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Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 3085 - Bible Belt Connection
Jerry Cotton 3086 - Bomben aus dem Jenseits
Jerry Cotton 3087 - Der Clan der Gerechten
Jerry Cotton 3088 - Tödliche Verstrickungen
Jerry Cotton 3089 - Der Feind im Dunklen
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Seitenzahl: 660
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2016 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | Milos Kontic
ISBN: 978-3-7517-8311-8
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https://www.luebbe.de
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Jerry Cotton 3085
Bible Belt Connection
Jerry Cotton 3086
Bomben aus dem Jenseits
Jerry Cotton 3087
Der Clan der Gerechten
Jerry Cotton 3088
Tödliche Verstrickungen
Jerry Cotton 3089
Der Feind im Dunklen
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Contents
Bible Belt Connection
»Es reicht jetzt, das lasse ich mir nicht weiter bieten«, sagte Daniel Johnson zu seiner Frau und betrachtete die toten Rinder auf seiner Weide. Über Nacht war fast die Hälfte seiner Herde getötet worden – man hatte die Tiere vergiftet.
»Daniel, willst du nicht doch lieber die Farm verkaufen?«, fragte Rebecca vorsichtig.
»Auf keinen Fall, damit werden diese Gangster nicht durchkommen, ich fahre nach Birmingham, zum FBI! Die können was erleben. Ich weiß, wie ich das mache, und du hältst deinen Mund!«
»Oh Gott, Daniel«, erwiderte seine Frau nur und ihre Stimme war voller Angst.
»Lass ja den Namen des Herrn aus dem Spiel, denn in seinem Namen werden hier in letzter Zeit zu viele Verbrechen begangen«, erwiderte er, spuckte aus und sah auf den Bibel-Park der Messias Community, der an sein Grundstück grenzte.
Daniel Johnson betrat unsicher das Field Office in der 18th Street North in Birmingham, Alabama. Er war nur ein einfacher Farmer aus Huntsville und das große weiße Gebäude mit seinem schwarzen Gitterzaun beeindruckte ihn.
Er war die eineinhalb Stunden von Huntsville mit seinem Pick-up gefahren und hatte sich Zeit gelassen, denn er hatte darüber nachdenken müssen, was er Special Agent in Charge Stacy Nomad sagen sollte. Die Frau war am Telefon sehr resolut gewesen und hatte sich erst bereit erklärt, Dan zu empfangen, nachdem er ihr erzählt hatte, dass er um sein Leben fürchtete und die Polizei in Huntsville für korrupt hielt.
Daniel hatte natürlich schamlos übertrieben, doch als er jetzt in einen Besprechungsraum geführt wurde, dachte er: Mein Plan muss aufgehen, dann bekommt Messias endlich, was er verdient.
»Das ist doch nicht Ihr Ernst«, erwiderte SAC Nomad. Die schlanke Frau mit den braunen, zu einem Knoten zusammengesteckten Haaren war durchaus in der Lage, auch härtere Kerle als Johnson einzuschüchtern. Automatisch zuckte Daniel Johnson zusammen. »Ein paar tote Rinder und ein Maisfeld, das ist alles – damit wenden Sie sich an das FBI? Glauben Sie denn, wir haben nichts Besseres zu tun?«
Daniel Johnson nahm all seinen Mut zusammen. So einfach ließ er sich nicht abspeisen.
»Ma’am, an wen soll ich mich denn wenden? Diese verdammte Sekte, diese Sons of Jesus -Jünger wollen mein Land, um den Freizeitpark zu erweitern. Deshalb wollen die mich ruinieren. Der Bürgermeister von Huntsville ist doch selbst ein Anhänger der Messias Community , und die Polizei unternimmt nichts, weil er es angeordnet hat. Heute sind es die Rinder und mein Mais, und morgen? Meine Kinder, meine Frau?«, erwiderte er mit selbstbewussten Worten. Die Field-Office-Leiterin schüttelte den Kopf.
»Haben Sie Drohbriefe bekommen, irgendetwas, ein Dokument, das beweisen kann, wer hinter den Einschüchterungsversuchen steht?«, fragte sie schon etwas ruhiger, dennoch war Stacy Nomad immer noch der Meinung, dass dieser Farmer ihr einfach nur die Zeit stahl, und dachte an die Mordfälle, die auf ihrem Schreibtisch lagen.
»Nein. Als die bei mir waren und mein Land kaufen wollten, lehnte ich ab. Da sagte einer von denen, so ein Typ im Anzug, dass es ein gutes Angebot wäre und ich es eines Tages bereuen würde, so einfach abzulehnen«, meinte Daniel Johnson eifrig.
»Mister Johnson, solch eine Aussage kann man nicht als Bedrohung auslegen. Wahrscheinlich war es der Anwalt dieser Messias Community und meinte damit einfach nur, dass Ihr Land in ein paar Jahren nicht mehr so viel wert ist. Es tut mir leid, wir können da gar nichts machen. Wenden Sie sich an die örtliche Polizei wegen Ihres Schadens«, versuchte es die Leiterin des Field Office in Ruhe und hoffte, der Mann würde wieder gehen.
»Ha, dass ich nicht lache«, kam es jetzt sehr aggressiv von Daniel Johnson. »Sie hätten einmal hören sollen, wie er das sagte. Würde mich nicht wundern, wenn demnächst mein Hof abbrennt. Dann, Special Agent in Charge Nomad, melde ich mich wieder bei Ihnen, falls ich noch lebe!«, sagte Daniel Johnson verbittert und stand auf. Auch SAC Nomad erhob sich.
»Also gut, ich schicke Ihnen zwei Agents. Die schauen morgen einmal nach dem Rechten. Aber wenn den beiden nichts auffällt, dann kann ich nichts für Sie tun. Es ist jetzt schon ein Zugeständnis an Sie, dass ich meine Männer für einen Tag von wichtigen Fällen abziehe«, gab sie sich geschlagen und sah dem Farmer ins Gesicht. Wir sind auch für die kleinen Leute da, dachte Stacy Nomad in dem Moment und sah das dankbare Lächeln auf Daniel Johnsons Gesicht. Der streckte ihr die Hand hin und schüttelte sie kräftig.
»Ich danke Ihnen. Ihre Agents sollen morgen zu meinem Hof kommen, dann zeige ich ihnen alles. Meine Adresse hinterlege ich am Empfang«, sagte Johnson erfreut und verließ den Konferenzraum. SAC Nomad seufzte und zuckte die Schultern, dann ging sie wieder in ihr Büro, in dem sich die Stapel ungelöster Fälle nur so türmten.
***
»Ich denke, wir sollten uns heute Nacht einmal inoffiziell in dem Bibel-Park umsehen«, sagte Agent Demoin zu seinem Partner. »Dieser Farmer Daniel Johnson ist nach seinem Besuch beim Chef gestern nicht mehr nach Hause gekommen, vielleicht halten diese Messias -Anhänger ihn dort gefangen. Wäre nicht das erste Mal, dass man arme Farmer so unter Druck setzt, um an ihr Land zu kommen.«
»Du weißt, dass wir den Special Agent in Charge anrufen sollten«, erwiderte John Sattler.
»Damit er uns sagt, dass wir einen Beschluss brauchen, um in den Bibel-Park zu kommen? Ich bitte dich, bis dahin ist es für Johnson vielleicht zu spät. Komm schon, wir sehen uns nur einmal um. Als wir heute auf Daniel Johnsons Farm waren, da habe ich einen kleinen Feldweg gesehen, der von hinten an den Park führt. Wir sehen uns nur um, mehr nicht. Wenn wir was Verdächtiges finden, dann weihen wir den Chef ein und holen uns einen offiziellen Durchsuchungsbefehl«, beharrte Agent Demoin und endlich gab sein Partner klein bei.
Sie verließen das Motel und stiegen in den Wagen. Es waren keine fünf Meilen von dem Motel zum Park, und selbst in der Dunkelheit hatten sie den Feldweg schnell gefunden. Als sie in der Nähe des Zaunes parkten, bemerkten sie einen Pick-up, der auf sie zukam.
»Wahrscheinlich einer der Farmer«, sagte Agent John Sattler und sie stiegen aus. Zwei Farmer in Latzhosen und mit Schrotflinten in der Hand kamen auf sie zu.
»Ganz langsam, wir sind FBI-Agents. Tut mir leid, dass wir Ihr Land befahren haben, doch wir führen eine Ermittlung durch«, sprach Agent Sattler die beiden an und hielt ihnen seinen Ausweis entgegen. Er konnte die beiden nicht richtig erkennen, da das Licht des Pick-ups ihn blendete. In dem Moment wurden die Schrotflinten abgefeuert. Es traf die Agents völlig unvorbereitet, sodass sie keine Chance hatten, ihre Glock zu ziehen. Beide brachen tödlich getroffen zusammen.
»Scheiße, verdammte Scheiße«, jammerte der jüngere Mann und ging auf die Knie.
»Jetzt hör auf. Komm, wir schmeißen sie auf die Ladefläche, die müssen hier weg. Du fährst ihren Wagen«, erwiderte der Ältere und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie schleppten die beiden Agents an den Füßen hinter sich her und hievten sie dann auf die Ladefläche.
