Jerry Cotton Sammelband 52 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 52 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 52: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
3035: Die Lücke in der Kette
3036: Der nackte Tod
3037: Der Tod stellt viele Fragen
3038: Mosaik des Grauens
3039: Das Netz der schwarzen Witwe
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
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Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 52

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | Sharpner

ISBN: 978-3-7517-6507-7

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Jerry Cotton Sammelband 52

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Jerry Cotton 3035

Den Tod zu Gast

Jerry Cotton 3036

So leicht stirbt man nicht

Jerry Cotton 3037

Händler des Todes

Jerry Cotton 3038

Ein Schritt ins Grab

Jerry Cotton 3039

Erwarte keine Gnade

Guide

Start Reading

Contents

Den Tod zu Gast

Ellen Murray öffnete lautlos die Stahltür. Als FBI-Agentin im Undercover-Einsatz musste sie auf alles gefasst sein. Wenn sie erwischt wurde, dann war das ihr Ende. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, denn sie erkannte eine der Männerstimmen.

Ihr Verdacht bestätigte sich. Die junge Frau schlich näher. Noch konnte sie nicht verstehen, worüber die Verdächtigen sprachen. Sie musste sich Gewissheit verschaffen. Erst dann wollte sie ihre Vorgesetzten informieren, Verstärkung anfordern und …

Doch dazu kam es nicht mehr. Ellen Murray bewegte sich leise, aber ihr Angreifer tat das auch. Plötzlich spürte sie seinen heißen Atem an ihrem Ohr. Sie wollte sich umdrehen.

Aber da wurde sie bereits durch einen fürchterlichen Schlag auf den Hinterkopf niedergestreckt.

Ein eiskalter Wind wehte um das FBI Headquarter in Washington. Es war ein kühler Märztag, an dem Phil und ich von Assistant Director High einen neuen Auftrag bekamen. Eigentlich hätten wir uns freuen sollen, denn die Mission würde uns in den Süden führen, nach Mississippi. Das hatten wir jedenfalls von Dorothy Taylor gehört, als wir das Vorzimmer passiert hatten. Aber die Aussicht auf ein paar warme Tage in der Sonne wurde uns schnell verdorben. Denn nun kam Mr High direkt auf den Kern unserer Aufgabe zu sprechen.

»Eine Kollegin ist spurlos verschwunden.«

Ich hakte nach. »Was genau ist denn vorgefallen, Sir?«

Mr High senkte seinen Blick auf den Inhalt eines Schnellhefters, der nur wenige Blätter enthielt.

»Agent Ellen Murray vom Field Office Jacksonville befand sich seit einigen Wochen im Undercover-Einsatz. Sie arbeitete als Kellnerin getarnt in einem Spielkasino mit Hotel in Biloxi, genauer gesagt im Cuba Casino . Es besteht der Verdacht, dass dort in großem Stil Schwarzgeld des organisierten Verbrechens gewaschen wird. Das können Gelder aus dem Drogenhandel oder Prostitutionsgewinne sein, Schutzgelderpressung ist ebenfalls möglich. Die Transaktionen konnten stets clever verschleiert werden. Beweise gab es deshalb bisher nicht, daher der Undercover-Einsatz.«

»Biloxi hat als Glücksspielstadt gewaltig aufgeholt«, warf Phil ein. »Früher fiel den Leuten immer nur Atlantic City oder Las Vegas ein, wenn es um Roulette und Poker ging. Aber in Biloxi schießen die Kasinos seit einigen Jahren wie Pilze aus dem Boden, habe ich gehört. Daran konnten auch die Zerstörungen nach dem letzten Hurrikan nichts ändern.«

Der Chef nickte.

»So ist es, Phil. Jedenfalls hat Agent Murray unter ihrem Tarnnamen Deborah Perkins am 7. März um 18 Uhr mit ihrer Nachtschicht begonnen. Das wissen wir so genau, weil es in dem Kasino eine Stechuhr für die Angestellten gibt. Es fiel auf, dass sie am nächsten Morgen nicht ausgestempelt hatte. Theoretisch hätte sie also noch im Gebäude sein müssen. Der Hotelmanager Bruce Cole veranlasste eine Suche, aber angeblich fehlte jede Spur von unserer Kollegin. Daraufhin verständigte er die Cops, die wiederum uns kontaktierten. Dem Biloxi Police Department war bekannt, dass Agent Murray undercover arbeitete.«

»Wer wusste denn noch von ihrem Doppelleben, Sir? Wenn das Kasino wirklich eine Geldwaschanlage ist, dann hat der Manager gewiss seine Finger im Spiel. Und sie wird sich ihm gegenüber nicht als Agent zu erkennen gegeben haben.«

»Das denke ich auch nicht, Jerry. Deshalb möchte ich, dass Sie mit dem SR-Team nach Biloxi reisen. Die Kriminaltechniker sollen das Kasino genau unter die Lupe nehmen. Ein Mensch kann nicht spurlos verschwinden, das wissen Sie so gut wie ich.«

»Wie sieht es mit Überwachungskameras aus? Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass man eine Person aus dem Kasino schaffen kann, ohne dass es bemerkt wird. Wenn die Sicherheitstechnik allerdings von diesem Bruce Cole oder seinen Leuten manipuliert wurde …« Phil beendete den Satz nicht. Das war auch nicht nötig. Mich beschäftigte vor allem die Frage, ob unsere Kollegin überhaupt noch lebte.

Der Assistant Director schob ein Foto zu uns herüber.

»Das ist Agent Ellen Murray. Die Aufnahme entstand am Tag ihres Abschlusses der FBI Academy. Sie ist seit drei Jahren im Dienst.«

Das Bild zeigte eine hübsche blonde Frau in einem taubengrauen Kostüm. Sie lächelte selbstbewusst in die Kamera. Phil schüttelte den Kopf.

»Die Gangster werden sie nicht getötet haben. Profi-Verbrecher legen sich ungern mit dem FBI an. Sie wissen, dass sie dann meist den Kürzeren ziehen. Außerdem ist eine Geisel immer ein gutes Druckmittel. Jedenfalls hoffen das die Verbrecher.«

»Das stimmt«, gab ich zurück. »Aber nur, wenn die Kriminellen kapiert haben, dass sie ein Agent ist.«

***

Der nächste Flug nach Gulfport/Biloxi ging noch am selben Nachmittag. Wir hatten also genug Zeit, um das SRT in Quantico zu mobilisieren.

Mr Highs Sekretärin Dorothy Taylor hatte bereits die Reiseabteilung gebeten, die Tickets für uns alle am Reagan National Airport deponieren zu lassen. Ich rief Dr. Willson an, um ihn über den neuen Auftrag zu informieren. Der temperamentvolle Texaner explodierte fast am Telefon, als er Einzelheiten hörte.

»Eine gekidnappte Kollegin? Verflucht, da müssen wir alle Register ziehen, um sie herauszuhauen! Das SR-Team wird pünktlich am Flughafen eintreffen, darauf können Sie sich verlassen.«

Dr. Willson beendete das Gespräch. Außer ihm selbst gehörten noch der Chemiker und Physiker Dr. Fortesque, unsere Informatikerin Dr. Mai-Lin Cha sowie die Finanzexpertin Concita Mendez zum Team.

Phil und ich nutzten die Zeit, um mit dem Field Office in Jacksonville Kontakt aufzunehmen. Im Handumdrehen hatte ich SAC Peter Brandon am Apparat. Er war ein glatzköpfiger Afroamerikaner, mit dem wir schon zusammengearbeitet hatten.

»Ich bin froh, dass wir Sie als Verstärkung bekommen, Inspektor Cotton. Es ist wirklich ein Worst Case, wenn ein Agent im Undercover-Einsatz verschwindet. Außerdem war es die erste Mission dieser Art für Ellen Murray. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich sie in die Höhle des Löwen geschickt habe.«

»Das sollten Sie nicht tun, Agent Brandon. Es ist doch üblich, sich für solche Aufgaben freiwillig zu melden. Außerdem haben Sie es nicht mit einem unerfahrenen Teenager, sondern mit einer ausgebildeten Agentin zu tun. Ich wette, dass Ellen Murray sich auf ihre Mission sorgfältig vorbereitet hat.«

»Stimmt, das hat sie wirklich getan. Sie jobbte sogar stundenweise in einem Diner, um etwas Erfahrung im Bedienen zu sammeln. Als das Cuba Casino vor einiger Zeit eine neue Kellnerin suchte, haben wir die Chance genutzt. Ellen bewarb sich unter ihrem Tarnnamen Deborah Perkins und erhielt den Job. Wir verschafften ihr auch noch ein paar fiktive Empfehlungsschreiben. Sie ist jung und hübsch, das kommt bei den Kasinogästen gut an. Es macht mich ganz irre, dass sie in der Gewalt von irgendwelchen Kriminellen ist. Wenn diese Kidnapper ihr auch nur ein Haar krümmen, werde ich …«

Ich fiel Peter Brandon ins Wort. Auch ich sorgte mich um die Kollegin, aber das nützte ihr nichts. Unsere Gefühle mussten wir jetzt ausklammern. Wenn wir Ellen helfen wollten, brauchten wir mehr Fakten.

