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Jerry Cotton ist Kult - und das nicht nur wegen seines roten Jaguars E-Type.
Fünf actiongeladene Fälle und über 300 Seiten Spannung zum Sparpreis!
G-Man Jerry Cotton hat dem organisierten Verbrechen den Krieg erklärt! Von New York aus jagt der sympathische FBI-Agent Gangster und das organisierte Verbrechen, und schreckt dabei vor nichts zurück!
Damit ist er überaus erfolgreich: Mit über 3000 gelösten Fällen und einer Gesamtauflage von über 850 Millionen Exemplaren zählt er unbestritten zu den erfolgreichsten und bekanntesten internationalen Krimihelden überhaupt! Und er hat noch längst nicht vor, in Rente zu gehen!
In diesem Sammelband sind 5 Krimis um den "besten Mann beim FBI" enthalten:
Jerry Cotton 3090 - Das Gesetz der Anderen
Jerry Cotton 3091 - Der Tod hat keinen Wohnsitz
Jerry Cotton 3092 - Insider sterben schnell
Jerry Cotton 3093 - Risiko unbekannt
Jerry Cotton 3094 - Geständnis eines Toten
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Seitenzahl: 642
Veröffentlichungsjahr: 2025
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgaben der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgaben
Für die Originalausgaben:
Copyright © 2016 by
Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Für diese Ausgabe:
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Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln
Covermotiv: © shutterstock: stockcreations | sharpner
ISBN: 978-3-7517-8312-5
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https://www.luebbe.de
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Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Jerry Cotton 3090
Das Gesetz der Anderen
Jerry Cotton 3091
Der Tod hat keinen Wohnsitz
Jerry Cotton 3092
Insider sterben schnell
Jerry Cotton 3093
Risiko unbekannt
Jerry Cotton 3094
Geständnis eines Toten
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Contents
Das Gesetz der Anderen
»Und darum bitte ich Sie um Ihre Stimme, um als zukünftiger Senator den Aufschwung unseres wunderschönen Staates weiterzuführen, sodass alle, jeder Einzelne, daran partizipieren kann. Danke!«
Stephen Everett beendete seine Wahlkampfrede vor mehreren hundert Zuschauern, die jubelten und Beifall klatschten.
Er winkte ihnen zu und verschwand dann von der Bühne.
Keine Sekunde zu früh, denn genau in diesem Augenblick explodierte ein Sprengsatz. Der dumpfe Knall ließ die Zuschauer zusammenzucken. Eine Schrecksekunde später drängten sie zu den Ausgängen, ohne Rücksicht aufeinander. Wer sich nicht in Sicherheit brachte, wurde niedergetrampelt. Es herrschte heilloses Chaos.
Ein terroristischer Anschlag, der sofort das FBI auf den Plan rief.
»Nein, hier bei uns ist alles ruhig«, sagte ich zu Sarah Hunter, die mich angerufen hatte, um den Kontakt zu Phil und mir nicht abreißen zu lassen.
»Hier im Big Apple ist derzeit auch nicht viel los«, erwiderte sie. »Na ja, was nicht heißen soll, dass wir nichts zu tun hätten, es ist halt mehr das übliche kriminelle Grundrauschen, ohne das diese Stadt wohl nicht auskommen kann. Da die meisten alten Hasen härtere Zeiten gewöhnt sind, langweilen sich einige von uns. Joe und Les haben Urlaub beantragt und sind für zwei Wochen weg. Muss ja auch mal sein.«
»Urlaub, hört sich gut an«, sagte ich. »Einen richtig schönen Urlaub könnte ich auch mal wieder vertragen, ganz zu schweigen von Phil.«
»Wie bitte? Du willst mich wohl loswerden?«, scherzte Phil, der gerade in mein Büro gekommen war.
»Ja, habe ihn gehört«, meinte Sarah. »Sicher wäre dem alten Haudegen ein komplizierter Mafia-Fall, bei dem es um Leben und Tod geht, lieber.«
»Das habe ich gehört, Jerry hat die Freisprechanlage eingestellt«, bemerkte Phil. »Davon abgesehen: Die Mafia hat sich in letzter Zeit relativ ruhig verhalten, sieht aus, als hätten die Italiener inzwischen mehr Interesse an Pasta, Wein und Fußball als an kriminellen Aktivitäten.«
»Ich sehe schon, ihr beide seid wieder mal völlig unterfordert«, meinte Sarah. »Vielleicht sollte ich euch zu einer Klettertour in die Wildnis entführen.«
»Keine üble Idee …«, sagte ich, als ich unterbrochen wurde.
»Sorry, aber daraus wird leider nichts«, sagte Dorothy, die an die noch geöffnete Bürotür klopfte. »Der Chef möchte Sie sehen, beide. Es gibt Arbeit.«
Phil grinste. »Damit hätte sich die Klettertour wohl erledigt. So long, Sarah!«
»Mach’s gut, Phil«, verabschiedete sie sich von ihm.
»Ich muss dann auch los«, sagte ich. »Vielen Dank für den Anruf und grüß die anderen von uns.«
»Mache ich«, antwortete sie.
Ich verließ mein Büro und folgte Phil, der vor dem Büro unseres Chefs auf mich wartete. Er klopfte an Mr Highs Bürotür, dann traten wir ein. Unser Chef war am Telefonieren und bedeutete uns mit einer Geste, Platz zu nehmen.
»Das ist äußerst bedenklich«, sagte er. »Das sollten wir auf keinen Fall außer Acht lassen. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden. Okay, bis später.«
Er legte auf und wandte sich uns zu. »Sie haben sicher von dem Bombenanschlag heute Mittag in Augusta, Maine, gehört. Üble Sache. Die Presse überschlägt sich, Stephen Everett, der Senatskandidat, dem der Anschlag galt, ist völlig aus dem Häuschen und hätte am liebsten gleich eine Hundertschaft Agents vor Ort, um die Sache zu untersuchen. Eigentlich ist das Field Office Boston für die Angelegenheit zuständig. Dummerweise ist Galstons Team im Moment krankheitsbedingt arg dezimiert. Er hat mich deshalb um Unterstützung gebeten.«
»Und genau da kommen wir ins Spiel«, sagte Phil lächelnd.
Mr High nickte. »So ist es. Zum einen wird es sowohl Everett als auch die Presse beruhigen, wenn wir zwei unserer besten Männer aus Washington schicken, um den Anschlag zu untersuchen. Zum anderen will ich, dass uns bei den Ermittlungen kein Fehler unterläuft. Was terroristische Anschläge angeht, die tatsächlich bis zur Ausführung gelangten, war es in letzter Zeit angenehm ruhig. Ich möchte nicht, dass sich das ändert.«
»Geht uns genauso, Sir«, sagte ich. »Wie sieht es mit Informationen über den Anschlag aus? Es ist sicher schon eine Crime Scene Unit vor Ort, nicht wahr?«
»So ist es«, bestätigte Mr High. »Sie können natürlich Dr. Wilson und Dr. Fortesque mitnehmen oder nachkommen lassen, ganz wie Sie wollen. Auf jeden Fall steht in wenigen Minuten ein Hubschrauber bereit, der Sie nach Augusta bringen wird.«
»Wir könnten einen kurzen Abstecher nach Quantico machen und die beiden direkt mitnehmen«, meinte Phil.
»Gute Idee«, stimmte ich ihm zu. »Dann können sie die Kollegen vor Ort sofort unterstützen, wenn wir ankommen.«
Mr High reichte mir eine dünne Akte. »Hier, viel haben wir noch nicht. Die Kollegen in Boston stellen gerade weitere Informationen zusammen. Bis jetzt hat sich niemand zu dem Anschlag bekannt. Aber es gibt eine Menge Vermutungen, zumeist kreative Ideen der Presse. Das FBI hat bisher keine offizielle Stellungnahme abgegeben.«
»Das sollten wir auch nicht, zumindest solange wir nicht wissen, was eigentlich los ist«, sagte ich. »Soweit ich gehört habe, gab es einen Toten.«
»Inzwischen sind es zwei, einer war sofort tot, ein weiterer ist seinen Verletzungen erlegen. Es ist ein Wunder, dass der Kandidat ungeschoren davonkam.«
»Vielleicht wollte ihn der Täter nur einschüchtern, nicht töten«, überlegte Phil laut.
»Vielleicht«, sagte Mr High. »Finden Sie heraus, wer hinter der Sache steckt.«
»Wir tun unser Bestes, Sir«, sagte ich und stand auf.
Phil nickte zustimmend, dann verließen wir das Büro.
»Diesmal benötigen Sie keinen Flug, nicht wahr?«, fragte Miss Taylor.
»Nein, diesmal nicht«, sagte ich. »Mit dem Hubschrauber sind wir schneller am Ziel.«
Wir gingen zu unseren Büros, nahmen unser Gepäck, das wir für solche Einsätze bereitliegen hatten, und gingen zum Hubschrauberlandeplatz. Auf dem Weg dorthin kontaktierte ich Willson.
»Howdie, was gibt es Neues? Haben wir einen Einsatz?«, fragte er direkt.
»So ist es, in Augusta, Maine – Sprengstoffanschlag bei einer Wahlveranstaltung. Wir holen Sie gleich mit dem Hubschrauber ab. Sind Sie in Quantico?«
»In zehn Minuten, bin auf dem Weg zum Stützpunkt«, antwortete er. »Soll FGF auch mit?«
»Klar, Sprengsätze sind sein Spezialgebiet, zumindest, was den chemischen Aspekt angeht«, antwortete ich. »Können Sie ihn informieren?«
»Kein Problem, ich kümmere mich darum, dass er bereit ist«, antwortete er. »Bis gleich.«
Wir beendeten das Gespräch.
