Jerry Cotton Sammelband 53 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 53 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 53: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
3040: Mordgeflüster
3041: Intrigen unter Freunden
3042: Der Tod streckt seine Hand aus
3043: Der falsche Plan
3044: Mord gehört zum Geschäft
Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
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Jerry Cotton
Jerry Cotton Sammelband 53

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben

Für die Originalausgaben:

Copyright © 2015 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2024 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | Milos Kontic

ISBN: 978-3-7517-6508-4

https://www.bastei.de

https://www.sinclair.de

https://www.luebbe.de

https://www.lesejury.de

Jerry Cotton Sammelband 53

Cover

Titel

Impressum

Inhalt

Jerry Cotton 3040

Mord gehört zum guten Ton

Jerry Cotton 3041

Ende einer Lüge

Jerry Cotton 3042

Tödliche Irrwege

Jerry Cotton 3043

Weiße Weste für Betrüger

Jerry Cotton 3044

Abrechnung im Jenseits

Guide

Start Reading

Contents

Mord gehört zum guten Ton

Auf dem Dachboden roch es nach Tod.

Kate Morley begann zu zittern, sobald sie den Speicher betreten hatte. Durch Löcher im undichten Dach fiel Sonnenlicht in den stickigen Raum. Die junge Frau versuchte, tapfer zu sein. Es gab hier nichts Bedrohliches. Sie hatte ein leer stehendes Farmhaus gekauft. Was sollte daran gefährlich sein? Kopfschüttelnd schaute sie den nutzlosen Krempel an. Sie würde das Zeug fortschaffen lassen müssen. Oder gab es hier vielleicht doch noch etwas Wertvolles zu entdecken?

Kate öffnete die Türen eines riesigen alten Kleiderschranks. Entsetzt schrie sie auf. Die junge Frau starrte auf eine mumifizierte Leiche!

»Es geht um einen seit dreißig Jahren ungelösten Fall.«

Mit diesen Worten informierte uns Assistant Director High, nachdem er Phil und mich hatte zu sich rufen lassen. Wir saßen nun mit ihm am Konferenztisch in seinem Büro in Washington. Zuvor hatten wir uns noch schnell an der Espressomaschine im Vorzimmer mit Kaffee versorgt.

Mr High schlug einen Schnellhefter auf.

»Vorgestern fand eine Zeugin namens Kate Morley auf dem Speicher ihres Hauses einen Toten. Sie hat eine ehemalige Farm in der Nähe von Kalamazoo gekauft. Das Anwesen stand seit vielen Jahren leer.«

»Kalamazoo, das liegt doch in der Nähe des Lake Michigan, nicht wahr?«

»Genau, Jerry. Zuständig ist das Field Office in Detroit. Aber SAC Webster hat bereits darum gebeten, dass wir den Fall übernehmen. Er ist momentan mit einer Langzeit-Observierung der Drogenkartelle personell ausgelastet und kann Ihnen nur im Notfall zusätzliche Agents zur Verfügung stellen.«

»Wieso ist dieser Leichenfund überhaupt ein FBI-Fall, Sir?«, fragte Phil. »Kann ausgeschlossen werden, dass es sich um einen Selbstmord oder eine natürliche Todesursache handelt?«

»Nein, Phil. Jedenfalls steht noch nicht fest, wie der Mann ums Leben kam. Aber seine Identität ließ sich schon ermitteln. Es handelt sich um einen gewissen Henry Snyder, der vor dreißig Jahren spurlos verschwand. Damals bestand der Verdacht, Snyder wäre einem Serienmörder zum Opfer gefallen. Aber die Leiche konnte niemals gefunden werden. Bei dem mumifizierten Toten wurde der Ehering des Vermissten entdeckt. Seine Gattin hat damals das Schmuckstück genau beschrieben, in der Fallakte liegt auch ein Foto des Rings.«

»Natürlich könnte das Schmuckstück dem Vermissten auch gestohlen worden sein«, gab ich zu bedenken.

»Ja, das ist möglich. Momentan gehen wir trotzdem davon aus, dass es sich bei dem Leichnam um Snyder handelt. Ich bin sicher, dass Dr. Willson die Identität des Toten zweifelsfrei nachweisen wird.«

»Wurde die Ehefrau schon verständigt, Sir?«

Der Chef schüttelte den Kopf. »Das ist leider nicht mehr möglich. Ich habe erfahren, dass Mary Snyder vor vier Jahren an Krebs starb. Sie war also ihr ganzes Leben lang darüber im Unklaren, was mit ihrem Mann geschehen ist.«

»Eine Beteiligung der Ehefrau an Snyders Tod konnte ausgeschlossen werden? Es war also eindeutig keine Beziehungstat?«

»Die Kollegen, die damals den Fall bearbeiteten, schlossen Mary Snyder als Verdächtige schnell aus. Inwieweit das berechtigt war, müsste noch überprüft werden.«

»Und der Fall liegt bei uns, weil Snyder als Opfer eines Serienkillers gilt?«

»Genau, Jerry. Es gab damals mindestens vier Opfer in drei verschiedenen Bundesstaaten, denen allen das Genick gebrochen wurde. Henry Snyder passte ins Profil. Der Killer ermordete ausschließlich weiße Männer zwischen 40 und 50 Jahren. Jedenfalls trafen diese Eigenschaften auf die bekannten Opfer zu. Ob es noch weitere Tote gab, muss ermittelt werden.«

Phil nickte düster.

»Es gibt zahlreiche aufgegebene Farmen und andere leerstehende Gebäude, nicht nur in Michigan. Ich möchte nicht wissen, wie viele Leichen dort noch versteckt sein könnten. Wurde der Serienkiller damals eigentlich gefasst, Sir?«

»Nein, Phil. Falls es sich wirklich um das Opfer eines Serienmörders handelt, dann ist dieser Täter immer noch auf freiem Fuß.«

***

Zum Abschied versicherte uns Mr High, dass wir jede Unterstützung erhalten konnten, falls es notwendig war. Dorothy Taylor erhob sich hinter ihrem Schreibtisch, als wir aus dem Chefbüro kamen. Die dunkelhäutige elegante Sekretärin schenkte uns ein freundliches, aber distanziertes Lächeln.

»Sie können noch heute nach Kalamazoo fliegen, Up and Away hat die Tickets für Sie und das SR-Team bereits am Airport hinterlegt.«

»Was würden wir nur ohne Sie machen, Dorothy?«, scherzte Phil.

»Vielleicht zu Fuß zum Einsatzort wandern?«, gab die Sekretärin schlagfertig zurück. Wir gingen noch schnell in unser Büro. Da der Flug erst am späten Nachmittag ging, konnten auch Dr. Willson und seine Kollegen pünktlich am Domestic Airport erscheinen. Sie mussten ja erst von Quantico in Virginia aus anreisen, wo sich ihr Labor befand.

»Eine Trockenleiche?«, fragte der Pathologe nach, als ich ihn telefonisch über den neuen Einsatz informierte. »Da kommt man sich ja vor wie im alten Ägypten. Wir sehen uns dann später, Jerry.«

Dr. Willson wollte auch seine Kollegen zusammentrommeln, wie er sich ausdrückte. Sein bärbeißiger Humor half dem sonnengebräunten Texaner dabei, seine manchmal grausige Tätigkeit besser zu bewältigen.

Für den Inlandsflug nach Kalamazoo trafen wir uns am Reagan National Airport. Das ganze SR-Team – Willson, Fortesque, Mai-Lin Cha und Concita Mendez – war pünktlich dort. Die Reisezeit von Washington zu dem kleinen Provinz-Airport betrug fast vier Stunden. Wir hatten also genug Zeit, um uns auf den Fall vorzubereiten.

»Wir können nicht sicher sein, dass es bei den vier bekannten Opfern geblieben ist«, sagte ich, nachdem ich die wichtigsten Informationen genannt hatte. »Wenn der Killer auch Snyder getötet hat, war er das fünfte Opfer. Und es ist möglich, dass wir mit noch mehr Toten rechnen müssen.«

»Snyder hat in Detroit gelebt, die anderen Ermordeten waren aus Chicago, Buffalo und Cincinnati«, stellte Mai-Lin fest. »Und ihre sterblichen Überreste wurden in diesen Städten gefunden. Ist es nicht ungewöhnlich, dass der Killer nun plötzlich eine Leiche mitten auf dem flachen Land ablegt?«

»Nicht unbedingt«, meinte Phil. »Es kann ja sein, dass der Verbrecher umziehen musste, berufsbedingt beispielsweise. Oder ihm wurde in den Städten der Fahndungsdruck zu groß. Er rechnete sich in einer dünn besiedelten Gegend bessere Chancen aus, nicht erwischt zu werden.«

»Und damit könnte der Bastard sogar durchgekommen sein«, knurrte Willson schlecht gelaunt. »Wenn er dazugelernt hat und seine Opfer weiterhin so unauffällig entsorgt, dann ist er womöglich immer noch am Werk.«

»Ich habe schon mit dem Sheriff Department von Hickory Corners gesprochen«, sagte ich. »So heißt das Dorf, auf dessen Gebiet sich die Farm befindet. Der Sheriff hat den Leichnam ins Hospital von Kalamazoo schaffen lassen. Können Sie dort die Obduktion vornehmen, Gerold?«

»Selbstverständlich, Jerry«, gab der Pathologe zurück. Ich nickte und wandte mich an die Informatikerin und die Finanzexpertin.

»Mai-Lin und Concita, Sie checken bitte das Umfeld der Zeugin Kate Morley. Gibt es womöglich Querverbindungen zwischen dieser Frau und dem Opfer, von denen wir noch nichts wissen? Oder ist es reiner Zufall, dass ausgerechnet in ihrem Haus die Leiche gefunden wurde? Was ist mit den Vorbesitzern der Farm? Sind sie verdächtig?«

»Und was soll ich tun?«, fragte Fortesque.

