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Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 3055 - Mangelhafte Beweise
Jerry Cotton 3056 - Das Urteil fällt der Tod
Jerry Cotton 3057 - Reden ist Silber, Schweigen tut der Tod
Jerry Cotton 3058 - Ideale Verhältnisse
Jerry Cotton 3059 - Kein Recht auf Gnade
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Seitenzahl: 658
Veröffentlichungsjahr: 2024
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2016 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
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Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
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Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | Nebojsa Kontic
ISBN: 978-3-7517-6511-4
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Jerry Cotton 3055
Mangelhafte Beweise
Jerry Cotton 3056
Das Urteil fällt der Tod
Jerry Cotton 3057
Reden ist Silber, schweigen tut der Tod
Jerry Cotton 3058
Ideale Verhältnisse
Jerry Cotton 3059
Kein Recht auf Gnade
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Contents
Mangelhafte Beweise
Er hätte seinem Instinkt vertrauen und nicht auf eigene Faust ermitteln sollen. Während Jones mit nachlassenden Kräften gegen die starken Arme seines Mörders kämpfte, brannte seine Lunge bereits wie Feuer.
»Du musst atmen!«, rief eine innere Stimme.
Doch noch beherrschte Melvyn Jones den Zwang, der den sicheren Tod bedeutete. Als es nicht mehr ging, füllte sich seine Lunge mit Wasser. Innerhalb weniger Augenblicke ertrank der Sonderermittler. Sein letzter Gedanke war, dass er niemandem etwas über seinen Verdacht erzählt hatte.
Der Auftrag des Chefs hatte in meinen Augen auf jeden Fall etwas Gutes: Phil und ich entkamen dem kühlen, regnerischen Februarwetter der Hauptstadt. Als wir in Atlanta am Flughafen eintrafen, erwartete uns dort ein Agent des Field Office. Er händigte uns die Schlüssel für einen Tahoe LS aus sowie die Ermittlungsergebnisse der Kollegen.
»Die Außenstelle in Macon wird von Agent Jay Casper geleitet. Er und sein Team werden Sie in jeder Hinsicht unterstützen«, versicherte Agent Orson.
Damit war alles gesagt, sodass wir uns auf den Weg nach Macon machen konnten. Während Phil das Lenkrad übernahm und den Tahoe kurze Zeit später über die Interstate 75 steuerte, studierte ich die Protokolle der Kollegen. Sie hatten jeden erdenklichen Schritt unternommen, um Melvyn Jones aufzuspüren. Der Sonderermittler des Justizministeriums war nach Georgia geschickt worden, um Vorwürfe der Korruption innerhalb der Behörden zu untersuchen.
Selbst einige Außenbüros des FBI standen auf Jones’ Liste, und damit erhielt sein plötzliches Verschwinden eine besondere Brisanz. Der Chef hatte Phil und mich persönlich instruiert, um uns die Dringlichkeit der Ermittlungen vor Augen zu führen. Obwohl ich mich eigentlich auf die Frühlingstemperaturen gefreut hatte, nahm ich sie schon jetzt kaum mehr zur Kenntnis.
»Offenbar war Jones ein sehr erfahrener Ermittler und kannte keine Angst. Nach diesen Berichten hat er viel auf eigene Faust ermittelt, um dadurch besonders objektiv urteilen zu können«, sagte ich.
Mein Partner brummte lediglich als Antwort, was mich verblüfft zu ihm hinüberschauen ließ.
»Welche Laus ist dir denn über die Leben gelaufen?«, wollte ich wissen.
»Mir will einfach nicht einleuchten, dass einer unserer Kollegen etwas mit dem Verschwinden von Jones zu tun haben sollte. Er hatte bis dahin nicht den geringsten Hinweis auf Korruption in einer der Außenstellen entdeckt. Oder steht in deinen Berichten etwas anderes?«, erwiderte Phil.
Mir war klar, welche gefährlichen Auswirkungen auch nur die Andeutung hinsichtlich korrupter Agents für unsere Arbeit haben würde. Genau das machte Phil zu schaffen.
»Nein, dazu steht hier nichts. Überhaupt kein Wort, Phil«, antwortete ich.
Er krauste verwundert die Stirn, als ich es so überdeutlich formulierte. Sein Seitenblick forderte mich zum Weiterreden auf.
»Es gab, wie wir wissen, sehr wohl einige Indizien dazu. Genau deswegen hat Mr High uns schließlich hierhergeschickt. Ich frage dich also, warum kein Wort darüber in diesen Protokollen steht«, sagte ich.
Zunächst schwieg Phil eine Weile. Doch dann seufzte er vernehmlich und nickte verstehend.
»Die Kollegen in Macon wollen verhindern, dass auch nur eine Zeile darüber in einem offiziellen Bericht auftaucht. Kann man verstehen, behindert aber die weiteren Ermittlungen«, räumte er ein.
Agent Casper, der Leiter der Außenstelle in Macon, empfing uns mit kühler Professionalität, die seine Ablehnung kaum überdecken konnte. Auch die Blicke der anwesenden Kollegen waren sehr reserviert. Als Phil und ich in den Besucherstühlen vor Caspers Schreibtisch saßen, um von ihm einen aktualisierten Statusbericht zu erhalten, reagierte er kurz angebunden.
»Mr Jones war nach unseren Erkenntnissen in seinem Hotel, um zuerst im Restaurant zu essen und später am Laptop seinen Bericht zu verfassen. Als er am nächsten Tag nicht zur angesetzten Besprechung kam, habe ich ein Team dorthin geschickt«, erklärte Agent Casper.
Da der Sonderermittler sich weder am Telefon meldete noch energisches Klopfen an seiner Zimmertür half, öffneten die Agents mit einer Schlüsselkarte. Sie fanden Jones nicht in seinem Zimmer und das Bett wirkte unbenutzt.
»Allem Anschein nach hat er unbemerkt noch am Abend das Hotel verlassen. Sein Wagen stand unberührt auf dem Parkplatz«, schloss Agent Casper seinen Bericht.
Es waren nicht nur seine Worte, die abweisend wirkten. Auch die Körpersprache des schlanken Mannes mit den intelligenten, braunen Augen signalisierte es. Ich forschte in seinem Gesicht und überlegte, wie ich damit umgehen sollte.
»Hat die Überprüfung der Taxiunternehmen auch kein Ergebnis gebracht?«, fragte Phil.
»Wir haben mit allen Unternehmen gesprochen, die Fahrzeuge mit und ohne Fahrer vermieten. Fehlanzeige. Mr Jones hat zu keinem Zeitpunkt ein anderes Fahrzeug gemietet«, erwiderte Agent Casper.
Er hatte einen Fahndungsaufruf an die örtlichen Cops sowie die Dienststellen des Countys geschickt. Niemand wollte Melvyn Jones seit seinem Verschwinden gesehen oder gesprochen haben.
»Er wurde buchstäblich zu einem Geist, Inspektor Cotton«, sagte Agent Casper.
Die geschilderten Maßnahmen entsprachen dem üblichen Vorgehen und lieferten mir keinen Grund, an Agent Caspers Sorgfalt zu zweifeln.
»Sie haben es vermieden, in Ihren Berichten eine Vermutung zum Verschwinden von Jones zu äußern. Das kann ich gut nachvollziehen. Hier unter uns würde ich aber gerne Ihre professionelle Meinung erfahren. Was ist mit Jones passiert?«, fragte ich.
Einige Sekunden verschleierte sich der Blick unseres Kollegen aus Macon. Dann stieß er die Luft aus und rang sich zu einer Antwort durch.
»Es muss mit seinen Ermittlungen zu tun haben. Niemand geht von einem unglücklichen Zufall aus, Inspektor Cotton. Was uns jedoch fehlt, ist ein konkreter Hinweis, dem wir nachgehen könnten«, sagte Agent Casper.
Das war nicht die erhoffte Antwort. Ich schluckte meinen Ärger hinunter und ging davon aus, dass wir Agent Casper demnächst zu einer besseren Zusammenarbeit bewegen konnten. Ich bat daher, dass man uns ein Büro zur Verfügung stellte. Dafür war bereits gesorgt, und auch der Zugang zum System war freigeschaltet worden. Nachdem Phil und ich uns einen frischen Kaffee beschafft hatten, setzten wir uns an die Schreibtische.
»Agent Casper mauert noch ein wenig«, stellte Phil fest.
Ich lachte leise auf. Das war die Untertreibung des Jahres. »Kann man wohl sagen. Gewähren wir ihm ein wenig Zeit, sich an uns zu gewöhnen. Ich schlage vor, dass wir mit den gleichen Personen sprechen, mit denen bereits Jones geredet hat«, erwiderte ich.
Mangels besserer Alternativen stimmte Phil zu. Unsere Wahl fiel zuerst auf eine Staatsanwältin, da Jones bereits mehrfach in ihrem Büro gewesen war. Ich rief in der Staatsanwaltschaft an und bat um einen Termin. Zu meiner Überraschung wurde ich sofort zu Staatsanwältin Alexa Crawford durchgestellt.
»Sie können gerne sofort zu mir kommen, Inspektor. Mir liegt viel daran, dass wir Mr Jones so schnell wie möglich finden«, schlug sie vor.
So viel Entgegenkommen war erfrischend und daher nahm ich den Vorschlag an. Phil und ich meldeten uns ab, um die kurze Fahrt zum Sitz der Staatsanwaltschaft anzutreten. Wir waren gespannt, was uns dort über Jones und seine Ermittlungen mitgeteilt werden würde.
