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Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 3025 - Der Boss bestimmt den Preis
Jerry Cotton 3026 - Ein Killer sucht sein Opfer
Jerry Cotton 3027 - Wer wagt - verliert
Jerry Cotton 3028 - Keine Prämie für Mord
Jerry Cotton 3029 - Ein Tag wie kein anderer
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Seitenzahl: 675
Veröffentlichungsjahr: 2023
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2015 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2023 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | OSTILL is Franck Camhi
ISBN: 978-3-7517-4709-7
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https://www.luebbe.de
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Jerry Cotton 3025
Der Boss bestimmt den Preis
Jerry Cotton 3026
Ein Killer sucht sein Opfer
Jerry Cotton 3027
Wer wagt – verliert
Jerry Cotton 3028
Keine Prämie für Mord
Jerry Cotton 3029
Ein Tag wie kein anderer
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Contents
Der Boss bestimmt den Preis
Der schwarze SUV fuhr die Straße entlang. Zunächst bemerkte kein Passant die Waffe, die aus dem Beifahrerfenster geschoben wurde.
Aber dann explodierte plötzlich ein geparkter Wagen, ungefähr einen halben Block vor dem dunklen Fahrzeug. Und während alle anderen Verkehrsteilnehmer panisch bremsten, setzte der Fahrer des SUV seinen Weg fort.
Das Wrack des gesprengten Lincoln Town Car stand bereits in Flammen, als sich der SUV auf gleicher Höhe befand. Die Menschen auf dem Gehweg waren von der Druckwelle zu Boden geworfen worden. So blieben die meisten von ihnen unverletzt, als nun die Automatikwaffe in dem schwarzen Auto tödliche Kugeln zu spucken begann.
»Charleston.« Assistant Director High sprach zunächst nur dieses eine Wort aus, nachdem er Phil und mich zu sich gebeten hatte. Wir saßen ihm am Konferenztisch seines Büros im FBI Headquarter Washington gegenüber.
Da wusste ich sofort, was für ein neuer Auftrag auf uns zukam. Seit Tagen kannten die amerikanischen Medien kaum ein anderes Thema außer der rätselhaften Anschlagsserie, von der die Hafenstadt Charleston in North Carolina heimgesucht wurde. Es hatte bereits mehrere Sprengstoffattentate gegeben, am gestrigen Tag war auch ein Feuerüberfall hinzugekommen. Es waren völlig unerwartete Gewalttaten, für die sich so schnell kein Verantwortlicher finden ließ. Genau dadurch wurden sie so unheimlich.
»Sie sprechen gewiss von den Terroranschlägen, Sir«, meinte Phil. »Gibt es bereits Hinweise auf die möglichen Täter? Die Journalisten überbieten sich ja mit Spekulationen. Von Links- und Rechtsradikalen über religiöse Fanatiker bis hin zu Gangsterorganisationen wird jeder verdächtigt, dem man solche feigen Schurkereien zutraut.«
Der Chef nickte.
»Sie sagen es, Phil. Mutmaßungen gibt es in der Öffentlichkeit mehr als genug. Wir als FBI haben bisher nur ein paar nichtssagende Pressemitteilungen herausgegeben. Und das liegt einfach daran, dass es noch keine wirklich heiße Spur gibt. Sie können sich aber vorstellen, dass die Kollegen vor Ort extrem unter Druck stehen. Das Field Office South Carolina wird von der Pressemeute belagert, und die Politik setzt uns ebenfalls zu.«
»Wer leitet momentan das Field Office South Carolina?«, wollte ich wissen.
»SAC Bruce Waters. Wie Sie wissen, befindet sich das Field Office in Columbia. In Charleston selbst haben wir nur ein kleines Regionalbüro. Agent Waters hat sich dort allerdings mit einigen seiner Leute einquartiert, um direkt vor Ort ermitteln zu können. Das FBI muss einfach Präsenz zeigen. Ich schlage vor, dass sie ebenfalls direkt nach Charleston fliegen. Unsere Personaldecke ist dort sehr dünn, die Kollegen brauchen dringend Verstärkung. Außerdem haben Sie Erfahrung, die man von diesen sehr jungen Einsatzkräften dort nicht erwarten kann.«
»Sollen wir das SR-Team auch mitnehmen?«
»Ja, Phil. Es gibt vor Ort natürlich auch Kriminaltechniker, aber das geballte Expertenwissen ist so leicht durch nichts zu ersetzen. Außerdem ist durch die Vielzahl der Anschläge eine Masse von Indizien entstanden, die erst einmal abgearbeitet werden müssen. In den Trümmern der Gebäude kann sich noch so mancher wertvolle Hinweis verbergen.«
Das konnte ich mir vorstellen. Es hatte innerhalb von nur zwei Wochen in Charleston drei Sprengstoffattentate gegeben, bei dem letzten war auch noch mit einer Automatikwaffe geschossen worden. Wie durch ein Wunder hatte es bisher nur sieben mehr oder weniger leicht verletzte Opfer gegeben, keine Toten. Aber wenn die Verbrecher so weitermachten, war das Schlimmste zu befürchten. Noch sprach nichts dafür, dass die Serie abreißen würde.
»Ich habe Dorothy gebeten, sich mit der Reiseabteilung in Verbindung zu setzen«, sagte John D. High. »Sie erfahren von Agent Waters den neuesten Ermittlungsstand. Sie fliegen noch heute nach Charleston. Finden Sie die Verantwortlichen für diese Anschläge so schnell wie möglich, Jerry und Phil. Diese Leute müssen hinter Gitter, bevor sie noch Schlimmeres anrichten.«
Wir nickten dem Chef zu und verließen sein Büro. Im Vorzimmer blickte seine aparte schwarze Sekretärin Dorothy Taylor von ihrer Arbeit auf. Sie trug an dem Tag ein anthrazitfarbenes Kostüm.
»Ich habe gerade einen Rückruf von up and away erhalten. Ihre Tickets für den Flug nach South Carolina liegen abholbereit am Airline-Schalter im Reagan National Airport.«
»Sie sind die Beste, Dorothy«, scherzte Phil.
»Man tut, was man kann«, erwiderte die Angesprochene selbstbewusst, aber mit einem freundlichen Augenzwinkern. Eine kleine Aufmunterung konnten wir gebrauchen. Mir war klar, dass wir eine harte Aufgabe vor uns hatten.
***
Der Direktflug von Washington nach Charleston ging am Nachmittag. Das war auch gut so, denn das SR-Team musste ja erst von Quantico aus zum Flughafen fahren. Ich rief Dr. Willson an, berichtete ihm von dem neuen Auftrag und bat ihn, seine Kollegen zu informieren.
»Ich werde die Bande schon zusammentrommeln«, erwiderte der texanische Mediziner und Forensiker auf seine übliche schnoddrige Art.
Wir trafen ihn später wieder, als er mit seinen Kollegen Dr. Fortesque, Dr. Mai-Lin Cha und Concita Mendez am Airport auf uns wartete. Die Flugzeit von Washington nach Charleston betrug nur rund anderthalb Stunden.
»Hat der Assistant Director Ihnen nähere Informationen gegeben, Jerry?«, wollte Fortesque wissen. Ich schüttelte den Kopf.
»Agent Waters wird uns ins Bild setzen. Wir haben möglichst wenig Fakten nach außen dringen lassen, um Verdächtige nicht vorzuwarnen. Die Zeitungen und das Fernsehen stellen das FBI als unfähig und planlos dar. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass uns die Medien aufgrund der zunehmenden Hysterie die Arbeit schwermachen werden.«
»Das ist ja nun nichts Neues«, knurrte Willson.
Wir kamen pünktlich in South Carolina an. Charleston empfing uns mit Sonnenschein und einer leichten Brise, aber wir waren leider nicht auf Urlaub. Zwei junge Kollegen holten uns vom Flughafen ab. Sie hießen Agent Lynn Vickers und Agent Mario Vezzali. Während Lynn Vickers Phil und mich in einem Ford Interceptor zum Regionalbüro chauffierte, wurde das SR-Team von Mario Vezzali in einem Chevrolet Taheo gefahren.
»Wir sind wirklich froh über die Verstärkung aus Washington«, erklärte Agent Vickers, während sie den Wagen durch die Straßen der Hafenstadt lenkte. Die junge Kollegin war rothaarig und machte einen sehr sportlichen Eindruck.
»Wir arbeiten fast pausenlos, aber an diesem Fall haben wir uns bisher die Zähne ausgebissen. Es gibt leider viel zu viele Verdächtige, denen man solche Attentate zutrauen würde. Allerdings liegt gegen keinen von ihnen etwas Konkretes vor, sonst wären wir mit unseren Ermittlungen schon weitergekommen.«
»Aber warum ausgerechnet Charleston? Gab es schon im Vorfeld Hinweise auf mögliche Bedrohungen? Steht womöglich ein Großereignis an, das durch diese Explosionen verhindert werden soll?«
»Eben nicht, Inspektor Decker. Der erste Bombenanschlag kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Und seit dem zweiten Attentat haben die Cops und wir damit zu tun, die aufgebrachte Bevölkerung in Schach zu halten, von den Medienvertretern ganz zu schweigen. Sie strömen in Scharen in die Stadt. Für mich sieht es so aus, als würden sie dem nächsten Anschlag förmlich entgegenfiebern. Das behindert unsere Arbeit ungemein.«
Was Agent Vickers mit diesen Worten meinte, wurde mir wenig später deutlich. Das kleine FBI-Regionalbüro wurde von einer Anzahl von Journalisten regelrecht belagert. Es gab Übertragungswagen von TV-Stationen und zahlreiche Reporter mit Kameras und Mikrofonen. Natürlich hatten sich auch jede Menge Schaulustige eingefunden, obwohl es wirklich nichts zu sehen gab. Das Regionalbüro war in einem unauffälligen Gebäudekomplex untergebracht.
