreich«, sagte Phil, der den Laptop während der Fahrt auf den Knien hatte. »Abgesehen von Drogendelikten gibt es da auch noch Verstöße gegen die Waffengesetze, Angriff auf Polizisten, Körperverletzung und so weiter und so fort.«
»Sicherheitshalber also besser die Kevlar-Weste anlegen«, meinte ich.
»Das sowieso.«
Die Adresse, die Cummings uns gegeben hatte, gehörte zu einem Wohnblock in einer Seitenstraße. Es herrschte akuter Parkplatzmangel. Uns blieb nichts anderes übrig, als die letzten fünf Minuten zu Fuß zu laufen. Die Kevlar-Weste trugen wir unter der Kleidung, und wir verbargen unsere Ausrüstung, so gut es ging, um nicht übermäßig aufzufallen.
Mike LaRea hatte in der Nähe geparkt.
»Die Verstärkung braucht noch ein bisschen«, sagte er. »Sie haben ja gesehen, was momentan auf den Straßen in dieser Stadt los ist, seit bei der Stadtverwaltung der Bauwahn ausgebrochen ist.«
Ich deutete zu dem Gebäude hinüber.
»Mein Gefühl sagt mir, dass wir da schon mal reingehen und nicht auf die anderen warten sollten«, sagte ich.
»Ich habe gehört, es ist noch nicht allzu lange her, da sind Sie noch Special Agent im Außendienst gewesen«, meinte LaRea.
»Woher haben Sie das denn gehört?«
»Ich habe gute Ohren. Und was so die Runde macht, schnappe ich auf. Aber anscheinend scheinen Sie sich noch nicht so hundertprozentig daran gewöhnt zu haben, dass solche Sachen wie diese hier eigentlich von denen erledigt werden, die darauf spezialisiert sind.«
»Das sind wir auch«, sagte ich. »Oder bist du anderer Meinung, Phil?«
»Ich habe nicht widersprochen«, stellte Phil klar.
Mike LaRea grinste. »Mir gefallen Leute, die anpacken«, meinte er.
Eine Sensation!, dachte ich. Es war das erste Mal, seit Phil und ich diesem Kerl begegnet waren, dass ich den Eindruck hatte, dass ihm überhaupt irgendetwas gefiel. Ich hielt das für ein ermutigendes Zeichen. Und Phil konnte ich ansehen, dass er genauso darüber dachte.
»Du hast recht, Jerry: Greifen wir ihn uns – wenn wir unter diesen Bedingungen auf unsere Kavallerie warten, wird das jemanden wie Chovsky nur alarmieren und die ganze Situation verkomplizieren«, sagte Phil. Und damit fasste er die Situation ziemlich gut zusammen.
Die Wohnung, in der sich Chovsky befand, lag im siebten Stock. Von dort aus hatte man freie Sicht auf jeden, der sich dem Haus näherte. Und bei jemandem wie Chovsky war zu vermuten, dass er darauf achtete, was sich in der Umgebung so tat. Leute wie er hatten dafür meistens einen sechsten Sinn.
Wir gingen zu dem Gebäude. Besondere Sicherheitsvorkehrungen gab es hier nicht. Keine Kameras und auch kein privater Sicherheitsdienst.
Um keine Zeit zu verlieren, nahmen wir den Aufzug.
Wenige Minuten später standen wir vor der Wohnungstür von Liza McNelly. Hinter der Tür war eine Männerstimme zu hören.
Wir zogen unsere Glocks. Phil trat die Tür ein. Mit einem Ruck flog sie zur Seite. Ich hielt die Waffe mit beiden Händen und stürmte in das Apartment.
»FBI! Keine Bewegung!«, rief ich. Phil und LaRea waren mir auf den Fersen.
Im Wohnzimmer befanden sich ein Mann und eine Frau. Garry Chovsky war von den NYSIIS-Fotos gut zu erkennen. Die Frau musste Liza McNelly sein. Auch über sie gab es ein NYSIIS-Dossier. Während der Fahrt hatte Phil einen Blick hineingeworfen. Da standen mehrere Anklagen wegen Prostitution zu Buche und außerdem Drogenbesitz. Ich hatte das dazugehörige Foto nur flüchtig gesehen. Sie hatte sich seitdem stark verändert, was Haarfarbe und Haarlänge anging, und offenbar hatte sie sich auch die Lippe aufspritzen lassen. Chovsky hielt in der Rechten eine Reisetasche, die er jetzt fallen ließ.