***
Das Gespräch war sehr aufschlussreich, denn die Staatsanwältin hatte offensichtlich eng mit Melvyn Jones zusammengearbeitet. Die sportliche Frau mit den dunkelblonden Haaren und den lebhaften blauen Augen empfing uns in ihrem Büro. Sie räumte schnell Aktenberge von zwei Stühlen, wobei Phil ihr sofort zur Hand ging. Sie dankte es ihm mit einem warmen Lächeln. Dann deutete Alexa Crawford auf die frei gewordenen Stühle, während sie uns ungefragt zwei Becher mit Kaffee einschenkte.
Gleich zu Beginn des Gesprächs einigten wir uns darauf, alle Ränge einfach wegzulassen und uns mit Vornamen anzusprechen. Alexa war ein herrlich unkomplizierter Mensch, ohne dabei ihre Kompetenz einzubüßen. Mehrfach wurde unsere Unterredung von Mitarbeitern oder Kollegen von ihr unterbrochen, die kurz im Büro vorbeischauten. Immer war der große Respekt vor der Staatsanwältin spürbar.
»Melvyn hat sich sehr gut auf diese Ermittlung vorbereitet. Er konnte mir bei unseren Treffen aus den Dateien auf seinem Laptop immer sehr hilfreiche Informationen überspielen«, sagte Alexa.
Von diesem Laptop hörten wir zum ersten Mal. »Hat Jones den immer bei sich gehabt?«, hakte ich nach.
Nach Alexas Beobachtung schien der Laptop das wichtigste Arbeitsgerät des Sonderermittlers gewesen zu sein. Davon hatte uns Agent Casper nichts gesagt. Vermutlich war der Laptop zusammen mit Jones verschwunden.
»Können Sie sich daran erinnern, zu welchen Personen er Sie besonders befragt hat?«, fragte Phil.
Alexa hatte die Dateien von Jones in einem eigenen Verzeichnis zusammengefasst. Sie zeigte es uns und bot von sich aus an, diese Dateien an unseren Server in der Außenstelle hier in Macon zu übermitteln.
»Das wäre sehr hilfreich, Alexa«, dankte ich ihr.
Mir fielen verschiedene Einträge auf, die nicht in der üblichen schwarzen Schrift, sondern rot waren.
»Was haben diese farblich hervorgehobenen Zeilen zu bedeuten?«, fragte ich.
»Das sind die Namen und Adressen der Mitarbeiter in verschiedenen Behörden, deren Aufgabengebiet für korrupte Menschen besonders interessant wäre«, erwiderte Alexa.
Aus ihrer Formulierung ließ sich nicht erkennen, ob sie die Personen zum engeren Kreis der Verdächtigen rechnete. Das war auch Phil nicht entgangen, der entsprechend nachhakte.
»Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass eine oder mehrere dieser Personen tatsächlich korrupt sein könnten?«, fragte er.
»Die Frage hat Melvyn mir auch gestellt. Er wollte eine Aufstellung von mir haben, in der die Personen nach der Wahrscheinlichkeit für Korruption einsortiert sein sollten«, antwortete Alexa.
Es war nicht erforderlich, sie extra nach einer Kopie dieser Liste zu fragen. Alexa druckte sie freiwillig aus und schob sie uns über den Tisch zu. Phil und ich beugten uns vor, um die Namen an der Spitze der Aufstellung zu betrachten.
Der erste Name gehörte zu einer zivilen Angestellten im Police Department von Macon.
»Camilla Snyder leitet die Verwaltung des Departments. Warum haben Sie ausgerechnet sie an die Spitze der Aufstellung gesetzt?«, wollte ich wissen.
Die Erklärung war simpel und nachvollziehbar. Snyder hatte ungehinderten Einblick in jede Ermittlungs- und Personalakte des Departments. »Sie kann immer eine plausible Erklärung liefern, warum sie gerade in diese oder jene Datei geschaut hat. Snyder sitzt quasi an der Quelle zu allen entscheidenden Informationen«, antwortete Alexa.
Während ich mit dieser Erklärung vollauf zufrieden war, bohrte Phil zu meiner Überraschung nach.
»Da ist aber noch mehr, oder? Sie haben weitere Gründe, warum Sie ausgerechnet Snyder auf die erste Position gesetzt haben«, sagte er.
»Sie haben mich durchschaut, Phil«, gab sie zu. »Es gab seit einigen Monaten immer wieder seltsame Zwischenfälle, die es der Staatsanwaltschaft in ihrer Arbeit schwer machten. Mal verschwand die Aufzeichnung einer Aussage, dann wieder tauchten Unstimmigkeiten in Protokollen der Detectives auf. Alles immer nur so, dass es als Zufall oder Schlamperei durchgehen könnte. Doch wenn ich oder einer meiner Kollegen mit dem jeweiligen Detective sprachen, stritten sie es glaubwürdig ab. Also suchte ich nach einer anderen Erklärung, und die deutete auf eine korrupte Person an der passenden Stelle hin«, sagte Alexa.
»Und in Snyder haben Sie die Verdächtige ausgemacht und an Jones weitergereicht«, erwiderte ich.
Genauso verhielt es sich. Auch die folgenden Namen auf der Liste hatten ihren Platz nach diesem Verfahren erhalten. Alexa Crawford konnte uns immer gute Gründe aufzeigen, warum sie diese Reihenfolge gewählt hatte.
»Damit helfen Sie uns ebenfalls weiter. Phil und ich werden mit Snyder sowie den anderen Verdächtigen sprechen. Sobald wir etwas erfahren, melden wir uns bei Ihnen«, sagte ich.
Damit verabschiedeten wir uns von der Staatsanwältin, die ihre Visitenkarte an Phil aushändigte. Es konnte ein Anzeichen für ihr besonderes Engagement sein, dass Alexa auf der Rückseite noch die private Mobilfunknummer notierte. Ich konnte mir aber durchaus auch andere Gründe dafür vorstellen, und das Aufblitzen in Phils Augen konnte auch Alexa nicht übersehen. Ich wartete ab, bis wir im Tahoe saßen.
»Nette Frau, oder?«, fragte ich.
Ich gab mir große Mühe, möglichst neutral zu klingen. Phil krauste zunächst die Stirn und warf mir einen forschenden Blick zu. Da ich diesen mit ernster Miene erwiderte, entspannte mein Partner sich. Ein breites Lächeln erhellte sein Gesicht.
»Alexa ist eine Wucht. Schön, intelligent und dazu keine Spur eingebildet«, schwärmte er.
»Stimmt. Wäre es für dich in Ordnung, wenn du den Kontakt zu ihr hältst?«, fragte ich.
Das war ganz in Phils Sinn, also war es beschlossen. Während er den Motor startete und im Navigationssystem die Route zum Department in der Cherry Street eingab, überprüfte ich die aktuellen Meldungen. Es fehlte weiterhin jede Spur von Melvyn Jones. Angesichts der verstrichenen Zeit sank seine Überlebenschance mittlerweile nahezu auf null. Jeder Agent oder Cop kannte die Frist von achtundvierzig Stunden, in denen ein Kidnapping aufgeklärt sein sollte. Dauerte es länger, starben die Geiseln in der Regel.
Kurz darauf rollte der Tahoe über Macons Straßen. Gäbe es nicht den verschwundenen Sonderermittler, wäre der Ausflug in den Frühling von Georgia sehr angenehm gewesen. Doch angesichts der Umstände konnte ich es nicht wirklich genießen.
»Hast du etwas über Camilla Snyder in unserem System gefunden?«, erkundigte sich Phil.
Es existierten tatsächlich einige Einträge. Doch sie gaben nur Aufschluss darüber, dass Snyder während ihres Aufstiegs innerhalb der Verwaltung des Police Department mehrfach überprüft worden war.
»Keine Auffälligkeiten wie geplatzte Kredite oder hohe Belastungen auf ihrem Haus?«, fragte Phil.
Ich musste es verneinen. Sollte Snyder tatsächlich korrupt sein, beging sie nicht die typischen Fehler vieler anderer Menschen. Weder lebte sie über ihre finanziellen Verhältnisse, noch gab es zu hohe Schulden. Im Grunde deutete nichts außer Alexas Einschätzung auf Snyder als Verdächtige hin. Als Phil den Tahoe auf dem von Bäumen beschatteten Parkplatz am Police Department abstellte, wanderte mein Blick hinüber zu dem sandfarbenen Gebäude, dessen Eingangsbereich überdacht war. Phil stieß bereits die Fahrertür auf, als ich die Frau im mittleren Alter bemerkte. Camilla Snyder war im Begriff, in einen weißen Toyota Camry einzusteigen.
»Warte, Phil! Snyder fährt gerade los«, rief ich.
Mein Partner folgte meinem Blick und dann zog er schnell die Fahrertür wieder zu.
»Mal sehen, wohin die Lady mitten am Tag so fährt«, sagte er.
Eine Minute später rollte der Tahoe bereits wieder vom Parkplatz herunter, um dem weißen Camry zu folgen.
***
Die Fahrt verlief zunächst in westlicher Richtung. Während Phil den Toyota mit Snyder im Blick behielt, rief ich am Computer in der Mittelkonsole die Stadtkarte von Macon auf. Dann zoomte ich die westlichen Sektoren heran, um ein mögliches Ziel auszumachen. Auf den ersten Blick konnte ich nichts entdecken.
»Sie überfährt die rote Ampel!«, stieß Phil hervor.
Ich schaute auf und sah gerade noch, wie der weiße Camry das Heck eines anderen Wagens um Haaresbreite verfehlte. In einem Reflex schaltete ich Sirene und Warnlampen ein, um für Phil die Kreuzung freizuräumen.
»Snyder fährt auf einmal, als wenn ihr der Teufel persönlich im Nacken säße«, rief er.