»Wie haben Sie den Kontakt zu Agent Murray gehalten?«

»Sie hatte ein Prepaid-Handy, mit dem sie ausschließlich mich kontaktierte. Auf der Arbeit hatte sie es nicht dabei, das war zu riskant. Es muss irgendwo in ihrem Apartment versteckt sein. Sie hat in Biloxi eine kleine Wohnung gemietet, in der Woodfield Lane.«

»Dort wird unser SR-Team natürlich auch nach Hinweisen suchen. Hat Agent Murray Ihnen von einer heißen Spur berichtet? Waren Transaktionen mit Schwarzgeld geplant? Hatte sie verdächtige Personen im Visier?«

»Ja, aber eine heiße Spur gibt es nicht. Agent Murray konnte heimlich Fotos von einigen Kasinogästen machen, die sie mir dann zukommen ließ. Es sind drei Verdächtige, die hier in den Südstaaten ihre Finger in dunklen Geschäften haben.«

»Gehören sie alle zu derselben Organisation?«

»Nein, Inspektor Cotton. Agent Murray konnte auch keine Hinweise darauf finden, dass die Kerle im Kasino Geld waschen ließen. Sie haben anscheinend nur gezockt.«

»Das wird sich zeigen. Hatte Agent Murray das Gefühl, verfolgt oder bedroht zu werden? Befürchtete sie, dass ihre Tarnung auffliegen könnte?«

»Nein, überhaupt nicht. Aber vielleicht hat sie die Gefahr einfach nicht erkannt, weil sie zu unerfahren war.«

»Haben Sie so wenig Vertrauen in Ihre Untergebene, Agent Brandon?«

Der SAC aus Jacksonville atmete tief durch, bevor er antwortete. Ich glaubte schon, ihn verärgert zu haben. Dabei war ich nur ehrlich gewesen. Als er gleich darauf aber wieder das Wort ergriff, hörte sich seine Stimme warm und freundschaftlich an.

»Danke, Inspektor Cotton. Sie haben mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Es hätte nichts gebracht, Agent Ellen Murray in Watte zu packen. Sie kennt den Job und auch die Risiken, die damit verbunden sind. Wer das nicht aushält oder die Nerven verliert, ist bei uns leider fehl am Platz.«

»Das sehe ich ebenfalls so, Agent Brandon. Aber sie weiß auch, dass sie sich auf das gesamte FBI verlassen kann.«

***

Das SR-Team war pünktlich am Flughafen eingetroffen. Die vierstündige Reise von Washington zur Küstenregion von Mississippi verlief ohne Zwischenfälle. Gesprochen wurde nicht viel. Ich war mir sicher, dass jeder von uns mit den Gedanken bei der jungen Kollegin war.

Am Gulfport/Biloxi Airport warteten bereits zwei Agents auf uns. Ihre Namen waren Robert Dunn und Cliff Portman. SAC Peter Brandon hatte dafür gesorgt, dass sie uns abholten. Durch die Reiseabteilung waren für uns Zimmer in einem Motel am Stadtrand von Biloxi gebucht worden. Doch wir hatten uns darauf verständigt, dass wir zunächst das Kasino anschauen wollten. Es war zwar schon Abend, aber wir wollten uns wenigstens einen ersten Eindruck verschaffen.

Robert Dunn war ein junger blonder Agent, braungebrannt und durchtrainiert. Er chauffierte Phil und mich in einem Ford Interceptor. Das SR-Team wurde von seinem Kollegen Cliff Portman in einem Chevrolet Tahoe gefahren. Dunn begann sofort zu reden, nachdem wir uns gegenseitig vorgestellt hatten und er den Flughafen-Parkplatz Richtung Biloxi verließ.

»Wir freuen uns über die Verstärkung aus Washington. Die können wir jetzt wirklich gut gebrauchen. Sie haben doch bestimmt viel Erfahrung, wenn es um gekidnappte Agents geht?«

Robert Dunn warf mir einen hoffnungsvollen Blick zu.

»Diese Fälle können sehr unterschiedlich ausgehen«, dämpfte ich seine Erwartungen. »Viel hängt auch vom Entführungsopfer selbst ab. Aber solche Szenarien werden während der Ausbildung ja auch immer wieder und wieder geprobt, wie Sie wissen.«

Der junge Kollege nickte.

»Ja, und Ellen ist zäh. Sie lässt sich nicht unterkriegen. Solange sie auch nur die geringste Chance auf Befreiung sieht, wird sie nicht aufgeben. Außerdem hat sie ein großes Schauspieltalent. Sie wird auf jeden Fall versuchen, weiterhin die nichtsahnende Kellnerin zu spielen und ihre FBI-Identität nicht preisgeben.«

»Sie haben direkt mit Ellen Murray zusammengearbeitet, Agent Dunn? War sie Ihre Dienstpartnerin?«

»Das nicht, Inspektor Cotton. Aber wir gehörten zu einem größeren Team, waren monatelang hinter einem Menschenhändlerring her, haben Beweise gesammelt und Verdächtige beschattet. Ich konnte mich immer hundertprozentig auf Agent Murray verlassen. Schließlich wurde die Gangster-Organisation zerschlagen.«

»Könnte die Kollegin von Komplizen der Verhafteten gekidnappt worden sein, die sich rächen wollten?«

»Daran habe ich auch schon gedacht, Inspektor Cotton. Aber Ellen hat für den Undercover-Job ihr Aussehen verändert. Und außerdem wurde sie in Biloxi eingesetzt, wo sie sich zuvor noch nie aufgehalten hat. Die Bande, von der ich eben sprach, war mehr im Umfeld von New Orleans tätig. Eine Verbindung zur Unterwelt von Biloxi sehe ich nicht.«

Während des Gesprächs hatten wir die breite Uferstraße namens Beach Boulevard erreicht, an deren Rand sich ein Kasino an das andere reihte. Es gab auch schöne neue Restaurants und Hotels, der Strand war bei der Dunkelheit nur zu erahnen. Wir sahen die Positionslaternen von Schiffen, die den Hafen verließen. Ihr Licht spiegelte sich in der Wasserfläche des Golfs von Mexiko.

»Die Spielkasinos haben Wohlstand, aber auch mehr Kriminalität nach Biloxi gebracht«, meinte Agent Dunn. »Das geschieht wohl in allen Glücksspielstädten, nehme ich an.«

Er brachte unseren Dienstwagen nun vor einem großen Gebäude im Art-déco-Stil zum Stehen. Die Worte Cuba Casino leuchteten in roten Neonbuchstaben über dem Eingang. Mehrere Streifenwagen standen auf dem Parkplatz, uniformierte Cops verwehrten vergnügungshungrigen Gästen den Zutritt.

»Nachdem wir die Nachricht von Ellens Verschwinden bekamen, haben wir das Biloxi Police Department direkt um Hilfe gebeten«, erklärte Robert Dunn. »Es ist ja möglich, dass Ellen im Gebäude selbst gefangen gehalten wird. Das zum Kasino gehörende Hotel hat über zweihundert Zimmer. Die Cops durchsuchen jedes davon einzeln. Und das dauert natürlich seine Zeit.«

»Darüber wird der Kasinomanager wohl nicht erfreut sein«, mutmaßte Phil. Und so war es auch. Kaum waren wir ausgestiegen, als wir einen aufgebrachten Gentleman im Nadelstreifenanzug erblickten. Er redete wild gestikulierend auf einen baumlangen schwarzen Cop ein. Inzwischen waren wir so nahe herangekommen, dass wir den Wortwechsel hören konnten.

»Ich kann Ihnen auch nicht sagen, wie lange die Maßnahme dauern wird«, sagte der Officer. Er schaute sich hilfesuchend um und entdeckte uns. »Fragen Sie am besten die FBI-Agents.«

Er deutete auf Phil, Robert Dunn und mich. Wir hatten unsere Dienstmarken an unseren Revers befestigt und gingen auf den Wütenden zu.

»Wissen Sie eigentlich, wie viel Geld mich die Sperrung des Kasinos kostet?«, blaffte er uns an. »Ich werde das FBI verklagen, darauf können Sie sich verlassen!«

Ich warf ihm einen kalten Blick zu.

»Eine Kollegin von uns ist in diesem Gebäude spurlos verschwunden. Solange ihr Verbleib nicht feststeht, kann sie möglicherweise noch hier sein. Also wird jeder Winkel des Kasinos durchsucht. Mein Name ist übrigens Inspektor Jerry Cotton. Das sind Inspektor Phil Decker und Agent Robert Dunn. Ich nehme an, Ihr Name ist Bruce Cole?«

Der Gentleman blinzelte irritiert. Seine Verblüffung war größer als sein Zorn, jedenfalls in diesem Moment. Ihm fehlten die Worte, aber dann brachte er doch eine gestammelte Erwiderung hervor.

»Ja, ich bin der Manager … eine Kollegin von Ihnen, sagten Sie? Ich dachte, es ging um meine Kellnerin Deborah Perkins.«

Ich nickte.

»Das stimmt, aber dieser Name ist frei erfunden. Deborah Perkins heißt in Wirklichkeit Ellen Murray und ist FBI-Agentin.«

Bruce Cole wirkte erstaunt. Ich hätte schwören können, dass er die Tarnung unserer jungen Kollegin nicht durchschaut hatte. Oder war er nur ein erstklassiger Schauspieler?

***

Robert Dunn überließ uns den Dienstwagen, damit wir später zum Motel fahren konnten. Er selbst wollte mit anderen Kollegen nach Jacksonville zurückkehren. Momentan schloss er sich den Einsatzkräften an, die das Kasino und die dazugehörigen Hotelzimmer durchsuchten. Das war eine Menge Arbeit, die erledigt werden musste.

»Inspektor Decker und ich würden gern in Ihrem Büro mit Ihnen sprechen«, sagte ich zu dem Kasinomanager. »Warten Sie bitte dort auf uns, wir kommen gleich nach.«

»Ja, selbstverständlich«, murmelte Bruce Cole. Er schien immer noch nicht glauben zu können, dass eine FBI-Agentin undercover im Cuba Casino gearbeitet hatte. Er trottete davon.

Inzwischen war auch das SR-Team eingetroffen. Ich wandte mich an Fortesque.

»Schauen Sie sich bitte im Gebäude nach Indizien um, FGF. Womöglich ist eine Tür gewaltsam geöffnet worden. Oder Sie finden Kampfspuren.«

»Und was sollen wir tun?«, fragte Mai-Lin.