»Sie fürchten wohl, arbeitslos zu werden, alter Teebeutel?«, rief Willson. Aber der gebürtige Engländer ließ sich von dem Scherz genauso wenig irritieren wie ich.

»Ich möchte Sie bitten, das Farmhaus nach Spuren zu durchsuchen. Aber das tun Sie am besten erst morgen bei Tageslicht. Wir werden allerdings heute noch mit der Zeugin Kontakt aufnehmen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Könntest du allein zu Kate Morley fahren, Jerry?«, fragte Phil. »Dann würde ich nämlich währenddessen mit dem Sheriff sprechen. Du weißt ja, wie die Ordnungshüter in solchen kleinen Orten sind. Die hören oftmals das Gras wachsen und wissen über alles bestens Bescheid.«

***

Vor dem Abflug hatte ich kurz Telefonkontakt mit SAC Rick Webster in Detroit. Er wollte uns Dienstfahrzeuge zur Verfügung stellen. Als wir in Kalamazoo landeten, warteten dort bereits zwei junge Agents auf uns. Sie überreichten uns die Zündschlüssel eines Ford Interceptor und eines Chevrolet Tahoe. Nun konnten wir uns vor Ort unabhängig bewegen. Die Kollegen kehrten in einem Mietwagen nach Detroit zurück. Ich wandte mich an Phil.

»Nimmst du bitte meine Reisetasche mit? Dann fahre ich schon mal zu der Zeugin, bevor es zu spät wird. Wir treffen uns dann später im Motel.«

»Wird gemacht, Jerry. Bis dahin werde ich bestimmt auch schon den Sheriff ausgequetscht haben.«

Ich stieg in den Ford und programmierte das Navi. Kalamazoo war schon nicht besonders dicht besiedelt, aber außerhalb der Stadtgrenze fuhr ich bald durch eine ziemlich menschenleere Gegend. Nur dann und wann sah man einige Häuser, die hinter Bäumen versteckt abseits der asphaltierten Straße standen.

Die Landschaft war grün, aber die verfallenen und aufgegebenen Farmen konnte man unmöglich übersehen. Auf dem kurzen Weg zu Ann Morleys Anwesen kam ich an mehreren unbewohnten Gebäuden vorbei.

Ich musste über eine unbefestigte Staubpiste fahren, um zu dem Grundstück zu gelangen. Inzwischen dämmerte es bereits, und die Scheinwerfer meines Ford stachen wie Geisterfinger durch die einsetzende Dunkelheit. Immerhin schien die Zeugin daheim zu sein. Jedenfalls brannten in dem einsam gelegenen Farmhaus einige Lampen. Außerdem war neben dem Gebäude ein SUV geparkt, ein Mitsubishi Outlander.

Ich brachte meinen Wagen ebenfalls zum Stehen und stieg aus. Die Haustür wurde geöffnet, mir trat eine junge Frau entgegen. Ich wunderte mich nicht darüber, dass sie meine Ankunft bemerkt hatte. Das Motorengeräusch des Ford war in dieser stillen Einöde kaum zu überhören gewesen.

Licht fiel durch die offenstehende Haustür auf die Veranda. Daher entging mir der furchtsame Gesichtsausdruck der Frau nicht. Ich hielt meinen FBI-Ausweis hoch.

»Miss Morley? Ich bin Inspektor Jerry Cotton vom FBI. Der Sheriff von Hickory Corners hat mir Ihre Adresse gegeben. Ich komme wegen des Leichenfunds.«

»Ja, ich bin Kate Morley. Kommen Sie doch herein, Inspektor Cotton. Es ist kalt hier draußen.«

Das stimmte. Es war Anfang Oktober, und es wehte ein frischer Ostwind. Man konnte den herannahenden Winter bereits erahnen. Ich folgte der Zeugin ins Haus und schaute sie mir nun näher an.

Kate Morley war eine hübsche blonde Frau von Anfang dreißig. Sie trug Jeans und ein Sweatshirt. Beide Kleidungsstücke waren mit Farbklecksen bedeckt, genau wie ihre Hände und Unterarme. Mitten im Raum stand direkt unter der Deckenlampe eine Staffelei mit einer gerahmten Leinwand darauf.

»Sie sind Kunstmalerin, Miss Morley?«

Sie lächelte stolz. »Ja, das bin ich. Aber ich habe gemerkt, wie sehr mich das hektische Alltagsleben in meiner Heimatstadt Boston am Malen gehindert hat. Also habe ich diese Farm gekauft, um hier in Ruhe meiner Arbeit nachgehen zu können.«

Ob das der einzige Grund für ihren Rückzug in die Einsamkeit war? Ich beschloss, mir diese Frage für später aufzuheben.

»Schildern Sie mir bitte, wie Sie den Toten entdeckt haben.«

Kate Morley deutete auf einen Stuhl an einem rustikalen Holztisch und setzte sich selbst zu mir. Dann begann sie zu erzählen.

»Da gibt es eigentlich nicht viel zu sagen. Ich wollte aufräumen, denn diese Farm stand seit vielen Jahren leer. Die Vorbesitzer haben ihre Möbel und sonstigen Habseligkeiten nicht ausgeräumt. Einiges kann ich gebrauchen, aber viele Dinge sind auch überflüssig. Ich schaute auch auf dem Dachboden nach. Und dort entdecke ich dann den … die Leiche. Ich rief sofort den Notruf an. Wenig später kam dann Sheriff Higgins. Er sorgte dafür, dass der Tote weggeschafft wurde. Und er bat mich darum, den Speicher nicht mehr zu betreten.«

Ich nickte. »Morgen wird ein Kollege von mir sich um mögliche Spuren auf dem Dachboden kümmern. Sagt Ihnen der Name Henry Snyder etwas?«

Ich zeigte Kate Morley ein Bild aus der Vermisstenakte. Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, den Mann habe ich noch nie gesehen. Aber das Foto ist auch nicht neu, oder?«

»Es ist dreißig Jahre alt. Wir vermuten, dass die Leiche von Henry Snyder auf Ihrem Dachboden versteckt wurde.«

Die junge Frau wurde bleich. Sie schüttelte den Kopf. »Das ist schrecklich, aber damit habe ich nichts zu tun. Vor dreißig Jahren war ich noch ein Baby.«

Ich nickte.

»Gibt es eigentlich einen bestimmten Grund, dass Sie ausgerechnet diese aufgegebene Farm gekauft haben?«

Kate Morley zögerte einen Moment, bevor sie antwortete.

»Ja, Inspektor Cotton, den gibt es. Der Immobilienmakler hatte sehr viele ähnliche Objekte im Angebot. Ich habe mich für dieses Haus entschieden, weil es mit Abstand das billigste von allen war. Ich habe nicht viel Geld und dachte mir, dass ich viele Reparaturen selbst machen kann. Ich bin zwar eine Frau, aber handwerklich nicht ungeschickt.«

Das Farmhaus kam mir wie eine Ruine und nicht wie eine bewohnbare Behausung vor. Der Makler hatte sein Glück wahrscheinlich nicht fassen können, als er endlich eine Käuferin für diese Farm gefunden hatte.

»Kennen Sie die Namen der Vorbesitzer?«

»Die Familie heißt Fuller, glaube ich. Das ist eine Erbengemeinschaft. Aber ich weiß nichts über sie, da müssen Sie den Makler fragen.«

»Das werde ich tun, Miss Morley. Ich verabschiede mich nun, aber wir werden Sie in den kommenden Tagen noch öfter stören müssen. Gibt es eigentlich außer Ihrer künstlerischen Entfaltung noch weitere Gründe für Ihren Rückzug in das ländliche Idyll?«

Sie schüttelte heftig den Kopf.

»Nein, Inspektor Cotton. Die gibt es nicht.«

Ich nickte. Aber ich war davon überzeugt, dass Kate Morley mich in diesem Moment anlog.

***

Inzwischen war es stockfinster, aber das Navi dirigierte mich problemlos zu einem Motel in Kalamazoo. Dort hatte die Reiseabteilung Zimmer für uns alle reserviert.

Das Motel war ein schmuckloser Flachdachbau mit langen Reihen von Parkplätzen und überdachten Korridoren. Ich erfuhr an der Rezeption, dass Phil sein Zimmer genau neben meinem hatte. Ich klopfte bei ihm, gleich darauf wurde mir geöffnet.

»Da bist du ja schon, Jerry. Ich hätte wetten können, dass du ausgiebig mit der Zeugin flirtest.«

»Ich heiße ja nicht Phil Decker«, gab ich grinsend zurück. »Aber im Ernst, die Frau hat irgendein Geheimnis. Das sagt mir meine Erfahrung. Ich bin gespannt, was Mai-Lin und Concita über sie herausfinden.«

Phil ging zum Kühlschrank, holte zwei Dosen Budweiser heraus und gab mir eine. Während wir uns das Feierabendbier schmecken ließen, berichtete Phil. »Sheriff Floyd Higgins hat erzählt, dass die Fuller-Farm schon seit langem nicht mehr bewirtschaftet wird. Thomas und Rita Fuller sind gestorben, von den drei Kindern wollte keines das Anwesen übernehmen.«

»Wir müssen checken, ob die Familie womöglich etwas mit den Morden zu tun hat. Gibt es eine Verbindung zu den anderen Opfern? Was tun diese Fuller-Nachfahren heute? Wo leben sie? Aber das hat Zeit bis morgen früh.«

»Ja, und wenn Gerold die Leiche obduziert hat, werden wir vermutlich auch schlauer sein.«

Ich trank noch mein Bier aus, dann sagte ich Phil Gute Nacht und ging hinüber in mein Motelzimmer. Es war kühl dort, denn noch hatte niemand die Heizung angestellt. Ich knipste das Licht an, lockerte meine Krawatte und drehte das Thermostat höher.