»Aber wo sollen wir denn mit ihnen hin?«, fragte der junge Mann ängstlich.
»Na, wohin wohl? Abraham, wir beide haben damit unsere Pflicht getan, von uns können die jetzt nichts mehr verlangen. Die Leichen und das Auto sollen die selbst loswerden«, antwortete der ältere Mann und zog sich wieder den alten Hut auf den Kopf.
Schnell sprang der Jüngere in den Explorer der FBI-Agents und folgte dem Pick-up seines Vaters. Es fiel ihm schwer zu fahren, da seine Hände und Knie immer noch zitterten.
***
»Assistant Director High«, meldete sich der Leiter der Field Section East im Headquarter des FBI in Washington.
»Guten Tag, Sir. Hier spricht Special Agent in Charge Nomad vom Field Office Birmingham in Alabama. Tut mir leid, Sir, Sie zu stören, doch ich habe zwei vermisste Agents zu melden«, erklärte eine dunkle, weibliche Stimme. In Fällen, in denen Agents verschwanden oder im Dienst getötet wurden, mussten die Field-Office-Leiter sofort eine Meldung nach Washington weitergeben, damit der verantwortliche Assistant Director persönlich informiert wurde.
»Was ist passiert, Agent Nomad?«, fragte Mr High besorgt.
»Sir, die ganze Sache ist ziemlich eigenartig. Vor zwei Tagen kam ein Farmer aus Huntsville zu mir ins Büro. Er behauptete, bedroht zu werden, weil er ein Stück Land nicht verkauft hat. Daniel Johnson war der festen Meinung, es handle sich bei den Leuten, die sein Vieh töteten und sein Feld vernichteten, um die Anhänger dieser neuen Sekte, Sons of Jesus . Haben Sie von dem Reverend gehört, er nennt sich selbst Messias ?«, fragte SAC Nomad.
»Ja, die Zeitungen sind voll von ihm, selbst in der Hauptstadt. Was ist dann weiter geschehen?«, kam der Assistant Director wieder zur Sache.
»Sir, der Mann war wirklich besorgt, er hatte Angst um seine Familie. Ich habe am nächsten Tag zwei Agents dorthin geschickt, um die Lage zu prüfen. Als die beiden dort ankamen, riefen sie mich sofort an. Der Farmer Daniel Johnson war nach seinem Besuch bei mir spurlos verschwunden und seine Frau war unglaublich in Sorge um ihn. Ich wies meine Agents an, der Sache nachzugehen, und als ich heute Morgen keine Rückmeldung bekam, rief ich an. Auf beiden Handys nur die Mailbox. Die Ehefrauen meiner Agents haben seit gestern am frühen Abend auch nichts mehr von ihren Männern gehört. Des Weiteren sagte mir Mister Johnsons Ehefrau, dass die Agents am anderen Tag noch einmal auf der Farm vorbeisehen und auch die lokalen Polizeibehörden aufsuchen wollten. Doch sie sind weder auf der Farm noch bei der Polizei angekommen.«
»Haben Sie schon mit dem Motel gesprochen, in dem die beiden übernachten wollten?«, fragte der Assistant Director. »Ich nehme einmal an, sie hatten bereits dort eingecheckt.«
»Ja, dort ist man ziemlich sauer, denn der Wagen und auch das Gepäck der Agents sind verschwunden, ohne dass eine Rechnung beglichen wurde. Man hat sie am Abend noch im Restaurant gesehen, aber am anderen Morgen waren sie wie vom Erdboden verschluckt«, erklärte Nomad. »Ich wollte erst an Sie Bericht erstatten und dann weitere Agents nach Huntsville schicken.«
Der Assistant Director war für einen Moment still, da er die Sache durchdachte.
»Sir, sind Sie noch dran?«, fragte Stacy Nomad, die den Assistant Director nicht so gut kannte und die Stille nicht deuten konnte.
»Ja, natürlich. Wissen Sie, Agent Nomad, ich denke, ich habe eine bessere Idee. Halten Sie Ihre Agents zurück, ich schicke Ihnen Unterstützung. Bei zwei verschwundenen FBI-Agents und einem Farmer, der sich zusätzlich auch noch bedroht fühlte, können Sie die Unterstützung von zwei Inspektoren bestimmt gebrauchen«, schlug Mr High vor.
»Und ob ich das kann«, erwiderte SAC Nomad sofort. »Momentan stapeln sich bei uns die Fälle regelrecht, und mit zwei Mann weniger wird es noch schlimmer werden. Eigentlich habe ich die beiden Agents nur nach Huntsville geschickt, weil der Farmer so verzweifelt war und auch ganz normale Leute ein Anrecht auf FBI-Unterstützung haben. Reine Intuition, Sir.«
»Und wie sich gezeigt hat, die richtige Intuition! Inspektor Cotton und Inspektor Decker werden die erste Maschine morgen nehmen. Die beiden sind so ziemlich die Besten, die ich Ihnen schicken kann, und falls wir noch mehr Agents brauchen, dann fordere ich weiteres Personal im Field Office Mobile an. Wir finden Ihre Agents«, meinte der Assistant Director überzeugt.
»Hoffentlich lebend«, erwiderte Stacy Nomad bekümmert. »Ich habe ein verdammt ungutes Gefühl bei der Sache.«
***
Nach dem Gespräch mit der Leiterin des Field Office in Alabama hatte uns Mr High sofort gebrieft. Wir waren nicht schlecht erstaunt, schon wieder von dieser Sekte zu hören. Erst Samstagabend hatte ich den Reverend das erste Mal im Fernsehen erleben können, und jetzt saßen wir in der Frühmaschine der American Airlines auf unserem Weg nach Birmingham.
Der Flug würde nur zweieinhalb Stunden dauern und am Flughafen sollte der Assistant Special Agent in Charge aus dem Field Office Mobile, Alabama, auf uns warten. ASAC Darren war noch gestern von Mr High angefordert worden und würde uns bei den Ermittlungen helfen.
Als wir mit unseren Reisetaschen endlich durch die Abfertigung kamen, konnte ich den Mann einfach nicht entdecken. »Hm«, brummte ich und sah mich um.
»Vielleicht hat er es nicht geschafft«, meinte Phil. »Haben wir eine Telefonnummer von dem Assistant Special Agent in Charge?«, fragte er mich und ich griff in meine Jacketttasche, in der die Kontaktdaten waren, die uns Dorothy, Mr Highs Assistentin, mitgegeben hatte.
In dem Moment wurden wir von einer Frau angesprochen. Ich ging davon aus, dass die Dame uns nach dem Weg fragen wollte, denn sie wirkte wie eine verlorene Südstaatenamazone, die mit Flughäfen so ihre Schwierigkeiten hatte.
Sie war klein, korpulent und ihr Kopf wurde von einer sehr altertümlichen Dauerwelle umrankt. Die dicke, klobige Brille rutschte auf ihre Nasenspitze und sie sah über den Rand zu uns auf.
»Ma’am?«, fragte ich, als sie uns nur ansah und nichts sagte.
»Inspektor Cotton und Inspektor Decker aus Washington?«, fragte sie mit einem Südstaatenakzent, der Gerold Willsons nuschelige, texanische Aussprache bei weitem in den Schatten stellte.
»Äh, ja«, erwiderte ich erstaunt und wunderte mich, woher sie unsere Namen kannte. Dann legte sich ein breites Lächeln auf ihr rundes Gesicht.
»Assistant Special Agent in Charge Emily Darren, aus Mobile. Es freut mich Sie kennenzulernen und dass wir zusammenarbeiten!«, sagte sie und ergriff meine Hand, um sie kräftig zu schütteln, dann Phils Hand, und ich glaube, in dem Moment entglitten uns beide die Gesichtszüge.
Das war also unsere Unterstützung aus Mobile. Ich sah mir den ASAC noch einmal genau an. Die Frau war, wie sagte man so schön: zeitlos. Ihr Alter konnte irgendwo zwischen dreißig und fünfzig Jahren angesiedelt werden, ohne dass ich in der Lage war, es genauer zu schätzen.
Sie trug ein graues Kostüm mit flachen Laufschuhen und eine sehr altmodische Handtasche über der Schulter. Wir beide brachten kein Wort über die Lippen, was für Phil schon an ein kleines Wunder grenzte.
»Das passiert mir oft«, meinte sie und kicherte. »Alle sind immer etwas erstaunt. Ich sehe aus wie Miss Marple, doch ich fühle mich innerlich wie Angelina Jolie und mein Gehirn funktioniert wie das von Sherlock Holmes, kennen Sie den?«
»Auf jeden Fall sind Sie ein Filmfan«, brachte Phil gerade so raus, während ich immer noch von einer gewissen Schockstarre erfasst war.
»Genau, Sie auch?«, fragte sie begeistert und hakte sich bei Phil ein, um ihn Richtung Ausgang zu schleppen. Ich folgte den beiden irgendwie traumatisiert.
»Kommen Sie schon, Inspektor Cotton, ich stehe im absoluten Halteverbot und die Politessen hier am Flughafen können ganz schöne Biester sein, trotz des FBI-Schilds.«
»Ma’am, ich meine Assistant Special Agent …«, versuchte ich es, als wir in ihrem Explorer saßen, der definitiv ein FBI-Wagen war. Sogar einer mit Sonderausstattung, denn die Technik, die sie hatte, war auf dem neusten Stand.