Doch allein unsere Ankunft schien schon eine kleine Sensation zu sein.
Im Handumdrehen wurden unsere Fahrzeuge umringt, nachdem wir angehalten hatten. Ich war es gewohnt, Mikrofone vor die Nase gehalten zu bekommen und mir Fragen anhören zu müssen, die ich unmöglich beantworten konnte. Und genau das geschah auch jetzt.
Ich schwieg einfach, während ich mir gemeinsam mit den Kollegen einen Weg zum Haupteingang bahnte. An die Reporter war ich gewöhnt, nicht aber an diesen zerlumpten Burschen, der seine schmutzige Hand anklagend auf mich richtete.
Er gehörte schon rein äußerlich nicht zu den Medienleuten. Aber die Reporter zeigten sich für sein Auftreten sehr dankbar. Jedenfalls bekam er sofort ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, als er mit brüchiger Stimme zu sprechen begann. Und dabei deutete er weiterhin auf mich und meine Kollegen.
»Das sind sie! Das sind die Männer, die euch die Wahrheit vorenthalten!«
Dieser langbärtige Kerl erinnerte mich eher an einen obdachlosen Althippie als an einen Journalisten. Normalerweise hätte ich ihn als einen harmlosen Geisteskranken abgetan und nicht auf ihn gehört. Doch mir fiel auf, dass sich hinter ihm zahlreiche Menschen versammelt hatten.
Von ihnen war zustimmendes Gemurmel zu hören. Das war gefährlich, ich konnte ihm seine Unterstellungen nicht einfach durchgehen lassen.
Also änderte ich meine Richtung und ging auf ihn zu. Dabei zeigte ich meine Dienstmarke.
»Ich bin Inspektor Jerry Cotton vom FBI. Und wer sind Sie?«
»Ich bin Carolina-Kid, der Seher.«
Er warf sich in seine schmale Brust und schaute mich herausfordernd an.
»Carolina-Kid? Sie sehen mir zu erwachsen aus, um sich Kid zu nennen. Aber Sie sollten uns nichts unterstellen, Sir. Wir enthalten niemandem die Wahrheit vor, sondern wir werden sie herausfinden. Lassen Sie uns einfach nur in Ruhe unsere Arbeit machen.« Damit ließ ich ihn stehen und folgte schnell den anderen in das Gebäude.
***
Special Agent in Charge Bruce Waters begrüßte uns höchstpersönlich. Er war ein bulliger Schwarzer mit spiegelglatter Glatze.
Nachdem wir uns vorgestellt hatten, erzählte ich ihm von meiner eigenartigen Bekanntschaft vor dem Gebäude. Offensichtlich war der Mann kein Unbekannter.
»Ja, Carolina-Kid. Sein richtiger Name ist Andrew Baker. Bestenfalls ein harmloser Irrer, im schlimmsten Fall ein entsetzlicher Quälgeist«, seufzte der SAC, während er Phil und mich sowie die Teammitglieder in den Briefing Room führte. »Andrew Baker ist eigentlich ein harmloser Kauz. Er nennt sich seit einigen Jahren Carolina-Kid und spielt den Weltuntergangspropheten. Früher war er auch einige Male in der Nervenheilanstalt, aber von dort wurde er entlassen. Das Schlimme ist, dass er in den Armenvierteln ein gewisses Ansehen genießt. Die Leute sind abergläubisch, und diese Anschlagsserie ist Wasser auf seine Mühlen. Er nutzt jetzt jede Gelegenheit, sich aufzuspielen. Deshalb hat er gewiss auch vor dem Regionalbüro herumgelungert.«
»Kann er wirklich etwas über die Anschläge wissen?«, hakte Phil nach.
»Ja und nein, Inspektor Decker. Theoretisch könnte jeder Einwohner oder Besucher von Charleston die Täter gesehen haben. Bisher waren die Hinweise aus der Bevölkerung nicht hilfreich. Allerdings kann ich mir auf keinen Fall vorstellen, dass die Verbrecher so einen Spinner wie Carolina-Kid in ihre Pläne eingeweiht haben.«
»Was können Sie uns denn zum bisherigen Ermittlungsstand sagen?«, wollte ich wissen.
»Die Anschlagsserie begann mit einer Explosion bei F. C. Leroy Works . Das ist eine Fabrik für Verpackungsmittel aller Art am Stadtrand von Charleston.«
»Verpackungsmittel«, wiederholte Phil. »Das klingt nicht nach einem Motiv für politische oder religiöse Fanatiker.«
»Nein, Inspektor Decker. Dieser Meinung sind wir auch. Wir hatten auch schon an Umweltaktivisten gedacht, aber ein Großteil der Produkte ist aus Recyclingmaterial. Außerdem haben wir bisher kein Bekennerschreiben erhalten, von niemandem. Aber das werden Sie schon wissen.«
»Den Medien wurde nichts mitgeteilt«, sagte ich. »Aber es wäre ja möglich, dass Sie Informationen noch zurückhalten.«
»Nein, das ist nicht der Fall. Wir haben bisher einen politischen Hintergrund ausgeklammert. Terroristen wollen ja möglichst viele Leute auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Deshalb hätte sich eine entsprechende Untergrundgruppe wahrscheinlich längst bei uns gemeldet.«
»Ist denn überhaupt gesichert, dass alle drei Taten von denselben Tätern begangen wurden?«
»Eine gute Frage, Inspektor Cotton. Das steht nicht hundertprozentig fest, aber immerhin kam in allen Fällen derselbe Sprengstoff zum Einsatz.«
»Das würde ich mir gern genauer ansehen«, warf Fortesque ein, der als Chemiker und Physiker auch unser Sprengstoffexperte ist. Agent Waters nickte ihm dankbar zu, bevor er fortfuhr: »Der nächste Sprengsatz detonierte in einer Filiale der South Citizen Bank .«
Phil hob eine Augenbraue.
»Wie konnte die Höllenmaschine dort platziert werden?«
»Der Täter ist als Kunde getarnt in den Schalterraum gegangen und hat dort seinen Aktenkoffer zurückgelassen. Bedauerlicherweise ist es der Security nicht aufgefallen. Wenigstens war die Explosion nicht sehr stark. Es wurden nur zwei Personen durch umherfliegende Holzsplitter von dem zerborstenen Tisch verletzt, unter dem die Tasche gestanden hat.«
»Was war die Ursache für die schwache Sprengladung? Absicht oder Unfähigkeit?«
»Darüber haben wir auch schon spekuliert, Inspektor Cotton. Ich würde eher auf Absicht tippen. Offenbar sollte bei dem Anschlag in der Bank kein allzu großer Schaden angerichtet werden. Es kam den Tätern wohl eher auf die Schockwirkung an.«
»In einer Bank gibt es doch jede Menge Überwachungstechnik«, stellte ich fest. »Existiert kein Bildmaterial von dem Verdächtigen?«
»Doch, aber das ist kaum zu gebrauchen«, gab Agent Waters zurück. »Es zeigt nur einen Mann im dunklen Mantel mit Mütze, und zwar von hinten. Der Täter war offenbar darauf bedacht, den Kameralinsen immer nur den Rücken zuzuwenden.«
»Wenn Sie gestatten, will ich mir die Videobänder trotzdem noch einmal anschauen«, sagte unsere Computerspezialistin Dr. Cha. »Oftmals kann man auch aus scheinbar nutzlosem Material noch Informationen ziehen.«
Agent Waters kam nun auf den dritten Anschlag zu sprechen.
»Gestern wurde das Auto von David Raymond in die Luft gejagt. Er ist ein Lokalpolitiker aus Charleston. Er besuchte eine Bürgerversammlung in der Lincoln Coffee Bar . Dort hinein wurde mit einer Maschinenpistole geschossen, von einem SUV aus. Die Cops konnten das Auto wenige Stunden später sicherstellen. Es war ein Lexus RX 350, der in New Jersey gestohlen wurde. Der Besitzer des Wagens hat für die Tatzeit ein Alibi und ist auch ansonsten unverdächtig, das haben die Kollegen vor Ort schon herausbekommen.«
»Für mich hört sich das alles nach Profiarbeit an«, sagte ich. »Wir werden natürlich auch den sichergestellten Lexus nach möglichen DNA-Spuren durchsuchen. Ist eigentlich schon klar, wie viele Personen in dem Wagen saßen?«
»Laut Zeugenaussagen müssen mindestens zwei Verdächtige in dem Auto gewesen sein, Inspektor Cotton. Es wurde vom Beifahrersitz aus geschossen, während der Fahrer langsam an dem Café und dem soeben gesprengten Auto vorbeizog.«
»Drive-by-Shooting«, meinte Phil. »Eine klassische Gang-Methode.«
»Es könnte aber auch sein, dass jemand bewusst den Verdacht auf eine Gang lenken will und selbst nichts mit der organisierten Kriminalität zu tun hat«, gab ich zu bedenken.
***
Up and away , wie die Reiseabteilung im Hauptquartier nur genannt wurde, hatte für uns Zimmer in einem Motel am Stadtrand reservieren lassen. Dort war auch das SR-Team untergebracht. Während unseres Aufenthalts in Charleston konnten wir den Ford Interceptor als Dienstwagen benutzen, mit dem wir vom Airport abgeholt worden waren.
Nachdem ich am Vorabend die Aufgaben verteilt hatte, fuhr ich gemeinsam mit Phil nach wenigen Stunden Nachtruhe zum Büro des Politikers. David Raymond war mit dem Schrecken davongekommen. Ihm fehlte nichts, wenn man vom Totalschaden seines Autos absah. Bei ihm wollten wir mit unseren Ermittlungen beginnen.
Phil hatte sein Notebook aufgeklappt.
»Ich hatte gestern Abend noch kurz Kontakt mit dem Charleston Police Department, Jerry. Es war so, dass der Anschlag auf Raymond und die Lincoln Coffee Bar genau zu der Zeit stattfand, als bei den Cops der Wechsel von der Frühschicht zur Tagesschicht stattfand.«
Ich pfiff durch die Zähne.