In diesem Moment krachte ein Schuss, klirrend zerbrach die Fensterscheibe. Eine Kugel verfehlte mich nur knapp und hackte in die gegenüberliegende Wand.

Ich hieb auf den Lichtschalter, sofort wurde es wieder dunkel im Raum. Draußen zuckte erneut Mündungsfeuer auf. Ich zog meine Glock, presste mich gegen die Wand und spähte vorsichtig aus dem zerschossenen Fenster.

Auch das zweite Geschoss hatte mich verfehlt.

Auf dem Parkplatz sah ich die Umrisse einer Gestalt, die mit einer Waffe in meine Richtung zielte. Ich feuerte auf die Beine der Person. Daraufhin ließ sich der Verdächtige in einen Wagen fallen. Ob er nicht mit Gegenwehr gerechnet hatte? Oder wollte er mich nur einschüchtern und nicht töten?

Jedenfalls trat er das Gaspedal durch und flüchtete. Mit aufheulendem Motor raste er davon. Ich stürmte aus dem Motelzimmer, schoss auf die Hinterreifen. Aber ich verfehlte das Ziel.

Auch Phil hatte seine Tür aufgestoßen, er hielt ebenfalls seine Glock in der Hand. Die SR-Teammitglieder ließen sich ebenfalls sehen.

»Den schnappen wir uns!«, rief ich Phil zu. Wir sprangen in den Ford Interceptor. Ich schaltete Scheinwerfer, Sirene und das rot-blaue Blinklicht hinter dem Kühlergrill ein.

***

Es war nicht schwer, den Fluchtwagen zu entdecken. Das Lakeview Motel lag an der West Main Street, einer großen Ausfallstraße Richtung Highway 131. Dorthin raste nun der Schütze. Er fuhr eine Corvette, das konnte ich im Näherkommen deutlich erkennen. Es gelang mir, die Distanz zu dem Flüchtenden zu verkürzen.

»Ich werde die Highway Patrol alarmieren, dann können wir ihn in die Zange nehmen!«, rief Phil mir zu und griff zum Mikrofon des Funkgeräts. Doch noch bevor er mit den Kollegen Kontakt aufnehmen konnte, riss der Verdächtige plötzlich sein Lenkrad herum.

Falls er wirklich zur Highway-Auffahrt gewollt hatte, änderte er nun seine Meinung. Stattdessen preschte er quer über die Gegenfahrbahn auf das Gelände eines Golfclubs zu.

Der Prairie Golf Club war nachts natürlich geschlossen, aber der Flüchtende durchbrach die Schranke am Haupteingang. Dort gab es Licht von zwei Bogenlampen, während der größte Teil der Anlage im Dunkeln lag. Nun erreichten wir auch den großen Vorplatz. Ich sah ein Stück weit vor mir die Bremsleuchten der Corvette. Ich brachte unser Auto ebenfalls zum Stehen, schaltete die Sirene aus.

Der Fluchtwagen war vor uns in der Dunkelheit verschwunden, aber nun hörten wir das Klappen einer Autotür. Phil und ich hatten unsere Dienstpistolen schussbereit in den Händen.

»FBI! Werfen Sie die Waffe weg!«, rief ich.

Eine Antwort blieb aus. Phil und ich gingen langsam vorwärts, die Glocks im Anschlag. Es dauerte einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Aber bald konnte ich trotz der schlechten Lichtverhältnisse die Umrisse des Wagens vor mir sehen.

Die Corvette stand mitten auf dem Rasen des Golfplatzes. Ich riskierte es, meine Taschenlampe hervorzuziehen und in das Auto zu leuchten. Dort war kein Mensch mehr. Aber ich sah, dass der Täter den Wagen kurzgeschlossen hatte.

Der Schütze war offenbar zu Fuß auf der Flucht. Auf dem weichen Gras konnte er schnell rennen, ohne sich durch Schrittgeräusche zu verraten.

»Wir sollten Verstärkung anfordern, um das Gelände zu umstellen.«

Phil wollte noch mehr sagen, aber nun vernahmen wir, dass in weiterer Entfernung ein Motor angelassen wurde. Wir stürzten zurück zum Dienstwagen. Ich setzte zurück, aber der Vorsprung des Täters war zu groß.

Wenig später bemerkten wir einen zweiten kleinen Parkplatz am Südende des Golfplatzes. Dort war der Verbrecher in einen anderen Wagen gestiegen. Da wir weder eine Beschreibung des Mannes noch eine des Fahrzeugs hatten, war eine Fahndung sinnlos.

Genau genommen wussten wir noch nicht einmal, ob überhaupt ein Mann auf mich geschossen hatte. Bei der kurzen Konfrontation mit dem Schützen waren auch seine Größe, Statur und Hautfarbe unmöglich festzustellen gewesen.

***

Am nächsten Morgen schlossen wir uns mit dem Kalamazoo Police Department und der State Police kurz. Schnell stellte sich heraus, dass die Corvette am Vortag in der Nachbarstadt Battle Creek gestohlen worden war. Weitere Fahrzeuge wurden nicht vermisst.

»Der Attentäter hatte sein eigenes Auto beim Golfplatz geparkt«, stellte ich fest. »Er rechnete von vornherein mit der Möglichkeit, verfolgt zu werden. Auf jeden Fall wollte er seine Spuren verwischen, indem er das Fahrzeug gewechselt hat.«

»Und das ist dem Mistkerl ja auch gelungen«, knurrte Phil. »Es sei denn, dass FGF in der Corvette DNA-Material des Verdächtigen nachweisen kann.«

»Ich will mein Möglichstes tun«, sagte Fortesque. »Allerdings nützt uns das beste Tätergewebe nichts, solange wir keine Vergleichsprobe eines Verdächtigen haben.«

Das war uns natürlich auch klar. Phil und ich saßen mit dem SR-Team in einem Konferenzraum beim Police Department zusammen, um das weitere Vorgehen zu planen. Concita hatte eine Frage.

»Kann es sein, dass Ihnen der Verdächtige schon von der Farm aus gefolgt ist, Jerry?«

»Darüber habe ich ebenfalls nachgedacht. Vor dem Gebäude parkte nur ein einziges Fahrzeug, nämlich Kate Morleys Mitsubishi Outlander. Und der ist nicht hinter mir her gefahren, das wäre mir aufgefallen. Falls allerdings ein anderer Wagen an der Asphaltstraße gewartet hat und genügend Abstand hielt, könnte er von mir unbemerkt geblieben sein.«

»Ich bin gespannt, was Miss Morley sagt, wenn sie von den Schüssen auf dich hört, Jerry.«

»Das geht mir genauso, Phil. Hat der Täter ernsthaft geglaubt, das FBI einschüchtern zu können? Das funktioniert nicht.«

Phil nickte und wandte sich an die Finanzexpertin.

»Konnten Sie schon etwas über die Zeugin herausfinden, Concita?«

»Ja, das war mir möglich. Kate Morley hat wirklich in Boston gelebt, sie führt auch immer noch ein Konto bei einer dortigen Bank. Ihre Einkünfte sind ziemlich bescheiden, sie lebt knapp über der Armutsgrenze. Allerdings hatte sie vor einigen Monaten eine größere Krankenhausrechnung zu begleichen.«

»Worum drehte es sich dabei?«

»Das ging aus den Kreditkartenabrechnungen nicht hervor, Jerry. Kate Morley hatte noch ein paar tausend Dollar gespart, aber davon hat sie offenbar ihr Farmhaus angezahlt.«

»Das passt doch nicht zusammen«, sagte ich. »Einerseits kauft sie sich diese billige Bruchbude mitten im Nirgendwo, andererseits fährt sie einen fast neuen SUV. Woher hat sie das Geld für einen solchen Wagen?«

»Noch eine weitere Frage, die wir ihr stellen können«, sagte Phil. Er schaute nun unsere chinesischstämmige Informatikerin an. »Konnten Sie etwas über die Vorbesitzer der Farm herausfinden?«

»Die Eheleute starben vor dreißig Jahren, und zwar ziemlich kurz hintereinander«, erklärte Mai-Lin. »Thomas Fuller kam bei einem Autounfall ums Leben, seine Frau Rita erlag einer Lungenentzündung. Die drei Kinder waren damals noch klein, sie kamen zu verschiedenen Pflegefamilien. Ich versuche mit Hilfe der Sozialbehörden, ihren momentanen Aufenthaltsort zu ermitteln.«

»Tun Sie das, womöglich können sich die Kinder noch an Einzelheiten von damals erinnern. Falls Henry Snyder wirklich dem Serienkiller zum Opfer fiel, dann wurde sein Leichnam womöglich schon kurz nach dem Auszug der Familie in dem Farmhaus versteckt.«

»Ich bin sicher, dass der texanische Kuhschwanz uns schon bald ein Obduktionsergebnis präsentieren wird«, sagte Fortesque. Willson fehlte nämlich bei unserer Besprechung, weil er bereits im Krankenhaus mit der Leichenöffnung begonnen hatte.

»Wir alle haben ja die alten Ermittlungsakten zu der ungeklärten Mordserie gelesen«, stellte ich fest. »Hauptverdächtiger war damals ein gewisser Steven Wright, dem aber nichts nachgewiesen werden konnte. Die Kriminaltechnik war noch nicht auf dem heutigen Stand, und es gab keine zuverlässigen Zeugen. Der Fall ist also nach wie vor ungelöst. Konnten Sie herausfinden, was aus Steven Wright geworden ist, Mai-Lin?«

Die zierliche Kollegin nickte. »Ja, er lebt heute im Altersheim Atlantic Place in Jersey City, New Jersey. Inzwischen müsste er 82 Jahre alt sein.«

»Ich würde gern selbst mit ihm sprechen, aber dafür fehlt uns jetzt die Zeit«, sagte ich. »Die Kollegen vom zuständigen Field Office sollen ihn besuchen und ihm mitteilen, dass Henry Snyders Leiche gefunden wurde. Ich bin gespannt, wie Wright darauf reagiert.«

Mai-Lin wollte sich mit Concitas Unterstützung weiterhin um die Adressen der Fuller-Kinder sowie deren Vermögensverhältnisse kümmern. Auch sollten mögliche Querverbindungen zu Wright gecheckt werden. Fortesque wollte Phil und mich zur Farm begleiten, um dort nach Spuren zu suchen. Aber zuvor rief ich SAC Henry Thrope in Trenton, New Jersey, an und schilderte ihm meinen Wunsch.

