Jerry Cotton Sammelband 51 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 51 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 3030 - Tote haben keine Lobby
Jerry Cotton 3031 - Das Schweigen der Leichen
Jerry Cotton 3032 - Ticket in den Tod
Jerry Cotton 3033 - Falsche Entscheidungen
Jerry Cotton 3034 - Ohne jede Spur

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 668

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 51

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | PanicAttack

ISBN: 978-3-7517-6506-0

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Jerry Cotton Sammelband 51

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Jerry Cotton 3030

Tote haben keine Lobby

Jerry Cotton 3031

Das Schweigen der Leichen

Jerry Cotton 3032

Ticket in den Tod

Jerry Cotton 3033

Falsche Entscheidungen

Jerry Cotton 3034

Ohne jede Spur

Guide

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Contents

Tote haben keine Lobby

Der Killer war bereits im Haus, als Sean Flanagan zum Telefonhörer griff. Der pensionierte Cop ahnte nichts von der tödlichen Gefahr, in der er sich befand. Flanagan rief beim FBI-Hauptquartier in Washington an.

»Ich heiße Sean Flanagan und muss ein Verbrechen melden. Es gibt beim Boston Police Department einen unglaublichen Skandal. Der Mob schmiert …«

Der Ex-Cop konnte den Satz nicht mehr beenden. Ihm wurde in den Rücken geschossen, zweimal hintereinander. Sterbend glitt der grauhaarige Mann zu Boden. Er trug seine Gala-Uniform, so wie jedes Jahr am St. Patrick’s Day. Doch diesmal fand die Feiertagsparade ohne Flanagan statt.

Wir hatten gerade einen anderen Fall erfolgreich zum Abschluss gebracht, als der Chef uns zu sich rufen ließ. Phil und ich begaben uns sofort ins Vorzimmer von Assistant Director High.

Dorothy blickte auf und schenkte uns ein freundliches, aber distanziertes Lächeln. Die Sekretärin trug an diesem Morgen ein fliederfarbenes Geschäftskostüm, das sich apart von ihrer dunklen Hautfarbe abhob.

»Was gibt es Neues, Dorothy?«, wollte Phil wissen.

»Das wird der Assistant Director Ihnen gleich selbst erläutern, Phil. Sie können sofort zu ihm durchgehen.«

Wir versorgten uns noch schnell an der Espressomaschine mit Kaffee und betraten dann das Büro von Mr High. Er nickte uns ernst zu und deutete auf den Konferenztisch. Phil und ich nahmen dort Platz.

»Ich habe hier einen Tonbandmitschnitt, Jerry und Phil. Hören Sie ihn sich bitte einmal an.«

Der Chef drückte auf einen Knopf, und gleich darauf war aus dem Lautsprecher eine weibliche Stimme zu hören.

»FBI-Zentrale, was kann ich für Sie tun?«

Dann sprach ein Mann, mit dunkler und rauer Stimme. Er hörte sich an, als ob er unter großem Druck stehen würde. Wir lauschten seinen wenigen Worten, bis ihn laute Schussgeräusche zum Verstummen brachten.

Mr High stoppte den Bandmitschnitt und kam zu uns an den Konferenztisch.

»Dieser Anruf ging heute Morgen hier im Hauptquartier ein, vor ungefähr drei Stunden. Wir haben natürlich sofort mit den Kollegen vom Field Office Boston Kontakt aufgenommen. Der Anrufer, Sean Flanagan, war ein pensionierter Sergeant der Boston Police. Er wurde in seinem eigenen Haus ermordet, während er diesen Anruf tätigte.«

»Gibt es schon Hinweise auf den oder die Täter, Sir?«

»Nein, Jerry. Flanagan lebte in einer ruhigen Wohnstraße. Einige Nachbarn haben sofort die Polizei verständigt, als die beiden Schüsse ertönten. Die Cops sind wenig später eingetroffen, noch vor unseren Agents.«

Phil legte die Stirn in Falten. »Ich sage es nicht gern, aber Flanagans Anruf deutet auf Korruption innerhalb des Boston Police Department hin. Deshalb kann ich mich in diesem Fall nicht darüber freuen, dass die Cops so schnell vor Ort waren.«

Der Chef nickte. »Das sehe ich genauso. Wir müssen damit rechnen, dass Beweismaterial beiseitegeschafft wurde. Flanagan war übrigens selbst ein hochdekorierter Police Sergeant, er ging vor drei Jahren in den Ruhestand. Er kannte das Department also von innen, dadurch bekommt seine Aussage noch ein besonderes Gewicht.«

»Aber ein Cop macht sich während seines Berufslebens viele Feinde. Selbst falls an dem Korruptionsverdacht etwas dran sein sollte, könnte ihn ein Täter ohne Polizeihintergrund auf dem Gewissen haben.«

»Wir müssen selbstverständlich in alle Richtungen ermitteln, Jerry und Phil. Ich möchte Sie bitten, dabei eng mit dem Field Office Boston zusammenzuarbeiten. Ich habe dort schon angerufen. Nehmen Sie auch Ihr SR-Team mit. Es muss sicher sein, dass alle kriminaltechnischen Indizien und Beweise von unabhängigen Spezialisten geprüft werden.«

Phil sah aus, als ob er noch etwas auf dem Herzen hatte. Das entging auch Mr High nicht.

»Wollen Sie noch etwas fragen, Phil?«

»Ja, Sir. Ich überlege, aus welchem Grund Flanagan hier im Hauptquartier angerufen hat. Er hätte sich auch mit dem Field Office Boston in Verbindung setzen können.«

»Ja, da haben Sie recht. Worauf wollen Sie hinaus?«

Phil atmete tief durch, bevor er antwortete.

»Falls es wirklich einen Korruptionsskandal in Boston gibt, dann ist darin womöglich nicht nur das Police Department verwickelt, sondern auch das FBI Field Office.«

***

Wir beendeten die Besprechung und trafen unsere Vorbereitungen, damit wir noch am selben Tag nach Boston reisen konnten. Dorothy Taylor hatte über die Reiseabteilung bereits für Phil und mich sowie unsere Teammitglieder Flüge gebucht. Die Tickets lagen am Reagan National Airport abholbereit.

Ich rief in Quantico an und informierte Dr. Willson über unseren neuesten Auftrag. Der Mediziner und Forensiker seufzte tief, als er Einzelheiten hörte.

»Ein toter Ex-Cop? Das ist immer mies, und am St. Patrick’s Day ganz besonders. Diese Nachricht wird wohl vielen Officers in Boston den Tag vermiesen. Ich gebe den anderen Bescheid, dann treffen wir uns am Flughafen, okay?«

Ich bedankte mich und beendete das Gespräch. Da der Lautsprecher eingeschaltet war, hatte Phil alles gehört.

»Stimmt, heute ist ja St. Patrick’s Day. Es würde mich nicht wundern, wenn Flanagan an der Parade teilnehmen wollte. Da sind doch zahlreiche Veteranen des Police Department vertreten, jedenfalls war das in New York City immer so.«

Ich nickte. St. Patrick ist ein irischer Nationalheiliger. Und da in früheren Zeiten viele Cops irischstämmig waren, hat dieser Festtag für viele Police Departments überall in den Staaten eine besondere Bedeutung.

Aber in Boston würde der diesjährige St. Patrick’s Day garantiert ein schwarzer Tag werden, jedenfalls für die Cops. Und das nicht nur wegen Flanagans Ermordung. Der Korruptionsverdacht musste auf jeden ehrlichen Police Officer wie ein Schlag ins Gesicht wirken.

Da unser Flug erst für den späten Nachmittag gebucht war, konnten die Teammitglieder rechtzeitig von Quantico aus zum Domestic Airport von Washington gelangen. Phil und ich trafen Willson, Mai-Lin, Fortesque und Concita Mendez beim Check-in.

Da die Kollegen vom Boston Field Office über unsere Ankunft informiert waren, holten uns zwei junge Agents vom Flughafen ab. Agent Raoul Garcia übernahm es, Phil und mich zum Field Office zu chauffieren. Dr. Willson und seine Kollegen fuhren in einem anderen Wagen.

»Sie kommen wegen des ermordeten Ex-Cops, nicht wahr?«, wollte Agent Garcia wissen. »Wenn es nach mir gegangen wäre, dann hätte man die St.-Patrick’s-Day-Parade abgesagt. Diese Volksbelustigung kommt mir jetzt etwas pietätlos vor. Aber als wir die Leiche gefunden haben, hatte sich der Festzug am Gillette Park wohl schon in Bewegung gesetzt. Und Sie sehen ja selbst, was hier los ist.«

In Boston herrschte wirklich ein beachtliches Verkehrschaos. Offenbar war die Stadt von auswärtigen Besuchern überschwemmt, die sich das Spektakel anschauen wollten. Wie wir von dem jungen Kollegen erfuhren, marschierten die Parade-Teilnehmer vom Gillette Park bis hinunter zum Boston Main Channel.

»Haben Sie Sean Flanagan persönlich gekannt, Agent Garcia?«

»Nein, Inspektor Cotton. Ich habe meine Ausbildung in Quantico erst vor einem Jahr beendet. Und Flanagan war ja wohl schon seit einigen Jahren im Ruhestand. Außerdem habe ich bei meinen Einsätzen wenig mit dem Police Department zu tun. Ich weiß nur, dass die dienstälteren Kollegen Flanagan immer als ›Eisenschädel‹ bezeichneten.«

Phil hob die Augenbrauen.

»Und woher hatte der Ermordete diesen Spitznamen?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.«

Agent Garcia versuchte, die Parade weiträumig zu umfahren. Trotzdem standen wir eine Zeit lang im Stau. Der Wind wehte Geräuschfetzen zu uns herüber. Dudelsackmusik erklang, man hörte Lachen und den Applaus einer großen Menschenmenge.