»Sehr clever, denn dann waren die meisten Streifenwagen nicht auf der Straße. Das ist kein Zufall, Phil. Wer immer hinter diesen Anschlägen steckt, überlässt nichts dem Zufall. Und er nimmt auch in Kauf, sich mit dem FBI anzulegen.«
»Ja, aber wir werden dafür sorgen, dass seine Taten ihm zum Verhängnis werden«, knurrte Phil.
David Raymond war kein Vollzeitpolitiker, sondern arbeitete hauptberuflich als Anwalt. Er hatte seine Kanzlei in der Cannon Street, im Stadtzentrum. Raymonds Empfangsdame wollte uns zunächst abwimmeln. Aber ich blieb hartnäckig, und unsere Dienstmarken verschafften uns Zugang zum Privatbüro von David Raymond.
Als der Politiker Phil und mich erblickte, setzte er sofort ein unverbindliches Lächeln auf. Dabei kam es mir so vor, als ob er sich keineswegs über unseren Besuch freuen würde. Raymond war ein großer Mann mit schütterem Haar und randloser Brille. Nachdem wir unsere Namen genannt hatten, forderte er uns mit einer Handbewegung zum Platznehmen auf.
»Das ist wirklich eine schreckliche Tragödie, von der meine geliebte Heimatstadt zurzeit erschüttert wird. Zum Glück sind Sie ja jetzt hier, Gentlemen. Wenn es nach mir ginge, würde unser Land mehr Geld für die Sicherheitsbehörden ausgeben, aber unsere politischen Gegner …«
Ich unterbrach Raymond. Wahlkampfreden würden uns jetzt gewiss nicht weiterbringen.
»Haben Sie einen konkreten Verdacht, wer Ihr Auto zerstört haben könnte, Sir?«
»Nein, Inspektor Cotton. Das müssen irgendwelche Chaoten oder Verrückte gewesen sein.«
»Politiker machen sich Feinde«, stellte ich fest. »Das bleibt nicht aus, wenn man bestimmte Meinungen vertritt. Sie sprachen vorhin von Gegnern, wen meinten Sie damit?«
Raymond streckte mir die Handflächen entgegen, als ob er einen Angriff abwehren wollte.
»Nein, da haben Sie mich missverstanden. Es gibt natürlich Politiker anderer Parteien, mit denen ich mir Redeschlachten liefere. Aber keiner von denen hat Verbindungen zum organisierten Verbrechen.«
»Oder er hält es zumindest vor Ihnen geheim«, meinte Phil trocken. Raymond warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Den angedeuteten Korruptionsverdacht schien er nicht komisch zu finden.
»Inspektor Decker, in einer Metropole wie Washington mag es solche Dinge geben. Aber wir sind hier in einer sehr beschaulichen Küstenstadt. Ich würde keinem Politiker aus Charleston zutrauen, sich vom Mob kaufen zu lassen.«
»Wir gehen davon aus, dass die Bombenleger gut organisiert sind«, erläuterte ich. »Womöglich wollte man Sie auch nicht als Politiker, sondern als Anwalt einschüchtern. Wir müssen alle Möglichkeiten in Erwägung ziehen. Haben Sie einen umstrittenen Mandanten, der mächtige Feinde hat?«
»Über meine Mandanten spreche ich nicht mit Ihnen.« Von Raymonds unverbindlicher Freundlichkeit war nicht viel übrig geblieben. Er gab sich nun sehr zugeknöpft. Aber das beeindruckte uns nicht.
»Worum ging es bei dieser Bürgerversammlung, zu der Sie in der Lincoln Coffee Bar gegangen sind?«, wollte Phil wissen. »Könnte das der Grund für den Anschlag sein?«
»Das Thema war die Erneuerung veralteter Wasserleitungen in meinem Wahlbezirk. Ehrlich gesagt eine sehr langweilige Angelegenheit, auch für mich.«
»Sie haben also keinen konkreten Verdacht?«, vergewisserte ich mich.
»Es tut mir leid, Ihnen nicht helfen zu können.«
Nun hatte der Politiker sein schönstes Wahlkampflächeln zurückgewonnen. Er verabschiedete sich mit Handschlag von uns. Er machte keinen Hehl aus seiner Erleichterung darüber, dass wir verschwanden.
Draußen auf der Straße stieß Phil langsam die Luft aus den Lungen.
»Was für ein Schleimer! Glaubst du auch, dass Raymond uns etwas verschweigt, Jerry?«
»Ja, ganz gewiss. Und mir ist noch etwas aufgefallen: Wir werden verfolgt.«
***
Natürlich ließen wir uns nichts anmerken. Wer glaubt, Phil und mich unbemerkt bespitzeln zu können, muss schon ziemlich clever sein. Und das war der Kerl im Kapuzenpullover nicht, der sich in diesem Moment in einen Hauseingang duckte.
Wir gingen zu unserem Ford Interceptor und stiegen ein, als ob alles in bester Ordnung wäre.
»Was machen wir jetzt, Jerry?«
»Das kommt darauf an, ob er uns weiter verfolgt.«
Der Verdächtige warf sich auf den Fahrersitz eines Datsun Cherry, der einen Steinwurf weit von unserem Fahrzeug geparkt war. Er ließ den Motor aufheulen. Offenbar wollte er uns auf keinen Fall entkommen lassen.
Aber das hatte ich auch nicht vor, ganz im Gegenteil. Ich fuhr so defensiv, dass der Datsun Cherry auf jeden Fall folgen konnte.
»Wie geht es jetzt weiter?«
Phil stellte die Frage, nachdem er einen Blick in den Rückspiegel geworfen hatte. Auch ihm war nicht entgangen, dass sich das verfolgende Fahrzeug in den Verkehrsfluss hinter uns einordnete.
»Zunächst suchen wir uns einen schönen Stau. So etwas wird es ja gewiss auch in Charleston geben.«
Phil grinste. Er ahnte gewiss, was ich vorhatte. Lange musste ich nicht ziellos umherfahren. Ich bog von der Spring Street in die Ruthledge Avenue ein. Weiter vor uns wies ein Schild auf die Zufahrt zur Interstate 26 hin. Dort musste es gekracht haben, jedenfalls konnte ich aus der Entfernung die rotierenden Rot-Blau-Lichter einer Ambulanz erkennen.
Die Autos vor uns fuhren nur noch im Schritttempo. Bremslichter flammten auf. Wenig später kam der Verkehr ganz zum Erliegen. Auch ich brachte den Ford Interceptor zum Stehen.
Phil und ich schauten in den Rückspiegel. Direkt hinter uns hielten hintereinander ein Pontiac und ein Buick. Als drittes Fahrzeug hatte sich der Datsun Cherry unseres Verfolgers eingereiht. Wir warteten noch, bis hinter ihm weitere Autos hielten. Nun saß er in der Falle. Ein Entkommen war jetzt unmöglich.
Ich nickte Phil zu. Jetzt war Reaktionsschnelligkeit angesagt. Im nächsten Moment stießen wir die Türen auf, zogen unsere Pistolen und sprinteten die kurze Distanz bis zu dem japanischen Kleinwagen.
Ich riss die Fahrertür auf, ließ den Verdächtigen in die Mündung meiner Glock starren. Der Typ mit dem Kapuzenpulli war von unserer Aktion völlig überrumpelt worden. Er riss den Mund auf, starrte mich an, als ob er einen Geist sehen würde. Der Mann wirkte nicht besonders gefährlich, aber darauf wollte ich mich nicht verlassen. Ich schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Er war ein Weißer, blond und ungepflegt.
»FBI!«, rief ich. »Strecken Sie mir die Hände entgegen und steigen Sie langsam aus!«
Er zögerte, schien immer noch seine Chancen abzuwägen. Aber die verschlechterten sich von Minute zu Minute. Es war ihm bloß noch nicht bewusst.
»Was soll das, Mann? Ich habe nichts gemacht!«
Phil war inzwischen auf meine Seite des Wagens gekommen. Dem Fahrer schien allmählich zu dämmern, dass ihm die Felle davonschwammen. Er verließ zögernd das Auto. Phil drehte ihn herum, spreizte die Beine des Mannes.
»Das hier ist eine Routinekontrolle. Legen Sie die Hände aufs Wagendach! Ich durchsuche Sie jetzt. Wenn Sie nichts zu verbergen haben, dann müssen Sie nichts befürchten.«
Aber wie ich es vermutet hatte, wurde Phil fündig: Der Mann hatte nicht nur eine Pistole mit herausgefeilter Seriennummer bei sich, sondern auch ein Plastiktütchen mit Tabletten, die ganz gewiss aus keiner Apotheke stammten. Es waren zwar nicht viele belastende Indizien, aber für eine vorläufige Verhaftung reichte es aus. Phil legte dem Verdächtigen Handschellen an und belehrte ihn über seine Rechte.
»Weswegen verfolgen Sie uns?«, fragte ich, wobei ich dem Verhafteten direkt in die Augen sah. Er versuchte, sich dumm zu stellen. Aber das gelang ihm nicht. Er war ein schlechter Lügner.
»Hä? Ich bin doch nicht hinter Ihnen her! Was haben Sie denn geraucht?«
Ich ging nicht auf seine dummen Sprüche ein, sondern schaute ihn mir genauer an. Er hatte eine Tätowierung am Hals, die einen Totenkopf, eine Dollarnote und einen blutigen Dolch darstellen sollte. Für mich sah das nach einem typischen Gang-Tattoo aus.
Inzwischen löste sich der Stau vor uns auf. Phil fuhr den Datsun Cherry schnell auf den Parkstreifen. Außerdem rief er per Handy die Kollegen an, damit sie den Wagen zur kriminaltechnischen Untersuchung abholten. Dann stiegen wir mit dem Verdächtigen in den Ford Interceptor. Phil setzte sich auf der Rückbank neben den Kerl, um ihn im Auge zu behalten. Wir wollten uns eine unangenehme Überraschung ersparen. Bei der Durchsuchung hatte Phil auch den Führerschein des Verdächtigen gefunden, der ihn als Brad Connors auswies.