»Sie checken bitte die Überwachungskameras im öffentlichen Raum«, sagte ich und deutete auf die nahe gelegene Uferstraße. »Der Kasinomanager kann die Kameras auf seinem Grundstück manipulieren lassen, aber nicht die Sicherheitssysteme der Stadt Biloxi. Falls Ellen Murray fortgeschafft wurde, geschah das wahrscheinlich in einem Van. Möglicherweise auch im Kofferraum einer größeren Limousine.«

Die Informatikerin nickte. Das FBI hat in Biloxi selbst kein Field Office, aber wir konnten Räume im Police Headquarter nutzen. Das hatte SAC Peter Brandon schon veranlasst. Mai-Lin durfte auch auf die lokalen Polizeinetzwerke zugreifen.

»Und ich soll vermutlich die Finanzströme des Cuba Casino unter die Lupe nehmen?«, wollte unsere Wirtschaftsexpertin Concita Mendez wissen. Ich bejahte.

»Da kann ich ja nur hoffen, dass ich erst einmal beschäftigungslos bleibe«, brummte Willson. »Ich möchte nämlich nicht die Leiche unserer Kollegin obduzieren müssen.«

Natürlich besaß der bärbeißige Texaner als Mediziner noch viel mehr Fähigkeiten, die zur Aufklärung des Falles beitragen konnten. Sein schwarzer Humor half ihm dabei, seine manchmal grauenvollen Arbeiten zu verrichten.

Nachdem ich die Aufgaben verteilt hatte, betraten wir das eigentliche Spielkasino. Es gab weitläufige Bereiche für Roulette, Blackjack- und Pokertische. Momentan fand allerdings kein Spielbetrieb statt, da die Cops und einige Agents vom Field Office Jacksonville überall nach Hinweisen auf die verschwundene Kollegin suchten. Die Croupiers und anderen Angestellten standen tatenlos herum. Einige von ihnen wurden von Officers vernommen, andere warteten noch darauf.

Das Hotel befand sich im Südflügel des Gebäudes, während der Verwaltungstrakt in den oberen Etagen auf der Nordseite untergebracht war. Dorthin ließen wir uns von einer Kellnerin führen.

»Hatten Sie gestern Nachtdienst?«, wollte ich von der jungen Latina wissen. Sie warf einen unsicheren Blick auf mein Gesicht, dann auf meine Dienstmarke. Schließlich traute sie sich doch, meine einfache Frage zu beantworten.

»Nein. Sie halten nach Deborah Ausschau, nicht wahr? Es sind viele Gerüchte im Umlauf. Ist sie wirklich eine FBI-Agentin und heißt in Wirklichkeit ganz anders?«

»Das scheint sich ja schnell herumzusprechen. Ja, der Name Deborah gehörte zu einer Tarn-Existenz. Hatten Sie bei der Arbeit näher mit ihr zu tun?«

»Eher selten. Sie war als Springerin eingesetzt. Wenn eine Kollegin krank wurde oder einen freien Tag hatte, übernahm Deborah ihren Platz. Sie hat teilweise auch den Croupiers assistiert, sie liebte die Abwechslung. Und sie war charmant, kassierte gute Trinkgelder und war allgemein beliebt.«

Ellen Murray hatte ihren Job anscheinend gut gemacht und sich überall umgehört. Vielleicht war ihr das zum Verhängnis geworden. Ich hakte nach.

»Hatte Deborah mit jemandem Ärger? Wurde sie bedroht, vielleicht von einem Gast oder jemandem vom Personal? Gab es einen Stalker, der ihr aufgelauert hat?«

»Davon weiß ich nichts«, behauptete die junge Frau. »Außerdem haben wir hier Securitys. Sie sind sofort da, falls mal ein Gast frech wird. Das kommt gelegentlich mal vor.«

Die Sicherheitsleute wurden natürlich auch verhört. Aber wir mussten damit rechnen, dass sie mit den Entführern gemeinsame Sache machten oder Ellen Murray sogar selbst verschleppt hatten. Wenn der Manager Dreck am Stecken hatte, dann durfte man den Wachleuten auch nicht trauen. Sie würden nämlich im Zweifelsfall nach seiner Pfeife tanzen.

Ich führte mir vor Augen, dass die junge Kollegin irgendwann während der vorigen Nacht verschwunden war. Seitdem konnte sehr viel passiert sein.

Während des kurzen Gesprächs hatten wir die Verwaltungsetagen erreicht. Die Angestellte führte uns zum Vorzimmer des Managers. Dort schwang eine eiskalte Schönheit das Zepter. Sie sah so aus, als ob sie vor zehn Jahren noch an Misswahlen teilgenommen hätte. Phil und mir warf sie einen Blick voller Abneigung zu.

»Sie wollen zu Mr Cole, nicht wahr?«

Ich nickte. Daraufhin ließ uns die Vorzimmerqueen ins Allerheiligste des Spielkasinos. Bruce Cole hatte sich hinter dem klotzigen Schreibtisch seines eleganten Büros verschanzt. Offenbar hatte er sich inzwischen von dem ersten Schreck erholt und sein Selbstbewusstsein zurückgewonnen. Er konnte jetzt sogar schon wieder drohen.

»Ich habe soeben mit meinem Anwalt telefoniert. Ich werde nichts sagen, bevor er nicht hier eingetroffen ist. Die Bespitzelung durch eine Undercover-Agentin wird Sie jedenfalls teuer zu stehen kommen.«

***

Natürlich war es Coles gutes Recht, sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen. Ich fürchtete bloß, dass wir durch das Warten auf den Rechtsbeistand wertvolle Zeit verlieren würden. Bruce Cole war für mich ein Hauptverdächtiger. Wenn hier wirklich Geldwäschegeschäfte stattgefunden hatten, konnte das kaum ohne seine Mitwisserschaft geschehen sein. Und bei solchen Deals, wo es um Millionen geht, zählt ein Menschenleben nicht viel – auch nicht das einer FBI-Agentin.

Der Kasinomanager bot uns keinen Platz an, aber damit konnte ich leben. Immerhin erschien der Anwalt schon nach einer halben Stunde. Er stellte sich uns als Dr. Walter Russell vor. Er war ein blasser alter Mann, dessen Teint nicht zu einer sonnendurchfluteten Küstenstadt wie Biloxi passen wollte. Vielleicht kam er ja selten aus seiner Kanzlei heraus.

Cole hatte ihm offenbar schon am Telefon gesagt, worum es ging. Jedenfalls kam er sofort zur Sache, nachdem wir uns ihm vorgestellt hatten.

»Aufgrund welcher Beweise überwacht das FBI dieses Kasino und meinen Mandanten?«

»Es besteht der Verdacht auf Geldwäsche oder Beihilfe zur Geldwäsche«, gab ich zurück. »Wenn wir Beweise hätten, wäre es schon zu Verhaftungen gekommen.«

»Sie bespitzeln also meinen Mandanten völlig willkürlich«, höhnte Dr. Russell. Ich schüttelte den Kopf.

»Falls sich der Verdacht nicht bewahrheitet, wird die Aktion natürlich abgebrochen. Heute geht es darum, dass unsere undercover ermittelnde Kollegin spurlos verschwunden ist.«

Mit diesen Worten legte ich ein Foto von Ellen Murray auf den Tisch. Der Kasinomanager und sein Anwalt warfen einen uninteressierten Blick darauf. Ich sprach nun Bruce Cole direkt an.

»Wann haben Sie Ihre Mitarbeiterin zum letzten Mal gesehen?«

»Daran kann ich mich nicht erinnern«, behauptete der Manager. Ich war sicher, dass er log.

»Dann scheinen Sie sich ja nicht besonders um Ihr Personal zu kümmern«, knurrte Phil. Bevor Cole antworten konnte, sprang sein Rechtsbeistand für ihn in die Bresche.

»In diesem Haus arbeiten mehrere hundert Menschen, Inspektor Decker. Erwarten Sie ernsthaft, dass sich mein Mandant an jede Begegnung mit ihnen erinnern kann? Ihre Spionin gehörte jedenfalls nicht zu den Führungskräften dieses Kasinos, sonst wäre sie mir ebenfalls bekannt.«

»Deborah Perkins wurde als Kellnerin engagiert«, sagte Cole. »Ich habe sie noch nicht einmal selbst eingestellt. Das hat mein Restaurantleiter Mario Dulatti getan.«

Für meinen Geschmack waren diese Erklärungen etwas zu glatt, aber das konnte man dem Manager schlecht vorwerfen. Wenn wir ihm erst einmal Dreck am Stecken nachweisen konnten, sah die Sache allerdings schon anders aus.

»Mein Mandant hat eine Suchaktion veranlasst und die Cops alarmiert«, sagte der Anwalt vorwurfsvoll. »Und zum Dank schließen Sie das Cuba Casino und durchforsten alle Räume noch einmal? Ich werde mich bei Ihren Vorgesetzten in Washington über Sie beschweren.«

»Das können Sie gern tun«, erwiderte ich. »Aber einstweilen hätten wir gern das Material Ihrer Überwachungskameras. Und zwar ab dem Zeitpunkt, als Agent Ellen Murray zum letzten Mal die Stechuhr betätigt hat.«

Cole tuschelte kurz mit seinem Rechtsbeistand, dann nickte Dr. Russell mir gönnerhaft zu.

»Die Bänder werden Ihnen noch heute Abend übergeben. Mr Cole wird kooperieren, trotz der beispiellosen Dreistigkeit des FBI. Womöglich gibt es eine ganz einfache Erklärung für das Verschwinden Ihrer Kollegin.«

»Nämlich?«, hakte Phil nach. Der Anwalt grinste.

»In Biloxi gibt es viele gutaussehende junge Männer, manche von ihnen sind reich und besitzen eine Segelyacht. Vielleicht hat sich die junge Lady in einen von ihnen verguckt und darüber ihre Pflichten vergessen.«

Dr. Russells Unterstellung war eine Unverschämtheit. Ellen Murray befand sich womöglich in großer Gefahr oder wurde von ihren Entführern drangsaliert, während wir uns hier den Spott des Kasinomanagers und seines Rechtsverdrehers anhören mussten.

Phil wurde wütend, aber ich warf ihm einen warnenden Seitenblick zu. Wir durften uns nicht provozieren lassen, darauf wartete dieses saubere Duo doch nur.

