Jerry Cotton Sammelband 49 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 49 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 3020 - Die letzte Kugel des Killers
Jerry Cotton 3021 - Ungleiche Chancen
Jerry Cotton 3022 - Mord ist ein böses Wort
Jerry Cotton 3023 - Der Tod aus dem Nichts
Jerry Cotton 3024 - Ein Leben zu viel

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 674

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 49

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2014 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | lfH

ISBN: 978-3-7517-4708-0

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Jerry Cotton Sammelband 49

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Jerry Cotton 3020

Die letzte Kugel des Killers

Unsere Empfehlungen

Jerry Cotton 3021

Ungleiche Chancen

Unsere Empfehlungen

Jerry Cotton 3022

Mord ist ein böses Wort

Unsere Empfehlungen

Jerry Cotton 3023

Der Tod aus dem Nichts

Jerry Cotton 3024

Ein Leben zu viel

Guide

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Contents

Die letzte Kugel des Killers

Richard Pearlman hatte die amerikanische Botschaft in Guatemala vor wenigen Minuten verlassen. Mit schnellen Schritten bewegte er sich zu einem Treffen, das wichtig war – lebenswichtig. Das Quietschen von Reifen ließ ihn herumfahren. Ein Wagen mit offenen Seitenfenstern raste über die Straße. Dann sah er etwas, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ: die Mündungen von Schnellfeuerwaffen! Eine Kugelsalve streckte ihn nieder. Er war sofort tot. Aus dem Wagen stiegen zwei vermummte Männer. Sie gingen zu der Leiche, versetzten ihr Tritte und spuckten auf sie. Sie nahmen das, was der Tote in den Taschen hatte, an sich und stiegen wieder in den Wagen. Zurück blieb die blutüberströmte Leiche eines amerikanischen Beamten.

»Ganz schön frisch«, murrte Phil und zog den Mantel zusammen. »Wird Zeit, dass es endlich Frühling wird.«

»In der Tat«, bestätigte ich.

»Manchmal wünsche ich mir, Mr High wäre an die Westküste versetzt worden, ins sonnige Kalifornien.«

Als wir kurz darauf das J. Edgar Hoover Building erreichten, durchquerten wir die Sicherheitsschleuse und gingen auf direktem Weg zum Büro von Mr High.

Dorothy Taylor saß an ihrem Schreibtisch und begrüßte uns freundlich. »Inspektor Cotton, Inspektor Decker, schön Sie zu sehen. Er wartet schon.«

»Dann nichts wie hinein in die Höhle des Löwen«, scherzte Phil.

Sie ging nicht weiter darauf ein, sondern wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.

Wir betraten das Büro. Mr High telefonierte gerade. Er bedeutete uns Platz zu nehmen.

»Natürlich, Sir, wir werden uns darum kümmern, keine Frage«, sagte er, verabschiedete sich und legte den Hörer auf.

Dann wandte er sich an uns. »Jerry, Phil, wir haben ein Problem – ein großes Problem.«

»Hört sich nach Arbeit für uns an«, bemerkte Phil.

Mr High nickte. »Richard Pearlman, ein US-Ermittler, wurde in Guatemala ermordet. Ich habe die Information vor einer guten Stunde erhalten. Seitdem laufen in meinem Büro die Drähte heiß. Director Fuller hat mich gebeten, die Sache aufzuklären. Es geht um eine Angelegenheit höchster Wichtigkeit und enormer Brisanz.«

»Wer war Pearlman? Und was hat er in Guatemala gemacht?«, fragte ich.

»Informationen gesammelt«, antwortete Mr High. »Über das Bruja-Kartell.«

»Bruja-Kartell?«, stieß Phil aus. »Drogen und Entführung? Dieses Bruja-Kartell?«

Mr High nickte. »Ja, eine ziemlich gut organisierte und äußerst brutale Verbrecherorganisation. Die Regierung von Guatemala hatte uns um Unterstützung im Kampf gegen das Kartell gebeten. Pearlman wurde hingeschickt, um Informationen zu sammeln. Es war eigentlich eine verdeckte Operation. Offenbar ist er aufgeflogen.«

Phil verzog das Gesicht. »Das hört sich nicht gut an.«

»In der Tat«, bestätigte Mr High ernst. »Die Informationen, die Pearlman geschickt hatte, waren alarmierend, aber leider nicht sehr detailliert. Das Bruja-Kartell operiert nicht nur in Guatemala, sondern ist seit einiger Zeit auch in den USA aktiv. Neben der Tatsache, dass wir der Regierung von Guatemala helfen wollen, ihr Drogenproblem in den Griff zu bekommen, sind wir natürlich auch daran interessiert, die Aktivitäten des Kartells in unserem Land zu unterbinden.«

»Sieht so aus, als wolle sich das Kartell nicht in die Karten schauen lassen«, bemerkte Phil.

»Ja«, sagte Mr High. »Leider sind Polizei und Militär in Guatemala teilweise vom Kartell unterwandert. Hinzu kommt Korruption. Das macht es nicht leicht, dort Ermittlungen durchzuführen. Wie sich gezeigt hat, hatten wir die Gefahr nicht richtig eingeschätzt – oder die Macht des Kartells unterschätzt.«

»Und jetzt sollen wir es richten?«, fragte ich.

Mr High nickte. »Es ist eine gefährliche Aufgabe. Sie sollen herausfinden, wer Pearlman auf dem Gewissen hat, und die Verantwortlichen verhaften. Eine solche Tat dürfen wir nicht durchgehen lassen. Darüber hinaus sollen Sie herausfinden, was Pearlman wusste, aber nicht mehr berichten konnte. Sie können das SRT einsetzen, wenn Sie wollen. Ich persönlich kann es nur empfehlen, da die guatemaltekischen Behörden nicht den gleichen Standard haben wie wir, wenn es um forensische Beweissicherung geht.«

»Dann fliegen wir besser nicht allein«, sagte Phil. »Wie sieht es da unten mit staatlicher Unterstützung aus? Wem können wir trauen?«

»Eine gute Frage«, sagte Mr High und lehnte sich zurück. »Ihr Kontakt ist Salvador Ospina Castillo, ein fähiger Ermittler bei der Polizei von Guatemala City. Er ist, soweit ich weiß, ein integrer und zuverlässiger Mann. Ich habe Ihnen alle uns zur Verfügung stehenden Informationen über ihn zusammenstellen lassen. Wem Sie sonst noch vertrauen können, nun, keine Ahnung. Wahrscheinlich hat Pearlman den Fehler gemacht, den falschen Leuten zu vertrauen.«

Phil verzog das Gesicht. »Das sind ja schöne Aussichten. Allein im Feindesland.«

Mr High schaute ihn an. »Wie üblich ist der Großteil der Bevölkerung gegen Drogen und Kriminalität, auch in Guatemala. Es sind nur einige wenige, die kriminelle Energie entwickeln und andere anstecken. Die Frage ist, wie so oft, wer einen weißen und wer einen schwarzen Hut trägt.«

»Nicht zu vergessen auch die Cowboys mit den grauen Hüten«, sagte Phil.

»Auf jeden Fall handelt es sich dabei um eine extrem gefährliche Sache«, sagte Mr High. »Zwar können Sie von der dortigen US-Botschaft Unterstützung erhalten, jedoch operieren Sie ohne die hier in den Staaten übliche Rückendeckung. Seien Sie also auf der Hut.«

»Sind wir, Sir«, versicherte ich ihm.

Mr High nickte. »Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg. Dorothy hat Ihre Flüge schon gebucht. Die Buchungen für die Mitglieder des Scientific Research Team können Sie ihr überlassen. Sagen Sie ihr nur, wer Sie begleiten soll.«

»Wird erledigt, Sir«, bestätigte Phil.

Mr High überreichte uns die Unterlagen, die wir brauchten. Dann verabschiedeten wir uns und verließen sein Büro.

»Guatemala«, sagte ich, als wir draußen waren, und schaute Phil an. »Dort ist es sicher wärmer als hier.«

»Hoffentlich nicht zu warm«, entgegnete Phil.

***

»Wir brauchen Gerold, Mai-Lin und FGF, Concita eher nicht«, sagte Phil.

»Sehe ich genauso«, entgegnete ich.

Dr. med. Gerold M. Willson war uns als Forensiker sicher eine Hilfe, ebenfalls unser Chemiker und Physiker Dr. Frederik George Fortesque alias FGF. Immerhin hatten wir einen Mord aufzuklären. Dr. Mai-Lin Cha konnte uns bei der Entschlüsselung und Wiederherstellung von Dateien helfen.

Nach dem Bericht, den Mr High uns gegeben hatte, war der Computer von Pearlman von guatemaltekischen Beamten sichergestellt worden. Da wir das Passwort nicht kannten, war ein Spezialist nötig. Das Spezialgebiet von Concita Mendes war Wirtschaftskriminalität, was bei unserem Einsatz eher nicht gefragt war.

»Dann rufe ich Gerold an«, sagte Phil. »Bin gespannt, was er sagt, wenn er erfährt, dass es nach Mittelamerika geht.«

»Wahrscheinlich wird er Freudensprünge machen«, sagte ich sarkastisch.

»Wahrscheinlich«, erwiderte Phil und nahm sein Handy, um in Quantico anzurufen.

Ich konnte über die Freisprecheinrichtung mithören.

»Dr. Willson hier«, hörte ich die vertraute Stimme. »Ach, hallo, Sie sind es, sorry, ich hatte nicht aufs Display geschaut.«

»Kein Problem, Gerold«, meinte Phil. »Wie schnell können Sie Ihre Sachen packen und bereit sein, nach Guatemala zu fliegen?«

»Guatemala? Mann, keine Ahnung, wie ist denn das Wetter dort um diese Jahreszeit?«, antwortete er überrascht.