Beim Hubschrauber angekommen, stiegen wir ein, begrüßten den Piloten und informierten ihn über den kleinen Zwischenstopp. Er klärte alles ab, damit wir die nötigen Genehmigungen bekamen, und startete den Motor der Maschine.
Der Flug nach Quantico dauerte nicht lange. Wir ließen die beiden Mitglieder des Scientific Research Team einsteigen, dann ging es weiter. Bis nach Maine waren es rund 600 Meilen. Mit dem Auto hätte es eine kleine Ewigkeit gedauert, dort anzukommen. Mit dem Hubschrauber waren wir in gut drei Stunden dort.
***
In der Nähe des Anschlagortes hatten die Kollegen von Boston einen Parkplatz geräumt, den wir als Landefläche nutzen konnten.
Kaum hatten wir aufgesetzt, riss Phil die Tür auf, schnappte sich seinen Rucksack und sprang hinaus. Ich folgte ihm. Die beiden anderen warteten, bis die Rotoren fast zum Stillstand gekommen waren.
Unweit vom Landeplatz empfing uns ein hagerer, großer Mann von Ende vierzig, der etwas mitgenommen aussah.
»Hallo, ich bin Agent Coulsson«, begrüßte er uns.
»Decker und Cotton«, erwiderte ich. »Sie haben die Krankheitswelle überlebt?«
Er lächelte. »Ja, einigermaßen, ganz fit bin ich noch nicht, aber die Sache hier duldet keinen Aufschub. Nachdem Galston davon erfahren hat, hat er mich sofort angerufen und hierherbeordert. Es ist gut, dass Sie so schnell kommen konnten, um die Ermittlungen zu leiten. Ich werde Ihnen so gut wie möglich unter die Arme greifen.«
»Das hören wir gerne«, sagte ich. »Wir haben noch zwei Kollegen mitgebracht, die bei der Untersuchung des Sprengsatzes, Tatorts und der Opfer helfen können. Es sind zwei, nicht wahr?«
Agent Coulsson nickte. »Ja, ein Mitarbeiter aus Everetts Wahlkampfteam und ein alter Freund von ihm. Das hat ihn ganz schön mitgenommen. Oder besser ausgedrückt: Er ist richtig in Fahrt! Seit wir hier aufgetaucht sind, gibt er uns Anweisungen und drängt darauf, dass die Sache aufgeklärt wird.«
»Auf das Gespräch mit ihm freue ich mich schon«, bemerkte Phil und verzog das Gesicht. »Er selbst ist aber nicht verletzt, oder?«
»Ein paar Schrammen, nichts Ernstes«, antwortete der Agent. »Wie es aussieht, ist er gerade vor der Explosion gestolpert und hingefallen, wodurch er größeren Verletzungen entgangen ist. Ein paar andere hat es schlimmer erwischt.«
»Ist er in Sicherheit gebracht worden?«, wollte ich wissen.
»Ja, zwei Agents sind bei ihm, er ist zu Hause auf seinem Landsitz«, kam die Antwort. »Gut eine halbe Stunde Autofahrt von hier entfernt.«
»Dann nehmen wir zuerst den Tatort in Augenschein und reden dann mit ihm«, sagte ich.
»Hoffentlich fühlt er sich dadurch nicht vernachlässigt«, bemerkte der Agent.
»Soll er ruhig«, erwiderte ich. »Sein Wohlergehen liegt uns natürlich am Herzen, aber auch das aller anderen.«
Agent Coulsson brachte uns sowie Willson und Fortesque zum Tatort. Es handelte sich um ein Hotel, in dessen Veranstaltungshalle die Wahlveranstaltung stattgefunden hatte.
Mitglieder des FBI und der lokalen Polizei schwirrten herum. Verletzte waren keine zu sehen, sie waren bereits ins Krankenhaus gebracht worden.
»Wir haben schon angefangen, die Veranstaltungsteilnehmer zu befragen, einige befinden sich noch im Hotel«, informierte uns der Agent. »Wenn Sie mit ihnen reden wollen, kann ich das arrangieren.«
»Sicher«, antwortete Phil. »Und natürlich diejenigen, die mit der Vorbereitung der Veranstaltung beauftragt waren. Hat irgendjemand etwas gesehen, das auf den Bombenleger hinweist?«
Der Agent schüttelte den Kopf. »Nein, nichts, absolut nichts. Weder von den Teilnehmern noch den Hotelmitarbeitern kam bisher irgendein diesbezüglicher Hinweis. Wir haben die Aufzeichnungen der hotelinternen Videoüberwachung sichergestellt, sie müssen aber noch ausgewertet werden.«
»Haben Sie dafür genug Personal? Sonst sollten wir das Material nach Quantico schicken«, sagte ich.
»Das wäre wohl am besten«, antwortete er. »Die beiden Kollegen, die sich sonst um so was kümmern, sind im Moment nicht einsatzbereit. Ich sorge dafür, dass die Aufzeichnungen weitergeleitet werden.«
»Ich schicke Ihnen die Kontaktdaten von Dr. Mai-Lin Cha, sie gehört zu unserem Scientific Research Team in Quantico und kann sich um die Auswertung des Videomaterials kümmern«, sagte Phil und schickte Agent Coulsson die Informationen aufs Handy.
»Schauen wir uns zuerst den Tatort an«, sagte ich.
Der Agent führte uns nach vorne, zur Bühne. Dort sah man genau, wo die Explosion stattgefunden hatte: unter der Bühne.
»Der Wirkungsradius war relativ klein, zum Glück, sonst wären mehr Personen verletzt worden«, erklärte Agent Coulsson. »Deutet wohl darauf hin, dass es dem Täter darum ging, Everett auszuschalten, und nicht, möglichst viel Schaden zu verursachen.«
»Gut möglich«, sagte ich und ließ ihn den Hergang der Ereignisse schildern.
»Die Explosion erfolgte also erst, als Everett das Rednerpult verließ, also schon von der Bühne herunter war?«, fragte Phil erstaunt und schaute Fortesque an. »Könnte es bei der Zündung des Sprengsatzes eine ungewollte Verzögerung gegeben haben?«
»Möglich«, antwortete der. »Dazu müsste ich wissen, wie die Bombe aufgebaut war und welche Materialien der Täter benutzt hat. Bei Plastiksprengstoff mit einer Sprengkapsel als Zünder hätte es sicher keine Verzögerung gegeben.«
»Plastiksprengstoff war es nicht, soweit ich weiß. Die genaue Analyse steht aber noch aus«, meinte Agent Coulsson.
Fortesque nickte. »Ich kümmere mich darum.«
Mit diesen Worten entschwand er.
»Und wo haben die Opfer gestanden?«, wollte ich wissen. »Die beiden, die tödlich verletzt wurden.«
Der Agent deutete auf den hinteren Bereich der Bühne. »Hier, hinter diesem Vorhang. Die Hauptdruckwelle bewegte sich vom vorderen Teil der Bühne am Rednerpult vorbei, in diese Richtung. Richard Dule, der in Everetts Wahlkampfteam gearbeitet hatte, war sofort tot. George Gregson, ein alter Bekannter von Everett, wurde schwer verletzt, hat aber überlebt, zunächst. Der Typ muss, wie ich von den Ärzten gehört habe, ziemlich um sein Leben gekämpft haben, hat es aber letztlich nicht geschafft. Die Verletzungen waren einfach zu schwer.«
»Wie hat Everett darauf reagiert?«, fragte Phil.
Agent Coulsson verzog das Gesicht. »Der war außer sich. Insbesondere, was Gregson betraf. Die beiden standen sich wohl sehr nahe, denn er wollte, dass alles Nötige getan wird, um ihn zu retten, und wollte ständig auf dem Laufenden gehalten werden.«
»Haben Sie schon Nachforschungen über Dules und Gregsons Background angestellt?«, war meine nächste Frage.
Der Agent schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Hätten wir, wenn wir derzeit nicht so katastrophal unterbesetzt wären, aber … blöde Situation, ganz besonders, wenn so etwas wie hier passiert.«
Phil klopfte ihm auf die Schulter. »Keine Bange, wir kriegen das schon hin. Wenn nötig, werden wir weiteres Personal aus D.C. anfordern. Wir sind das FBI, von so einer kleinen Grippewelle, oder was Sie haben, lassen wir uns nicht einschüchtern.«
»Nein, Inspektor, natürlich nicht«, erwiderte Agent Coulsson.
Wir nahmen uns eine gute Stunde Zeit, den Tatort zu inspizieren und mit Zeugen zu sprechen. Dann machten Phil und ich uns mit einem FBI-Wagen auf den Weg zu Stephen Everetts Landsitz.
***
»Was wissen wir über Everett?«, fragte ich Phil, als wir unterwegs waren.
Er hatte sein Notebook dabei und recherchierte. »Da gibt es eine ganze Menge. Der Mann hat sich mit seinen vierundfünfzig Jahren gut gehalten und ist eine lokale Berühmtheit. Hat im letzten Irakkrieg gedient, anschließend in Afghanistan. War wohl ein tapferer und mutiger Kerl. Hat dann, als er zurück war, Frances Capshaw geheiratet, eine reiche Millionenerbin. Und so ging die Legende weiter. Zwei Kinder, ein Sohn und eine Tochter, wie man es von einer amerikanischen Bilderbuchfamilie erwartet. Strafrechtlich ist er nicht auffällig geworden.«
»Er hat also von Haus aus kein Geld?«, fragte ich.