»Wir gehen allen Hinweisen nach«, sagte ich daher mit erzwungener Ruhe.

Cole telefonierte, und wenig später brachte uns ein Security die Überwachungsbänder. Auch meine Frage nach einem Alibi beantwortete der Manager bereitwillig.

Er hatte in der Nacht von Ellen Murrays Verschwinden angeblich zunächst allein in seinem Büro gearbeitet und war dann nach Hause gefahren, wo er den Rest der Nacht verbracht hatte. Das konnte seine Frau bezeugen.

Dieses Alibi war nicht sehr stichhaltig. Allerdings ging ich auch nicht davon aus, dass bei einem Kidnapping Cole höchstpersönlich beteiligt gewesen war. Solche Typen machen sich selten selbst die Hände schmutzig.

***

Wir gönnten uns in dem Motel am Rand von Biloxi wenige Stunden Schlaf. Als Phil und ich am nächsten Morgen unsere Räumlichkeiten im Police Headquarter bezogen, waren dort auch Mai-Lin und Concita soeben eingetroffen.

Ich überreichte der Informatikerin die Überwachungsvideos.

»Wahrscheinlich werden sie manipuliert sein«, meinte ich.

Mai-Lin nickte. »Ja, aber das kann ich nachweisen. Dadurch macht sich der Kasinomanager noch verdächtiger, schneidet sich also ins eigene Fleisch. Mehr verspreche ich mir von der allgemeinen Verkehrsüberwachung. Die Cops haben mich schon mit den Zugangscodes versorgt. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich etwas Brauchbares habe.«

Auch die Finanzexpertin steckte bereits bis über beide Ohren in der Arbeit.

»Im Spielkasino werden große Bargeldmengen umgesetzt, das ist natürlich ein Geldwäscheparadies. Ich prüfe die Abläufe, aber auf den ersten Blick scheint alles mit rechten Dingen zuzugehen.«

»Wir dürfen uns nicht nur auf Bruce Cole einschießen«, meinte Phil. »Es ist auch denkbar, dass ein anderer Verbrecher die Undercover-Kollegin durchschaut und aus dem Weg geräumt hat. Vielleicht gelang das sogar ohne die Komplizenschaft des Managers.«

Ich nickte. Zunächst erstattete ich Mr High einen kurzen Zwischenbericht per Telefon.

»Wie wollen Sie weiter vorgehen, Jerry?«

»Hier stehen uns einige Agents vom Field Office Jacksonville zur Verfügung, Sir. Ich möchte den Kasinomanager durch diese Kollegen rund um die Uhr observieren lassen.«

»Gibt es schon konkrete Hinweise auf eine Entführung? Haben sich Kidnapper bei Ihnen oder bei den Cops gemeldet?«

»Negativ, Sir. Fortesque und Willson sind heute Morgen wieder zum Kasino gefahren, um nach Spuren zu suchen. Wahrscheinlich wird das Gebäude im Laufe des Tages wieder für den Spiel- und Hotelbetrieb freigegeben werden müssen.«

»Wir sollten auch die Öffentlichkeit in die Fahndung einbeziehen, Jerry. Inzwischen ist es gewiss kein Geheimnis mehr, dass Ellen Murray FBI-Agentin ist. Das werden durch unsere Suche zumindest etliche Kasino-Angestellte mitbekommen haben.«

»Das stimmt, Sir. Die Gerüchteküche brodelt hier gewaltig. Es könnte wirklich sein, dass sich Augenzeugen des Kidnappings melden. Zwar werden auch wieder die üblichen Wichtigtuer anrufen, aber damit müssen wir leben.«

»Ich werde die Presseabteilung veranlassen, heute eine Meldung an alle Medien zu geben. Rufen Sie bitte wieder an, falls Sie noch weitere Verstärkung oder sonst etwas benötigen, Jerry.«

Ich beendete das Telefonat und nahm dann noch kurz Kontakt mit SAC Peter Brandon auf. Immerhin waren es seine Leute, die ich für Coles Beschattung benötigte. Ich wollte nicht über seinen Kopf hinweg entscheiden. Aber er gab sofort grünes Licht, sodass Agent Robert Dunn und seine Partnerin Jodie Finnegan mit der Observierung begannen.

Während ich telefoniert hatte, bekam auch Phil einen Anruf. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu.

»Das war FGF, Jerry. Er hat im Kasinokeller eine Spur gefunden.«

Wir fuhren natürlich sofort zum Cuba Casino , während Mai-Lin und Concita weiter an ihren Computern nach Hinweisen suchten. Als wir vor dem Gebäude parkten, wurden wir von einem jungen Agent erwartet.

»Dr. Fortesque hat mich gebeten, Sie sofort zu ihm zu bringen.«

Wir folgten dem Kollegen. Er öffnete eine Stahltür mit der Aufschrift NO ENTRY . Dahinter befand sich eine steile Treppe, die in den Wartungstrakt des Kasinos führte. Hier standen Maschinen für die Klimaanlage, es gab zahlreiche Sanitärleitungen und Meilen über Meilen an Stromkabeln. Außerdem zweigten von einem Gang mehrere Räume ab, die ebenfalls mit Stahltüren verschlossen waren.

»Es gibt hier auch Vorratskammern für Getränke und Snacks«, erklärte der Agent. Er ging auf eine offenstehende Tür zu. Im Licht der flackernden Neonröhren sahen wir Fortesque, der einen weißen Schutzoverall trug. Er kniete auf dem Boden und deutete auf den Beton vor sich.

»Ich habe hier Blutspuren gefunden. Die DNA unserer verschwundenen Kollegin liegt uns ja zum Glück vor. Der texanische Kuhschwanz ist bereits mit einer Probe auf dem Weg ins Labor, um den Abgleich zu machen. Aber ich wette eine Flasche schottischen Whiskys gegen eine Dose Limonade, dass dieses Blut von Ellen Murray stammt.«

Ich ging in die Knie und schaute mir nun den Raum genauer an. Dort stand ein Heizkessel, der aber momentan nicht in Betrieb war. Weiter hinten gab es eine Schalttafel, davor zwei billige Klappstühle aus Plastik. Außerdem erblickte ich eine weitere Tür.

»Wohin führt die?«

»Zum Nottreppenhaus, das direkt von den Spielsälen aus zu erreichen ist. Im Fall eines Brandes können die Gäste auf diesem Fluchtweg entkommen. Ein Stück weiter links ist ein Ausgang zum Parkplatz hin«, erwiderte Fortesque.

»So könnten die Täter unsere Kollegin nach draußen geschafft haben«, dachte Phil laut nach. »Viel Blut kann sie nicht verloren haben, sonst müsste es weitere Flecken geben und nicht nur diesen einen.«

»Oder die Täter haben die Wunde schnell verbunden, um keine Spuren zu hinterlassen«, wandte ich ein. »Dieser Blutfleck ist ja recht klein, er hätte leicht übersehen werden können.«

»Aber nicht von mir«, betonte Fortesque. »Ich arbeite nämlich gründlich. Was weitere Indizien angeht, bin ich sehr skeptisch. Ich habe die Klappstühle und die Armaturen bereits auf Fingerabdrücke überprüft, aber nichts Verwertbares gefunden. Und der Boden ist einfach zu schmutzig, da werde ich wohl keine verwertbare DNA anderer Personen finden.«

»Ist der Blutfleck nicht auch kontaminiert?«, wandte Phil ein.

»Wahrscheinlich schon. Aber wir werden trotzdem mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen können, ob die Spuren von Ellen Murray stammen oder nicht.«

»Wir sind nun wenigstens einen Schritt weiter«, stellte ich fest. »Angenommen, unsere Kollegin wurde niedergeschlagen und durch die Tür dort hinten zum Parkplatz geschafft. Wie ging es dann weiter?«

Phil und ich hatten uns Latexhandschuhe übergezogen, um nicht versehentlich Spuren zu vernichten. Die andere Tür war nicht verschlossen. Wir gingen hindurch, der dahinter liegende Gang führte wirklich zum Parkplatz.

»Von hier aus können die Kidnapper nur nach Norden oder Süden auf dem Beach Boulevard entkommen sein, Phil. In beiden Richtungen gibt es Verkehrsüberwachungskameras.«

»Ja, aber was nützt uns das? Noch wissen wir nicht, in was für einem Wagen Ellen entführt wurde. Es muss kein Van gewesen sein. Man hätte sie auch in den Kofferraum einer geräumigen Limousine stecken können. Vermutlich sind während der Nacht viele hundert Autos von dem Kasino-Parkplatz weggefahren.«

Damit hatte Phil leider recht. Ein Lichtblick für uns war, dass die geringe Blutmenge nicht auf eine ernsthafte Verletzung schließen ließ. Ich ging davon aus, dass unsere Kollegin noch lebte.

Dennoch baten wir die Coast Guard, bei ihren Patrouillenfahrten auch nach Wasserleichen Ausschau zu halten. Wir mussten mit dem Schlimmsten rechnen.

***

Dr. Willson konnte uns wenig später den DNA-Abgleich präsentieren. Das Blut stammte wirklich von Ellen Murray. Natürlich knöpften Phil und ich uns noch einmal Bruce Cole vor. Der Manager hatte damit anscheinend schon gerechnet. Jedenfalls stand sein Anwalt schon in den Startlöchern, als wir Cole aufsuchten.

Ich konfrontierte ihn mit den neuesten Erkenntnissen und fragte: »Wer hatte Zugang zu dem Kesselraum im Versorgungstrakt?«

»Es gibt zwei Zugänge. Zu der NO-ENTRY -Tür haben nur Kasino-Angestellte einen Schlüssel. Ich besitze ebenfalls ein Exemplar«, sagte der Manager. »Durch die Nottreppenhaus-Tür kann hingegen jeder dort hinuntergelangen, der sich im Roulette-Saal 2 befindet. Also auch Gäste.«

»Diese Tür ist nämlich als Brandschutz-Fluchtweg nicht abgeschlossen, wie es die Vorschriften verlangen«, fügte Dr. Russell hämisch hinzu.