»Schaffen wir Mr Connors ins Regionalbüro, Jerry?«
»Das erledigen wir später. Mir ist gerade noch eine Idee gekommen.«
Phil fragte nicht nach, während ich den Dienstwagen wendete. Aber er bekam natürlich auch mit, dass ich erneut das Büro des Politikers ansteuerte. Ich war zweimal kurz hintereinander angelogen worden, erst von David Raymond und dann von Brad Connors. Vielleicht hingen diese Unwahrheiten ja miteinander zusammen? Womöglich kannten sich die beiden Männer.
Ich hoffte auf eine Reaktion, wenn ich sie miteinander konfrontieren würde. Manchmal hilft ein Überraschungseffekt dabei, eine Ermittlung entscheidend voranzubringen. Wir mussten es zumindest versuchen.
Der Lady hinter Raymonds Empfangstresen fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, als wir mit Brad Connors zurückkehrten. Der junge Verdächtige in seinen unsauberen Klamotten und mit seinen Gang-Tattoos hätte auch nicht in diese elegante Anwaltskanzlei gepasst, wenn er nicht in Handschellen gewesen wäre. Die Mitarbeiterin des Anwalts sah so aus, als ob sie plötzlich Kreislaufprobleme bekommen hätte. Sie war aufgesprungen, schwankte aber auf ihren hohen Absätzen hin und her.
»Wir müssen noch einmal mit Mr Raymond sprechen«, forderte ich. Es dauerte eine lange Schrecksekunde, bis ich eine Antwort bekam.
»Ich bedaure, aber er ist jetzt im Mandantengespräch im Konferenzraum«, stammelte die durchgestylte Frau.
»Wo ist das?«
»Am Ende des Ganges, aber Sie können nicht einfach …«
»Es wird nicht lange dauern.«
Mit diesen Worten eilte ich zu dem Raum, wobei ich Connors am Arm hinter mir herzog. Der Verdächtige schien es nicht eilig zu haben. Er versuchte, so langsam wie möglich zu gehen. Aber Phil schob ihn vorwärts, sodass er nicht zu viel Zeit verschwenden konnte.
Ich riss die Tür auf, ohne vorher anzuklopfen. Raymond saß mit einem konservativ gekleideten Paar mittleren Alters an einem polierten Eichentisch. Er war sowohl Anwalt als auch Politiker, daher traute ich ihm eine sehr gute Selbstbeherrschung zu. Doch in diesem Moment hatte sie ihn verlassen.
Raymond riss den Mund weit auf, als ob er plötzlich keine Luft mehr bekommen würde. Sein Gesicht war totenbleich geworden. Er griff nach einem Wasserglas, das auf dem Tisch stand. Seine Hand zitterte. Er trank das Glas in einem Zug aus. Doch als er es abstellte, hatte er sich wieder im Griff.
»Inspektor Cotton! Was soll dieser Auftritt? Was glauben Sie, was Sie hier veranstalten können? Ich werde mich in Washington über Sie beschweren.«
»Das steht Ihnen frei, Sir. Aber zuvor muss ich Sie noch einmal befragen. Und dafür habe ich diesen jungen Mann mitgebracht.«
Nun polterte auch der Mandant des Anwalts los. Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Ihre Störung ist wirklich eine Unverschämtheit, FBI oder nicht. Wissen Sie überhaupt, mit wem Sie es hier zu tun haben?«
Ich zeigte meine Dienstmarke. Falls der Mann mich beeindrucken wollte, war das jedenfalls gründlich danebengegangen. Ich schaute ihm so lange in die Augen, bis er seinen Blick abwandte.
»Gewiss nicht mit jemandem, der die Aufklärung der aktuellen Terrorserie von Charleston behindern will, nicht wahr?«
Der konservativ gekleidete Gentleman starrte nun auf die Tischplatte und sagte nichts mehr. Raymond folgte mir grollend nach draußen. Im Vorbeigehen zischte Brad Connors ihm zu: »Du hältst besser die Klappe, Mr.«
»Sie haben jetzt mal Sendepause!«, rief Phil. Er blieb mit dem Verhafteten im Vorzimmer, während ich Raymond in sein Büro begleitete und die Tür hinter uns schloss.
***
Ich versuchte, dem Politiker den Ernst der Lage klarzumachen.
»Dieser Mann, sein Name ist Brad Connors, lungerte draußen vor dem Gebäude herum, Sir. Ich weiß nicht, ob er auf Sie oder auf uns angesetzt war. Fest steht, dass wir bei ihm eine Schusswaffe sichergestellt haben. Er gehört ganz offensichtlich zu einer Gang, darauf deuten seine Tattoos hin. Ich bitte Sie noch einmal darum, mit uns zu kooperieren. Wir müssen diese Anschlagsserie beenden, und zwar so schnell wie möglich.«
Raymond ließ sich auf seinen Bürostuhl fallen. Er massierte sich nachdenklich wirkend den Haaransatz, bevor er zu sprechen begann.
»Sie haben recht, Inspektor Cotton. Mein Verhalten ist nicht akzeptabel. Ich fürchte, dass ich diese ganze Geschichte zu sehr auf die leichte Schulter genommen habe. Ich habe mir etwas vorgemacht. Ich sagte mir immer wieder, dass wir hier nicht in New York City oder Chicago sind, sondern im friedlichen kleinen Charleston. Und dennoch sind diese Leute anscheinend gefährlicher, als ich dachte.«
»Von wem genau sprechen Sie?«
»Ich meine die Dagger Boys . Das ist eine Gang, die im Hafenviertel ihr Unwesen treibt. Zufällig befindet sich genau dort mein Wahlbezirk, Inspektor Cotton. Und diese Bande ist gar nicht einverstanden mit den Plänen, die ich für diese Gegend habe. Sie sind ihnen sogar ein Dorn im Auge.«
»Aus welchem Grund?«
»Es gibt im Hafen viele Industriebrachen, die ich beseitigen lassen will. Dort wird momentan mehr oder weniger offen mit Rauschgift gedealt, von der Prostitution ganz zu schweigen. Ich will dort Platz schaffen. Auf den Grundstücken sollen moderne und komfortable Wohngebäude entstehen, neue Grünstreifen sind auch vorgesehen. Außerdem habe ich vor, die Straßenbeleuchtung zu verbessern und die Polizei mit mehr Geld auszustatten. Dann können neue Streifenwagen und Körperkameras angeschafft werden.«
»Ich verstehe. Dadurch würde es der Gang wesentlich schwerer fallen, ihren illegalen Geschäften nachzugehen. Ich kenne die Dagger Boys nicht, Sir. Aber vermutlich haben sie die üblichen Einnahmequellen des organisierten Verbrechens, nämlich Drogenhandel, Prostitution und Glücksspiel.«
»Das ist gut möglich. Ich habe mich noch nicht näher mit diesen Typen beschäftigt. Wie gesagt, bisher habe ich die Dagger Boys nicht ernst genommen. Ich hätte nie gedacht, dass sie ihren Drohungen Taten folgen lassen würden.«
Ich horchte auf.
»Dann hat man also schon versucht, Sie einzuschüchtern? Bitte erzählen Sie mir alles darüber.«
David Raymond nickte. Das Gespräch schien ihm immer unangenehmer zu werden. Er wollte nicht so recht mit der Sprache herausrücken. Doch ich ließ nicht locker.
»Aber warum haben Sie Inspektor Decker und mir nichts davon gesagt, als wir Sie zuvor befragten?«
Der Politiker schwieg. Fiel ihm so schnell keine Ausrede ein? Und dann erkannte ich die Wahrheit. Ich beantwortete meine Frage selbst.
»Es ging Ihnen um Wählerstimmen, nicht wahr? Sie befürchteten, dass man Sie für die Terrorserie mitverantwortlich machen würde, weil Sie die Dagger Boys zunächst nicht beachtet haben.«
Raymond begehrte auf. Es gefiel ihm nicht, die Tatsachen unter die Nase gerieben zu bekommen.
»Wählerstimmen? Nein, ich hatte vor allem das Wohl von Charleston im Blick. Sie müssen doch die um sich greifende Hysterie auch bemerkt haben, Inspektor Cotton! Ich wollte verhindern, dass sich die Stimmung in der Stadt noch weiter verschlechtert.«
Das klang für mich nach einer faulen Ausrede, aber mir war etwas anderes wichtig.
»Ich brauche Namen, Mr Raymond. Wissen Sie, wer bei den Dagger Boys das Kommando hat?«
Der Politiker musste nur einen Moment lang nachdenken, bevor ich eine Antwort bekam.
»Der Mann nennt sich Mike Foley. Ich weiß nicht, ob das sein wirklicher Name ist. Ich bin ihm einmal begegnet. Zugegeben, er hat mir Angst eingejagt. Aber ich habe versucht, es mir nicht anmerken zu lassen.«
»Und trotzdem haben Sie die Drohungen der Dagger Boys nicht ernst genommen?«
Raymond seufzte. »Das war vermutlich ein Fehler. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen können, Inspektor Cotton. Aber in der Politik macht man oft Versprechungen oder Ankündigungen, die nicht für bare Münze genommen werden können. Ich dachte mir, es würde schon nicht so schlimm kommen.«
»Beim organisierten Verbrechen ist das anders«, entgegnete ich. »Wenn eine Gang Ihren Tod ankündigt, dann lässt sie den Worten Taten folgen.«
***
Der Lokalpolitiker hatte mir nun zwar den Namen des Gang-Bosses verraten, wusste aber über die alltäglichen Aktivitäten von Mike Foley nicht Bescheid. Das wunderte mich nicht, denn Raymond hatte ja offenbar die Machenschaften der Dagger Boys erfolgreich verdrängt.