Phil suchte weiter und sagte nach einer Weile: »Sieht nicht so aus. Oder zumindest nicht viel. Sein gesellschaftlicher Aufstieg begann eigentlich mit der Verlobung und anschließenden Heirat. Der inzwischen verstorbene Vater von Frances Everett hat ihn in die High Society eingeführt, wo er sich jetzt immer noch herumtreibt, wenn man es so ausdrücken will. Sein politisches Engagement begann vor zwei Jahren. Wie es aussieht, hat er gute Chancen, Senator zu werden. Einige hier sehen in ihm gar schon den nächsten beziehungsweise übernächsten Präsidenten.«
»Recht ambitioniert«, bemerkte ich. »Aber gut, das hat nichts mit dem Fall zu tun, es sei denn, es steckt jemand hinter dem Anschlag, dem Everetts Aufstieg nicht genehm ist.«
»Gut möglich«, meinte Phil. »Wenn ein neuer Stern am Polithimmel aufsteigt, ist das manch einem ein Dorn im Auge.«
Ich nickte. »Vielleicht waren diesmal jemandem die legalen Mittel nicht ausreichend. Wir sollten uns die Konkurrenz anschauen, die anderen Kandidaten für den Posten des Senators von Maine. Aber gut, das zu Everett. Was ist mit den beiden anderen?«
»Richard Dule, vierundzwanzig, war ledig«, nahm sich Phil den Nächsten vor. »Hatte ebenfalls eine saubere Weste. Viel gibt es über ihn nicht. Studium der Politikwissenschaften abgeschlossen, das war letztes Jahr. Wahrscheinlich hat er sich anschließend Everetts Team angeschlossen. Ich schaue mal, was ich bei Facebook und so über ihn finde … hm … nein, das sieht koscher aus. Scheint Everett angehimmelt zu haben, auf jeden Fall rührte er kräftig die Werbetrommel für ihn. Auf die Schnelle finde ich hier kein Motiv für einen Mord.«
»Dann bliebe noch George Gregson«, sagte ich.
»Ja, Gregson«, sagte Phil und tippte auf seinem Notebook herum. »Der ist genauso alt wie Everett, war auch beim Militär, ja, beide waren zur gleichen Zeit im Irak. Wahrscheinlich kennen sie sich von dort. Danach verlief sein Leben, im Gegensatz zu dem von Everett, nicht wie im Märchen. Ist immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten, meist wegen körperlicher Auseinandersetzungen, hat einmal wegen leichter Körperverletzung eine Bewährungsstrafe erhalten. War verheiratet, nach drei Jahren geschieden. Keine Kinder. Wie gesagt, es lief für ihn nicht so gut. Wobei … er hat wieder geheiratet, vor drei Jahren. Vielleicht hat er sich gefangen.«
»Interessant, dass sich Everett mit jemandem wie ihm abgibt«, überlegte ich laut. »Könnte im Wahlkampf gegen ihn verwendet werden. Aber gut, wenn sie wirklich alte Freunde sind, dann ist ihm das vielleicht egal. Wenn Gregson verheiratet ist, müssen wir seine Frau aufsuchen. Darum können wir uns später kümmern.«
»Wir sollten der Beziehung zwischen den beiden weitere Aufmerksamkeit schenken. Vielleicht war ja Gregson das Ziel des Anschlags. Ist nicht sehr wahrscheinlich, aber eine Möglichkeit, die wir nicht ausschließen dürfen. Wobei der Täter dann gewusst haben müsste, dass Gregson bei der Veranstaltung anwesend war, was mir eher unwahrscheinlich vorkommt.«
Phil recherchierte weiter, bis wir den Landsitz der Everetts erreicht hatten.
Vor dem Eingang zum Grundstück stand ein Streifenwagen. Wie es schien, passte nicht nur das FBI auf den Senatskandidaten auf.
Ich hielt den Wagen an und ließ das Seitenfenster auf der Fahrerseite herunter.
»Guten Tag, was ist der Grund Ihres Besuchs bei den Everetts?«, fragte ein leicht fettleibiger Officer von Mitte fünfzig, dessen rechte Hand sich in der Nähe seiner Waffe befand.
»Wir sind vom FBI«, antwortete ich und zeigte meine Dienstmarke. »Es geht um den heutigen Anschlag, wir sind die zuständigen Ermittler.«
Während er meine Marke musterte, ließ uns sein Kollege, der im Auto saß, nicht aus den Augen.
»Sie können weiterfahren«, sagte der Officer.
Wir fuhren auf das Grundstück, eine kurze Auffahrt hinauf und hielten vor dem großen Haus, direkt hinter einem Auto von der gleichen Marke wie das unsere. Wahrscheinlich waren damit die beiden FBI-Agents gekommen, die auf Everett aufpassten.
»Nett hier«, meinte Phil, als wir ausgestiegen waren und er sich umschaute. »Bestimmt nicht billig gewesen.«
Das war es sicher nicht. Das Haus war groß und relativ modern. Die gepflegte Gartenanlage war sicher auch ein nicht zu unterschätzender Kostenpunkt. Wachpersonal war keines zu sehen, aber dem geschulten Auge fielen einige Kameras und Bewegungssensoren auf. Zusammen mit der hohen Mauer um das Grundstück sorgten sie für die Sicherheit.
»Nein, wohl eher nicht«, sagte ich.
Wir gingen zur Haustür und wollten gerade klingeln, als sie geöffnet wurde.
»Guten Tag«, begrüßte uns ein junger Mann. »Jerome Miller, ich bin Mister Everetts Privatsekretär. Sie sind die beiden Herren vom FBI, die wir erwartet haben.«
»So ist es, Inspektor Phil Decker und Inspektor Jerry Cotton, FBI Washington«, bestätigte ich.
»Vorzüglich«, sagte Miller. »Es ist gut, dass Sie da sind. Mister Everett ist aufgrund der Ereignisse …, nun, er verlangt Aufklärung. Das fällt ja in Ihren Aufgabenbereich.«
»So ist es«, sagte ich. »Seit wann arbeiten Sie für ihn?«
»Äh, seit etwa sieben, nein, acht Monaten. Wieso fragen Sie? Ist das für die Ermittlungen relevant?«
»Wahrscheinlich nicht, aber aktuell sammeln wir Informationen, um uns ein Bild zu machen«, antwortete ich. »Waren Sie auch bei der Veranstaltung? Vielleicht sogar in der Nähe der Bühne, als die Bombe explodierte?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, diesmal nicht, zum Glück. Meistens bleibe ich in der Nähe, aber manchmal beauftragt mich Mister Everett mit ein paar Besorgungen. Ich war ein paar hundert Yards entfernt, in einer Shopping-Mall, einkaufen. Als ich von dem Anschlag hörte, bin ich sofort zum Hotel gefahren und habe Mister Everett gesucht. Der war ebenfalls total geschockt. Die Sache hat ihn ziemlich mitgenommen.«
Er führte uns zu einer massiven Doppeltür im Erdgeschoss, wo er dreimal klopfte. Dann öffnete ein FBI-Agent, überprüfte unsere Ausweise und ließ uns herein.
Stephen Everett lief vor der Fensterfront, durch die man einen großen, gepflegten Garten sehen konnte, auf und ab, während er aufgeregt telefonierte.
»Guten Tag«, begrüßte uns der Agent. »Keine besonderen Vorkommnisse. Das Haus ist gesichert, mein Partner überwacht die Umgebung. Die Fensterscheiben hier unten sind aus kugelsicherem Glas.«
Ich nickte. »Danke. Geben Sie Agent Coulsson Bescheid, wenn sich etwas tut oder Sie weitere Unterstützung benötigen.«
»Geht klar, Inspektor«, sagte er.
Everett beendete sein Gespräch, schaute zuerst aus dem Fenster, als hätte er uns nicht gesehen, und wandte sich dann uns zu.
»Sie müssen die Herren vom FBI sein, auf die ich bereits seit geraumer Zeit warte«, sagte er ungehalten.
»Phil Decker und Jerry Cotton aus der FBI-Zentrale in Washington«, sagte ich. »Uns wurde die Leitung der Ermittlungen übertragen.«
Er kam ein paar Schritte auf uns zu und musterte uns mit skeptischem Blick. »Und? Sind Sie für den Job qualifiziert? Das Letzte, was wir jetzt brauchen können, sind inkompetente Ermittler, die mir meine Zeit stehlen und den Bombenleger ungestraft davonkommen lassen.«
Aus den Augenwinkeln sah ich zu Phil, der kurz davor war, Everett zusammenzustauchen.
Ich ergriff das Wort, um das zu verhindern. »Es ist gut, dass Ihnen nichts passiert ist. Sie haben Glück gehabt.«
Everett nickte. »Sicher, das hatte ich. Mehr Glück als Richard und George. Die hat es voll erwischt. Verdammt! Ich kann es immer noch nicht fassen. Ich weiß noch nicht, wer das zu verantworten hat, das FBI, die lokale Polizei, Homeland Security, die NSA, wer auch immer – aber das wird ein Nachspiel haben.«
»Die Untersuchungen laufen bereits und ich bin sicher, dass wir den oder die Täter stellen werden«, sagte ich. »Da der Anschlag vermutlich Ihnen galt, würden wir Ihnen gerne ein par Fragen stellen.«
Er nickte und deutete auf die ledernen Sessel. »Natürlich, nehmen Sie Platz!«
Wir setzten uns.
