Jerry Cotton Sammelband 6 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sammelband 6 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sammelband 6: Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!

G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!

Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!

In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:

2805: Potent wie der Tod

2806: Wenig mehr als das Leben

2807: Speeddating mit einem Killer

2808: Cutters Weg

2809: Der Tod fährt mit

Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.

Jetzt herunterladen und garantiert nicht langweilen!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 672

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Impressum

BASTEI ENTERTAINMENT Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG Für die Originalausgaben: Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller Verantwortlich für den Inhalt Für diese Ausgabe: Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln Covermotive von © shutterstock: Flik47 | PanicAttack ISBN 978-3-7325-7016-4

Jerry Cotton

Jerry Cotton Sammelband 6 - Krimi-Serie

Inhalt

Jerry CottonJerry Cotton - Folge 2805In New York tauchten gepanschte Medikamente auf, die zu einer Reihe von Todesfällen geführt hatten. Im strengen Sinne war das Mord. Phil und ich machten uns daran, den Weg der Medikamente, die häufig auch von Bodybuildern zur Leistungssteigerung verwendet wurden, zurückzuverfolgen. Dieser Weg führte mich zu einem Sportstudio, in dem nicht nur Hanteln gestemmt wurden...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2806Rita Johnson hing an den Füßen aufgehängt von der Decke einer Lagerhalle und war tot. Bevor sie starb, war sie auf unmenschliche Art gequält worden. Phil und ich wussten sofort, dass sie Opfer eines Serienmörders geworden war, der uns schon eine Zeit lang zu schaffen machte. An Rita Johnson fanden wir aber zum ersten Mal DNA-Spuren von einem Mann und einer Frau, die als Täter infrage kamen. Doch der Profiler James Lentor war sich ganz sicher, dass es sich um einen Einzeltäter handeln musste ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2807Speed-Dating wurde in New York immer beliebter und nach zwei solcher Veranstaltungen hatten wir zwei weibliche Leichen. Beide Male war ein Messer die Tatwaffe, aber die Frauen selbst waren ganz unterschiedlichen Typs. Konnte man einen Serienmörder ausschließen? Phil und ich machten uns daran, die Spuren auszuwerten, die in den Sumpf menschlicher Großstadtbeziehungen führten ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2808Steve Dillaggio war der Verbindungsmann zu Agent Cutter, der undercover die Balkanmafia infiltriert hatte. Die Mission war so geheim, dass nur Steve und Mr High davon wussten. Als der Chef mich und Phil eines Morgens einweihte, war sofort klar, dass etwas Entscheidendes passiert sein musste. Steve war verschwunden und wir sollten ihn finden. Leider war ich Phil keine große Hilfe, denn auch ich geriet schnell in die Hände der skrupellosen Gangster ...Jetzt lesen
Jerry Cotton - Folge 2809Im Field Office des FBI New York war die Hölle los. Bei namhaften Zeitungen waren Schreiben eingegangen, mit denen die MTA um 10 Millionen Dollar erpresst werden sollte. Der oder die Unbekannten drohten mit Anschlägen auf die U-Bahn. Mr High bildete sofort einen Krisenstab, doch wir hatten nichts in der Hand. Dann starb ein Fahrgast an einer Vergiftung mit Rizin, das ihm mittels einer Spritze in der U-Bahn beigebracht wurde ...Jetzt lesen

Inhalt

Cover

Impressum

Potent wie der Tod

Vorschau

Potent wie der Tod

Raymond Baker war aufgeregt wie ein Kind am Weihnachtsabend. Auch wenn die Weihnachtsfeiertage schon fast zwei Monate hinter ihm lagen, heute würde er sich beschenken. Er schlenderte zum Fenster und schob den schweren Vorhang zur Seite. Von der zwanzigsten Etage des Hudson Hotel aus blickte er in die Nacht. Tausende, abertausende Lichter glühten wie Glühwürmchen im Juli und bildeten die flirrende New Yorker Skyline.

Sein Spiegelbild schaute ihm entgegen. Er sah noch immer gut aus. Warum auch nicht? Er war Mitte dreißig und weder Frau noch Kind bereiteten ihm Sorgen. Keine Frau, kein Kind – keine schlaflosen Nächte, dachte er und ignorierte das Gefühl in seinem Magen.

Sein Abbild fuhr sich durchs Haar. Nur die langen Tage im Büro machten sich als dunkle Halbmonde unter den Augen bemerkbar. Aber das war nichts, was man nicht mit einem Wochenende im Bett und jeder Menge Spaß kurieren konnte.

Nervosität kroch seinen Rücken hinauf. Er hatte dem jungen Mann an der Rezeption gesagt, er solle sie gleich raufschicken. Wo sollte er sie empfangen? Auf dem Bett?

Er setzte sich auf die Kante. Aber sofort schnellte er wieder hoch. Nein, das war zu plump, zu direkt.

Er ging zu dem Glastisch, auf dem ein Obstkorb und eine Flasche Champagner im Kühler bereitstanden, und ließ sich in den schweren Sessel fallen. Versuchsweise schlug er die Beine übereinander. Es fühlte sich komisch an. Unecht.

Da klopfte es. Sie war pünktlich.

Er holte tief Luft, legte ein Lächeln auf sein Gesicht und öffnete die Tür.

»Sind Sie Raymond?«, fragte eine sanfte Stimme.

Nickend schluckte er seine Erregung hinunter. Egal was die Nacht bringen würde, sie war sein Geld jetzt schon wert.

»Mein Name ist Jane«, sagte die Frau in der Tür und reichte ihm die Hand. Dann betrat sie das Zimmer. Wie nebenbei ließ sie ihren cremefarbenen Mantel auf den Sessel gleiten. Es war Februar, aber dem schwarzen Kleid nach zu urteilen, das sie trug, hätte es ein heißer Augusttag sein können.

Jane drehte sich einmal um die eigene Achse. Ihre Augen leuchteten. »Gefällt dir, was du siehst?«

Baker betrachtete ihre Figur. Ihr Bauch war flach, ihre Brüste würden gut in seinen Händen liegen und ihre Beine endeten in goldenen Stilettos. Das Make-up war dezent wie das einer kultivierten Frau. Das Auffälligste an ihr waren die wilden, roten Locken. Sie glühten wie die Sonne bei ihrem Untergang im Meer.

Oh ja, ihm gefiel, was er sah. Er löste sich vom Türrahmen und ging langsam auf sie zu. Wenige Zentimeter vor ihr blieb er stehen. Sie war groß. Er überragte sie nur um einen halben Kopf. Wäre sie kein Callgirl, sie wäre die perfekte Frau für ihn.

Lächelnd zupfte Jane eine Weintraube aus dem Obstkorb und steckte sie zwischen zwei Reihen weißer Zähne. Die nächste Traube schob sie in seinen Mund.

***

Stöhnend setzte Raymond sich auf.

»Ach, komm schon. Das kann doch passieren«, gurrte die Frau hinter ihm und strich ihm über den Bauch. »Du bist ein gut aussehender Mann mit jeder Menge Muskeln. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal.«

Oh Gott, wie häufig wird sie diesen Satz schon gesagt haben? Obwohl, wenn Baker sie so anschaute, wahrscheinlich nicht allzu oft. Nackt rekelte sie sich in den seidenen Laken. Ihr wunderschöner Körper hielt alle Versprechungen. Nur sein Körper erfüllte die an ihn gestellten Erwartungen nicht. »Scheiß Diabetes«, fluchte er mit seinem vertrauten Sprachfehler. Augenblicklich fühlte er sich lächerlich. Und zu Jane sagte er: »Wir haben Freitagabend. Hinter mir liegt eine anstrengende Woche, ich will mich heute entspannen, nicht beim nächsten Mal.« Fast schon wütend griff er in die Tasche seines Jacketts. »Ich werfe schnell etwas ein, dann machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben.«

Jane setzte sich auf und zeigte auf die Pille in seiner Hand. »Was ist das?«, fragte sie.

»Ein Zaubermittel«, antwortete er und legte sich neben sie. »Es macht mich stark und groß.«

***

Es war früher Sonntagmorgen und wenig Verkehr auf den Straßen. Der Nieselregen der vergangenen Nacht setzte sich fort. Der Jaguar glitt über die regennasse Fahrbahn und warf einen breiten Fächer weißes Licht in die Pfützen. An der üblichen Ecke hielt ich an und sammelte Phil auf. Mit tropfendem Mantel ließ er sich auf den Beifahrersitz fallen. »Das war’s dann mit dem freien Wochenende«, murrte er.

»Was meckerst du?«, fragte ich. »Bist du sauer, weil du den Superbowl verpasst?«

Sein böser Blick und seine zusammengepressten Lippen genügten mir als Antwort, und so steuerte ich wortlos den Jaguar in Richtung Federal Plaza.

Im Aufzug nach oben versuchte ich, ihn aufzumuntern. »Zieh nicht so ein Gesicht. Ich habe mich auch auf das Spiel gefreut.« Ich öffnete meinen Mantel und lenkte seinen Blick auf das blaue Sweatshirt, das ich heute anstatt des üblichen Bürohemds trug. In weißen Buchstaben stand darauf New York und darunter rot und fett Giants.

***

»Guten Morgen, Jerry, guten Morgen Phil«, begrüßte uns Helen. Egal zu welcher Tageszeit wir sie antrafen, ihr Lächeln strahlte uns wie immer entgegen. Heute sah sie besonders chic aus. Sie trug ein cremefarbenes Kostüm und ihr glänzendes Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten zusammengebunden. Sandfarbene Perlen zierten sowohl ihre Frisur als auch ihren hübschen Hals.