Wieder bissen wir bei Cole auf Granit. Momentan konnten wir ihm keine Verstrickung in Ellen Murrays Verschwinden nachweisen. Also brachte es nichts, wenn wir unsere Zeit mit ihm vergeudeten.

Nachdem die Durchsuchung abgeschlossen war, wurden Hotel und Kasino wieder für das Publikum freigegeben. Fortesque setzte seine kriminaltechnischen Untersuchungen in dem Apartment fort, in dem unsere Kollegin unter ihrem Tarnnamen Deborah Perkins gelebt hatte.

Phil und ich blieben natürlich nicht untätig. Wir befassten uns nun mit den drei Ganoven, die Ellen nach und nach im Kasino heimlich fotografiert hatte. Ihre Namen lauteten Mike Lee, Al Rogers und Benny Tashlin.

Phil checkte mit Hilfe seines Notebooks ihre elektronischen Akten in der CJIS-Datenbank.

»Die drei Chorknaben sind alle keine unbeschriebenen Blätter, Jerry. Mike Lee hat wegen bewaffnetem Raubüberfall gesessen, Al Rogers ist mehrfach wegen Körperverletzung vorbestraft. Und Benny Tashlin ist nur einer Haftstrafe entgangen, weil er sich der Beihilfe zur Erpressung schuldig bekannt und einen Totschläger verpfiffen hat.«

Wir beschlossen, uns die Verdächtigen nacheinander zur Brust zu nehmen. Mike Lee war jetzt angeblich als Unternehmensberater tätig. Jedenfalls musste er auf irgendwelchen Wegen zu Wohlstand gekommen sein. Mai-Lin fand sehr schnell heraus, dass er eine Segelyacht besaß.

»Dort kann Mike Lee Ellen natürlich hervorragend gefangen halten«, knurrte Phil. »Besonders, wenn er sich auf hoher See befindet. Da dient dann der Golf von Mexiko als absolut ausbruchsicheres Gefängnis.«

Phil und ich fuhren in dem Ford Interceptor zum Hafen hinunter. Den Liegeplatz der schneeweißen Luxusyacht konnten wir im Handumdrehen in Erfahrung bringen. Die Southern Bombshell war ganz am Ende eines Piers vertäut.

Phil und ich gingen langsam an den übrigen Booten vorbei auf die Yacht des Verdächtigen zu. In unseren dunklen Anzügen fielen wir unter den zahlreichen Seglern im Freizeitlook natürlich auf. Aber wir waren ja nicht undercover unterwegs. Die Zeit drängte, wenn unsere Kollegin wirklich hier festgehalten wurde.

»Wenigstens ist der Kahn noch nicht ausgelaufen«, sagte Phil.

»Ich bin gespannt, ob Lee überhaupt an Bord ist«, erwiderte ich. »Er könnte sich auch in seinem Penthouse an Land aufhalten.«

Wir hatten die Gangway fast erreicht, als eine schemenhafte Gestalt aus der Kajüte auftauchte. Der Mann fluchte und zog sofort den Kopf wieder ein.

»Mr Lee?«, rief ich. »Wir sind vom FBI und wollen …«

Weiter kam ich nicht, denn der Mann erschien nun wieder am Kajütenschott. Er hielt nun eine Waffe in der Hand und schoss sofort. Ich warf mich zur Seite, und die Kugel verfehlte mich.

Die Freizeitkapitäne weiter unten am Pier schrien in Panik auf. Ich konnte nur hoffen, dass sie auf Abstand bleiben würden. Der Schütze war jedenfalls nicht Mike Lee. Das hatte ich bei seinem zweiten Erscheinen gesehen. Aber er konnte keine saubere Weste haben, sonst hätte er nicht auf uns gefeuert.

»Ich gebe dir Deckung!«, rief Phil. Er begann zu schießen, um unseren Widersacher unten zu halten. Ich zog ebenfalls meine Pistole und hetzte geduckt über die Gangway an Bord. Meine Glock hatte ich im Anschlag. Ich sprang auf das Achterdeck, rollte ab und nahm den Kajüteneingang ins Visier.

Dort war niemand mehr zu sehen. Das war nicht gut. Wenn sich der Täter zurückzog und unsere Kollegin als Geisel nahm, konnte die Lage leicht eskalieren. Dem Verdächtigen saß die Waffe locker, das hatten wir ja schon festgestellt.

Nun kam auch Phil an Bord. Er gestikulierte, wollte von vorn in die Kajüte eindringen. Also lief er lautlos an der Reling entlang zum Bug, um dort ein Oberlicht zu öffnen.

Ich versuchte inzwischen, das Kajütenschott zu öffnen. Dafür nahm ich einen Bootshaken zu Hilfe. Wenn ich nämlich direkt vor dem Einstieg erschien, würde ich eine hervorragende Zielscheibe abgeben. Und ich hatte mich nicht getäuscht.

Als ich nämlich das Schott aufdrückte, wurde erneut geschossen. Zwei Männerstimmen waren zu hören, die Kerle schienen zu streiten. Was gesagt wurde, konnte ich nicht verstehen. Ich hätte zu gern gewusst, ob Ellen Murray dort drinnen war.

»Mike Lee? Hier spricht Inspektor Jerry Cotton vom FBI. Die Southern Bombshell ist umstellt. Geben Sie auf und kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!«

Die Antwort bestand aus einem weiteren Schuss. Die Kugel jagte knapp an mir vorbei. Vom Ende des Piers waren die Sirenen von Einsatzfahrzeugen zu hören, die Freizeitkapitäne mussten die Cops alarmiert haben. Doch plötzlich hörte ich in der Kabine ein Poltern, danach ertönte eine wohlbekannte Stimme: »FBI! Waffen weg und flach auf den Boden legen!«

Phil musste durch eine Luke am Bug eingedrungen sein. Ich stieg nun durch das offene Kajütenschott hinab, wobei ich meine Pistole schussbereit hielt.

Ich sah zwei Männer in Freizeitkleidung, die auf dem Boden lagen. Es waren auch großkalibrige Revolver zu sehen. Schnell sammelte ich die Waffen ein. Phil stand breitbeinig über den Verdächtigen und blinzelte mir zu.

»Gute Arbeit, Jerry! Als du die Kerle vorne abgelenkt hast, bin ich durch das Oberlicht hereingekommen. Und als sie sich wieder umdrehten, ließ ich sie in die Mündung meiner Glock schauen.«

Auch ich war froh, den Kampf unblutig beenden zu können. Allerdings war nirgendwo eine Spur von Ellen Murray zu sehen. Wir legten Mike Lee und seinem Kumpan Handschellen an. Der Mann, der auf mich gefeuert hatte, nannte seinen Namen nicht und verweigerte jede Aussage.

Mit den inzwischen eingetroffenen Cops durchsuchten wir die Yacht vom Bug bis zum Heck. Schnell zeigte sich, dass hier niemand gefangen gehalten wurde. Stattdessen fand ich in Mike Lees Smartphone aufschlussreiche Informationen.

»Interessieren Sie sich für Juwelen, Mr Lee? Sie haben hier eine Menge Fotos von Archibald’s Jewelry gemacht. Und hier ist eine Liste mit den Arbeitszeiten der Angestellten und was für Autos sie fahren.«

»Hätte dieser dämliche Diego nicht die Nerven verloren, wäre die Sache glattgegangen«, murmelte Mike Lee niedergeschlagen. Sein Freund warf ihm einen hasserfüllten Blick zu.

Aufgrund der Fingerabdrücke konnten wir den Komplizen später als Diego Galvano identifizieren. Er war ein Kleinganove, der bisher nur durch Handtaschendiebstähle und das Ausplündern von Betrunkenen aufgefallen war. Mike Lee hatte ihn offenbar als Helfer für seinen nächsten Raubüberfall gewinnen wollen.

Es war Lees Pech gewesen, dass Diego Galvano beim Anblick von Phil und mir sofort das Feuer eröffnet hatte. Ob die beiden Kriminellen in Geldwäschegeschäfte verstrickt waren, würde Concita gewiss früher oder später herausfinden.

***

Für die Nacht von Ellen Murrays Verschwinden hatten Mike Lee und Diego Galvano wasserdichte Alibis. Es stellte sich heraus, dass sie in einem anderen Spielkasino gewesen waren, was durch Aufnahmen der dortigen Überwachungskameras nachgewiesen werden konnte.

Die Ganoven hatten offenbar wirklich einen Raubüberfall geplant, waren aber an dem Kidnapping unserer Kollegin nicht beteiligt. Doch bevor wir uns auf den nächsten Verdächtigen stürzen konnten, erreichte mich ein Anruf von Fortesque.

»Jerry, ich habe jetzt in der Wohnung unserer Kollegin mit der Durchsuchung begonnen. Dabei habe ich ein interessantes Beweisstück gefunden. Möchten Sie gleich mal einen Blick darauf werfen?«

Phil und ich fuhren sofort los, nachdem wir die Verhöre mit den beiden Verhafteten beendet hatten. Sie würden sich wegen des Angriffs auf Bundesbeamte im Dienst verantworten müssen. Ob man ihnen auch die Planung eines Raubüberfalls lückenlos nachweisen konnte, musste später ein Gericht entscheiden.

Wir fuhren zur Woodfield Lane, wo Ellen Murray unter dem Namen Deborah Perkins ein kleines möbliertes Apartment gemietet hatte. Dort erwartete uns Fortesque bereits. Er zeigte Phil und mir eine Beweismitteltüte, in der sich eine Visitenkarte befand. Darauf stand: Henry Bennett, Privatdetektiv.

Außerdem eine Adresse in Biloxi sowie eine Telefonnummer und eine E-Mail-Adresse.