»Da Sie gute Chancen haben, zum Senator gewählt zu werden, liegt es nahe, dass der Anschlag etwas damit zu tun haben könnte«, sagte ich. »Es könnten aber auch andere Motive vorliegen. Haben Sie Feinde?«
Er lehnte sich zurück und zeigte sich nachdenklich. »Feinde? Sicher, jeder Mann in meiner Position hat die. Politische Feinde, genauer gesagt. Auch wenn die Mehrzahl der Menschen in Maine hinter meiner Politik steht, da bin ich mir sicher, verfolgen einige andere Ziele.«
»Natürlich«, sagte ich. »Wobei ich konkrete Personen meinte, die Ihnen feindlich gesinnt sind und dies auch auf die eine oder andere Art und Weise zum Ausdruck gebracht haben.«
»Es gibt natürlich weitere Bewerber um das Amt des Senators, klar, aber von denen traue ich keinem eine derartige Maßnahme zu«, sagte er. »Ich kann Ihnen die Namen von meinem Privatsekretär geben lassen. Wenn Sie mir ein wenig Zeit lassen, fallen mir sicher weitere Personen ein. Wobei ich glaube, dass der Anschlag die Tat eines Verrückten ist, ganz ehrlich. Ich meine, wer gefährdet denn die Leben so vieler Menschen, wenn er nur mich will?«
»Bis wir konkrete Hinweise haben, ermitteln wir in alle Richtungen«, sagte ich. »Entsprechend ist uns jeder Hinweis willkommen. Das betrifft nicht nur politische Feinde und Gegner, sondern auch private. Falls Ihnen aus diesem Bereich jemand in den Sinn kommt, würden wir das ebenfalls gerne wissen. Je mehr Informationen Sie uns geben können, desto besser für uns alle.«
»Ich werde eine Liste zusammenstellen, unverzüglich«, sicherte er uns zu und wirkte nachdenklich. »Was vielleicht wichtig sein könnte: Ich habe vor einiger Zeit Drohbriefe erhalten. Dem habe ich keine große Bedeutung beigemessen, zumindest nicht bis heute.«
»Dem sollten wir auf jeden Fall nachgehen«, sagte ich. »Haben Sie die Briefe noch?«
Er nickte. »Ja, ich glaube schon, Jerome kann sie Ihnen zur Verfügung stellen.«
»Sie sollten auch überlegen, ob es jemanden gibt, der Ihrer Frau schaden will«, sagte Phil. »Es ist bei dem jetzigen Stand der Ermittlungen nicht auszuschließen, dass jemand ihr schaden könnte.«
Everett schaute Phil überrascht an. »Frances? Das ist eher unwahrscheinlich. Davon abgesehen: Sie war nicht einmal in der Nähe der Bühne.«
»Ihr Tod wäre für Sie sicher nicht angenehm, also …«
»Oh, verstehe, was Sie meinen«, sagte er. »Natürlich, so betrachtet könnte es jemand gewesen sein, der mir nicht wohlgesonnen ist. Gar nicht schlecht. Ich denke, die Untersuchungen sind bei Ihnen in guten Händen. Sie erhalten von mir, meiner Familie und meinem Stab jegliche Unterstützung, die Sie brauchen, um die Sache aufzuklären.«
Mit einem Mal wurde er freundlicher. Ich führte das darauf zurück, dass wir ihm allein durch unsere Fragen zumindest ein gewisses Maß an Kompetenz bewiesen hatten.
»Glauben Sie, dass der Täter es wieder versuchen wird?«, wollte er wissen und machte eine besorgte Miene.
»Genau wissen wir das erst, wenn wir sein Motiv kennen, aber es ist auf jeden Fall möglich«, antwortete ich. »Noch etwas, wie war Ihre Beziehung zu den beiden Opfern, Richard Dule und George Gregson?«
Mit einem Mal schaute er betroffen drein. »Nah genug. Richard war seit Ende letzten Jahres Teil des Wahlkampfteams und hat hervorragende Arbeit geleistet. Ein junger Mann mit großem Potenzial und Perspektiven. Persönlich hatten wir nicht miteinander zu tun. Und was George betrifft, wir kennen uns seit der Zeit im Irak, haben dort zusammen gedient, standen zusammen unter Feuer und haben uns gegenseitig den Rücken freigehalten. Sie wissen ja, so etwas schweißt zusammen. Ein guter Freund. Nach unserer Zeit bei der Armee hatten wir uns mehr oder weniger aus den Augen verloren, aber Anfang dieses Jahres haben wir uns quasi wiedergefunden.«
Ich nickte. »Wissen Sie, ob einer der beiden in Schwierigkeiten steckte oder Feinde hatte?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, Richard auf keinen Fall. George, der hat sicher kein ruhiges Leben geführt, bei ihm könnte ich es mir vorstellen, aber erwähnt hat er nichts dergleichen.«
Wir stellten ihm noch ein paar Routinefragen, dann verabschiedeten wir uns von ihm und ließen uns von seinem Privatsekretär die Drohbriefe zeigen.
»Hier, es sind insgesamt vier«, sagte Miller und überreichte uns die Schreiben.
Phil und ich überflogen sie. Es handelte sich auf jeden Fall um Drohungen, die mit Everetts politischer Position zu tun hatten. Ein Absender war nicht vermerkt. Immerhin hatten wir auch die Briefumschläge.
»Damit wissen wir jedenfalls, wo sie abgeschickt worden sind«, sagte ich. »Auch wenn es sich um verschiedene Städte handelt, befinden sie sich alle in Maine. Vielleicht kann uns das Labor mehr über den Schreiber erzählen.«
Wir packten die Briefe ein, um sie später analysieren zu lassen.
Phil reichte Miller seine Karte. »Wenn Sie die Liste der politischen und sonstigen Konkurrenten von Everett haben, können Sie sie mir zukommen lassen, hier sind meine Kontaktdaten.«
Miller nickte. »Das werde ich unverzüglich tun, sobald ich sie erhalte.«
Phil und ich verließen das Gebäude und stiegen in unseren Wagen.
»Und jetzt?«, fragte Phil. »Suchen wir Gregsons Frau auf? Sie lebt in Ellworth, das liegt gut dreißig Meilen von hier entfernt.«
Ich nickte. »Ja, überbringen wir ihr die schlechte Nachricht. Vielleicht ist sie ja auch schon informiert worden.«
***
Die Fahrt nach Ellworth verlief ohne besondere Vorkommnisse. Phil nutzte die Zeit, um ein paar Informationen über Miss Gregson zu sammeln.
»Tatjana Gregson, geborene Markoviac, stammt aus Russland und ist seit etwa vier Jahren in den USA«, sagte er. »Sie sollte ausgewiesen werden, was sie aber durch die Heirat mit George Gregson abwenden konnte.«
»Green Card durch Hochzeit?«, sagte ich fragend.
»Gut möglich«, meinte Phil. »Davon abgesehen ist sie aber sauber, keine strafrechtlich relevanten Einträge.«
Das Apartment der Gregsons befand sich in einer der weniger guten Gegenden der kleinen Stadt Ellworth. Das Haus selbst war eines der gepflegtesten der Straße, was aber bei all den heruntergekommenen Gebäuden nur bedeutete, dass es nicht ganz so schlimm aussah.
»Viel Geld scheint Gregson nicht gehabt zu haben«, meinte Phil, als er ausgestiegen war, und rümpfte die Nase. »Es riecht hier irgendwie unangenehm.«
Als wir vor der Haustür standen und klingeln wollten, stellten wir fest, dass die Klingelanlage beschädigt war. Mehrere der Kabel waren herausgerissen. Da die Tür offen war, gelangten wir auch so ins Gebäude.
Im Treppenhaus kam uns ein Mädchen von vielleicht fünfzehn Jahren entgegen. Sie hatte einen verboten kurzen Rock an, der Rest ihrer Kleidung sah eher nach Punk aus und sie kaute übertrieben cool auf einem Kaugummi herum.
»Hi, wo finden wir Miss Gregson?«, fragte Phil.
»Im zweiten Stock, Alter«, antwortete sie.
»Danke«, sagte Phil und flüsterte mir zu: »Ist das ein neuer Stil, den ich noch nicht mitbekommen habe, oder lebt gerade die Punkkultur wieder auf?«
»Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Jede Generation hat ihre Art, sich von der vorherigen zu unterscheiden. Manchmal nimmt das eben merkwürdige Formen an.«
In der zweiten Etage fanden wir tatsächlich das Apartment der Gregsons und klopften.
Eine mittelblonde Frau von Mitte dreißig, die wenig Ähnlichkeit mit dem Foto hatte, das ich von Miss Gregson gesehen hatte, machte uns auf.
»Ja, bitte?«, fragte sie wenig freundlich.
»Decker und Cotton, FBI«, sagte ich und zeigte meine Dienstmarke. »Wir würden gern mit Miss Gregson sprechen.«
Sie nickte. »Es geht um ihren Mann, nicht wahr? Einen Moment bitte.«
Nachdem sie uns angekündigt hatte, führte sie uns in die Wohnung. Auf einer Couch im Wohnzimmer saß Tatjana Gregson und sah verheult aus. Man musste keine große Kombinationsgabe besitzen, um zu erkennen, dass sie bereits vom Schicksal ihres Mannes erfahren hatte.
Als wir eintraten, schaute Miss Gregson auf, wischte sich, so gut es ging, die Tränen aus dem Gesicht und schaute uns an.
»Unser aufrichtiges Beileid«, sagte ich und gab ihr einen Augenblick.
Sie nickte. »Danke.«
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte die Frau, die uns ins Apartment gelassen hatte.
»Nein, danke«, antwortete Phil. »Sie sind …«
»Ihre Schwester, Isabella Markoviac«, kam die Antwort. »Eigentlich Halbschwester. Als ich gehört habe, was passiert ist, bin ich sofort zu ihr gefahren. Schlimme Sache.«
»Das stimmt«, sagte Phil.
»Er ist also wirklich tot?«, fragte Tatjana Gregson mich.
Ich nickte. »Ja, so ist es. Die Ärzte haben alles versucht und er hat, wie wir hörten, gekämpft, es aber nicht geschafft.«
»Ja, so war er, hat niemals aufgegeben, egal wie schlecht es ihm ging«, sagte sie und kämpfte gegen den nächsten Schwall Tränen an.
»Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«, fragte ich nach ein paar Sekunden.