»Warm, würde ich sagen«, antwortete Phil. »Auf jeden Fall wärmer als in D.C. Und es gilt den Mord an einem US-Beamten zu untersuchen. Ich weiß nicht, wie gut Ihre dortigen Kollegen ausgestattet sind.«

»Puh, gute Frage, ein paar Stunden bräuchte ich schon«, antwortete Dr. Willson. »Ist es eilig?«

»Je eher wir da sind, desto besser«, sagte Phil. »Wir brauchen auch Mai-Lin und FGF. Gibt einiges zu tun. Allerdings wird es kein Urlaub. Ein Drogenkartell dort macht Ärger und ist, wie es aussieht, für den Tod des Beamten verantwortlich.«

»Drogenkartell? Nein, das hört sich wirklich nicht nach Urlaub an. Eher wie eine Einberufung in die Army. Ich hoffe, es wird nicht zu wild.«

»Hoffen wir auch«, erwiderte Phil. »Aber versprechen kann ich das natürlich nicht. Ziehen Sie sich besser warm an.«

»Ich dachte, es wäre warm«, entgegnete Willson.

Phil verzog das Gesicht. »Sie wissen schon, was ich meine. Geben Sie den beiden anderen Bescheid? Für die Buchung der Flüge können Sie sich an Miss Taylor wenden, sie wird das koordinieren. Vielleicht sind auf unserem Flug noch Plätze frei.«

»Ich kümmere mich darum«, sagte Dr. Willson. »Hoffentlich muss ich diesmal nicht neben FGF sitzen. Bei unserem letzten gemeinsamen Flug hat er zwischendurch geschnarcht, mit englischem Akzent. Hätte nicht gedacht, dass das möglich ist, aber so hat es sich angehört.«

»Geben Sie uns Bescheid, wenn alles klar ist und Sie die Flugdaten haben«, sagte Phil grinsend, aber ohne auf den Kommentar einzugehen. Danach beendete er das Gespräch und steckte sein Telefon wieder ein.

»Gut, dann sollten wir auch packen«, sagte er zu mir.

Ich nickte. »Ja, das sollten wir.«

***

Unser Flugzeug startete vom Dulles International Airport. Wir flogen nicht direkt, sondern mussten umsteigen. Probleme gab es dabei nicht. Phil versuchte, bei einer Stewardess zu landen, was aber nicht sehr erfolgreich war.

»Ich glaube, die haben eine besondere Schulung erhalten, um zwar freundlich, aber abweisend zu sein«, sagte er zu mir.

Ich grinste. »Wahrscheinlich bist du schon zu oft mit dieser Airline geflogen, sodass sie sich entsprechende Maßnahmen überlegen mussten.«

»Als ob du noch nie eine Stewardess angemacht hättest«, meinte Phil.

»Schuldig im Sinne der Anklage«, sagte ich, legte meinen Kopf zur Seite und versuchte, mich ein wenig zu entspannen.

Als wir schließlich in Guatemala ankamen, war es schon dunkel. Aus dem Fenster sahen wir die Lichter der Millionenstadt Guatemala City. Von oben sah alles friedlich aus, wie bei jeder anderen großen Stadt aus dieser Perspektive. Ich ahnte schon, dass es unten in den Gassen und Häuserschluchten anders aussehen würde.

Nachdem wir gelandet waren, dauerte es ungewöhnlich lange, bis wir das Flugzeug verlassen konnten. Als es schließlich so weit war, empfand ich die warme Nachtluft als angenehm. Es war nicht so warm, wie ich es erwartet hatte, aber wahrscheinlich kühlte es nachts ab.

Wir passierten die Passkontrolle und wollten gerade in Richtung Ausgang gehen, als uns vier Männer entgegenkamen. Einen von ihnen kannte ich. Es war Salvador Ospina Castillo, unser Kontaktmann. Er war etwas kleiner als ich, ein wenig schmaler, sah aber durchtrainiert aus. Ein Schnurrbart zierte sein braungebranntes Gesicht. Seine dunklen Haare hatten schon einige graue Ansätze.

»Hallo, willkommen in Guatemala«, begrüßte er uns mit spanischem Akzent.

»Mr Ospina Castillo, es freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte ich und schüttelte ihm die Hand.

Phil tat es mir gleich.

»Ich bin Francis Duggan von der US-Botschaft«, sagte der einzige Mittelblonde der vier und begrüßte uns ebenfalls. »Ich heiße Sie ebenfalls herzlich willkommen, auch wenn der Grund Ihres Besuchs alles andere als angenehm ist.«

»In der Tat«, sagte ich.

»Das sind zwei meiner Leute, Sancho und Philippe, zuverlässige Männer«, stellte uns Ospina Castillo seine beiden Begleiter vor. »In diesen Zeiten ist es wichtig zu wissen, wem man trauen kann.«

»So ist es«, bestätigte ich kurz und schüttelte den beiden die Hände. Es waren kräftige Männer, die einen relativ freundlichen Eindruck machten.

»Wir bringen Sie zuerst in Ihr Hotel«, sagte Ospina Castillo und schaute auf die Uhr. »Dann können Sie sich vom Flug erholen. Morgen früh können Sie mit Ihren Ermittlungen loslegen.«

Es war bereits nach Mitternacht. Daher hatten wir keine Einwände.

Die Männer brachten uns zu zwei Fahrzeugen, in denen jeweils ein Mann saß. Wir verstauten unser Gepäck, stiegen ein und fuhren los.

Als wir uns dem Zentrum der Stadt näherten, waren überall Menschen auf den Straßen. Es war viel los, wie im Zentrum einer Großstadt üblich. Dabei unterschied sich das Erscheinungsbild natürlich völlig von dem US-amerikanischer Großstädte. Die Häuser waren in schlechterem Zustand, die Autos eher älteren Baujahrs, wenn es auch Ausnahmen gab.

Als wir unser Ziel erreicht hatten, sprangen zuerst Sancho und Philippe aus den Autos und schauten sich in der Gegend um. Man erkannte an ihren Bewegungen, dass sie Erfahrung mit Personenschutz hatten. Als sie das Gelände sondiert hatten, gaben sie Ospina Castillo ein Zeichen und wir stiegen aus. Wir bewegten uns ohne Verzögerung in die Hotellobby. Auch hier hielten unsere Begleiter die Augen offen.

Von dort ging es über das Treppenhaus in den zweiten Stock, wo ein Mann vor einem Zimmer Wache hielt. Ospina Castillo grüßte ihn, sie wechselten ein paar Worte, dann betraten wir die Suite. Sie war recht groß, hatte mehrere Räume. Die Vorhänge waren zugezogen.

»So, hier sind zwei Zimmer, in denen Sie während Ihres Aufenthalts in Guatemala City wohnen können«, sagte Ospina Castillo. »Es hält immer einer unserer Männer Wache vor dem Zimmer, zwei weitere werde ich unten postieren. Man kann nicht vorsichtig genug sein, wenn es um das Bruja-Kartell geht.«

»Und Ihre Leute, die sind vertrauenswürdig?«, fragte Phil.

Ospina Castillo nickte. »Die hier ja. Aber leider gibt es in unserer Polizeibehörde viele, die es nicht sind. Der Drogenhandel bringt viel Geld. Damit kann man sich vieles kaufen, auch Menschen. Das macht unsere Arbeit oft ziemlich schwer. Ich würde viel dafür geben, wenn wir hier genauso gut aufgestellt wären wie Sie in Amerika.«

»Auch bei uns war dafür viel Arbeit und Zeit nötig«, sagte ich. »Das FBI war nicht immer die Organisation, die Sie heute kennen. Wir hatten vielleicht nicht die gleichen Probleme wie Sie, aber unsere waren auch nicht ganz ohne.«

Ospina Castillo lächelte. »Danke für den Versuch, mir Mut zu machen. Ruhen Sie sich erst einmal aus. Morgen früh hole ich Sie ab. Dann erzähle ich Ihnen alles über die vorliegende Situation.«

»Der Rest unseres Teams sollte morgen früh eintrudeln«, sagte Phil. »Können Sie sie auch hier im Hotel unterbringen?«

Ospina Castillo nickte. »Das ist schon organisiert, gleich hier, auf demselben Gang. Das macht es einfacher, die Zimmer zu bewachen.«

Er gab uns eine Karte mit seiner Nummer und verabschiedete sich.

Francis Duggan von der Botschaft nahm uns kurz zu Seite. Er machte einen besorgten Eindruck. »Ospina Castillo ist in Ordnung. Aber Sie sollten sonst niemandem trauen. Korruption ist hier in Guatemala City üblich. Wir haben Pearlman verloren und ich möchte nicht, dass Ihnen etwas zustößt.«

»Danke für den Hinweis«, sagte ich. »Wir passen auf.«

»Ist nicht das erste Mal, dass wir mit Drogenkartellen zu tun haben«, ergänzte Phil.

Duggan richtete seinen Blick auf Phil. »Mag sein. Aber die Situation hier ist wirklich ernst. Die Mitglieder des Kartells schrecken vor nichts zurück. Mord ist für sie eine Methode der Abschreckung. Pearlman war der erste US-Beamte, der getötet wurde. Vor ihm hat es insgesamt sechs Mitglieder der hiesigen Polizei erwischt, die energisch gegen das Kartell vorgehen wollten. Ich sage Ihnen das nur, um Ihnen die Situation zu verdeutlichen. Die Polizei hat die Situation nicht im Griff, überhaupt nicht.«

»Deshalb sind wir ja jetzt hier«, sagte Phil.

»Und machen sich damit zur Zielscheibe«, konterte Duggan. »Aber gut. Schlafen Sie erst einmal. Morgen wird sich Ospina Castillo um Sie kümmern und Sie umfassend informieren.«

Er verabschiedete sich und verließ zusammen mit den anderen das Zimmer. Phil und ich waren allein.