»Dass ein Ex-Cop ausgerechnet am St. Patrick’s Day ermordet wird, ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Medien«, stellte Phil fest. »Und wenn erst der Korruptionsverdacht durchsickert, werden wir keine ruhige Minute mehr haben.«

Ich warf Agent Garcia einen Seitenblick zu. Es war ein mieses Gefühl, keinem der hiesigen Agents trauen zu können. Und doch mussten wir davon ausgehen, dass das lokale FBI in kriminelle Machenschaften verwickelt sein konnte.

»Haben Sie auch von Verbindungen zwischen Cops und Verbrechern gehört, Agent Garcia?«

Der junge Kollege schüttelte den Kopf. »Ich gebe nichts auf Gerüchte, Inspektor Cotton. Aber ich nehme an, dass Sie gekommen sind, um die faulen Eier auszusortieren.«

»Falls es überhaupt faule Eier gibt«, warf Phil ein.

Endlich erreichten wir das Field Office, wo wir bereits von Special Agent in Charge Norman Galston erwartet wurden. Nachdem wir Platz genommen hatten und wir mit Kaffee versorgt worden waren, fasste er den bisherigen Ermittlungsstand für uns zusammen. Willson und seine Kollegen waren ebenfalls im Besprechungsraum anwesend.

»Das Mordopfer lebte in Charlestown, eine traditionell sehr irisch geprägte Gegend. Die Cops haben die Ermittlungen mittlerweile an uns übergeben, nachdem sich die Nachricht von Flanagans Anruf beim FBI-Hauptquartier verbreitet hat.«

»Konnten Sie schon herausfinden, ob Flanagan Feinde hatte? Wurde er von Personen bedroht, die er während seiner aktiven Jahre hinter Gitter gebracht hat?«, wollte ich wissen.

»Diese Fragen haben wir uns auch schon gestellt. Aber Ihnen ist ja bekannt, wie verhasst Cops und Agents bei den Verbrechern sind. Und wer so lange bei der Truppe war wie Flanagan, der hat sich sehr viele Feinde gemacht. Noch konnten wir nicht herausfinden, ob er von jemandem konkret bedroht wurde.«

»Und es gibt keine Hinweise auf den flüchtigen Killer? Konnten Sie klären, ob er per Auto oder Motorrad geflohen ist? Oder türmte er zu Fuß?«

»Meine Agents fragen in der Nachbarschaft herum, Inspektor Cotton. Sobald es konkrete Ergebnisse gibt, lassen wir es Sie wissen. Mit dem Police Commissioner habe ich schon gesprochen. Er ist natürlich nicht begeistert davon, dass ein Korruptionsverdacht im Raum steht. Aber gerade deshalb findet er es wichtig, dass Sie die Ermittlungen leiten. Es soll nichts vertuscht werden, Sie können mit jedem Cop in Boston sprechen.«

Ich nickte. »Das werden wir tun, falls es nötig ist.«

»Und ich möchte mir den Tatort gern heute noch anschauen, um mir ein genaues Bild zu machen«, bat Fortesque.

»Das geht uns gewiss allen so«, sagte ich.

»Bis auf mich«, meinte Willson. »Ich verabschiede mich Richtung Pathologie, wo die Leiche gewiss schon auf einem Stahltisch auf mich wartet. Es wird sich zeigen, welche Informationen ich aus dem Toten herauskitzeln kann.«

Auch der SAC kannte schon den schwarzen Humor des Mediziners, mit dem er seine oftmals grausige Tätigkeit besser verarbeiten konnte. Ein junger Agent brachte Willson zum gerichtsmedizinischen Institut.

Wir anderen verabschiedeten uns ebenfalls von Norman Galston, um zum Tatort zu fahren. Doch zuvor hatte ich noch eine Frage an den SAC.

»Ich habe gehört, dass Sean Flanagan ›Eisenschädel‹ genannt wurde. Können Sie mir sagen, wie er zu diesem Spitznamen kam?«

»Der Ermordete war ein typisch irischer Dickkopf. Wenn er sich etwas vorgenommen hatte, dann war er nicht davon abzubringen. Er konnte sich ohne Rücksicht auf Verluste durchsetzen. Ich hatte vor seiner Pensionierung einige Male mit Flanagan zu tun. Mir hat er keine Schwierigkeiten gemacht. Aber er war definitiv kein Mann, den ich zum Feind haben möchte.«

»Wer so unbeugsam ist, kann nur durch den Tod gebrochen werden«, meinte Phil.

***

Sean Flanagan hatte in der Pearl Street gelebt, einer ruhigen Wohnstraße in Charlestown. Wir fuhren in einem Ford Interceptor des Field Office dorthin. Während der Fahrt öffnete Phil sein Notebook und schaute sich die Personalakte des pensionierten Cops an.

»Flanagan war verwitwet, seine Frau ist vor Jahren an Krebs gestorben. Von Kindern oder Enkeln steht hier nichts. Auf jeden Fall muss der Ermordete ein guter Polizist gewesen sein. Hier sind mehrere Belobigungen wegen Tapferkeit im Dienst verzeichnet, keine Abmahnungen, kaum Krankheitstage.«

»Okay, aber andererseits hat Flanagan es während seines langen Berufslebens nur bis zum Sergeant gebracht. Andere Kollegen sind auf der Karriereleiter weitaus höher geklettert.«

»Das stimmt, Jerry. Doch wenn Flanagan wirklich so ein Dickschädel gewesen ist, dann war diese Eigenschaft seiner Laufbahn nicht gerade förderlich. Und genau diese Charaktereigenschaft könnte sogar zu seinem gewaltsamen Tod geführt haben, wenn er sich nämlich mit den falschen Leuten angelegt hat.«

Die Kollegen vom SRT waren bereits vor uns eingetroffen. Das Mordopfer hatte in einem schlichten Bungalow gelebt, der meiner Schätzung nach ungefähr dreißig Jahre alt war. In der Nähe des Hauses gab es keine Versteckmöglichkeiten.

»Es war bereits hell, als Flanagan erschossen wurde, Jerry. Sollte der Mörder wirklich vor den Augen aller Nachbarn zum Haus gegangen sein?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Es wäre ja auch möglich, dass er sich schon nachts hineingeschlichen hatte und erst das Feuer eröffnete, als Flanagan zum Telefon griff. Wenn es ein gewaltsames Eindringen gegeben hat, dann werden die Kollegen es herausfinden.«

Die Cops hatten das Grundstück mit gelbem Trassierband abgesperrt. Das Police Department sorgte draußen für Ordnung, während im Haus das FBI ermittelte. Nachdem ich geparkt hatte, drängten wir uns zwischen den Schaulustigen hindurch. Unsere FBI-Marken hatten wir an den Revers befestigt. Ein rothaariger Officer hob das Absperrband für uns. Er warf uns einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte.

»Danke, Officer«, sagte ich. »Haben Sie das Opfer gekannt?«

»Sean Flanagan wurde von einem Verbrecher getötet«, lautete die Antwort. Das Gesicht des Cops war wie versteinert.

»Selbstverständlich wurde er das«, erwiderte ich. »Wer andere Menschen umbringt, ist auf jeden Fall ein Krimineller.«

Der Officer öffnete den Mund, er wollte antworten. Aber dann überlegte er es sich offenbar anders, denn unser kurzer Wortwechsel hatte bereits das Interesse der Presseleute erregt. Der Cop deutete mit einer Kopfbewegung auf das Haus.

Ich nickte ihm zu, Phil und ich gingen zum Gebäude hinüber.

»Der Rothaarige schnitt ein Gesicht, als ob wir seine Mutter beleidigt hätten«, raunte Phil mir zu.

»Die Officers sind wahrscheinlich nervös, weil einer von ihnen getötet wurde. Da spielt es auch keine Rolle, dass Flanagan schon pensioniert war. Du weißt ja, wie das läuft.«

»Ja, es ist wie beim FBI. Man bleibt immer Agent, auch wenn man schon im Ruhestand ist.«

Das Haus machte einen sauberen Eindruck, es war gemütlich eingerichtet. Eine Umrisszeichnung mitten im Wohnraum zeugte davon, wo Flanagan tödlich getroffen zusammengebrochen war. Auch Blut war reichlich vorhanden.

Auf dem Tisch lagen Abzüge von Fotos, die ein FBI-Fotograf von der Leiche gemacht hatte. Flanagan war in seiner Paradeuniform gestorben, vollständig bekleidet.

Fortesque kniete neben einer Wand, die sich eine Armeslänge von den Leichenumrissen entfernt befand.

»Zwei Geschosse haben den Körper des Opfers durchschlagen und sind in die Wand eingedrungen. Es handelt sich um Kaliber .45, das sehe ich schon auf den ersten Blick. Weitere Details kann ich Ihnen nach der Laboranalyse liefern.«

Ich nickte dem Chemiker und Physiker zu. Weiter hinten im Raum waren Concita Mendez und Mai-Lin beschäftigt. Die Finanzexpertin checkte gerade Flanagans Kontoauszüge, während sich die chinesischstämmige Informatikerin den Telefonanschluss des Ermordeten vorgenommen hatte.

»Falls Sean Flanagan ein Mobiltelefon besaß, gibt es keine Hinweise darauf«, sagte die Informatikerin. »Ich konzentriere mich auf seinen Festnetzanschluss. Wenn ich die Gesprächsnachweise der letzten Wochen ausgewertet habe, kann ich Ihnen weitere Einzelheiten nennen.«

»Ja, das ist gut«, sagte ich. »Flanagan hat allein gelebt. Wir müssen herausfinden, mit wem er regelmäßigen Kontakt gehabt hat. Wie sieht es mit Freunden aus, mit ehemaligen Polizeikollegen?«

Während das SRT weiterarbeitete, schauten Phil und ich uns ebenfalls um. Fortesque blickte noch einmal von seiner Arbeit auf.