Phil legte die Stirn in Falten. »Weshalb sollte eine FBI-Agentin Kontakt zu einem Privatschnüffler aufnehmen?«

»Sie sind die Ermittler, diese Frage müssen Sie selbst beantworten«, antwortete unser britisch-stämmiger Spezialist. »Ich habe das Beweismittel erst einmal nur entdeckt.«

Er war offensichtlich sehr stolz auf seinen Fund. Ich machte mit meinem Smartphone ein Foto der Karte. Fortesque wollte sie kriminaltechnisch untersuchen. Phil und ich fuhren zur Lewis Avenue, wo sich das Büro des Privatdetektivs befand.

Er hatte ein Büro in einem schäbigen Gewerbegebäude gemietet. Durch die Nähe zur Keesler Air Force Base herrschte hier eine ständige Geräuschkulisse durch Fluglärm. In der zweiten Etage befanden sich außer Henry Bennett noch ein Masseur, ein Steuerberater und ein Spanisch-Übersetzer.

Bennetts Büro war nicht abgeschlossen, wie ich beim Drehen des Türknopfs feststellte. Ich warf einen Blick hinein. Es war unaufgeräumt, sah aber nicht so aus, als ob jemand es durchwühlt hätte. Versteckmöglichkeiten bot es nicht. Ich schloss die Tür wieder.

Der Masseur nebenan war anwesend. Er hieß Ali Raschid und hoffte offenbar auf neue Kunden. Sein Lächeln erstarb auch nicht, als wir unsere Dienstmarken zeigten.

»FBI? Das ist gewiss ein stressiger und verantwortungsvoller Job, da sind Verspannungen vorprogrammiert. Welcher der beiden Gentleman möchte denn als Erster durchgeknetet werden?«

»Ein anderes Mal vielleicht«, gab ich zurück. »Wir suchen Ihren Nachbarn Henry Bennett. Wissen Sie, wo wir ihn um diese Uhrzeit finden können?«

»Den Privatschnüffler?« Der Masseur hob seine runden Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Vielleicht ist er bei einem Pfandleiher, um seine Uhr zu versetzen. Oder er versteckt sich vor dem Vermieter, weil er seit ein paar Monaten mit der Büromiete im Rückstand ist.«

»Die Detektei läuft also nicht gut?«

Ali Raschid beantwortete meine Frage mit einem Nicken.

»Das stimmt, aber Henry Bennett ist ein Blender. Der fällt immer wieder auf die Füße. Ich bin auch schon mal auf ihn reingefallen und habe ihm 50 Dollar geliehen. Das Geld werde ich wahrscheinlich nie wiedersehen.«

Ich zeigte dem Masseur ein Foto von Ellen Murray.

»Haben Sie diese Frau schon einmal in Begleitung von Henry Bennett gesehen?«

Ali Raschid bekam große Augen und stieß einen Pfiff aus.

»Nein, daran könnte ich mich erinnern. Das ist ja ein Model, oder? Die spielt in einer anderen Liga, würde ich meinen. Solche Frauen würde Henry Bennett bestimmt gerne kennenlernen, denn er ist ein Weiberheld. Aber bisher war er immer nur mit billigen Flittchen unterwegs. Jedenfalls soweit ich weiß.«

»Die Lady ist kein Model, sondern FBI-Agentin. Sie ist verschwunden. Haben Sie diese Frau eventuell allein gesehen, hier in der Nachbarschaft vielleicht?«

Ali Raschids Augen wurden noch größer.

»FBI-Agentin? Mann, FBI-Agent müsste man sein … Nein, an so eine hübsche Lady könnte ich mich bestimmt erinnern.«

Der Zeuge kam mir glaubhaft vor. Wir bedankten uns bei ihm und befragten auch den Steuerberater und den Übersetzer. Sie hatten eine ähnliche Meinung über Henry Bennett wie der Masseur.

»Der Privatdetektiv ist also ein Windhund, der ständig von der Pleite bedroht ist«, fasste Phil zusammen. »Was hatte dieser Kerl mit unserer Kollegin zu schaffen? Ob er an ihrer Entführung beteiligt ist?«

»Mit dieser Möglichkeit müssen wir rechnen«, gab ich zurück. »Wir werden jetzt zu seinem Apartment fahren. Vielleicht ist er ja dort.«

Auch Bennetts Privatadresse stand auf der Visitenkarte. Er wohnte 1200 West Drive, nur ein paar Blocks von seinem Büro entfernt. Auch diese Gegend wirkte nicht sehr vertrauenerweckend. Einige Häuser waren nach dem letzten Hurrikan noch nicht wieder aufgebaut worden, deshalb erinnerte mich die Straße an ein Kriegsgebiet.

Ein Nachbar verriet uns, dass der Privatdetektiv in Apartment 3C lebte. Ich klopfte dort an.

»Henry Bennett? Hier ist das FBI. Machen Sie auf, wir wollen mit Ihnen reden!«

Hinter der Tür herrschte Totenstille, nur aus weiter entfernt liegenden Wohnungen waren Fernsehgeräusche und Babyweinen zu hören. Wir mussten damit rechnen, dass Ellen Murray dort drin gefangen gehalten wurde. Aber wir konnten die Tür nicht einfach aufbrechen, dafür waren die Verdachtsmomente einfach zu dürftig.

»Vielleicht wurde die Kollegin ja von Nachbarn gesehen, Jerry. Lass uns das mal checken.«

Phils Vorschlag war gut. Nachdem wir an drei Apartmenttüren vergeblich geklopft hatten, öffnete uns ein alter Mann mit Marines-Tattoo auf dem linken Unterarm. Er nickte, als er unsere Dienstmarken sah.

»Was kann ich für Sie tun? Ich bin hier der Hausmeister.«

»Wissen Sie, ob Henry Bennett zu Hause ist? Oder ob diese Frau in seiner Begleitung war?«

Erneut zeigte ich das Foto von Ellen Murray. Der Alte schüttelte den Kopf.

»Die Lady habe ich noch nie gesehen. Aber wenn Sie den Strolch irgendwie verdächtigen, kann ich Ihnen gern seine Tür aufschließen. Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie oder die Cops ihn mal einbuchten würden.«

»Hat er sich etwas zuschulden kommen lassen?«, fragte Phil. Der Hausmeister zeigte auf sein rechtes Auge.

»Sohn, ich erkenne einen Ganoven, wenn ich ihn sehe. Und dieser Bennett ist kein ehrlicher Mann, das sagt mir mein Gefühl. Wäre es nach mir gegangen, dann hätte der Hausbesitzer ihm niemals das Apartment vermietet.«

Mit diesen Worten verließ der Hausmeister seine eigene Wohnung und schlurfte auf das Apartment des Verdächtigen zu. Phil und ich waren angespannt, zogen sicherheitshalber unsere Pistolen. Hinter der Tür war allerdings immer noch kein Laut zu hören. Nachdem der Hausmeister aufgeschlossen hatte, hielt ich ihn zurück.

»Wir gehen besser zuerst hinein, Sir.«

Der Alte brummte, dass er kein verdammter Feigling sei. Phil und ich brauchten keine Minute, um die Behausung zu checken. Es sah dort noch chaotischer aus als in dem Büro. Halbleere Whiskeyflaschen standen herum, auf dem Sofa türmten sich Zeitungen, Unterwäsche lag auf dem Boden. Aber weder im Wohnraum noch im Bad war jemand. Und es deutete nichts darauf hin, dass Henry Bennett in letzter Zeit weiblichen Besuch gehabt hatte.

Der Hausmeister steckte seinen Kopf durch die offen stehende Tür.

»Was für ein Saustall!«

»Wann haben Sie Henry Bennett das letzte Mal gesehen, Sir?«

Der Alte kratzte sich nachdenklich am Kopf.

»Gestern oder vorgestern. Da ist er schnell an mir vorbeigerannt. Wahrscheinlich ist er wieder mit der Miete im Rückstand.«

Er schloss wieder ab, nachdem wir das Apartment verlassen hatten. Ich gab dem Hausmeister meine Karte.

»Rufen Sie mich bitte an, sobald Sie Henry Bennett sehen? Wir müssen dringend mit ihm sprechen.«

Der Alte grüßte militärisch. »Wird gemacht.«

Dann verriet er uns noch, dass Bennett einen alten hellblauen Chevy fuhr. Das war ein guter Hinweis, nach dem Auto konnten wir fahnden lassen. Als wir wieder in unserem Ford Interceptor saßen, checkte Phil zunächst die KFZ-Zulassung und dann mögliche Einträge in der CJIS-Datenbank.

»Ein blauer Chevrolet Chevelle Malibu ist wirklich auf den Privatschnüffler zugelassen. Und vorbestraft ist er nicht. Also ist er entweder ein Unschuldslamm oder hat sich nie erwischen lassen.«

»Mit einer Vorstrafe hätte Bennett keine Lizenz als Detektiv gekriegt«, erwiderte ich. Da klingelte Phils Smartphone. Er nahm das Gespräch an und schaltete den Lautsprecher ein.

»Hier spricht Officer Lawrence aus der Polizeizentrale Biloxi. Inspektor Decker, Sie wollten doch über alle Einsätze informiert werden, die mit dem Cuba Casino zusammenhängen?«

»Das stimmt, Officer.«

»Es hat dort soeben ein Tötungsdelikt gegeben. Schusswaffengebrauch, ein Opfer. Einheiten von uns sind bereits vor Ort, über den oder die Täter liegt mir noch nichts vor.«

»Was ist mit dem Opfer? Konnte es schon identifiziert werden?«

»Ja, die erschossene Person trug ihren Führerschein bei sich. Es handelt sich um einen Weißen Mitte vierzig. Sein Name lautet Henry Bennett.«

»Danke, Officer. Wir fahren sofort zum Cuba Casino .«

Mit diesen Worten beendete Phil das Telefonat. Mein Pulsschlag beschleunigte sich. Die Schüsse waren erst vor kurzer Zeit gefallen. Dadurch erhöhte sich unsere Chance, die Täter möglichst bald zu fassen. Ich schaltete die Sirene und das rot-blaue Blinklicht hinter dem Kühlergrill ein. So schnell wie möglich raste ich Richtung Beach Boulevard.