»Nennen Sie mich Emily, wir sind im Süden, hier ist alles nicht so formell. Wie darf ich Sie nennen?«, meinte sie und kicherte schon wieder.
»Phil«, kam es zögerlich von meinem Partner hinter uns.
»Jerry«, meinte ich dann ebenfalls etwas überrumpelt und ärgerte mich, dass ich ihr damit angeboten hatte, uns beim Vornamen zu nennen. Denn ich musste zugeben, dass ich gewisse Vorurteile bezüglich ihrer Fähigkeiten hatte.
»Na prima, dann mal los«, erwiderte sie gut gelaunt und legte einen Kavalierstart erster Klasse hin. Mich wunderte es, dass wir überhaupt unverletzt beim Field Office in Birmingham ankamen, so wie ASAC Emily Darren fuhr.
***
»Die beiden liegen jetzt schon zwei Tage hier rum. Sie müssen verschwinden, und zwar schnell«, sagte der Boss verärgert und blickte aus dem Fenster auf die Baustelle. »Das war ein verdammter Fehler. Ihr hättet euch besser erkundigen sollen, wer diese Leute sind. Scheiß FBI, das wird Ermittlungen geben, und wir müssen erst einmal die Füße stillhalten.«
»Sorry, Boss, wir hielten die beiden für Privatdetektive, die von Johnsons Frau engagiert worden sind, um nach ihrem Mann zu suchen. Wer kann schon ahnen, dass der Mistkerl die Feds einschaltet? Im Motel haben sie sich nicht als Agents zu erkennen gegeben. Darum habe ich auch den Farmer mit seinem Sohn darauf angesetzt. Ich dachte, zwei Privatschnüffler, deren Verschwinden erregt kein Aufsehen. Aber als wir dann die Ausweise sahen, war es zu spät«, versuchte sich Christopher rauszureden. Er war der Leibwächter des Bosses und eine Art Mädchen für alles, vor allen Dingen für das Grobe.
»Manchmal bist du ein Idiot erster Güte. Jetzt muss ich Ramos anrufen und das geplante Geschäft für morgen absagen. Er wird nicht gerade glücklich sein und ich bin es auch nicht. Wenn er abspringt und woanders abschließt, dann geht uns eine halbe Million Dollar flöten. Sag allen Jungs Bescheid, sie sollen ganz vorsichtig sein und vor allem in den nächsten Tagen keinen Unsinn anstellen. Normalbetrieb, hier wird ab jetzt nur gebetet und Halleluja gesungen, verstanden?«, raunzte der Boss ihn an.
»Geht klar, ich kümmere mich darum. Wir haben den Wagen der FBI-Agents über die Grenze gefahren, nach Georgia. Natürlich ist der Wagen sauber. Sollen wir die Leichen auch in einen anderen Staat bringen? Wir können Sie runter in die Sümpfe von Florida bringen«, schlug Christopher vor. Der Boss setzte sich an seinen Schreibtisch und verzog den Mund.
»Ich habe gesagt, dass ihre Leichen nie wieder auftauchen dürfen, verstanden!«
»Nun ja, die Wahrscheinlichkeit ist gering in den Sümpfen, Boss!«, erwiderte Christopher und sein Chef stöhnte auf.
»Muss ich denn alles alleine machen?«, beschwerte er sich und sah Christopher streng an. »Erst bringen diese Dilettanten die Toten her und jetzt willst du sie wieder durch die Gegend kutschieren? Die Baustelle, wann soll das Fundament betoniert werden?«
»Heute Abend, sobald wir geschlossen haben«, meinte Christopher und schaltete noch immer nicht.
»Gut, da drin sind sie für immer und ewig verschwunden. Gar kein schlechtes Grab, immerhin ist das unsere Via Dolorosa, die zu dem neuen Hügel Golgata führen wird«, meinte der Boss und schmunzelte.
»Wie bitte?«, fragte Christopher und sah den Boss fragend an.
»Na, der Weg, den Jesus zu seiner Kreuzigung gehen musste, du weißt schon, mit dem Kreuz auf dem Rücken und der Dornenkrone«, setzte der Boss an, doch ließ es dann bleiben. Christopher und seine Bande hatten keine Ahnung von der Bibel.
»Also erledige das und rede deinen Jungs ins Gewissen. Du verschwindest für eine Weile, fahr rauf nach Nashville und mach eine Woche Urlaub! Ich spreche jetzt mit Ramos und versuche den Schaden zu begrenzen.«
»Ja, Boss«, sagte Christopher schnell und verließ das Büro.
***
»Emily!«, rief SAC Nomad aus, als sie Agent Darren aus Mobile sah, und nahm sie herzlich in den Arm. Anscheinend kannten sich die beiden gut.
»Inspektor Cotton, Inspektor Decker, ich freue mich sehr, Sie hier zu sehen. Da hat Assistant Director High Ihnen einen unserer fähigsten Agents an die Seite gestellt. Agent Darren ist ein Wirbelwind auf allen Gebieten. Ganz egal ob beim Schießen, Autofahren oder bei Recherchen, sie ist nicht zu schlagen.«
»Jetzt hör aber mal auf, Stacy. Jerry und Phil haben sich von meinem Anblick immer noch nicht ganz erholt, darum hau nicht so auf den Putz«, erwiderte sie, schenkte Stacy Nomad ein breites Grinsen und kicherte wieder auf ihre so eigene Art.
»Nein, wirklich. Emily ist besonders als Undercover-Agent eine Wucht. Denn den bösen Jungs geht es nicht anders als den meisten Kollegen, die Emily das erste Mal sehen. Man hält sie für eine kleine unbedarfte Lady, und wenn sie ihnen dann Handschellen anlegt und ihre Glock vor die Nase hält, sind die meisten völlig überrumpelt«, sagte sie und führte uns in einen Besprechungsraum.
SAC Nomad fasste die Situation noch einmal für uns zusammen. Immer wieder hatte sie es auf den Handys ihrer Leute versucht, doch die beiden Agents blieben verschwunden. Auch ihre Familien hatten nichts von ihnen gehört, was normalerweise ein ziemlich übles Zeichen war.
»Ich habe Ihnen die Personalakte von Agent Sattler und Agent Demoin herausgesucht. Beide sind gute Agents. Sattler hat zwei Kinder und Agent Demoin hat gerade vor einem Monat geheiratet, seine Frau erwartet ihr erstes Kind und normalerweise telefoniert er mindestens einmal pro Tag mit seiner Frau. Das kann nur bedeuten, dass er nicht dazu in der Lage ist. Ich befürchte das Schlimmste.«
»Dieser Farmer, Daniel Johnson, haben Sie schon etwas mehr über ihn in Erfahrung bringen können?«, wandte ich mich an sie, doch überraschenderweise war es Emily, die das Wort ergriff.
»Darum habe ich mich gekümmert, als ich auf Sie wartete. Daniel Johnsons Hof gehört seiner Familie schon in dritter Generation. Typische Mais- und Viehbauern. Er ist verheiratet mit Rebecca, geboren Russel, und hat zwei Töchter, fünfzehn und zwanzig Jahre alt. Polizeilich ist er ein paar Mal aufgefallen, da er damals lautstark protestiert hat, als man ihm den Bibel-Park direkt vor die Nase setzte. Es gab Anzeigen gegen ihn wegen Sachbeschädigung und Beleidigung«, führte sie aus.
»Das heißt, diese Sekte sind seine direkten Nachbarn«, präzisierte Phil.
»Nein, nur der Bibel-Park. Den müssen Sie sich als eine Art heilige Disneyworld vorstellen, in dem die Gläubigen unterhalten werden. Mit ziemlich viel Aufwand werden dort Bibelgeschichten nachgestellt. Riesige Kulissen, Tiere und Schauspieler führen dort Sachen auf wie zum Beispiel den Auszug Moses aus Ägypten und die Teilung des Roten Meeres. Ich habe mir das im Internet angesehen, ist wirklich beeindruckend, wie die das mit dem riesigen Wasserbecken machen«, berichtete Emily in einem Plauderton, als wären wir beim Kaffeekränzchen.
»Jetzt gerade planen sie eine neue Attraktion: Sie bauen die Via Dolorosa nach und den Hügel Golgatha«, fügte sie hinzu.
»Um was nachzustellen – doch nicht die Kreuzigung?«, meinte Phil makaber und verzog den Mund.
»Na ja, wäre ja nichts Neues. Bei den Passionen wird in Jerusalem auch nichts anderes gemacht. Auf jeden Fall kostet die Tageskarte dreißig Dollar und dann werden dort noch unglaubliche Mengen an Merchandisingartikeln angeboten. Der Park läuft gut, hat im Schnitt zehntausend Besucher am Tag. Der Höhepunkt ist dann die Messe mit dem Reverend am Nachmittag. Außerdem gibt es zwölf Restaurants auf dem Gelände«, fuhr Emily fort.
»Das nenne ich mal ein Unternehmen. Was war mit dem Grundstück, das die von diesem Farmer, Daniel Johnson, kaufen wollten? Haben Sie darüber was rausgefunden?«, fragte ich Emily.