»Übrigens ist der Killer vermutlich durch die Hintertür ins Haus gekommen. Das Schloss wurde geknackt, die Einbruchspuren sind aber nur minimal. Wer das getan hat, verstand sein Handwerk.«

»Gibt es eine Alarmanlage?«

»Negativ, Jerry.«

Phil und ich durchquerten das Haus. Vom Hintereingang gelangte man direkt in die Küche. Links davon befand sich ein Zimmer, das aber nicht benutzt wurde und als Abstellraum diente. Die Tür zum Schlafzimmer war ein Stück weiter vorn, genau wie die Badtür. Das weitläufige Wohnzimmer war der größte Raum des Hauses.

»Flanagan muss doch gehört haben, wenn jemand hereinkommt, Jerry. Der Fußboden besteht überall aus Parkett, darauf hört man jeden Schritt.«

»Es sei denn, der Täter trug Schuhe mit Gummisohlen, Turnschuhe oder Ähnliches. Es gibt auch noch eine andere Variante.«

Ich ging zurück zur halb offenstehenden Hintertür.

»Siehst du diese Schuhabdrücke, Phil? Hier hat sich jemand länger aufgehalten. Wir sollten überprüfen, ob die Schuhgröße mit der des Opfers übereinstimmt. Aber ich bezweifle es. Dann hat der Killer seine Schuhe ausgezogen und ist auf Socken lautlos ins Haus geschlichen.«

»Auf Socken? Wie kommst du darauf?«

Ich deutete auf einige Krümel Gartenerde, die auf dem Parkett lagen. Die Spur führte Richtung Wandschrank. Ich öffnete die Tür. Dort war genug freier Platz, damit sich ein durchschnittlich großer Mann halbwegs bequem hineinkauern konnte. In einer Ecke sah ich noch mehr Erde, die vermutlich aus den Profilsohlen der Schuhe gefallen war.

»Meiner Meinung nach ist der Killer im Schutz der Dunkelheit eingedrungen, Phil. Das hatte ich ja schon vermutet. Er zog die Schuhe aus, schlich sich bis zum Wandschrank und versteckte sich dort.«

»Okay, so weit kann ich dir folgen, Jerry. Aber warum hätte er das tun sollen? Es wäre für ihn doch ein Leichtes gewesen, gleich ins Schlafzimmer zu gehen und sein wehrloses Opfer dort zu ermorden.«

»Das ist ein guter Einwand. Bisher fällt mir nur der St. Patrick’s Day als ein möglicher Grund ein. Hätte der Mörder im Schlafzimmer geschossen, dann wäre der Leichnam im Pyjama vorgefunden worden.«

»Du meinst, es spielt eine Rolle, dass Flanagan bei seinem Tod seine Uniform trug?«

»Ja, davon würde ich ausgehen. Der Killer muss gewusst haben, dass sein Opfer zur Parade gehen wollte. Die Umstände des Todes haben eine sehr starke Symbolkraft. Das war gewiss beabsichtigt.«

»Auf jeden Fall ist es eiskalt, im Wandschrank zu warten und erst zu schießen, wenn Flanagan vollständig bekleidet aus dem Schlafzimmer kommt«, stellte Phil fest.

***

Für den Abend war unsere Arbeit einstweilen beendet. Für uns alle waren Zimmer in einem Motel am Stadtrand von Boston reserviert worden.

Am nächsten Morgen fuhren wir von dort aus direkt zur Polizeistation von East Boston. Laut Flanagans Personalakte hatte er vor seiner Pensionierung zuletzt dort gearbeitet. Phil und ich hatten unsere FBI-Marken an den Jacketts befestigt, als wir das Revier betraten.

Der Desk Sergeant trug einen Trauerflor. Die Begrüßung durch ihn war allerdings mehr als frostig.

»Das FBI ist schon so früh unterwegs? Sie können es wohl kaum erwarten, uns mit Dreck zu bewerfen.«

Phil öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Aber bevor er explodieren konnte, ergriff ich das Wort.

»Ich bin Inspektor Cotton, das ist Inspektor Decker. Wir können verstehen, dass die Ermordung Ihres pensionierten Kollegen Sie mitgenommen hat. Aber so lassen wir nicht mit uns reden, verstanden? Übrigens war es Sean Flanagan, der beim FBI in Washington angerufen hat. Letztlich haben Sie es ihm zu verdanken, dass wir heute hier sind.«

Der Desk Sergeant lief rot an, schüttelte dann aber störrisch den Kopf.

»Sie haben Sean Flanagan nicht gekannt. Er hätte sich niemals gegen uns gewandt. So einer war er nicht.«

»Unsere Aufgabe ist es, seinen Mörder zu finden. Und das werden wir auch schaffen, ob Sie uns nun dabei helfen oder nicht.«

Der Uniformierte atmete tief durch, aber sein Widerwillen gegen uns war immer noch unverkennbar.

»Ich kann Ihnen nicht genau sagen, wer Sean umgebracht hat, Inspektor Cotton. Aber es war garantiert kein Cop.«

»Woher wollen Sie das so genau wissen?«

Diese Frage konnte sich Phil nicht verkneifen. Dem Desk Sergeant quollen beinahe die Augen aus dem Kopf. Aber dann änderte er seine Taktik. Er senkte seinen Blick auf einige Formulare und tat so, als ob er lesen würde.

»Wir hören uns dann mal unter Ihren Kollegen um«, sagte ich, ohne auf die Unhöflichkeit des Desk Sergeant einzugehen.

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können.«

Der Revierleiter hieß Captain Hank Rawlings. Er war zwar nicht ganz so abweisend wie sein Desk Sergeant, doch wirklich helfen konnte oder wollte er uns auch nicht.

»Flanagan war ein Cop wie aus dem Bilderbuch«, sagte Rawlings. »Ich kann nur Gutes über ihn berichten. Seine Pensionierung und jetzt erst recht sein gewaltsamer Tod sind schwere Schläge für die ganze Truppe.«

»Es steht auch in Flanagans Personalakte, dass er ein tadelloser Polizist war«, gab ich zurück. »Aber uns interessieren andere Dinge. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Flanagan nur Freunde innerhalb des Departments hatte.«

Der Captain schüttelte den Kopf.

»Von Feindschaften ist mir nichts bekannt.«

Nun wandte sich Phil an Rawlings. »Aber es wird doch Gründe dafür gegeben haben, dass manche Leute Flanagan als ›Eisenschädel‹ bezeichnet haben.«

»Diesen Spitznamen habe ich noch niemals gehört. War das alles, was Sie von mir wissen wollten? Ich habe zu arbeiten.«

Rawlings warf uns mehr oder weniger deutlich aus seinem Büro. Nun versuchten wir unser Glück bei den übrigen Polizisten, die gerade Dienst hatten. Aber auch hier stießen wir auf eine Mauer des Schweigens. Weder Detectives noch Uniformierte waren zu einer Aussage bereit, die man nicht sinngemäß auch in Flanagans Personalakte finden konnte.

Wir hatten schon eine Stunde unserer Zeit verschwendet und waren noch kein Stück weitergekommen. Währenddessen ging der normale Betrieb des Polizeireviers weiter. Verdächtige wurden hereingeführt, die sich teilweise mit Händen und Füßen gegen ihre Verhaftung wehrten.

Cops sprachen mit Zeugen oder mit Geschädigten, die eine Anzeige aufgeben wollten. Aus dem Zellentrakt erklang der misstönende Singsang eines Betrunkenen. Und wir standen mitten in diesem Chaos und bekamen keine Unterstützung bei der Mordaufklärung.

»Wir kommen hier nicht weiter«, sagte ich zu Phil. »Lass uns lieber …«

Da trat plötzlich eine junge uniformierte Polizistin auf mich zu. »Wie ich höre, sollen Sie den Mord an Sean Flanagan aufklären?«

»Ja, genau. Ich bin Inspektor Cotton, und das ist Inspektor Decker.«

Der weibliche Cop pfiff anerkennend durch die Zähne.

»Wow, gleich zwei FBI-Inspektoren! Wenn es Ihnen nichts ausmacht, mit einem einfachen Officer zu reden, dann kommen wir zusammen. Mein Name ist übrigens Caitlin O’Hara.«

»Wir freuen uns über jeden Zeugen, der uns die Arbeit erleichtert. Und Sie kannten Sean Flanagan persönlich, Officer O’Hara?«

»Das kann man wohl sagen. Onkel Sean war mit meinem Dad befreundet.«

***

Caitlin O’Hara erklärte, dass sie noch eine halbe Stunde Zeit bis zum Beginn ihrer Schicht hätte. Wir zogen es vor, an einem neutralen Ort mit der Uniformierten zu sprechen. Es war ihren Kollegen nämlich offenbar gar nicht recht, dass Caitlin den Kontakt zu uns gesucht hatte.

Einige Cops gestikulierten mehr oder weniger heftig, um ihr Missfallen auszudrücken. Sie taten es hinter meinem Rücken, aber es entging mir nicht. Also lud ich Caitlin O’Hara in eine Coffee Bar ein, die sich nur einen halben Block von der Polizeistation entfernt befand.

Dort besorgte Phil Getränke für uns alle. Wir nahmen mit der Zeugin in einer Nische Platz, wo uns niemand belauschen konnte. Die Coffee Bar in der Chelsea Street war mitten am Vormittag nur schwach besucht.

Caitlin O’Hara machte auf mich einen aufgeweckten Eindruck. Es konnte noch nicht lange her sein, seit sie die Polizeischule hinter sich gelassen hatte. Aber sie wirkte wach und munter, ihr entging offenbar so schnell nichts. Und hübsch war die rotblonde und grünäugige Caitlin auch noch. Aber davon durften wir uns in diesem Moment nicht beeinflussen lassen.