Offenbar kamen wir genau im richtigen Moment. Er schien vorgehabt zu haben, sich davonzumachen.
Die Linke steckte unter seiner Jacke. Er zögerte einen Moment zu lange. Die Hand umfasste einen Pistolengriff. Er riss die Waffe heraus und erstarrte dann mitten in der Bewegung.
Außer meiner Waffe waren auch die Pistolen von Phil und LaRea auf ihn gerichtet. Er hatte keine Chance. Einen kurzen Moment schien er trotzdem zu überlegen, ehe er dann die Waffe fallen ließ.
Phil legte ihm Handschellen an. »Sie haben das Recht zu schweigen, Mr Chovsky«, sagte er. »Aber falls Sie von diesem Recht keinen Gebrauch machen, kann und wird alles, was Sie von nun an sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden.«
»Ich habe niemandem etwas getan«, behauptete Chovsky.
Phil drückte ihn in einen der Sessel. Dann nahm er die Waffe vom Boden auf. LaRea wandte sich unterdessen der Reisetasche zu. Er hob sie auf und öffnete sie. Ganz oben lagen zwei Flugtickets.
»Sie wollten nach Rio?«, fragte Mike LaRea. »Für jemanden, der sich nichts zuschulden hat kommen lassen, ist das aber eine ziemlich plötzliche Abreise, finden Sie nicht?«
»Sie können mich mal«, sagte Chovsky.
»Er hat niemandem etwas getan«, rief Liza McNelly.
»Kommt darauf an, wie ein Gericht das beurteilt«, stellte LaRea klar. Dann holte er aus der Reisetasche einen Plastikbeutel hervor, der mit einem weißen Pulver gefüllt war. »Sieh an, sieh an!«
Chovsky verdrehte die Augen. »Das ist nur für den Eigenbedarf«, behauptete er.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«, fragte LaRea.
Ich zeigte Liza McNelly inzwischen meinen Ausweis, anschließend auch Chovsky.
»Was wollen Sie Garry denn diesmal anhängen?«, fragte Liza McNelly. »Ich werde aussagen, dass Sie den Stoff in die Tasche getan haben! Garry hatte mit dem Zeug nichts zu tun.«
»Versuchen Sie solche Spielchen besser nicht«, sagte ich. »Wir machen hier unsere Arbeit und haben nicht die Absicht, irgendjemandem etwas anzuhängen.«
»Meine Güte!« Sie tauschte mit Chovsky einen vielsagenden Blick. Chovsky war ganz blass geworden – und zwar ziemlich genau in dem Moment, als ich ihm meinen Ausweis gezeigt hatte. Wenn ein Inspektor des FBI sich eines Falles annahm, musste es um eine größere Sache gehen. Und Chovsky dämmerte es anscheinend, dass es für ihn keineswegs nur um den Besitz einer Drogenmenge ging, die ihn für einige Zeit ins Gefängnis bringen konnte.
Noch mehr an Farbe hatte sein Gesicht dann verloren, als Liza McNelly ihren ungeschickten Verteidigungsversuch gestartet hatte.
»Sie wissen, worum es geht, nicht wahr, Mr Chovsky?«
»Keine Ahnung, was Sie meinen!«, zischte er zwischen den Zähnen hindurch.
»Sie sind als Kokain-Dealer bekannt. Widersprechen Sie mir nicht. Zurzeit kommen Menschen zu Tode, weil ihnen anstatt Kokain pulverförmiges Heroin verkauft wird. Und einer davon war Ihr Kunde.«
»So was würde ich nie machen.«
Ich hielt ihm mein Smartphone unter die Nase. Das Display zeigte ein Bild von Barry Nolan. »Diesem Mann haben Sie Kokain verkauft, das keins war.«
»Ich sage nichts mehr.«
»Sie bekommen Ihren Stoff von Jack Campanella«, mischte sich jetzt LaRea ein. »Machen Sie den Mund auf und sagen Sie aus. Wir glauben nicht, dass Sie für all die Fälle verantwortlich sind, die in der letzten Zeit geschehen sind, bei denen den Kunden ebenfalls Heroin statt Kokain verkauft wurde!«
»Wie gesagt, ich rede nicht, ohne dass ein Anwalt dabei ist.«
»Gut, das müssen wir akzeptieren«, sagte ich. »Aber die Chancen, dass Ihre Aussage dann noch etwas wert ist und die Staatsanwaltschaft bereit ist, einen Deal einzugehen, sinken mit jeder Sekunde, die jetzt verstreicht.«
»Ihr könnt mich alle mal«, sagte Garry Chovsky.