»Ja und nein. Es wurde von dem Bibel-Park angekündigt, dass sie eine riesige Arche bauen wollen, in der einmal am Tag die Tiere und Noah einziehen sollen. Da sie von Elefanten, Giraffen und solch großen Tieren geredet haben, kann ich mir vorstellen, dass sie nochmals eine Menge Land dafür brauchen. Da wäre Daniel Johnsons Farm ideal, denn seine Felder grenzen direkt an den Park. Doch das ist nur eine Vermutung von mir.«
»Dann sollten wir mit der Vermutung arbeiten«, erwiderte ich sofort. »Die Sekte macht Daniel Johnson ein Angebot und er lehnt ab, dann wird er terrorisiert, und als er das FBI einschaltet, verschwindet er. Es wird Zeit, dass wir nach Huntsville fahren und uns die Messias Community und den Bibel-Park ansehen.«
»Emily, Sie sagten, nur der Park grenzt an Johnsons Land. Dann lebt die Sekte nicht dort?«, fragte Phil. Emily schüttelte den Kopf.
»Nein, die Messias Community hat in unmittelbarer Nähe eine Farm, na ja, eher ein Dorf. Auch ein großes Gebiet, mit Wohnhäusern, eigenen Läden, einer Schule, Schreinerei und solches Zeug. Ein bisschen so wie die Amish-Gemeinden – sie sind auch ziemlich autonom, aber verteufeln den Fortschritt nicht.«
»Lebt dort auch ihr Reverend, dieser Messias ?«, wollte ich wissen.
»Ja, er und seine Jünger«, meinte Emily. »Was machen wir, fahren wir hin und fühlen denen einmal auf den Zahn?« Sie sah mich enthusiastisch an.
»Phil und ich fahren nach Huntsville. Sie bleiben hier. Ich will alles erfahren, was man zu dieser Sekte und dem Reverend finden kann. Er wird ja nicht gerade ein Kind einer unbefleckten Empfängnis sein. Seinen richtigen Namen, woher er kommt und so weiter«, erwiderte ich, doch Emily sah mich nur empört an. »Und bevor Sie sich aufregen, Emily: Sie bleiben nur hier, damit man Ihr Gesicht nicht kennt. Vielleicht brauchen wir Sie zu einem späteren Zeitpunkt. Als unseren Joker, der sich undercover bei der Messias Community einschleichen wird. Nur darum bleiben Sie hier«, stellte ich die Situation klar und ihr Gesichtsausdruck wurde etwas versöhnlicher.
»Emily, Sie sollten sich mit unserer Computerexpertin in Quantico kurzschließen, Dr. Cha. Ich denke, Sie beide können einiges ausgraben und werden sich hervorragend verstehen«, meinte Phil. Irgendwie hatte ich eher das Gefühl, dass mit Emily und Mai-Lin zwei Welten aufeinanderprallen würden.
***
Wir beschlossen noch am gleichen Nachmittag, hoch nach Huntsville zu fahren. Als Erstes wollten wir mit Rebecca Johnson sprechen und dann in dem Motel einchecken, in dem unsere Agents gewohnt hatten und aus dem sie mitten in der Nacht verschwunden waren.
Die eineinhalb Stunden Fahrt durch Alabama war eintönig, der Himmel über uns war grau mit einer geschlossenen Wolkendecke und das Land flach und dünn besiedelt.
Kurz vor Huntsville in der Nähe des US Space Rocket Center verließen wir die Interstate 565 und fuhren auf einer kleinen Landstraße in ein Farmgebiet. Bereits an der Interstate hatten wir die Hinweise auf den Messias Bibel-Park bemerkt, und das riesige Gelände sah man schon aus der Ferne.
Bevor wir auf den großen, gut besetzten Parkplatz des Freizeitparks kamen, bogen wir wieder ab und fuhren auf das Farmhaus zu, das gleich neben den hohen Zäunen des Parks lag.
»Na, da hätte ich auch die Krise bekommen, wenn man mir so einen Park genau vor die Nase gebaut hätte«, meinte Phil und betrachtete den hohen Gitterzaun und die Gebäude, die man im Park erkennen konnte.
Nur ein Maisfeld lag zwischen dem Zaun und dem Haupthaus der Farm. Wenn Daniel Johnson aus seinem Wohnzimmerfenster sah, erblickte er einen römischen Tempel und ein Amphitheater, was man von hier erkennen konnte.
Wir stiegen aus und sofort schallte uns die typische Geräuschkulisse solch eines Parks entgegen, eine Mischung aus Musik und sich amüsierenden Menschenmassen. Kaum dass wir an der Tür angekommen waren, wurde sie von jemandem geöffnet.
»Mrs Johnson?«, fragte ich die kleine Frau, die uns verschreckt ansah. Sie schien einen guten Grund dafür zu haben, denn irgendjemand hatte ihr ein blaues Auge geschlagen, das sie mit Make-up versucht hatte abzudecken.
»Was wollen Sie? Mein Mann verkauft das Land nicht, gehen Sie wieder«, sagte sie bitter und wollte die Tür schon wieder schließen.
»Wir sind vom FBI, Ma’am«, erwiderte ich schnell und hielt ihr dann meinen Dienstausweis hin.
»Oh, verzeihen Sie, ich dachte, Sie wären die Anwälte von drüben«, meinte sie und nickte auf den Park. »Aber bitte, kommen Sie doch rein.«
Sie führte uns in eine große Wohnküche. Alles im Haus war grob und funktional, so wie man es auf einer Farm erwarten würde. Ohne zu fragen, stellte sie uns zwei Becher mit dampfendem Kaffee auf den Küchentisch, an dem wir Platz genommen hatten.
»Haben Sie irgendetwas von meinem Mann gehört?«, fragte sie, nachdem sie sich zu uns gesetzt hatte.
»Nein, Ma’am, tut uns leid. Dann hat er sich auch noch nicht wieder bei Ihnen gemeldet?«, fragte Phil und sie schüttelte nur den Kopf. »Was ist mit Ihrem Auge passiert?«, fügte er an.
»Ach, das ist nichts, eine Kuh hat mich mit dem Hinterlauf erwischt, beim Ausmisten«, erwiderte sie voller Scham und ich glaubte ihr kein Wort. »Daniel ist immer noch wie vom Erdboden verschluckt. Was ist mit Ihren beiden Agents, die bei mir waren?«
»Auch die beiden vermissen wir. Könnten Sie uns bitte genau erzählen, was hier alles passiert ist? Von Anfang an, bitte«, forderte ich sie auf und sie seufzte.
»Wissen Sie, unsere Familie lebt schon ewig auf dem Land. Das Grundstück, auf dem nun der Park steht, gehörte früher der Stadt Huntsville und mein Mann hatte zusätzlich fünfzig Acre gepachtet für den Maisanbau und unsere Viehzucht. Vor zwei Jahren dann kündigte der Magistrat uns die Pacht und wir erfuhren, dass man den Park bauen wollte. Mein Mann konnte das alles nicht glauben, er nahm sich sogar einen Anwalt, doch es nützte alles nichts. Als man dann anfing zu bauen, stellte er sich mit unserem Traktor vor die Baumaschinen und die Polizei verhaftete ihn«, sagte sie.
»Und dann machte man Ihnen ein Angebot, Ihr Land zu kaufen?«, fragte Phil ungeduldig, da er auf den Punkt kommen wollte.
»Ja, das war vor etwa sechs Monaten, da kamen diese Juristen des Parks das erste Mal. Seitdem waren sie etwa vier Mal hier, bis mein Mann ihnen den Zutritt verbot und die Polizei rief«, erklärte sie. Ich musste sehr genau zuhören, da Mrs Johnson sehr leise sprach, und irgendwie gingen ihre Blicke die ganze Zeit nervös zwischen Phil und mir hin und her.
»Was ist Ihr Land denn wert?«, fragte ich sie. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich plötzlich, als hätte ich sie beim Schwindeln erwischt. Doch vielleicht interpretierte ich in dem Moment einfach zu viel in ihre Gestik. Sie vermisste immerhin ihren Mann und hatte Grund, aufgeregt zu sein.
»Wert ist es wohl so vierhunderttausend Dollar«, sagte sie uns.
»Und was haben die Rechtsanwälte des Bibel-Parks geboten?« fragte Phil. Anscheinend hatte er schon so eine Ahnung, was jetzt kommen würde. Rebecca Johnson seufzte wieder laut.
»Mein Mann kann so ein Sturkopf sein. Sie haben uns eine Million Dollar geboten«, gab sie dann zögerlich zu und Phil entwich ein Pfiff.
»Ich weiß, es war ein sehr großzügiges Angebot und ich habe meinem Mann gesagt, dass wir mit dem Geld ausgesorgt hätten. Wir hätten nach Huntsville in die Stadt ziehen können, ein kleines Haus kaufen und endlich mit der harten Farmarbeit aufhören. Doch er wollte davon nichts wissen.«
»Und dann fingen die Schikanen an, ich meine, nachdem er den Rechtsanwälten verboten hatte auf das Grundstück zu kommen?«, lenkte ich das Thema wieder auf die Vorkommnisse.