»Was hat das zu bedeuten, Jerry?«, rief Phil. »Sollte da ein unliebsamer Mitwisser ausgeschaltet werden?«

Die Frage konnte ich auch nicht beantworten. Noch lag die Beziehung zwischen unserer Kollegin und Henry Bennett völlig im Dunklen. Aber es musste einen Grund dafür geben, dass Ellen Murray die Visitenkarte des Privatdetektivs gehabt hatte. Ich glaube nicht an Zufälle.

***

Vor dem Spielkasino drängte sich eine Menge von Neugierigen, die von uniformierten Cops und den Kasino-Securitys nur mühsam zurückgehalten werden konnten. Die Leute filmten teilweise mit ihren Handys, es war widerlich. Auf dem Gehweg waren große Blutflecken zu sehen. Die Leiche hatte man offenbar mit einer Plane abgedeckt. Nur ein Unterarm schaute darunter hervor.

Ich hatte hinter einem Streifenwagen geparkt. Phil und ich befestigten unsere Dienstmarken am Revers und bahnten uns einen Weg zwischen den Neugierigen hindurch. Ein Cop hob für uns das Trassierband, das er soeben quer über den Bürgersteig spannte.

»Wer hat hier das Kommando?«, fragte ich. Der Uniformierte deutete auf einen Mann und eine Frau in Zivil. Wir gingen zu ihnen hinüber und nannten unsere Namen. Sie stellten sich uns als Detective Don Bartlett und Detective Luisa Fernandez vor. Sie arbeiteten bei der Homicide Squad des Biloxi Police Department.

Bartlett war ein schwerer Mann mit eisengrauem Bürstenschnitt, seine Dienstpartnerin hätte vom Alter her seine Tochter sein können. Detective Fernandez war eine hübsche Latina in einem dunklen Hosenanzug und mit sehr ausdrucksvollen Augen. Ich bat die Zivil-Cops um die Fakten. Detective Bartlett blickte auf seinen Notizblock.

»Vor 27 Minuten gingen mehrere Notrufe in unserer Zentrale ein. Die Anrufer sagten übereinstimmend aus, dass vor dem Cuba Casino Schüsse gefallen seien. Ein Streifenwagen war innerhalb von fünf Minuten vor Ort. Es gab ein Opfer, für das jede Hilfe zu spät kam. Die Person heißt Henry Bennett.«

»Er wurde aufgrund seines Führerscheins identifiziert?«, vergewisserte ich mich. Bartlett nickte.

»Das auch, Inspektor Cotton. Aber mir war Bennett auch persönlich bekannt. Er nannte sich Privatdetektiv.«

Der abfällige Ton des Zivil-Cops entging mir nicht.

»Das klingt, als hätten Sie keine gute Meinung von Bennett gehabt, Detective.«

»Man soll über Tote nichts Schlechtes sagen. Und ich gehöre auch nicht zu den Cops, die Privatdetektive als lästige Konkurrenz ansehen. Aber Bennett war ein schmieriger kleiner Kerl, der gerne in Mülltonnen wühlte oder durch Motelzimmer-Fenster spähte. Ich hatte ihn im Verdacht, weniger Privatermittler als vielmehr Erpresser zu sein. Aber beweisen konnten wir ihm nie etwas.«

Ich kam auf den heutigen Fall zurück.

»Konnten Sie zu den Schüssen schon etwas ermitteln? Gibt es Zeugen?«

Luisa Fernandez ergriff nun das Wort.

»Ja, das sieht sehr gut aus. Wir haben zwei direkte Tatzeugen. Sie sitzen hier im Streifenwagen.«

Der weibliche Detective führte uns zu einem Einsatzfahrzeug, auf dessen Rücksitz zwei sehr unterschiedlich aussehende Menschen warteten. Ein baumlanger junger Schwarzer mit Baseballkappe spielte nervös mit seinem Smartphone. Neben ihm saß eine ältere weiße Lady in einem Kunstfaserkleid, die ihren Kopf mit einem breitkrempigen Strohhut vor der Mississippi-Sonne schützte. Auch sie wirkte unruhig, was mich nicht wunderte. Schließlich hatte sich vor ihren Augen eine Bluttat abgespielt.

Ich nannte meinen Namen und wandte mich zuerst an die Frau.

»Können Sie uns mitteilen, was Sie gesehen haben, Ma’am?«

Sie nickte und schluckte, dann begann sie zu sprechen.

»Ich wollte gerade ins Kasino gehen, zum ersten Mal in meinem Leben. Ich mache Urlaub in Biloxi und habe noch nie Roulette gespielt. Jedenfalls kommt plötzlich ein Motorrad quer über den Bürgersteig geprescht. Im nächsten Moment schießt einer der Männer auf den Gentleman, der sofort blutüberströmt zusammenbricht.«

Die Touristin deutete mit zitternder Hand auf die sterblichen Überreste von Henry Bennett unter der Plane.

»Die Männer, sagen Sie? Dann gab es also mehrere Täter?«

»Ja, auf dem Motorrad saßen zwei Leute. Der Fahrer hatte beide Hände am Lenker, aber der Mann hinter ihm schoss mit einer Pistole.«

»Mit einem Revolver«, berichtigte der junge Schwarze. »Das war ein Revolver, Grandma. Pistolen haben keine Trommel.«

»Damit kenne ich mich nicht aus«, murmelte die Zeugin. Ich sprach nun den Jungen an.

»Sie waren offenbar nahe genug am Geschehen, um den Unterschied zwischen einer Pistole und einem Revolver zu sehen.«

»Darauf können Sie wetten! Diese beiden Irren hatten es eindeutig auf den schäbigen Weißen abgesehen. Im ersten Moment dachte ich, das wären so irre Amokläufer. Typen, die wahllos Leute abknallen. Dann hätten Grandma und ich als Nächste dran glauben müssen. Aber so war das nicht. Die Kerle bliesen dem armen Teufel das Lebenslicht aus, dann hauten sie wieder ab. Und sie kamen mir so nahe, dass sie mir beinahe über die Zehen gefahren wären.«

»Dann konnten Sie also Details erkennen?«

»Noch viel besser, Mann. Ich habe die Dreckskerle gefilmt.«

Stolz präsentierte mir der junge Schwarze sein Smartphone. Er zeigte mir das Video. Es war nur wenige Sekunden lang, trotzdem enthielt es wichtige Informationen. Die beiden Personen auf dem Bike trugen Helme und Lederjacken. Man konnte ihre Gesichter nicht sehen, aber für einen Moment war die Hand des Schützen mit dem Revolver zu erkennen.

»Der Hautfarbe nach zu urteilen ist der Täter ein Latino oder ein Weißer mit tief gebräunter Haut«, sagte ich. »Und das Motorrad wird sich leicht identifizieren lassen.«

Ich gab dem Zeugen meine Mobilnummer, damit er den Film auf mein Smartphone überspielen konnte. Dann schickte ich das Video an Mai-Lin weiter und bat sie, die Fahndung nach dem Bike und den beiden Killern einzuleiten.

***

Während der nächsten Stunde rekonstruierten wir die Ereignisse unmittelbar vor dem Mord. Henry Bennett hatte im Cuba Casino gespielt und sogar einen kleinen Gewinn gemacht. Jedenfalls waren ihm an der Kasse 300 Dollar ausgezahlt worden. Es gab mehrere Gäste, die ihn am Roulettetisch gesehen hatten.

Natürlich befragten wir auch noch einmal den Manager. Bruce Cole behauptete, den Privatdetektiv noch niemals zuvor gesehen zu haben. Ich konnte diesmal unmöglich einschätzen, ob er log oder nicht.

Inzwischen trafen auch die Leute des Coroners ein. Die sterblichen Überreste von Henry Bennett wurden nach Jacksonville geschafft, wo es eine Pathologie gab. Ich sorgte dafür, dass Willson den Leichnam so bald wie möglich obduzieren konnte.

Verwandte oder enge Freunde hatte der Privatdetektiv nicht gehabt, wie sich bald herausstellte.

»In dem Job macht man sich leicht unbeliebt«, stellte Phil fest. »Es gibt viele Täter, die einen Privatdetektiv lieber tot als lebendig sehen. Dennoch sollten wir davon ausgehen, dass Bennetts Ermordung mit dem Verschwinden von Ellen Murray zusammenhängt.«

Das war auch meine Meinung. Aber außer Bruce Cole hatten wir immer noch keinen Hauptverdächtigen. Wir verabschiedeten uns von Don Bartlett und Luisa Fernandez, nachdem wir gemeinsam noch weitere Zeugen befragt hatten. Aber wir erfuhren keine weiteren Details.

Während des Nachmittags wurde das Motorrad von einer Streifenwagenbesatzung vor einem mexikanischen Imbiss in Strandnähe entdeckt. Die Maschine war schon am Morgen in Gulfport als gestohlen gemeldet worden. Eine Sofortfahndung in der Nähe des Diners brachte nichts, weil wir ja die Gesichter der Täter nicht kannten. Allerdings wollte Fortesque das Bike später auf mögliche DNA-Spuren hin untersuchen.

Phil und ich fahndeten nach einem weiteren Verdächtigen, den unsere Kollegin während ihres Undercover-Einsatzes heimlich fotografiert hatte. Al Rogers konnten wir schnell von unserer Liste streichen. Es stellte sich heraus, dass er schon seit Wochen in New Orleans in Untersuchungshaft saß, wegen eines Drogendelikts. Er konnte also an der Entführung nicht beteiligt gewesen sein.

Es blieb noch Benny Tashlin übrig. Er war wie vom Erdboden verschwunden, schien sich nicht mehr in Biloxi und Umgebung aufzuhalten. Ich bat Mai-Lin, im Internet nach Hinweisen auf den Verdächtigen zu suchen. Außerdem fragte ich sie und Concita, ob es schon neue Informationen gäbe.