»Ich wollte auf eine Hochzeit gehen«, erklärte sie, als sie unsere fragenden Blicke sah.

»Das kannst du uns nicht antun«, rief Phil entsetzt.

Helen lachte. »Keine Angst, ich wollte nicht selbst heiraten.« Sie zeigte auf mein Sweatshirt und schüttelte bedauernd den Kopf. »Aber so wie ihr ausseht, hattet ihr auch andere Pläne für den Tag.«

»Superbowl«, murrte Phil.

»Vielleicht seid ihr ja bis dahin fertig«, sagte sie und reichte jedem von uns eine Tasse Kaffee.

Ich glaubte nicht daran, lächelte aber trotzdem dankbar, als mir der Geruch ihres weltbesten Muntermachers in die Nase stieg.

»Was liegt an?« Ich versuchte aus Helen herauszukitzeln, was uns im Büro des Assistent Director erwartete. Mr High hatte uns bereits in den frühen Morgenstunden herzitiert.

Doch Helen war verschwiegen wie eh und je. »Geht nur hinein, der Chef erwartet euch schon.«

»Morgen«, empfing uns Mr High. Sein Gesicht sah noch zerknitterter aus als üblich. Nahezu griesgrämig nippte er an seinem Kaffee. »Dr. Lacy hat mich heute in aller Herrgottsfrühe angerufen. Auf seinem Tisch liegt ein Toter.«

Das allein war für einen Coroner nichts Ungewöhnliches. Ich wartete gespannt auf die Fortsetzung. Unser Chef öffnete eine Akte. »Raymond Baker, 35 Jahre alt, nicht verheiratet, wohnhaft Scarboro Avenue auf Staten Island. Wurde tot im Hudson Hotel in Manhattan aufgefunden. Eingecheckt hatte er am Freitagabend, bezahlte für eine Nacht. Samstagmittag fand das Zimmermädchen ihn im Bett. Tot.«

Phil knurrte. »Sir, warum wird uns der Fall übertragen? Das fällt doch in das Aufgabengebiet des NYPD.«

Phil hatte recht. Doch ich spürte, da kam noch etwas nach. Mr High hatte bestimmt einen guten Grund, wenn er uns am Superbowl-Wochenende zu sich rief.

»Das ist noch nicht alles«, fügte er prompt hinzu. »Die Kollegen haben Baker durch das NCIC laufen lassen.«

Ich wartete gespannt darauf, was das National Crime Information Center wohl ausgespuckt haben könnte.

»In den 90ern wurde Baker wegen Fahrens ohne Führerschein festgesetzt. Raten Sie mal, wer die Kaution gezahlt hat?«

Ich schaute ihn erwartungsvoll an.

»Sebastian Shoemaker«, lüftete er das Geheimnis.

Phil pfiff durch die Zähne. »Der Kerl von der New York Times?«

»Genau der. Raymond Baker war sein Neffe.«

Ich verstand die Anspielung und wusste, woher der Wind wehte. War ein Familienmitglied der Journalistengilde in Bedrängnis, stürzten sich die Medien wie Geier auf alles, was sie in die Klauen und zwischen ihren spitzen Schnabel bekommen konnten. Und Sebastian Shoemaker war ein Meisterexemplar seiner Zunft. Er wusste hervorragend mit den Medien umzugehen. Er spielte mit ihnen wie ein Virtuose auf seiner Geige. Stets trug er die passende Krawatte zum richtigen Anzug und verwendete Phrasen, die sich wunderbar als Schlagzeile eigneten. Er benutzte seine Zeitung, aber auch die anderen Medien gern für seine Zwecke.

»Der Justizminister persönlich hat mich gebeten, das NYPD zu unterstützen. Und ich habe ihm versprochen, dass meine besten Männer den Fall bearbeiten werden.«

Bevor Phil und ich das Kompliment verdauen konnten, setzte uns Mr High auch schon eine imaginäre Pistole auf die Brust. »Shoemakers Einfluss reicht bis nach Washington. Der Justizminister schaut uns also ganz genau auf die Finger.«

Auch das hatte ich verstanden. Es brannte, und wir sollten so schnell wie möglich löschen.

Mr High klappte die Akte zu und schob sie uns über den Tisch. »Finden Sie heraus, warum der Junge tot ist.«

Ich nahm den schmalen Ordner und blätterte ihn durch. Der Inhalt gab nicht viel her. Wir würden erst einmal Informationen sammeln müssen, wie ein Eichhörnchen Nüsse.

Ich gab Phil ein Zeichen. Aus seinem Gesicht war der übellaunige Ausdruck verschwunden. »Machen wir uns auf den Weg.«

»Schauen Sie erst bei Dr. Lacy rein, bevor Sie ins Hotel fahren«, rief uns der Chef noch hinterher.

***

In der Pathologie schlug uns der Geruch von Desinfektionsmittel entgegen. Es roch wie in einem Hospital. Nur die kranken Menschen fehlten, die mit ihren Infusionsständern auf den Gängen auf und ab gingen und die viel zu lange Zeit totschlugen. Dr. Lacys Kunden warteten geduldig in ihren Kühlfächern.

»Dr. Lacy, was haben Sie für uns?«, fragte ich den etwa fünfzigjährigen Coroner.

Lacy schob seine Brille auf die lange Nase und führte uns zu einer der Metallliegen. »Männlich, Mitte dreißig. Wenn man von einer schweren Diabetes absieht, war der Mann kerngesund.«

»Trotzdem ist er tot«, stellte Phil trocken fest.

Lacy warf ihm einen erzürnten Blick zu. »In der Ruhe liegt die Kraft, Agent Decker.« Dann zog er das weiße Laken zurück und wir konnten einen Blick auf den Toten werfen. Raymond Baker sah aus, als würde er schlafen. Seine Finger waren manikürt, seine Fußnägel hervorragend gepflegt. Ich sah keine Einschusswunde, keine Würgemale und auch keine sonstigen Verletzungen. »Was ist passiert?«, fragte ich. »Warum ist er tot?«

»Er fiel in ein diabetisches Koma und verstarb daran. Als das arme Zimmermädchen ihn fand, war er mindestens schon seit zwölf Stunden tot.«

»Das ist doch kein Mord«, schimpfte Phil. »Warum sind wir hier? Was soll das FBI bei einem Todesfall durch Überzuckerung untersuchen?«

Dr. Lacy drehte sich zu seinem Beistelltisch. »Deswegen sind Sie hier«, sagte er und hielt uns eine Beweismitteltüte unter die Nase. »Das haben die Kollegen des NYPD in seinem Jackett gefunden.«

Ich griff nach der Tüte und betrachtete die fünf blauen Pillen, deren Farbe und Form mir bekannt vorkamen. Ich wusste nur noch nicht, woher.

»Der Mann ist an gepanschtem Sildenafil gestorben«, erklärte Dr. Lacy.

»Viagra?«, riefen Phil und ich wie aus einem Mund.

»Genau, Viagra. Oder besser gesagt ein nachgemachtes Produkt. Es enthielt neben anderen unerlaubten Substanzen auch Traubenzucker, was tödlich war für den jungen Mann.«

»Würde ein Diabetiker denn Viagra einnehmen?«, fragte ich ungläubig.

Der Pathologe hob belehrend den Finger. »Gerade Diabetiker leiden oft unter sexuellen Störungen. Durch zu hohe Zuckerwerte kann es zu einer erektilen Dysfunktion kommen. Die kann sogar bis zum Verlust des sexuellen Verlangens führen. Sildenafil, also Viagra, kann da durchaus helfen.« Dr. Lacy zuckte mit den Achseln. »Das wäre auch alles kein Problem gewesen, wenn diese kleine blaue Pille nicht mit Traubenzucker gestreckt gewesen wäre.«

»Schmutziges Viagra.« Fassungslos schüttelte ich den Kopf.

Lacy nahm die Brille von der Nase und putzte sie mit dem Zipfel seines Kittels. »Da willst du einmal deinen Spaß haben, wirfst Viagra ein und das Zeug bringt dich um. So wie es aussieht, hatte der arme Kerl alles getan und war nicht einmal zum Schluss gekommen.«

Lacy war bekannt für seine unpassenden Sprüche. »Es war ja kein Viagra«, verbesserte ich ihn. »Es sah nur aus wie welches.« Aber im Grunde gab ich ihm recht. Jeder Mann, der Viagra oder ein ähnlich wirkendes Produkt kaufte, tat es, weil er Spaß im Bett haben wollte. Und weil Sexualität ein heikles Thema ist, fragte niemand so genau nach, woher das Zeug kam, wenn es einem unter der Hand angeboten wurde. Man mied die öffentliche Apotheke und griff zu. Erst recht, wenn es billiger war. Jetzt galt es herauszufinden, woher Baker das Zeug hatte.

***

Ich lenkte den Wagen aus der Tiefgarage und fuhr auf die Federal Plaza. Regentropfen prasselten gegen die Frontscheibe. Der Verkehr hatte zugenommen und wir krochen mit hundert anderen Metallkarossen ins Zentrum von Manhattan.

Vor dem Hudson Hotel nahm ein Page mein Auto entgegen. »Seien Sie vorsichtig mit dem Schmuckstück«, warnte ich ihn und warf ihm die Schlüssel zu. Er grinste und setzte sich voller Vorfreude hinter das Lenkrad.