»Ja, vor drei Monaten. Das Erste, was passierte, war, dass man unsere Zufahrt zuparkte. Es war an einem Sonntag und der Park brechend voll. Die hatten auf ihrem großen Parkplatz nicht mehr eine freie Stelle und es kamen immer noch Besucher. Die parkten dann einfach unsere gesamte Zufahrt zu«, erklärte sie.
»Nun ja, das kann man dem Management des Parks nicht anlasten«, warf ich ein.
»Anscheinend doch, denn als mein Mann die Polizei rief, um die Besucher anzuzeigen, behaupteten die, die Parkwächter hätten sie dazu aufgefordert, hier zu parken. Passiert ist aber nichts, da man sich entschuldigte und den Angestellten, der das angeblich gesagt hatte, kündigte. Die Polizei unternahm auch nichts, noch nicht einmal Strafzettel wurden verteilt. Dann vor vier Tagen wollte mein Mann das südliche Maisfeld abernten, doch über Nacht war fast die ganze Ernte verdorben. Jemand hatte große Mengen Unkrautvernichtungsmittel gesprüht. Wir haben viel Geld dadurch verloren. Die Polizei konnte nicht feststellen, wer dafür verantwortlich war. Aber die haben noch nicht einmal Spuren gesichert. Und dann vor ein paar Tagen fanden wir die zwanzig toten Rinder, auch sie wurden vergiftet.«
»Mrs Johnson, hat ihr Mann Feinde – ich meine außer den Leuten vom Bibel-Park?«, fragte ich offen und beobachtete wieder ihren Gesichtsausdruck. Was ich lesen konnte, war, dass Daniel Johnson anscheinend nicht sehr beliebt war.
»Nun ja, ich sagte Ihnen bereits, dass er ein Sturkopf ist. Daniel ist nicht sehr beliebt, auch nicht bei den anderen Farmern, vor allem nicht, weil wir uns so sehr von dieser Sekte distanziert haben. Die meisten hier in Huntsville sind Anhänger. Sie glauben, der Park und der Reverend sind ein Segen. Es kommt Geld in die Stadt, und die unterstützt sogar einige der ärmeren Bauern hier«, gab sie zu.
»Dann besteht auch die Möglichkeit, dass jemand anders als die Sekte Ihre Ernte vernichtet hat«, stellte Phil fest und Rebecca zuckte die Schultern.
»Vielleicht einer der Farmer, die von der Sekte unterstützt wurden. Die wollen unbedingt, dass der Park noch vergrößert wird. Einige von unseren ehemaligen Nachbarn arbeiten sogar jetzt im Park. Es kann schon sein, doch Daniel war so überzeugt, dass es dieser Messias und seine Sekte war.«
»Wissen Sie, ob unsere beiden FBI-Agents Sattler und Demoin noch mit anderen hier gesprochen haben?«, fragte ich weiter.
»Sie wollten zur Polizei und mit Sheriff Unwin reden. Ob sie da waren, kann ich Ihnen nicht sagen«, erwiderte Rebecca Johnson.
***
Sarah war viel zu spät, als sie endlich ihr Kostüm ausgezogen hatte. Der Park war bereits seit einer halben Stunde geschlossen und eigentlich sollte sie gar nicht mehr hier sein. Leider hatten sie reichlich verspätet mit der letzten Vorstellung angefangen, in der sie die schwangere Maria spielte, die auf einem Esel ritt und mit Josef in den Stall bei Bethlehem einkehrte.
Die Gäste hatten ohne Ende Fotos von ihnen gemacht, und als endlich die Letzten gegangen waren, hatte dieser verdammte Esel wieder rumgebockt. Es hatte ewig gedauert, bis sie das Tier endlich in seinem Stall versorgt hatte.
Nathaniel, der den Josef gespielt hatte, war es ziemlich egal gewesen, ob sie Probleme mit dem Tier hatte oder nicht. Heute war sie für das Tier verantwortlich und er hatte sich pünktlich verdrückt.
Sie machte ihm keinen Vorwurf daraus, denn sie war auch jedes Mal froh, wenn sich ein anderer um das bockige Tier kümmern musste.
Sarah überlegte, was sie tun konnte. Wenn der Geschäftsführer des Parks oder einer seiner Sicherheitsleute sie noch so spät hier erwischte, dann bekam sie richtig Ärger. Doch um aus dem Park herauszukommen, musste sie an der neuen Baustelle vorbei und sie konnte jetzt hören, dass die Bauarbeiten bereits wieder angefangen hatten.
Heute wollte man das Fundament für die Via Dolorosa gießen, was bedeutete, dass die Männer mindestens noch zwei Stunden dort arbeiten würden.
»Ich warte einfach, bis sie fertig sind, und schleiche mich dann raus«, sagte Sarah zu sich selbst. Zwar würde sie das Abendessen auf der Farm verpassen, doch der Reverend war nicht so streng. Aber dieser verfluchte Geschäftsführer der Parks, dieser Mr Aberdeen, konnte sich aufführen wie der Leibhaftige selbst, wenn man sich nicht an seine Anweisungen hielt.
Dann schämte sie sich für diesen Gedanken und kniete nieder, um ein Gebet des Bereuens zu sprechen. In dem Moment rumpelten die Betonmischer an ihrer kleinen Hütte vorbei. Sie setzte sich in eine Ecke und wartete.
Draußen begann man den Beton für die Straße zu pumpen und sie hörte Männerstimmen. Fast wäre sie eingeschlafen, doch sie schreckte hoch, als sie die aufgeregten Stimmen der Männer hörte. Sie traute sich jedoch nicht, aus dem kleinen Fenster zu schauen, und ein paar Minuten später war die Aufregung vorbei.
Es war bereits neun Uhr, als der letzte Lastwagen das Gelände verließ, und Sarah schlich sich aus der Hütte. Von den Männern, die den Beton gegossen hatten, war nichts mehr zu sehen. Auch konnte sie keinen der Sicherheitsleute ausmachen, die eigentlich ihre Runde drehen sollten.
Schnell rannte sie auf die Baustelle zu. Gott sei Dank war es noch nicht ganz dunkel und sie sah in der Abenddämmerung genau, wohin sie ging. In der untergehenden Sonne schimmerte der feuchte Beton der neuen Via Dolorosa und sie schlich sich am Rand vorbei auf den Seitenausgang zu.
Sarah hatte gerade das Ende der Baustelle erreicht, als sie etwas neben dem frischen Beton glitzern sah. Es war ein Ring, ein goldener Ehering. Wahrscheinlich hatte einer der Männer ihn verloren. Sie sah sich die Inschrift an: Liza und Frank, 30. Juli.
Eigenartig, dachte sie, denn sie kannte keinen Frank unter den Sicherheitsleuten und konnte sich schon gar nicht daran erinnern, dass einer von ihnen vor einem Monat geheiratet hatte. Fremde Bauarbeiter durften nicht hier im Park arbeiten, es wurde alles von Mr Aberdeens Leuten erledigt.
Vielleicht hat einer der Parkgäste den Ehering verloren, schoss es ihr durch den Kopf, doch eigentlich war die Baustelle für die Gäste nicht zugänglich. Sie steckte den Ring in ihre Jeans und kletterte über den Seitenausgang, dann rannte sie über das Feld zur Farm der Sekte.
***
Als wir Rebecca Johnsons Hof verließen, war der Park bereits geschlossen, und wir hörten den Lärm von Baumaschinen. Da es für heute zu spät war, planten wir, uns den Park und auch die Farm der Sekte morgen vorzunehmen.
Wir machten uns auf den Weg, diesem Sheriff Unwin einen Besuch abzustatten und anschließend in dem Motel einzuchecken, in dem die beiden vermissten Agents zuletzt gesehen worden waren.
»Beliebt war dieser Daniel Johnson also nicht«, meinte Phil, als ich wieder auf die Interstate fuhr, um in die Innenstadt zu kommen. »Nehmen wir einmal an, jemand hat ihn verschwinden lassen, vielleicht sogar jemand, der nur will, dass der Bibel-Park weiterhin gutes Geld in die Stadt bringt. Warum aber das Risiko eingehen und zwei FBI-Agents entführen?«
»Entführen?«, fragte ich Phil erstaunt und bog auf den Memorial Parkway ein. »Hast du noch Hoffnung, dass wir die beiden lebend finden? Ich meine, wenn man sie nur entführt hätte, dann wüssten wir das höchstwahrscheinlich mittlerweile.«
»Aber es ergibt keinen Sinn. Selbst wenn die Sekte oder jemand in der Stadt so korrupt ist und sich eines aufsässigen Farmers entledigt, um den Geldfluss des Parks am Laufen zu halten, ist das eine Sache. Zwei FBI-Agents zu ermorden ist eine ganz andere. Vor allem frage ich mich, warum. Haben die beiden etwas erfahren, was sie nicht wissen sollten, oder etwas gesehen?«, grübelte Phil laut vor sich hin. »Vor allem in der kurzen Zeit – sie waren doch nur einen Tag hier in Huntsville.«
»Wenn sie etwas so Brisantes erfahren hätten, dass man sie dafür töten würde, dann hätten sie sich bei SAC Nomad gemeldet und wären nicht selenruhig in das Motel gefahren«, entgegnete ich. »Nein, ich denke, jemand zieht da eine ganz harte Nummer durch und hat mit zwei Schnüfflern kurzen Prozess gemacht.«
»Dann sollten wir lieber gut auf uns aufpassen, denn genau das habe ich auch vor: meine Nase ganz tief in die Machenschaften von Huntsville zu stecken«, erklärte mein Partner voller Tatendrang.