»Das sieht nicht gut aus«, meinte Phil.

Ich nickte. »Ja, das stimmt. Allerdings ändert das nichts an unserem Auftrag. Überprüfen wir eben die Zimmer, Fenster und Türen. Treffen wir die üblichen Sicherheitsmaßnahmen und schauen uns die möglichen Fluchtwege an. Dann können wir uns aufs Ohr hauen.«

Phil nickte. Wir machten uns an die Arbeit. Eine Viertelstunde später hatten wir alles hergerichtet. Es würde niemand in die Zimmer kommen können, ohne dass wir es bemerken würden.

Als ich mich ins Bett legte, die Glock griffbereit, dachte ich über unseren Auftrag nach. Es würde nicht leicht sein, in einer solchen Umgebung zu ermitteln: zu viele Unbekannte. Unser Gegner war auf jeden Fall im Vorteil. Er kannte das Terrain und die Menschen hier.

***

Am nächsten Morgen wurde ich vom Straßenlärm geweckt. Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz vor sieben. Ich entschied mich aufzustehen. Schließlich war ich nicht hier, um mich auszuruhen oder zu erholen.

Im Bad lernte ich den Luxus von gleichmäßig temperiertem Wasser schätzen, denn das gab es hier nicht. Manchmal war es warm, dann wieder kalt und daraufhin wieder übermäßig heiß. Die Aufbereitungsanlage für warmes Wasser war wohl ebenso alt wie das Hotel, das wohl in den sechziger Jahren errichtet worden war.

Als ich das Bad verließ, stand Phil auf.

»Guten Morgen«, sagte er. »Ich glaube, in meiner Matratze fehlen ein paar Federn.«

»Nicht nur in deiner«, erwiderte ich lächelnd. »Aber ich habe schon schlechter geschlafen.«

»Nicht nur du«, sagte er und verschwand im Bad.

Nachdem wir uns angezogen hatten, wollten wir losgehen. Genau in dem Augenblick klopfte es an der Zimmertür.

»Ospina Castillo hier«, hörten wir die vertraute Stimme. »Kann ich reinkommen?«

Phil postierte sich neben der Tür und nickte.

Ich trat neben die Tür und drehte den Schlüssel herum. »Ja, ist offen.«

Er öffnete die Tür langsam und trat ein. »Guten Morgen. Ich hoffe, Sie haben etwas Schlaf bekommen.«

»Kein Problem«, erwiderte Phil. »Können wir los?«

Unser Kontaktmann nickte. »Ja, natürlich. Ich habe etwas zu essen für Sie besorgt. Es ist mir lieber, wenn Sie nicht hier im Haus essen. Im Speisesaal gibt es zu viele Leute, die wir nicht alle kontrollieren können.«

»Sie haben ja an alles gedacht«, lobte Phil.

»Hoffentlich auch an den Appetit von Inspektor Decker«, sagte ich wenig ernst.

Phil verzog das Gesicht. Ospina Castillo verkniff sich ein Lächeln.

Wir verließen das Zimmer und gingen nach unten, wo bereits zwei Wagen auf uns warteten. Die Fahrt zur Polizeidienststelle dauerte nicht lange.

»Die amerikanische Botschaft ist nicht weit von hier«, sagte Ospina Castillo. »Ich fahre Sie später ein wenig herum, damit Sie die Gegend kennenlernen.«

»Das ist eine gute Idee«, sagte ich.

Wir betraten das Gebäude, das seine besten Jahre hinter sich hatte. Teile der Fassade waren abgebröckelt.

Am Eingang standen Wachen mit gesicherten Maschinenpistolen. Außerdem gab es eine Menge Kameras. Die Sicherheitsschleuse zu passieren war kein Problem, unsere Begleiter sorgten dafür, dass wir ungehindert durchgehen konnten.

Das Büro unseres Kontaktmanns befand sich im zweiten Stock. Dort nahmen wir ihm gegenüber Platz. Es war eher spartanisch eingerichtet. An der Wand hingen mehrere Auszeichnungen, die Ospina Castillo bekommen hatte – ein hochdekorierter Polizeioffizier.

Wir nahmen auf den einfachen Stühlen Platz, die sich gegenüber von seinem Schreibtisch befanden. Er selbst setzte sich in einen abgenutzten Ledersessel.

»Es ist schön, dass die amerikanische Regierung so schnell reagiert hat«, legte er los. »Der Tod von Mr Pearlman war ein schwerer Rückschlag der Aktivitäten gegen das Kartell. Ich hoffe auf gute Zusammenarbeit und darauf, seine Arbeit erfolgreich weiterzuführen.«

Mir fiel auf, dass er nur von dem Kartell sprach, nicht Bruja-Kartell sagte. Auch später wurde der Begriff Bruja nur sehr selten von irgendeinem der Polizisten oder anderen Personen, mit denen wir zu tun hatten, ausgesprochen. Wie ich später erfuhr, bedeutete Bruja so viel wie Hexe, und man ging davon aus, dass es Unglück brachte, das Wort auszusprechen.

»Wir werden sicher nur ein paar Tage hier sein, daher möchte ich nicht zu große Erwartungen wecken«, erwiderte ich. »Aber ich hoffe, dass unsere Zusammenarbeit den Grundstein für die weitere Unterstützung unserer Regierung im Kampf gegen das Kartell legen wird. Wie Sie erwähnten, ist auch die Polizei unterwandert. Das in Ordnung zu bringen wäre natürlich wünschenswert, denn ohne tatkräftige Unterstützung aus den eigenen Reihen wird der Kampf schwer werden.«

Er nickte und schaute besorgt drein. »Das ist leider, wie schon erwähnt, ein großes Problem. Die Narcodollars, die das Kartell mit dem Drogenhandel verdient, sind für viele ein willkommener Nebenverdienst. Guatemala ist kein reiches Land. Unsere Polizisten werden nicht gut bezahlt. Es gibt nur wenige, die sich voll und ganz dem Kampf gegen das Kartell gewidmet haben, wie ich. Ein paar Drogenkuriere haben vor Jahren meinen Bruder getötet. Auf offener Straße haben sie ihn erschossen, wie einen Hund. Es gibt einige weitere Polizisten, denen ein ähnliches Schicksal widerfahren ist. Sanchos Braut wurde von Kartellmitgliedern vergewaltigt, woraufhin sie den Freitod gewählt hat. Und Philippe hat ebenfalls einen Bruder verloren. Menschen wie wir werden uns niemals bestechen lassen. Aber wir sind nur sehr wenige. Deshalb müssen wir ständig auf der Hut sein.«

»Mein Beileid«, sagte ich mit ernster Stimme.

Er nickte. »Der Schmerz sitzt tief. Aber er ist für mich auch Antrieb und Motivation weiterzumachen. Leider ist uns das Kartell sowohl personell wie auch von der Ausrüstung her überlegen. Mit Geld kann man sich vieles kaufen. Was wir daher benötigen, sind entsprechende finanzielle Mittel. Die First Lady veranstaltet morgen eine Spendengala, um Gelder zu beschaffen. Als Repräsentanten der US-Regierung sollten Sie auch dabei sein. Ihr Hiersein zeigt, dass uns die Vereinigten Staaten unterstützen. Das wird viele Spender motivieren.«

Phil runzelte die Stirn. »Eine Spendengala? Das ist nicht unser übliches Einsatzgebiet.«

Ospina Castillo lächelte. »Keine Sorge, Inspektor Decker, Sie werden keine Rede halten müssen. Ich stelle Sie ein paar Leuten vor, das ist alles.«

Phil atmete auf. »Na gut, das sollten wir hinkriegen.«

»Wir kommen gerne«, sagte ich. »Aber das ist morgen. Heute sollten wir uns auf den Mord an Mr Pearlman konzentrieren. Sobald unser Team eingetroffen ist, würden wir uns gern den Tatort ansehen.«

»Das ist kein Problem«, sagte Ospina Castillo. »Ich habe den Bereich für Sie absperren lassen. Wobei Sie nicht sehr viel finden werden. Die Leiche haben wir ins Labor gebracht.«

»Und seine Sachen?«, fragte Phil. »Vor allem Handy, Computer und derlei Dinge.«

»Die befinden sich ebenfalls im Labor«, antwortete Ospina Castillo. »Sie und Ihr Team erhalten natürlich vollständigen Zugang zu all unseren Einrichtungen.«

»Das ist gut«, sagte ich. »Und natürlich nehmen wir Ihre Hilfe bei den diesbezüglichen Ermittlungen gerne in Anspruch. Um die Wahrheit zu sagen: Das ist Ihr Gebiet. Wir sind nur Gäste. Sie kennen das Land, die Stadt und die Menschen hier. Ohne Ihre Hilfe sind wir, um es direkt zu sagen, aufgeschmissen.«

Ospina Castillo schaute auf seine Armbanduhr. »Ihre Leute sollten bald landen. Ich habe ein paar meiner Männer zum Flughafen geschickt, um sie abzuholen. Sie werden direkt hierhergebracht, wenn Sie wollen. Oder lieber erst ins Hotel?«

»Lieber direkt hierher«, sagte ich. »Die Kollegen wollen bestimmt direkt mit ihren Untersuchungen beginnen.«

Unser Gesprächspartner nickte. »Gut. Wir können die Zeit nutzen, ich führe Sie durch unser Gebäude und stelle Ihnen ein paar Leute vor. So können Sie sich ein Bild von unserer Arbeit und unseren Möglichkeiten machen.«

»Sehr gern«, erwiderte ich.