»Ein mutmaßlicher Serienkiller im Seniorenheim?«, hakte Agent Thrope nach. »Es wäre ja gut, wenn ihn auf seine alten Tage die Gerechtigkeit doch noch einholen würde. Ich schicke einen Agent dorthin und melde mich, sobald ich ein Ergebnis habe.«

Ich bedankte mich und beendete das Telefonat. Dann fuhr ich mit Phil und Fortesque erneut zu der Farm. Ein Herbststurm fegte über das Land und entlaubte die Bäume.

***

»Miss Morley scheint anwesend zu sein«, stellte Phil fest, »jedenfalls ist ihr Auto da. Und du hast recht, Jerry, dieser Outlander gehört garantiert keiner brotlosen Künstlerin.«

Wieder kam die Künstlerin aus dem Haus, als ich den Ford Interceptor parkte. Ich stellte ihr meine beiden Kollegen vor, und sie bat uns hinein. Fortesque musterte sie einen Moment länger, als es notwendig gewesen wäre. Ich konnte mir vorstellen, dass die schlanke junge Kate Morley ihm gefiel. Fortesque war Single und immer mal wieder »auf der Suche«. Trotzdem nutzte er jetzt nicht die Gelegenheit zum Flirten, sondern kletterte sofort auf den Dachboden, um nach verwertbaren Spuren zu suchen.

Kate Morley schaute mich neugierig an.

»Haben Sie schon mehr über den Toten herausfinden können, Inspektor Cotton?«

»Wir arbeiten daran. Allerdings wurde gestern auf mich geschossen, nachdem ich bei Ihnen war. Haben Sie etwas Verdächtiges beobachtet, Miss Morley?«

Die Kunstmalerin erbleichte und schlug sich die flache Hand vor den Mund. Sie schüttelte heftig den Kopf. In diesem Moment war ich mir sicher, dass sie uns etwas Wichtiges verschwieg.

Es dauerte nur kurz, bis sich Kate Morley wieder in der Gewalt hatte. Auf ihrem schönen Gesicht erschien ein krampfhaftes Lächeln.

»Wie ich sehe, sind Sie unverletzt. Das ist ein großes Glück, Inspektor Cotton.«

Ich bohrte nach. »Sie haben also keine Ahnung, wer auf mich geschossen haben könnte?«

»Nein, Gangster und Attentäter gehören nicht zu meinem Bekanntenkreis.«

Kate Morley lachte, aber es klang nicht so, als ob sie sich wirklich amüsieren würde. Phil ergriff nun das Wort.

»Sie haben ein tolles Auto, Miss Morley. So ein SUV ist nicht billig, und das Fahrzeug sieht für mich neuwertig aus. Wir haben uns gefragt, woher Sie das Geld für so einen Wagen haben. Schließlich leben Sie ansonsten sehr bescheiden.«

Phil deutete mit einer umfassenden Armbewegung auf die schäbige Einrichtung. Die Zeugin verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

»Ich wüsste nicht, was Sie meine Finanzsituation angeht, Inspektor Decker.«

»Eigentlich nichts«, gab Phil ihr recht. »Aber wir müssen auch den kleinsten Hinweisen nachgehen. Und der Mordversuch an einem FBI-Inspektor ist kein Kavaliersdelikt. Wie geht es Ihnen eigentlich gesundheitlich, Miss Morley? Steht mal wieder eine größere Hospital-Behandlung an?«

Kate Morley riss ihre Augen noch weiter auf.

»Sie haben in meiner Vergangenheit geschnüffelt. Wie kommen Sie dazu? Glauben Sie im Ernst, dass ich vor dreißig Jahren diesen Henry Snyder ermordet habe?«

Ich übernahm nun wieder das Reden. »Nein, davon gehen wir nicht aus. Aber Sie verschweigen uns doch etwas, nicht wahr?«

»Ich hätte den Mumienfund den Behörden gar nicht melden sollen«, sagte Kate Morley trotzig. »Jetzt habe ich dadurch nur Ärger am Hals. Sie durchsuchen mein Haus und verdächtigen mich. Was kommt als Nächstes, Inspektor Cotton? Werde ich vielleicht auch noch verhaftet?«

»Nur, wenn Sie uns einen Anlass dafür geben«, entgegnete ich. Für mich stand fest, dass die junge Frau vor jemandem große Angst hatte. Und sie war noch nicht bereit, sich dem FBI anzuvertrauen. Beweisen konnten wir ihr bisher nichts. Phil und ich mussten einstweilen wieder abziehen. Fortesque war mit seiner Arbeit noch nicht fertig. Wir vereinbarten, dass er später von Mai-Lin oder Concita abgeholt werden sollte.

Im Auto machte Phil seinem Herzen Luft. »Kate Morley mag eine gute Malerin sein, aber sie ist eine miserable Lügnerin. Jeder Frischling von der Academy würde erkennen, dass sie nicht mit offenen Karten spielt.«

»Ja, aber das muss nichts mit den Serienmorden zu tun haben. Am liebsten würde ich sie observieren lassen. Es fragt sich allerdings, ob das Detroit Field Office dafür Agents entbehren kann.«

***

Wir fuhren zunächst zum Hospital und fragten nach Willson. Eine Krankenschwester brachte uns zu dem Raum, in dem der Pathologe die Obduktion durchführte. Ein gerichtsmedizinisches Institut gab es in der kleinen Stadt nicht.

»Sie kommen ja wie gerufen!«

Willson schob den Mundschutz von seinem sonnengebräunten Gesicht und deutete mit dem Skalpell auf die geöffnete Leiche, die sich auf dem Stahltisch vor ihm befand.

»Wenn Snyder nicht ebenfalls ein Opfer des damaligen Killers geworden ist, dann hänge ich meinen Beruf an den Nagel! Ernsthaft, ich habe die medizinischen Unterlagen der anderen Toten dieser Mordserie studiert. Sie kamen alle durch Strangulation verbunden mit Genickbruch ums Leben.«

»Und das trifft auch auf Snyder zu?«

»Exakt, Jerry. Meiner Meinung nach ist er von demselben Täter ins Jenseits befördert worden wie die vier anderen Männer vor ihm.«

»Was können Sie uns noch über die Leiche sagen, Gerold?«

»Der Mann ist zweifellos vor längerer Zeit umgebracht worden. Legen Sie mich nicht auf den Monat genau fest, aber der Zeitraum von dreißig Jahren kommt auf jeden Fall hin.«

»Dann wurde Snyder also getötet, kurz nachdem die Fullers gestorben sind«, meinte Phil. Ich schüttelte den Kopf.

»Es ist auch noch eine andere Variante denkbar. Angenommen, Thomas Fuller war selbst der Serienmörder. Er tötet Snyder und versteckt die Leiche zunächst auf dem Dachboden seines eigenen Farmhauses. Möglicherweise wollte er den Toten später in Ruhe fortschaffen. Aber dann kommt er selbst durch einen Autounfall ums Leben. Seine Frau stirbt an ihrer Lungenentzündung, die Kinder kommen zu Pflegeeltern, die Farm verwaist. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass keine weiteren Morde nach diesem Muster stattgefunden haben.«

»Ja, Ihre Annahme ist schlüssig, Jerry«, sagte Willson. »Allerdings nur dann, falls wir keine weiteren Toten finden, die später nach derselben Methode umgebracht wurden.«

Ich nickte. »Wir müssen unbedingt herausfinden, ob Fuller und Snyder sich gekannt haben. Die anderen Opfer wurden offenbar immer in großen Städten zurückgelassen, immer in unmittelbarer Nähe zum Tatort. Weshalb hat der Mörder in diesem Fall das Schema durchbrochen?«

»Wenn Fuller geisteskrank war, kann man von ihm kein logisches Denken erwarten«, meinte Phil. »Und da ist dann auch noch die Todesart. Tötung durch Genickbruch kommt mir ungewöhnlich vor, jedenfalls für einen Serientäter.«

Willson schüttelte den Kopf. »Wie man es nimmt. Genau genommen war vermutlich in allen diesen Fällen nicht die Fraktur der Halswirbelsäule die Todesursache, sondern das Strangulieren. Um den Hals der mumifizierten Leiche lag nämlich noch ein Seil, das zum Glück aus Kunststoff war. Sonst wäre es wohl nach dreißig Jahren schon zerfallen gewesen. Jedenfalls wurde damals diese dicke Schnur zusammengedreht, und zwar so stark, dass dabei das Genick brach. Der Mörder muss über gewaltige Kräfte verfügt haben.«

»Fuller war Farmer, er war an körperliche Arbeit gewöhnt und wird kein Schwächling gewesen sein«, stellte Phil fest. »Das ist noch ein weiterer Punkt, der auf ihn als Täter hindeutet.«

Aber ich wollte mich nicht so schnell festlegen. Wir bedankten uns zunächst bei dem Pathologen und kehrten zum Police Department zurück, wo wir während der Ermittlungen einige Räume benutzen durften.

Inzwischen war auch Fortesque wieder eingetroffen. Concita hatte ihn abgeholt. Aber seine Ausbeute war dürftig.