»Danke für den Kaffee, Inspektor Decker«, sagte die Polizistin. Dann betätigte sie ihr Funkgerät: »Ben, ich bin momentan noch in der Eden Coffee Bar . Kannst du mich direkt dort abholen, wenn unsere Schicht beginnt? Dann muss ich nicht noch mal zur Wache zurück.«

Sie beendete den Funkkontakt und wandte sich nun an mich.

»Das war Officer Ben Brown, mein Partner. Er ist sogar noch kürzere Zeit bei der Truppe als ich. Aber ich habe schon vier Jahre Diensterfahrung, auch wenn man es mir vielleicht nicht ansieht.«

»Vier Jahre? Dann haben Sie also Flanagan auch noch während seiner aktiven Zeit als Kollegen erlebt, Officer O’Hara?«

Caitlin lachte, als ob ich einen Scherz gemacht hätte.

»Das kann man wohl sagen, Inspektor Cotton! Und glauben Sie bitte nicht, dass das ein Zuckerschlecken gewesen wäre. Ich kannte Onkel Sean zwar privat, aber deshalb bekam ich keine Extrawurst gebraten.«

»Flanagan war mit Ihrem Vater befreundet, sagten Sie?«

»Ja, das war er.« Caitlins Miene verdüsterte sich. »Mein Dad wurde im Dienst getötet, das ist schon zehn Jahre her. Sein Mörder war psychisch krank, hatte Halluzinationen. Er hielt Dad und die anderen Officers wohl für Dämonen, die ihn in die Hölle zerren wollten. Der Patient schoss sich selbst eine Kugel in den Kopf, nachdem er meinen Vater umgebracht hatte. Ich ging damals noch zur Schule. Sie können sich vorstellen, dass meine Mutter nach diesen Ereignissen meine Berufswahl überhaupt nicht gut fand. Aber Onkel Sean redete mit ihr. Und so durfte ich schließlich doch Cop werden.«

»Flanagan hat also Ihr Leben entscheidend beeinflusst?«

»Das kann man wohl sagen, Inspektor Cotton. Er wurde so eine Art väterlicher Freund. Ich stamme aus einer Polizistenfamilie: Die O’Haras sorgen seit hundert Jahren in Boston für Recht und Ordnung. Wir sind immer voller Stolz bei der St.-Patrick’s-Day-Parade mitmarschiert. Es war ein seltsames Gefühl, dass Onkel Sean gestern gefehlt hat. Auch er war dem Police Department immer sehr verbunden.«

Caitlin zerdrückte eine Träne im Augenwinkel, hatte sich dann aber schnell wieder unter Kontrolle.

»Es hat einen rätselhaften Anruf beim FBI-Hauptquartier gegeben. Flanagan deutete etwas von Korruption an, bevor er umgebracht wurde.«

»Onkel Sean selbst war unbestechlich, das kann ich Ihnen versichern. Aber falls es wirklich Verräter in unseren Reihen gibt, dann konnten sie von Sean Flanagan keine Gnade erwarten. Ich kann mir vorstellen, dass er auf eigene Faust versucht hat, korrupten Cops das Handwerk zu legen.«

Ich hakte nach. »Gibt es denn Kollegen, die Ihnen verdächtig vorkommen?«

Caitlins Miene wurde abweisend. »Dazu möchte ich nichts sagen. Wenn mir ein Cop unsauber vorkäme, würde ich sofort die Dienstaufsicht verständigen.«

»Lassen Sie uns auf Flanagan zurückkommen, Officer O’Hara. Hatten Sie nach seiner Pensionierung noch Kontakt zu ihm?«

»Ja, obwohl die Gelegenheiten seltener wurden. Sie werden ja aus eigener Erfahrung wissen, wie wenig Privatleben unsereins hat. Ich verbringe möglichst viel Zeit mit meinem Freund, da blieb wenig Zeit für Treffen mit Onkel Sean.«

Ich spürte, dass Caitlin herumdruckste. Sie war nicht gut im Lügen oder Verschweigen, was aus meiner Sicht für sie sprach.

»Aber es gab noch andere Gründe, nicht wahr?«

»Ehrlich gesagt, ja. Es kam mir so vor, als ob Onkel Sean ein Geheimnis hätte. Einmal besuchte ich ihn spontan. Als ich durch die Hintertür hereinkam, zuckte er zusammen und packte schnell einige Papiere weg.«

»Was waren das für Dokumente?«

»Da bin ich überfragt. Aber es schien ihm gar nicht recht zu sein, dass ich ihn überrumpelt hatte. Er machte einen Scherz darüber, dass man einen alten Mann nicht erschrecken dürfe. Doch es war gar nicht witzig gemeint.«

Ein Geheimnis also. Ob diese Dokumente noch irgendwo im Haus versteckt waren? Oder hatte der Mörder sie sich unter den Nagel gerissen? Falls es ein Versteck in Flanagans Bungalow gab, dann würde Fortesque es finden. Daran zweifelte ich nicht.

»Könnte dieses Geheimnis mit möglichen Korruptionsfällen zusammenhängen, Officer O’Hara?«

Die junge Frau hob die Schultern.

»Ich kann mir höchstens vorstellen, dass Onkel Sean auf eigene Faust gegen einen verdächtigen Kollegen ermittelt hat. Aber ich wüsste nicht, wer das sein sollte. Nun muss ich aber los, mein Dienst beginnt.«

Sie deutete auf einen Streifenwagen, der in diesem Moment vor der Coffee Bar anhielt. Ihr Dienstpartner stieg aus und winkte.

Ich bedankte mich bei Caitlin O’Hara und gab ihr meine Visitenkarte.

»Sie waren uns eine große Hilfe. Bitte rufen Sie mich an, falls Ihnen noch etwas einfällt. Jede Kleinigkeit kann wichtig sein, Sie kennen das ja.«

»Allerdings, Inspektor Cotton. Das werde ich tun, verlassen Sie sich drauf. Ich will ja auch, dass Onkel Seans Killer gefasst wird.«

Caitlin setzte ihre Uniformmütze auf und ging hinaus.

»Was hältst du von ihr?«, wollte Phil wissen. »Sie hat sofort abgeblockt, als es um Korruption ging.«

»Sie wollte niemanden ohne Beweise beschuldigen, das finde ich normal. Aber der Hinweis auf Flanagans Geheimnis ist …«

Ich konnte meinen Satz nicht beenden. Denn in diesem Moment peitschten Schüsse, die Panoramascheiben gingen zu Bruch. Die Polizistin war getroffen worden, sie brach auf dem Gehweg zusammen.

***

Es war ein klassisches Drive-by-Shooting.

Während um uns herum in der Coffee Bar und draußen Panik ausbrach, sah ich einen dunklen SUV mit radierenden Reifen davonrasen.

Phil und ich zogen unsere Pistolen und rannten hinaus. Caitlins Dienstpartner hatte neben dem Patrouillenfahrzeug gestanden, als die Schüsse gefallen waren. Er war unverletzt geblieben. Nun kniete er neben Caitlin, hielt ihren Oberkörper.

Ihre Augen waren weit aufgerissen, ihr Gesicht war schmerzverzerrt. Sie rang nach Luft. Aber offenbar hatte sie die Kugeln nur in ihre schusssichere Weste bekommen. Jedenfalls bemerkte ich kein Blut.

Der junge Cop blickte zu mir auf, er war schreckensbleich. Vielleicht erlebte er zum ersten Mal eine Schießerei hautnah mit.

»Rufen Sie Verstärkung und eine Ambulanz!«, rief ich ihm zu. »Wir nehmen die Verfolgung auf!«

Er nickte. Gleich darauf hörte ich ihn in sein Funkgerät sprechen: »Officer am Boden, Schusswaffengebrauch. Wir benötigen dringend Unterstützung in der Chelsea Street!«

Ich hatte den Ford Interceptor nur eine Wagenlänge vor dem Streifenwagen geparkt. Phil und ich sprangen in das zivile Fahrzeug, gleich darauf schaltete ich die Sirene und das rot-blaue Blinklicht hinter dem Kühlerrost an.

Wir rasten hinter dem dunklen SUV her.

Kurzzeitig hatte ich das Fahrzeug aus den Augen verloren. Aber dann erblickte ich es wieder. Das Fluchtauto war ein Lincoln Navigator mit Massachusetts-Kennzeichen und getönten Scheiben. Weitere Einzelheiten konnte ich nicht erkennen. Es war auch nicht klar, wie viele Personen in dem Wagen saßen.

Der SUV überfuhr eine rote Ampel und bog in die Brooks Street ab. Um ein Haar hätte er einen Unfall verursacht. Ein Buick-Fahrer stieg geistesgegenwärtig in die Eisen. Nur dadurch konnte eine Kollision mit dem Lincoln Navigator vermieden werden.

Die Autofahrer machten Platz, um unseren mit Sirenengeheul vorwärtspreschenden Ford Interceptor vorbeizulassen. Ich konnte die Distanz zu dem SUV verringern. Das Beifahrerfenster wurde geöffnet, eine behandschuhte Hand mit einer Waffe kam zum Vorschein.

Schüsse krachten, doch die Kugeln verfehlten unseren Dienstwagen. Ich bezweifelte, dass man von dem rasenden SUV aus gut zielen konnte. Wahrscheinlich kam es den Flüchtenden nur darauf an, uns auf Distanz zu halten.

Aber ich blieb am Ball. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Cops Verstärkung schicken würden. Dann konnten wir den Lincoln Navigator einkesseln.