Ich konnte ebenfalls kaum glauben, was die Angestellte alles riskierte. Sie schrammte an parkenden Wagen vorbei, raste einige Yards sogar über den Bürgersteig und schnitt dann an der nächsten Kreuzung ein anfahrendes Taxi. Dessen Fahrer wurde von dem heranrasenden Camry dermaßen überrascht, dass er nicht einmal hupen konnte.
»Ich löse eine Fahndung aus. Die Cops müssen Snyder stoppen, bevor sie einen schweren Unfall verursacht«, sagte ich.
Dadurch büßten wir zwar ein, dass Snyder uns zu ihrem ursprünglichen Ziel führte, aber wir durften keine Zivilisten gefährden. Mit einem Auge blieb ich auf der Straße und klammerte mich mit der linken Hand am Türgriff fest. Phil musste mittlerweile sein gesamtes fahrerisches Können aufbieten, um den Abstand zu Snyders Toyota nicht zu groß werden zu lassen. Ich hatte gerade die Meldung an die Leitstelle abgesetzt, als ich das Mikrofon einfach fallen ließ und mich mit der Rechten am Armaturenbrett abstützte.
»Damned! Wo kommen die denn auf einmal her?«, brüllte Phil.
Wie aus dem Nichts rammte uns ein Ford Explorer mit Kuhfänger. Ich hatte den rot-silbern lackierten Wagen aus dem Augenwinkel heranjagen sehen und deswegen das Mikrofon fallen lassen. Trotz meiner schnellen Reaktion wurde ich hart gegen Phil geschleudert, bevor der Gurt sich brutal straffte.
»Das war kein Zufall«, rief ich.
Der Motor des Explorer heulte erneut auf. Phil und ich konnten nichts anderes tun, als uns festzuhalten. Wie ein wild gewordenes Nashorn rammte der Ford erneut die bereits schwer lädierte Seite des Tahoe. Unwillkürlich schaute ich in das Gesicht des Fahrers, das sich unscharf hinter der Windschutzscheibe abzeichnete. Eigentlich hätte ich den Mann besser erkennen müssen, aber mir lief Blut aus einer Platzwunde übers Gesicht. Die Reifen des Tahoe protestierten mit einem fürchterlichen Geräusch gegen den Abrieb in Seitenrichtung. Dann knallte es zweimal laut, sodass ich automatisch den Kopf einzog.
»Das waren die Reifen auf meiner Seite«, sagte Phil.
Seine Stimme war erstaunlich ruhig. Der Ford setzte bereits zurück. Vermutlich um uns mit dem dritten Anlauf endgültig den Garaus zu machen. Ich nutzte die kurze Pause, um mit der linken Hand das Blut aus meinem Gesicht zu wischen und mit der Rechten die Glock zu ziehen. Es wurde verdammt noch mal Zeit, diesen Burschen eine Lektion zu erteilen. Niemand griff Agents des FBI ohne jede Gegenwehr an.
»Zurück, Jerry!«, befahl Phil.
Ich drückte mich in die Rückenlehne und dann krachten die Schüsse so dicht vor meinem Gesicht, dass der Geruch von Kordit überwältigend war. Ich keuchte auf und konnte einige Sekunden lang außer dem Klingeln in den Ohren nichts hören. Phil war schneller als ich zum Gegenangriff übergegangen.
»Die Frontscheibe ist schussfest«, stieß er hervor.
Seine Worte drangen wie durch eine Watteschicht an meine Ohren. Da ich mich aber bereits dem Ford Explorer zugewandt hatte, bemerkte ich es auch. Die drei Projektile aus Phils Waffe hatten lediglich kleine Löcher in die Frontscheibe gestanzt. Der Motor des Ford heulte bereits wieder auf. Ich drehte mich um, damit die Mündung meiner Glock durch die zerstörte Seitenscheibe ihr Ziel anvisieren konnte. In schneller Reihenfolge feuerte ich auf den linken Vorderreifen des Explorer. Wenigstens ein Projektil musste getroffen haben, doch der Reifen behielt seine Fahrtüchtigkeit.
»Himmel, diese Kerle geben sich keine Blöße!«, rief ich.
Der dritte Anprall war noch heftiger als die beiden zuvor. Der Fahrer des Ford verstand sein Handwerk, denn er traf den Tahoe an der richtigen Stelle. Der Wagen bäumte sich auf und dann verschwand der Explorer aus meinem Sichtfeld, um zuerst eine Häuserfassade und dann einem Ausschnitt des blauen Himmels Platz zu machen. Der Tahoe kippte auf die Seite. Phil und ich konnten nicht länger an irgendeine Form der Gegenwehr denken, sondern stützten uns mit Händen und Füßen ab.
Allein der Klang sich schnell nähernder Sirenen gab uns Hoffnung. Blieb aber abzuwarten, ob die Angreifer weiterhin so kaltblütig vorgingen. Dann würden sie sich vermutlich trotz der anrückenden Cops die Zeit nehmen, um Phil und mich mit gezielten Schüssen zu töten.
Meine Glock hatte ich fallen lassen. Sie flog irgendwo im Wagen herum, sodass ich wehrlos im Sicherheitsgurt hing. Die Reste der zerborstenen Seitenscheibe rieselten auf mich hernieder, während der Tahoe zur Ruhe kam. Ich hörte noch, wie eine Autotür ging. Dann traf mich etwas hart am Hinterkopf und Dunkelheit machte sich breit.
***
Camilla hätte schreien können. Doch stattdessen liefen ihr die Tränen übers Gesicht. Nie im Leben hätte sie gedacht, dass sie jemals von Killern gejagt werden würde.
»Du Drecksstück. Das sind doch deine Leute«, wimmerte sie.
Als der schwarze Tahoe LS hinter ihr aufgetaucht war, verlor Camilla Snyder die Nerven. Sie ahnte schon länger, dass ihr das FBI auf den Fersen war. Das Treffen hatte angeblich dazu dienen sollen, die nächsten Schritte abzustimmen. Doch nun war ihr klar, dass es nur ein Weg gewesen war, sie aus dem Department zu locken. Für eine Weile nahm Camilla sogar an, die Verfolger durch ihr halsbrecherisches Fahren abhängen zu können. Doch der Fahrer des Tahoe erwies sich als echter Profi, und gerade als sie schon aufgeben wollte, raste aus der Querstraße der rot-silberne Ford Explorer hinter ihr auf die Kreuzung und rammte den Wagen ihrer Verfolger.
Nach dem ersten Schreck breitete sich Erleichterung in ihr aus. Man hatte an ihren Schutz gedacht. So empfand Camilla es anfangs, doch dann tauchte auf einmal ein blauer Buick Lacrosse neben ihr auf. Sie schaute verärgert hinüber, da Camilla an ein dreistes Überholmanöver glaubte. Doch dann flogen ihr auf einmal die Glasscherben ins Gesicht und der Fahrtwind zerzauste ihre Frisur. Schlagartig wurde Camilla bewusst, dass man ihr ebenfalls Killer auf den Hals gehetzt hatte.
In einem Reflex hatte Camilla das Bremspedal hart durchgetreten, und der Buick raste an ihr vorbei. Wimmernd und mit ihren Nerven am Ende, wechselte Camillas Fuß zurück aufs Gaspedal und ihre Hände wirbelten das Lenkrad herum. Die Vorderräder des Camry knallten gegen die Bordsteinkante, sodass der Wagen sich brutal aufschaukelte.
Mit einem verzweifelten Aufschrei versuchte sie die sich abzeichnende Katastrophe doch noch abzuwenden. Vergeblich. Der Camry geriet außer Kontrolle, und so konnte Camilla es nicht mehr verhindern, dass sich die linke Vorderseite in die Kante des kleinen Ladengeschäfts bohrte. Erneut versetzte ihr das Lenkrad einen harten Schlag. Doch dieses Mal reagierte Camilla besser und schneller.
Sie schob den Wahlhebel von D auf R und trat aufs Gaspedal. Tatsächlich löste der Camry sich leicht widerstrebend von der Hausecke und war weiterhin fahrbereit. Mit einem erleichterten Seufzen schob Camilla den Ganghebel zurück auf Drive und gab sanft Gas. Wie gewünscht ließ der Toyota sich in die Gasse lenken und Camilla spürte einen neuen Anflug von Hoffnung. Sie schaffte es immerhin, fast zehn Yards weit zu kommen. Dann trat das Projektil durch ihren Hals ins Hirn ein und tötete die Verwaltungsleiterin des Police Department auf der Stelle.
***
Als ich wieder zu mir kam, lag ich in einem Rettungswagen auf der Liege. Ich sah durch die offenen Hintertüren Phil, der sich angeregt mit einem Cop unterhielt. Vorsichtig richtete ich mich auf. Ein stechender Kopfschmerz ließ mich laut aufstöhnen. Zusammen mit meinem Partner stieg ein Notarzt in den Wagen. Er leuchtete mir mit einer Taschenlampe in die Augen und tastete mit den Fingern an meinem Hinterkopf herum. Sofort wurde der Schmerz noch stärker.
»He, was soll das?«, rief ich.
Fast hätte ich die Hand des Arztes weggeschlagen, doch der nickte nur und murmelte etwas.
»Sie haben eine leichte Gehirnerschütterung infolge des Zusammenstoßes mit der Pistole«, sagte er dann.
Verblüfft tastete ich nun selbst an die Stelle am Hinterkopf, von wo aus der Schmerz ausstrahlte. Ich spürte den Verband und dann schaute ich fragend zu Phil.
»Du wurdest von deiner Glock erwischt, als der Wagen sich auf die Seite legte«, erklärte er.