»Heute Morgen«, antwortete sie. »Ich wusste, dass er nach Augusta fahren wollte. Er hatte seinen alten Freund, Everett, vor ein paar Monaten wiedergetroffen. Seitdem ging es ihm besser. Als er gehört hat, dass Everett als Senator kandidieren will, meinte er, das wäre seine große Chance. Also hat er den Mann kontaktiert und sich recht oft mit ihm getroffen. Er hat seitdem auch mehr Geld gehabt und wir hatten schon geplant, woanders hinzuziehen. Und … und jetzt das! Das ist nicht gerecht.«
»Sicher nicht«, stimmte ich ihr zu. »Was hat er denn bei Everett gemacht?«
Sie zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, darüber hat er nicht gesprochen. Immer wenn ich gefragt habe, ist er ausgewichen. Er sagte aber immer, ich solle mir keine Sorgen machen, es wäre alles in Ordnung und würde besser werden.«
»Ihr Mann und Everett waren zusammen im Irak«, führte ich die Befragung fort. »Hat er darüber mal etwas erzählt?«
»Nur, dass sie sich da kennengelernt haben, wenig Details«, antwortete sie. »Ich weiß aber, dass ihn die Zeit geprägt hat und dass ihn das, was er dort erlebt hat, teilweise bis in die Gegenwart verfolgt hat. Manchmal ist er nachts aufgewacht, weil er Albträume hatte. Das kam nur noch selten vor, aber die Zeit im Irak muss schlimm für ihn gewesen sein. Er hat mir nie erzählt, was dort alles passiert ist, aber das konnte ich fühlen.«
»Hatte Ihr Mann noch Kontakt mit Leuten, die er von damals kannte?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich glaube nicht. Mit Ausnahme von Everett, aber den hat er, wie gesagt, erst vor Kurzem wiedergetroffen.«
»Und wie sieht es mit Feinden aus? Personen, mit denen er Ärger hatte und so?«
»Da fällt mir niemand ein, außer unserem Vermieter vielleicht«, sagte sie und zeigte ein kurzes, trauriges Lächeln. »Wir waren fast immer mit der Miete im Rückstand. Aber George hat, wenn das Thema aufkam, gesagt, dass wir uns eines Tages keine Sorgen mehr um die Miete machen müssten, weil dies Amerika ist, das Land, in dem alles möglich ist, auch, dass wir reich werden. Ich hatte das auch mal gedacht und bin hierhergekommen. In der Realität sieht es aber anders aus. George und ich, wir … wir hatten eigentlich nie eine Chance.«
»Sag so etwas nicht!«, ermahnte ihre Halbschwester sie.
»Aber es ist doch wahr! Wir haben viel gearbeitet und wenig erreicht. Und jetzt ist er tot! So haben wir uns die Zukunft nicht vorgestellt! Wäre George doch nur nicht zu der Veranstaltung gegangen. Eigentlich hatte er etwas anderes vorgehabt, erst gestern Abend hat er mir gesagt, dass er dort ins Hotel gehen wird. Hätte er das nicht getan, wäre er jetzt noch am Leben.«
»Es war also erst gestern klar gewesen, dass er zu der Wahlkampfveranstaltung geht?«, hakte Phil nach.
Sie nickte. »Ja.«
»Gut, ich denke, das wäre dann alles«, sagte ich und gab ihr meine Karte. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, können Sie uns gerne anrufen.«
Wir verabschiedeten uns und verließen das Apartment.
»Wenn erst gestern klar war, dass er überhaupt an der Veranstaltung teilnimmt, dann ist es unwahrscheinlich, dass es jemand auf ihn abgesehen hat«, meinte Phil. »Ich glaube, diese Spur müssen wir nicht weiter verfolgen.«
»Da stimme ich dir zu. Also war doch Everett das Ziel. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wer es auf ihn abgesehen hat.«
***
»Miller hat mir gerade die Liste geschickt«, sagte Phil. »Ganz oben stehen die anderen Kandidaten, angefangen mit einem gewissen William Childs. Er wohnt in Lewiston, was nicht weit von hier entfernt ist. Ich werde mal anrufen, um herauszufinden, ob wir ihn in seiner Wohnung antreffen oder nicht. Vielleicht ist er ja auf Wahlkampftour.«
Phil nahm sein Handy und stellte eine Verbindung zum Büro von Childs her, wo er ein Treffen vereinbarte.
»Wir werden erwartet, in Lewiston«, sagte er zu mir. »Childs ist gerade unterwegs, wird aber in Kürze wieder in seinem Büro sein.«
»Dann nichts wie hin«, sagte ich.
Während der Fahrt kümmerte sich Phil telefonisch um die laufenden Untersuchungen. Er arrangierte, dass ein Agent die Drohbriefe, die wir von Everetts Privatsekretär erhalten hatten, zwecks Untersuchung abholen würde.
Mai-Lin hatte inzwischen die Aufzeichnungen der Überwachungskameras aus dem Hotel erhalten und war dabei, sie zu analysieren. Willson kümmerte sich um die Obduktion der beiden Opfer und Fortesque unterstützte die Spezialisten bei der Analyse des Sprengsatzes.
»Läuft alles«, meinte Phil. »Leider haben wir bisher noch keine Spur, keinen Hinweis auf den Täter.«
»Kommt schon noch«, sagte ich.
»Hoffentlich«, grummelte Phil. »Ich weiß nicht, ob wir es mit der Art von Täter zu tun haben, der ein Bekennerschreiben schickt. Irgendetwas sagt mir, dass der Typ, sofern es sich um einen Typen handelt, wenig mitteilsam ist.«
»Wir werden sehen«, sagte ich und dachte nach.
Ich teilte Phils Einschätzung.
»Was ist der Kandidat, zu dem wir fahren, für ein Typ?«
Phil konsultierte seine Computer. »Mal sehen, was wir über Childs in Erfahrung bringen können. Er ist stolze zweiundsiebzig Jahre alt, verheiratet, hat drei Kinder und ist noch nicht in Rente, sondern als Unternehmer aktiv. Sein Unternehmen, Childs Inc ., ist wohl im Agrarbereich tätig. Mit dem Gesetz ist er in der letzten Zeit nicht in Konflikt gekommen. Was ihn wohl auszeichnet, ist seine langjährige Mitgliedschaft bei der National Rifle Association , die er, wo es ihm möglich ist, unterstützt. Er soll eine der umfangreichsten Sammlungen alter Waffen an der Ostküste besitzen.«
Ich grinste. »Dann habt ihr beide ja ein Thema, über das ihr euch unterhalten könnt.«
Phil verzog sein Gesicht. »Ich bin sicher kein größerer Waffennarr als du. Wie du weißt, betrachte ich Waffen als Werkzeuge für den Job, die nur dann eingesetzt werden sollten, wenn es nicht anders geht. Ich bin nicht sicher, ob Childs diese Auffassung teilt.«
»Das werden wir wohl bald wissen. Es könnte aber ein Thema sein, über das wir Zugang zu ihm bekommen, wenn er sich zu schweigsam geben sollte.«
Wie sich beim Zusammentreffen mit Childs zeigte, war diese Befürchtung völlig unnötig.
»Ah, ich habe mir gleich gedacht, dass jemand vom FBI bei mir vorbeischauen würde, als ich das von dem Anschlag gehört habe«, sagte Childs. »Da ich Everetts größter Konkurrent bei der Wahl zum Senator bin, war das eine naheliegende Schlussfolgerung. Aber um Ihre Frage vorwegzunehmen, meine Herren: Ich habe nichts mit dem Anschlag zu tun. Ja, ich bin ein Waffennarr, aber ein hinterhältig gezündeter Sprengsatz, das ist in meinen Augen keine Waffe. Das ist einfach nur feige.«
»Wir gehen einfach routinemäßig vor, das ist alles«, sagte ich. »Und ja, wir wissen um Ihre hingebungsvolle Mitgliedschaft bei der NRA. Aber ganz ehrlich, wir hatten Sie nie wirklich im Verdacht, etwas mit der Angelegenheit zu tun zu haben. Dennoch würden wir gern wissen, wo Sie zur Zeit des Anschlags waren, einfach der Vollständigkeit halber.«
»Ich war beim Essen, im Vertigo , hier in Lewiston«, antwortete er. »Das Essen war hervorragend, wie immer, und es gibt eine Menge Zeugen dafür. Davon abgesehen: Wenn ich gewinne und Senator werde, dann muss das auf ehrliche Weise geschehen und weil ich ordnungsgemäß gewählt wurde, nicht, weil mein größter Konkurrent in die Luft gesprengt wurde.«
»Ehrenhafte Einstellung«, sagte ich. »Alte Schule. Aber leider denken nicht alle so. Haben Sie eine Idee, wer hinter dem Anschlag stecken könnte?«
Er lächelte, drehte sich schwungvoll zur Bar und goss sich einen Whiskey ein. »Ich nehme an, Sie sind im Dienst, daher sehe ich davon ab, Ihnen einen Drink anzubieten. Was den Anschlag angeht, da habe ich keine Ahnung. Natürlich gibt es weitere Bewerber um den Posten des Senators, aber sie liegen in den Umfragen so weit hinten, dass sie neben Everett auch mich aus dem Weg räumen müssten. Und ich lasse mich nicht so einfach aus dem Weg räumen.«
»Wer sind denn die Nächsten in den Umfragen?«, wollte Phil wissen.
Childs räusperte sich. »Everett liegt mit gut fünfzig Prozent an der Spitze, ich komme auf etwa fünfunddreißig Prozent. Auf Platz drei liegt Terence Orcid, mit etwas mehr als zehn Prozent weit abgeschlagen. Die anderen sind nicht der Rede wert.«
»Also sollten wir mit Orcid reden«, meinte Phil.