»Ich mache mir keine Illusionen darüber, in diesem Kleiderschrank brauchbare Täter-DNA nachweisen zu können«, sagte Fortesque. »Nicht nach dreißig Jahren. Ich will es versuchen, aber es ist doch sehr unwahrscheinlich. Übrigens war der Speicher nicht durch Schlösser oder sonstige Vorrichtungen gesichert. Praktisch jeder hätte in das Haus eindringen und die Leiche dort oben ablegen können, nachdem die Farm aufgegeben wurde.«

»Das sind ja schöne Aussichten«, seufzte Phil. »Mein Kandidat ist aber nach wie vor Thomas Fuller. Er …«

Phil verstummte, denn nun klingelte mein Handy. Ich nahm das Gespräch an. »Inspektor Cotton hier.«

SAC Henry Thrope aus New Jersey rief mich an. Und ich konnte schon an seiner Stimme hören, dass etwas nicht in Ordnung war.

»Ich habe eine junge Kollegin zu Steven Wright in das Seniorenheim geschickt, um ihn zu befragen. Er schien sich über den Besuch zu freuen. Wright saß im Rollstuhl auf der Terrasse.« Thrope pausierte. »Aber dann gab es Komplikationen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Als Agent Mansini auf den Tod von Henry Snyder zu sprechen kam, regte sich Wright plötzlich fürchterlich auf. Er erlitt einen Schwächeanfall, der sich schnell als Herzinfarkt herausstellte. Die Ärzte konnten ihn noch einmal wiederbeleben, aber er starb vor einer halben Stunde.«

Das war eine unerwartete Wendung. Ich atmete tief durch, bevor ich meine nächste Frage stellte.

»Hat Wright vor seinem Ableben noch etwas zu dem Fall gesagt? Ist überhaupt gesichert, dass er Henry Snyder kannte?«

»Jedenfalls wurde er totenbleich, als unsere Kollegin den Namen einfach nur erwähnte. Sie konnte allerdings keine brauchbare Aussage von ihm bekommen. Es tut mir leid, dass es sich so entwickelt hat, Inspektor Cotton.«

»Wrights Tod konnte niemand voraussehen«, beruhigte ich Thrope und verabschiedete mich.

Dieser Fall wurde immer mysteriöser. Fest stand nur, dass weder Wright noch Fuller auf mich geschossen haben konnten. Wer hatte noch ein Interesse daran, das Rätsel ungelöst zu lassen?

***

Immerhin war auch Mai-Lin mit ihrer Arbeit weitergekommen.

»Es ist mir gelungen, die heute erwachsenen Kinder der Familie Fuller zu ermitteln. Allerdings wohnen sie ziemlich weit in den Staaten verstreut. Sam hat es nach Oklahoma verschlagen, Lorna wohnt in Iowa und Eileen heiratete vor Jahren einen Mann aus Wisconsin. Wir könnten die Zeugen natürlich durch Agents der dortigen Field Offices befragen lassen. Ich erlaube mir aber, der Einfachheit halber einen anderen Vorschlag zu machen.«

»Wir sind ganz Ohr«, drängte Phil.

Mai-Lin fuhr auf ihre ernsthafte Art fort: »Mir ist aufgefallen, dass die Geschwister per Skype miteinander kommunizieren. Diese technische Möglichkeit könnten wir auch nutzen. Zwar hat ein solches Gespräch vor Gericht keine Beweiskraft, aber für eine erste Kontaktaufnahme wäre es ausreichend.«

»Versuchen wir es«, erklärte ich mich einverstanden. Mai-Lin übernahm es, den Kommunikationsweg aufzubauen. So kam es, dass ich schon wenig später auf Mai-Lins Notebook in das gespannte Gesicht von Sam Fuller sehen konnte. Ich stellte mich vor und berichtete, was in seinem Elternhaus geschehen war.

Sowohl Sam als auch später seine beiden Schwestern waren erstaunt darüber, dass auf dem Speicher ein Toter verborgen gewesen war. Sam und Lorna Wright gaben an, sich aus ihrer Kindheit an kein ungewöhnliches Ereignis erinnern zu können. Nur bei Eileen bemerkte ich einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. Ich hakte nach.

»Fällt Ihnen ein Erlebnis ein, das mit dem späteren Leichenfund zusammenhängt? Jedes Detail kann wichtig sein.«

Eileen Wright, die nun Masters hieß, zögerte noch einen Moment. Aber dann begann sie stockend zu sprechen.

»Ich erinnere mich an einen Tag, als ich eine Erkältung hatte und daheim bleiben musste. Meine Geschwister waren in der Schule. Meine Mutter war mit dem Auto nach Hickory Corners zum Einkaufen gefahren. Plötzlich hörte ich Geschrei vor dem Haus. Ich sprang aus dem Bett und lief zum Fenster. Da sah ich, wie mein Vater sein Gewehr auf einen Fremden richtete.«

»Können Sie sich noch an diesen Mann erinnern?«

»Nein, er hatte seinen Hut tief ins Gesicht geschoben. Aber er kam mir damals unheimlich vor. Und ich weiß noch, dass mein Dad ihn anbrüllte. Vater rief, er solle sich nie wieder sehen lassen.«

»Was geschah dann?«

»Ich schrie vor Angst, weil ich mich fürchtete. Ich hatte meinen Vater noch nie mit einem Gewehr in der Hand gesehen. Daraufhin schaute der Fremde zu mir hoch, winkte und verschwand dann endlich. Und obwohl er mir nichts getan hatte, weinte ich vor Angst. Wenig später kam Dad hoch und tröstete mich.«

»Sagte Ihr Vater etwas über diesen Mann?«

»Allerdings, Inspektor Cotton. Dad erklärte mir, der Fremde sei mein Onkel Aaron gewesen, sein Bruder. Aber Aaron sei ein böser Mensch, und deshalb hätte Vater ihn von der Farm gejagt. Aaron würde den Leuten Unglück bringen und ihnen wehtun. So erklärte er mir das, ich war ja noch ein kleines Kind. Und Dad beschwor mich, niemandem etwas von dem Besuch meines Onkels zu sagen. Das war nur wenige Wochen, bevor mein Vater durch einen Unfall ums Leben kam.«

Aaron Fuller – über diese Person hatten wir noch nichts in Erfahrung gebracht. Das war allerdings auch kein Wunder, denn er hatte ja offenbar nicht auf der Farm gelebt. Und Thomas Fuller hatte keine brüderlichen Gefühle für ihn gehegt. Aber weshalb?

Ich bedankte mich bei der Zeugin und beendete zunächst den Skype-Kontakt. Dann schaute ich Mai-Lin an.

»Könnten Sie bitte alle Informationen über diese Person zusammenstellen?«

Die Informatikerin benötigte für diese Aufgabe nicht allzu viel Zeit. Aber das, was sie uns dann präsentierte, konnte sich sehen lassen.

»Aaron Fuller ist den Strafverfolgungsbehörden kein Unbekannter, Jerry. Er ist mehrfach wegen Körperverletzung und versuchten Totschlags vorbestraft. Seine Verbrecherlaufbahn begann er schon während seiner Militärzeit. Aaron Fuller wurde unehrenhaft aus der Army entlassen, weil er einen Vorgesetzten geschlagen hatte. Aber die Jahre in Uniform sind noch aus einem anderen Grund interessant.«

Trotz ihres zurückhaltenden Wesens konnte man spüren, dass Mai-Lin auf ihre Ermittlungsergebnisse sehr stolz war. Phil rang in gespielter Verzweiflung die Hände.

»Bitte machen Sie es nicht so spannend, sonst bekomme ich Magendrücken!«

»Das könnte ich nicht verantworten«, fuhr Mai-Lin fort. »Aaron Fuller war nicht nur in demselben Regiment wie der heute einem Herzinfarkt erlegene Steven Wright, sondern sogar in derselben Kompanie. Die beiden Männer müssen einander gekannt haben.«

Das war wirklich eine Nachricht, die uns weiterbrachte.

»War also Wright doch der Serienmörder, und Aaron Fuller sein Helfer?«, dachte Phil laut nach. »Jedenfalls muss Aaron Fuller Wind davon bekommen haben, dass die Farm seines toten Bruders leerstand. Da war es ein Leichtes, dort die Leiche zu deponieren.«

Phil wollte noch mehr sagen, aber da klingelte erneut mein Handy. Diesmal war Kate Morley am Apparat. Ich hatte ihr am Vorabend meine Visitenkarte dagelassen. Die Stimme der jungen Frau verriet nun blanke Todesangst.

»Bitte helfen Sie mir, Inspektor Cotton! Jemand hat mein Haus angezündet, ich sitze in der Falle!«

Ich atmete einmal tief durch, bevor ich antwortete. Die Frau durfte nicht die Nerven verlieren. Daher versuchte ich, ihr Ruhe zu vermitteln.

»Legen Sie sich flach auf den Boden, falls Sie nicht aus dem Gebäude entkommen können. Feuchten Sie ein Tuch an und pressen es sich vor Nase und Mund. Wir sind so schnell wie möglich bei Ihnen, Miss Morley.«

Ich beendete das Gespräch und alarmierte sofort das Fire Department, gab die Adresse von Kate Morley durch. Dann rannten Phil und ich zu dem Ford Interceptor und rasten los.

Ich drückte das Gaspedal durch, aber auf der unbefestigten Piste kamen wir nicht so schnell voran wie auf der asphaltierten Straße. Kate Morley hatte nicht gelogen. Schon von weitem sahen wir fetten schwarzen Rauch über dem heruntergekommenen Farmhaus aufsteigen. Es brannte offensichtlich lichterloh.

Zum Glück ertönte nun auch eine durchdringende Feuerwehrsirene. Aus Richtung Westen kam ein Löschzug herangeprescht, dicht gefolgt von einer Ambulanz. Aber Phil und ich erreichten das Farmhaus als Erste. Wir konnten nicht auf die Feuerwehr warten, jetzt zählte jede Sekunde.