Phil pfiff durch die Zähne. »Das ist ein Vier-Sterne-Hotel nach meinem Geschmack.«

»Bei unserem Gehalt können wir uns hier nicht einmal das Frühstück leisten, geschweige denn ein Zimmer.«

Phil blickte die Fassade hinauf. »Ich frage mich, warum Raymond Baker ein sündhaft teures Zimmer in Manhattan mietet, wenn er doch auf Staten Island wohnt. Warum tut er das? Hatte er etwas zu verheimlichen?«

Ich hätte meinem Partner erklären können, dass es Dinge im Leben eines Mannes gab, die der lieben Nachbarschaft verborgen bleiben sollten. Aber ich schwieg.

»Baker muss Damenbesuch empfangen haben.« Phil traf den Nagel auf den Kopf. »Sonst hätte er auch nicht das Viagra eingeworfen.«

»Schlau kombiniert«, antwortete ich und ließ durchblicken, dass ich zu diesem Schluss bereits gekommen war. »Ich frage mich eher, welche Art von Damenbesuch Baker in diesem Vier-Sterne-Hotel empfangen hat.«

Der Mann an der Rezeption war sehr auskunftsfreudig und bestätigte unseren Verdacht.

»Haben Sie eine Ahnung, wer die Frau war?«, fragte Phil ungeduldig. »War sie seine Freundin? Hat sie ihren Namen genannt?«

Der Rezeptionist versteifte sich und begann zu stottern. »Das nicht.« Er hüstelte. »Aber ich nehme an, es war eine Frau, die für Geld alle Wünsche erfüllt. Wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Sie meinen, Baker hatte Besuch von einer Prostituierten? In diesem Hotel?«

Der Mann senkte die Stimme. »Keine gewöhnliche Prostituierte, die kämen niemals zu uns herein. Nein, diese Frau hatte unübersehbar Klasse. Ich könnte sie mir nicht leisten.«

»Können Sie sie beschreiben?« Phil klappte sein Notizbuch auf.

»Noch viel besser.« Süffisant zog der Rezeptionist die Mundwinkel in die Höhe. »Ich kann Ihnen sogar ein Bild zeigen.«

Mit dem Foto der Überwachungskamera in der Hand fuhren wir hinauf in die 20. Etage. »Was für eine Frau.« Phil nahm mir das Farbbild aus der Hand. »Die könnte doch glatt modeln. Warum verkauft sie ihren Körper an Männer?«

»Verkaufen Models nicht auch ihren Körper?«, knurrte ich und entzog ihm das Foto. Es war gestochen scharf. Ich erkannte jede einzelne Locke ihrer roten Mähne. Die Farbe schien echt zu sein und nicht aus einer Color-Packung zu stammen. Phil hatte recht, so wie die Frau aussah, könnte sie jeden Beruf ausüben, bei dem gutes Aussehen vonnöten war.

Mit einem vornehmen Geräusch öffnete sich die Fahrstuhltür und wir traten hinaus in den Gang. Gelbes Band versperrte uns den Weg. Phil und ich zeigten unsere Marken und wurden zu Suite 2012 vorgelassen.

In dem Zimmer herrschte rege Geschäftigkeit. Die Kollegen der Scientific Research Division packten gerade ihre Sachen zusammen. Sie hatten die Spuren gesichert und das Zimmer freigegeben.

Ich suchte nach einem bekannten Gesicht und fand eins. Über einem für das menschliche Auge unsichtbaren Fleck hockte Bob Riley und nahm eine letzte Probe. Als wir näher kamen, schloss er gerade seinen silberfarbenen Koffer. »Das muss alles sofort ins Labor«, wies er einen jungen Mann im weißen Overall an. Dann bemerkte er uns. »Ihr hattet heute wohl auch etwas anderes vor?«, fragte er und reichte uns die Hand.

Ich zog die Augenbrauen in die Höhe. Was meinte er?

Riley zeigte auf mein Giants-Sweatshirt.

Ich grinste. »Es gibt auch Tote am Superbowl Sunday.«

Riley nickte. »Der Tod macht vor keinem Feiertag Halt.« Dann wurde er sachlich. »Keine Hinweise auf gewaltsames Eindringen. Wir haben das Zimmer durchgekämmt. Viel Arbeit bei einem Hotelzimmer, auch in dieser Preisklasse. Alles ist übersät von Fingerabdrücken, Hautschuppen und Haaren. Hinzu kommen noch Sperma im Badezimmer und Blut neben der Toilette. Scheint aber älteren Datums zu sein. Muss ich alles erst im Labor untersuchen.«

»Kampfspuren?«, fragte ich.

Riley schüttelte den Kopf. »Nur ein zerwühltes Bett und ein paar Flecken auf dem Seidenlaken.«

»Also nur diese Art von Kampf«, sagte Phil. »Sperma auf dem Laken?«

»Nein, auf dem Laken befindet sich seltsamerweise keins. Die Flecken stammen eher von den Weintrauben.« Riley zeigte auf den Obstkorb.

»Was habt ihr vom Opfer gefunden?«

Der Kriminaltechniker hielt uns zwei Beweismitteltüten unter die Nase. »Das Diabetikerbesteck und die Tabletten sind schon bei Dr. Lacy. Ansonsten haben wir hier noch Kondome der Marke ›Trojan‹ und eine prall gefüllte Brieftasche.«

»Also können wir Raub ausschließen«, resümierte ich.

»Das ist euer Job«, sagte Riley und seine schwere Hand landete auf meiner Schulter. »Ich schicke euch meinen Bericht.« Mit diesen Worten überließ er uns das Feld. Doch am Tatort gab es nichts, was uns irgendwie weitergebracht hätte.

***

»Lass uns Bakers Wohnung genauer unter die Lupe nehmen«, schlug ich vor. »Vielleicht finden wir dort einen Hinweis darauf, woher er die kleinen blauen Dinger hatte.« Ich informierte das Police Department von Staten Island über unser baldiges Auftauchen. Dann machten wir uns auf den Weg an den südlichsten Zipfel von Manhattan.

Der Whitehall Terminal war brechend voll. Als die Fähre nach Staten Island anlegte, drängten sich die Urlauber nach vorn. Phil und ich stiegen als Letzte zu. Wir setzten uns ins regengeschützte Unterdeck und genossen schweigend die Überfahrt.

Officer Walnut vom Staten Island Police Department begrüßte uns am Anlegesteg. Wir nahmen im Fond seines Wagens Platz und er fuhr uns in die Scarboro Avenue in die Wohnung von Raymond Baker.

Beim Portier wiesen wir uns als Agents des FBI aus und baten um die Schlüssel für Bakers Apartment.

»Was hat er denn ausgefressen?«, fragte der Pförtner neugierig.

»Was sollte er denn angestellt haben?«, stellten wir die Gegenfrage.

Der Pförtner beugte sich konspirativ über den Tresen. »Ist schon ein komischer Typ. Kommt nur zum Schlafen her. Soweit ich weiß, arbeitet er für irgendeine politische Organisation. Erstellt aber nur Statistiken und Jahrespläne und so langweiliges Zeug.«

Ich fragte mich, woher der Portier das so genau wusste.

»Dabei hatte der gute Raymond hochtrabende Pläne. Wollte ein öffentliches Amt übernehmen und als Stadtrat kandidieren.«

Mit einem so erfolgreichen Onkel wie Sebastian Shoemaker im Rücken hätte Baker das eigentlich gelingen müssen.

»Was hat ihn davon abgehalten?«, fragte Phil an meiner Stelle.

»Ein lispelnder Politiker?« Der Portier lachte. »Man kann doch nicht jemanden mit einem Sprachfehler auf die Wähler loslassen. Er hätte sich lächerlich gemacht, und der Verein, bei dem er tätig war, gleich mit.«

Mit einem hässlichen Grinsen griff er nach dem Zweitschlüssel von Bakers Apartment und wandte sich in Richtung Aufzug. Bevor er jedoch mit uns in den Fahrstuhl steigen konnte, nahmen wir ihm den Schlüssel aus der Hand und ließen ihn verdutzt dreinblickend im Foyer zurück.

Der Aufzug öffnete sich geräuschlos im obersten Stockwerk und wir betraten eine Junggesellenwohnung, deren Ausstattung jedem Innenarchitekten Ehre gemacht hätte. Es fehlte an nichts: Die neuste Spielkonsole, ein riesiger Flachbildschirm und eine computergesteuerte Stereoanlage zierten die hintere Wand des Wohnzimmers. Eine Box in jeder Ecke verwandelte das Zimmer in ein Surround-Kino. Den Essbereich des Apartments füllte der kleine Bruder eines ausgewachsenen Billardtisches aus.

Das Beeindruckendste an der Wohnung war allerdings die XXL-Panoramascheibe, die uns eine neblige Aussicht auf die Upper Bay und die Hängebrücke erlaubte. Bei klarem Wetter musste der Ausblick atemberaubend sein.

Phil schob die Tür des Kleiderschranks zur Seite. Eine Lampe schaltete sich ein und wir fanden neben Businessanzügen in gedeckten Farben zwei Jogginganzüge und ein Sporttrikot. Daneben stand die schwarze Tasche eines Fitnessstudios.

In der Schublade unter den Boxershorts hatte Baker ein paar Männermagazine und noch in Verpackungsfolie eingeschweißte Erwachsenenfilme versteckt. Ich schaute mir die Cover an. Es waren keine Hardcore-Pornos, sondern die Sorte Filme, die Junggesellen gern als Abendbeschäftigung sahen. Ich schloss die Schublade.

Phil ging ins Badezimmer und durchwühlte den Medizinschrank. Ich nahm mir die Küche vor. Baker bevorzugte offensichtlich Vollkornprodukte. Im Kühlschrank fand ich Sachen wie fettarmen Joghurt, frisches Gemüse, Magerquark und ein paar Ampullen Insulin.