»Das könnten Sie, wobei er seine Kandidatur in der Tat vorgestern zurückgezogen hat«, meinte Childs.
»Zurückgezogen?«, fragte ich überrascht.
»Na ja, er hat offiziell verlauten lassen, dass er keine Chance sehe, was man bei zehn Prozent verstehen kann. Ich nehme an, es steckt mehr dahinter. Ist mir aber ohnehin egal, da er kein wirklicher Gegner war, eher jemand, der ein wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Vielleicht hatte es auch mit seiner sexuellen Neigung zu tun, er steht nämlich, wenn man der Presse Glauben schenken will, auf Kerle. Das kommt in unserem eher konservativen Staat nicht gut an.«
»Die Presse, klar«, sagte Phil. »Die kann so eine Wahl enorm beeinflussen.«
»Sicher«, bestätigte Childs. »Man kann nur hoffen, dass man nichts zu verbergen hat oder, wenn doch, dass es niemand herausfindet. So läuft das nun mal. Das Problem ist, dass wir alle keine Engel sind.«
Wir ließen uns die Namen derjenigen geben, die sein Alibi bestätigen konnten, und verabschiedeten uns.
»Wir sollten mit diesem Orcid reden, der seine Kandidatur zurückgezogen hat«, sagte ich zu Phil, als wir wieder beim Wagen waren.
»Wieso? Meinst du, jemand hat ihn dazu gezwungen?«
»Vielleicht«, antwortete ich. »Könnte ja sein. Ist nur so ein Gefühl, aber ich will Klarheit haben.«
***
Terence Orchid hatte sich sofort bereit erklärt, sich mit uns zu treffen, nachdem Phil ihn angerufen hatte. Wir fuhren etwa eine Stunde bis zu seinem Haus. Es handelte sich um ein großes, supermodernes Gebäude, das irgendwie steril wirkte. Weiße Wände und helle Böden erinnerten mich eher an ein Krankenhaus als an Wohnraum. Dass der Architekt daneben viel Glas als Baustoff gewählt hatte, verstärkte den Eindruck nur noch.
Orcid selbst war tadellos gekleidet, trug einen hellen Anzug und ein modisches Hemd. Seine Haare waren perfekt gestylt.
»Sie haben sicher von dem heutigen Anschlag auf Stephen Everett gehört«, begann ich die Befragung.
Er nickte. »Klar, das ist ja das Thema in den Nachrichten. Ich bin froh, dass ich nicht mehr kandidiere und somit aus der Sache raus bin. Es ist eine Sache, Senator zu sein und für die Menschen in Maine zu arbeiten, aber eine ganz andere, dafür zu sterben.«
»Zum Glück ist Everett nichts zugestoßen«, sagte ich. »Aber Sie haben recht, es hätte auch anders kommen können. Wir überprüfen gerade, wer ein Motiv haben könnte, Everett aus dem Rennen zu drängen. Sie haben Ihre Kandidatur kürzlich zurückgezogen? Hat Sie diesbezüglich jemand unter Druck gesetzt?«
Er lächelte. »So würde ich das nicht ausdrücken. Sagen wir mal, dass ich bei den Damen im Alter zwischen achtzehn und fünfzig gute Karten hatte. Das waren meine hauptsächlichen potenziellen Wähler. Aber als die Sache mit meinem Lebenswandel ans Licht kam – wie Sie sicher wissen, stehe ich nicht auf Frauen –, sah ich keine Chance mehr auf einen Sieg. Also habe ich aufgegeben.«
»Wie genau kam das denn heraus?«, fragte Phil. »Haben Sie das selbst bekannt gemacht?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, sicher nicht. Das hatte ich mir für irgendwann nach der Wahl aufgehoben. Nein, das war ein Reporter, Peter Woolridge. Oder sagt man Enthüllungsjournalist? Wie auch immer, der hat recherchiert, mich auch wohl beschattet und mich irgendwann mit meinem Freund erwischt und pikante Fotos gemacht. Das war es dann – aus der Traum vom Amt als Senator.«
»Glauben Sie, dass dieser Reporter, Woolridge, auf Sie angesetzt wurde?«, fragte Phil.
Er zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, glaube ich nicht. Man versucht bei einem Wahlkampf natürlich die Konkurrenz aus dem Weg zu räumen, aber ich war eigentlich weder für Everett noch für Childs eine wirkliche Bedrohung. Ich hätte höchstens gewonnen, wenn ich etwas gegen die beiden in der Hand gehabt hätte, aber da gab es nichts.«
»Sicher?«, fragte ich. »Childs meinte, dass jeder seine Geheimnisse hat.«
»Mag sein«, sagte Orcid. »Aber die muss man erst einmal aufdecken. Ich weiß über die beiden nichts, was ich hätte verwenden können. Was soll’s, es kann bei einer solchen Sache nur einen Gewinner geben.«
»Und Sie sind nicht etwa sauer auf Everett und Childs, sodass Sie zu gewalttätigen Maßnahmen greifen würden, um sich zu rächen?«, fragte ich.
Er lächelte amüsiert. »Ich? Sorry, ich bin eher der Model-Typ, kein Soldat. Für so etwas kämen Everett und Childs eher in Frage als ich.«
»Ja, das stimmt wohl«, sagte ich. »Trotzdem würden wir gerne wissen, wo Sie sich zur Zeit des Anschlags aufgehalten haben.«
Er erklärte es uns. Anschließend verabschiedeten wir uns und verließen das Haus.
***
Wir fanden Peter Woolridge, den Reporter, der Orcids homosexuelle Neigung öffentlich gemacht hatte, am Tresen einer Bar in Brunswick, etwa zwanzig Meilen südlich von Augusta. Er sah aus, als hätte er bereits einige Drinks intus.
»Da ist er«, meinte Phil und deutete mit dem Kopf in Woolridges Richtung. »Sieht nicht aus, als könnte man vernünftig mit ihm reden. Da er nicht weiß, dass wir nach ihm suchen, ist das vielleicht eine gute Gelegenheit, inoffiziell mit ihm zu reden.«
Ich nickte. »Ja, warum nicht. Bei seinem Blutalkoholspiegel ist er möglicherweise einem Kumpel gegenüber offener als jemandem vom FBI. Ich mache das.«
Phil tat beleidigt. »Schade, ich dachte, ich könnte mir mal einen Schluck genehmigen.«
»Wenn du das lieber übernehmen möchtest …«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, nein, ist schon okay, nimm ihn dir vor. Ich nutze die Gelegenheit, um etwas zu essen. So haben wir beide unseren Spaß. Außerdem kann ich so nebenbei ein Auge auf dich haben, falls du zu tief ins Glas schaust.«
Phil ging los und suchte sich unauffällig einen Platz in Hör- und Sichtweite von Woolridge, ich setzte mich ebenfalls in Bewegung. Gut einen Yard von Woolridge entfernt setzte ich mich und bestellte einen Drink, etwas Hochprozentiges, und ein Bier.
»Und? Welchen Kummer wollen Sie hier ertränken?«, sprach mich Woolridge von der Seite an.
»Wie? Ach so«, erwiderte ich. »Nur eine kleine Nebensache genannt Liebe. Oder das Ausbleiben derselben, wie man will.«
»Ja, Frauen können einen ganz schön fertig machen«, sagte er.
»Darauf trinken wir einen!«, erwiderte ich und leerte mein Glas auf Ex.
Der Alkohol brannte, als er meine Kehle hinunterfloss, und erzeugte ein warmes Gefühl im Magen.
»Ja, die Liebe und die Arbeit, die können einen Mann fertig machen«, sagte Woolridge, nachdem auch er sein Glas geleert hatte.
»Aber Liebe mehr als der Job«, sagte ich.
»Das kommt drauf an«, legte er los. »Ich habe eine Ex, die mich finanziell bis an den Abgrund gefahren hat. Na ja, ist auch irgendwie meine Schuld, aber okay. Also muss ich schauen, wie ich Kohle mache. Ich habe meinem Redakteur eine erstklassige Enthüllungsstory auf dem Silbertablett serviert, und was hatte ich davon? Lausige fünfhundert Dollar hat er lockergemacht. Dafür weiß jetzt alle Welt, dass Terence Orcid schwul ist. Mann, ich hätte lieber zu ihm gehen sollen, der hätte mir sicher tausend Dollar geboten, wenn ich die Story nicht schreibe.«
»Oder zweitausend«, sagte ich. »Auf jeden Fall mehr als der Erbsenzähler von Redakteur. Der hat sicher mehr daran verdient.«
»Der und der Verleger, der Aufsichtsrat und all die wichtigen Leute, für die zu arbeiten ich die Ehre habe. Was für ein Scheiß!«
»Ja, ein echter Scheiß. Darauf gebe ich einen aus!«
Ich gab dem Barkeeper ein Zeichen und er schenkte uns Whiskey nach.
»Sie sind also so ein Reporter-Typ?«, fragte ich.
Woolridge nickte. »Ja, bin ich. Eigentlich war ich sogar ein richtiger guter, bis mich dieses Weib aufgefressen und unverdaut wieder ausgespuckt hat. Seitdem sitze bin ich häufiger mit meinen besten Freunden Jack, Jim und Johnny zusammen, hier in der Bar, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Verstehe schon«, sagte ich und wir leerten gemeinsam unsere Gläser.
Ich merkte, dass ich genug hatte und, was das Trinken anging, einen Gang runterschalten musste.
»So Typen wie dieser Orcid, die haben doch alle Dreck am Stecken«, sagte ich. »Gut, dass es mal jemand öffentlich macht.«
Woolridge winkte ab. »Ja, klar, aber ich hätte mir auch einen der anderen vornehmen können. Orcid tut mir irgendwie leid.«
»Die anderen? Sind die auch vom anderen Ufer?«
Woolridge kicherte betrunken. »Nein, glaube nicht, das sind echte Kerle, ha, ha. Everett war ein kleiner, gehorsamer Soldat, bis er die reiche Millionärstochter geheiratet hat. Und Childs, der ist ein Waffennarr, bei dem wird sicher auch einiges zu finden sein.«
»Na, gut, dann mal ran«, sagte ich.