»Über Bruce Cole nicht, über Henry Bennett schon«, sagte die Finanzexpertin. »Der Privatdetektiv ist arm wie eine Kirchenmaus. Auf seinen Konten herrscht Ebbe. Es wundert mich nicht, dass er seine Büromiete schon länger nicht mehr zahlen konnte, Jerry. Das hatten Sie mir ja berichtet.«

»Trotzdem könnte Bennett aber ein erfolgreicher Erpresser gewesen sein«, meinte Phil. »Solche Einnahmen lassen sich die Ganoven ja nicht auf ihr Bankkonto überweisen. Hatte Bennett vielleicht noch Geldreserven im Ausland?«

»Das weiß ich noch nicht, aber morgen bin ich möglicherweise schlauer«, gab Concita zurück. Nun meldete sich Mai-Lin zu Wort.

»Ich konnte exakt 322 Fahrzeuge ermitteln, die während des Zeitfensters einer möglichen Entführung den Kasino-Parkplatz verlassen haben. Wenn wir eine einfache Wahrscheinlichkeitsrechnung zugrunde legen und die Halter dieser Fahrzeuge überprüfen …«

Bevor die Informatikerin mit ihren umständlichen Erklärungen fortfahren konnte, klingelte mein Smartphone. Ich schaltete den Lautsprecher ein, damit alle mithören konnten.

»Inspektor Cotton hier.«

»Agent Robert Dunn. Inspektor, Bruce Cole hat sich soeben durch einen Notausgang fortgeschlichen. Er verlässt das Kasino, ohne seinen eigenen Wagen zu benutzen. Cole winkt sich ein Taxi heran. Offensichtlich will er verschleiern, dass er sich nicht mehr im Cuba Casino aufhält.«

»Hat er Sie bemerkt?«

»Dafür gibt es keine Anzeichen. Das Taxi fährt jetzt Richtung Hafen, wir beschatten den Manager weiter.«

»Gute Arbeit, Agent Dunn. Halten Sie den Kontakt, wir kommen zu Ihnen.«

Ich beendete das Telefonat. Phil nickte grimmig.

»Sehr schön. Ich bin sehr gespannt darauf, was der saubere Kasinomanager für Heimlichkeiten hat.«

***

Phil blieb in ständiger Verbindung mit Agent Robert Dunn. Wir kannten uns in Biloxi nicht aus, aber das Navi wies uns den Weg. Schnell konnte ich die Distanz zu unseren Kollegen verkürzen, sodass wir schon bald die Rücklichter ihres Dienstfahrzeugs vor uns erblickten.

Wir fuhren auf dem Back Bay Boulevard, als der junge Kollege sich erneut meldete.

»Der Verdächtige hat das Taxi gewechselt. Er scheint es darauf anzulegen, Verfolger abzuschütteln.«

»Hat Cole Sie bemerkt?«

»Nein, Inspektor Decker. Das glaube ich nicht. Seine Körpersprache zeigt Anspannung, aber keine große Nervosität. Es wird sich zeigen, welches Fahrtziel er nun ansteuert.«

Das Telefonat wurde beendet.

»Wenn Cole Lunte gerochen hat, dann wird er jetzt entweder nach Hause oder zu einem möglichst unverfänglichen Ort fahren«, sagte ich. Phil nickte. Doch es sah nicht so aus, als ob das Beschattungsteam bemerkt worden wäre.

Das Taxi bewegte sich durch öde Gewerbegebiete am Hafen, wo nach Einbruch der Dunkelheit kaum noch Menschen unterwegs waren. Wir kamen an einem großen Containerplatz vorbei. Der Name der Straße lautete Oak Street. Das Licht von Peitschenlaternen fiel auf verödete Parkplätze und Lagerschuppen. Robert Dunn und Jodie Finnegan mussten sich zurückfallen lassen, um von dem Taxifahrer und dem Manager nicht bemerkt zu werden. Wir fuhren nun unmittelbar hinter ihnen.

Dann stoppten wir, denn nun hatte auch das Taxi angehalten. Cole stieg aus, daraufhin wendete das Taxi und fuhr gleich darauf an uns vorbei Richtung Beach Boulevard.

Der Kasinomanager schaute sich verstohlen um. Wir hatten unsere Scheinwerfer ausgeschaltet.

Jedenfalls klopfte er gleich darauf an eine Stahltür. Diese wurde einen Spaltbreit geöffnet, und der Manager schlüpfte in den fensterlosen Hafenschuppen. Das Gebäude befand sich nur einen Steinwurf weit von der Wasserlinie entfernt.

Hinter dem Schuppen war eine Mole mit einem daran vertäuten Motorboot. Es war viel kleiner als die Yacht, auf der wir Mike Lee und seinen Komplizen festgenommen hatten. Aber auch auf diesem Boot konnte man Ellen Murray außer Landes bringen.

Phil und ich hatten den Wagen verlassen, genau wie Robert Dunn und Jodie Finnegan. Wir beratschlagten kurz mit den Kollegen.

»Wir haben keine Wärmebildkamera dabei«, sagte der junge Agent. »Das Gebäude hat keine Fenster. Es lässt sich unmöglich sagen, wie viele Menschen sich darin befinden.«

»Und die Stahltür sieht massiv aus«, ergänzte seine Dienstpartnerin. »Ohne Stahlramme oder Spezialfräse kriegen wir die nicht auf.«

Ich deutete auf die Längsseite des Lagerschuppens.

»Dort ist eine Verladerampe mit Schiebetür. Die hat erfahrungsgemäß nur ein einfaches Schloss. Dort können wir eindringen. Dass das Gebäude keine Fenster hat, ist für uns auch von Vorteil. Dann sehen nämlich Cole und seine Komplizen nicht, wenn wir uns nähern. Es sei denn, sie haben Überwachungskameras.«

Aber wir konnten keine Sicherheitstechnik entdecken, als wir uns wenig später dem Schuppen näherten. Natürlich hätten wir weitere Verstärkung anfordern können, aber ich wollte nicht warten. Falls sich unsere Kollegin wirklich in dem Gebäude befand, mussten wir sie umgehend befreien.

Ich erreichte die Rampe, drückte meinen Rücken gegen die Wand. Lauschend konnte ich verschiedene Männerstimmen in dem Lagerhaus unterscheiden. Aber was sie sagten, war nicht zu verstehen. Der Tonfall deutete auf einen Streit hin. Es mussten sich mindestens drei Männer dort aufhalten.

Phil und ich hatten die Laderampe auf der südlichen Seite erklommen, Robert Dunn und Jodie Finnegan auf der nördlichen. Genau wie wir hatten unsere jungen Kollegen ihre Pistolen gezogen.

Ich hatte die schwere Schiebetür erreicht. Sie war mindestens dreißig Jahre alt, genau wie das dazugehörige Schloss. Wahrscheinlich konnte ich den Schließmechanismus mit einem gezielten Schuss zerstören. Aber noch hatten wir keinen Hinweis, dass dort drin etwas Illegales geschah. Wenn wir Cole jetzt überrumpelten und ihm kein Verbrechen nachweisen konnten, war er gewarnt. Und dann sah ich schwarz für unsere gekidnappte Kollegin.

Doch im nächsten Moment ertönte aus dem Inneren des Lagerhauses ein gellender Schrei aus weiblicher Kehle.

Nun mussten wir handeln.

»Zur Seite!«, rief ich. Während Phil und die beiden einheimischen Agents zurücktraten, richtete ich meine Dienstwaffe auf das Türschloss. Ich drückte ab, und die Kugel schlug in das Metall. Nun konnte ich die schwergängige Tür ein Stück weit aufschieben. Gemeinsam mit Phil, Jodie Finnegan und Robert Dunn stürmte ich hinein.

Ich erblickte eine Latina, die nur mit Slip und BH bekleidet war. Ihre Hände waren hinter dem Rücken gefesselt. Neben ihr stand ein Latino mit Gelfrisur, der eine Sonnenbrille trug. Er richtete sofort seinen Revolver auf mich.

»FBI! Waffe weg!«

Mein Befehl wurde nicht befolgt. Gegenüber dem Latino-Paar sah ich Bruce Cole. Der Kasinomanager starrte mich an, als ob er einen Geist sehen würde.

Die drei waren nicht die einzigen Anwesenden. Es gab noch zwei weitere junge Latinos, die ihre Waffen zogen. Sie wollten sich offensichtlich nicht kampflos ergeben.

Die halbnackte Frau ließ sich geistesgegenwärtig zu Boden fallen, während Gelfrisur auf mich schoss. Die Kugel sirrte knapp an mir vorbei. Ich erwiderte das Feuer. Mein Geschoss traf seine linke Wade.

Er wurde halb um seine eigene Achse gedreht, verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden. Ich eilte zu ihm und nahm ihm die Waffe ab. Der Kerl fluchte wild auf Spanisch, aber das war mir egal.

Die gefesselte Frau schrie erneut auf, denn die Gefahr war noch nicht vorbei. Die übrigen Latinos wollten offenbar nicht kampflos aufgeben. Ich stellte mich schützend vor die Geisel, während sich die Ganoven schießend hinter einige mannshohe Stoffballen zurückzogen. Phil und Robert Dunn hielten dagegen. Auch ich schoss noch einmal, konnte aber aus meiner Position die Männer nur in Deckung halten.

Gelfrisur schrie ihnen auf Spanisch etwas zu, er schien der Boss zu sein. Da fiel mir plötzlich etwas anderes auf. Wo war Jodie Finnegan geblieben?

Die Frage beantwortete sich von selbst, denn in dem Moment hörten wir die helle Stimme der jungen Kollegin hinter den Stoffballen. Sie hatte offenbar einen Haken geschlagen und die Kerle aus der anderen Richtung angegriffen.

»FBI! Waffen weg! Noch einmal sage ich es nicht!«

Gespannte Stille machte sich breit, aber nur einen Moment lang. Dann hörte ich ein doppeltes metallisches Klirren. Offenbar hatten die Gangster wirklich ihre Pistolen fallen gelassen.

Ich schaute in Coles Richtung – er war verschwunden!