***

Was folgte, war eine etwa eine Stunde lange Führung durch das Gebäude und das angrenzende Gelände. Wir trafen einige Mitglieder der Polizei, die Ospina Castillo uns vorstellte. Sie schienen alle motiviert zu sein.

Was mir aber auch auffiel, war, dass die Ausrüstung recht veraltet war. Zwar gab es viele Waffen, auch automatische, aber Equipment wie Funkgeräte, Computer und derlei Dinge waren längst überholt.

»Wie sieht es mit Verschlüsselungsalgorithmen für den Polizeifunk aus? Ich meine, für wichtige Einsätze?«

»Haben wir nicht«, antwortete Ospina Castillo. »Und selbst wenn: Das Kartell würde nicht lange brauchen, um einen Weg zu finden, die Gespräche trotzdem abzuhören. Wir verwenden zumeist Handys, aber auch die können natürlich abgehört werden. Daneben ist das persönliche Gespräch der sicherste Weg, Informationen weiterzugeben. Die wichtigen Räume im Haus werden regelmäßig nach Wanzen durchsucht. Gewöhnlich finden wir welche. So läuft das eben.«

»Das bedeutet, dass unsere Ankunft kein Geheimnis ist«, bemerkte Phil.

Ospina Castillo schüttelte den Kopf. »Nein, sicher nicht. Wir können so etwas für ein paar Stunden geheim halten, aber gewöhnlich sickert dann etwas durch. Die Ankunft fremder Ermittler sowieso. Sie müssen davon ausgehen, dass das Kartell über Sie Bescheid weiß.«

»Na ja, dann ist dem eben so«, sagte Phil.

»Noch etwas«, sagte Ospina Castillo, als wir uns wieder in seinem Büro befanden. »Zögern Sie nicht, von der Waffe Gebrauch zu machen. Es wird zwar von vielen Politikern nicht gern gesehen, wenn Ausländer hier Waffen tragen, und noch weniger, dass sie sie benutzen. Allerdings befinden wir uns im Krieg gegen einen mächtigen und gewalttätigen Gegner. Um Ihres Lebens willen sollten Sie also nicht zögern zu schießen, wenn es angemessen ist.«

»Das werden wir sicher beherzigen«, sagte Phil. »Schließlich sind wir keine Pfadfinder.«

Ospina Castillo nickte. »Das ist gut. Ich nehme an, Sie haben Ihre Glock dabei. Es kann nicht schaden, eine weitere Waffe bei sich zu tragen, wie ein Messer und einen kleinen Revolver, genauso wie ausreichend Munition. Wenn Sie wollen, können Sie sich bedienen.«

Er öffnete einen Schrank, in dem sich eine ganze Waffensammlung befand, unter anderem mehrere Pistolen, Revolver und ein paar Gewehre.

»Die Idee mit dem Messer ist nicht schlecht«, sagte Phil und griff sich eines, das er an seinen linken Fuß schnallte. »Mit meiner Pistole bin ich gut ausgerüstet, genügend Munition habe ich auch immer dabei.«

»Dem schließe ich mich an«, sagte ich. »Wobei wir später eventuell schwerere Geschütze auffahren müssen, wenn wir einen Einsatz haben. Sie verfügen ja sicher über so etwas wie ein SWAT-Team.«

»Natürlich«, antwortete Ospina Castillo. »In vielen Fällen ziehen wir es aber vor, mit ausgewählten Polizisten in den Einsatz zu gehen, vor allem, wenn es sich um eine vertrauliche Angelegenheit handelt.«

Ospina Castillos Handy klingelte. Er ging dran und sprach mit jemandem auf Spanisch. Anschließend wandte er sich an uns. »Ihre Leute sind da. Sie werden jetzt zu uns gebracht.«

Phil lächelte zufrieden. »Na prima, dann können wir mit den Ermittlungen anfangen. Je eher, desto besser. Haben Sie einen Bericht, den wir einsehen können?«

Ospina Castillo nickte. »Ja, den haben wir. Auch übersetzt, sodass Sie ihn ohne Probleme lesen können.«

»Gibt es Zeugen?«, fragte ich.

»Zeugen?«, entgegnete Ospina Castillo lächelnd und schüttelte den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Niemand traut sich, gegen das Kartell auszusagen. Und es ist für alle klar, wer diese Tat verübt hat. Normale Gangster machen so etwas nicht, nicht so offensiv, brutal und in aller Öffentlichkeit. Wir haben aber einige Leute gefunden, die uns den Vorfall beschrieben haben. Vom Hörensagen, so ihre Aussage. Der Bericht basiert darauf und auf dem, was wir vorgefunden haben.«

Er griff in eine Schublade seines Schreibtisches und holte eine Aktenmappe heraus, die er mir reichte. Ich nahm sie entgegen und schaute hinein. Phil rückte näher und warf ebenfalls einen Blick drauf. Der Bericht war nicht sehr lang, aber klar und deutlich. Er schilderte, wie Richard Pearlman zu Tode gekommen war. Daneben gab es Fotos von seiner Leiche und dem Tatort. Das war alles.

»Sie haben ihn erschossen und sind dann hingegangen und haben ihn getreten? Sogar auf ihn gespuckt?«, Phil schüttelte den Kopf. »Herb, wirklich herb.«

Ospina Castillo beugte sich nach vorn. »Das ist ihre Art zu zeigen, dass sie keinen Respekt haben, vor niemandem außer ihren eigenen Leuten, auch nicht vor den Vereinigten Staaten. Bei den Beamten von hier sind sie ähnlich vorgegangen. Sie haben sie getötet und entehrt.«

»Wird Zeit, dass wir ihnen das Handwerk legen«, sagte ich.

***

Als die drei Mitglieder des Scientific Research Team eintrafen, kamen sie in Ospina Castillos Büro. Sie wurden von Sancho und Philippe begleitet.

Die drei sahen ein wenig verschlafen aus, sonst schien es ihnen gut zu gehen.

»Hatten Sie einen guten Flug?«, fragte Ospina Castillo.

»Besser als auf einem wilden Mustang war es allemal«, entgegnete Willson. »Wobei ich nicht viel Gelegenheit zum Schlafen hatte. FGF hat wie ein Weltmeister geschnarcht.«

Der schaute genervt drein und konterte: »Eigentlich war ich es, der kaum ein Auge zugetan hat, weil ein gewisser texanischer Pathologe die ganze Zeit irgendwelche Lieder gesummt hat.«

Mai-Lin sagte kein Wort.

»Immerhin sind Sie alle wohlbehalten angekommen«, sagte ich. »Wir legen direkt los. Mr Ospina Castillo wird Sie ein wenig über die hiesigen Gepflogenheiten informieren. Anschließend fahren wir zum Tatort.«

Die drei nickten. Ospina Castillo wies sie auf die Gefahren hin, die er Phil und mir bereits geschildert hatte. Die drei Wissenschaftler hörten gebannt zu. Sie verstanden, worauf sie zu achten hatten. Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Immerhin ging es um ihr Leben – ein guter Grund, wach und aufmerksam zu sein.

Anschließend verließen wir das Gebäude und fuhren mit Polizeischutz zu der Stelle, an der Pearlman zu Tode gekommen war. Ein kleiner Teil des Bürgersteigs war abgesperrt worden. Man sah die Markierungen, wo die Leiche gelegen hatte, und getrocknetes Blut.

»Viel haben Sie uns ja nicht übrig gelassen«, bemerkte Willson und schaute sich um. »Alle Spuren, die es außerhalb der Absperrung gegeben haben mag, sind von den Passanten und Fahrzeugen so sehr kontaminiert worden, dass wir damit nicht mehr viel anfangen können.«

»Nennen wir es einen erhöhten Schwierigkeitsgrad«, sagte ich. »Die gute Nachricht ist, dass sich die Leiche bereits im Labor befindet und die Täter ausgestiegen sind und auf sie gespuckt haben.«

»Wie bitte?«, sagte Willson überrascht. »Das ist ja hervorragend.«

Ospina Castillo schaute verwirrt drein. Er war Willsons Art nicht gewöhnt. Dessen fehlende Pietät entsprang der Tatsache, dass Speichel DNA-Spuren enthielt, was eventuell eine Identifizierung der Täter ermöglichen könnte.

»Also los, an die Arbeit«, sagte Phil.

Willson und Fortesque legten sofort los. Mai-Lin stand ein wenig deplatziert herum.

»Ich meinte nur die beiden Herren«, sagte Phil zu ihr. »Pearlmans Computer können Sie sich später vornehmen.«

Sie nickte. »Ja, gut, dann warte ich besser im Wagen.«

Man konnte ihr ansehen, dass es ihr nicht gut ging. Vielleicht lag es am Anblick des Blutes. Sie war sonst nicht so zart besaitet, vielleicht hatte sie schlecht geschlafen.

Ich schaute mich um: eine relativ belebte Straße. Es war ein Wunder, dass die Schützen nur Pearlman getroffen hatten. Vielleicht hatten sich die Passanten in seiner Nähe schnell genug in Sicherheit bringen können oder es war weniger los gewesen als jetzt.

»Von dort sind sie gekommen«, erklärte Ospina Castillo und zeigte in die Richtung. »Diese Art Attentate sind hier recht häufig. Große Feuerkraft und wenig Feingefühl. Scharfschützen setzt das Kartell eigentlich nie ein.«

»Für Pearlman ist das sicher kein Trost«, bemerkte Phil.

Ich überlegte und stellte mir vor, wie das Attentat abgelaufen sein musste. Vor meinem geistigen Auge sah ich das Fahrzeug beschleunigen, näher kommen und die Schützen schießen. Pearlman versuchte zu entkommen, schaffte es aber nicht. Getroffen stürzte er zu Boden. Dann stiegen die Männer aus.

»Soweit wir wissen, sind es zwei Schützen gewesen, nicht wahr?«, fragte ich.