Als wir endlich in die Wheeler Street einbogen, war nicht zu übersehen, dass der Police Chief hier residierte. Auf dem Parkplatz vor dem Gebäude standen etliche Einsatzwagen, die einen großen Schriftzug Sheriff’s Office trugen. Wir wollten das Gebäude gerade betreten, als mein Handy klingelte.
»Jerry, hier ist Emily«, hörte ich unsere Kollegin. »Ich wollte Ihnen nur kurz mitteilen, dass man das Auto und das Gepäck von Agent Sattler und Demoin gefunden hat. Der Wagen stand in Atlanta.«
»Ich nehme einmal an, von den beiden keine Spur«, erwiderte ich.
»Ganz genau«, meinte Emily kurz.
»Haben Sie schon etwas zu der Sekte und dem Reverend?«, fragte ich.
»Ja!«, sagte sie sofort. »Jerry, dieser Reverend Messias ist ein Geist. Kein Name, keine Sozialversicherungsnummer, kein Führerschein, einfach nichts. Wir wissen nicht, wer seine Eltern sind und wo er herkommt.«
»Aber er arbeitet doch mit diesem Fernsehsender zusammen, die müssen doch etwas über ihn wissen«, warf ich ein.
»Ich habe noch keinen Kontakt mit denen aufgenommen, um die Pferde nicht scheu zu machen. Soll ich?«, entgegnete sie und ich war erstaunt, wie schnell sie die Lage absolut richtig beurteilt hatte.
»Nein, Sie haben recht. Warten Sie noch. Sprechen Sie mit Dr. Cha, sie kann vielleicht etwas ausgraben. Falls nicht, dann muss ich erst darüber nachdenken. Wir wollen gerade mit dem Sheriff sprechen. Wir rufen Sie an, wenn wir im Motel sind. Bis später, Emily«, sagte ich und legte auf.
Der wachhabende Streifenpolizist an der Rezeption sah uns und unsere Ausweise eigenartig an, doch dann griff er zum Telefonhörer. Nach einem kurzen Gespräch brachte er uns nach hinten in ein großes Büro. Dort residierte Sheriff Unwin, wie man es von einem Südstaaten-Sheriff erwartete. Ein massiger Mann mit Schnauzer saß hinter einem Schreibtisch und sein großer Cowboyhut mit Stern lag darauf.
»Deputy Glenway sagte, Sie sind vom FBI?«, war seine Begrüßung, ohne dass er sich erhob oder uns auch nur einen Platz anbot.
»Das ist richtig, Inspektor Cotton und Decker. Wir sind hier wegen des vermissten Farmers Daniel Johnson und zwei unserer Agents, die ebenfalls vermisst werden«, kam ich gleich zur Sache. Sheriff Unwin strich sich über seinen Schnauzbart.
»Daniel Johnson wird vermisst? Wurde mir nicht gemeldet. Seit wann?«, fragte er. Wir setzten uns einfach auf die beiden Besucherstühle vor seinem Schreibtisch.
»Seit zwei Tagen, nachdem er sich an das FBI in Birmingham gewandt hatte, tauchte er in Huntsville nicht mehr auf. Die beiden Agents, die dann vorgestern herkamen, um im Fall Daniel Johnsons zu ermitteln, verschwanden noch in der gleichen Nacht«, erklärte Phil.
»Erstens weiß ich nichts davon, zweitens gelten Menschen erst nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden als vermisst, und das auch nur, wenn sie als vermisst gemeldet werden. Bei mir ist keine Vermisstenmeldung eingegangen, und was bedeutet überhaupt der Fall Daniel Johnson? Was hat der alte Unruhestifter jetzt wieder für ein Theater inszeniert?«
»Was meinen Sie damit?«, fragte ich den Sheriff sofort.
»Hat er sich etwa wegen seines verdorbenen Maisfelds und den toten Rindern an das FBI gewandt? Lächerlich, Sie müssen ja eine Menge Zeit haben beim Federal Bureau of Investigation, wenn sie Johnsons Spinnereien nachgehen«, knurrte er, und so langsam stellten sich meine Nackenhaare bei dem selbstgefälligen Kerl auf.
»Jetzt reicht es, Sheriff Unwin! Zwei Agents aus Birmingham werden vermisst. Sie verschwanden in der Nacht aus einem Motel hier in Huntsville, seither gibt es kein Lebenszeichen mehr von den Männern. Also reden Sie jetzt mal Klartext, denn wir machen uns um unsere Leute Sorgen«, ging ich ihn an.
Er verzog den Mund.
»Hören Sie, Inspektor Cotton, jetzt erzähle ich Ihnen einmal etwas über Daniel Johnson. Er ist ein Querulant, genau wie sein Vater und Großvater. Einer dieser Farmer, die sich weder für Huntsville noch für seine Bewohner interessiert«, brummte er, setzte sich auf und legte die Hände flach auf den Tisch.
»Die Johnson-Farm war einmal die größte hier in der Gegend und Daniels Vater hat so einige kleine Farmer kaputt gemacht. Man liebt die Familie hier nicht und die arme Rebecca kann einem leidtun.«
»Dann hat ein anderer Farmer seine Ernte zerstört und das Vieh getötet?«, fragte ich ihn, doch er lachte nur laut auf.
»Hat er dem FBI das erzählt oder hat er die Messias Community dafür verantwortlich gemacht? Wahrscheinlich hat er auch erzählt, dass wir, die Polizei, nichts untersucht haben«, sagte er und ich sah ihn erstaunt an. »Klar hat er das. Inspektor, ich selbst habe mir das Maisfeld angesehen, es wurde mit einem sehr giftigen Unkrautvernichtungsmittel besprüht. Einem Mittel, das von keinem unserer Farmer mehr benutzt wird, da die meisten hier mittlerweile einen ökologischen Anbau betreiben. Der einzige Farmer, der dieses Mittel noch in seinen Stallungen hat und benutzt, war Johnson selbst. Verstehen Sie jetzt?«
»Sie sagen, er hat das Feld selbst vernichtet und auch sein eigenes Vieh getötet?«, fragte Phil ungläubig.
»Ganz genau, das sage ich.«
»Aber wieso? Natürlich, der Bibel-Park ist ein Ärgernis für Johnson, doch würde er so weit gehen?«, hakte ich nach.
»Es geht doch nur in zweiter Linie um den Bibel-Park. Er will dem Reverend eins auswischen. Wahrscheinlich ist Johnson untergetaucht, damit das FBI hier herumstöbert und die Messias Community diskreditiert.«
»Sie sagten, es geht nur in zweiter Linie um den Bibel-Park. Worum geht es denn primär, warum ist Daniel Johnson so wütend auf den Reverend?«, fragte ich den Sheriff, denn so langsam kam mir die Sache eigenartig vor. Sheriff Unwin sah mich überrascht an.
»Dann hat Rebecca Johnson es Ihnen nicht erzählt?«, fragte er, doch er wartete die Antwort nicht ab. »Es geht um seine Tochter Marie-Sophie! Kaum dass sie achtzehn war, ist sie ausgezogen und hat sich dem Reverend angeschlossen. Sie ist sogar eine der Jüngerinnen von Messias . Das hat den alten Johnson fast in den Wahnsinn getrieben. Inspektor Cotton, ich weiß zwar nicht, was mit Ihren beiden FBI-Agents ist, doch wegen Johnson machen Sie sich mal keine Sorgen, der führt uns alle an der Nase rum. Eines Tages taucht der wieder auf.«
***
»So langsam verliere ich hier den Überblick«, meinte Phil, als wir wieder im Wagen saßen und auf dem Weg zum Motel waren. Sheriff Unwin hatte uns die Adresse gegeben, denn darüber wusste er Bescheid. Die Geschäftsführerin des Motels hatte am Morgen eine Anzeige wegen Sattler und Demoin bei der Polizei gemacht, da die beiden abgereist waren, ohne ihre Rechnung zu bezahlen.
»Also, wer sind denn jetzt die Bösen? Meinst du, Daniel Johnson hat etwas mit dem Verschwinden unserer Agents zu tun?«
»Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall machen wir morgen Rebecca Johnson noch einmal Dampf, sie hat eine Menge Informationen zurückgehalten«, erwiderte ich und bog auf den Parkplatz des Motels ein.
Die Gebäude des Motels sahen ganz und gar nicht so aus, wie man es von einem üblichen Motel erwarten würde. Alles war sehr gepflegt, die Gebäude frisch gestrichen, mit blühenden Blumenbeeten, es sah sehr einladen aus.
» God’s Haven «, meinte Phil und blickte auf das Schild über der Eingangstür. »Wahrscheinlich gehört das Motel auch der Messias Community «, spekulierte er und wir schnappten uns unsere Taschen.