»Keinen Bock«, erwiderte er. »Warum sollte ich mir für fünfhundert Dollar die Mühe machen? Davon abgesehen sind da bestimmt schon andere Kollegen meines ehrenwerten Berufsstandes dran. Wenn die was finden, dann wird das sofort veröffentlicht, so läuft das. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.«
»Also gibt es keine Geheimnisse, über die man als Reporter nicht berichtet?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, eigentlich nicht. Wenn man etwas herausfindet, bringt man die Story, oder jemand anders ist schneller. Manchmal hat man Glück und bekommt einen Tipp. Bei wichtigen Wahlen ist das nicht unüblich. Jeder Kandidat hat in seinem Wahlkampfteam Leute, die im Leben der anderen Kandidaten nach Schmutz suchen, um sie erpressen oder diffamieren zu können, während sie gleichzeitig versuchen, die schmutzigen Geheimnisse ihrer eigenen Kandidaten zu schützen. Willkommen in der schönen neuen Welt der Demokratie.«
»So läuft das also«, sagte ich und nahm einen Schluck Bier.
Ich versuchte noch eine Weile, ihm weitere Informationen zu entlocken, hatte aber nicht viel Erfolg damit. Also zahlte ich und verabschiedete mich von ihm.
Anschließend wartete ich draußen auf Phil, der sich mir kurz darauf anschloss. Während ich mir in einer nahe gelegenen Pizzeria etwas zu essen genehmigte, erzählte ich ihm, wie es gelaufen war.
»Na ja, nicht viel Neues«, sagte er. »Die Sache mit den schmutzigen Geheimnissen macht mich allerdings neugierig. Glaubst du, dass Everett ein paar Leichen im Keller hat? Etwas, womit man ihn erpressen könnte?«
»Möglich«, sagte ich. »Worauf willst du hinaus?«
»Vielleicht weiß ja jemand über eines dieser Geheimnisse Bescheid und wollte sich rächen«, meinte Phil. »Oder jemand hat versucht, Everett zu erpressen, der ist nicht darauf eingegangen und deshalb hat jemand den Druck erhöht. Das würde erklären, warum Everett bei dem Anschlag nicht verletzt wurde.«
»Interessanter Gedankengang«, sagte ich. »Wir sollten ihn morgen noch mal aufsuchen und ihn fragen, vielleicht rückt er ja mit etwas raus, das uns weiterbringt.«
Nachdem ich fertig gegessen hatte, kontrollierten wir die Fortschritte der verschiedenen Aktivitäten. Es hatte sich noch nicht viel ergeben. Mai-Lin war mit den Aufnahmen der Überwachungskameras aus dem Hotel beschäftigt und hatte sich darauf eingestellt, die Nacht durchzumachen. Auch an den anderen Fronten liefen die Untersuchungen und Recherchen noch.
Wir suchten uns ein Hotel und arbeiteten bis um Mitternacht, ohne dass wir einen Durchbruch erzielten. Dann gingen wir schlafen.
***
Am nächsten Morgen wurde ich gegen halb sieben wach. Ich fühlte mich frisch und ausgeruht.
Nach einer erfrischenden Dusche zog ich mich an und klopfte bei Phil an, der ebenfalls schon auf war. Trotzdem schaute er auf die Uhr.
»Ich dachte, ich wäre früh dran, aber anscheinend nicht so früh wie du«, meinte er.
Ein paar Minuten später gingen wir zusammen nach unten, frühstückten und legten dann mit der Arbeit los.
Zuerst kontaktierten wir Mai-Lin, in der Hoffnung, gute Nachrichten zu hören.
»Guten Morgen«, begrüßte Phil sie fröhlich.
»Guten Morgen«, erwiderte sie, wobei man merkte, dass sie wenig geschlafen hatte.
»Und? Haben Sie gute Nachrichten für uns?«
Sie räusperte sich. »Ich weiß, wann der Sprengsatz platziert wurde. In der Nacht vor der Veranstaltung sind die Kameras im Hotel allesamt für vierzehn Minuten ausgefallen. Es ist davon auszugehen, dass das kein Zufall war, sondern vom Täter verursacht wurde, damit er ungesehen ins Hotel gelangen und den Anschlag vorbereiten konnte. Das war, um genau zu sein, von 22:15 bis 22:29 Uhr. Ich habe sonst keinen Hinweis gefunden, der auf den Täter hindeutet.«
»Wir könnten das Hotelpersonal fragen, ob jemand zu der Zeit etwas Verdächtiges gesehen hat«, meinte Phil.
Ich nickte. »Gute Idee. Darum soll sich Agent Coulsson kümmern.«
»Soll ich ihn kontaktieren?«, fragte Mai-Lin.
»Nein, nicht nötig, das machen wir«, sagte Phil. »Legen Sie sich schlafen, wir werden Ihre Unterstützung möglicherweise bald wieder brauchen.«
»Gerne«, sagte sie. »Ich lasse mein Handy an.«
Sie beendete das Gespräch.
»Dann werde ich Agent Coulsson direkt anrufen«, meinte Phil und stellte die Verbindung her.
»Guten Morgen«, hörte ich die Stimme des Agents über die Freisprecheinrichtung. »Ich habe leider noch nichts Neues zu berichten.«
»Guten Morgen, wir aber«, entgegnete Phil. »Am Vorabend der Wahlveranstaltung im Hotel waren die Kameras von 22:15 bis 22:29 ausgefallen. Wir gehen davon aus, dass der Täter den Sprengsatz zu dieser Zeit unter der Bühne installiert hat. Könnten Sie die Hotelangestellten, die zu dieser Zeit vor Ort waren, befragen?«
»Natürlich, keine Frage«, sagte er. »Ich fahre gleich los.«
»Geben Sie uns Bescheid, wenn Sie einen Hinweis haben«, sagte Phil.
»Es könnte sich lohnen, in der Nähe des Hotels nach Kameras zu suchen«, sagte ich. »Dr. Cha hat die Nacht durchgearbeitet, vielleicht können Sie sich umschauen, wenn Sie mit den Befragungen fertig sind.«
Der Agent bestätigte und Phil beendete das Gespräch, um Willson anzurufen.
»Morgen«, meldete er sich mit verschlafener Stimme und seufzte. »Sorry, ist gestern spät geworden. FGF und ich waren bis kurz vor vier auf den Beinen. Wir wollten Sie nicht wecken, aber die Analyse des Sprengsatzes liegt vor.«
»Hervorragend«, sagte ich. »Lassen Sie hören!«
»Nun, äh, ich habe sie nicht hier, sie ist bei FGF im Nebenzimmer. Einen Moment, ich gehe eben rüber.«
Man hörte ein paar Geräusche, kurz darauf war er wieder da. »So, hier ist es. FGF schickt den kompletten Bericht gleich los. Hier schon mal die Zusammenfassung: Wer auch immer die Bombe gebaut hat, war kein Vollprofi, aber auch kein Anfänger. Vielleicht jemand mit einer militärischen Ausbildung, der schon mal mit Sprengsätzen zu tun hatte. Darüber hinaus war sie so aufgebaut, dass die Druckwelle die Bühne erfassen sollte, weniger das Publikum. Der Sprengstoff in der Bombe war Dynamit. Ein paar Kollegen aus dem Field Office Boston versuchen, mögliche Quellen zu lokalisieren. Möglicherweise wurde der Sprengstoff vor einer Woche von einer Abrissfirma im Norden von Maine gestohlen. Allerdings wurde bei diesem Anschlag nur etwa ein Viertel dessen an Sprengstoff eingesetzt, was gestohlen wurde.«
»Also könnte der Täter drei weitere Sprengsätze wie den von gestern bauen«, meinte Phil ernst.
»So ist es«, bestätigte Willson. »Oder einen, der dreimal so stark ist. Auf jeden Fall könnte er erneut zuschlagen.«
»Das ist keine gute Nachricht«, sagte Phil ernst. »Ein Grund mehr, ihn schnell zu fassen. Wie sieht es mit Fingerabdrücken oder DNA-Spuren aus?
»Negativ«, antwortete Willson. »Damit können wir leider nicht dienen.«
»Wäre ja auch zu einfach gewesen«, meinte Phil und verzog das Gesicht.«
»Wir fahren noch einmal zu Everett, um ihn weiter zu befragen«, sagte ich. »Könnten Sie die Kollegen in Boston bei der Identifizierung derjenigen, die bei der Abbruchfirma eingebrochen sind, unterstützen? Und falls nötig bei der Analyse der Drohbriefe, die Everett erhalten hatte?«
»Klar, machen wir«, sagte er und beendete das Gespräch.
»Immerhin eine Spur, was den Sprengstoff angeht«, sagte ich.
Phil nickte. »Ja, immerhin etwas.«
Wir kontaktierten Jerome Miller, den Privatsekretär von Everett. Er sagte uns, dass sein Chef noch immer auf seinem Landsitz wäre, genau wie am Tag zuvor. Obwohl es ihm augenscheinlich nicht gefiel, teilte er ihm mit, dass wir unterwegs waren, um uns noch einmal mit ihm zu unterhalten.
Nach wie vor hielten ein paar Cops vor dem Anwesen die Stellung.