Ich erfuhr nun auch von ihm, dass er noch nicht einmal das Charleston Police Department von den Androhungen der Gang verständigt hatte. Vermutlich fürchtete er um sein Image, wenn er bei der Ordnungsmacht Schutz suchen musste. Über so viel Leichtsinn konnte ich nur den Kopf schütteln.
»Haben Sie wenigstens dokumentiert, was die Dagger Boys Ihnen antun wollten?«
»Nein, Inspektor Cotton. Es waren nur E-Mails und Anrufe, die ich bekam. Die Mails habe ich sofort gelöscht, und bei den Telefonaten habe ich aufgelegt.«
»Das wird sich ändern«, forderte ich. »Wenn Sie einverstanden sind, werden wir ab sofort bei Ihnen eine Telefonüberwachung starten, sowohl im Büro als auch privat. Dann können wir die Anrufe zurückverfolgen. Dann haben wir bei einem späteren Prozess Beweismaterial. Außerdem können wir mit Hilfe von Spracherkennung den Täterkreis eingrenzen.«
»Ja, das ist wohl wirklich besser«, murmelte der Politiker. Er kam mir nun vor wie ein Mann, dessen Selbstbild einen gehörigen Knacks bekommen hat. Ich verabschiedete mich von ihm. Phil und ich fuhren mit Brad Connors zum Regionalbüro. Ich befürchtete schon, mich wieder durch eine Meute sensationshungriger Journalisten kämpfen zu müssen. Doch die Belagerung war zu meiner größten Verblüffung aufgehoben, nicht ein einziger Übertragungswagen oder Fotoreporter war vor dem Gebäude zu erblicken.
»Wo sind denn unsere Freunde von der Presse?«, fragte Phil, als wir mit dem Verhafteten hineingingen.
»Vor einer Stunde sind sie fluchtartig verschwunden«, entgegnete Agent Lynn Vickers. »Wahrscheinlich sind sie nach Georgetown weitergezogen. Dort ist nämlich heute Morgen eine Achterbahn in einem Vergnügungspark zusammengebrochen, es gab vier Tote.«
Ich ließ Brad Connors zunächst erkennungsdienstlich behandeln. Währenddessen klappte Phil sein Notebook auf. Wir checkten den Namen des Verdächtigen in der CJIS-Datenbank.
»Connors’ kriminelle Karriere kann sich sehen lassen«, meinte Phil. »Mit sechzehn Jahren hat er mit räuberischer Erpressung schon einen Grundstein gelegt. Dann folgten Körperverletzung, schwerer Diebstahl, Drogenbesitz, Verdacht auf Drogenhandel. Doch Connors scheint ein kleiner Fisch zu sein.«
»Darauf würde ich auch tippen, Phil. Wenn er in der Bandenhierarchie höher stünde, hätte sein Boss ihm wichtigere Aufgaben übertragen. Connors sollte uns wahrscheinlich nur im Auge behalten.«
»Und noch nicht mal das hat er hingekriegt«, meinte Phil trocken. Der Verdächtige wurde in einen Verhörraum geführt. Phil und ich folgten ihm. Nachdem ich uns noch einmal vorgestellt hatte, verdeutlichte ich Connors den Ernst seiner Lage.
»Ein Sprengstoffattentat ist kein Kavaliersdelikt, Connors. Sie haben großes Glück, dass es bisher noch keine Toten gegeben hat. Aber bei Terroranschlägen müssen Sie mit harten Strafen rechnen.«
Der Ganove schüttelte den Kopf.
»Keine Ahnung, wovon Sie quatschen. Haben Sie bei mir vielleicht eine Bombe gefunden? Nee, ich hatte nur die illegale Bleispritze bei mir. Und ein paar Spaßpillen. Dafür fahre ich ein, aber das macht mich noch nicht zum Terroristen.«
Das stimmte natürlich, und wir hatten bisher kaum etwas gegen ihn in der Hand. Trotzdem ließ ich mich nicht beirren.
»Nein, aber es gibt auch so etwas wie Mittäterschaft«, erklärte ich. »Ihr Boss Mike Foley zieht die Fäden, das ist uns vollkommen klar. Er hat das Sagen bei den Dagger Boys , an ihn wollen wir herankommen. Wenn Sie kooperieren, sieht es besser für Sie aus.«
Der Kleinkriminelle schaute mich an, als ob ich den Verstand verloren hätte.
»Sie haben doch keine Ahnung, Inspektor Cotton. Wenn ich singe, dann lässt mich Mike hinter Gittern kaltmachen. Da habe ich ein selbstgebasteltes Messer zwischen den Rippen, bevor ich mich auf meiner Pritsche ausstrecken kann. Nee, ich mache meinen Mund bestimmt nicht auf.«
»Mike Foley wird keine Mordbefehle mehr geben können, wenn er selbst sitzt. Außerdem kann ich Ihnen anbieten, Ihre Strafe in einem Bundesgefängnis zu verbüßen. Dort kommt Ihr Boss nicht an Sie heran.«
Connors nagte an seiner Unterlippe. Noch zögerte er. Ich versuchte, ihm die Wahrheit scheibchenweise zu entlocken. Offenbar hatte er große Angst vor seinem Boss.
»Weshalb haben Sie Inspektor Decker und mich verfolgt?«
Immerhin schien er wenigstens auf diese Frage eingehen zu können.
»Ich sollte eigentlich nur David Raymonds Kanzlei im Auge behalten.«
»Weshalb? Warum hat Foley es auf Raymond abgesehen?«
»Weil der Politiker das Hafenviertel auf links ziehen will, Inspektor Cotton. Wenn Raymond dort ernst macht, dann sieht es dort bald aus wie in Disneyland. Deshalb versuchen wir Dagger Boys , Raymond möglichst gut auszukundschaften. Damit wir ihn rechtzeitig ausbremsen können, wenn er ernst macht.«
»Und wieso haben Sie dann Inspektor Decker und mich verfolgt?«
»Weil Sie so nach FBI aussehen, ehrlich gesagt. Seit diese Bomben hochgehen, steht Charleston ja völlig kopf. Mike Foley hatte schon vermutet, dass das FBI Verstärkung schicken würde. Ich beobachte Raymond schon länger, kenne seine Freunde und Mandanten vom Sehen. Sie beide sind Fremde für mich. Ich rief also meinen Boss an und meinte, dass wahrscheinlich das FBI bei Raymond wäre. Er befahl mir, Sie zu verfolgen.«
»Und aus welchem Grund, Connors?«, hakte Phil nach. »Sie hatten eine Waffe dabei. Sollten Sie uns das Lebenslicht ausblasen? Hat Foley Ihnen einen direkten Mordbefehl erteilt?«
Ob Phil mit seiner Vermutung den Nagel auf den Kopf getroffen hatte? Der kleine Ganove presste die Lippen zusammen. Er war jetzt offenbar der Meinung, schon genug gesagt zu haben.
»Wenn Sie nicht reden wollen, dann fragen wir eben Mike Foley selbst«, sagte ich.
»Den müssen Sie erst mal finden«, gab Connors frech zurück.
***
Bei der Verhaftung hatten wir auch das Handy des Ganoven sichergestellt. Wir baten Mai-Lin, sich das Telefon genauer anzusehen. Im Anrufspeicher des Geräts war sehr oft die Nummer eines gewissen M registriert.
»Wetten, dass der Buchstabe für Mike Foley steht?«, fragte Phil.
»Wetten sind Glücksspiele, bei denen unter dem Strich nur der Wettanbieter gewinnt«, gab die junge Kollegin tadelnd zurück. Phil seufzte. Er hatte offenbar wieder vergessen, dass Mai-Lin zwar sehr tüchtig war, aber leider keinen Humor besaß.
»Phil wollte gar nicht wirklich wetten«, sagte ich schnell. »Uns interessiert nur, ob Sie den momentanen Aufenthaltsort dieser Person namens M ermitteln können.«
»Selbstverständlich, Jerry. Das Handy, von dem wir sprechen, ist zurzeit eingeschaltet. Ich baue soeben eine Ortung auf.«
Mai-Lin deutete auf den Monitor ihres Computers. Dort war ein Kartenausschnitt zu sehen, der den Hafen von Charleston darstellte. Verschiedene Mobilfunk-Sendemasten wurden durch blinkende Punkte symbolisiert. Es dauerte einige Momente, bis die Lokalisierung erfolgreich war.
»Das Handy befindet sich zurzeit in der Concord Street, zwischen Boyces Wharf und Elliott Street«, sagte Mai-Lin.
In diesem Moment kam Agent Waters herein. Er wirkte ziemlich gestresst.
»Wie gehen Ihre Ermittlungen voran, Inspektor Cotton? Der Bürgermeister sitzt mir immer noch im Nacken. Es wäre gut, wenn wir bald zumindest einen kleinen Erfolg vorweisen könnten.«
»Wir haben einen konkreten Verdacht gegen die Dagger Boys , Agent Waters. Sagt Ihnen in diesem Zusammenhang die Concord Street etwas?«
Der stämmige schwarze SAC legte nachdenklich die Stirn in Falten.
»Es gibt Gerüchte, dass die Dagger Boys im Hafen ein oder zwei Bordelle betreiben. Aber bisher konnten weder die Cops noch wir Beweise dafür finden. Foley und seine Leute sind gerissen, sie schirmen sich immer gut ab.«
Mai-Lin checkte den Block zwischen Boyces Wharf und Elliott Street nun genauer. Dort stand ein Gewerbeobjekt, das laut Grundbuch einem gewissen Michael Foley gehörte. Das hatte unsere Informatikerin im Handumdrehen herausgefunden. Die benachbarten Gebäude waren Lagerräume. Neugierige Nachbarn konnte man hier also nicht erwarten.