Er zog die Waffe aus der Jackentasche und händigte sie mir aus. Mit einem ungläubigen Blick darauf schob ich sie zurück ins Halfter. Wenn diese Story die Runde machte, stünden mir einige bissige Kommentare bevor. Solange nur Phil davon wusste, musste ich mir in dieser Hinsicht keine Sorgen machen. Mein Partner war keine Plaudertasche.
Obwohl der Arzt protestierte, rutschte ich von der Liege und schnappte mir meine Jacke. Den leichten Schwindel ignorierte ich, aber die angebotenen Tabletten nahm ich dankend an. Nachdem wir aus dem Rettungswagen gestiegen waren, fiel mein Blick auf den Tahoe. Agent Casper stand mit einem Techniker daneben. Ich ging hinüber und winkte nur ab, als der Kollege sich nach meinem Befinden erkundigte.
»Nur eine Kopfnuss. Wir hatten Glück, dass die Cops so schnell hier waren«, sagte ich.
»Stimmt, Inspektor. Die Besatzung des ersten Streifenwagens hat ausgesagt, dass einer der Angreifer bereits auf dem Weg zum Wagen war. Das Eintreffen der Cops hat ihn vermutlich davon abgebracht, auf Sie und Inspektor Decker zu schießen«, erwiderte Agent Casper.
Der Dienstwagen war schrottreif. Ich beneidete Agent Casper nicht um den Papierkram, der damit verbunden war. Doch Phil und ich hatten dringendere Angelegenheiten, um die wir uns kümmern mussten.
»Hat die Fahndung nach Camilla Snyder schon etwas ergeben?«, fragte ich.
»Sie wurde erschossen. So wie es zurzeit aussieht, hat der Killer sie zuerst verfolgt und deswegen kam es zu einem Unfall«, antwortete Phil.
Die Meldung darüber war nur eine Minute vor meiner Rückkehr ins Bewusstsein eingetroffen. Phil hatte abwarten wollen, was der Notarzt über meine Verletzungen sagte. Anschließend wollte er sofort in die Gasse fahren, wo der Camry ebenfalls von Technikern der Spurensicherung untersucht wurde.
»Worauf warten wir dann noch? Fahren wir hin«, sagte ich.
Ohne mich weiter um den skeptischen Blick meines Partners zu kümmern, wandte ich mich um und wollte zu unserem Dienstwagen gehen. Erst dann fiel mir ein, dass der das erste Opfer der Killer geworden war. Ich drehte mich zurück und schaute Agent Casper an, der nach kurzem Zögern den Funkschlüssel für seinen Interceptor herausrückte.
»Danke. Wir bringen Ihnen das gute Stück unversehrt zurück«, versicherte ich.
Obwohl Agent Casper keine Silbe sagte, erkannte ich seine Zweifel. Phil nahm mir den Schlüssel aus der Hand. »Für heute hast du Fahrverbot«, sagte er.
Es gab keine Einwände von meiner Seite. Vielmehr war ich ziemlich froh, dass ich mich eine Weile auf dem Beifahrersitz ausruhen konnte.
»Konnte Casper schon etwas über die Angreifer herausfinden?«, fragte ich.
Die schnelle Überprüfung des Ford Explorer hatte ergeben, dass das Fahrzeug vor wenigen Stunden auf dem Parkplatz einer Werkstatt gestohlen worden war.
»Da die Reparaturen abgeschlossen waren, kümmerte sich niemand weiter um den Ford. Erst als sein Besitzer, ein Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes, ihn abholen wollte, bemerkte man den Diebstahl«, erklärte Phil.
Es gab keine Augenzeugen oder Videoaufzeichnungen des Diebstahls. Wir wussten somit weder genau, wann noch wer den Ford gestohlen hatte. Es war sicherlich aber auch kein Zufall gewesen, dass die Gangster sich dieses spezielle Fahrzeug ausgesucht hatten. Kein vielversprechender Anfang der Ermittlungen, zumal die Angreifer vor den eintreffenden Cops fliehen konnten. Diese lösten zwar eine Fahndung nach dem Explorer aus, aber sie selbst hielten sich an die Vorschriften und kümmerten sich um die Verletzten. Bislang blieb der Ford unauffindbar und es gab keine brauchbare Beschreibung der Insassen.
»Vielleicht entdecken die Techniker verwertbare Spuren, die uns weiterhelfen«, sagte ich.
Es war eine vage Hoffnung. Denn der gesamte Ablauf des Angriffs ließ auf Profis schließen, und solche Gangster hinterließen selten Spuren. Phil steuerte den Interceptor nur zehn Minuten lang durch den Verkehr, bevor er den Wagen an einem Bordstein ausrollen ließ. Auch ohne die Absperrbänder der Cops hätten wir gewusst, wohin wir mussten.
Der Aufprall des Camry auf die Hauswand hatte sichtbare Spuren hinterlassen. Da wir unsere Marken bereits beim Aussteigen an den Jacken befestigt hatten, konnten Phil und ich ungehindert die Absperrung passieren. In der Gasse entdeckte ich sofort das Heck des weißen Toyota. Bei dem Aufprall war die Kofferraumklappe aufgesprungen.
»Sie hätte es um ein Haar geschafft«, sagte Phil.
Ich folgte seinem Blick durch die Gasse, die zwischen zwei Straßen lag. Bis zur Einmündung auf der anderen Seite hatten Snyder höchstens zwanzig Yards gefehlt. Doch die Gangster hatten ihr keine Chance gelassen und sie vorher erschossen. Wir konnten noch mit dem Rechtsmediziner sprechen, der seine erste Leichenschau beendet und die Überstellung der Toten in sein Institut veranlasst hatte.
»Das Projektil trat von hinten seitlich in den Hals des Opfers ein, durchschlug das rechte Schläfenbein und zerstörte anschließend vermutlich einen großen Teil des Frontallappens. Die Frau hat die Ursache ihres Todes höchstwahrscheinlich nicht einmal mitbekommen. Den Rest können Sie meinem Bericht entnehmen, sobald wir den Leichnam obduziert haben«, erklärte er.
Es war die typische Mischung aus medizinischen Fachbegriffen und vorsichtigen Mutmaßungen, so wie es die meisten Rechtsmediziner am Tatort hielten. Uns genügte es vorerst.
»Danke, Doc. Die Obduktion hat übrigens Vorrang«, erwiderte ich.
Der Rechtsmediziner zuckte gelassen die Achseln und verabschiedete sich. Phil und ich traten zu dem leitenden Kriminaltechniker.
»FBI. Inspektor Cotton, und das ist mein Partner, Inspektor Decker. Wie genau konnten Sie jetzt schon den Ablauf rekonstruieren?«, fragte ich.
Mein hoffnungsvoller Blick ging hinüber zu einem Klapptisch, auf dem zwei Laptops von Technikern mit Daten gefüttert wurden.
»Erstaunlich exakt, Inspektor. Es liegen viele gute Zeugenaussagen vor. Hinzu kommen die deutlichen Spuren, die das Fahrzeug auf seinem Weg bis an den Müllcontainer hinterlassen hat«, antwortete der leitende Techniker.
Er führte uns hinüber zu dem Klapptisch und rief eine vorläufige Simulation auf einem der Laptops auf. Die technische Ausstattung war für eine Kleinstadt wie Macon beeindruckend.
»Das Opfer wurde verfolgt, wie Sie bereits wissen. Es gelang ihr aber, die Angreifer durch ein abruptes Bremsen auszumanövrieren«, sagte der Techniker.
Gespannt verfolgte ich die Darstellung auf dem Monitor, die in der Tat erstaunlich detailreich war. Der Spurenlage nach war es Snyder gelungen, den Camry kurz vor der Einfahrt zur Gasse überraschend abzubremsen. Die Verfolger rasten noch ein ganzes Stück weiter, bevor sie umdrehen konnten. Snyder wagte ein schnelles Manöver, um in die Gasse zu kommen.
»Wenn es ihr gelungen wäre, hätten die Verfolger vermutlich das Nachsehen gehabt«, erklärte der Techniker.
Er bestätigte damit Phils Vermutung. Doch der Aufprall auf die Ecke des Hauses kostete sie zu viel Zeit.
»Der tödliche Schuss wurde von der Einmündung der Gasse abgefeuert. Die Schussbahn lässt mich vermuten, dass der Täter entweder kniete oder aus einem Fahrzeug feuerte«, sagte der Techniker.
Der geschilderte Ablauf deutete stark auf einen Schuss aus einem Wagen hin. Ich warf einen Blick hinüber zur Einmündung und folgte dann der vermutlichen Schussbahn des Projektils.
»Entweder haben wir es mit einem echten Scharfschützen zu tun oder es war ein unglaublicher Glückstreffer«, sagte ich.
Das sofortige Kopfschütten des leitenden Technikers überraschte mich.
»Kein Glückstreffer, Inspektor. Der Killer hätte ausreichend Gelegenheit gehabt, den Erfolg seines Schusses am Opfer zu überprüfen. Hat er aber nicht«, widersprach er.
Damit stand für mich fest, dass wir es in beiden Fällen mit erstklassigen Profis zu tun hatten. Sowohl die Angreifer, die Phil und mich aus dem Verkehr gezogen hatten, als auch die Killer im Mordfall Snyder erwiesen sich als sehr erfahrene Gangster. Einen Augenblick lang ging mir ein anderer Gedanke durch den Kopf, aber diesen Verdacht wollte ich zu diesem Zeitpunkt keinesfalls mit dem Techniker besprechen. Ich dankte ihm und machte ihm ebenfalls klar, dass diese Untersuchung absoluten Vorrang hatte.
Anschließend kehrte ich mit Phil zum Interceptor zurück, nachdem wir uns den mageren Inhalt des Camry angesehen hatten. Unter den sichergestellten Dingen war nichts, was uns auf den ersten Blick bei den Ermittlungen weiterbringen konnte. Wir stiegen in den Wagen.