Wir rasten nun auf der Meridian Street Richtung Hafen. Das war eine breite und gut ausgebaute Avenue. Der Flüchtende nutzte jede Lücke im Straßenverkehr, aber das tat ich auch.

Plötzlich bog der Fahrer scharf nach links ab. Der SUV jagte über die Bordsteinkante und krachte in das Schaufenster eines Blumengeschäfts!

»Was macht der Wahnsinnige denn jetzt?«, rief Phil.

»Er will zu Fuß flüchten«, gab ich zurück. Ich brachte unser Einsatzfahrzeug ebenfalls zum Stehen. Wir bewegten uns schnell auf den Blumenladen zu, die Pistolen im Anschlag. Von drinnen ertönte die hysterische Stimme einer Frau.

Wir stiegen über die Scherben des zersplitterten Fensters hinweg, wateten durch kaputte Vasen und traten auf Unmengen von Schnittblumen. Weiter hinten erblickten wir eine schwarze Frau mit grüner Schürze, die ihre Hände vor das Gesicht geschlagen hatte.

Die SUV-Türen standen offen. Die wenigen Momente Vorsprung hatten den Verbrechern genügt. Ich wandte mich an die Verkäuferin, die offenbar unverletzt war. Aber sie hatte einen Schock erlitten.

»Wir sind vom FBI, Ma’am. Wohin sind die Täter geflüchtet?«

Sie deutete mit zitternder Hand Richtung Hintertür. Ich rannte dorthin, Phil war dicht hinter mir. Wir kamen in einen Hof, der von einer Mauer umschlossen wurde. Hier gab es keine Möglichkeit, sich zu verbergen. Wir kletterten über die Umfriedung. Ich war darauf gefasst, erneut beschossen zu werden. Hinter der Mauer verlief eine schmale Gasse, in der sich Sperrmüll und Abfalltonnen befanden.

Es herrschte ein schummriges Halbdunkel, gut geeignet für einen Hinterhalt. Der Gang war ein Verbindungsstück zwischen zwei Parallelstraßen, die Flüchtenden konnten in die eine oder in die andere Richtung gelaufen sein.

Wir teilten uns auf, Phil lief nach links und ich nach rechts. Eine Beschreibung hatten wir nicht. Es waren beide Vordertüren des SUV offen gewesen, daher ging ich von mindestens zwei Personen aus.

Phil und ich suchten eine Viertelstunde lang, aber es war sinnlos. Kein Zeuge hatte verdächtige Personen aus der Gasse kommen gesehen, weder auf der einen noch auf der anderen Seite.

Die Täter waren entkommen.

***

Wie ich es schon befürchtet hatte, konnte die Blumenverkäuferin kaum brauchbare Angaben machen.

»Mir blieb fast das Herz stehen, als plötzlich das Auto in unsere Schaufensterscheibe krachte«, sagte sie wenig später zu mir, während der Notarzt ihren Blutdruck maß. »Ich fürchtete schon, die würden mich umbringen. Aber dann sprangen sie nur aus ihrer Karre und liefen weg.«

»Können Sie mir die Personen beschreiben, Miss?«, fragte ich.

»Es waren zwei Weiße in dunkler Kleidung. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen, es ging alles so schnell.«

»Die Patientin braucht jetzt Ruhe«, mahnte der Mediziner. Die Angaben waren sehr vage, aber ich verstand die Frau. Womöglich würde sie sich später an Einzelheiten wie Haarfarbe oder Tätowierungen erinnern, aber darauf wollte ich mich nicht verlassen. Auf jeden Fall notierte ich mir ihren Namen, bevor sie zur Beobachtung ins Hospital gebracht wurde.

Natürlich würde der SUV kriminaltechnisch untersucht werden. Ein Blick ins Fahrzeuginnere zeigte mir die herausgerissenen Drähte unter dem Armaturenbrett.

»Das Auto ist geklaut, da waren offenbar Profis am Werk«, meinte Phil. »Es sollte mich wundern, wenn sich verwertbare Spuren finden lassen.«

»Wir werden sehen. Jetzt möchte ich erst einmal hören, wie es Caitlin O’Hara geht.«

Die junge Streifenpolizistin war ins Massachusetts General Hospital eingeliefert worden, wie wir durch die Zentrale über Funk erfuhren. Phil und ich fuhren sofort dorthin.

In der Notaufnahme wartete Caitlins Partner. Er war so bleich, als ob er selbst Blut verloren hätte. Der Schreck stand ihm immer noch deutlich ins Gesicht geschrieben. Von seiner Kollegin hatten wir erfahren, dass sein Name Ben Brown lautete. Ich zeigte ihm meine FBI-Marke und stellte Phil und mich vor.

»Haben Sie schon etwas über Caitlin O’Haras Zustand in Erfahrung bringen können, Officer Brown?«

Der junge Cop schüttelte den Kopf.

»Ich weiß nur, dass sie nicht in Lebensgefahr schwebt. Aber das war pures Glück, wenn Sie mich fragen. Dieser verdammte SUV tauchte plötzlich wie aus dem Nichts auf. Ich konnte überhaupt nicht reagieren. Ich war in dem Moment wie gelähmt.«

»Das kann passieren«, erwiderte ich. »Uns ist es leider nicht gelungen, die Täter zu fassen. Können Sie sich noch an weitere Einzelheiten des Feuerüberfalls erinnern? Jedes Detail kann wichtig sein.«

Ben Brown legte nachdenklich die Stirn in Falten, bevor er mir antwortete.

»Caitlin hatte mich ja gebeten, sie in der Coffee Bar abzuholen. Unsere Schicht sollte gleich beginnen. Ich stieg aus und ging um den Wagen herum, weil ich wie ein Gentleman für Caitlin die Beifahrertür öffnen wollte. Das war so ein kleines Ritual, das wir uns angewöhnt hatten …«

Ben Brown rang um Fassung. Ich legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.

»Sie müssen sich keine Vorwürfe machen. Wenn Sie die Tür öffneten, standen Sie gewiss mit dem Rücken zur Fahrbahn, oder?«

Der Cop nickte.

»Also konnten Sie gar nicht sehen, was hinter Ihnen vor sich ging.«

»Das stimmt. Aber warum hat dieser Dreckskerl Caitlin niedergeschossen? Wenn er Cops hasst, hätte er ebenso auch mich erledigen können.«

»War es vielleicht ein Racheakt?«, schlug Phil vor. »Hatte sich Ihre Partnerin in letzter Zeit bei einer Verhaftung besonders unbeliebt gemacht?«

Ben Brown schüttelte den Kopf.

»Nicht, dass ich wüsste. Wir hatten noch nie einen richtig spektakulären Fall, seit wir zusammen Streife fahren. Meistens haben wir es mit Ladendieben, kleinen Dealern oder häuslicher Gewalt zu tun. Für wirklich gefährliche Einsätze müssen wir sowieso ein SWAT-Team anfordern. Aber das war bei Caitlin und mir bisher nie nötig.«

Der Polizist hielt inne, denn in diesem Moment kamen drei seiner Kollegen mit schnellen Schritten auf uns zu. Sie wirkten ziemlich wütend.

»Du sagst kein Wort mehr, Ben!«, rief ein breit gebauter rothaariger Cop. »Die machen doch nur Ärger!«

Die Officers nahmen eine drohende Haltung ein, aber Phil und ich ließen uns nicht einschüchtern.

»Von wem sprechen Sie?«, fragte ich und schaute dem Rothaarigen direkt ins Gesicht.

»Na, von wem wohl? Seit das FBI bei uns herumschnüffelt, verfolgen die Medien jede unserer Bewegungen. Ein Cop kann sich noch nicht mal die Schuhe zubinden, ohne sofort fotografiert zu werden. Korrupte Bullen, so ein Unsinn! Ihr solltet lieber Sean Flanagans Mörder jagen, anstatt unschuldige Officers zu verfolgen. Und jetzt wurde eine von uns angeschossen, und das ist eure Schuld!«

»Wir haben nicht auf Officer O’Hara gefeuert«, stellte Phil fest. Dem rothaarigen Cop quollen beinahe die Augen aus dem Kopf. Einen Moment lang glaubte ich, er würde sich auf Phil stürzen. Aber auch wenn er aufgebracht war, konnte er doch nicht durchgedreht genug sein, um einen FBI-Inspektor anzugreifen.

Eine Tür wurde geöffnet, und ein kahlköpfiger Mann in einem weißen Kittel trat auf uns zu. Sein Namensschild wies ihn als Dr. Jameson aus. Wie auf Kommando richteten sich die Augen aller Anwesenden erwartungsvoll auf ihn.

»Der Geschossaufprall hat bewirkt, dass eine Rippe der Patientin gebrochen ist. Darüber hinaus gibt es auch einige Hämatome. Doch aufgrund ihres guten Allgemeinzustands können wir Caitlin O’Hara schon heute von der Intensivstation zur Abteilung für Innere Medizin verlegen.«

»Ist es möglich, kurz mit Ihrer Patientin zu sprechen?«

Der Mediziner beantwortete meine Frage mit einem Kopfschütteln.

»Nein, momentan schläft sie, nachdem wir ihr ein Beruhigungsmittel verabreicht haben. Sie darf jetzt nicht gestört werden.«

»Und schon gar nicht durch das FBI«, meinte der rothaarige Cop und warf mir einen frechen Blick zu. Doch ich ließ mich nicht herausfordern.

Stattdessen bat ich Dr. Jameson, uns die schusssichere Weste auszuhändigen. Sie war ein wichtiges Beweisstück. Wenig später brachte uns eine Krankenschwester die Schutzweste, in der die beiden Kugeln steckten.

»Richtig so!«, höhnte der Rothaarige. »Sonst lassen korrupte Cops noch irgendwelche Indizien verschwinden, nicht wahr?«

Phil und ich gaben ihm keine Antwort und verließen das Gebäude.