Nachdem ich gebremst hatte, sprangen wir aus dem Wagen. Phil hatte den Handfeuerlöscher dabei. Wir näherten uns dem brennenden Gebäude, Hitzewellen schlugen uns entgegen. Dicker Qualm zog uns beißend in die Augen. Es krachte und knackte, als die hölzernen Möbel und die Fußböden ein Raub der Flammen wurden.

Da ertönte ein verzweifelter Hilfeschrei.

Kate Morley musste uns entdeckt haben. Und wirklich sah ich durch ein geborstenes Fenster eine schemenhafte Gestalt. Phil richtete den Feuerlöscher dorthin. Ein dicker Strahl von weißem Löschschaum jagte auf den Fensterrahmen zu. So wurden die hochzüngelnden Flammen wenigstens an dieser Stelle für den Moment zurückgedrängt.

»Ich hole sie!«, rief ich Phil zu. Ich band mir mein Taschentuch vor Mund und Nase, schützte meine Augen mit dem Unterarm vor Funkenflug und kämpfte mich durch die Fensteröffnung. Glasscherben fügten mir leichte Schnittverletzungen zu, aber das beachtete ich nicht.

Dann erblickte ich die Kunstmalerin vor mir. Sie trug nur noch einen rußgeschwärzten zerrissenen Unterrock, ihre Haarspitzen waren angesengt. Aber sie lebte, stand noch auf ihren eigenen Beinen. Aber lange konnte sie sich nicht mehr halten. Als ich auf sie zuging, versagten ihre Knie. Kate Morley wäre zu Boden geglitten, wenn ich sie nicht aufgefangen hätte.

Nun musste ich sie so schnell wie möglich in Sicherheit bringen. Phil hatte mit dem Sprühen aufgehört, offenbar war der kleine Handfeuerlöscher schon leer. Aber nun hörte ich wie aus weiter Entfernung laute Männerstimmen, Befehle gellten. Im nächsten Moment traf der Feuerwehr-Löschschaum gleich aus zwei Richtungen auf die Fensteröffnung. Ich stieg hindurch, was mit der Frau auf meinen Armen nicht einfach war. Aber da kamen mir auch schon Männer des Fire Department mit Atemschutzmasken und Schutzanzügen zu Hilfe. Sie packten Kate Morley und mich, brachten uns in Sicherheit.

Aber das neue Zuhause der jungen Frau war nicht mehr zu retten. Die Feuerwehr konnte nur noch verhindern, dass sich die Flammen in der Umgebung ausbreiteten. Das Haus fiel dem Feuer komplett zum Opfer.

***

Ich ließ im Hospital meine Schnittwunden versorgen. Außerdem hatte ich eine leichte Rauchvergiftung erlitten. Aber ich konnte dem Arzt klarmachen, dass ich deshalb noch lange nicht dienstuntauglich wäre. Daher konnte ich das Krankenhaus noch am selben Tag wieder verlassen.

Auf Phils Gesicht zeichnete sich die Erleichterung ab, als er mich aus der Notaufnahme kommen sah.

»Bist du okay, Jerry?«

»Unkraut vergeht nicht, das weißt du doch. Seid ihr mit den Ermittlungen schon weitergekommen?«

»Wir tun, was wir können. Die Brandermittler des Fire Department nehmen sich die Ruine vor, FGF hat sich ihnen angeschlossen. Einen konkreten Hinweis haben wir noch nicht, aber ich tippe auf Brandstiftung.«

»Ich würde auch nicht dagegen wetten. Wie geht es Kate Morley?«

»Sie ist auch hier im Krankenhaus, aber es hat sie wohl etwas schlimmer erwischt als dich. Ihre Ärztin sagte, dass wir sie frühestens morgen vernehmen können. Ich musste meinen ganzen Charme spielen lassen, um wenigstens diese Zusage zu bekommen.«

»Das dürfte dir doch nicht schwergefallen sein, oder?«

Phil grinste.

»Nicht bei einer so hübschen Medizinerin. Aber ernsthaft, wir sollten Kate Morley bewachen lassen. Falls jemand das Haus angezündet hat, um sie zu töten, wird er einen neuen Versuch unternehmen.«

»Ja, da müssen wir einen Riegel vorschieben.«

Ich rief beim Police Department an und bat um Amtshilfe. Wenig später erschienen zwei Officers im Hospital, um Kate Morley zu schützen. Außerdem lernte ich nun auch Sheriff Floyd Higgins aus Hickory Corners kennen, der sich zu uns gesellte. Phil stellte mich ihm vor. Er war ein Mittfünfziger mit Bürstenhaarschnitt, der auf mich einen erfahrenen und umsichtigen Eindruck machte.

»Die hiesigen Cops bewachen Kate Morley, hörte ich gerade? Das ist für mich okay, wir sind hier schließlich in Kalamazoo. Aber die niedergebrannte Farm liegt in meinem Zuständigkeitsbereich. Und solange nicht gesichert ist, dass es sich um einen FBI-Fall handelt, werde ich ebenfalls ermitteln.«

»Wir haben nichts gegen eine Zusammenarbeit«, betonte ich. »Gab es vielleicht schon ähnliche Fälle von Brandstiftung in der näheren Umgebung?«

Der Sheriff schüttelte den Kopf.

»Nicht in letzter Zeit. Es gab mal vor einem halben Jahr einen Farmer, der seine eigene Scheune angesteckt hat, um die Versicherung zu betrügen. Aber er hat sich dabei so stümperhaft angestellt, dass ich ihm sofort auf die Schliche gekommen bin.«

»Ich gehe davon aus, dass die Künstlerin vor jemandem Angst hat«, erklärte ich. »Sie ist neu in dieser Gegend, womöglich wurde sie von einem Täter aus ihrer Vergangenheit verfolgt. Wenn dieser Verbrecher sie gefunden hat, könnte er hinter dem Feuer stecken. Immer vorausgesetzt, dass wirklich Brandstiftung vorliegt.«

Der Sheriff nickte langsam.

»Ja, das macht Sinn. Und wenn es ein Fremder war, dann muss er in meinem Bezirk aufgefallen sein. Dort kommen nicht viele Leute von auswärts hin. Er wird sich wohl kaum zu Fuß fortbewegt haben. Ich werde mich mal in der näheren und weiteren Umgebung von Kate Morleys Farm umhören, Inspektor Cotton. Die Menschen vertrauen mir. Wenn sie eine verdächtige Beobachtung gemacht haben, finde ich es heraus.«

Ich bedankte mich bei dem Sheriff und gab ihm meine Visitenkarte. Phils Handynummer hatte er bereits. Floyd Higgins fuhr zurück nach Hickory Corners. Phil und ich machten uns auf den Weg zum Police Headquarter von Kalamazoo. Dort trafen wir auf Fortesque, der soeben von der Farm zurückgekehrt war.

»Es handelt sich eindeutig um einen Fall von Brandstiftung, Jerry. Die Kollegen vom Fire Department und ich konnten an drei Ecken der Ruine Reste von Brandbeschleuniger nachweisen. Meiner Meinung nach hat der Täter das Haus systematisch an diesen Punkten gleichzeitig angezündet. Es ging ihm darum, Kate Morley bei lebendigem Leib zu verbrennen. Und er hat für den Fall vorgebaut, dass sie aus der Flammenhölle entkommen konnte.«

»Auf welche Weise, FGF?«

»Der Täter hat auch den Motor des Mitsubishi Outlander unbrauchbar gemacht. Wenn Kate Morley aus dem Haus entkommen wäre, hätte sie nicht wegfahren können. Ihr wäre nichts anderes übriggeblieben als zu Fuß zu fliehen. Und damit wäre sie eine leichte Beute für einen motorisierten Verbrecher geworden.«

Ich erinnerte mich an den Moment, als wir uns dem brennenden Haus genähert hatten.

»Mir ist kein anderes Fahrzeug in der Umgebung aufgefallen. Was sagst du, Phil?«

»Ich habe ebenfalls keinen Wagen gesehen, außer natürlich Kates SUV. Der Täter ist entweder querfeldein verschwunden, sobald er unser Motorengeräusch hörte. Oder er hat sich hinter den Bäumen in der Umgebung versteckt. Sobald er uns und die Feuerwehr anrücken sah, schlich er sich zu Fuß zu seinem Auto zurück, das er außer Sichtweite geparkt hatte. In beiden Fällen konnte er sicher sein, dass wir uns auf die Rettung von Kate Morley und auf das Feuerlöschen konzentrieren würden.«

»Ja, so könnte es gewesen sein. Wenn ein Täter sein Opfer bei lebendigem Leib verbrennen will, dann spricht diese Tötungsart für sehr viel Hass. Ich bin mir sicher, dass es eine Person gibt, die uns den Namen des Verdächtigen nennen kann.«

»Nämlich Kate Morley«, bestätigte Phil.

***

Als wir am nächsten Morgen wieder mit der Arbeit beginnen wollten, rief mich Sheriff Higgins an.

»Ich habe gestern Abend noch ein paar Nachbarn von Kate Morley befragt, Inspektor Cotton. Die Leute wohnen teilweise zwanzig Meilen von der Farm entfernt, die Gegend ist eben ziemlich menschenleer. Aber einige von ihnen schwören Stein und Bein, in den letzten Tagen ein auswärtiges Fahrzeug gesehen zu haben. Es war ein dunkler SUV mit Massachusetts-Kennzeichen. So lautete die übereinstimmende Aussage.«

»Kate Morley kommt aus Boston. Das ist ein sehr wichtiger Hinweis, Sheriff Higgins.«

»Das denke ich auch. Leider konnte sich kein Zeuge an Zahlen oder Buchstaben des Nummernschildes erinnern. Aber ich habe meine Deputys angewiesen, nach diesem Fahrzeug die Augen offenzuhalten. Wenn der Kerl sich noch irgendwo in meinem Bezirk herumtreibt, werden wir ihn früher oder später erwischen.«

»Gute Arbeit, Sheriff. Ich melde mich bei Ihnen, sobald wir etwas Neues haben.«

Da ich den Lautsprecher eingeschaltet gehabt hatte, war auch Phil informiert.