»Was ging dir gerade eben durch den Kopf, als der Techniker dir widersprochen hatte?«, fragte Phil.
»Er sprach von professionellen Gangstern, die für den Anschlag auf Snyder verantwortlich sind. Gleiches trifft auf die Männer aus dem Ford Explorer zu«, antwortete ich.
Phil startete den Motor, fuhr aber noch nicht los.
»Angesichts des Hintergrunds von Jones’ Untersuchungen könnten wir auch in eine andere Richtung denken«, sagte ich.
Phils Blick wanderte kurz hinüber zu den Cops an der Absperrung. »Würde die professionelle Ausführung erklären. Jetzt verstehe ich, warum du es nicht in Gegenwart des Technikers ausgesprochen hast«, erwiderte er dann.
Solange es aber keine handfesten Beweise gegen Cops oder vielleicht sogar Agents des FBI gab, würden wir uns hüten, diese Vermutungen mit anderen zu besprechen. Vorerst behielten Phil und ich das für uns.
***
Es war der erste Angelausflug für Jason seit drei Wochen. Der Unternehmensberater ging über den Steg zu seinem Motorboot. Sein Blick erfasste die Aufbauten der Antares und sofort spürte er, wie die Anspannung der vergangenen Wochen von ihm abfiel. Mit lässigem Schwung hievte Jason die Kühltasche über die Reling und kletterte an Bord. Anschließend verstaute er die Bierflaschen im Kühlschrank und prüfte den Inhalt der Treibstofftanks.
»Dann muss ich ja nicht einmal tanken«, murmelte er.
Zufrieden mit dem Ergebnis, öffnete Jason die erste Bierflasche und trank einen langen Schluck, bevor er mit einem zufriedenen Grinsen die Zigarre aus der Hemdtasche zog. Als er die ersten Rauchwolken ausstieß und der laue Wind im Hafen von Hilton Head Island ihn zerfaserte, fühlte er sich rundum glücklich.
Auf dem Kabinenkreuzer neben der Antares tauchte der Kopf von Andy auf. Der ehemalige Gebrauchtwagenhändler, dem die grauen Haare wie meistens wild vom Kopf abstanden, hielt ebenfalls eine Bierflasche in der Hand. Er prostete Jason zu.
»Hi, Nachbar. Ziemlich lange her, dass Sie auf Ihrem Boot waren«, rief Andy.
»Stimmt. Der Job frisst mich immer mehr auf. Das kann einem Pensionär natürlich nicht passieren«, erwiderte er.
Im Grunde verstanden die beiden Männer sich ziemlich gut, wenn da nicht die ab und an auftretenden Sticheleien von Andy wären. Der schluckte die Provokation mit der ihm angeborenen Sturheit und deutete dann mit der Bierflasche auf die Bordwand der Antares .
»Was haben Sie da eigentlich im Netz hängen?«, wollte er wissen.
Netz? Jason krauste verblüfft die Stirn. Dann warf er einen Blick zum Bug, wo sich der Kasten mit dem Schleppnetz befand. Das Vorhängeschloss war offensichtlich zu und nicht etwa beschädigt.
»Mein Netz ist ordentlich verstaut«, erwiderte er.
Jason machte zwei Schritte auf die Reling zu und beugte sich leicht darüber. Andy stand auf seinem Boot ebenfalls an der Reling und deutete erneut auf das Netz. Es trieb zwischen den beiden Anlegern. Jason versuchte zu erkennen, was sich darin verfangen hatte. Was immer es auch war, eine zerrissene Plastikplane sowie abgerissene Pflanzenteile erschwerten es zu sehr.
Wenn Jason gleich ablegen wollte, durfte er das Netz nicht einfach ignorieren. Ansonsten drohte es sich in der Schiffsschraube zu verfangen, und dann wurde nichts aus seinem Angelausflug. Jasons gute Laune erlitt einen Rückschlag. Es wurmte ihn auch, dass Andy offenbar das Netz schon länger bemerkt, aber nichts unternommen hatte.
»Helfen Sie mir, es an Land zu ziehen. Dann finden wir schon heraus, was sich darin verfangen hat«, rief Jason.
Einer so direkten Aufforderung konnte sich nicht einmal der frühere Gebrauchtwagenhändler entziehen, also stellte Andy seine Bierflasche weg und holte eine Stange mit Haken. Jason hielt seine bereit und dann zogen sie vorsichtig das Netz zum Heck ihrer Boote. Während Andy es dort mit seinem Haken sicherte, kletterte Jason an Land und übernahm von dort die weitere Sicherung.
Schließlich konnten die beiden Männer das Netz mit vereinten Kräften an Land ziehen. Schwer atmend legten sie die Stangen aus den Händen und gingen in die Hocke. Das Netz hatte sich um etwas Längliches gewickelt, sodass Jason und Andy es nach und nach lösen mussten. Auf einmal drehte sich der Gegenstand und Andy fuhr mit einem entsetzten Ausruf zurück.
Als Jason den Grund dafür sah, schaffte der Unternehmensberater es gerade noch bis zum Rand des Anlegers. Dann würgte er so lange, bis nur noch Magenflüssigkeit ins ölige Wasser tröpfelte. Andy hatte sich vom ersten Schreck erholt und alarmierte bereits die Cops.
»Ganz sicher, Officer. Wir haben eine männliche Leiche aus dem Wasser hier im Hafen gezogen. Sie hat sich in einem Netz verfangen und sieht echt übel aus«, erklärte er.
Anschließend schob Andy sein Mobiltelefon zurück in die Seitentasche seiner Khakihose und schaute zu Jason. Der sprang an Bord seines Bootes und holte zwei Flaschen Bier. Als er Andy eine davon wortlos in die Hand drückte, nickte der dankbar.
»Den Angelausflug können Sie jetzt streichen«, meinte er.
Der erste Streifenwagen traf keine fünf Minuten später bei ihnen ein. Anfangs zeigten die beiden Officers sich skeptisch, aber beim Anblick des Leichnams änderte sich ihr Verhalten umgehend. Während der Streifenführer über Funk den Rechtsmediziner sowie Detectives anforderte, befragte der andere Cop die beiden Männer.
»Haben Sie ihn angefasst oder etwas aus dem Netz genommen?«, fragte er.
Andy und Jason schüttelten synchron den Kopf. Daraufhin ließ der Cop sich genau schildern, wie sie auf das Netz aufmerksam geworden waren und es anschließend aus dem Wasser gezogen hatten. Andy räumte ein, dass ihm das Netz bereits am Vortag aufgefallen war.
»Ich ging davon aus, dass Jason es dort vergessen hatte. Da ich nicht auslaufen wollte, störte es mich nicht«, erklärte er.
Der zweite Officer hatte seine Funkmeldung abgesetzt und untersuchte vorsichtig die Taschen des Toten. Dabei stieß er auf eine Brieftasche mit eingeschweißtem Führerschein und zog sie mit einem leisen Pfiff heraus. Als der Officer sich erhob und den Namen des Toten aussprach, wurde sein Kollege stutzig.
»Jones, sagtest du? Etwa Melvyn Jones, den das FBI sucht?«, hakte er nach.
Nachdem sein Kollege es bestätigt hatte, schnappte der ältere Officer sich den Führerschein und eilte hinüber zum Streifenwagen.
»Das FBI sucht den Kerl? Was hat er ausgefressen?«, fragte Andy.
Seine robuste Natur sorgte dafür, dass der Ekel verflogen war und dafür die angeborene Neugier in den Vordergrund trat. Doch eine Antwort erhielt er nicht. Das ärgerte Andy so sehr, dass er sein Smartphone unbemerkt aus der Tasche zog und das weitere Geschehen auf dem Anleger filmte. Aus einem Instinkt heraus hielt er das Objektiv längere Zeit auf den im Netz eingewickelten Leichnam gerichtet. Weder Jason noch einer der beiden Cops bemerkte es.
***
Die Nachricht über den Leichenfund erreichte uns am Schreibtisch. Phil und ich schrieben gerade unsere Protokolle über die Ereignisse des Tages, als Agent Casper ins Büro kam. Mir war sofort klar, dass etwas passiert sein musste.
»Melvyn Jones wurde gefunden. Sein Leichnam hatte sich in einem Fischernetz verfangen und wurde von zwei Anglern aus dem Wasser gezogen«, sagte er.
»Wo genau?«, fragte ich.
Caspers Antwort ließ mich einen ratlosen Blick mit Phil wechseln.
»Wo liegt die Insel?«, fragte er.
Als Agent Casper es uns auf einer Karte von South Carolina zeigte, schaute ich ihn verwundert an.
»Was wollte Jones denn dort? Wurde er ermordet?«, fragte ich.
Zu viele Fragen für den Leiter der Außenstelle. Agent Casper kannte selbst nur die wesentlichen Details, die von den Kollegen aus Savannah weitergemeldet worden waren. Zwei Agents waren umgehend zur Insel gefahren, nachdem die Cops die Identität des Toten gemeldet hatten. Zurzeit war der Leichnam auf dem Weg in die Rechtsmedizin von Savannah, da der Tod von Jones eine Angelegenheit der Bundesbehörden war.
»Der Leichnam soll dort nicht von den örtlichen Rechtsmedizinern obduziert werden. Ich schicke zwei unserer Wissenschaftler aus Quantico, die sich darum kümmern. Dr. Willson und Dr. Fortesque werden sich beim Leiter des Field Office melden«, ordnete ich an.
Während Agent Casper unser Büro verließ, um die Anordnung weiterzugeben, wählte ich bereits die Nummer des Labors’ in Quantico. Gerold war noch an seinem Schreibtisch, sodass ich mit ihm die Aufgabe in Savannah besprechen konnte.