***

»Ich kann ja verstehen, dass die Freunde in Blau nervös und frustriert sind, Jerry. Aber sie müssen doch selbst ein großes Interesse an der Aufklärung dieses Falles haben.«

»Ich gebe dir recht, Phil. Aber ist es nicht auffällig, dass Caitlin O’Hara unmittelbar nach dem Gespräch mit uns angeschossen wurde? Man kann diese Tat als eine Botschaft verstehen: So ergeht es dir, wenn du mit dem FBI redest.«

Phil zog die Augenbrauen zusammen. »Dann meinst du also, in dem SUV hätten Cops gesessen?«

»Solange wir die Täter nicht ermittelt haben, können wir überhaupt nichts ausschließen. Aber ich bin gespannt, ob das SRT in der Zwischenzeit etwas Neues für uns hat.«

Ich fuhr zunächst zum gerichtsmedizinischen Institut, wo Willson schon am frühen Morgen mit der Obduktion von Flanagans Leiche begonnen hatte. Phil und ich mussten Kunststoffkittel überziehen und durften dann zu dem Texaner an den Seziertisch treten. Willson nickte uns zu, aber wegen seines Mundschutzes konnte man sein Mienenspiel nicht deuten.

»Seien Sie mir gegrüßt, Jerry und Phil. Ich kann Ihnen momentan immerhin schon sagen, dass Flanagan aus nächster Nähe getötet wurde. Die Entfernung schätze ich auf ungefähr eine Armeslänge.«

»Und der Täter hat hinter ihm gestanden?«

Der Pathologe nickte.

»Flanagan besaß so ein altmodisches Festnetztelefon, das auf einem Tischchen stand. Er musste also zu dem Tisch hingehen, wenn er telefonieren wollte.«

»Wir haben den Tisch gesehen, als wir das Haus in Augenschein nahmen. Das Opfer fiel unmittelbar daneben zu Boden.«

»Richtig, Jerry. Diese Tatsache untermauert meinen Befund, dass Flanagan sofort starb. Eine Kugel verletzte das Herz, die andere durchschlug den Körper zwei Fingerbreit links davon.« Er deutete auf den Leichnam. »Sehen Sie diese beiden Wunden am Rücken? Sie sind von ringförmigen schwarz-blauen Blutungen umgeben, hier traten die Geschosse in den Leib ein. Die Ausschusswunden sind logischerweise vorne. Sie sind größer als die Verletzungen am Rücken.«

»Können Sie uns etwas Näheres über den Schützen sagen?«

»Ich vermute, dass er oder sie ungefähr so groß war wie Flanagan selbst. Darauf deuten die Schusskanalwinkel hin. Meiner Meinung nach war das eine eiskalte Hinrichtung. Es kam dem Täter nicht darauf an, mit seinem Opfer noch einmal zu reden. Er hat Flanagan von hinten abgeknallt, sodass keine Gegenwehr möglich war. Vielleicht wollte der Verbrecher auch einfach kein Risiko eingehen. Er muss gewusst haben, dass er einen ehemaligen Officer vor sich hatte. Flanagan hätte sich gewiss gewehrt, wenn er nicht völlig überrumpelt worden wäre.«

»Können Sie uns nähere Angaben zum körperlichen Zustand des Opfers machen?«

»Ich bin noch nicht durch mit allen Tests, Jerry. Aber die Blutanalyse deutet weder auf Alkoholmissbrauch noch auf Drogenkonsum oder regelmäßige Medikamenteneinnahme hin. Flanagan hätte steinalt werden können, wenn er nicht ermordet worden wäre.«

Dr. Willson machte mit der Obduktion weiter, während Phil und ich ins Field Office Boston zurückkehrten. Dort erfuhren wir, dass der Lincoln Navigator wenige Stunden vor den Schüssen auf Caitlin O’Hara in einem Vorort gestohlen worden war. Verwertbare Spuren gab es in dem Fahrzeug höchstwahrscheinlich nicht.

Wir übergaben Fortesque die Schutzweste der verletzten Polizistin. Während er mit der Geschossanalyse begann, hatte auch unsere chinesischstämmige Informatikerin Neuigkeiten für uns.

»In Sean Flanagans Personalakte steht nichts davon, dass sein Bruder Mike vor zwanzig Jahren ermordet wurde«, sagte Mai-Lin. »Aber ich bin auf diese Tatsache gestoßen, als ich den Namen Flanagan durch die Datenbanken laufen ließ, um das persönliche und familiäre Umfeld des Ex-Cops zu durchleuchten.«

»Ein Verbrechen an Sean Flanagans Bruder hat ja auch mit seiner Polizeilaufbahn nichts zu tun«, stellte Phil fest. »Wenn Angehörige von Officers ermordet werden, dann wird man den Hinterbliebenen garantiert nicht mit der Aufklärung des Falles betrauen. Das ist eine Frage der Neutralität und Objektivität.«

»Ja, aber wenn Sean Flanagan nun auf eigene Faust Ermittlungen angestellt hat?«, fragte ich.

Mai-Lin schüttelte den Kopf. »Dieses Verhalten würde den Dienstvorschriften des Boston Police Department widersprechen, das habe ich schon in Erfahrung gebracht.«

Phil lächelte ihr zu. »Mai-Lin, haben Sie schon einmal davon gehört, dass sich nicht alle Officers immer buchstabengenau an die Vorschriften halten?«

Phils Frage schien die junge Kollegin zu überraschen. Mai-Lin war trotz fachlicher Brillanz manchmal sehr weltfremd.

»Es ist ja auch möglich, dass Flanagan erst nach seiner Pensionierung mit den Nachforschungen begonnen hat«, sagte ich. »Vielleicht war ja die Suche nach dem Mörder das Geheimnis, von dem Caitlin O’Hara gesprochen hat.«

»Die junge Polizistin war vor zwanzig Jahren noch ein Kind, sie wird keine Erinnerung an den Mordfall Mike Flanagan haben«, mutmaßte Phil. »Das sind keine Dinge, die man bespricht, wenn Kinder im Raum sind.«

»Wurde der Fall eigentlich jemals aufgeklärt?«, wollte ich von der Informatikerin wissen.

Mai-Lin schüttelte den Kopf. »Es gab laut elektronischer Fallakte einige Verdächtige, aber bei keiner Person reichten die Beweise für eine Anklage aus. Im Fokus der Ermittlungen stand damals ein gewisser Aldo Scalatti, der als Schläger mit Mafia-Verbindungen galt.«

Ich notierte mir den Namen. Dann rief ich im Hospital an. Caitlin O’Hara war inzwischen aufgewacht und erklärte sich bereit, kurz mit Phil und mir zu sprechen.

***

Die junge Polizistin lächelte tapfer, als wir wenig später ihr Krankenzimmer betraten.

»Ich habe nicht nur Ben Brown, sondern auch meine übrigen Kollegen weggeschickt. Zum Glück haben sie nicht mitbekommen, dass ich mit dem FBI sprechen möchte. Sie sind momentan nicht gerade beliebt bei den Cops, aber das finde ich ungerecht.«

Phil und ich nahmen links und rechts von Caitlins Bett auf Besucherstühlen Platz.

»Können Sie sich an den Feuerüberfall erinnern, Officer O’Hara?«

Sie verzog den Mund.

»Angeblich entwickelt man als Cop ein untrügliches Gespür für Gefahrensituationen. Dafür bin ich wohl noch nicht lange genug beim Department. Mich trafen die Schüsse jedenfalls wie der buchstäbliche Blitz aus heiterem Himmel. Dieser verfluchte SUV tauchte auf, Schüsse krachten, ich sah Mündungsfeuer. Und dann lag ich auf dem Boden und fühlte mich, als ob ein Maultier gegen meine Brust getreten hätte.«

»Wir haben Ben Brown schon gefragt, ob Sie sich bei einer Verhaftung Ärger eingehandelt haben. Aber er verneinte es. Aber was geschah nach Feierabend? Wurden Sie vielleicht privat von jemandem bedroht, wovon Sie Ihrem Dienstpartner nichts erzählt haben?«

»Das ist nicht geschehen, Inspektor Cotton. Ich bin nicht so eigensinnig, dass ich alle Probleme allein lösen muss. Ich bin ein Teamplayer. Und ich hole mir Hilfe, wenn ich in Schwierigkeiten stecke. Nein, da war nichts.«

Die junge Frau erschien mir glaubwürdig. Ich kam auf einen anderen Punkt zu sprechen.

»Sie sagten, dass Ihr Vater mit Sean Flanagan befreundet gewesen war. Ist Ihnen auch der Name Mike Flanagan ein Begriff?«

Caitlins Miene verdüsterte sich.

»So hieß Onkel Seans toter Bruder, nicht wahr? Als ich klein war, hat meine Familie es geschafft, seine Ermordung vor mir geheim zu halten. Ich hörte erst später davon, als ich auf der Police Academy war. Da ich neugierig bin, fragte ich Onkel Sean danach. Er wurde sehr ernst und sagte, dass man die Toten ruhen lassen sollte und mich die Sache nichts anginge. Da ich Onkel Sean nicht verletzen wollte, sprach ich nie wieder davon.«

»Ich verstehe, Officer O’Hara. Sagt Ihnen der Name Aldo Scalatti etwas?«

»Ja, Inspektor Cotton. Der Kerl ist hier in Boston ein bekannter Mafia-Capo. Das weiß auch jeder, aber Sie werden niemals einen Zeugen finden, der gegen ihn aussagt. Deshalb läuft Scalatti auch immer noch frei herum, obwohl er schon mehr als genug Verbrechen auf dem Kerbholz haben dürfte.«

»Ein Capo also«, wiederholte Phil grimmig. »Dann hat der ehemalige Schläger in der Unterwelt ja richtig Karriere gemacht.«

Caitlin schaute Phil fragend an. Daraufhin erzählte ich ihr, was Mai-Lin herausgefunden hatte.