»Im Apothekenschrank steht nur das Zubehör für seine Insulinspritze«, rief Phil und kam aus dem Badezimmer. »Das Stärkste, was Baker im Haus hatte, war ein Kopfschmerzmittel.«

»Baker trieb Sport und ernährte sich gesund«, sagte ich. »Wenn er diese Pille nicht geschluckt hätte, wäre er trotz Diabetes wahrscheinlich hundert Jahre alt geworden.« Ich überprüfte Bakers Post, sein Adressbuch und seinen Terminkalender. Nichts darin brachte uns auch nur einen Schritt weiter. Wir fanden weder einen Hinweis auf das rothaarige Callgirl noch auf einen Dealer oder Ähnliches. Woher hatte Baker die Pillen? Eins war jedenfalls klar: Von seinem Arzt hatte er sie bestimmt nicht bekommen.

Ergebnislos verließen wir die Wohnung. Ich klebte ein Siegel auf das Türschloss und wir ließen uns von Officer Walnut zum Anlegeplatz bringen. Mit der nächsten Fähre fuhren wir zurück nach Manhattan.

***

Seit dem frühen Morgen hatte ich nichts Essbares mehr zu mir genommen. Jetzt konnte ich das Knurren meines Magens nicht länger ignorieren und wir legten einen kurzen Stopp bei unserem Lieblingsitaliener ein. Das Mezzogiorno war voller hungriger, lauter Menschen. Trotzdem fand der Koch Luigiano Zeit, uns das Essen persönlich an den Tisch zu bringen. Wir unterhielten uns über den noch ausstehenden Superbowl, die Taufe seiner jüngsten Nichte und das miese Wetter. Dann rief ihn die Küche wieder zurück an seinen Platz.

»Da will Baker einmal seinen Spaß haben, gibt viel Geld für ein sündhaft teures Zimmer weit weg von zu Hause aus, bestellt sich ein Callgirl und landet dann auf dem Seziertisch in Lacys Keller.«

Phil sprach aus, was ich dachte. Ich schluckte meine Spaghetti hinunter und gab ihm recht. »Und schuld daran ist dieses gepanschte Zeug, das er sich eingeworfen hat. Wir müssen herausfinden, woher er den Mist hatte.«

»Vielleicht hat die Prostituierte die Pillen mitgebracht?«

Aus irgendeinem Grund hatte ich meine Zweifel, dass es so einfach werden würde. Aber eine bessere Spur konnten wir derzeit nicht verfolgen. »Fragen wir sie«, sagte ich und stand auf.

Phil sah mich entsetzt an. »Ich habe meine Pizza noch nicht mal zur Hälfte aufgegessen.«

Ich zuckte entschuldigend mit den Schultern, legte ein paar Scheine auf den Tisch und ging zum Wagen.

Im Field Office angekommen, setzten wir uns an den Computer. Wir hatten nicht viel, womit wir beginnen konnten. Nur das Bild eines teuer aussehenden Callgirls.

Ich fuhr den Computer hoch und durchsuchte die Datenbank nach Prostituierten Anfang dreißig mit lockigem rotem Haar. Während mein Rechner das National Crime Information Center durchforstete, erzeugten Phils Finger auf meinem Schreibtisch das Geräusch wild galoppierender Pferde. Geduld war nicht unbedingt die größte Tugend meines Partners.

»Hol uns doch einen Becher Kaffee«, bat ich ihn.

Erleichtert, etwas tun zu können, stand er auf.

Ich heftete meine Augen wieder auf den Bildschirm. Die Datenbank des NCIC bot mir diverse Kandidatinnen an. Ich durchblätterte die digitalen Akten. Aber keine entsprach dem Bild oder der Preisklasse unserer käuflichen Dame.

Nach zwanzig Minuten blinkte mir der Rechner entgegen: »Keine weiteren Einträge vorhanden.«

In New York arbeiteten Tausende von Prostituierten. Ich fragte mich, wie wir da die eine finden sollten. Ich legte meine Beine auf den Tisch und streckte meine müden Knochen. Du musst wie ein Kunde denken, fuhr es mir durch den Kopf. Was macht ein gutsituierter Kunde, wenn er eine Frau für eine Nacht sucht? Wie ein Pfeil schoss ich nach vorn. Mit einem Doppelklick öffnete ich den Internet-Explorer. Und als Phil mit dem Kaffee zurückkam, blinkte ihm der Computer eine Antwort entgegen.

»Jane heißt sie also.« Phil pfiff anerkennend durch die Zähne. »Sie arbeitet für den International Model & Escort Service hier in New York.« Seine Hand krachte auf meine Schulter. »Du kennst dich aus, alter Freund. Hast das wohl schon häufig gemacht, oder?«

»Wer spielt den interessierten Kunden?«, fragte ich.

Wir warfen eine Münze. Zahl gewann.

Also wählte ich die auf der Homepage angegebene Nummer und verabredete mich mit Jane in der Bar des Hilton.

Mit meinem Sweatshirt konnte ich dort natürlich nicht auftauchen. Ich fuhr nach Hause und tauschte die Giants gegen ein schwarzes Hemd und eine cremefarbene Hose. Mein Spiegel bestätigte mir, dass ich aussah wie ein erfolgreicher Geschäftsmann auf der Suche nach ein wenig Entspannung. Jane würde mich zumindest nicht auf den ersten Blick als FBI-Agent erkennen.

***

Die Bar des Hilton war erfüllt von einem vornehmen Flüstern. Der hochflorige Teppich schluckte die Geräusche meiner Schritte. Ich suchte mir einen freien Tisch in der Nähe des Tresens und gab das Bild eines exklusiven Kunden ab.

Ein riesiger Flachbildfernseher übertrug stumm den Superbowl. Nahezu alle Köpfe der anwesenden Gäste waren dem Bildschirm zugewandt. Phil saß bereits am Tresen aus feinstem Mahagoniholz und spielte den Gast, der sich ausschließlich für das Spiel interessierte. Seine Tarnung gelang ihm heute besonders gut. Seine Augen schienen an der Mattscheibe zu kleben.

Ich behielt die Eingangstür im Auge. Pünktlich zur verabredeten Zeit betrat Jane die Hotelbar. Wie auf einem Laufsteg setzte die Rothaarige einen Fuß vor den anderen. Ihren Körper umhüllte ein seegrünes Kleid und ihre roten Locken warfen das Licht der Lampen zurück. Ich ließ meinen Blick an ihr hinabwandern. An ihr war alles ausgesucht: der vornehme Schnitt des Kleides, die teuren Perlenohrstecker, das dezente Make-up und die Schuhe. Wobei es mir schwerfiel, die aufwendig verarbeiteten Lederriemen, Schnallen und Schmucksteine mit dem profanen Wort Schuhe zu bezeichnen. Diese Frau war wie geschaffen für die Titelblätter der Mode- und Männermagazine.

Auch die anderen Gäste bemerkten die groß gewachsene Schönheit. Die Augen der Männer hatten sich vom Riesenbildschirm losgerissen und warfen sehnsüchtige Blicke in ihre Richtung. Vergessen war der Superbowl, und der gesamte Raum schien den Atem anzuhalten, als sich Jane suchend umschaute.

Wahrscheinlich hätten in diesem Augenblick alle Männer gerne den Arm hochgerissen, um diese Frau an ihren Tisch zu locken. Bevor mir jemand zuvorkam, gab ich ihr ein Zeichen. Als sie in meine Richtung kam, ließ ich die Luft aus meinen Lungen entweichen. Ich hatte sie angehalten, ohne es zu bemerken.

»Darf ich Ihnen etwas zu trinken bestellen?«, fragte ich und schob ihr den Stuhl zurecht. In meinem Nacken spürte ich die neidischen Blicke der Herren und die eifersüchtigen der Damen.

Ihre grünen, lang bewimperten Augen blickten mich an. »Einen trockenen Martini mit Olive bitte.« Ihre Stimme hatte einen warmen Klang.

Ich gab dem Kellner ein Zeichen, und mit den Getränken gesellte sich auch Phil zu uns.

Überrascht hob Jane ihre akkurat gezupften Augenbrauen. »Von einem Partner hatten Sie am Telefon nichts erwähnt.« Dann schaltete sie schnell wieder in den professionellen Modus. »Doch das ist in Ordnung.«

Fast schon entschuldigend hob ich die Schulter und wies uns als Agents des FBI aus. Die Haltung der Dame änderte sich schlagartig. Aus dem schnurrenden Kätzchen wurde eine angriffslustige Kobra.

»Wir wollen Ihnen nicht das Geschäft verderben«, beruhigte ich sie. »Wir benötigen nur ein paar Auskünfte über den Kunden im Hudson am vergangenen Freitag.«

Jane biss unschön auf ihrer Lippe herum. »Ist er krank oder so etwas?« Ihre Stimme klang ehrlich besorgt.

»War er denn krank, als Sie ihn verließen?«, gab Phil die Frage zurück.

»Nein«, antwortete sie entsetzt. »Doch bevor er zum Ende kam, schlief er einfach über mir ein. Ich gab mir alle Mühe, aber er ließ sich nicht mehr aufwecken. Ich habe ihn schlafen lassen, nahm mein Geld und ging.«

»Passiert Ihnen das oft, dass Kunden dabei einschlafen?«

Sie schüttelte den Kopf. »In der Regel sacken sie erst danach weg. Aber der Junge hatte etwas eingeworfen. Nicht von mir«, stellte sie sofort klar. »Ich nahm an, dass ihn das Mittel müde gemacht hat.«

»Er ist nicht eingeschlafen«, widersprach ich ihr. »Er fiel in ein diabetisches Koma. Und daran ist er gestorben.«

»Ich frage mich«, sagte Phil bissig, »ob er noch am Leben wäre, wenn Sie einen Notarzt verständigt hätten.« Er stand auf und bat sie, es ihm nachzutun. »Bis das geklärt ist, Miss Jane, müssen wir Sie mit ins Field Office nehmen.«

Als wir zu dritt durch den Raum schritten, folgten uns alle Augenpaare. Es herrschte atemlose Stille. Phil warf noch einen wehmütigen Blick auf den Bildschirm. Dann verließen wir mit Jane in unserer Mitte die Bar.