»Gott sei mit Ihnen, willkommen im Haven «, begrüßte uns die Rezeptionistin, deren Namensschild sie als Joscelynne auswies. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Wir bräuchten zwei Zimmer«, sagte ich. Joscelynne, die in ihrem braven Outfit eher wie eine Farmersfrau wirkte und wohl auf die vierzig zuging, lächelte über das ganze Gesicht. Wenn man solch eine Frau in ein vernünftiges Kleid steckte, hätte sie eine Schönheit sein können, dachte ich in dem Moment.
»Da haben Sie aber Glück, wir sind eigentlich ausgebucht, doch gestern wurden überraschend zwei Zimmer frei. Wollen die Herren den Bibel-Park besuchen?«, fragte sie.
»Das auch«, erwiderte ich. »Wir sind vom FBI«, fuhr ich fort und zückte meinen Ausweis, woraufhin Joscelynnes Gesicht sich verdüsterte. »Sie hatten gestern zwei FBI-Agents hier. Sind das die beiden Zimmer, die frei geworden sind?«
»Ja, aber es tut mir leid, ich muss darauf bestehen, dass Sie die Rechnung vorab begleichen. Es stimmt, wir hatten zwei Gäste in diesen Zimmern, die sich aber nicht als FBI-Agents ausgegeben haben. Betrüger, die ohne zu zahlen in der Nacht abreisten. Daher verlasse ich mich nicht mehr auf irgendwelche Ausweise. Die kann man sich ja überall im Internet besorgen. Tut mir leid, die Herren. God’s Haven ist eigentlich ein Motel, das keine Kreditkarten vorab verlangt. Wir vertrauen unseren Gästen. Noch nie zuvor hatten wir Betrüger hier«, erwiderte sie kalt.
»Keine Sorge, wir werden auch die ausstehende Rechnung von Agent Sattler und Demoin zahlen, denn die beiden waren echte Bundespolizisten«, meinte ich und Joscelynne sah mich erstaunt an.
»Wirklich? Ich dachte ernsthaft, sie sind Betrüger. Einfach abzureisen, ohne zu bezahlen«, meinte sie empört und schüttelte den Kopf.
»Joscelynne, sagen Sie, als die Agents eingecheckt hatten, an dem Abend, haben die beiden das Motel noch einmal verlassen?«, fragte ich sie und füllte das Hotelformular aus.
»Nein, ich habe nur gesehen, wie sie in Marleens Restaurant gingen und nach dem Essen sofort wieder herkamen«, erklärte sie schon wieder freundlicher und zeigte auf das Gebäude gegenüber. Es handelte sich um ein Grillrestaurant, das den blumigen Namen Eden-Grill trug.
»Dann haben die beiden auch keinen Besuch bekommen?«, bohrte Phil weiter.
»Nicht dass ich wüsste, doch ich bin ab halb zwölf nicht mehr hier. Darum habe ich auch nicht mitbekommen, wann die beiden abgereist sind.«
»Sie haben keinen Nachtportier?«
Joscelynne schüttelte den Kopf. »Nein, hier wohnen fast ausschließlich gläubige Menschen, die den Bibel-Park besuchen und den Reverend erleben wollen. Diese Menschen stehen früh auf und gehen früh zu Bett. Wir haben hier keine Nachtschwärmer. Bevor ich es vergesse, wir haben einige Regeln: kein Alkohol im Hotel und kein Damenbesuch, falls es sich nicht um Ihre Ehefrauen handelt«, erwiderte Joscelynne und ich gab ihr das Geld für unsere Zimmer und auch den ausstehenden Betrag von Agent Sattler und Demoin.
»Dann gehört das Motel der Messias Community ?«, fragte ich noch.
»Ja, wir führen das Motel im Namen Gottes. Es ist ein Teil des Bibel-Parks. Da Sie hier wohnen, bekommen sie auch einen vergünstigten Eintritt in den Park. Kann ich noch etwas für Sie tun?«
Phil und ich verneinten und schnappten unsere Zimmerschlüssel. Natürlich sahen wir uns zuerst gut in den Räumen um, die eher spartanisch eingerichtet waren. Wie zu erwarten gab es keine Minibar, noch nicht einmal einen Fernseher. Über dem Kingsize-Bett hing ein Holzkreuz und auf dem Nachttisch lag eine Bibel. Doch wir konnten nicht das kleinste Anzeichen entdecken, das auf unsere beiden Agents hingewiesen hätte. Wir zogen uns um und gingen dann rüber in den Eden Grill .
***
»Joscelynne, was gibt es Dringendes? Ich bin momentan ziemlich beschäftigt«, sagte der Boss und wollte sie so schnell wie möglich abwimmeln. Er wartete auf Ramos’ Rückruf und betete, dass der Mann sich um ein paar Tage vertrösten ließ.
»Dringendes«, sagte Joscelynne. »Du weißt, ich rufe nicht wegen Lappalien an, und da Christopher die Sache mit den beiden FBI-Agents so gründlich vermasselt hat, wollte ich lieber mit dir direkt sprechen«, erwiderte sie. »Gerade sind zwei Typen im Motel aufgetaucht, den Ausweisen nach zwei Inspektoren des FBI. Sie haben die Zimmer der beiden anderen bezogen. Soll ich die Zimmer durchsuchen lassen? Sie sind gerade bei Marleen essen«, fragte sie.
»Hm«, brummte der Boss. Das war ja zu erwarten gewesen, dachte er. »Nein, Joscelynne, unternimm nichts. Es war ein verdammter Fehler, den Christopher mit den FBI-Agents gemacht hat. Wir dürfen sie nicht noch mehr in unsere Richtung weisen. Hast du zwei Leute, die sich den Inspektoren an die Fersen heften können?«, fragte er.
»Natürlich. Sam, du solltest Christopher verschwinden lassen – für immer. Diese Sache wird zu groß für einen Kleingeist wie ihn«, meinte Joscelynne ernst.
»Ich weiß, doch die meisten unserer Männer gehören zu seinen ehemaligen Leuten aus Chicago und wissen jetzt schon zu viel. Was, wenn die sich gegen uns wenden, wenn wir Christopher verschwinden lassen?«, warf der Boss ein.
»Sam, ich kenne die Jungs auch aus Chicago, schon vergessen? Es sind zwar seine Männer, doch jeder von ihnen hat mehr Grips in der Birne als Christopher. Sie lachen hinter seinem Rücken über ihn. Früher war er einmal ein gefürchteter Killer, jetzt ist er faul und fett geworden«, erwiderte Joscelynne gnadenlos.
»Und wer soll seinen Job dann machen? Ich brauche jemanden, der den Sicherheitsdienst leitet und die Extrajobs erledigt.«
»Ich – man respektiert mich, obwohl ich momentan wie eine Landpomeranze aussehe. Davon habe ich auch die Nase voll. Jemand anders kann das Motel übernehmen. Gib mir Christophers Job und ich spreche mit den Jungs. Als Bonus entsorge ich den guten Christopher«, schlug sie vor und plötzlich lachte der Boss schallend.
»Joscelynne, du hast recht. In deiner Hausfrauenverkleidung vergesse ich zu leicht, wer du eigentlich bist. Gut, sprich mit den Jungs, und wenn du der Meinung bist, dass ein Wechsel reibungslos über die Bühne geht, dann nimm die Sache in die Hand. Als Sicherheitschef im Park kannst du dann auch wieder wie eine richtige Frau rumlaufen. Wir haben uns schon viel zu lange nicht mehr gesehen«, erwiderte der Boss endlich und Joscelynne lächelte.
»Ich halte dich auf dem Laufenden, was die beiden Inspektoren angeht, und regle die Sache mit Christopher. Er ist mit seinen Männern rüber nach Nashville, bis sich die Sache hier beruhigt hat, hab ich recht?«
»Ja, dort findest du sie. Bis bald!«
***
Es war bereits halb neun und das Restaurant nur noch spärlich besetzt. Wir bestellten und waren erstaunt, eine erstaunlich schmackhafte und günstige Hausmannskost serviert zu bekommen. Als dann die Bedienung mit zwei Kaffee zu uns kam und erklärte, dass der Kaffee aufs Haus ging, stoppte ich die ältere Frau.
»Entschuldigen Sie, Ma’am, waren Sie gestern auch hier im Restaurant?«, fragte ich. Sie lächelte mich an.
»Das bin ich immer, Sir, mir gehört das Restaurant«, erwiderte sie. »Doch nennen Sie mich ruhig Marleen«, meinte sie und wies auf ihr Namensschild.
»Marleen, ich dachte, das Restaurant gehört wie das Motel der Messias Community «, sagte ich.
»Nein, aber ich habe für die Community den Namen meines Restaurants geändert. Wissen Sie, früher war das ein altes heruntergekommenes Motel. Dort wohnten Junkies und die Zimmer wurden für Stunden vermietet – Sie wissen, was ich meine. Dann kam der Reverend und mit ihm der Bibel-Park. Das war ein Segen für uns, denn ich war kurz davor, mein Restaurant für immer zu schließen. Doch jetzt können wir uns vor Kunden kaum retten.«
Ich sah mich ein wenig skeptisch im Raum um, außer mir und Phil saßen nur noch zwei Personen dort. Marleen sah meinen Gesichtsausdruck und lachte.