»Und Sie denken wirklich, dass ich diesen nervigen Engländer mitnehmen muss?«, fragte er.
Damit meinte er Dr. Fortesque. Die beiden Wissenschaftler pflegten eine spezielle Freundschaft, die von außen betrachtet wie der ewige Streit zweier Alphatiere wirkte. Tatsächlich war es nur gut gemeinter Spott, der auf rein intellektueller Ebene ausgefochten wurde.
»Es könnte gut sein, dass seine besonderen Fähigkeiten als Biologe gefragt sind«, erwiderte ich.
Es war nicht mehr als eine vage Vermutung, doch bei der Brisanz der Ermittlungen wollte ich lieber zu viele als zu wenige Experten an meiner Seite haben. Gerold bestätigte mir, dass er und sein Kollege am nächsten Tag nach South Carolina fliegen würden. Damit war ein wichtiger Schritt getan. Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, schaute ich hinüber zu Phil.
»Hast du irgendeine Vorstellung, wieso Jones’ Leichnam im Hafen von Hilton Head Island gefunden wurde?«, fragte ich.
Doch mein Partner war genauso ratlos wie ich. Aus den bisherigen Ermittlungen ging nicht hervor, dass der Sonderermittler auch in South Carolina tätig werden wollte. Wir standen vor einem echten Rätsel, das unseren Ermittlungen eventuell eine völlig neue Richtung und Dimension gab.
***
Am Tag darauf fuhren Phil und ich vom Hotel direkt ins Police Department. Dort trafen wir nicht nur Detective Konrad, sondern zu Phils Freude auch die Staatsanwältin Alexa Crawford an. Nachdem wir uns angemeldet hatten und mit Besucherausweisen am Revers bis zum Büro von Detective Konrad gebracht worden waren, tauschten wir dort zunächst mit ihm und Crawford die neuesten Erkenntnisse aus.
»Der Leichenfund gibt Ihnen ebenfalls große Rätsel auf?«, fragte die Staatsanwältin.
Offenkundig hatte sie sich bereits ausführlich mit Detective Konrad darüber unterhalten. Beide staunten über den weit entfernten Fundort des Leichnams. Sehr ärgerlich waren die offenbar mit einem Smartphone aufgenommenen Bilder, die vermutlich einer der Zeugen an eine Fernsehstation verkauft hatte. Damit war nun auch der Mörder vorgewarnt.
»Nach unseren Erkenntnissen existiert keine Verbindung nach Hilton Head Island. Jedenfalls hat Mr Jones es uns beiden gegenüber niemals erwähnt«, erklärte Alexa Crawford.
Damit hatte sich bereits eine meiner Hoffnungen erledigt. Blieb aber noch die Chance darauf, dass es einen Hinweis in Verbindung mit den Ermittlungen zum Tod von Camilla Snyder gab. Als ich Detective Konrad darauf ansprach, huschten seine buschigen Augenbrauen in die Höhe. Er legte sein Gesicht in nachdenkliche Falten, von denen er jede Menge aufweisen konnte. Seine braunen Augen verschwanden dabei fast hinter den wulstigen Lidern, während Konrad angestrengt nachdachte. Schließlich stieß er die Luft aus und hob ratlos die Schultern.
»Sorry, Inspektor. Seit dem Mord gestern an Snyder habe ich mir persönlich alles angesehen, was sie in den zurückliegenden Wochen abgesegnet oder beantragt hat«, sagte er dann.
Darunter war laut seiner Aussage vor allem langweiliges Verwaltungszeug, wie Konrad es nannte. Ich warf der Staatsanwältin einen Blick zu, da ich nicht erkennen konnte, ob sie den Detective bereits über Jones’ Verdacht gegenüber der Verwaltungsangestellten informiert hatte. Die kluge Frau erfasste sofort mein Dilemma.
»Detective Konrad wurde schon gestern von mir über die Liste möglicher Verdächtiger informiert. Ich musste ihm mitteilen, dass Camilla Snyder darauf eine entscheidende Position eingenommen hat«, sagte sie.
Wie hart ihn das getroffen hatte, zeigte seine Reaktion. Eine dunkle Wolke schien sich über sein Gesicht auszubreiten und er rollte unangenehm berührt die Schultern. Niemand schätzte es, wenn einer der Kollegen als möglicher Verräter in den Fokus einer Ermittlung geriet. Auch dann nicht, wenn es sich dabei um einen zivilen Angestellten handelte. Das Image des Departments würde darunter leiden, aber der Vertrauensverlust wog erheblich schwerer.
»Keine dankbare Aufgabe, sich dann die Arbeitsvorgänge der Kollegin anzusehen und nach Hinweisen auf Verrat zu suchen«, sagte ich.
Trotzdem hatte Detective Konrad als Leiter der Mordermittlung genau das getan. Als er uns sein Vorgehen erläuterte und das Ergebnis präsentierte, zeigte er seine hohe Professionalität.
»Zunächst habe ich nach auffälligen Überschneidungen zwischen Camillas Tätigkeiten und späteren Schwierigkeiten in laufenden Ermittlungen gesucht. Fehlanzeige. Auch die Überprüfung anstehender Prozesse führte zu keinem Resultat, das auf ein korruptes Verhalten hindeuten könnte«, erklärte Konrad.
Wir mussten uns dazu nicht ausschließlich auf sein Wort verlassen, sondern konnten es anhand ausgedruckter Protokolle bestens nachvollziehen. Der Detective hatte gründlich und ohne Rücksicht auf die Belange des Departments ermittelt.
»Sehr gute Arbeit, Detective«, lobte ich.
Auch wenn mir das Ergebnis nicht zusagte, blieb es hervorragende Ermittlungsarbeit. Allein das ersparte Phil und mir viel Zeit, die wir in das Verfolgen anderer Hinweise investieren konnten.
»Besteht die Möglichkeit, dass eine IT-Spezialistin von uns Einblick ins System des Departments erhält?«, fragte ich.
Ich hätte es fordern oder anweisen können. Meine Dienststellung als Inspektor bot dazu die erforderlichen Kompetenzen, doch angesichts der guten Kooperation der Staatsanwältin sowie von Detective Konrad wählte ich den Weg der freiwilligen Zustimmung. Die beiden tauschten einen kurzen Blick aus, wobei mir das knappe Nicken von Staatsanwältin Crawford nicht entging.
»Das lässt sich ohne Weiteres arrangieren, Inspektor«, willigte Konrad ein.
Ich dankte ihm und entschuldigte mich, um mit Mai-Lin darüber zu sprechen. Am Mobiltelefon erklärte ich ihr mein Anliegen und wonach sie Ausschau halten musste. Sollte sich die Verwaltungsleiterin clever genug angestellt haben, um oberflächlich keine Spuren zu hinterlassen, würde die Informatikerin diese aber in den Tiefen des Systems aufspüren. Anschließend kehrte ich ins Büro von Detective Konrad zurück. Dort wurde lebhaft diskutiert, sodass ich mich erst mal auf meinen Stuhl setzte und zuhörte.
»Wir haben jede noch so unbedeutende Querverbindung zwischen den Verdächtigen untersucht. So gibt es einen Wellness-Club in der Stadt, in dem wenigstens drei Personen von der Liste regelmäßig verkehrt haben. Mr Jones war ausgesprochen gründlich, aber dadurch wurde es auch sehr unübersichtlich«, sagte die Staatsanwältin.
Offenbar hatte Phil seine Einwilligung erteilt, dass Detective Konrad ungehinderten Einblick in unsere Ermittlungen erhielt. Das verwunderte mich zwar ein wenig, aber ich vertraute auf seinen Instinkt.
»Wenn es dieses ominöse Netzwerk hier in Macon tatsächlich gibt, muss doch ein Anführer oder Koordinator existieren. Bei unseren Ermittlungen sind wir aber bislang auf keine solche Person gestoßen«, sagte Alexa Crawford.
Als Agent Casper uns diese Arbeitshypothese am Tag zuvor geschildert hatte, konnten Phil und ich nichts Nachteiliges darin sehen. Dennoch hatte sie sich bisher nicht als hilfreich herausgestellt. Ich beugte mich vor und nahm die Liste der Verdächtigen vom Schreibtisch.
»Im Grunde können wir nur weitermachen wie bisher. Inspektor Decker und ich werden einfach die nächste Person aufsuchen, mit der Mr Jones nach Camilla Snyder gesprochen hat«, warf ich ein.
Es war nicht nur der einzige erkennbare Weg in meinen Augen, sondern sollte uns zusätzlich etwas zeigen. War der zeitgleiche Anschlag auf die Verwaltungsleiterin wirklich ein unglücklicher Zufall gewesen oder wurde er durch unsere Ermittlungen ausgelöst? Diese Frage stellte sich für mich. Sollte es erneut zu einem Angriff kommen, wenn wir Donald Zimmerman aufsuchen wollten, erhielten wir damit einen wichtigen Hinweis.
Der Beamte arbeitete in der Verwaltung des Bibb County. Dort war er verantwortlich für die Überwachung der im County angesiedelten Firmen in Bezug auf Sicherheits- oder Umweltvorschriften. Es klang relativ unspektakulär, doch genau in dieser Position verfügte Zimmerman über enormen Einfluss. Wenn jemand ein seriöses Unternehmen als Deckmantel für illegale Geschäfte nutzen wollte, konnte der Beamte ihm dabei sehr nützlich sein.
So konnte Zimmerman zum Beispiel die erforderlichen Überprüfungen der Inhaber manipulieren oder Termine von Kontrollbesuchen diverser Behörden verraten. Auf jeden Fall hatte Melvyn Jones den Beamten als nächste Person nach Camilla Snyder auf die Liste gesetzt. Ich bat die Staatsanwältin, uns mehr über Zimmerman zu erzählen. Während sie es tat, suchte Detective Konrad bereits im System des Police Department nach Einträgen.
