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Der Hypnose-Mörder
Er war ein Mörder, aber er wusste es nicht. Zweimal hatte er getötet - und vergessen. Doch dann, eines Nachts, in einem wilden LSD-Rausch, sah er die toten Augen seiner Opfer. Und in dieser Nacht begriff er das Entsetzliche, das Unfassbare. Erinnerte sich zum ersten Mal an jenen Teufel, der ihn zum Mörder gemacht hatte. So fanden Phil und ich das Ende der blutigen Spur - den Hypnose-Mörder ...
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Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Der Hypnose-Mörder
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: (Film) »Bulletproof Monk«/ddp-images
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7738-5
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Hypnose-Mörder
Er war ein Mörder – aber er wusste es nicht. Zweimal hatte er getötet – und vergessen. Doch dann, eines Nachts, in einem wilden LSD-Rausch, sah er die toten Augen seiner Opfer. Und in dieser Nacht begriff er das Entsetzliche, das Unfassbare. Erinnerte sich zum ersten Mal an jenen Teufel, der ihn zum Mörder gemacht hatte. So fanden Phil und ich das Ende der blutigen Spur: den Hypnose-Mörder …
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
Das Schlagzeug hämmerte, ein Saxophon heulte schrille Dissonanzen in die Nacht. Um den Swimmingpool herum schaukelten Lampions, junge Frauen kreischten, Gelächter brandete auf. Die Party in der Villa Bromfield näherte sich ihrem Höhepunkt, der regelmäßig darin bestand, dass einige gut gewachsene Mädchen textilfrei ins Wasser sprangen und von den männlichen Gästen unter großem Hallo »gerettet« wurden.
Carol Canavan verzog die Lippen.
Sie war bereits in dem Alter, wo Textilfreiheit peinlich wirkt, und sie verspürte wenig Lust, jüngeren Rivalinnen bei Eskapaden zuzusehen, die sie sich selbst nicht mehr leisten konnte. Schlecht gelaunt, schon ein wenig schwankend vom reichlich genossenen Alkohol, wandte sie sich ab, ging tiefer in den Park hinein und atmete in vollen Zügen die klare, kühle Nachtluft.
Musik und Stimmengewirr drangen nur noch gedämpft zu ihr. Aber sie hörte deutlich das Johlen, das den ersten Strip begleitete. Wer mochte den Anfang gemacht haben? Sicher diese kleine rote Hexe, die schon den ganzen Abend um Andrew herumschwirrte.
Bei dem Gedanken an ihren Mann vereiste Carols schmales, perfekt zurechtgemachtes Gesicht, und in ihre blauen Augen trat ein kalter Glanz. Andrew Canavan! Vor zwei Jahren hatte sie ihn geheiratet. Damals war sie achtunddreißig Jahre gewesen, Witwe, und trotz ihrer verblassenden Reize noch überzeugt, einem Mann mehr bieten zu können als nur ihre Dollars. Jetzt wusste sie es besser. Andrew Canavan war ein Blender, eiskalt, skrupellos und …
Ein Geräusch unterbrach ihre Gedanken.
Ein Geräusch zwischen den Ziersträuchern, die den Parkweg säumten. Carol blieb stehen, runzelte die Stirn und lauschte.
Hatte sich ein Liebespaar hierher zurückgezogen? Im Allgemeinen legten Walt Bromfields Gäste Wert auf Geselligkeit, auch bei intimeren Spielchen. Die Schlafzimmer der Villa waren auf Gruppensex eingerichtet. Carol schüttelte den Kopf, wollte weitergehen, doch im gleichen Moment teilte sich das Gebüsch.
Ein Mann stand plötzlich vor ihr, ein bärtiger junger Mann mit bleichen Zügen und dunklen Augen. Er trug keinen Smoking wie die anderen Gäste, sondern Jeans und ein buntes Hemd, er wirkte mager und ausgemergelt und drehte nervös einen Schal zwischen den Fingern.
Carol stufte ihn auf Anhieb als armen Teufel ein, der mit irgendeiner Bitte zu Bromfield kam. Normalerweise hätte sie ihn nicht weiter beachtet, doch im Augenblick befand sie sich in einem menschenfreundlichen Stadium der Trunkenheit.
Sie lächelte ihm zu, strich sich das Haar aus der Stirn und sagte: »Hallo.«
Der Junge lächelte zurück, mechanisch.