»Ich wusste nicht, dass Scalatti im Mordfall Mike Flanagan ein Hauptverdächtiger war. Die Akte habe ich mir nämlich niemals angesehen. Ich wollte von dem Fall so wenig wie möglich wissen, nachdem Onkel Sean so abweisend reagiert hatte. Vielleicht hätte ich nicht die Augen davor verschließen sollen.«

»Sie haben keinen Fehler gemacht, Officer O’Hara. Mordfälle werden von der Homicide Squad bearbeitet. Die Kollegen würden es bestimmt nicht gern sehen, wenn Sie sich in ihre Arbeit einmischen.«

»Ja, das stimmt, Inspektor Cotton. Meinen Sie denn, dass Onkel Sean es getan hat? Ich meine, auf eigene Faust zu ermitteln?«

»Das wird sich zeigen. Aber falls er es getan hat, dann machte sich Flanagan dadurch einen sehr mächtigen Verbrecher zum Feind.«

***

Nach dem Besuch bei Caitlin O’Hara gönnten Phil und ich uns eine kurze Pause. Doch auch als wir bei Pizza und Cola in einem Diner saßen, ließ uns der Fall nicht los.

Im Gastraum gab es über der Theke einen Flachbild-Fernseher, der auf einen lokalen Nachrichtenkanal eingestellt war. Die Kameraeinstellung zeigte den Tatort, wo die Schüsse auf Caitlin O’Hara gefallen waren. Dazu ertönte die reißerische Stimme eines Reporters aus dem Off: »Erst starb der pensionierte Sergeant Sean F., nun ging eine junge Streifenpolizistin im Kugelhagel zu Boden. Immer mehr Bürger Bostons fragen sich besorgt, ob jemand einen Rachefeldzug gegen die Polizei losgebrochen hat. Oder stecken sogar Kollegen hinter diesen Bluttaten? Sollten die Gerüchte über Polizeikorruption einen wahren Kern haben?«

»Wie wäre es denn mal mit Fakten?«, knurrte Phil. »Mutmaßungen vom Stapel lassen kann doch jeder Trottel.«

»Wir sollten dieses Geschwätz ignorieren«, sagte ich. »Aber leider werden die Medien uns die Arbeit nicht leichter machen.«

Im Field Office wartete Fortesque bereits mit Neuigkeiten auf uns.

»Ich will mich ja nicht selbst loben, aber es ist Tatsache, dass ich heute unsere Ermittlungen vermutlich entscheidend voranbringen werde.«

»Machen Sie es nicht so spannend, FGF«, bat ich. Der gebürtige Engländer lächelte selbstgewiss, als er mit seinen Erklärungen begann.

»Zunächst komme ich auf die Ballistik zu sprechen. Die Schüsse auf Sean Flanagan und auf Officer O’Hara wurden zweifelsfrei aus derselben Waffe abgefeuert. Ich habe die Kugeln im Kaliber .45 miteinander verglichen, es gibt keinen Zweifel.«

»Das hatten wir schon vermutet«, sagte Phil. Fortesque schaute ihn so strafend an, als ob Phil seine Leistungen hätte schmälern wollen.

»Nun gut, Phil. Aber hatten Sie auch angenommen, dass Flanagan ein Geheimversteck hinter der Rückwand seines Wandschranks angelegt hatte? Es war sehr gut getarnt, aber nicht gut genug für mich. Und natürlich enthielt der Verschlag auch etwas, nämlich diese Kiste hier.«

Der Chemiker und Physiker stellte einen Karton auf den Tisch. Ich hob den Deckel an. In dem Behältnis befanden sich zahlreiche Fotos, außerdem handschriftlich eng beschriebene Kladden. Die Bilder waren offensichtlich mit Teleobjektiv aufgenommen worden.

Sie zeigten einen älteren Mann mit dunklem Teint, der sich meist in Begleitung mehrerer junger Typen befand. Sie sahen wie Schläger oder Bodyguards aus. Meist waren sie fotografiert worden, wenn sie in ein Auto stiegen oder in ein Lokal gingen, das Ristorante Milano hieß.

»Wetten, dass es sich bei dem alten Knaben um Aldo Scalatti handelt?«, fragte Phil. Wir bedankten uns bei Fortesque und nahmen die Kiste mit in das Büro, in dem wir während unseres Aufenthalts in Boston arbeiteten.

Ich versuchte zunächst, mich in die Aufzeichnungen zu vertiefen. Es dauerte etwas, bis ich mich an Flanagans Handschrift gewöhnt hatte und sie entziffern konnte.

»Offenbar ist Scalatti nach Flanagans Pensionierung von dem Ex-Cop systematisch beschattet worden«, erklärte ich. »Diese Protokolle enthalten nicht nur Datum und Uhrzeit, sondern auch die Namen von Scalattis Begleitern und der vermutete Zweck seiner Treffen. Hier beispielsweise eine Notiz aus der letzten Februarwoche: ›Nach Mitternacht Fahrt zum Hafen, mit Bodyguards Toni und Al. Gespräch mit Albanern. Rauschgiftdeal?‹. Flanagan hat sich scheinbar kaum Schlaf gegönnt.«

Phil nickte.

»Ja, er hat versucht, dem mutmaßlichen Mörder seines Bruders etwas nachzuweisen. Aber Erfolg hat er damit nicht gehabt, sonst wäre er mit dem Material schon zu seinen ehemaligen Polizeikollegen gegangen.«

»Wenn Scalatti ein altgedienter Mafia-Capo ist, dann wird er die Beschattung durch Flanagan irgendwann bemerkt haben. Die Frage lautet, wie er darauf reagiert hat.«

»Fragen wir ihn doch einfach selbst«, meinte Phil.

***

Aldo Scalatti war der Inhaber des Ristorante Milano . Phil benötigte nur eine Kurzrecherche auf seinem Notebook, um diese Tatsache herauszufinden. Es war bereits Abend, als wir zu dem italienischen Lokal in der Merrimac Street fuhren. Das war eine gute Adresse, unweit vom Rathaus und Touristenattraktionen wie dem Paul Revere Haus gelegen.

Das Restaurant warf gewiss einiges an Geld ab, sodass sein Besitzer nicht am Hungertuch nagen musste. Und doch waren wir uns sicher, dass Scalatti mit illegalen Geschäften noch viel mehr verdiente.

Ich parkte in einer Seitenstraße. Phil und ich betraten das Ristorante Milano durch den Haupteingang. Ein schwarz gelockter Ober trat uns beflissen entgegen, um uns zu platzieren.

»Guten Abend. Die Gentlemen haben gewiss reserviert?«

Ich schüttelte den Kopf und zeigte dem Angestellten meine Dienstmarke.

»Wir möchten mit Mr Scalatti sprechen.«

Das Lächeln des Obers gefror. »Ich bin nicht sicher, ob Mr Scalatti im Haus ist.«

»Und ich bin nicht sicher, ob wir das Restaurant nicht systematisch nach ihm absuchen sollten«, sagte ich. »Wir können ja jedem Ihrer Gäste unsere FBI-Marken zeigen und uns erkundigen, ob sie Mr Scalatti gesehen haben. Was halten Sie von dem Vorschlag?«

Der Kopf des Mannes nahm die Farbe eines gekochten Hummers an.

»Das wird nicht nötig sein. Bitte warten Sie hier einen Moment. Ich will sehen, ob Mr Scalatti in seinem Büro ist.«

Der Ober verschwand in den hinteren Räumen. Das Lokal war gut besucht, an fast allen Tischen saßen Gäste. Die Menschen waren gut gekleidet, offenbar war der Mafia-Laden bei den oberen Zehntausend beliebt. Ob sie wussten, in wessen Kasse ihr Geld floss?

Bevor ich über diese Frage länger nachdenken konnte, kam ein bulliger Kerl auf uns zu. Er sah nicht so aus, als ob er etwas mit Gastronomie zu tun hätte. Vermutlich hantierte er nicht mit einem Serviertablett oder einem Kochlöffel, sondern mit Schusswaffen oder Totschlägern. Er starrte uns drohend an.

»Mitkommen!«

»Das tun wir doch gern, wenn wir so nett gebeten werden«, gab Phil zurück. Wir folgten dem Gorilla bis zu einem Raum im hinteren Bereich des Restaurants. Hier residierte der Mafia-Capo. Aldo Scalatti sah genauso aus wie auf den zahlreichen Fotos, die Flanagan von ihm geschossen hatte. Er hockte hinter einem eleganten Schreibtisch. Seine Büroeinrichtung war gediegen, aber nicht zu protzig. Er bemühte sich offenbar, die Rolle des seriösen Geschäftsmanns perfekt zu spielen.

Er stand auf und schenkte uns ein falsches Lächeln, wobei er die Arme ausbreitete.

»Seien Sie mir willkommen, Agents! Wie ich höre, arbeiten Sie für das FBI. Wie kann ich Sie bei Ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit unterstützen?«

Diese Worte aus dem Mund eines Mafioso waren nur Hohn und Spott für uns. Doch wir mussten gute Miene zum bösen Spiel machen.

»Wir sind keine Agents, sondern Inspektoren. Das ist Inspektor Decker, und ich bin Inspektor Cotton. Wir sind aus Washington gekommen, um den Mord an Sean Flanagan aufzuklären.«

Der brutal wirkende Bodyguard hatte sich wie eine Schildwache hinter seinem Herrn und Meister aufgestellt. Scalatti forderte uns mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Nachdem Phil und ich uns auf seine Besucherstühle gesetzt hatten, ließ er sich auch wieder in seinen Bürosessel plumpsen.