»Foley ist durch die Aussagen seines Komplizen Connors belastet worden«, sagte ich zu Waters. »Connors ist nur ein Fußsoldat. Der Anfangsverdacht reicht aus, um die Gang mit den Sprengstoffanschlägen in Zusammenhang zu bringen. Es ist schon bezeichnend genug, dass David Raymond praktisch rund um die Uhr von der Gang beobachtet wurde.«
Der SAC nickte grimmig.
»Sehr gut, Inspektor Cotton. Es wird kein Problem sein, unter diesen Umständen einen Durchsuchungsbeschluss für das Gebäude zu bekommen. Dann können wir diesen Terroranschlägen hoffentlich bald ein Ende bereiten.«
***
Der Einsatz begann schon zwei Stunden später. Wir näherten uns mit mehreren Fahrzeugen der Concord Street. Das mutmaßliche Bordell war eine ehemalige Konservenfabrik. Das Gebäude machte nur auf den ersten Blick einen heruntergekommenen Eindruck.
Wenn man genauer hinschaute, dann bemerkte man die modernen Klimaanlagen. Das war auch notwendig, denn die Fenster waren vernagelt oder mit Stahlblenden versehen worden.
Es gab auch einen ummauerten Hof, auf dem die Besucher ungesehen parken konnten. Es drang kein Laut nach draußen. Vermutlich hatten die Dagger Boys das Gebäude innen schallisoliert.
Phil und ich hatten uns mit Maschinenpistolen, Helmen und schusssicheren Westen ausgerüstet. Das galt auch für die einheimischen Agents, die uns unterstützten. Die Charleston-Cops sperrten während unseres Zugriffs die Concord Street auf diesem Abschnitt, damit keine Unbeteiligten in die Schusslinie gerieten. Wir mussten mit einem heftigen Feuergefecht rechnen, denn die Verdächtigen würden gewiss nicht kampflos aufgeben.
Wir näherten uns dem Eingang, der aus einer Stahltür mit Türspion bestand. Ich hatte die Agents in zwei Teams aufgeteilt. Während die zweite Gruppe vor dem Hinterausgang in Stellung ging, wollte ich gemeinsam mit Phil, Agent Vickers und Agent Vezzali frontal in das Bordell eindringen.
Es war schwer einzuschätzen, wie stark die Türpanzerung sein würde. Agent Vezzali hatte eine kleine Ladung Plastiksprengstoff direkt über dem Schloss platziert. Wir zogen uns zurück, um nicht der Druckwelle ausgesetzt zu sein. Ich nickte dem jungen Kollegen zu.
Agent Vezzali betätigte den Fernzünder.
Es knallte laut, als der Sprengsatz explodierte und die Stahltür nachgab. Rauch stieg auf. Der Zugang war nun offen.
Wir stürmten in das Gebäude, die Maschinenpistolen im Anschlag. Schon nach wenigen Yards wurde unser Verdacht zur Gewissheit.
Hinter den äußerlich unauffälligen Mauern verbarg sich ein Luxusbordell mit teuren Tapeten und erotischen Kunstwerken an den Wänden. Die Explosion war nicht zu überhören gewesen. Überall erklangen kreischende und verängstigte weibliche Stimmen, Männer fluchten laut.
Auf der Treppe erschien ein Kerl mit Lederjacke, der sofort auf uns feuerte. Seine Kugeln trafen keinen von uns. Ich hob meine Automatikwaffe und jagte ihm eine Garbe Kugeln in die Beine. Er stieß einen Schmerzensschrei aus und polterte die Stufen hinunter, wobei er seine Pistole verlor. Agent Vezzali legte ihm Handschellen an, während Phil und ich nach oben stürmten.
Die beiden einheimischen Kollegen sollten inzwischen das Erdgeschoss sichern. Wir hatten uns natürlich vorher in der CJIS-Datenbank Mike Foleys Foto angesehen.
In der ersten Etage hatte man einen ehemaligen Maschinensaal in zahlreiche winzige Separees umgebaut. Aus ihnen kamen jetzt junge Asiatinnen geströmt, die meisten unbekleidet. Es gab auch Männer meist mittleren Alters, die nur Unterhosen trugen und ihre Gesichter vor mir und Phil verbargen.
Von diesen Kunden ging keine Gefahr aus. Wir suchten nach den Gang-Mitgliedern. Ich stieß eine Tür nach der nächsten auf. Zwei Räume hatten wir schon gecheckt, als ich plötzlich mit einer Eisenstange angegriffen wurde.
Hinter dieser Separee-Tür verbarg sich ein bärtiger Muskelmann. Er versuchte, mir meine Maschinenpistole aus den Händen zu schlagen. Doch ich warf mich schnell zur Seite, er verfehlte mich. Im nächsten Moment trat ich gegen sein Knie, worauf der Verbrecher das Gleichgewicht verlor.
Er holte erneut mit der Eisenstange aus, aber da blickte er in Phils Waffenmündung.
»Fallen lassen. Noch einmal sage ich es nicht!«
Der Kerl war clever genug, sich nicht mehr zu wehren. Ich schaute ihm ins Gesicht. Der Gesuchte sah völlig anders aus. Der Boss war nach wie vor auf freiem Fuß.
»Wo ist Foley?«, fragte ich ihn. Der Bärtige schaute instinktiv nach links, aber er sagte nichts. Stattdessen spuckte er vor uns aus. Wir ließen ihn mit Handschellen gefesselt zurück und hetzten weiter. Dabei schlugen wir auf dem Gang die Richtung ein, in die er unwillkürlich geblickt hatte.
»Vorsicht, Jerry!«
Phil warnte mich, aber ich hatte die Gefahr schon selbst erkannt. Ein Mann kam schießend aus einem Separee. Er hielt eine weinende junge Asiatin als menschlichen Schutzschild vor sich. Sie war nur mit einem rosa Slip und Büstenhalter bekleidet, Schuhe trug sie nicht.
Ich sah die hellen Augen des Mannes und seine gebrochene Boxernase. Selbst auf die Entfernung konnte ich das Dagger Boys -Tattoo am Hals erkennen. Wir hatten Mike Foley gefunden. Seine Kugeln verfehlten Phil und mich, aber er feuerte auch ungezielt. Offenbar wollte er uns nicht unbedingt treffen, nur auf Distanz halten.
»FBI!«, rief ich laut. »Geben Sie auf, Foley. Das Gebäude ist umstellt!«
»Das werden wir ja sehen«, erwiderte er mit einer Reibeisenstimme. »Sie tanzen jetzt nach meiner Pfeife, sonst haben Sie die süße Li hier auf dem Gewissen. Dann blase ich ihr nämlich das Gehirn weg. Kapiert?«
Foley richtete seine Pistole auf mich, feuerte aber nicht mehr. Er wollte offenbar verhandeln. Das Leben der Geisel hatte für uns natürlich absoluten Vorrang.
»Was wollen Sie?«, knurrte Phil. Genau wie ich hatte er die Mündung seiner Automatikwaffe sinken lassen. Foley grinste breit.
»Pfeifen Sie Ihre Kollegen zurück. Ich will in meinen Grand Cherokee steigen, der draußen auf dem Parkplatz steht. Und Sie gehen voran, kapiert? Wenn Ihre Kollegen ballern, dann fangen Sie sich eine Kugel ein.«
Foley deutete mit der Pistolenmündung auf mich, während er sprach. Ich nickte und ließ meine eigene Heckler & Koch zu Boden gleiten. Dann ging ich langsam auf den Bandenboss und seine Geisel zu. Die Frau zitterte am ganzen Leib.
»Bleiben Sie ruhig, Miss. Ihnen passiert nichts«, sagte ich beruhigend.
»Li versteht unsere Sprache nicht, sie hat andere Talente«, sagte Foley und lachte dreckig. Ich verabscheute diesen Kerl, aber ich durfte jetzt nicht die Nerven verlieren. Phil trat zur Seite und sprach leise in das Kehlkopf-Mikrofon, das zu unseren Helmen gehört. Er informierte die Kollegen von der Situation.
Ich stieg die steile Treppe hinab. Natürlich konnte ich nicht sehen, was hinter mir geschah. Aber ich spürte, dass die Geisel nur ein kleines Stück hinter mir ging. Ihr schneller Atem war nicht zu überhören. Außerdem schluchzte Li immer noch vor sich hin.
Und plötzlich schrie sie schrill auf, denn sie war fehlgetreten. Li stürzte an mir vorbei die Treppe hinunter.
Ob sie das absichtlich getan hatte? Jetzt war die Chance gekommen, Foley auszuschalten. Ich wirbelte herum. Der Bandenboss starrte mich entsetzt an. Er hatte die Geisel nur mit einer Hand gehalten, weil er in der anderen seine Waffe hatte.
Jedenfalls waren die Karten nun neu gemischt. Ich schnellte zwei Stufen hoch und stürzte mich auf ihn. Foley wollte seine Pistole auf mich richten, aber ich drückte sein Handgelenk zur Seite. Er schlug mit der freien Hand nach mir, streifte aber mein Kinn nur leicht. Dann ließ ich seinen Unterarm mit voller Wucht gegen eine Stufenkante krachen. Die Schusswaffe entglitt seinen Fingern.
Nun kam mir Phil vom oberen Treppenende aus zu Hilfe. Wir überwältigten Foley und legten ihm Handschellen an.
***
Der Zugriff war gleichzeitig ein Erfolg und ein Misserfolg. Einerseits hatten wir acht junge Frauen aus der Gewalt der Dagger Boys befreien können. Li war bei dem Treppensturz kaum verletzt worden, hatte sich nur den Fuß leicht verstaucht. Die Prostituierten waren illegal in den Staaten, die Gang hatte sie wie Sklavinnen ausgebeutet.
Doch andererseits fand das SR-Team bei der Durchsuchung des Bordells keine Substanzen, die zum Bombenbauen geeignet waren. Auch von den beschlagnahmten Schusswaffen passte keine zu den Kugeln, die bei dem Feuerüberfall auf die Lincoln Coffee Bar in die Wände eingeschlagen waren.