»Mrs. Canavan?«, fragte er.
»Oh! Sie kennen mich?«
Der Blick, der Carol traf, wirkte seltsam starr und leer. Sie erschrak. Von einer Sekunde zur anderen wurde ihr bewusst, dass sie mit dem Fremden allein im Park war, fast außer Hörweite der anderen, und dass er alles andere als vertrauenerweckend aussah. Immer noch spielten seine Hände mit dem bunten Schal, drehten ihn zu einem festen Strick zusammen. Wie eine Marionette, die an unsichtbaren Fäden gezogen wird, setzte er einen Fuß vor den anderen und kam näher.
Carol wich zurück.
Ihr Herz hämmerte, ihre Augen hatten sich geweitet. Etwas Fremdes, Unheimliches schien nach ihr zu greifen. Deutlich spürte sie die Gefahr, wollte sich herumwerfen, fliehen – doch da war es bereits zu spät.
Blitzartig schossen die Hände des Bärtigen vor.
Der Schal schlang sich um Carols Hals, zog sich zusammen und erstickte ihren Schrei zu einem dumpfen Gurgeln. Sie rang nach Luft, bäumte sich auf in wilder Todesangst. Verzweifelt schlug sie um sich, wollte den Mörder mit Fäusten und Fingernägeln treffen, doch die Bewegungen ihrer Arme waren nur ein zielloses Flattern. Von einer Sekunde zur anderen erschlafften ihre Muskeln, und sie sank kraftlos in sich zusammen.
Behutsam ließ der Mörder die leblose Gestalt zu Boden gleiten, löste den Schal vom Hals der Toten und verschwand genauso schnell und lautlos in der Dunkelheit, wie er gekommen war.
***
John D. High, Leiter des FBI-Distrikts New York, ließ das blaue Aktenbündel sinken.
»Speedy Jelnec«, sagte er langsam. »Er hat die Dummheit begangen, sich bei einem Autodiebstahl beobachten zu lassen, und die Beweise reichen für eine vorläufige Festnahme aus. Die Sache ist zwar nur eine Bagatelle, aber immerhin …«
Er sprach nicht weiter. Doch wir wussten auch so, was er sagen wollte. Speedy Jelnec hatte den Wagen bestimmt nicht zu seinem Privatvergnügen gestohlen, sondern im Auftrag seines Chefs und mit der Absicht, ihn zu irgendwelchen dunklen Zwecken zu benutzen. Welcher Coup dahintersteckte, wussten wir zwar noch nicht, aber das hofften wir von Jelnec zu erfahren.
Mein Freund und Kollege Phil Decker lächelte zufrieden. »Bromfield wird toben«, meinte er, während er seinen Stuhl zurückschob.
»Vor allem wird er nervös werden, wenn sein Mann in der Zelle schmort«, stimmte ich zu. »Speedy weiß zu viel. Und vielleicht macht selbst der große Walt Bromfield einen Fehler, wenn er erst einmal Angst bekommt.«
»Hoffen wir es«, sagte Mr. High mit einem halben Lächeln.
Wir verabschiedeten uns, nickten Helen zu, die im Vorzimmer trotz der späten Stunde noch über den Spalten der Kriminalstatistik brütete, und betraten wenig später den Hof der Fahrbereitschaft.
Meinen roten Jaguar ließ ich stehen, da wir die Absicht hatten, zu dritt zurückzukommen. Wir nahmen einen neutralen Mercury. Quer durch das nächtliche Manhattan rollten wir in Richtung Hudson River, entrichteten am Holland Tunnel unseren Obolus und bogen nach ein paar Minuten in die Henderson Street ein, um nach Hoboken zu gelangen.
Walt Bromfields Villa lag auf einem Hügel – ein wuchtiger, säulengeschmückter Kasten, dessen Stuckfassade auf das Geltungsbedürfnis des Besitzers schließen ließ. Schon von weitem sahen wir die Festbeleuchtung, und als wir auf den großen kiesbestreuten Vorplatz fuhren, hörten wir auch die Musik. Im Hause Bromfield war eine Party im Gange – eine exklusive Party, wie die Ansammlung der Sportflitzer und Luxuslimousinen bewies. Phil und ich tauschten einen schicksalsergebenen Blick, stiegen aus und marschierten auf die breite Freitreppe zu.