Unsere Kolleginnen Sarah Hunter und Ruby O’Hara boten sich an, die schöne Jane, die mit bürgerlichem Namen Janet Glasberg hieß, zu verhören. Aber so wie es aussah, hatte Baker die Tabletten tatsächlich nicht von ihr bekommen. Jane brachte uns also in diesem Fall nicht weiter.

Ich ging zu meinem Schreibtisch. Dort klingelte bereits das Telefon. »Jerry Cotton«, meldete ich mich.

»Wie weit sind Sie mit der Aufklärung des Todes meines Neffen?«, fragte eine mir bekannte Stimme.

Ich fand es unerhört, dass Shoemaker nicht einmal seinen Namen nannte und seine Bekanntheit als gegeben voraussetzte.

»Wer spricht denn da?«

Mit einem Knurren nannte er Rang und Namen.

»Wie Sie sicherlich wissen, Mister Shoemaker, können wir während einer laufenden Ermittlung keine Auskunft erteilen.«

»Zicken Sie nicht rum, Cotton. Ich möchte wissen, was Sie herausgefunden haben. Sonst setze ich eigene Leute auf den Fall an.«

Ich zählte langsam bis zehn. »Wenden Sie sich doch bitte an Assistent Director High, wenn Sie etwas wünschen«, sagte ich kurz und ließ den Hörer auf die Gabel krachen. Sollte mein Chef sich doch mit der Presse herumärgern. Mir fehlte es dafür an diplomatischem Geschick.

***

Am Montagmorgen fuhren wir durch New Yorks verregnete Straßen ins Field Office. »Auch das noch«, schimpfte Phil und zeigte auf das Müllauto vor uns. Es blockierte die Straße und wir mussten warten. Schweigend beobachteten wir die Männer dabei, wie sie mühsam die schwarzen Müllsäcke einsammelten, die den Fußweg versperrten.

»Die Reste des Superbowls«, brummte ich und zuckelte dem Müllauto hinterher.

Phil knurrte zurück. »Mehr als die Reste habe ich in diesem Jahr auch nicht mitbekommen.«

An der nächsten Kreuzung gelang es mir, das Müllauto zu überholen. Im Field Office angekommen, begann unser Arbeitstag genau wie der vorangegangene. Dr. Lacy hatte eine weitere Leiche gemeldet, die höchstwahrscheinlich ebenfalls an gefälschtem Sildenafil gestorben war.

Wir fuhren hinunter in die Pathologie. Doch unsere Anwesenheit dort währte nicht lange. Wir hatten den Gang zu Dr. Lacys Autopsiesaal gerade mal zur Hälfte durchquert, da kamen uns der Pathologe und einer seiner Assistenten entgegen. »Ein Unglück kommt selten allein«, rief Dr. Lacy uns zu. Ohne anzuhalten, gab er uns ein Zeichen und lief an uns vorbei.

Wir machten auf dem Absatz kehrt und folgten ihm.

»Ich war gerade mit der Autopsie der zweiten Leiche fertig, da erhielt ich einen Anruf. Eine dritte Leiche wurde aufgefunden. Da neben dem Mann ein paar blaue Pillen liegen, informierte das NYPD auch gleich mich.«

Ich schluckte. Wenn Dr. Lacy recht behielt, wäre das der dritte Tote, der auf die Kappe des gefälschten Viagras ging. Oder auf dessen Dealer. Drei Tote – und dabei hatten wir noch nicht einmal den zweiten Toten gesehen. Wir mussten diese Geschichte stoppen, bevor die Liste der Opfer noch umfangreicher wurde.

»Erzählen Sie uns doch erst einmal von dem zweiten Toten«, bat Phil den Coroner und blieb stehen.

Doch Dr. Lacy lief unbeirrt weiter. »Wenn Sie mehr erfahren wollen, kann einer von Ihnen bei mir mitfahren. Bei dem neuen Toten handelt es sich um eine Person des öffentlichen Lebens. Wir haben es eilig.«

Ich warf Phil die Schlüssel des Jaguar zu und folgte dem Doktor in die Tiefgarage zu seinem Wagen.

Lacys Assistent raste mit quietschenden Reifen die Rampe hinauf.

»War der zweite Tote auch Diabetiker?«

»Nein«, antwortete der Doc und auf seinem Gesicht bildete sich ein süffisantes Lächeln. »Er war eher ein Genießer.«

Ich schob eine Augenbraue in die Höhe.

Dr. Lacy öffnete seine Akte. »Die zweite Leiche heißt Daniel Harden. Er ist 37 Jahre alt geworden und war wie der erste Tote kerngesund. Vor seinem Tod hatte er Geschlechtsverkehr.«

»Das nehme ich an, wenn er Viagra eingeworfen hat. Aber daran ist er doch nicht gestorben.« Ich war immer noch verwirrt.

»Nein, nicht direkt. Aber irgendwie schon.«

Ich beschoss Lacy mit einem meiner bösen Blicke. »Lassen Sie sich nicht alles aus der Nase ziehen, Doc.«

»Sagt Ihnen die Droge Poppers etwas?«

Ich dachte nach. »Sind das nicht diese Knallflaschen?«

»Genau genommen sind es Glasampullen, die beim Öffnen ein knallendes Geräusch verursachen. Die in der Ampulle befindliche Flüssigkeit erinnert in ihrem Geruch stark an Chloroform. Durch Kontakt mit der Luft wird die Droge freigesetzt.«

»Und was hat das mit dem Toten zu tun?«

»Poppers wird auch eine schmerzhemmende Wirkung zugeschrieben.«

Ich verstand noch immer nicht, was mir Lacy sagen wollte.

Der Doc seufzte. »Als ich die Leiche von Daniel Harden obduzierte, habe ich Anzeichen dafür gefunden, dass der gute Mann seinen Schließmuskel lockern wollte.«

So weit hatte ich den Sachverhalt jetzt verstanden. Das Thema war mir unangenehm. »Aber was hat das mit dem gefälschten Viagra zu tun?«

»Daniel Harden hätte sich für die aktive oder die passive Variante entscheiden sollen. Er wollte beides und so warf er gleichzeitig Viagra ein. Poppers kann sogar im Zusammenspiel mit echtem Viagra tödlich enden. Nun war in dem gefälschten Medikament die Dosis des blutdrucksenkenden Mittels so hoch, dass der Blutdruck von Daniel Harden in den Keller sackte. Erst setzte Schwindel ein, dann, so berichtete sein Partner dem NYPD, war er weggetreten. Bevor der Krankenwagen eintraf, lag er schon im Koma. Zwei Stunden später war er tot.«

Ich wurde nach links geschleudert und packte den Haltegriff. Der Assistent hatte einen stürmischen Fahrstil.

Dr. Lacy sprach unbeirrt weiter. »Sein Partner hat die restlichen Tabletten bei uns abgegeben. Das Labor untersucht sie gerade genauer.«

Ich ballte die Faust in der Tasche. »Ich gehe jede Wette ein, dass es das gleiche gepanschte Zeug ist wie bei Raymond Baker.«

Er nickte zustimmend.

Im nächsten Augenblick wurde ich in den Sicherheitsgurt gepresst. Mit einem heftigen Ruck kam der Wagen zum Stehen.

Ich stieg aus. »Dr. Palmer«, rief ich den Assistenten zu mir. »Ich will nicht wissen, wie viele Geschwindigkeitsbegrenzungen Sie in den letzten Minuten überschritten haben.«

Der junge Mann grinste mich an. »Bisher hat sich noch niemand beschwert.«

»Ja«, antwortete ich. »Aber diesmal hatten Sie keine Leiche geladen, sondern zwei noch atmende Menschen.« Ich klappte den Kragen meines Jacketts hoch und ließ ihn stehen.

Auf den ersten Blick erkannte ich, dass wir in Brooklyn Heights gelandet waren. Große Villen und alte Bäume säumten eine breite Einbahnstraße. Alles hier atmete Macht und Geld. Das Haus, vor dem wir standen, war hinter hohen Mauern verborgen. Ein Mercedes der Oberklasse parkte in der kiesbestreuten Einfahrt. Ich fragte mich, welche Person des öffentlichen Lebens hier residierte.

Ein paar Minuten später erhielt ich die Antwort. Es war Bankdirektor Wyner, der Chef der größten Privatbank an der Ostküste. Ich kannte sein Gesicht aus den Nachrichten. Es war ein seltsames Gefühl, den Mann, herausgerissen aus einer höchst privaten Aktivität, entblößt und schutzlos vor mir liegen zu sehen. Im Laufe meiner Karriere beim FBI hatte ich schon viele tote Menschen in jeglicher Lebenslage sehen müssen. Trotzdem würde ich mich nie so richtig an den Anblick gewöhnen. Ich schlug das weiße Laken über den toten Körper und wandte mich der Witwe zu.

Mrs Wyner schaute mir mit fragenden Augen entgegen. Die Witwe war eine attraktive Mittdreißigerin.