Ospina Castillo nickte. »Ja, da stimmen die Aussagen überein. Und ein Fahrer.«

»Also drei Täter«, sagte ich zu mir selbst.

Wahrscheinlich waren es kleine Fische gewesen. Es gehört nicht viel dazu, jemanden auf diese Weise zu töten. Ein paar Kerle, die mit Schnellfeuerwaffen umgehen und einigermaßen zielen können. Und die ruchlos genug sind, einen Menschen zu töten, nur aufgrund eines entsprechenden Auftrags. Oder natürlich für Geld.

Ich hörte einen Motor aufheulen. Mein Mund wurde trocken, meine Muskeln spannten sich an. War das Kartell dreist genug, noch ein Attentat zu unternehmen? Ich sprang zur Seite und schaute auf das näherkommende Auto. Die Sonne spiegelte sich in der Windschutzscheibe, sodass ich nicht sehen konnte, wer sich innen befand. Die Seitenfenster waren nicht heruntergelassen, ein gutes Zeiten. Dennoch blieb ich auf der Hut und hielt meine Hand in der Nähe der Waffe.

Ich beobachtete den Wagen genau. Er fuhr an uns vorbei.

Ospina Castillo kam auf mich zu. »Es ist besser, zu vorsichtig zu sein, als überrascht zu werden.« Auch er hielt seine Hand in der Nähe der Waffe.

»Wir sollten uns beeilen«, sagte ich. »Hier geben wir zu gute Zielscheiben ab.«

Phil nickte. Er ging zu den anderen und machte ihnen Beine. Gut fünfzehn Minuten später hatten sie ihre Untersuchungen abgeschlossen.

»Das war nicht wirklich ergiebig«, sagte Willson. »Ich hoffe, die Leiche von Pearlman gibt uns genauere Anhaltspunkte.«

»Das hoffe ich auch«, fügte Fortesque hinzu. »Ich habe noch ein paar Kugeln sichergestellt, mit denen könnten wir die Waffen identifizieren.«

Ich nickte. »Gut, dann verschwinden wir jetzt hier.«

Wir stiegen in die Fahrzeuge. Ospina Castillo und seine Männer schauten sich noch einmal um und stiegen dann ebenfalls ein. Anschließend fuhren wir zurück zur Polizeistation, allerdings nicht auf direktem Wege.

»Warum der Umweg?«, fragte Phil.

Ospina Castillo lächelte. »Wir versuchen, nicht allzu vorhersagbar zu sein, falls uns jemand irgendwo eine Falle gestellt hat.«

Die Fahrt verlief ohne besondere Vorkommnisse. Wir erreichten die Polizeistation und stiegen aus. Zusammen gingen wir zum Labor, wo die Mitglieder des SRT erst einmal einen Schock bekamen.

***

»Hier sollen wir arbeiten?«, stieß Willson undiplomatisch aus. »Das ist doch ein Scherz, oder?«

»Mann, die Instrumente stammen ja noch aus dem letzten Jahrhundert«, sagte Fortesque und war ausnahmsweise einmal der gleichen Meinung wie Willson.

Das Labor war zwar sauber, die Geräte sahen aber wirklich alles andere als modern aus. Ich konnte die beiden gut verstehen. Sie waren einen ganz anderen Standard gewöhnt.

Ich versuchte sie zu beruhigen. »Wir sind hier nicht in Quantico und müssen uns den vorhandenen Gegebenheiten anpassen. Kommen Sie mit den Geräten hier klar? Oder bekommen wir ein Problem?«

Willson holte tief Luft. »Nun, ja, also ich habe auch schon mal mit einigen dieser Instrumente gearbeitet, während meiner Ausbildung. Denke schon, dass ich damit klarkommen werde.«

»FGF?«, fragte ich Fortesque.

Der nickte. »Na ja, schon, aber wird wohl alles länger dauern.«

»Dann legen Sie besser gleich los«, sagte ich.

Ospina Castillo kam mit einem älteren Mann ins Labor. »Das ist Dr. Vasques. Er ist unser Pathologe und kann Ihnen bei den Untersuchungen helfen. Die Geräte hier kennt er wie seine Westentasche.«

Dr. Vasques ging auf Willson zu, lächelte und reichte ihm seine Hand. »Hallo, nennen Sie mich einfach Emile.«

Dr. Willson schüttelte ihm die Hand. »Gerold. Und das ist Frederik George Fortesque, kurz FGF, einer der vielen Engländer, die in den Staaten aus unnachvollziehbaren Gründen eine Greencard erhalten haben.«

Vasques begrüßte auch Fortesque.

»Wo ist er?«, fragte Willson.

»Wer?«, entgegnete Vasques.

»Der Leichnam von Mr Pearlman? Wer sonst?«, fragte Willson ein wenig hochnäsig.

Phil verdrehte die Augen. Ich konnte sehen, dass er kurz davor war, Willson einen Vortrag über Freundlichkeit und Diplomatie zu halten.

Ich hingegen war mir sicher, dass die Herren Doktoren in der Lage sein würden, das selbst zu regeln, und zog es daher vor, sie mit ihrer Arbeit allein zu lassen.

»Gut, dann können wir gehen«, sagte ich zu Phil und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Die machen das schon«, flüsterte ich ihm zu.

»Hoffentlich«, erwiderte er, sagte aber sonst nichts, sondern folgte mir zum Ausgang.

»Und ich?«, hörte ich Mai-Lins Stimme hinter mir. »Was soll ich machen? Ich arbeite normalerweise nicht in einem Raum mit Leichen. Und wo ist der Computer von Mr Pearlman?«

»Oh, ja, natürlich«, sagte Ospina Castillo. »Gut, dass Sie das erwähnen. Der befindet sich nicht hier, sondern in der amerikanischen Botschaft. Ich kann Sie dort hinbringen lassen.«

»Das wäre nett«, sagte ich zu ihm und wandte mich an die Computerspezialistin. »Mai-Lin, natürlich müssen Sie nicht hier arbeiten, keine Frage.«

Sie atmete auf. Zusammen verließen wir das Labor.

Ein paar vertrauenswürdige Leute von Ospina Castillo brachten Mai-Lin zur Botschaft. Wir erhielten etwas später die Bestätigung, dass sie dort gut angekommen war.

»Und was machen wir jetzt?«, fragte Phil. »Die werden sicher einige Zeit brauchen.«

»Wir machen uns mit dem Kartell vertraut, den führenden Köpfen, Methoden, Vertriebswegen, Geldflüssen – all dem, was uns später nützlich sein könnte.«

Phil nickte. »Hört sich interessant an. Dann wollen wir mal!«

Mit Hilfe von Ospina Castillo nutzten wir die Zeit, in der die Wissenschaftler arbeiteten, und informierten uns umfassend über das Kartell.

***

Es waren vielleicht drei Stunden vergangen, in denen wir viel erfahren und darüber hinaus die einheimische Küche kennengelernt hatten. Ospina Castillo hatte es sich nicht nehmen lassen, uns zu bewirten – in seinem Büro, nicht in einem Restaurant außerhalb des Gebäudes. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen.

Mein Handy klingelte.

Willson war dran. »Wir haben was. Wollen Sie runterkommen?«

»Sind schon unterwegs«, sagte ich und beendete das Gespräch.

Phil schaute auf. »Gibt es Neuigkeiten?«

Ich nickte. »Ja, Willson hat was.«

»Da bin ich aber gespannt«, sagte Ospina Castillo und erhob sich.

Zusammen gingen wir zu dem im Keller befindlichen Labor. Dort erwarteten uns Willson, Fortesque und Vasques.

»Ah, da sind Sie ja«, sagte Willson, der es sich wohl nicht nehmen lassen wollte, uns über seine Entdeckungen aufzuklären. Er war deutlich besser drauf als bei seiner Ankunft im Labor. Offensichtlich hatte er sich an die vorhandene Ausrüstung gewöhnt und war damit klargekommen.

»Zunächst zur Todesursache«, legte er los. »Es gab insgesamt acht Schusswunden. Drei der Kugeln haben lebenswichtige Organe verletzt. Er ist schnell gestorben, was ein Trost sein mag. Die Kugeln stammen aus zwei verschiedenen Waffen, einem amerikanischen Schnellfeuergewehr und einer Kalaschnikow. Die genauen Modellbezeichnungen finden Sie in meinem Bericht. Es sind aber weit verbreitete Modelle, keine besonderen Anfertigungen. Das wird entsprechend kaum helfen, den Täter zu finden.«

Er legte eine Pause ein, holte tief Luft und redete dann weiter, bevor Fortesque etwas sagen konnte.

»Jetzt zu den guten Nachrichten. Wir konnten die DNA von zwei Personen, Männern, isolieren. Auf einen Feind zu spucken mag eine symbolische Wirkung haben, vom kriminaltechnischen Gesichtspunkt ist es von den Tätern eine große Dummheit. Mit Hilfe der entsprechenden Datenbank werden wir sie identifizieren können.«

»Das sind ja gute Nachrichten«, sagte Phil lächelnd. »Um wen handelt es sich?«

Willson schaute ihn direkt an. »Ich sagte, wir werden sie identifizieren können. Bisher haben wir das noch nicht getan. Hier unten haben wir keinen Zugang zur entsprechenden Datenbank.«

»Da kann ich Ihnen helfen«, sagte Ospina Castillo. »Wobei ich darauf hinweisen sollte, dass unsere Datenbank bei weitem nicht so umfangreich ist wie Ihre in den Vereinigten Staaten. Es könnte also sein, dass die Suche keinen Erfolg haben wird. Außerdem sind unsere Computer nicht gerade die schnellsten.«

»Gehen wir es an«, sagte ich. »Dann sehen wir ja, was unsere Kollegen finden.«

Wir sorgten dafür, dass die Suche gestartet wurde. Dann gingen Phil und ich zusammen mit Ospina Castillo in dessen Büro.