Die Tür flog auf, noch ehe wir klingeln konnten.
»Nein!«, kreischte eine überschnappende Stimme, Alkoholdunst schlug mir entgegen, und im nächsten Moment hing ein Mädchen an meinem Hals. Hinter ihr schwankte ein Smokingträger mit gerötetem Gesicht durch die Diele, in jeder Hand ein Glas. »Laurie!«, jammerte er. »Komm spielen, Laurie!«
Laurie merkte, dass sie sich in der Adresse geirrt hatte, und ließ meinen Hals los. Mit trunkenen, leicht geröteten Augen musterte sie mich, strahlte und sagte: »Ich spiele mit dem hier!«
Ich wollte ihr erklären, dass ich nicht zum Spielen hier war, aber der Smokingträger ließ mich nicht zu Wort kommen.
»Nimm die Finger von meinem Mädchen!«, heulte er. »Wer bist du überhaupt, du unverschämter, hergelaufener …«
Ich beförderte Laurie an seine Brust zurück und marschierte durch die Diele. Phil kam mir nach. Der Smoking-Mensch schimpfte hinter uns her, Laurie kicherte vor sich hin, und wir waren froh, dass die beiden wenigstens nicht die Verfolgung aufnahmen.
In der Halle kamen wir vom Regen in die Traufe. Phil stolperte über ein paar Beine. Vier, zählte ich, zwei nylonbestrumpfte und zwei in teurem englischen Anzugstoff. Was die Besitzer hinter dem Sofa trieben, interessierte mich nicht. Ich sah mich um. Links drängten sich schwankende Gestalten um die Hausbar, rechts kreiste eine Zigarette, die bestimmt nicht nur Tabak enthielt, in der Mitte entblätterte sich eine üppige Blondine, ohne allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Einen einzigen Mann konnte ich entdecken, der noch halbwegs nüchtern wirkte, und den knöpften wir uns vor.
»Bromfield?«, fragte er mit einer leichten Verzögerung in der Stimme. »Der ist am Pool und spielt den Bademeister.«
»Können Sie uns …«
Der Mann hatte sich schon abgewandt, offenbar überzeugt, uns erschöpfend informiert zu haben. Uns blieb nichts übrig, als die offene Terrassentür anzusteuern. Wir traten ins Freie, näherten uns dem Lichtkreis der bunten Lampions – und blieben stehen wie vom Donner gerührt.
Im Swimmingpool zappelte eine junge Dame und kreischte gellend. Walt Bromfield wandte uns den breiten Rücken zu. Unter dem Gelächter der Zuschauer nahm er Anlauf, stieß sich ab und demonstrierte einen Kopfsprung in voller Montur.
Er brauchte ein paar Minuten, um die Nackte aus dem Wasser zu fischen und an Land zu bringen. Sie quietschte begeistert, als er sie packte. Wie eine Jagdtrophäe warf er sich den triefenden Körper über die Schulter – einen bemerkenswert gut gebauten Körper, wie ich zugeben muss. Bromfield wollte seine Eroberung abschleppen, machte zwei Schritte, und dabei sah er uns.
Sein Grinsen vereiste.
Mechanisch setzte er die Nackte auf den Boden und schob sie zur Seite. Sein Anzug triefte, das Haar klebte nass in dem gebräunten Gesicht, um seine Schuhe bildeten sich Wasserlachen. Er hatte getrunken, aber ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er mit einem Schlag stocknüchtern werden konnte. Hass glomm in seinen Augen auf – der heiße, grausame, vernichtende Hass, für den er berüchtigt war. Der große Walt Bromfield fühlte sich blamiert, und nur die Anwesenheit seiner illustren Gäste hinderte ihn daran, der Wut die Zügel schießen zu lassen.
»Guten Abend«, sagte er mühsam beherrscht.
Ich hielt mich an die Spielregeln. »Guten Abend, Mister Bromfield. Wir hätten Sie gern einen Moment gesprochen.«
»Kommen Sie in mein Arbeitszimmer. Ich werde Ihnen einen Drink bringen lassen, während ich mich …«
Ich hörte nicht mehr zu.
Mein Blick war auf einen kleinen, hageren Mann gefallen, der in seinem Smoking wie verkleidet wirkte. Er stand auf der anderen Seite des Swimmingpools und machte gerade Anstalten, sich lautlos zu verdrücken.