»Es ist neun Uhr! Die Leute, die den Bibel-Park besuchen, essen gewöhnlich zwischen sechs und acht Uhr, da herrscht hier ein Andrang, dass die Leute Schlange stehen müssen. Jetzt liegen die alle bereits in ihren Betten oder beten«, meinte sie etwas ironisch.
»Dann gehören Sie nicht zur Community ?«, fragte ich.
»Nein, ich bin Atheistin, doch der Reverend ist ein unglaublich toleranter Mann. Sehr hilfsbereit zu allen Menschen, denen es hier in Huntsville nicht gut geht. Er hat mich und meine Familie mit dem Motel auch aus einer Notlage geholt. Ich werde sogar ein zweites Restaurant direkt im Park aufmachen können. Wir alle verdanken ihm viel«, sagte sie voller Überzeugung.
»Denken alle Menschen in Huntsville so?«, frage ich Marleen.
»Ja, alle anständigen Menschen hier denken so. Reverend Messias hat manchen der Farmer vor dem Bankrott gerettet, indem er Aufträge für den Park an sie vergab oder ihnen einfach einen Job dort anbot. Für den Bau des Parks hat er hiesige Handwerker und Unternehmen beschäftigt. Er ist das Beste, was uns passieren konnte«, meinte sie eindringlich.
»Außer Daniel Johnson, der liebt den Reverend nicht besonders«, warf Phil ein, um ihre Reaktion zu testen.
»Ich sagte, alle anständigen Menschen in Huntsville lieben den Reverend. Daniel Johnson gehört nicht zu den Anständigen. Er ist wie die Pest, seine arme Familie leidet sehr unter ihm. Er hat seine ältere Tochter regelrecht aus dem Haus getrieben, doch die Messias Community nahm sie auf, das machte ihn ganz verrückt. Die arme Rebecca, seine Frau, hat sehr unter ihm zu leiden. Ich habe gehört, er ist verschwunden. Hoffentlich kommt er nie wieder, damit sie endlich von ihm erlöst ist.«
Während Marleen schon langsam die Tische reinigte, saßen Phil und ich noch vor unserem Kaffee.
»Wo man hinhört, wird der Reverend gelobt und Daniel Johnson verflucht«, sagte Phil ratlos und beobachtete Marleen, wie sie die Tischplatten abwischte und die Stühle hochstellte. »Ich glaube, es wird Zeit, dass wir den Reverend endlich einmal kennenlernen. Ich hoffe nur, dass Mai-Lin und Emily mehr über seine wahre Identität herausbekommen.«
»Wir fahren gleich morgen zu der Farm der Messias Community . Komm, hauen wir uns aufs Ohr«, erwiderte ich und winkte Marleen, damit sie uns die Rechnung brachte.
***
Nach einem deftigen Frühstück bei Marleen machten wir uns um halb neun auf den Weg zur Messias Community . Wir mussten zweimal fragen, da unser Navi den Standort nicht finden konnte, und ich war erstaunt, wie freundlich die Leute uns Auskunft gaben.
Irgendwie hatte ich erwartet, ein umzäuntes Gelände zu finden, wo wir uns erst einmal ausweisen mussten, um es zu befahren. Doch dem war ganz und gar nicht so. Die Farm, wie das Gelände genannt wurde, wirkte eher wie ein kleines Dorf in der Nähe von Huntsville, etwa drei Meilen vom Bibel-Park entfernt.
Hier gab es etliche Wohnhäuser, Geschäfte und in der Mitte stand eine große, weiß gestrichene Holzkirche. Die meisten der Leute hier sahen nicht anders aus als die Bewohner von Huntsville, bis auf ein paar jüngere, die mit wallenden Baumwollgewändern herumliefen. Man grüßte uns, wenn wir vorbeifuhren, und als ich anhielt und nach dem Reverend fragte, gab man uns sofort Auskunft, wo wir ihn finden konnten.
»Ich weiß nicht, die wirken hier nicht wie eine der typischen Sekten – könnte auch eine Methodisten-Community sein«, merkte Phil an, denn wir hatten in unserem Berufsleben schon mit mehr als einer Sekte zu tun gehabt.
Bei diesen Leuten merkte man sofort, wie fanatisch sie waren, und Fremde waren nicht gern gesehen. Hier jedoch schien man sich über Besucher zu freuen. Ich parkte den Wagen in der Nähe der Kirche, und als wir dann nochmals nach dem Reverend fragten, brachte uns eine junge Frau in das nahe gelegene Gebäude.
»Einige der Community haben sich mit dem Reverend zu einem Frühstück versammelt«, sagte sie. »Kommen Sie, er wird sich freuen, wenn Sie mit uns essen.« Phil sah mich erstaunt an und wir folgten ihr in das Haus.
Der große Speisesaal war voller Menschen, es wurde geplaudert und gelacht. Kaum dass wir eingetreten waren, erhob sich der Reverend und breitete mit einer ausladenden Bewegung die Arme aus.
»Willkommen«, sprach er Phil und mich an. »Bitte kommt und teilt das Brot mit uns.« Ich war völlig überrumpelt und ließ mich von der jungen Frau nach vorne schieben.
»Bitte setzt euch«, forderte er uns auf.
»Verzeihen Sie, Reverend Messias , wir sind nicht hier, um zu frühstücken, wir müssten mit Ihnen reden. Ich bin Inspektor Jerry Cotton und das ist Inspektor Phil Decker, wir sind vom FBI«, sprach ich den Mann an, der über das ganze Gesicht lächelte.
»Bitte, reden wir«, antwortete er völlig unvoreingenommen.
»Ginge das auch unter vier Augen?«, fragte Phil, längst nicht so höflich wie der Reverend.
»Natürlich, doch meine Jünger werden nicht von meiner Seite weichen, bitte respektiert das«, sagte er und deutete auf eine Tür hinter seinem Tisch. »Sarah, bitte bring unseren beiden Brüdern doch etwas Kaffee. Kommt, wir gehen in den Meditationsraum«, meinte er und schritt voran, gefolgt von seinen Jüngern.
»Ich komme mir vor wie in einer schlechten Verfilmung von Quo Vadis «, flüsterte mir Phil zu.
»Gib ihm eine Chance«, erwiderte ich, denn ich wusste, dass Phil mit Leuten wie dem Reverend auf Kriegsfuß stand. Er hielt diese Leute für manipulative Demagogen, die seinen Anhängern das Geld aus der Tasche zogen, womit er in den meisten Fällen recht hatte.
Man bot uns Plätze auf niedrigen Hockern neben dem Reverend an und eine junge blonde Frau brachte uns zwei Tassen Kaffee und Gebäck. Sie blieb hinter uns stehen, während sich die Jünger zu Füßen des Reverend auf den Boden setzten.
»Reverend«, begann ich, doch er unterbrach mich.
»Bitte nennt mich Messias «, sagte er sofort und hatte wieder dieses einnehmende Lächeln auf den Lippen. Ich verstand, was die jungen Leute zu seinen Füßen an ihm faszinierte.
»Wie wäre es mit einem richtigen Namen? Wer sind Sie, Reverend?«, polterte Phil dazwischen. »Oder sind Sie vom Himmel heruntergestiegen?« Mir war schon klar, dass so etwas passieren würde, darum sah ich Phil scharf an. Er musste einen Gang zurückschalten, denn ich wollte die Kooperation des Reverend.
»Natürlich hatte diese Hülle einmal einen anderen Namen, doch das war vor der Zeit, als mich der Geist erfüllte. Tut mir leid, Bruder Phil, den einzigen Namen, den ich dir geben kann, ist Messias «, antwortete der Reverend mit einer Selenruhe, die erstaunlich war, denn Phils Tonfall war verdammt scharf gewesen. Phil wollte ihn schon zurechtweisen wegen der Titulierung, doch ich ergriff seinen Arm und er schwieg.
» Messias , kennen Sie den Farmer Daniel Johnson?«, fragte ich stattdessen. Ich bemerkte, wie eine junge dunkelhaarige Frau neben dem Reverend mich beunruhigt ansah.
»Ja, er kam einmal her und attackierte mich. Verstehe, Bruder Jerry, bevor Maria Magdalena ihrem wahren Vater, Gott, begegnete, war Daniel Johnson ihr biologischer Vater. Er ist leider von Hass zerfressen. Hat er euch geschickt?«, fragte Messias .
»Dann sind Sie Marie-Sophie Johnson?«, fragte ich die junge Frau, der Messias die Hand auf den Kopf gelegt hatte, und sie nickte. »Haben Sie eine Ahnung, wo Ihr Vater ist?«
»Nein, ist er denn verschwunden?«, fragte sie zögerlich. »Er hat Mutter leider verboten, mit mir Kontakt zu haben, daher weiß ich nicht, was auf seiner Farm los ist.«
»Ja, er ist verschwunden, und mit ihm zwei FBI_Agents«, sagte ich ernst und hielt dem Reverend mein Handy mit den Bildern hin. »Das sind die Agents John Sattler und Frank Demoin. Beide haben Familie. Frank Demoins Frau erwartet ihr erstes Kind und ist sehr besorgt um ihren Mann«, meinte ich bewusst emotional, um die Reaktion des Reverend zu testen. Dabei bemerkte ich, wie das Mädchen hinter uns, Sarah, sich zum Handy beugte, um sich die Fotos ebenfalls anzusehen.