»Wenn der Verdächtige noch nicht geflohen ist, muss er sich irgendwo in der Nähe aufhalten, Jerry. Vielleicht hat er ja auch in einem Motel eingecheckt. Mai-Lin könnte das überprüfen.«

Wir gingen zu unserer Informatikerin und brachten sie auf den neuesten Stand. Mai-Lin versprach, sofort alle Datenquellen inklusive Überwachungskameras anzuzapfen. Wenn der SUV aus Massachusetts noch irgendwo im Umkreis von hundert Meilen herumkurvte, würde sie ihn finden.

Phil und ich fuhren zum Krankenhaus. Nachdem wir unsere FBI-Marken gezeigt hatten, wurden wir zum Stationsarzt vorgelassen. Die Medizinerin, mit der Phil am Vortag geflirtet hatte, befand sich momentan nicht mehr im Dienst. Doch ihr Kollege Dr. Millner war ebenfalls kooperativ.

»Ich hörte schon, dass der Hausbrand vermutlich ein Mordanschlag war. Ich verstehe, dass Sie meine Patientin dazu befragen müssen. Aber machen Sie es bitte kurz, sie ist noch sehr geschwächt.«

Wir bedankten uns bei Dr. Millner. Eine Krankenschwester führte uns zu Kate Morleys Zimmer. Bevor wir hineingingen, sprachen wir kurz mit den Cops, die für die Bewachung zuständig waren.

»Haben Sie etwas Verdächtiges bemerkt?«, fragte ich, nachdem ich Phil und mich vorgestellt hatte. Ein baumlanger schwarzer Officer namens Frank Leroy antwortete mir.

»Nein, Inspektor Cotton. Wir haben jede Person überprüft, die sich in der Nähe des Krankenzimmers blicken ließ.«

Wir bedankten uns für die Amtshilfe und betraten den Raum. Kate Morleys linkes Bein war bandagiert, dort hatte sie offenbar Brandverletzungen davongetragen. In ihrem rechten Arm steckte eine Kanüle, die über einen Schlauch mit einer Infusion verbunden war. Als die junge Frau uns bemerkte, lächelte sie.

»Ich bin noch gar nicht dazu gekommen, mich für die Rettung zu bedanken, Inspektor Cotton. Wenn Sie nicht so schnell eingegriffen hätten, dann wäre ich verbrannt.«

Phil und ich setzten uns links und rechts von ihrem Bett auf Besucherstühle.

»Ich habe nur meine Pflicht getan, Miss Morley. Aber wenn Sie sich wirklich revanchieren wollen, dann nennen Sie uns den Namen der Person, die Ihr Haus angezündet hat. Sie kennen ihn doch, nicht wahr?«

Kate Morley wich meinem Blick aus und schwieg. Ich merkte, dass Phil ungeduldig wurde. Aber bevor er etwas sagen konnte, begann die junge Frau doch zu reden.

»Ja, Sie haben recht. Ich habe meinen Ex-Freund im Verdacht. Ihm würde ich diese Tat zutrauen.«

»Hat dieser Ex-Freund auch einen Namen?«

»Ja, natürlich, Inspektor Cotton. Er heißt Mike Levy. Ich habe versucht, nicht mehr an ihn zu denken. Und ich bin hierhergeflohen, weil ich von ihm weg wollte. Ich dachte, wenn ich nicht mehr in Sichtweite bin, würde er mich in Ruhe lassen. Aber das war wohl ein Irrtum. Es kommt mir so vor, als ob Mike mich bis ans Ende der Welt verfolgen würde.«

»Wie hat er Sie denn überhaupt wiedergefunden? Sie werden ihm wohl kaum verraten haben, dass Sie hier in Michigan abgetaucht sind, nicht wahr?«

»Nein, Inspektor Cotton. Ich habe über diese Frage auch lange nachgedacht. Ich kann mir nur eine Erklärung vorstellen: Mike muss so ein Ortungsprogramm auf meinem Handy installiert haben, als wir noch zusammen waren. Er war damals schon wahnsinnig eifersüchtig. Leider habe ich mein altes Handy nicht weggeworfen, als ich aus Boston weg bin. Das war wahrscheinlich ein Fehler.«

»Haben Sie nie die Hilfe der Behörden gesucht? Für mich hört sich das alles so an, als ob Ihr Ex-Freund Sie bedroht und gestalkt hat.«

Kate Morley atmete tief durch, bevor sie antwortete.

»Ja, das kann man sagen. Ich habe mich nicht getraut, zu den Cops zu gehen. Mike hatte mich damals richtig eingeschüchtert. Ich wollte nur möglichst weit weg von ihm. Da kam mir diese Farm gerade recht. Aber nun ist sie nur noch eine Ruine. Wahrscheinlich sind auch alle meine Bilder zerstört.«

Die Künstlerin senkte traurig den Kopf. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ich legte meine Hand auf ihre.

»Ich kann Ihnen Ihre Kunstwerke nicht ersetzen, Miss Morley. Aber ich verspreche Ihnen, dass Sie ab sofort vor Mike Levy Ruhe haben werden. Mordversuch ist kein Kavaliersdelikt. Wenn wir ihm diese Tat nachweisen können, wird er für sehr lange Zeit hinter Gittern verschwinden. Und Sie können ein neues Leben ohne diese Bedrohung aufbauen.«

Sie lächelte tapfer und wischte ihre Tränen weg. »Das wäre sehr schön, Inspektor Cotton.«

»Hatte Ihr Krankenhausaufenthalt damals in Boston auch etwas mit Ihrem Ex-Freund zu tun?«

»Ja, so war es. Mike hat mir damals bei einem Streit eine Rippe angebrochen. Ich weiß, ich hätte ihn anzeigen sollen. Aber ich habe mich einfach nicht getraut.«

»Was ist mit Ihrem Auto?«, hakte Phil nach.

»Wie meinen Sie das, Inspektor Decker?«

»Beantworten Sie bitte einfach meine Frage.«

»Mike hat mir den Mitsubishi Outlander geschenkt«, gab Kate Morley zu. »Er war ja nicht immer nur brutal, er konnte auch sehr charmant sein. Außerdem verdient er als Aktienhändler sehr gut.«

»Ich hatte mir gerade überlegt, dass Mike Levy Ihren Wagen mit einem Peilsender versehen haben könnte. Das wäre eine weitere Möglichkeit, um Ihre Verfolgung aufzunehmen.«

Phils Einfall war gut. Wie sich bei der eingehenderen kriminaltechnischen Untersuchung des Fahrzeugs herausstellte, war hinter der Stoßstange wirklich ein Peilsender versteckt.

»Und was für einen Wagen fährt Ihr Ex-Freund, Miss Morley?«, wollte ich wissen.

»Zuletzt hatte Mike ebenfalls einen SUV, allerdings keinen Mitsubishi, sondern einen schwarzen Lincoln.«

»Und er ist in Massachusetts zugelassen?«

»Ja, Inspektor Cotton.«

Es passte alles zusammen. Wir hatten für den Moment genug gehört. Wir wünschten der jungen Frau gute Besserung und verließen das Krankenzimmer. Ich rief sofort Mai-Lin an und teilte ihr die Neuigkeiten mit.

»Ich wollte mich auch gerade bei Ihnen melden, Jerry«, erwiderte die Informatikerin. »Ich habe die Anmeldungen der Hotels und Motels in der näheren Umgebung von Kalamazoo überprüft. Es gibt momentan nur drei Gäste mit dem Herkunftsstaat Massachusetts.«

»Heißt einer von ihnen Mike Levy?«

»Nein, Jerry.«

»Womöglich hat er unter falschem Namen eingecheckt. Was sagt denn die CJIS-Datenbank zu Mike Levy?«

Es dauerte einige Augenblicke, bis Mai-Lins Antwort kam.

»Mike Levy aus Boston ist wegen Körperverletzung vorbestraft, allerdings liegt das Delikt schon länger zurück. Es gab später weitere Anklagen, die aus Mangel an Beweisen nicht weiterverfolgt wurden. Ich habe gerade das erkennungsdienstliche Foto von Mike Levy mit den Führerscheinen verglichen, die in den Motels vorgelegt werden müssen.«

»Und?«, hakte ich ungeduldig nach.

»Mike Levy benutzt offenbar einen Führerschein auf den falschen Namen Harry Croner. Er wohnt zurzeit im Bellevue Motel . Obwohl er sein Aussehen im Vergleich zu dem Polizeifoto verändert hat, beträgt die Wahrscheinlichkeit einer Übereinstimmung 96 Prozent. Die biometrischen Daten …«

»Vielen Dank, darüber reden wir später, Mai-Lin.«

Ich blockte die Kollegin ab, bevor ihre Erklärungen zu weitschweifig wurden. Mir kam es jetzt darauf an, den Verdächtigen so schnell wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen.

Wir stiegen in den Ford Interceptor und fuhren zum Bellevue Motel, das sich im Norden von Kalamazoo befand.

»Warum treibt sich der Vogel immer noch in dieser Gegend herum?«, dachte Phil laut nach.

»Dafür kann es nur eine Erklärung geben: Levy hat erfahren, dass seine Ex-Freundin noch am Leben ist. Und er will sie jetzt endgültig aus dem Weg räumen.«

***

Es waren nur wenige Minuten Fahrt bis zum Bellevue Motel . Das Gebäude wirkte auf mich genauso schlicht und unauffällig wie das, in dem wir selbst untergebracht waren. Bevor wir zur Rezeption gingen, fuhr ich langsam einmal um das ganze Areal herum. Ein schwarzer Lincoln SUV war nirgendwo zu erblicken.