»Garry, du musst es ihnen sagen«, meldete sich jetzt Liza McNelly zu Wort. Ich hatte schon ein paar Augenblicke zuvor bemerkt, wie unruhig sie geworden war. Vielleicht brachte es sogar mehr, sich später mit ihr zu unterhalten als mit Chovsky, der vielleicht auch einfach zu viel Angst vor den Leuten hatte, für die er arbeitete.
»Sei still, Liza, hörst du! Sei einfach still und halt dein dummes Maul!«, rief Chovsky. Und dann wandte er sich an mich. »Sie können mir nichts. Sie haben keinerlei Beweise. Okay, Sie haben etwas Stoff gefunden. Kann sein, dass es Kokain ist, kann sein, dass es was anderes ist. Woher wollen Sie wissen, dass ich gewusst habe, was es ist? Und woher wollen Sie wissen, dass dieser Typ nicht ausnahmsweise mal Heroin wollte – und nicht Kokain? Kann ich was dafür, wenn der Blödmann nicht weiß, wie man das nimmt, ohne dass man gleich abkratzt? Das kann man mir nicht anlasten, ganz gleich, was Sie mir sonst auch anzuhängen versuchen!«
Mike LaReas Telefon klingelte.
Es war einer der Kollegen, die LaRea zur Verstärkung für diesen Einsatz angefordert hatte. »Ihr könnt den Kerl abholen«, sagte LaRea. »Wir haben ihn schon.«
***
Mit Chovsky zu reden hatte im Moment keinen Sinn. Aber der richtige Moment kam vielleicht noch. Seine Sachen wurden mitgenommen und seine Waffe natürlich auch.
Während LaRea zum Hauptquartier zurückkehrte, blieben wir noch bei Liza McNelly. »Sie wollten ja mit Garry Chovsky zusammen nach Rio fliegen«, stellte ich fest. »Ich nehme an, dass aus diesem gemeinsamen Urlaub für lange Zeit nichts werden wird. Sie sollten die Stadt nicht verlassen und sich zur Verfügung halten.«
»Wieso das?«
»Wir werden prüfen müssen, inwieweit Sie in die ganze Sache verwickelt sind.«
Sie schluckte und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich konnte ihr ansehen, dass sie mit sich rang, noch etwas mehr zu der ganzen Sache zu sagen. Aber man musste ihr wohl noch ein bisschen Zeit geben, diesen inneren Kampf auch auszufechten.
»Sie machen es sich zu einfach«, sagte sie. »Jemand steht auf Ihrer Liste und die klappern Sie einfach ab. Garry hat eben das Pech, zu den üblichen Verdächtigen zu gehören.«
»So unschuldig, wie Sie ihn machen, ist er aber nicht«, sagte ich. »So naiv können Sie eigentlich nicht sein, dass Sie selbst glauben, was Sie da sagen.«
Dann ergriff Phil das Wort. »Ich will Ihnen jetzt einfach mal sagen, was wir annehmen und was wir wissen. Garry verkauft für Jack Campanella Drogen. Vor kurzem soll er noch für andere Leute auf die Straße gegangen sein. Aber Campanella versucht um jeden Preis in den Markt hineinzukommen. Er macht Dealern wie Garry ein gutes Angebot, verspricht ihnen, sie vor der Konkurrenz zu schützen, und versorgt sie mit Stoff. Aber das reicht ihm nicht. Wir nehmen an, dass er auch dadurch die Szene aufmischen will, dass er Angst und Schrecken verbreitet. Es ist leicht, einem Süchtigen Heroin anstatt Kokain unterzujubeln. Ab und zu stirbt jemand. Niemand weiß, wer dahintersteckt. Und am Ende können sich Campanellas Leute als Retter in der Not aufspielen! Als Dealer, denen man vertrauen kann. Man muss nur dafür sorgen, dass alles im Ungewissen bleibt.«