Im Haus begrüßte uns Miller, der ziemlich nervös zu sein schien. »Wissen Sie, in was für eine Situation Sie mich gebracht haben? Mister Everett möchte heute nicht gestört werden und hat mir aufgetragen, dafür zu sorgen. Ihm mitzuteilen, dass Sie kommen würden, hat mich fast meinen Job gekostet.«
»Sorry«, sagte ich und schaute ihn ernst an. »Aber wenn Ihr Chef Sie deswegen feuern will, dann sollten Sie sich überlegen zu kündigen. Wir sind vom FBI. Und wenn wir mit jemandem sprechen möchten, um einen Fall aufzuklären, dann machen wir das. Es geht hier nicht so sehr um das, was irgendjemandem gefällt, sondern darum, einen Doppelmord aufzuklären und weitere Anschläge zu verhindern.«
Miller schluckte. »Okay, ja, wie auch immer, kommen Sie bitte mit!«
Er ging vor, wir folgten ihm.
Everett saß in seinem großen Wohnzimmer, das mich von den Dimensionen eher an eine Turnhalle erinnerte, an einem Tisch mit einem Notebook und hatte ein Glas Whiskey in der Hand. Er sah nachdenklich aus.
Als wir eingetreten waren, räusperte sich Miller und Everett schaute auf. »Ah, die Herren vom FBI. Haben Sie gute Nachrichten? Wurde der Täter identifiziert?«
»Nein, leider noch nicht«, antwortete ich. »Die Ermittlungen laufen noch, wir machen Fortschritte, aber noch können wir keinen Erfolg vermelden. Wir haben uns mit Childs und Orchid unterhalten und würden gern ein paar Sachen mit Ihnen besprechen.«
Everett gab Miller zu verstehen, dass er das Zimmer verlassen sollte, was dieser auch tat.
»Nun, meine Herren, was genau wollen Sie mit mir besprechen?«
»Ein Wahlkampf ist eine heikle Zeit«, sagte ich. »Oft reichen schon ein paar Fakten über Gegenwart oder Vergangenheit eines Kandidaten, um ihn aus dem Rennen zu werfen. Wie bei Orchid, der aufgegeben hat, nachdem bekannt wurde, dass er homosexuell ist. Wir haben uns ein paar Gedanken gemacht. Gibt es in Ihrem Leben auch etwas, das Sie zum Aufgeben veranlassen würde?«
Für den Bruchteil einer Sekunde schien er unsicher zu sein, dann hatte er seine Fassung wiedergefunden. »Sie meinen, ob ich homosexuell wäre oder etwas in der Art?«
Ich nickte. »Was auch immer. Etwas, mit dem man Sie erpressen könnte. Mit dem man Sie vielleicht schon erpresst hat. Gibt es etwas Derartiges?«
Er schaute nachdenklich drein und schüttelte dann den Kopf. »Nein, da fällt mir nichts ein.«
»Es kennt also niemand eines Ihrer Geheimnisse, der Sie damit erpresst? Oder es zumindest versucht hat?«
»Nein, wie kommen Sie darauf?«
»Wir hatten die Idee, dass der Täter jemand gewesen sein könnte, der seinem Erpressungsversuch mit dem Anschlag Nachdruck verleihen wollte«, antwortete ich. »Immerhin sind Sie nicht getötet worden. Vielleicht wollte der Täter das gar nicht, sondern war nur darauf aus, Ihnen einen Denkzettel zu verpassen, eine Warnung, für den Fall, dass Sie nicht zahlen wollen.«
»Sie haben ja eine blühende Fantasie«, meinte Everett. »Aber nein, es liegt keine derartige Situation vor. Außerdem, wenn Sie sich den Tathergang genau ansehen, ist es wirklich nur Glück, dass ich nicht getötet wurde. Wäre ich nicht gestolpert, hätte ich genau im Wirkungsbereich der Bombe gestanden.«
Ich musterte ihn genau. Es war nicht zu erkennen, ob er bezüglich einer Erpressung die Wahrheit sagte oder nicht.
»Und was ist mit Ihrer Frau? Könnte es in ihrem Leben etwas geben, mit dem man sie erpressen könnte?«
Er zuckte die Schultern. »Nicht, dass ich wüsste. Da sie aber nicht hier ist, können wir sie auch nicht fragen.«
»Oh? Wo ist sie denn?«, fragte Phil überrascht.
»Im Ferienhaus der Familie in Presque Isle«, antwortete er. »Ich wollte sie nicht in der Nähe haben, wenn mein Leben bedroht ist, um sie nicht zu gefährden. Keine Angst, ein privater Sicherheitsdienst kümmert sich um ihre Sicherheit.«
»Gute Maßnahme«, sagte ich. »Wir arbeiten gerade die Liste durch, die wir von Ihnen erhalten haben. Ist Ihnen noch jemand eingefallen, den Sie dazusetzen möchten? Vielleicht aus Ihrem privaten Umfeld?«
Everett schüttelte den Kopf. »Nein, mir ist niemand mehr eingefallen. Ich bin bei solchen Sachen gewöhnlich sehr schnell. Und wenn es erledigt ist, dann ist es erledigt. Sie sagten, Sie waren auch bei Childs. Wie geht es dem alten Haudegen?«
»Er ist nach wie vor in Kampfstimmung, was den Wahlkampf betrifft«, antwortete ich. »Wobei er ja ziemlich weit hinter Ihnen liegt.«
»Ja, aber ich glaube, das ist ihm egal. Er macht einfach weiter. Davon abgesehen: Prognosen sind eben nur Prognosen. Wie es ausgeht, wird letztlich die Wahl entscheiden. Bis dahin sind es noch ein paar Wochen.«
Wir wünschten ihm viel Erfolg und verabschiedeten uns.
»Ich glaube nicht, dass er uns alles gesagt hat«, meinte Phil, als wir wieder im Wagen saßen.
Ich nickte zustimmend. »Das Gefühl hatte ich auch. Fragt sich nur, was er uns verschweigt. Gerne würde ich ein paar Worte mit seiner Frau wechseln. Sie weiß vielleicht mehr, als Everett zugeben möchte. Wo liegt Presque Isle?«
Phil schaute auf Google Maps nach. »Im Norden von Maine, schätzungsweise zwei Stunden Fahrt entfernt, unter günstigen Umständen.«
Ich überlegte. »Das würde eine Fahrt von insgesamt gut fünf Stunden bedeuten. Nicht wenig. Wir könnten sie anrufen, aber ich würde sie gerne persönlich sprechen. Wie wäre es, wenn ich allein fahre und du dich um die nächsten Namen auf der Liste kümmerst?«
»Können wir so machen«, sagte Phil. »Ich muss mir nur einen fahrbaren Untersatz besorgen.«
»Das sollten wir kurzfristig regeln können«, sagte ich. »Am besten fahre ich dich nach Augusta, dort sollte Agent Coulsson im Hotel ermitteln oder kurzfristig ankommen. Er kann dich begleiten oder einen Wagen besorgen.«
Wir fuhren los. In Augusta setzte ich Phil ab, der sich zuvor telefonisch mit Agent Coulson abgesprochen hatte.
Dann fuhr ich allein in Richtung Norden, zu Mrs Frances Everett.
Ich war gespannt zu hören, was sie zum Anschlag und etwaigen Geheimnissen ihres Mannes zu sagen hatte.
***
Das Haus der Everetts in Presque Isle war um einiges kleiner als das in der Nähe von Augusta. Und älter. Als ich dort ankam und den Wagen schräg gegenüber parkte, erregte ich sofort die Aufmerksamkeit eines breitschultrigen Mannes mit dunklem Anzug.
Als ich den Vorgarten betreten wollte, stellte er sich mir in den Weg und sagte mit dunkler Stimme: »Sorry, Privatgrundstück, betreten verboten.«
Ich zog meine Dienstmarke heraus, wobei ich darauf achtete, keine zu schnelle Bewegung zu machen, denn ich merkte, dass mein Gegenüber dazu bereit war, jederzeit zur Waffe zu greifen.
»Inspektor Cotton, FBI, ich untersuche den Anschlag auf Mister Everett und würde gern mit seiner Frau reden.«
Der Mann warf einen Blick auf meine Marke und sagte: »Einen Augenblick bitte.«
Wie es schien, hatte jemand mitgehört und gab ihm über Funk Instruktionen.
»Sie können reingehen«, sagte er schließlich und trat zur Seite.
Ich bedankte mich und ging zum Haus. Kurz bevor ich die Haustür erreicht hatte, wurde sie geöffnet, von einem weiteren Mann mit dunklem Anzug.
»Guten Tag«, sagte ich.
»Kommen Sie rein«, sagte er und behielt mich im Auge, als ich seiner Aufforderung nachkam.
Nachdem er die Tür geschlossen hatte, schaute er mich an. »Mrs Everett wird Sie in wenigen Minuten empfangen. Möchten Sie so lange Platz nehmen?«
»Nein, danke, ich stehe lieber«, entgegnete ich.
Glücklicherweise dauerte es nicht lange, bis Mrs Everett erschien. Sie sah gut aus, wirklich gut, hätte glatt einen Schönheitswettbewerb gewinnen können, obwohl sie mit ihren etwas mehr als vierzig Jahren nicht zur Gruppe der üblichen Teilnehmerinnen zählte. Sie war dezent geschminkt, ihre Haare saßen perfekt und ihr Kleid schien keine billige Kopie von der Stange zu sein. Es brachte ihre schlanke und doch weibliche Figur hervorragend zur Geltung.
»Guten Tag«, sagte sie freundlich. »Man sagte mir, Sie seien vom FBI?«
Ich nickte. »Ja, Inspektor Cotton vom FBI Washington. Ich leite die Ermittlungen bezüglich des Anschlags auf Ihren Mann.«
»Mein Mann hat mir schon von Ihnen und Ihrem Partner erzählt«, sagte sie und deutete in Richtung des Wohnzimmers. »Kommen Sie, setzen wir uns. Sind Sie allein hier?«