»DNA-Spuren sind ein guter Hinweis«, sagte Phil. »Wenn wir wissen, wer die beiden Schützen sind, müssen wir sie nur noch finden.«

Ospina Castillo lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Wie gesagt, es ist nicht sicher, dass wir sie finden. Wir sollten uns weitere Möglichkeiten offen halten. Die Befragung der Leute in der Umgebung hat, wie es auch im Bericht steht, nicht viel ergeben. Wir haben keine Hinweise auf das Fahrzeug oder gar die Nummernschilder. Vielleicht würde es helfen, ein paar bekannte Drogenumschlagplätze aufzusuchen, ein paar Razzien durchzuführen. Das ist das, was wir üblicherweise in einer solchen Situation machen.«

»Ein guter Vorschlag«, sagte ich. »Aber das heben wir uns für später auf. Im Moment setze ich noch auf die Kriminaltechnik. Aber apropos andere Möglichkeiten. Wie sieht es mit Informanten aus? Haben Sie welche?«

Ospina Castillo hielt den Zeigefinger vor seinen Mund. »Darüber reden wir nicht viel. Es gibt nur wenige Quellen, die wir im Notfall anzapfen. Aber das ist eine Sache, die Fingerspitzengefühl erfordert. Wenn bekannt wird, dass jemand, der etwas weiß, mit uns zusammenarbeitet oder uns Informationen liefert, wird er im besten Fall übel zugerichtet und im schlimmsten Fall übel ermordet.«

Phil schaute ihn an. »Was machen Sie eigentlich mit Cops, von denen herausgefunden wird, dass sie Informationen an das Kartell weitergeben?«

»Wir bringen sie auf jeden Fall nicht um«, erwiderte Ospina Castillo. »Schließlich sind wir nicht so schlimm wie unsere Gegner. Es ist aber schon mal vorgekommen, dass ein Verräter zusammengeschlagen wurde. Besonders, wenn durch seinen Verrat einer von uns ums Leben kam. Engel sind wir eben auch nicht.«

»Dann hätten Sie auch den falschen Beruf gewählt«, sagte ich.

Ospina Castillo nahm sein Handy in die Hand. »Wie dem auch sei, mehr Informationen können nicht schaden. Ich werde ein paar gute Männer darauf ansetzen.«

Er telefonierte und kurz darauf kam ein Mann, den wir nicht kannten, in sein Büro. Dem erzählte er, was er brauchte, woraufhin der Mann schweigend nickte und verschwand.

Ospina Castillo wandte sich wieder an Phil und mich. »Das kann jetzt einige Zeit dauern. Wie gesagt, wir müssen behutsam vorgehen.«

Im Verlauf des restlichen Tages gab es keine weiteren Vorkommnisse. Weder spuckte der Computer irgendwelche Daten aus noch erhielten wir irgendwelche Hinweise von Informanten. Auch Mai-Lin schaffte es nicht, Richard Pearlmans Computer so schnell zu entschlüsseln.

Wir machten Feierabend und fuhren in unser Hotel zurück. Willson und Fortesque bekamen das Zimmer gleich neben dem von Phil und mir und Mai-Lin das neben ihrem.

»Schade, am liebsten würde ich mir das Land ansehen«, sagte Fortesque. »Wenn wir schon mal hier sind. Aber das wird wohl nicht gehen, oder?«

»Sie müssen Ihr britisches Forscherblut wohl zügeln«, sagte Phil. »Wenn das Kartell eine Chance wittert, einen von uns in die Hände zu bekommen oder ins Jenseits zu befördern, wird es damit wahrscheinlich nicht zögern.«

»Britisches Forscherblut?«, meinte Willson abschätzig. »Waren es nicht eher die Spanier und Portugiesen, die diesen Teil der Welt erkundet haben? Und mit Alexander von Humboldt sogar ein Deutscher? Na ja, auf jeden Fall kein Engländer.«

Fortesque schaute ihn erbost an. »Das Empire erstreckte sich fast über die gesamte bekannte Welt.«

»Na ja, dann waren Ihren Ahnen Süd- und Mittelamerika wohl nicht bekannt«, konterte Willson.

»Meine Herren«, mischte ich mich ein. »Vielleicht sollten wir uns im Moment mehr auf unsere Aufgabe konzentrieren und alles andere zurückstellen. Wenn wir nicht als effektives Team zusammenarbeiten, ist jeder von uns in Gefahr. Dem Kartell ist es sicher egal, wer Mittel- und Südamerika entdeckt hat. Wir sind ihnen ein Dorn im Auge, und das haben die nicht gern.«

Willson nickte. »Okay, geht klar.«

Auch Fortesque sah ein, dass es im Moment wichtig war, zusammenzuhalten.

***

Es war stockdunkel im Zimmer, als ich ein Geräusch hörte und wach wurde. Instinktiv griff ich zur Waffe und schaute mich um. Im Zimmer war keine Bewegung wahrzunehmen, auch kein Geräusch. Ich war definitiv allein.

Ich stand auf, ging zum Fenster und schaute vorsichtig hinaus. Auch dort war nichts Verdächtiges zu sehen.

Lautlos schlich ich mich zur Tür von Phils Zimmer und öffnete sie. Er schien zu schlafen. Davon abgesehen war außer ihm niemand zu sehen.

»Hast du es auch gehört?«, flüsterte er leise.

»Ja«, sagte ich. »Hätte mir ja denken können, dass du nicht schläfst.«

»Zumindest nicht sehr fest«, sagte er.

Ich sah, dass auch er seine Waffe in der Hand hielt.

»Vielleicht kam es von draußen auf dem Flur«, sagte ich.

Er nickte. »Schauen wir besser mal nach.«

Er stand auf. Zusammen gingen wir zur Tür des Hotelzimmers und lauschten. Von draußen war nichts zu hören. Vielleicht hatten wir uns getäuscht.

Wir warteten ein paar Minuten. Dann hörten wir eine Stimme, die allerdings von jemandem stammte, der etwas weiter von der Tür entfernt war.

»Flucht da jemand?«, fragte Phil.

»Hört sich ganz so an«, sagte ich. »Fragt sich nur, ob es einer von Ospina Castillos Männern ist oder ein ungebetener Gast.«

»Gehen wir der Sache auf den Grund«, sagte Phil. »Dann regeln wir das oder legen uns wieder hin.«

Ich ging in Position. Er drehte den Türschlüssel lautlos herum. Dann packte er die Türklinke. Auf mein Zeichen riss er die Tür auf und ich machte mit vorgehaltener Waffe einen Schritt nach vorne.

Ein paar Meter weiter fiel ein Mann erschrocken vom Stuhl. Er fluchte und richtete sich wieder auf.

Es war einer von Ospina Castillos Männern. Offensichtlich hatte er sich einen Stuhl besorgt, um nicht die ganze Nacht stehen zu müssen.

»Sorry, wir hatten etwas gehört«, sagte ich und senkte die Waffe.

»Das war nur ich«, sagte der Mann in schlechtem Englisch.

»Alles klar, dann gehen wir wieder rein«, sagte ich. Phil und ich gingen in das Hotelzimmer zurück und grinsten.

»Dem haben wir aber einen gehörigen Schreck eingejagt«, meinte Phil.

»Gut so«, sagte ich. »Jetzt passt er bestimmt besser auf als vorher.«

Wir gingen wieder in unsere Betten zurück. Ich lauschte noch in die Nacht, schlief aber kurz darauf wieder ein.

***

Als ich am nächsten Morgen vom Klingeln meines Handyalarms geweckt wurde, war ich nicht wirklich ausgeschlafen. Genau wie Phil hatte ich nicht tief geschlafen. Unter den gegebenen Umständen war das nicht verwunderlich.

Während ich duschte, passte Phil auf, dann wechselten wir die Rollen. Kurz darauf kam Ospina Castillo mit Sancho und Philippe und holte uns und die Mitglieder des Scientific Research Team ab.

»Ich habe geschlafen wie ein Baby«, meinte Fortesque. »Nachts herrscht hier eine richtig angenehme Wärme. Das liegt mir.«

»Ich kann mir vorstellen, dass in der amerikanischen Botschaft noch ein Chemiker gebraucht wird«, stichelte Willson ein wenig, woraufhin er einen strafenden Blick von Phil erntete.

Wir fuhren zuerst an der US-Botschaft vorbei, wo wir Mai-Lin absetzten, die sich weiter um Pearlmans Computer kümmern wollte. Dann fuhren wir zur Polizeistation, wo wir unsere Arbeit fortsetzten.

»Bin gespannt, ob die Computer inzwischen die Namen ausgespuckt haben«, sagte Willson. »Immerhin haben sie die ganze Nacht durchgearbeitet.«

»Schauen wir am besten nach«, sagte Ospina Castillo, der uns zu den entsprechenden Räumlichkeiten brachte.

Dort angekommen sah Willson mit Hilfe von Ospina Castillo im Computer nach.