»Ich weiß nicht, inwieweit ich Ihnen helfen kann. Es heißt ja, korrupte Cops wären für den Tod von Sean Flanagan verantwortlich. Das behaupten zumindest einige TV-Stationen. Ist es nicht eine schreckliche Welt, in der wir leben?«

Ich ging auf die Frage nicht ein.

»Der Name Flanagan müsste Ihnen doch etwas sagen, Mr Scalatti. Schließlich standen Sie ja im Verdacht, den Bruder von Sean Flanagan getötet zu haben.«

»Ja, aber das muss schon zwanzig Jahre her sein. Und ich bin unschuldig. Würde ich sonst heute hier vor Ihnen sitzen?«

Der Mafioso tat so, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Uns konnte er damit allerdings nicht aufs Glatteis führen.

»Sean Flanagan hielt Sie offenbar für den Mörder seines Bruders«, sagte ich. »Er hat Sie nicht aus den Augen gelassen, seit er pensioniert war. Oder wollen Sie uns weismachen, dass Sie es nicht bemerkt haben?«

Scalatti schüttelte den Kopf.

»Natürlich fiel mir irgendwann auf, dass Flanagan mich verfolgte. Im Grunde tat er mir leid. Sein Leben muss nach der Pensionierung so öde geworden sein, dass er sich eine neue Aufgabe gesucht hat. Also beschloss ich, ihn einfach nicht zu beachten.«

»Sehr menschenfreundlich von Ihnen«, höhnte Phil. »Sie hätten doch Flanagan wegen Belästigung oder Stalking anzeigen können.«

»Sicher, das wäre möglich gewesen. Aber er war ein Ex-Cop, nicht wahr? Ich ging nicht davon aus, dass seine ehemaligen Kollegen etwas gegen Flanagan unternehmen würden.«

»Sean Flanagan wurde am 17. März gegen acht Uhr morgens erschossen. Was haben Sie um diese Zeit getan?«

Der Mafioso hob seine Augenbrauen.

»Wollen Sie mich mit dieser abscheulichen Tat in Verbindung bringen?«

»Beantworten Sie einfach Inspektor Cottons Frage«, sagte Phil.

»Nun, der 17. März ist ja St. Patrick’s Day, und da herrscht in der gesamten Bostoner Gastronomie Hochbetrieb. Daher war ich schon so früh morgens hier im Restaurant, um die Mitarbeiter einzuteilen und die Arbeit vorzuplanen. Das können mindestens ein halbes Dutzend meiner Köche und Servicekräfte bestätigen.«

Scalatti war aalglatt, aber das wunderte mich nicht. Ob er schon vor zwanzig Jahren mit einem Mord davongekommen war? Das konnte ich nicht beurteilen. Aber für mich war er ganz eindeutig der Drahtzieher bei den Schüssen auf Flanagan und auf Caitlin.

Ich erhob mich, Phil folgte meinem Beispiel.

»Wir sind für heute fertig mit Ihnen, Mr Scalatti. Sie hören wieder von uns.«

»Sehr gern, ich unterstütze das FBI mit allen Kräften. Toni wird Sie hinausbegleiten«, heuchelte der Mafioso.

Als wir wieder im Auto saßen, machte Phil seinem Herzen Luft.

»Dieser schleimige Gangsterboss ist so schuldig, wie man es nur sein kann. Er hat ein überzeugendes Motiv für den Mord an Flanagan: Der Ex-Cop wurde ihm lästig und störte ihn bei seinen dunklen Geschäften. Und auf Caitlin hat er schießen lassen, damit diese Schwachköpfe von Journalisten Cops für die Killer halten!«

»Ja, aber noch können wir ihm nichts beweisen. Mai-Lin soll sich morgen mal die Überwachungskameras im Stadtgebiet vornehmen, vor allem im Wohnumfeld von Flanagan. Vielleicht sieht man da irgendwo einen von Scalattis Schergen.«

»Ja, das kann man zumindest versuchen«, murmelte Phil. Es klang wenig überzeugt.

Wir fuhren zu unserem Motel zurück und gingen in unsere Zimmer.

***

»Wir werden verfolgt, Phil.«

Das sagte ich am nächsten Morgen, als ich den Ford Interceptor in den Berufsverkehr eingefädelt hatte und wir Richtung Field Office rollten. Phil warf einen Blick in den Rückspiegel, ohne den Kopf allzu sehr zu drehen.

»Der blaue Honda Civic?«

»Ja, genau. Ich möchte wetten, dass Scalatti uns von einem seiner Leute beschatten lässt. Glaubt er wirklich, dass wir so etwas nicht merken?«

»Vielleicht ist der Mafia-Capo ja größenwahnsinnig, weil er schon so lange Zeit ungeschoren davongekommen ist.«

»Mag sein. Aber diese Laus im Pelz möchte ich trotzdem loswerden.«

»Und wie wollen wir es machen?«

»Ich habe da schon so eine Idee. Am besten fahren wir nicht direkt ins Field Office, sondern gehen erst mal frühstücken.«

Phil warf mir einen fragenden Blick zu, hakte aber nicht nach. Ich kurvte durch die Innenstadt, bis ich in der Maverick Street ein passendes Objekt fand. Dort gab es ein kleines Shopping Center, zu dem auch ein Café gehörte. Wir stellten den Dienstwagen auf dem großen Parkplatz ab, dann gingen wir hinein.

Natürlich schauten wir uns nicht nach dem Honda Civic um. Ich war mir sicher, dass unser Verfolger am Ball bleiben würde. Er musste ja seinem Boss über unsere Aktivitäten Bericht erstatten, daher konnte er nicht einfach im Auto hocken bleiben.

Wir schlenderten in das Shopping Center, das in einer ehemaligen Fabrik untergebracht war. Es verfügte nur über zwei Stockwerke. Phil und ich suchten nach der Coffee Bar, wobei wir in den spiegelnden Schaufensterscheiben der Geschäfte unauffällig den Kriminellen erspähen konnten. Es war ein junger Mann im grauen Kapuzenpullover.

Nun lenkten wir unsere Schritte Richtung Café.

»Wenn wir unser Frühstück bestellt haben, gehe ich zur Toilette«, raunte ich Phil zu. »Ich hoffe, dass es dort einen Notausstieg gibt. Ich verlasse das Lokal, schlage einen Bogen und kehre durch den Eingang zurück. Wenn du mich siehst, nehmen wir den Verdächtigen in die Zange. Es muss schnell gehen, er darf keine Gelegenheit zur Gegenwehr oder Geiselnahme bekommen.«

Phil nickte.

»Hoffentlich hat er wenigstens ein paar verdächtige Gegenstände in der Tasche. Sonst haben wir nämlich keine Handhabe für eine Verhaftung.«

Das war mir natürlich auch klar. Aber ich hatte nicht vor, mit einem Mafioso im Nacken weiterzuermitteln. In der Coffee Bar suchten wir uns einen zentral gelegenen Tisch, von dem aus man sowohl den Eingang als auch die Waschräume gut im Blick behalten konnte.

Wir bestellten uns ein umfangreiches Frühstück, und die lächelnde schwarze Kellnerin brachte uns schon bald den Kaffee. Ich stand auf und ging zur Herrentoilette. Dort schaute ich in alle drei Kabinen, bis ich schließlich den Notausstieg fand. Er ließ sich leicht öffnen. Ich kletterte durch die Öffnung hinaus und landete auf dem Innenhof des Shopping Center. Durch eine schmale Tür gelangte ich dorthin zurück, wo sich zwischen einem Modegeschäft und einem Juwelier das Café befand.

Ich war nicht länger als drei Minuten fort gewesen. Phil trank scheinbar gelangweilt Kaffee. Doch ich wusste, dass er sowohl die Toilettentür als auch den Eingang im Blick behielt.

Drei Tische von Phil entfernt lümmelte unser Beschatter auf einem Stuhl und nuckelte am Strohhalm einer großen Cola, die er soeben von der Kellnerin bekommen hatte. Er drehte mir den Rücken zu. Ich suchte den Blickkontakt mit Phil, während ich meine FBI-Marke am Jackett befestigte und schnell näherkam. Das war das Signal für Phil, sich ebenfalls von seinem Sitz zu erheben. Er wandte sich dem Verdächtigen zu.

Der Kerl sprang auf, witterte nun offenbar die Gefahr. Er wollte sich aus dem Staub machen. Aber als er sich von Phil wegdrehte, starrte er direkt in mein Gesicht.

»FBI. Wohin denn so eilig, Mister? Müssen Sie Scalatti Bericht erstatten?«

Er zuckte zusammen, als der Mafioso-Name fiel. Ich konnte in seinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Der Verdächtige fühlte sich in die Enge getrieben, wollte türmen. Sein Fluchtreflex funktionierte ausgezeichnet. Der Kerl versuchte, mich mit einem Ellenbogenstoß zu Boden zu bringen. Dann wäre der Weg zum Ausgang frei gewesen. Doch ich wich ihm aus und drehte ihm das Handgelenk auf den Rücken.

»Hey, lassen Sie los! Was soll das, Mann? Ich habe nichts gemacht!«

Nun war auch Phil bei uns. Er griff unter das Kapuzenshirt und zog eine Pistole hervor, die der Kerl hinten im Hosenbund stecken gehabt hatte. Triumphierend hielt er sie in die Höhe.

»Um was wollen wir wetten, dass dieses gute Stück nicht registriert ist?«

Der Verdächtige warf Phil einen wütenden Blick zu.

»Ich hab die Knarre noch niemals gesehen!«

»Wirklich nicht, Einstein?«, gab Phil zurück. »Dann werden wohl auch Ihre Fingerabdrücke nicht auf dem Griff sein, oder?«