»Mister Jelnec!«, rief ich. »Würden Sie vielleicht für einen Moment …«
Speedy Jelnec warf sich herum.
Er konnte nicht wissen, dass wir ihn festnehmen wollten, doch er verfügte über den Instinkt einer Ratte. Kies spritzte unter seinen Schuhen auf, quer über den Rasen rannte er auf einen der Parkwege zu.
Ich streifte Bromfield mit einem raschen Blick. Seine Nüstern bebten, er flammte vor unterdrückter Wut, aber ich konnte ihm nicht helfen. Unter den erstaunten Augen der Gäste setzte ich mich ebenfalls in Bewegung, umrundete den Swimmingpool und jagte Speedy nach.
Bevor er in die Dunkelheit des Weges tauchte, sah er einmal über die Schulter zurück. Sein zerknittertes Gesicht verzerrte sich. Stolpernd hetzte er weiter, und im Widerschein der bunten Lampions sah ich gerade noch, wie seine Rechte unter das Revers des Smokings fuhr.
Es musste schon ein großer Coup gewesen sein, für den er den Wagen gestohlen hatte, sonst hätte er nicht verrücktgespielt. Zehn, fünfzehn Yard war ich noch von ihm entfernt. Als er die Waffe zog, stolperte er fast über seine eigenen Beine. Ich wusste, dass er mich nicht treffen würde. Aber wenn er jetzt durchzog, hatte er einen Mordversuch am Hals – Speedy Jelnec, der nicht einmal auf Spatzen schoss, weil er kein Blut sehen konnte.
»Speedy!«, brüllte ich. »Mach keine Dummheiten!«
Aus vollem Lauf warf er sich herum.
Seine Augen flackerten, er duckte sich wie ein gehetztes Tier. Ich hatte schon den 38er frei. Speedy fuchtelte mit der Pistole herum, keuchend und unsicher. Ich hätte jetzt schießen müssen, aber ich tat etwas anderes – etwas, das ich mir nur leisten konnte, weil ich den Burschen genau kannte.
Mit einem letzten Sprung war ich heran, riss die Waffe hoch und schmetterte Jelnec den Lauf über die Finger.
Er schrie auf und ließ die Pistole fallen. Ich packte ihn am Kragen, zog ihn dicht zu mir heran und sah aus einer Handbreite Abstand in das zerknitterte Rattengesicht.
»Idiot!«, fauchte ich ihn an. »Wenn du getroffen hättest, dürftest du dein Leben in Sing-Sing beschließen.«
Speedy Jelnec atmete rasselnd.
Völlig unvorbereitet traf mich sein Tritt. Er musste Eisenspitzen unter den Schuhen haben, anders war der brühheiße Schmerz nicht zu erklären, der vom Schienbein her in die letzten Fasern meiner Nerven schoss. Für Sekunden lockerte sich mein Griff, Speedy riss sich los und tauchte in den Schatten zwischen den Bäumen.
Ich rannte ihm nach, hinkend und ziemlich wütend. Den Weg konnte ich nur ertasten, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass es Jelnec nicht besser ging. Ich hörte seine Schritte. Er wollte sich offenbar zur Straße durchschlagen, er versuchte verzweifelt, mich abzuhängen, und dann, ganz plötzlich, endete sein Spurt im Brechen und Knacken von Zweigen.
Speedy Jelnec schrie auf: So gellend und entsetzt, dass ich zuerst glaubte, er habe sich etwas gebrochen. In vollem Lauf zog ich die kleine Punktleuchte aus der Tasche, ließ sie aufflammen und blieb stehen, als ich den Gangster sah.
Er war gestolpert.
Gestolpert über den zusammengekrümmten Körper einer Frau. Sie lag auf der Seite, mit seltsam verrenkten Gliedern, und das starre, bläulich verfärbte Gesicht ließ keinen Zweifel daran, dass sie tot war. Speedy Jelnec kniete neben ihr.
»Ich war’s nicht«, wimmerte er. »Ich war’s nicht, ich hab sie nicht getötet, ich …«
»Steh auf«, sagte ich.