Seine Miene hellte sich auf. »Wir haben etwas: zwei Treffer. Ihre Datenbank scheint ja besser zu sein, als Sie dachten.«

Auch Ospina Castillo lächelte. »Sie scheinen einen guten Einfluss auf unsere Ermittlungen zu haben. Wer sind die beiden?«

»Der eine heißt Diego Marcos, der andere Enrico Solozzo«, antwortete Willson. »Viel mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen, die meisten Angaben sind in Spanisch.«

»Da kann ich Ihnen helfen«, sagte Ospina Castillo und setzte sich vor den Monitor. »Täter eins ist, wie gesagt, Diego Marcos, vierundzwanzig Jahre alt, ledig, keine Kinder. Er ist wegen diverser Delikte vorbestraft, war schon einmal im Gefängnis. Es wird angenommen, dass er für das Kartell arbeitet. Viel mehr ist über ihn nicht bekannt.«

»Dann haben wir jetzt Gewissheit, dass er für das Kartell tätig ist«, meinte Phil. »Nun gut, und der andere?«

»Enrico Solozzo, zweiunddreißig, geschieden, keine Kinder«, fuhr Ospina Castillo fort. »Der hat noch mehr auf dem Kerbholz als sein Komplize. Hat gut acht Jahre seines Lebens im Gefängnis verbracht. Ein gewalttätiger Typ. Hat einen Mann krankenhausreif geschlagen, weil er dachte, dass der was mit seiner Ex-Frau hatte. Das war sein zweiter Gefängnisaufenthalt. Es wird vermutet, dass er als Drogenkurier gearbeitet hat und andere Aufträge für das Kartell übernimmt. Das Problem ist, dass wir von beiden zwar den Wohnort kennen, es aber fraglich ist, ob die Angaben stimmen.«

»Das sollten wir auf jeden Fall überprüfen«, sagte ich. »Vielleicht fühlen sie sich sicher. Immerhin haben sie Masken getragen. Ohne ihre DNA hätten wir sie nicht identifizieren können. Und wahrscheinlich haben sie nicht daran gedacht, sonst wären sie umsichtiger vorgegangen.«

Ospina Castillo nickte. »Ja, wir werden sie sofort suchen, zuerst in ihren Wohnungen. Falls sie dort nicht angetroffen werden können, geben wir eine Fahndung heraus.«

»Na gut, dann mal los«, sagte Phil.

Ospina Castillo schaute ihn an. »Moment mal, ich dachte, dass sich meine Leute darum kümmern und Sie hier warten.«

»Kommt nicht in Frage«, sagte Phil. »Wir kommen auf jeden Fall mit.«

»Wenn Sie darauf bestehen«, sagte Ospina Castillo. »Ich dachte nur an Ihre Sicherheit. Außerdem fallen Sie mehr auf als wir.«

»Wir sind hier, um die Mörder von Richard Pearlman zu fassen«, sagte Phil. »Vom Schreibtisch aus werden wir das nicht schaffen. Außerdem waren wir schon lange genug inaktiv. Es wird Zeit, dass wir etwas unternehmen.«

Ospina Castillo war nicht begeistert davon, dass wir mit auf die Straße wollten, beugte sich aber schließlich unserem Willen. Während Willson und Fortesque im Labor blieben, gingen Phil und ich mit einigen Polizisten auf die Jagd.

***

»Da vorne wohnt Marcos«, sagte Ospina Castillo und deutete auf ein heruntergekommenes Mehrfamilienhaus mit vier Stockwerken.

Wir befanden uns irgendwo in der westlichen Randzone von Guatemala City. Es sah hier schlimmer aus als früher in der Bronx. Die Menschen auf den Straßen strahlten eines ganz klar aus: Armut. Sie waren schlecht gekleidet, viele hatten nur dreckige Stofffetzen am Leib. Es war wirklich schlimm.

»Wird nicht lange dauern, bis sich herumgesprochen hat, dass wir hier sind«, sagte Sancho mit fürchterlichem Akzent.

»Dann sollten wir schnell vorgehen«, sagte Phil. »Wissen Sie, in welcher Wohnung Marcos lebt?«

Ospina Castillo schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht. Wobei wir uns gewöhnlich nicht die Mühe machen, nach der Wohnung zu suchen. Wir treiben die Verdächtigen einfach aus dem Haus, indem wir ein wenig Lärm machen.«

»Wenn das Ihre übliche Vorgehensweise ist, kennen die Kartellmitglieder sie schon«, sagte ich. »Vielleicht sollten wir diesmal etwas ruhiger vorgehen. Sie könnten zwei Männer vorschicken, die die Lage auskundschaften. Dann kommen wir nach.«

»Warum nicht? Kann nicht schaden, mal was Neues auszuprobieren«, sagte Ospina Castillo.

Er gab seinen Leuten entsprechende Anweisungen. Zwei bezogen auf der Rückseite des Gebäudes Stellung, um Marcos aufzuhalten, falls er zu fliehen versuchte. Zwei weitere Männer gingen in das Haus.

Wir warteten im Wagen.

Nach ein paar Minuten war ich mir sicher, dass jeder in der Gegend wusste, dass wir da waren. Die Blicke der Passanten sagten genug aus. Ihnen war klar, dass wir nicht hierhergehörten. Sie würden uns entweder für Cops oder Mitglieder des Kartells halten.

»Wir haben die Wohnung gefunden«, wurde über Funk durchgegeben. »Zweite Etage rechts.«

»Na dann los!«, sagte Phil und stieg als Erster aus.

Ich folgte ihm. Dann kam Ospina Castillo. Sancho blieb im Wagen.

Wir überquerten die Straße mit schnellen Schritten und betraten das Gebäude. Drinnen sah es noch schlimmer aus als draußen. Der Putz war von den Wänden gefallen und die Treppenansätze stark abgelaufen. Es roch nach Essen.

»Los, die Treppe rauf«, sagte Phil und ging vor.

Wir folgten. Wenige Sekunden später hatten wir das zweite Stockwerk erreicht. Dort warteten bereits die beiden Polizisten, die vorgegangen waren, auf uns.

»Es ist ruhig, niemand zu hören«, sagte der eine.

»Wollen wir mal sehen, ob jemand da ist«, sagte Ospina Castillo.

Er ging zu der Tür. Seine beiden Männer stellten sich links und rechts neben ihr auf, mit gezogenen Waffen.

Ospina Castillo versetzte der Tür einen starken Tritt. Sie flog auf. Blitzschnell waren seine Männer in der Wohnung. Man merkte, dass sie gut ausgebildet waren. Phil und ich hätten es nicht besser machen können.

»Leer, keiner da«, sagte Ospina Castillo.

Ich betrat die Wohnung nach Phil. Es sah nicht sehr ordentlich aus. Eher so, als wäre der Bewohner überstürzt geflohen. Ich schaute aus dem Fenster. Auf der Hinterseite waren nur die beiden Polizisten zu sehen, die dort Wache hielten.

»Vielleicht gibt es irgendwelche Hinweise auf seinen Aufenthaltsort«, sagte ich. »Ein Adressbuch, etwas in der Art.«

Wir durchsuchten die Wohnung. Es gab tatsächlich ein Adressbuch, das einer der Polizisten an sich nahm. Darüber hinaus fanden wir ein paar Tüten mit weißem Pulver, vermutlich Drogen.

»Das kann FGF analysieren«, sagte Phil. »Wir wollen Marcos zwar wegen Mordes dranbekommen, aber es wird nicht schaden, wenn wir eine nicht unerhebliche Menge Rauschgift in seiner Wohnung gefunden haben.«

»Hier ist noch etwas«, sagte Ospina Castillo und öffnete eine Kiste. Darin befand sich ein Trommelrevolver mitsamt Munition.

»Den nehmen wir auch mit«, sagte Phil. »Vielleicht wurde er bei einem anderen Mord benutzt. Und was ist mit der Tatwaffe? Gibt es irgendwo eine Stelle, wo er ein Schnellfeuergewehr versteckt haben könnte?«

Wir schlossen unsere Durchsuchung ab. Ein Gewehr fanden wir nicht.

»Er hat es wahrscheinlich mitgenommen«, sagte ich. »Oder von vornherein woanders aufbewahrt. Ein Gewehr unauffällig zu transportieren ist schwieriger als einen Revolver.«

Die Beweismittel verstauten wir in Plastiktüten. Dann verließen wir die Wohnung.

Im Flur kam uns eine junge Frau entgegen. Als sie uns sah, senkte sie ihren Blick und ging weiter, wobei sie versuchte, uns zu ignorieren.

Ospina Castillo sprach sie an. Obwohl ich nicht verstand, was sie sagte, konnte ich sehen, dass sie ihm auswich. Offensichtlich wollte sie nicht in irgendetwas verwickelt werden.

»Sie sagt, dass sie Marcos zuletzt gestern Abend gesehen hat«, informierte uns Ospina Castillo. »Besser gesagt in seiner Wohnung gehört. Er dreht die Musik immer ziemlich laut auf. Es stört die Nachbarn, aber keiner wagt es, sich bei ihm zu beschweren.«

»Kein Wunder«, sagte Phil. »Wer riskiert schon seine Gesundheit oder sein Leben, weil der Nachbar die Musik zu laut aufgedreht hat?«

Wir verließen das Stockwerk über die Treppe und gelangten wieder auf die Straße. Es war irgendwie leerer geworden. Als ob die Leute fühlten, dass Ärger in der Luft lag. Schräg gegenüber sah ich eine Frau, die ein kleines Kind hinter sich herzog.

»Wir sollten die Gegend verlassen«, sagte Ospina Castillo. »Es ist hier nicht sicher.«

Mit schnellen Schritten gingen wir zu den Fahrzeugen und stiegen ein. Die anderen Polizisten saßen schon auf ihren Plätzen.

Dann fuhren wir los, in Richtung unseres nächsten Ziels.

Diego Marcos hatten wir nicht gefunden. Vielleicht würden wir bei Enrico Solozzos Wohnung mehr Glück haben.

***

Die Gegend, in der Solozzo wohnte, war noch etwas schlimmer als die, aus der wir kamen. Auch hier gingen wir schnell und konsequent vor. Das Ergebnis fiel allerdings noch schlechter aus als bei Marcos. Solozzo trafen wir nicht an. Und es gab in seiner Wohnung nicht den geringsten Hinweis auf seinen Aufenthaltsort, genauso wenig wie irgendwelche Drogen oder Waffen.