Am Empfang saß eine Latina mit einigen Pfunden zu viel auf den Hüften. Ihr Namensschild wies sie als Isabel aus. Sie bekam große Augen, als wir ihr unsere Dienstausweise zeigten.

»FBI? Wow! Ist hier ein Verbrechen passiert?«

»Hoffentlich nicht«, gab ich zurück und zeigte ihr ein Foto von Mike Levy. »Kennen Sie diesen Mann?«

Sie nickte aufgeregt. »Ja, das ist Mr Croner. Ist er ein Gangster? Das hätte ich nie von ihm gedacht, er ist immer so charmant. Obwohl …«

Die Angestellte verstummte und kaute nachdenklich an ihrer Unterlippe.

»Was wollten Sie gerade sagen?«, drängte ich.

»Vor einer Stunde kam Mr Croner zu mir und fragte mich nach einem guten Waffengeschäft. Ich habe ihm den Laden der Rawlings-Brüder empfohlen.«

»Könnten wir einen Blick in Mr Croners Zimmer werfen?«

Miss Isabel nickte und öffnete uns wenig später mit dem Generalschlüssel. Auf dem Bett lag ein Stadtplan von Kalamazoo. Und darauf war das Hospital mit rotem Stift eingekreist worden. Phil presste die Lippen zusammen. Man musste nicht Sherlock Holmes sein, um zu erkennen, was Levy vorhatte.

»Sie haben uns sehr geholfen, Miss Isabel. Könnten Sie uns bitte noch sagen, wo wir das Waffengeschäft der Rawlings-Brüder finden?«

Sie nannte mir die Adresse, während Phil bereits mit dem Krankenhaus telefonierte. Er warnte die Cops vor Ort.

»Die Jalousien von Kate Morleys Zimmer müssen unbedingt geschlossen werden«, sagte er. »Und schicken Sie Verstärkung zum Krankenhaus.«

Wir rasten zur Palmer Avenue, in der sich das Waffengeschäft befand. Dort konnte sich der Inhaber Bill Rawlings sehr gut an Mike Levy erinnern, als ich ihm das Foto zeigte und mich als FBI-Inspektor zu erkennen gab.

»Ja, diesem Mann habe ich vor einer halben Stunde ein Präzisions-Jagdgewehr mit Zielfernrohr verkauft. Bin ich jetzt in Schwierigkeiten?«

Ich ging auf die Frage nicht ein, denn wir hatten keine Zeit zu verlieren. Levy stammte aus einem anderen Bundesstaat, also hätte der Waffenhändler ihm nicht einfach ein Gewehr verkaufen dürfen. Es war natürlich möglich, dass der Verdächtige einen gefälschten Michigan-Führerschein vorgelegt hatte. Aber für diese Einzelheiten war später noch Zeit.

Jetzt mussten wir vor allem eine Bluttat verhindern.

»Warum hat Levy nicht schon längst einen zweiten Mordversuch unternommen?«, wollte Phil wissen, während wir Richtung Krankenhaus rasten.

»Das können wir ihn fragen, wenn er uns im Verhörraum gegenübersitzt. Vielleicht musste er sich erst vergewissern, dass sein Opfer noch lebt. Inzwischen hat ja das Lokalradio darüber berichtet, dass es bei dem Brand keine Toten gab.«

Wir erreichten das Hospital an der John Street. Sirene und Blinklicht setzte ich nicht ein, um den Verdächtigen nicht zu warnen. Das Krankenhaus bestand aus mehreren Gebäuden, zwischen denen sich große Parkplätze befanden.

»Levys Zielobjekt ist im dritten Stockwerk«, sagte ich. »Wahrscheinlich wird er eine höhere Schussposition eingenommen haben. Sieh mal, das Bürogebäude dort auf der gegenüberliegenden Straßenseite.«

Ich deutete auf die von Alleebäumen gesäumte John Street und stellte mir vor, von wo aus man einen gezielten Gewehrschuss abgeben konnte. Das Flachdach des Gewerbebaus war dafür sehr gut geeignet. Ich bog in eine Seitenstraße ein.

Und dort sahen wir den Lincoln SUV aus Massachusetts stehen!

Phil telefonierte mit den Cops im Hospital. Offenbar war Kate Morley momentan bei einer Untersuchung. Ihr drohte also keine Gefahr, solange sie nicht in ihr Krankenzimmer zurückgebracht wurde.

»Haben Sie die Jalousien geschlossen?«, fragte Phil. Da der Lautsprecher eingeschaltet war, konnte ich die Antwort hören.

»Ein Pfleger hat es gemacht. Wir dachten uns, dass der Verdächtige misstrauisch wird, sobald er eine Polizeiuniform sieht.«

»Sehr gut mitgedacht, Officer. Inspektor Cotton und ich versuchen, den Täter auszuschalten. Sorgen Sie dafür, dass die Patientin in Sicherheit bleibt.«

Phil beendete das Gespräch.

»Heute ist ein sonniger Tag, deshalb wird Levy wegen der heruntergelassenen Jalousien nicht gleich Lunte riechen«, sagte ich. »Hoffentlich lauert er darauf, eine gute Schussposition zu bekommen. Dann ist er nämlich so konzentriert, dass wir ihn überrumpeln können.«

Wir betraten das Bürogebäude durch einen Seiteneingang. Die Außentüren waren nicht gesichert. Und falls es eine Security gab, war von den Männern nichts zu sehen. Offenbar waren die Räume an unterschiedliche Kleinunternehmen vermietet, deren Namen auf einer Tafel im Erdgeschoss verzeichnet waren.

Phil und ich fuhren mit dem Lift in die oberste Etage. Von dort aus führte eine Metalltreppe hoch zum Dach. Es gab dort eine abschließbare Tür, die aber aufgebrochen worden war. Wir mussten uns nicht fragen, wer das getan hatte.

Wir zogen unsere Pistolen. Ich drückte die angelehnte Tür ein Stück weit auf. Dann trat ich lautlos auf das Dach, verschaffte mir einen kurzen Überblick.

Der Killer lag flach auf dem Bauch. Er befand sich am Rand des Daches, der Lauf seines Präzisionsgewehrs war auf das Krankenhausgebäude gerichtet. Ich drehte mich zu Phil um, der nun ebenfalls nach draußen gekommen war. Mit einer Kopfbewegung deutete ich nach links, er nickte. Phil bewegte sich ein Stück weit von mir weg, damit wir Levy von zwei Seiten in die Zange nehmen konnten.

Der Herbstwind heulte um die Schornsteine und Lüftungsschächte auf dem Flachdach. Offenbar hatte uns Levy noch nicht bemerkt, jedenfalls drehte er uns immer noch den Rücken zu. Ich hatte ihn nun im Visier.

»Mike Levy? Hier ist das FBI! Nehmen Sie die Finger von Ihrem Gewehr und stehen Sie ganz langsam auf. Halten Sie Ihre Hände so, dass ich sie sehen kann!«

Ich hatte so laut gesprochen, dass meine Worte unmöglich zu überhören waren. Levy zuckte zusammen, wir hatten ihn wirklich kalt erwischt. Er fuhr herum, warf mir einen hasserfüllten Blick zu.

Der Kriminelle schien seine Chancen abzuchecken. Aber die waren sehr schlecht, denn er hätte sein Gewehr herumreißen müssen, um auf mich zu schießen. Ich hingegen hielt meine Glock bereits auf ihn gerichtet. Nun meldete sich auch noch Phil zu Wort.

»Denken Sie nicht einmal daran, Levy. Wir sind zu zweit, Sie haben keine Chance.«

Der Verbrecher fletschte die Zähne. Trotz der Entfernung konnte ich sehen, dass Schweißperlen auf seine Stirn traten. Aber einen Moment später gab er scheinbar auf. Zögernd löste Levy seine Hände vom Gewehrkolben und vom Abzug und kam vom Boden hoch. Ich zielte immer noch auf ihn. In seinem Hosenbund steckte eine Pistole. Levy blickte an sich herab. Man konnte förmlich spüren, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

Aber da war Phil auch schon von der Seite an ihn herangetreten und nahm die Handfeuerwaffe an sich. Er tastete den Verdächtigen ab, aber Levy hatte keine weiteren gefährlichen Gegenstände bei sich.

Phil legte ihm Handschellen an, während ich den Verbrecher über seine Rechte belehrte.

***

»Ich habe nichts Verbotenes getan.« Mit diesen Worten empfing uns Mike Levy, als Phil und ich einige Stunden später zu ihm in einen Verhörraum im Police Headquarter traten. Glaubte er, uns für dumm verkaufen zu können? Der Verdächtige trug einen orangefarbenen Gefangenenoverall, denn seine Kleidung wurde zurzeit kriminaltechnisch untersucht.

Wir nannten unsere Namen. Außerdem fragte ich Levy, ob er einen Anwalt hinzuziehen wollte. Er zuckte die Schultern.

»Wozu, Inspektor Cotton? Wie gesagt, Sie können mir keine Straftat nachweisen. Mein Gewehr und meine Pistole habe ich legal erworben.«

»Wollen Sie uns verschaukeln?«, rief Phil. »Sie zielen mit Ihrer Präzisionswaffe auf ein Krankenhaus, in das Ihre Ex-Freundin eingeliefert wurde. Was sollen wir davon halten?«

»Jedenfalls ist es nicht illegal, mit einer legalen Waffe Zielübungen zu machen«, erwiderte Levy störrisch. Ich schüttelte den Kopf.

»Auf dem Schießstand mag das zutreffen. Aber Sie haben das Gewehr unter falschem Namen erworben, Levy. Sie wissen selbst, dass es eine Person namens Harry Croner nicht gibt. Geben Sie endlich zu, dass Sie Kate Morley erschießen wollten, nachdem Ihr Brandanschlag schiefgegangen war.«

Der Verdächtige war immer noch verstockt.