»Er hat eine Frau und drei Kinder. Die jüngste Tochter besucht die Junior High School und ihre Geschwister die High School. Mrs Zimmerman arbeitet stundenweise bei einer Regionalzeitung. Die ganze Familie besucht regelmäßig die St. Joseph’s Catholic Church«, sagte Alexa Crawford.
Dem äußeren Anschein nach handelte es sich bei Donald Zimmerman und seiner Familie um typische Angehörige des Mittelstandes. Es gab einen unbezahlten Strafzettel der Ehefrau, die ihr Fahrzeug vor einem Hydranten geparkt hatte. Ansonsten existierten keinerlei Einträge im System.
»Können Sie uns eine Bankauskunft der Familie beschaffen?«, fragte Phil.
Auch das war innerhalb kurzer Zeit erledigt, aber die finanzielle Situation der Familie erbrachte keinen Hinweis auf ein mögliches Motiv. Nichts ließ erkennen, dass Donald Zimmerman hätte korrupt werden müssen.
»Das wird ein schwieriger Besuch. Im Grunde können wir nur auf verräterische Reaktionen von Zimmerman hoffen, wenn auf einmal zwei Inspektoren des FBI in sein Büro marschieren und androhen, sein gesamtes Leben unter die Lupe zu nehmen«, sagte Phil.
Es war sehr wenig und doch unsere beste Chance. Solange wir den Laptop des Sonderermittlers nicht in die Hände bekamen, fehlten uns die Hinweise auf seine Ermittlungen. Wir bedankten uns bei Detective Conrad und verließen gleich darauf das Department.
Die Staatsanwältin schloss sich uns an. Auf dem Parkplatz verabschiedete sich Phil von ihr, was ungewöhnlich viel Zeit in Anspruch nahm. Als er den Interceptor zwei Minuten später vom Parkplatz steuerte, fragte ich ihn ganz direkt.
»Hast du dich mit Alexa verabredet?«
Er warf mir einen Seitenblick zu und lächelte in sich hinein. Mehr Antwort war nicht nötig, also bohrte ich auch nicht weiter nach.
***
Nachdem wir die übliche Sicherheitsprozedur im Eingangsbereich des Verwaltungssitzes des Countys hinter uns gebracht hatten, fuhren Phil und ich mit dem Lift hinauf ins sechste Stockwerk. Dort betraten wir kurz darauf das Vorzimmer zu Zimmermans Büro. Zwei Frauen und zwei Männer saßen hinter ihren mit Papierbergen überfüllten Schreibtischen.
Eine Frau mit kurzen blonden Haaren und einer Brille auf der Nase schaute uns entgegen. Dann erhob sie sich und trat uns in den Weg. »Sie können nicht ohne Termin einfach zu Mr Zimmerman ins Büro gehen«, sagte sie.
Die Angestellte beschützte ihren Vorgesetzten wie eine gute Sekretärin. Ich lächelte ihr zu und klappte gleichzeitig mein Etui mit der Marke auf.
»FBI! Inspektor Cotton, und das ist mein Partner, Inspektor Decker«, erwiderte ich.
Sie blinzelte verwirrt und eröffnete uns dadurch die Möglichkeit, an ihr vorbei zur Tür von Zimmermans Büro zu gehen. Ich klopfte lediglich einmal knapp an und trat dann ein.
»Wer sind Sie und was hat dieser Auftritt zu bedeuten?«, fragte Donald Zimmerman.
Für einen Mann seiner Größe kam er ausgesprochen flink aus seinem Schreibtischstuhl hoch. Das wachsblonde Haar hob sich deutlich von der intensiven Sonnenbräune ab, die keinesfalls nur durch gelegentliche Aufenthalte im Freien herrührte. Die grauen Augen funkelten uns erbost an. Ich wiederholte den kleinen Trick mit dem Ausweisetui und erzielte eine ähnliche Wirkung wie zuvor bei der Angestellten.
»FBI! Inspektor Cotton, und das ist Inspektor Decker, mein Partner«, sagte ich.
Während Phil mit einem kühlen Lächeln die Angestellte, die uns bis in Zimmermans Büro gefolgt war, aus dem Raum schob, setzte ich mich ungefragt in einen der Besucherstühle. Donald Zimmerman starrte aus einer Höhe von mehr als sechs Fuß auf mich hinunter, bevor sein Blick zu Phil sprang. Mein Partner war an einen Schrank mit offenen Fächern getreten und musterte die dort aufgestellten, gerahmten Bilder.
»Sie segeln im Americas Cup mit?«, fragte Phil.
Unser unorthodoxes Vorgehen brachte den Beamten der County-Verwaltung wie gewünscht aus dem Tritt. Zimmerman räusperte sich und kehrte schließlich zurück hinter seinen Schreibtisch, den er jetzt vermutlich als Schutzschild benötigte.
»Heute nicht mehr. Die Arbeit lässt längere Auszeiten auf See nicht mehr zu«, antwortete er.
Ich nickte verstehend und setzte den nächsten Nadelstich. »Zum Glück gibt es Sonnenstudios, damit die Blässe nicht zu stark wird«, warf ich ein.
Die Verärgerung kehrte in Zimmermans graue Augen zurück. Er war kein kleiner Angestellter, sondern stellte in seiner Welt sicherlich etwas dar.
»Mir gefällt weder dieser Überfall noch Ihr Tonfall, Inspektor Cotton!«, stieß er hervor.
Phil nahm ein anderes Bild aus dem Schrank. Darauf war Zimmerman mit einer unscheinbaren Frau und einer genauso unauffälligen Tochter zu sehen.
»Nette Familie. Das sind doch Ihre Frau und Ihre Tochter?«, fragte Phil.
Verwirrt über dieses Wechselspiel nickte Zimmerman nur.
»Interessant. Warum sind Ihre beiden anderen Kinder nicht mit auf der Fotografie?«, hakte ich nach.
»Wie bitte? Ich wüsste nicht, was Sie das angeht. Warum sind Sie überhaupt hier?«, wollte Zimmerman wissen.
Da Phil und ich uns für die harte Vorgehensweise entschieden hatten, aktivierte ich eine Aufnahme im Display meines Smartphones. Darauf war der übel zugerichtete Leichnam von Melvyn Jones zu sehen. Ich legte das Gerät vor Zimmerman auf den Schreibtisch, der unwillkürlich auf das Display schaute.
Zimmerman wurde wachsbleich im Gesicht und würgte vernehmlich. Dann sprang er auf und rannte zu einer Nebentür, durch die er in ein Badezimmer verschwand. Die eindeutigen Geräusche zeigten uns, dass Donald Zimmerman soeben sein Frühstück durch die Toilette spülen musste.
Danach lief eine Minute lang Wasser und erst dann kehrte Zimmerman zurück in sein Arbeitszimmer. Er war immer noch sehr bleich und schob als Erstes mein Smartphone mit einer angewiderten Geste von sich weg.
»Ich denke, Sie haben den Toten erkannt«, sagte ich.
Während ich das Smartphone wieder in meiner Jacke verstaute, starrte Zimmerman blicklos an mir vorbei. Schließlich rang er sich zu einem Nicken durch.
»Natürlich. Wer hat das getan?«, fragte er.
Bislang wussten wir nicht einmal mit absoluter Sicherheit, dass Jones einem Mord zum Opfer gefallen war. Ich würde mich aber hüten, Zimmerman gegenüber etwas über diese Zweifel zu erwähnen.
»Deswegen sind wir zu Ihnen gekommen«, sagte Phil. Er lehnte nun mit der Hüfte am Schrank und musterte Zimmerman scharf. Der reagierte auf die Anspielung, indem er ungläubig den Mund öffnete. Es kam zunächst kein Ton heraus.
»Sie denken, dass ich Jones ermordet habe? Wie kommen Sie nur auf so einen verrückten Gedanken?«, fragte er.
Ich zog eine Kopie der Liste mit möglichen Verdächtigen aus der Jacke und reichte sie Zimmerman, der sie nach kurzem Zögern annahm. Außer seinem und dem Namen von Snyder waren alle anderen unkenntlich gemacht worden. Der Effekt auf Zimmerman war dadurch vermutlich noch stärker, als wenn er alle Namen hätte lesen können.
»Ihr Name ist der zweite in einer Aufstellung, die Mr Jones angefertigt hatte. Sie erinnern sich bestimmt, welchem Auftrag er nachging«, sagte ich.
So langsam kam ich mir wie ein Zauberkünstler vor, dessen Tricks sich beim Publikum nur teilweise verfingen. Zimmerman musste endlich eine Reaktion zeigen, die uns einen Hinweis lieferte. Noch ging unser Plan jedenfalls nicht auf.
»Er suchte nach Personen in Behörden, die der Korruption verdächtigt wurden«, erwiderte Zimmerman.
Mit einem Ruck stieß Phil sich ab und war mit zwei schnellen Schritten neben Zimmermans Schreibtisch. Er tippte mit dem Zeigefinger auf dessen Namen, der unter dem von Camilla Snyder stand.
»Richtig, Mr Zimmerman. Jetzt fragen wir uns natürlich, wer ein Interesse am Verschwinden von Mr Jones haben könnte. Vermutlich doch die Person, die tatsächlich korrupt ist«, stieß Phil hervor.
Zimmerman schüttelte den Kopf und rang um seine Fassung. Er hielt sich erstaunlich gut.
»Sie verdächtigen mich? Nur weil ich auf dieser seltsamen Liste stehe?«, fragte er.