»Das war wohl nichts«, sagte Phil, als wir wieder auf dem Weg zur Polizeistation waren.

»Wir fahnden nach den beiden und setzen unsere Informanten ein«, sagte Ospina Castillo. »Das sollten Sie uns überlassen. Sie sollten sich besser für die Spendenveranstaltung heute Nachmittag vorbereiten. Haben Sie entsprechende Anzüge dabei?«

»Anzüge?«, fragte Phil überrascht. »Was sieht die Kleiderordnung denn vor?«

Ospina Castillo lächelte. »Üblich sind vornehme schwarze Anzüge für die Herren. Die Damen haben bei der Wahl ihrer Garderobe natürlich mehr Freiheit.«

»Da wir nicht damit gerechnet hatten, bei einer solchen Veranstaltung teilzunehmen, sind wir kleidungstechnisch nicht vorbereitet«, sagte ich. »Können wir uns irgendwo die entsprechenden Anzüge ausleihen?«

Ospina Castillo nickte. »Sicher. Ich werde mich darum kümmern. Werden Ihre Leute auch kommen?«

»Nicht, wenn es nicht unbedingt nötig ist«, antwortete Phil.

Als Willson allerdings kurz darauf erfuhr, dass eine Spendengala mit der High Society von Guatemala City geplant war, wollte er unbedingt dabei sein. Das wiederum führte dazu, dass Fortesque ebenfalls teilnehmen wollte. Schließlich wollte er Willson in nichts nachstehen. Nur Mai-Lin verzichtete auf den Rummel. Sie war so sehr in ihre Arbeit mit dem Computer von Pearlman vertieft, dass sie meinen entsprechenden Anruf eher als Störung empfand denn als willkommene Ablenkung.

»Wir vier also«, sagte Phil zu Ospina Castillo.

Der nickte. »Vier Anzüge also. Ich lasse jemanden kommen, der sich Ihre Größen notiert und sich darum kümmert. In der Zwischenzeit sollten wir etwas essen und uns dann wieder um die Ermittlungen kümmern.«

»Essen ist eine gute Idee«, bestätigte Phil. »Mir knurrt der Magen. Und das ist keine gute Voraussetzung für erfolgreiche Polizeiarbeit.«

Das Essen wurde, wie auch schon zuvor, gebracht – aus Sicherheitsgründen. Dafür wurde reichlich aufgetischt, vor allem einheimische Küche.

Anschließend kümmerten wir uns weiter um die Ermittlungen. Die Fahndung nach Marcos und Solozzo hatte bis kurz vor Beginn der Spendengala keine Ergebnisse gebracht.

Wir fuhren früh genug los, um pünktlich beim Präsidentenpalast zu sein. Ospina Castillo hatte etwas von einer »kleinen Feier« erwähnt. Tatsächlich erwartete uns aber eine Luxusparty, zu der mehrere hundert Gäste geladen waren. Und sie alle waren herausgeputzt.

»Wie ein Haufen Gockel sehen die meisten Typen hier aus«, flüsterte Phil mir zu.

»Genau wie wir«, erwiderte ich. »Scheint zu den lokalen Gepflogenheiten zu gehören. Die Frauen haben sich auch richtig in Schale geworfen.«

Phil lächelte. »Ja, die sind nett anzusehen.«

Solche Feierlichkeiten waren nicht unser eigentliches Tätigkeitsfeld, allerdings hatten wir als FBI-Inspektoren auch eine repräsentative Funktion. Das hatten wir in Washington erfahren müssen, und das traf auch hier zu. Versüßt wurde unsere Aufgabe dadurch, dass uns ein paar gut aussehende junge Frauen mit angenehm braunem Teint zulächelten.

»Die sind echt süß«, meinte Phil. »Vielleicht sollte ich sie mal ansprechen.«

»Nichts dagegen«, sagte ich. »Solange du keine diplomatischen Verwicklungen auslöst, die einen Keil zwischen die USA und Guatemala treiben.«

Er lächelte. »Du weißt doch, dass ich ausgesprochen diplomatisch sein kann.«

»Ja, wenn du willst, schon«, erwiderte ich.

Er nickte. »Im Moment denke ich, dass ich einiges für die bessere Verständigung unserer beiden Länder tun könnte. Mal sehen, wie die Aktien stehen.«

Phil ging auf die beiden Damen zu und machte Konversation. Ich für meinen Teil suchte Ospina Castillo. Er hatte hier ebenfalls repräsentative Aufgaben, war aber aufgrund seiner Position stets auf Sicherheit bedacht. Da es sich um eine Spendengala handelte, die Gelder für den Kampf gegen Drogen bringen sollte, war sie natürlich ein potenzielles Ziel für das Kartell.

Ich sah ihn. Er sprach gerade mit einer Frau, die mir bekannt vorkam. Ich ging langsam zu den beiden hinüber. Als er mich sah, winkte er mich zu sich und stellte mich vor. »Das ist Inspektor Jerry Cotton vom FBI Washington. Er ist hier, um den Tod von Richard Pearlman aufzuklären. Und das ist Rosa Leal de Pérez, die First Lady.«

Vor mir stand, in einem wunderschönen Kleid, die erste Dame der Nation. Sie hatte schulterlange, dunkle Haare und trotz ihrer strengen Gesichtszüge ein einnehmendes Lächeln.

Ich hatte Mühe, meine Überraschung zu verbergen. Sicher, Ospina Castillo hatte erwähnt, dass die Gala von der First Lady ins Leben gerufen worden war. Er hatte aber mit keinem Wort erwähnt, dass ich sie kennenlernen würde.

»Wir sind für jeden Mann, der sich uns im Kampf gegen Drogen anschließt, dankbar«, sagte sie. »Es gibt im Moment nichts Wichtigeres, als unser Land von diesem Joch zu befreien.«

»Da stimme ich Ihnen voll und ganz zu«, sagte ich und fühlte mich veranlasst hinzuzufügen: »Ich werde meinen Teil dazu beisteuern, dieses Ziel zu erreichen.«

Sie nickte zustimmend. »Das freut mich. Mit meinem alten Freund Salvator Ospina Castillo haben Sie dabei einen erfahrenen Mitstreiter.«

Damit war das Gespräch so schnell vorbei, wie es begonnen hatte. Die First Lady wünschte mir noch viel Erfolg und wandte sich dann anderen Leuten zu. Das war mir recht, denn eigentlich hatte ich ihr nicht viel zu sagen.

»Sie ist eine tolle Frau«, sagte Ospina Castillo, klopfte mir auf die Schulter und entfernte sich von mir.

Kurz darauf kam Phil zurück. »Mann, die Frauen hier sind wirklich scharf.«

Das letzte Wort flüsterte er nur. »Ich glaube, die beiden hätten mich am liebsten in ihre Hazienda verschleppt und die nächste Zeit dort festgehalten. Mit wem hast du gerade geredet? Sie kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Das ist die First Lady von Guatemala«, sagte ich.

»Wow, du gehst aber ran«, sagte Phil.

»Na ja, eigentlich haben wir nur ein paar Worte gewechselt, nichts Weltbewegendes«, sagte ich ruhig. »Mischen wir uns ein wenig unters Volk, vielleicht ist hier jemand bereit, über das Kartell zu reden. Immerhin spenden sie für den Kampf dagegen.«

Wir blieben zusammen und redeten mit einigen Gästen. Die meisten stammten aus Guatemala. Es waren aber auch ausländische Gäste und Würdenträger anwesend.

Kurz darauf hielt die First Lady eine kurze Ansprache, die mit minutenlangem Applaus gewürdigt wurde. Nach zwei weiteren Sprechern war dieser Teil der Veranstaltung vorbei. Dann ging es vor allem darum, Schecks auszustellen.

Mir fiel ein Mann auf, um den sich die Frauen scharten. Er war gutaussehend, hatte aber eher europäische Gesichtszüge. In seiner Nähe stand ein weiterer Mann, der die Umgebung im Auge behielt: ein Bodyguard.

Der Mann schien zu merken, dass ich ihn beobachtet hatte, denn er kam kurz darauf auf mich zu.

»Eine gelungene Veranstaltung«, sagte er. »Meinen Sie nicht auch?«

»Ja, auf jeden Fall«, sagte ich und stellte mich vor. »Jerry Cotton, FBI Washington.«

»Oh, Sie sind einer der Männer, die die amerikanische Regierung geschickt hat«, sagte er erfreut. »Willkommen in Guatemala. Ich bin Simon Santander. Und es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen.«

Er hatte nur einen sehr leichten Akzent.

»Sind Sie auch ein Unterstützer der First Lady?«, fragte ich.

Er nickte. »Auf jeden Fall. Es muss etwas gegen das Kartell und die Drogen getan werden. Wenn wir nichts Effektives unternehmen, wird Guatemala City bald zur Narcotown, einer Stadt im Griff der Drogen. Das ist für unser Land nicht gut.«

»Wie wahr«, sagte ich und musterte ihn genau. »Sind Sie von hier? Ich meine, aus Guatemala?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich lebe schon so lange hier, dass ich dieses Land als meine Heimat betrachte.«

»Ja, es ist ein schönes Land«, sagte ich. »Aber es gibt noch viel Arbeit. Die Drogen sind nur ein Teil des Problems. Bildung ist ein weiteres. Und der Kampf gegen die Armut.«

»Mr Cotton, Sie sollten in die Politik gehen«, sagte er. »Ich denke, da könnten Sie einiges bewirken.«

»Nette Idee«, entgegnete ich lächelnd. »Aber ich glaube, das liegt mir nicht wirklich. Ich bin eher ein Kriminalist als ein Politiker. Außerdem handle ich gerne statt zu reden.«