»Susan Wyner«, stellte sie sich vor und reichte mir die Hand. »Ich bin die dritte Ehefrau meines Mannes.«

Aus der Presse wusste ich, dass ihre beiden Vorgängerinnen ein sorgenfreies Leben in Santa Barbara beziehungsweise Florida führten. Trotzdem wunderte mich ihr unbekümmertes, fast schon teilnahmsloses Verhalten. Sie hatte doch gerade während eines höchstpersönlichen Aktes ihren Mann verloren. Ich sprach ihr mein Beileid aus. Doch zu meiner Überraschung winkte sie ab. »Über meinen Verlust wird mir das Millionenerbe meines verstorbenen Mannes hinweghelfen«, sagte sie.

Ich klappte den Mund wieder zu. Auch wenn sie so empfand, fand ich es doch höchst merkwürdig, dass sie es einem Fremden gegenüber aussprach. Sie schien sich völlig sicher zu sein, dass sie nicht in Verdacht geraten würde, etwas mit seinem Ableben zu tun zu haben.

Ich befragte sie zu den Vorgängen der vergangenen Nacht. »Haben Sie eine Idee, woher Ihr Mann das Medikament haben könnte?«

Mrs Wyner wusste nicht einmal, dass ihr Ehemann überhaupt etwas eingeworfen hatte, geschweige denn, woher er die Pillen bezog. Er hatte seine Potenzprobleme vor seiner jungen Frau geheim gehalten. Sie verwies mich an den Hausarzt ihres Mannes.

Ohne brauchbare Informationen und froh darüber, dass ich mit dem FBI verheiratet war, verließ ich die Nobelvilla. Als ich die kiesbestreute Einfahrt hinabspazierte, kam mir auch schon Phil in meinem Jaguar entgegen. Freudig vernahm ich das unverkennbare Geräusch des Vipermotors.

***

»Bankdirektor Wyner?«, rief Mr High, als wir ihn über den zweiten und den dritten Toten informierten. »Der hat sich doch gerade erst wieder neu verheiratet.«

Ich nickte. »Und mit was für einer Frau. Ich bin froh, dass ich kein Geld habe, für das es sich lohnt, mich zu heiraten.« Ich griff nach meinen Notizen. »Laut Dr. Lacy leiden Männer mit Bluthochdruck oft an Erektionsschwäche«, erklärte ich. »Nur hat Bankdirektor Wyner zusätzlich noch ein nitrathaltiges Medikament genommen.«

»Hat ihn sein Arzt nicht darüber aufgeklärt, dass er beides nicht zusammen nehmen kann?« Mr High war fassungslos.

Ich schüttelte den Kopf. »Hätte er wohl getan, aber der Hausarzt beschwört, dass er das Viagra nicht von ihm verschrieben bekommen hat.«

Unser Chef knurrte. »Das ist der dritte Tote in nur 24 Stunden. Das artet noch in eine Epidemie aus. Ich möchte, dass Sie so schnell wie möglich herausfinden, wer das gefälschte Sildenafil auf den Markt bringt. Ich möchte, dass das schmutzige Viagra von der Straße kommt.« Seine sonore Stimme verfehlte auch leise ihre Wirkung nicht.

Ich beschloss, mich im Leben des zweiten Opfers umzuschauen. Vielleicht wusste der Partner von Daniel Harden, woher das potenzsteigernde Mittel stammte. Phil blieb im Büro, um den Background des Harden-Paares zu durchleuchten.

***

Völlig in Schwarz gekleidet, öffnete mir Max Harden die Tür. Ein Rollkragenpulli aus einem Wolle-Kaschmir-Gemisch lag eng an seinem Körper an und betonte die darunterliegenden Brustmuskeln. Dazu trug er eine Baumwollhose. Ich hatte den Eindruck, als wüsste der Mann, dass ihm die Farbe der Trauer gut zu Gesicht stand.

Ich wies mich aus. »Special Agent Jerry Cotton vom FBI. Mein Beileid zu Ihrem Verlust.«

»Max Harden«, flüsterte mein Gegenüber und reichte mir die Hand. »Ich bin der Ehepartner von Daniel.«

Er bat mich ins Haus. Während Max sich die Nase mit einem spitzenbesetzten Taschentuch schnäuzte, betrachtete ich die Bilder an der Wand. Sie hatten eine skurrile Farbgebung, die sogleich Irritation und Faszination in mir weckte.

»Die stammen alle von Daniel«, sagte Max tonlos und betupfte seine Augen.

»Sie waren verheiratet, Daniel und Sie?«

Mister Harden setzte sich auf die cremefarbene Ledercouch und knetete sein Taschentuch. »Wir haben uns in Boston als eines der ersten gleichgeschlechtlichen Paare das Ja-Wort gegeben.«

Ich nickte verstehend. In New York war die Eheschließung zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren nicht gestattet. Aber seit ein paar Jahren wurde eine anderswo geschlossene Homo-Ehe zumindest anerkannt.

»Wir sind erst vor zwei Monaten nach New York gezogen.«

Ich nickte erneut. »Ich störe Sie nur ungern in Ihrer Trauer. Aber ich habe ein paar Fragen zu den Medikamenten und Drogen, die Ihr Partner zu sich genommen hat.«

Bei dem Wort Drogen verlor Max Harden die Contenance und wurde laut. »Daniel achtete sehr auf seine Gesundheit. Wir rauchen nicht, wir trinken nicht über die Maßen, er hatte nur dieses eine Laster.«

Er sprach von den Poppers. Aber diese Droge interessierte mich momentan nur am Rande. »Woher hatte Daniel das Viagra? Von einem Arzt?«

»Das Viagra? Ich habe keine Ahnung«, sagte er und zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich von einem seiner neuen Freunde. Vielleicht von einem aus dem Fitnessstudio. Ich weiß es nicht.«

»In welchem Studio trainierte Daniel?«

Max ging zum Schreibtisch und zog einen Flyer aus der Schublade. Fit & Fun Factory stand in blauen Lettern auf dem Hochglanzprospekt. »Wir sind wie gesagt neu in der Stadt. Auf diese Weise wollten wir Leute kennenlernen.«

Ich griff nach dem Flyer. Das Studio befand sich in Midtown und der Namenszug kam mir vertraut vor. Mit fiel nur nicht ein, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte.

Ich steckte die Broschüre in meine Jackentasche und verabschiedete mich. Vom Jaguar aus rief ich Phil im Field Office an und berichtete ihm von dem ergebnislosen Gespräch.

»In den Finanzen des Harden-Paares kann ich auch nichts Auffälliges finden«, erklärte er.

Ich bat ihn, nach Midtown zu fahren und sich in dem Fitnesscenter umzusehen. Ich hingegen startete den Motor meines Wagens und fuhr scheinbar ziellos durch New Yorks Straßen.

***

Mein Weg führte mich zurück nach Brooklyn Heights. Ich ließ den Jaguar an irgendeiner beleuchteten Ecke stehen und spazierte in der Hoffnung, ein paar Antworten auf meine Fragen zu finden, über die Brooklyn Promenade.

Die Gemeinsamkeit in diesem Fall war das gefälschte Medikament und die Tatsache, dass alle drei Tote männlich waren. Aber das war bei dem eingesetzten Mittel nichts Ungewöhnliches.

Alles andere passte nicht zusammen.

Zwei der drei Männer waren in meinem Alter, also Mitte dreißig. Der andere war Mitte fünfzig. Sie waren beruflich in unterschiedlichen Bereichen tätig. Baker war Politiker, Harden Maler und Wyner Bankdirektor. Der erste Tote war Junggeselle, der zweite homosexuell, der dritte frisch verheiratet. Baker wohnte auf Staten Island, Harden in Manhattans Nobelgegend und Wyner hier in Brooklyn Heights.

Was übersah ich? Ich konnte keine Gemeinsamkeit finden. Aber es musste eine Verbindung geben. Nur welche?

Ich fing noch einmal von vorne an: Alle drei Toten haben gefälschtes Viagra eingeworfen. Also wäre eine weitere Gemeinsamkeit die Quelle des gepanschten Stoffes. Aber wer war die Quelle? Und wo saß sie?

Wütend beschleunigte ich meine Schritte. Nach ein paar Yards blieb ich stehen und lauschte in mich hinein. Ein Gedanke wollte an die Oberfläche, ein Puzzlestück an seinen Platz. »Genau«, rief ich laut und schlug gegen meine nasse Stirn. »Das ist es.«

Ich ignorierte die verwunderten Blicke der an mir vorbeischlendernden Passanten und zückte mein Handy. Phil befand sich wieder an seinem Schreibtisch. »Warst du in dem Fitnessstudio?«, fragte ich ihn.

Er bejahte meine Frage und erklärte, dass der Besitzer des Ladens hoch und heilig geschworen hatte, nichts mit der Sache zu tun zu haben. »Er hat sogar in meinem Beisein eine Sicherheitsfirma damit beauftragt, Überwachungskameras zu installieren. Ansonsten hat der Mann keine Vorstrafen. Er scheint sauber …«

Ich unterbrach ihn. »Aber da muss es etwas geben. Hör zu: Die Opfer waren zwar unterschiedlich alt und arbeiteten auch in verschiedenen Bereichen, aber sie hatten alle drei etwas gemeinsam: Sie waren durchtrainiert und gesund. Alle drei Toten sahen aus, als hätten sie regelmäßig Sport getrieben.«

Phil verstand noch nicht, worauf ich hinauswollte.