Aber so schnell ließen wir uns nicht entmutigen. Die Gang hatte gewiss noch weitere Verstecke, in denen wir auf Belastungsmaterial stoßen konnten. Mir war wichtig, dass wir den Boss höchstpersönlich aus dem Verkehr gezogen hatten.
Am Morgen nach seiner Verhaftung wurde Mike Foley in einen Verhörraum gebracht, nachdem er die Nacht im FBI-Gewahrsam verbracht hatte. Der Verbrecher gab sich sehr selbstbewusst, aber das beeindruckte uns nicht.
»Glückwunsch, das FBI hat mein Bordell ausgehoben. Und was meinen Sie, wie lange es dauert, bis die Dagger Boys den nächsten Rotlichtladen aufmachen?«
»Sie sind ja ein richtiger Komiker«, knurrte Phil. »Wegen Zuhälterei und Menschenhandel werden Sie sich auch noch verantworten müssen. Aber klammern wir das einmal für den Moment aus. Wir wollen heute mit Ihnen über die Bombenanschläge reden.«
Mike Foley blinzelte. Für einen Moment kam es mir so vor, als ob sein Gesichtsausdruck Verblüffung und Erstaunen widerspiegeln würde. Doch bei unserer Arbeit zählen keine Eindrücke, sondern nur nüchterne Fakten. Einige Augenblicke später begann Foley breit zu grinsen.
»Ja, die Attentate gehen auf das Konto der Dagger Boys . Die ganze Sache war meine Idee. Ich wollte dem Bürgermeister und David Raymond und allen Politikern und Cops zeigen, wo der Hammer hängt. Damit sie alle kapieren, wer in Charleston wirklich das Sagen hat.«
Foley warf sich in die Brust. Er gefiel sich offenbar in der Rolle des Terrorfürsten, der Angst und Schrecken verbreitet. Aber ich hakte nach.
»Sie bekennen sich also schuldig, die drei Bombenanschläge und den Feuerüberfall auf die Lincoln Coffee Bar angeordnet zu haben?«
»Stimmt genau, Inspektor Cotton.«
»Und woher hatten Sie den Sprengstoff?«
»Auf dem Schwarzmarkt gekauft. Heutzutage kann man ja solche Höllenmaschinen schon im Internet bestellen.«
Foley lachte, als ob das komisch wäre. Aber ich ließ mich von ihm nicht aufs Glatteis führen.
»Und wer hat die Sprengsätze letztlich deponiert? Und was für einen Zünder haben Sie benutzt? Weshalb haben Sie diese drei Ziele ausgesucht? Wo ist die Automatikwaffe, mit der ins Café gefeuert wurde? Bei der Bordell-Durchsuchung haben wir sie jedenfalls nicht finden können.«
Der Bandenboss zog seine Augenbrauen zusammen.
»Wieso fragen Sie mir ein Loch in den Bauch, Inspektor Cotton? Warum wollen Sie diesen ganzen Mist wissen? Ich habe gestanden, reicht Ihnen das nicht?«
»Nein, das reicht mir nicht. Ich glaube nämlich, dass Sie für die Attentate gar nicht verantwortlich sind.«
»Sie spinnen doch! David Raymond hat sich mit den Dagger Boys angelegt, damit fing es an. Der blöde Politiker will aus dem Hafenviertel so eine Schickeria-Gegend machen, mit Luxus-Restaurants, bewachten Apartmentkomplexen und privaten Securitys an jeder Ecke.«
»Und diese Veränderungen würden natürlich Ihre kriminellen Pläne durchkreuzen. Das habe ich schon verstanden. Aber wenn Sie mich von Ihrer Schuld überzeugen wollen, dann müssen Sie uns mehr Details nennen.«
»Ich sage jetzt gar nichts mehr, ich will einen Anwalt. Und glauben Sie bloß nicht, dass ich meine eigenen Leute ans Messer liefere.«
Es war Foleys gutes Recht, sich mit einem Juristen zu beraten. Er nannte uns die Nummer seines Verteidigers. Wir beendeten das Verhör einstweilen und riefen den Anwalt an. Er versprach, umgehend ins Regionalbüro zu kommen.
Phil und ich gönnten uns eine kurze Kaffeepause.
»Hältst du die Dagger Boys wirklich für unschuldig, Jerry? Foley und seine Leute haben doch ein erstklassiges Motiv.«
»Ja, was den Anschlag auf den Politiker angeht. Da hört es aber auch schon auf. Foley hat sich selbst entlarvt, als er über Höllenmaschinen aus dem Internet faselte. Willson sagt, dass die Sprengsätze selbst gebaut waren. Der Attentäter musste nichts online bestellen.«
»Okay, das sehe ich ein. Aber weshalb sollte sich Foley selbst bezichtigen? Doch wohl nicht, um den wahren Täter zu decken?«
»Das kann ich mir auch nicht vorstellen. Aber der Ganove weiß, dass er auf jeden Fall hinter Gitter wandern wird. Und im Knast ist Respekt sehr wichtig, das weißt du auch.«
»Sicher, und da genießt ein gefährlicher Terror-Drahtzieher viel mehr Ansehen bei den Mithäftlingen als ein kleiner Zuhälter. Die Todesstrafe hat Foley nicht zu befürchten, weil bisher noch kein Mensch bei den Bombenanschlägen ums Leben gekommen ist. Und …«
Phil unterbrach sich selbst, weil in diesem Moment Lynn Vickers hereinkam. Die junge Kollegin war sehr aufgeregt.
»Wir haben soeben einen Anruf von den Cops erhalten. Es wurde ein Toter gefunden, der etwas mit der Terrorserie zu tun haben könnte.«
»Ist seine Identität schon bekannt?«
»Ja. Es handelt sich um Andrew Baker alias Carolina-Kid. Und er wurde erschossen.«
***
Da Foley noch auf seinen Anwalt wartete, kamen wir mit dem Verhör sowieso nicht weiter. Also fuhren Phil und ich sofort zum Leichenfundort. Agent Vickers begleitete uns.
»Kannten Sie das Opfer?«, wollte ich von der jungen Kollegin wissen.
»Kaum, Inspektor Cotton. Allerdings war Carolina-Kid hier in Charleston ziemlich bekannt. Er galt als eine Art Original. Der selbst ernannte Seher und Prophet hat es sogar zum Internet-Star gebracht. Einige seiner wirren Weltuntergangsreden sind auf Video aufgenommen und viele Tausende Male angeklickt worden.«
Der Leichnam war in North Charleston gefunden worden. Ich bog in den Industry Drive ein, die rotierenden Rot-Blau-Lichter auf dem Dach eines geparkten Streifenwagens sah ich schon von weitem.
Das Einsatzfahrzeug stand auf einem fast leeren Parkplatz, der von einem Bowlingcenter, einem Baumarkt und einer Großhandlung für Bürobedarf eingerahmt wurde. Neben dem Streifenwagen lag ein Körper auf dem Boden, den die Cops mit einer Plane bedeckt hatten.
Darunter schaute ein schmutziger Turnschuh hervor. Ich erinnerte mich an meine kurze Begegnung mit Carolina-Kid. Er hatte genau solche Schuhe an den Füßen gehabt.
Wir stiegen aus, zeigten unsere FBI-Marken und stellten uns den Officers vor. Die Uniformierten hießen Raoul Garcia und Ann Morley. Garcia war ein breitschultriger Latino, seine Dienstpartnerin eine sommersprossige Blonde. Ich bat sie um einen kurzen Bericht. Ann Morley schlug ihr Notizbuch auf.
»Vor einer Stunde rief der Hausmeister des Bowlingcenters in der Notrufzentrale an und meldete einen Leichenfund. Es gehört zu seinem Job, täglich den Parkplatz zu fegen. Das Mordopfer fiel ihm schon frühmorgens auf. Aber da nahm der Hausmeister noch an, dass Baker schlafen würde. Er wollte ihn zunächst nicht wecken und hoffte, dass er irgendwann aufstehen und fortgehen würde. Aber als sich der Körper nach ein paar Stunden immer noch nicht rührte, versuchte der Hausmeister ihn wachzurütteln. Da bemerkte er die Schusswunde in der Brust.«
»Demnach wurde Baker schon während der Nacht getötet?«
»Das vermuten wir, Inspektor Cotton. Seit dem Beginn der Terrorserie haben wir beim Police Department die Dauerorder, dem FBI alle Vorfälle zu melden, die damit zusammenhängen könnten. Und da bekannt ist, dass sich Baker mit seinem Hintergrundwissen gebrüstet hat …«
Ich unterbrach die junge Polizistin.
»Woher wissen Sie das?«
»Aus dem Internet. Es gibt ein Video, in dem Carolina-Kid behauptet, die Täter zu kennen. Das Filmchen wurde bisher mehrere zehntausend Mal angeklickt.«
»Aber niemand hat Baker ernst genommen, weil er in Charleston als Wirrkopf bekannt war?«, vergewisserte ich mich. Ann Morley nickte.
»Einer wohl doch«, meinte Phil. »Nämlich sein Mörder. Er wollte, dass Baker sein Wissen mit ins Grab nimmt.«
Ich nickte und schaute Richtung Süden. Der Hafen und das Stadtzentrum waren sehr weit entfernt.
»Wie lange würde man zu Fuß gehen, bis man die City erreicht?«
»Fast zwei Stunden, schätze ich«, erwiderte Officer Garcia. »Warum fragen Sie, Inspektor Cotton?«
»Weil ich wissen will, wie das Opfer hierhergekommen ist. Baker war offensichtlich obdachlos. Ich gehe davon aus, dass er kein Auto hatte. Ein Fahrrad wäre auch möglich, aber ich sehe hier in der Nähe keines. Gibt es eine Buslinie in der Nähe?«
Die Cops schüttelten die Köpfe.