Seine Stimme vibrierte und deutete damit erstmals an, dass Zimmerman mit seinem Widerstand am Ende war.
»Eine Liste, die Mr Jones angefertigt hat«, sagte ich.
Mit zitterndem Finger deutete Zimmerman auf Snyders Namen. »Was ist mit dieser Frau? Immerhin steht ihr Name ganz oben auf der Liste!«, rief er.
Mit einer dramatischen Geste nahm Phil einen Kugelschreiber vom Tisch und strich Snyders Namen langsam durch. Gleichzeitig holte ich wieder mein Smartphone heraus und suchte ein Tatortfoto mit dem Genickschuss von Camilla Snyder. Als es auf dem Display erschien, schob ich das Telefon über den Tisch in Zimmermans Richtung. Im ersten Impuls zuckte er zurück und wollte das Smartphone einfach zu mir zurückschieben. Doch das verhinderte Phil, indem er seine Hand auf das Gerät legte.
»Sehen Sie hin, Zimmerman! So ergeht es allen, die zu einer Gefahr werden. Was denken die Hintermänner wohl, wenn sie von unserem kleinen Gespräch erfahren?«, drängte er.
Damit hatten wir endgültig unser Pulver verschossen. Zimmermans Blick flackerte zu dem grausigen Bild auf dem Display. Seine Gesichtsfarbe ging dieses Mal ins Grünliche, doch er konnte einen zweiten Ausflug ins Badezimmer verhindern. Nach langen Sekunden, die heftig an meinem Geduldsfaden zerrten, hob Zimmerman den Kopf. Ich konnte die Aufgabe in seinen Augen lesen. Sein Widerstand war gebrochen.
»Wenn ich auspacke, müssen Sie mich schützen. Mich und meine ganze Familie! Können Sie mir das zusagen, Inspektor Cotton?«, fragte er.
Eigentlich war es der Augenblick, in dem ich wenigstens innerlich hätte triumphieren müssen. Doch danach war mir beim Anblick des am Boden zerstörten Mannes einfach nicht zumute. Lediglich durch hartes Bluffen hatten wir Donald Zimmerman zu dieser Entscheidung getrieben. Es war richtig gewesen, auch wenn es sich jetzt nicht so anfühlte.
»Alles hängt von der Qualität Ihrer Aussage ab, Mr Zimmerman. Am besten begleiten Sie uns sofort in die Staatsanwaltschaft. Dort wird Ihre Aussage in Anwesenheit von Staatsanwältin Crawford protokolliert, und dann entscheiden wir darüber, ob wir Sie und Ihre Familie ins Zeugenschutzprogramm aufnehmen«, antwortete ich.
Offenbar reichte ihm diese Zusage aber völlig aus, denn er meldete sich mit matter Stimme bei seinem Vorgesetzten telefonisch ab und zog anschließend sein Sakko über. Als wir mit Zimmerman sein Büro verließen, um durch das Vorzimmer in Richtung der Fahrstühle zu gehen, schauten die vier Angestellten auf. In ihren Augen war pure Verwirrung zu lesen.
***
Auf der gesamten Fahrt nach unten blieb Donald Zimmerman sehr schweigsam, was ich ihm kaum verdenken konnte. Innerhalb einer halben Stunde hatte sich sein Leben buchstäblich auf den Kopf gestellt. Als die Türen sich vor uns öffneten, trat Phil zuerst hinaus und ihm folgte dann Zimmerman. Die beiden gingen bereits auf die Schranke zu, durch die alle das Gebäude der County-Verwaltung verlassen mussten. Selbst der Weg zur Tiefgarage war nur so möglich.
Mein Blick wanderte automatisch durch die Halle. Menschen kamen und gingen. Besucher standen vor der Informationstafel und suchten noch nach dem richtigen Büro für ihr Anliegen, während andere bereits die Sicherheitsschleuse passierten.
»He, was machen Sie denn!«, rief Phil.
Mein Kopf ruckte herum, nur um meinen Partner gegen einen Sicherheitsmann taumeln zu sehen. Donald Zimmerman rannte mit rudernden Armen durch die Besucher. Er wollte augenscheinlich ins Parkdeck fliehen. Irgendetwas hatte ihn dazu bewogen, seine Kooperationsbereitschaft zu überdenken und sich anders zu entscheiden.
»Stehen bleiben! Machen Sie doch keinen Fehler«, rief ich.
Im Laufen befestigte ich meine Marke an der Jacke. So wollte ich verhindern, irrtümlicherweise von den Sicherheitsleuten oder einem der Cops als gefährlich eingestuft zu werden. Kurz vor der Tür, die in die Tiefgarage führte, änderte Zimmerman erneut seine Laufrichtung. Er verharrte kurz, warf mir einen Blick zu und rannte nun auf die Tür zum Treppenhaus zu.
Das ergab überhaupt keinen Sinn, da so eine erfolgreiche Flucht immer unwahrscheinlicher wurde. Zimmerman hatte ganz offensichtlich die Nerven verloren. Hinter einer Übersichtstafel trat ein uniformierter Cop hervor, der seine Pistole bereits auf den Flüchtenden anlegte.
»FBI! Nicht schießen!«, brüllte ich.
Noch existierte keine Fahndungsmeldung, sodass der Officer scheinbar von einem Attentäter ausging. Mein Warnruf ließ den Cop kurz zögern, doch dann sah ich voller Entsetzen, wie er den Abzug betätigte. Zum Glück reagierte Zimmerman mittlerweile wie ein Hase und schlug wilde Haken. Der Schuss krachte durch die Lobby und löste umgehend eine Panik aus.
Besucher und Angestellte wollten sich in Sicherheit bringen, wobei sie sich gegenseitig behinderten. Ein Mann stieß eine Frau brutal zur Seite. Sie taumelte und geriet dadurch unglücklicherweise in die Schussbahn des Cops, der ungerührt weiter auf Zimmerman schoss. Die Kugel riss die Frau herum, die in einer seltsamen Pirouette zu Boden ging.
»Feuer einstellen! Nicht schießen!«, rief Phil.
Das zunehmende Chaos machte es für die übrigen Sicherheitskräfte fast unmöglich, die Übersicht zu behalten. Ich sah einen zivilen Wachmann, der neben einem Pult stand und seinen Revolver unschlüssig hin- und herschwenkte. Er wusste nicht, ob er auf den weiter feuernden Cop oder den im Zickzack rennenden Zimmerman schießen sollte.
Ich hetzte auf den Officer neben der Übersichtstafel zu und rief immer wieder, dass er nicht schießen sollte. Entweder hörte der Mann mich bei dem Lärm in der Halle nicht oder er wollte keine Befehle vom FBI annehmen. Dieses Mal krachten zwei Waffen und ich sah, wie Splitter des Holzrahmens aus der Tafel umherflogen.
Instinktiv warf ich einen Blick zur Seite. Der zivile Wachmann hatte sich zum Eingreifen entschlossen und den Cop unter Feuer genommen. Schreiende Menschen rutschten über den Boden, wobei sie Hände oder Aktentaschen zum Schutz über ihre Köpfe hielten. Die getroffene Frau rief stöhnend um Hilfe.
»FBI! Runter mit der Waffe«, rief ich.
Mittlerweile war ich nahe genug, um mich trotz des Lärms verständlich machen zu können. Der Officer wandte sich kurz um, musterte die Marke sowie die Glock in meiner Hand. Als ich sah, wie seine Pistole ruckte, reagierte ich ohne nachzudenken. Der Reflex verhinderte, dass die Kugel mich traf. Der Cop schoss auch auf mich!
»Bleib unten, Jerry«, rief Phil.
Jetzt schossen er und der Wachmann auf den Cop, der anders offenbar nicht zu stoppen war. Ich hatte Mühe, die verrückten Abläufe in der Halle zu ordnen. Mein Blick suchte Zimmerman, der gerade durch die Schleuse hetzte. Er wollte offenbar unter allen Umständen so schnell wie möglich hinaus aus dem Gebäude. Da der schießwütige Cop nun selbst unter Feuer stand, sah ich meine Chance als gekommen.
Mit einem Satz war ich auf den Füßen und jagte hinter Zimmerman her. Ich folgte seinem Beispiel und nahm die Abkürzung durch die Sicherheitsschleuse. Die Tür zum Ausgang stieß ich mit dem Fuß auf, um weiterhin die Glock im Anschlag führen zu können.
Von allen Seiten rasten Streifenwagen mit heulender Sirene und blinkenden Warnlampen auf das Gebäude zu. Zuerst konnte ich Zimmerman nicht entdecken. Dann sah ich den weiter wie von allen Teufeln gehetzten Beamten zwischen zwei geparkten Wagen auf die Fahrbahn rennen.
»Bleiben Sie stehen, Zimmerman!«, rief ich.
Sein Kopf fuhr herum und für einen Moment trafen sich unsere Blicke.
»Nicht weiterlaufen«, stieß ich hervor.
Doch meine Worte erreichten den panischen Mann nicht mehr. Zimmerman wirbelte herum und machte den verhängnisvollen Schritt hinaus auf die Straße. Offenbar hatte der Fahrer eines Streifenwagens die drohende Gefahr nicht erkannt. Der rechte Kotflügel erfasste Zimmerman, schleuderte seinen Körper in die Höhe, sodass er über die Motorhaube rollte und auf der anderen Seite des Wagens verschwand.
»Stopp!«, rief ich.
Es war wie verhext. Der Fahrer des Streifenwagens bremste sein Fahrzeug scharf ab und legte dann umgehend den Rückwärtsgang ein. Als ich es bemerkte, wollte ich ihn zurückhalten. Doch mein Ruf blieb ungehört.
»Jerry?«, rief Phil.