»Die schwarze Tasche mit der blauen Aufschrift in Raymond Bakers Schrank. Der Flyer der Fit & Fun Factory von Daniel Harden. Frag im Studio nach, ob Bankdirektor Wyner auch in diesem Fitnessstudio trainierte.«

»Brauch ich nicht«, antwortete Phil. »Der Besitzer des Fitnessstudios hat ohne Probleme eine Liste seiner Mitglieder herausgerückt.«

Ich hörte das Rascheln von Papier durch den Hörer.

»W, Wy, Wyner, Martin. Ich habe ihn. Er war Mitglied.«

Ich jubelte innerlich. Phil hatte meinen Verdacht bestätigt. Wir hatten eine Spur, der wir folgen konnten.

»Wunderbar«, sagte ich und legte auf. Auf dem Weg zu meinem Auto schmiedete ich einen Plan.

***

Es schneite in New York. Doch wie so häufig in dieser Stadt verwandelte sich der Schnee sofort in grauen Matsch. Ich reihte mich in den New Yorker Morgenverkehr. Vor mir raste ein Auto durch eine Pfütze und deckte die Fußgänger mit Schneematsch ein. Ich hatte nicht übel Lust, den Fahrer anzuhalten und ihm eine Predigt über gegenseitige Rücksichtnahme zu halten. Aber ich hatte einen Termin bei Mr High, um ihm und Phil meinen Plan zu unterbreiten, den ich mir gestern Abend zurechtgebastelt hatte.

Allerdings bekam ich nicht gleich die Gelegenheit dazu. Als Phil und ich das Zimmer des Chefs betraten, warf Mr High die New York Times auf den Tisch und schimpfte. »Die Medien klagen uns an.« Sein Gesicht war faltiger und die Augenringe tiefer denn je. Und er war stinksauer.

Ich griff mir das Blatt. Die Schlagzeile schrie mir förmlich entgegen: Schmutziges Viagra überschwemmt die Stadt.

Ich überflog den Artikel. Der Autor stellte die Theorie eines Serienmörders auf und behauptete, dass unter den erektionsgestörten Männern der Stadt Panik herrsche.

»Bringt uns das Viagra weiter?«, fragte unser Chef. »Verfolgen Sie eine Spur?«

Phil legte den Laborbefund auf den Schreibtisch. »Das Viagra hatte bei allen drei Opfern die gleiche Zusammensetzung. Es handelt sich also um ein und dieselbe Quelle.«

»Da geht irgendetwas vor auf unseren Straßen, von dem wir keine Ahnung haben.« Mr High stand auf und blickte aus dem Fenster.

»Wir haben aber eine Gemeinsamkeit gefunden, die ich gerne überprüfen würde.« Ich berichtete ihm von meinen Überlegungen letzter Nacht. »Die Fit & Fun Factory in Midtown. Alle drei waren dort Mitglied.«

»Ich habe mich gestern in dem Studio ein wenig umgeschaut«, erklärte Phil. »Der Besitzer ist kooperativ, hat freiwillig seine Mitgliederliste herausgerückt. Er hat sich so über unseren Verdacht aufgeregt, dass er sofort eine Sicherheitsfirma damit beauftragt hatte, Überwachungskameras zu installieren.«

»Gut«, warf ich ein. »Das heißt aber nur, dass der Besitzer nichts weiß. Das bedeutet nicht, dass die Pillen nicht von dort kommen.«

Phil gab mir recht. »Wir könnten die Mitglieder befragen, aber ich bezweifle, dass sie etwas ausplaudern. Sollen wir die Bude auf den Kopf stellen?«

»Durchsuchung?« Ich war skeptisch und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass das Zeugs unter der Ladentheke liegt. Aber ich hab da eine Idee.«

Mr High schaute mich interessiert an.

Ich nutzte die Stille, um den beiden meinen Plan im Detail vorzustellen. Als ich fertig war, nickte unser Chef und schickte uns an die Arbeit.

***

Amy Marquart strich ihrem Sohn über das widerspenstige Haar. »Iss dein Gemüse auf, Timmy. In einer halben Stunde müssen wir bei Mistress Rose sein.«

»Musst du heute schon wieder arbeiten, Mum?«

Amy sah in die flehenden Augen ihres siebenjährigen Sohnes. Sie waren von dem gleichen Braun wie die seines Vaters und beherrschten den bettelnden Hundeblick mit Bravour.

Die junge Mutter seufzte. Wie gern hätte sie den Nachmittag mit ihrem Sohn verbracht. Aber wenn sie den Job in dem Sportstudio behalten wollte, musste sie die Arbeitszeiten so annehmen, wie sie ihr gesagt wurden. Tat sie es nicht, warteten bereits fünf flexiblere Mädchen darauf, ihren Platz einzunehmen. Und diese fünf Mädchen würden hübscher sein und keine alleinerziehenden Mütter.

Müde strich sie sich über die Augen. Ihr Dienst hatte noch nicht einmal begonnen und sie war schon so erschöpft, dass sie sich kaum konzentrieren konnte. Es musste sich etwas ändern. Lange hielt sie das nicht mehr durch.

Das Klingeln an der Tür riss sie aus ihren Gedanken.

»Ich mach auf.« Timmy sprang vom Stuhl, noch bevor Amy ihn zurückhalten konnte. Einen Augenblick später zog er einen Mann in die Küche. »Guck mal, wer da ist«, rief er, als hielte er Santa Claus persönlich an der Hand.

Es war Frederik, sein Vater.

»Was hast du hier zu suchen?«, fragte Amy. »Ich hatte dich gebeten anzurufen, wenn du Timmy sehen willst.«

Freddy schob sein schwarzes Brillengestell die Nase hinauf. Wie paralysiert fixierte Amy seine schmalen Hände. Sie hatte sie geliebt, diese langgliedrigen Finger, die wie die eines Pianisten aussahen. Sie verliehen ihm etwas Feinsinniges, Gelehrtes.

Aber Frederik Marquart war alles andere als feinsinnig und gelehrt. Das war ihr nach der Geburt ihres gemeinsamen Sohnes schnell klar geworden.

»Ich wollte mit meinem Sohn ins Kino gehen.«

Amys Herz versetzte es einen Stich, als sie sah, wie glücklich Timmy zu seinem Vater aufschaute. Die Aussicht, den Nachmittag mit seinem Vater verbringen zu dürfen, anstatt in der muffigen Wohnung von Mrs Rose zu sitzen, ließ ihn vor Freunde auf und nieder hüpfen.

»Timmy, setz dich an den Tisch und iss dein Gemüse auf«, wiederholte Amy noch einmal.

Sie schob Freddy zurück in den Wohnungsflur. Es war dunkel in dem schmalen Gang, trotzdem konnte Amy sehen, wie schlecht ihr Noch-Ehemann aussah. »Was ist los?«, fragte sie. »Müsstest du um diese Zeit nicht auf der Arbeit sein?«

Der Vater ihres Kindes schaute sie mit großen Hundeaugen an. »Mein Chef ist ein Arschloch. Er gibt mir einfach keine Chance.«

Ein freundloses Lachen drang aus Amys Kehle. »Du erscheinst nur sporadisch im Labor und du hast zweitausend Dollar aus der Kasse gestohlen. Warum sollte dir dein Chef eine weitere Chance geben?«

Wie immer, wenn Amy ihm die Leviten las, zuckte er vor ihr zurück. Er schrumpfte unter ihrem Blick und wurde zu einem Kind. Und das war er auch, dachte sie. Er war nichts anderes als ein sechs Fuß großes Kind.

Amy redete sich in Rage. »Auf der Straße warten hundert arbeitslose Chemiker darauf, dass deine Stelle neu vergeben wird. Und dein Boss weiß das.«

Freddy schaute betroffen zu Boden. »Musst du mich immer vor dem Jungen als Versager bezeichnen?«, flüsterte er leise. »Ich sehe ihn doch kaum.«

Amy biss die Zähne zusammen. Er schaffte es immer wieder, sie als die Böse hinzustellen.

»Es wird alles gut«, versicherte er ihr. »Ich habe etwas Neues im Auge. Ich komme schon über die Runden, keine Angst.«

Amy lief es kalt den Rücken hinunter. »Ich verticke dein Zeug nicht mehr. Es tötet die Männer. Ich habe es in der Zeitung gelesen. Was glaubst du, wie schnell sie auf mich kommen werden?«

»Amy, das Zeug ist sicher. Die Pharmakonzerne verdienen Millionen an dem Medikament. Ich will nur ein Stück von dem Kuchen abhaben. Was kann ich dafür, wenn die Kerle krank sind und Viagra einwerfen, obwohl sie es nicht tun dürften?«

Amy wollte etwas erwidern. Doch bevor sie dazu kam, rief Timmy aus der Küche: »Fertig!« Im nächsten Moment stürmte er zu ihnen in den Flur. »Darf ich jetzt mit Papa ins Kino?«

Stechender Kopfschmerz meldete sich hinter Amys Stirn. Sie hätte ihn lieber zu Mrs Rose gebracht. Doch Timmy den Nachmittag mit seinem Vater zu verbieten brachte sie nicht übers Herz. Nach kurzem Überlegen steckte sie ihm zwei Dollar zu. »Fürs Popcorn«, flüsterte sie in sein Haar.

»Bring ihn nach dem Film bitte zu Mistress Rose. Ich muss arbeiten. Sie passt auf ihn auf, solange ich im Studio bin.« Amys Worte drangen ins Leere. Freddy und Timmy hörten nur noch mit halbem Ohr zu.

***

Ich tauschte meinen Anzug gegen eine Jeans und schlüpfte zurück in mein heißgeliebtes Giants-Sweatshirt. Das war genau die richtige Kleidung für ein Sportstudio.