»Du meinst, der Mörder könnte Baker im Auto mitgenommen haben, Jerry?«
»Das wäre eine Möglichkeit, Phil. Die andere Variante wäre, dass Carolina-Kid anderswo erschossen wurde und man die Leiche hier nur abgelegt hat. Ich vermute, nachts ist hier nicht viel los?«
Meine Frage galt dem Officer.
»Das stimmt, Inspektor Cotton«, antwortete Ann Morley. »Der Industry Drive ist ein reines Gewerbegebiet. Das Bowlingcenter schließt spätestens um ein Uhr nachts, da sind die anderen Geschäfte auch schon längst zu. Ein Stück weiter westlich gibt es ein Diner. Aber dort würde man wahrscheinlich nicht hören, wenn hier auf dem Parkplatz ein Schuss abgefeuert wird.«
Nun traf auch unser SR-Team ein, das ich über den Leichenfund ebenfalls informiert hatte. Willson kniete sich neben den Toten, schlug die Plane zurück und nahm die Schusswunde in Augenschein. Er drehte die Leiche vorsichtig hin und her.
»Der Tote wurde aus nächster Nähe erschossen, so viel kann ich jetzt schon sagen. Es gibt keine Austrittswunde, also wird die Kugel noch im Körper stecken. Sie müssen mir nur noch die Mordwaffe beschaffen, und schon können wir den Killer festnageln.«
Allmählich trafen auch einige Reporter ein, die vermutlich von den Angestellten der umliegenden Betriebe alarmiert worden waren. Officer Garcia und Officer Morley hatten den Leichenfundort zum Glück schon weiträumig abgesperrt. Das Fahrzeug des Coroners war bereits angefordert. Dr. Willson wollte Bakers sterbliche Überreste so schnell wie möglich obduzieren.
Ich fragte den Latino-Cop, ob Baker Papiere bei sich gehabt hätte.
»Nein, das nicht. Aber ich bin in Charleston geboren und aufgewachsen. Carolina-Kid ist hier allgemein bekannt.«
Nun wandte sich Lynn Vickers an mich. Sie hatte während der vergangenen zehn Minuten unaufhörlich ihr Smartphone gecheckt.
»In den sozialen Medien verbreitet sich die Nachricht vom Terror der Dagger Boys wie ein Lauffeuer, Inspektor Cotton. Für die meisten Leute steht jetzt schon fest, dass Foley und seine Leute für die Anschläge verantwortlich sind.«
»Wie schön, dann brauchen wir ja gar nicht weiter zu ermitteln«, knurrte Phil ironisch.
»Wir sollten uns jetzt auf Bakers Mörder konzentrieren«, betonte ich. »Vielleicht hatte der Alte ja wirklich Informationen über die Anschlagsserie. Und als er in der Öffentlichkeit mit seinem Wissen prahlte, hat er sein Todesurteil unterschrieben.«
»Allerdings können wir nicht ausschließen, dass es auch ein anderes Mordmotiv gibt«, meinte Phil. »Hassverbrechen gegen Obdachlose sind ja leider an der Tagesordnung. Wir sollten uns in Bakers Umgebung umhören. Vielleicht hat ja der Weltuntergangsprophet Andeutungen gemacht, die uns auf die richtige Spur bringen können.«
Das war ein guter Vorschlag. Doch bevor wir weitermachen konnten, klingelte mein Handy. Ich nahm das Gespräch an.
»Inspektor Cotton hier.«
SAC Bruce Waters rief mich an. »Es hat einen neuen Bombenanschlag gegeben, Inspektor Cotton. Diesmal galt er dem Hauptquartier der Dagger Boys .«
»Steht denn fest, dass der Unterschlupf der Dagger Boys zerstört wurde? Die Verbrecher sind doch keine Biker-Gang, die ihren Schriftzug weithin sichtbar an der Mauer anbringt.«
»Dieses Gebäude in der Doughty Street ist die Zentrale der Dagger Boys , Inspektor Cotton. Das ist für uns hier in Charleston kein Geheimnis. Die Bar im Erdgeschoss gehört Foleys Cousin, er heißt Jim Henriks. Henriks wurde bei dem Anschlag schwer verletzt, genau wie zwei seiner Gäste. Und die Apartments im ersten und zweiten Stock werden ausnahmslos von Foley und seinen Leuten bewohnt. Damit dürfte es jetzt allerdings vorbei sein, denn das Gebäude ist einsturzgefährdet.«
»Wurde Foley schon informiert?«
»Nein, zurzeit ist sein Anwalt bei ihm.«
»Okay, Agent Waters. Dann verraten Sie Foley bitte noch nichts. Wir kehren jetzt ins Regionalbüro zurück. Inspektor Decker und ich werden dem Verdächtigen selbst von den Ereignissen berichten.«
***
Wir hatten nun alle Hände voll zu tun. Das SR-Team wollte sofort zur Doughty Street weiterfahren, nachdem der Leichenfundort auf dem Parkplatz gründlich untersucht worden war. Auch ich hatte vor, mir das zerstörte Gang-Hauptquartier anzuschauen. Aber das konnte warten.
»Es kommt mir so vor, als ob die wahren Täter durchdrehen«, murmelte Phil, als wir Richtung Innenstadt zurückfuhren. »Scheinbar stecken die Dagger Boys doch nicht hinter den Anschlägen, obwohl die Öffentlichkeit das glaubt.«
»Richtig, und dieser zweifelhafte Ruhm der Gang macht die echten Schuldigen wütend. Deshalb soll die Zerstörung des Hauptquartiers eine Botschaft an uns sein.«
»Das denke ich auch, Jerry. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass Foleys Leute sich selbst in die Luft sprengen. Das organisierte Verbrechen begeht keine Selbstmordattentate.«
»Richtig, aber sie bringen unliebsame Zeugen zum Schweigen. So wie es mit Baker alias Carolina-Kid geschehen ist. Wir müssen unbedingt herausfinden, was dieser Mann gewusst hat. Vielleicht kennt ja auch Foley die Identität der wahren Bombenleger.«
Mit Mutmaßungen kamen wir jedenfalls nicht weiter. Als wir im Regionalbüro eintrafen, hatte der Bandenboss die Beratung mit seinem Anwalt beendet. Der Name des Juristen war Dan Rutherford. Er war ein blasser Mann mit dunkler Hornbrille. Nachdem wir die beiden in einen Verhörraum begleitet hatten, ging er sofort in die Offensive. Rutherford kannte inzwischen auch unsere Namen.
»Ich möchte wissen, was Sie meinem Mandanten konkret vorwerfen, Inspektor Cotton.«
»Jedenfalls glauben wir seinem Geständnis nicht, dass er für den Bombenterror verantwortlich wäre. Die Attentäter haben nämlich inzwischen wieder zugeschlagen. Das Ziel war diesmal ein Gebäude in der Doughty Street.«
Ich hatte mich an den Verteidiger gewandt, aber Foley hörte meine Worte natürlich auch. Ihm quollen beinahe die Augen aus dem Kopf.
»Was? Sie bluffen doch, das gibt es nicht!«
»Ich sage die Wahrheit. Vielleicht hat Ihr Anwalt ja ein Smartphone dabei. Die Nachricht dürfte inzwischen auf allen Kanälen zu sehen sein.«
Rutherford griff zu seinem Mobiltelefon und ging damit online. Bis in die nationalen News hatte es die Bombenexplosion noch nicht geschafft, aber die Lokalmedien von South Carolina kannten momentan nur noch dieses Thema.
Mit dieser Neuigkeit hatten wir sowohl Foley als auch seinen Anwalt durcheinandergebracht. Und das mussten wir ausnutzen. Der Bandenboss schien seine eigene Lage völlig vergessen zu haben. Er bestürmte mich mit Fragen über sein Hauptquartier.
»Ich habe mir die Schäden selbst noch nicht angesehen, Foley. Aber es gab drei Verletzte, darunter Ihr Cousin Jim Henriks. Wenn Sie einen Verdacht haben, wer wirklich hinter den Anschlägen stecken könnte, dann wäre jetzt der Zeitpunkt zum Reden gekommen.«
»Die Anklage wegen Zuhälterei und Menschenhandel ist Ihnen sowieso sicher«, ergänzte Phil. »Sie können Ihre Lage nur verbessern, indem Sie mit dem FBI kooperieren.«
»Lassen Sie sich nicht einwickeln, Mr Foley«, fuhr der Anwalt dazwischen. »Es ist noch gar nicht gesagt, ob Sie wegen Zuhälterei angeklagt …«
»Klappe!«, schnauzte Foley seinen Rechtsbeistand an. »Ich muss nachdenken, kapiert? Verflucht, wer will mir in die Suppe spucken?«
»Sagen Sie es uns«, meinte ich, während der Anwalt beleidigt schwieg. »Wie wäre es mit einer konkurrierenden Gang?«
»Vergessen Sie es, Inspektor Cotton. Mir fallen auf Anhieb nur die Koreaner ein, die den Dagger Boys Sand ins Getriebe streuen wollen. Aber die Schlitzaugen sind noch zu schwach, um uns die Stirn zu bieten. Und was hätten sie davon, die verdammte Fabrik, die Bank und Raymonds Karre in die Luft zu jagen? Die Koreaner hätten uns Dagger Boys direkt angreifen müssen, alles andere wäre sinnlos.«
Das klang plausibel, wie ich fand. Dennoch nahm ich mir vor, im Hauptquartier Informationen über die Machenschaften der koreanischen Mafia einzuholen. Aber das brachte uns momentan nicht weiter.
»Sie haben also keinen konkreten Verdacht, Foley? Und kommen Sie nicht auf die Idee, hier einen Bandenkrieg anzetteln zu wollen. Ich werde dafür sorgen, dass Sie von der Gefängniszelle aus keine Mordbefehle geben können. Überlassen Sie die Bestrafung der Schuldigen dem Gericht.«