In Midtown parkte ich den Jaguar auf Höhe der 46th und schlenderte mit meiner Sporttasche über der Schulter auf das hell erleuchtete Fitness-Center zu. Das Studio war voll verglast und so konnte ich schon von außen die Sportler an den Geräten schwitzen sehen. Und für die wenigen, die trotzdem nicht erkannten, dass es sich um ein Fitnessstudio handelte, strahlte in blauer Leuchtschrift Fit & Fun Factory über dem Eingang.

Der Empfangsraum war mit einer langen Theke ausgestattet. Wie beim Tresen in der Kneipe standen davor Barhocker. Der Boden war eine einzige Glasfläche. Einer Discotanzfläche gleich, wurde sie von unten beleuchtet. Das Licht wechselte langsam in allen Farben des Regenbogens. Sehr modern, aber es gefiel mir.

»Hi, ich bin Amy. Was kann ich für dich tun?«

Eine Frau Anfang zwanzig reichte mir die Hand. Auf den ersten Blick sah sie gut aus. Ihr Körper war durchtrainiert und hatte die Pölsterchen an genau den richtigen Stellen. Sie lächelte, aber ihre Augen sahen aus, als hätten sie schon vor Jahren das Strahlen verlernt.

»Ich will mir das Studio anschauen, und wenn es mir gefällt, möchte ich Mitglied werden.«

Eine Stunde später war ich Besitzer eines Mitgliedsausweises, einer schwarzen Tasche mit dem blauen Namenszug des Studios darauf und einer Pulsmessuhr. Der erste Schritt war getan. Ich war dort Mitglied, wo alle drei Opfer regelmäßig trainiert hatten. Wenn hier das gefälschte Viagra vertrieben wurde, dann würde ich es aufspüren. Ich würde den Dealer auf frischer Tat ertappen.

Den ersten Tag verbrachte ich damit, mich umzuschauen und die anderen Mitglieder zu beschnuppern. Es waren hauptsächlich Männer in dem Studio. Nur wenige Frauen mühten sich mit den Gewichten ab. Wenn, dann strampelten sie auf den Rädern, saßen an der Rudermaschine oder liefen auf dem Laufband, den Takt ihrer Musik im Ohr. Ich hielt mich vier Stunden in den nach Muskelkraft riechenden Räumen auf und war beileibe nicht derjenige, der sich am längsten dort herumtrieb. Irgendwann zog es mich dann zurück ins Büro. Dort erwartete mich Phil hinter einem riesigen Berg Unterlagen. »Ich habe den Background aller drei Opfer und deren Partner gecheckt. Nichts Auffälliges.«

Ein lauter Nieser ließ mich aufblicken.

Phil schnäuzte in ein Taschentuch und sprach weiter. »Die Finanzen sind unauffällig, keiner der behandelnden Ärzte wusste etwas von einer Erektionsstörung, geschweige denn davon, dass die Toten Viagra eingenommen haben.«

»Es war ihnen sicherlich unangenehm, mit ihren Ärzten darüber zu reden.«

Phil lachte trocken. »Mit wem sonst, wenn nicht mit einem Arzt. Aber wenn deine Vermutung stimmt, dann muss die Person, denen die Opfer das schmutzige Viagra abgekauft haben, das Vertrauen der Männer genossen haben.«

»Oder die Person stellt keine Fragen, lässt sich Geschichten auftischen vom besten Freund, der das Mittel braucht.« Phil und ich saßen im leeren Büro und ließen unsere Gedanken schweifen.

***

Ich war gerade auf dem Weg, meinen zweiten Tag als Undercover-Sportler in der Fit & Fun Factory zu beginnen, da klingelte mein Mobiltelefon. Es war unser Pathologe Dr. Lacy. Auf seinem Tisch lag eine vierte Leiche und sie war nachweislich an dem gleichen gepanschten Viagra gestorben wie die drei Opfer davor. »Student. Oliver Czerwinsky«, rasselte er durch den Hörer. »Ich schicke euch den Bericht.«

Ich rief Phil an. »Könntest du auf der Liste nachschauen, ob ein gewisser Oliver Czerwinsky Mitglied in dem Studio war?«

Phil raschelte mit den Unterlagen. »Oliver Czerwinsky trainierte dort seit zwei Monaten mit einem Studententarif.« Er schniefte mir ins Ohr. »Sorry, ich habe eine Erkältung«, brummte er.

»Geh nach Hause, wenn es nicht mehr geht«, riet ich ihm. Doch davon wollte mein Partner nichts wissen. Ich konnte ihn verstehen. Ich hätte mich auch nicht ins Bett legen können, wenn jeden Tag eine neue Leiche in unserem Fall auftauchte. Das musste ein Ende haben. Mit nur mäßig gezügelter Wut im Bauch öffnete ich die Tür des Studios. Wehe dem, der das Zeug hier verteilte.

Amy stand auch heute hinter dem Empfangstresen und gab Spindschlüssel und Energy-Drinks an die hereinkommenden Gäste aus. Gleichzeitig bediente sie das Telefon und versorgte die Mitglieder mit frischen Handtüchern. Die Eingangstür öffnete sich ununterbrochen. Von der Theke aus beobachtete ich, wie die Kunden im Umkleideraum verschwanden. Es kamen die unterschiedlichsten Männer. Alte und junge, viele durchtrainierte und wenige schwabbelige. Alle hatten sie etwas gemeinsam: Sie trugen die gleiche Tasche über der Schulter, deren Besitzer ich neuerdings auch war, und wollten aus ihrem Körper und ihrem Leben das Beste machen.

Einer der hereinkommenden Sportler versteckte seine Augen hinter einer goldenen Ray-Ban-Sonnenbrille. Er trug einen modernen Haarschnitt mit frischen blonden Strähnchen und einen ausrasierten Bart. Unter seinem Shirt zeichneten sich deutlich die Brustmuskeln ab.

Brauchte dieser Kerl Viagra, um bei Frauen Erfolg zu haben? Ich glaubte es nicht.

Nachdem er seine Tasche weggeschlossen hatte, kam er zurück an die Bar. »Amy, gibst du mir bitte einen Energy-Riegel? Ich habe noch nicht gefrühstückt.«

Er setzte sich neben mich.

»Neu hier?«, sprach er mich an.

Ich nickte und reichte ihm die Hand. Sein Händedruck war fest, aber kein Knochenbrecher, wie es bei durchtrainierten Männern gelegentlich der Fall war.

Wir kamen ins Gespräch und er bot mir an, mich ein wenig herumzuführen, wenn ich Lust hätte. Natürlich nahm ich das Angebot an. Bis zum Ende des Trainings erfuhr ich von ihm, dass er Steroide einwarf.

Als Nächstes heftete ich mich an die Fersen eines kleinen Mannes mit Glatze und O-Beinen. Er schleppte ein Muskelpaket mit sich herum, durch das sein Kopf noch winziger wirkte, als er tatsächlich war. In seinem ganzen Auftreten steckte die explosive Dynamik, die kleinere Männer auszeichnet. Mit allem, was er tat, wollte er mich beeindrucken. Er lief länger auf dem Laufband, stemmte mehr Gewichte, schaffte mehr Klimmzüge und verbrachte mehr Zeit in der Sauna als ich.

Als ich ihm wegen seiner Muskeln schmeichelte, erzählte er mir etwas von täglichem Training und gesunder Ernährung. Doch ich glaubte nicht, dass das sein einziges Geheimnis war. »Wie sieht es mit Mitteln zur Leistungssteigerung aus?«, fragte ich.

Da wurde er misstrauisch. »Wovon sprichst du?«

»Nichts Bestimmtes«, wiegelte ich ab. »Ich habe nur mal läuten hören, dass Viagra die Ausdauer steigern würde.«

Er lachte und beteuerte ausführlich, dass er kein potenzsteigerndes Mittel bräuchte, um seine Freundin zufriedenzustellen oder im Training mithalten zu können.

Aus ihm bekam ich nichts weiter heraus, außer Anspielungen darauf, wie weit es mit seiner Manneskraft her sei und wie wichtig gesunde Ernährung und regelmäßiger Sport seien.

Als wir unter der Dusche standen, konnte ich allerdings verschiedene Anzeichen dafür erkennen, dass er Hormone schluckte. Ich tippte auf Testosteron.

Als der Testosteron-Mann das Studio verließ, schloss ich mich einem hageren Mann an. Er hatte kein Gramm Fett zu viel auf den Knochen und seine extrem muskulösen Beine verrieten den exzessiven Fahrradfahrer. Als wir vor unseren Spinden standen, lobte ich ihn. »Deine Ausdauer ist bemerkenswert.«

Meine auch, setzte ich ganz unbescheiden in Gedanken nach. Immerhin war es mein dritter Trainingsdurchlauf an einem Tag und ich hatte gut mitgehalten. Aber jetzt war ich fix und fertig.

»Wenn du es für dich behalten kannst, dann verrate ich dir auch mein Geheimnis.«

Ich horchte auf, wollte aber nicht zu interessiert wirken. »Welches Geheimnis? Ich dachte, du trainierst einfach nur hart.«

Er verdrehte die Augen. »Das auch, aber das alleine hilft nicht. Ich mach es wie die Profi-Radsportler.«

»Du dopst dich?« Ich hatte Schwierigkeiten, meine Stimme ruhig klingen zu lassen.

Er zuckte mit den Schultern. »Tu ich es nicht, habe ich keine Chance. Ich will in diesem Jahr beim Etappenrennen der Union Cyclist International, der America Tour antreten. Wenn ich eine Chance haben will, muss ich auf jeder Linie mithalten.«

»Was wirfst du ein?« Erwartungsvoll hielt ich die Luft an.