Er starrte mich an. »Bitte, Mister Cotton! Sie müssen mir glauben! Ich hab nichts damit zu tun, ich …«
»Das weiß ich«, sagte ich müde. »Steh trotzdem auf! Am Tatort eines Mordes trampelt man nicht herum, ehe die Spuren gesichert sind.«
***
Eine halbe Stunde später hatte sich in der Villa Bromfield einiges verändert.
Sämtliche Mädchen waren bekleidet, Uniformen tauchten zwischen den Smokings auf, im Park verbreiteten die Standscheinwerfer der Mordkommission gleißende Helligkeit. Der Hausherr steckte immer noch in seinem nassen Anzug. Unter der Sonnenbräune wirkte sein Gesicht kalkig, er rauchte Kette und versuchte vergeblich, seine Nervosität zu verbergen.
Dass ihn der brutale Mord auf seinem Grundstück besonders erschütterte, nahm ich ihm nicht ab. Aber die unvermeidliche Haussuchung ging ihm an die Nieren. Dumpf brütete er vor sich hin und traktierte uns ab und zu mit Hasserfüllten Blicken.
Wir wussten inzwischen, wer die Tote war: Carol Canavan, eine Besucherin der Party. Ihr Mann, schon reichlich alkoholisiert, hatte einen hysterischen Anfall erlitten. Jetzt kümmerte sich der Polizeiarzt um ihn, während wir uns mit den anderen Gästen befassten.
Leicht war es nicht, aber wir versuchten es trotzdem – einfach deshalb, weil wir damit rechneten, dass der eine oder andere unter dem Einfluss von Alkohol und Rauschgift mehr sagen würde, als er normalerweise erzählt hätte. Wir verwandelten die Küche in ein provisorisches Vernehmungszimmer, knöpften uns der Reihe nach jeden vor, der uns interessant erschien, und bekamen allmählich ein Bild über den Verlauf des Abends und die Beteiligten.
Carol und Andrew Canavan gehörten zu Bromfields Freundeskreis: sie eine nicht mehr ganz junge Millionenerbin, er ein ziemlich undurchsichtiger Typ, dessen Vergangenheit im Dunkeln lag. Die Ehe wurde übereinstimmend als gut bezeichnet. Nur ein fetter, schwitzender Glatzkopf erklärte mir augenzwinkernd, dass Carol wohl ein wenig prüde gewesen sei und sich stets zurückgezogen habe, wenn ihr Mann und die anderen …
»Na, Sie wissen schon!«, vollendete er den angefangenen Satz.
»Meinen Sie mit ›Sie-wissen-schon‹ die neckischen Spielchen am Swimmingpool?«
Der Dicke wurde tatsächlich rot. »J–ja«, stammelte er. »Man will schließlich mal ein wenig Abwechslung haben, nicht wahr? Man …«
»Woher soll ich wissen, was Sie wollen?«, fragte ich kühl. »Also, Carol Canavan zog sich zurück, als hier die Hüllen fielen?«
»Ja«, sagte der Dicke schwach.
»War sie allein? Folgte ihr jemand?«
»D-das weiß ich nicht. Ich … ich hab nicht darauf geachtet, weil …«
»Weil Sie sich mehr für ›Na-Sie-wissen-schon‹ interessierten«, vollendete ich.
Er nickte und verließ die Küche mit deutlich angeknackstem Selbstbewusstsein. Phil und ich sprachen mit dem nächsten auf der Liste. Sie erzählten fast alle das gleiche, drucksten herum, innerlich schon vor dem möglichen Skandal zitternd.
Zwei Stunden lang hörten wir uns Aussagen an, die nichts erbrachten, dann stießen wir endlich auf den ersten brauchbaren Hinweis.
Er kam von einem Mädchen, das noch oder schon wieder nüchtern war und dessen Äußeres wir uns nicht nur routinemäßig einprägten. Tracy Garett war eine Schönheit. Ihr glänzendes rotblondes Haar, das feingezeichnete Gesicht, die großen grünen Augen – das alles hatte eine Ausstrahlung, der man sich nur schwer entziehen konnte. Ihre paillettenbesetzte Abendrobe reichte bis zum Boden, aber ich war überzeugt davon, dass sie Jeans und Pullover mit der gleichen lässigen Eleganz zu tragen verstand. Ruhig saß sie auf dem unbequemen Küchenstuhl, und nur die winzige V-förmige Falte auf ihrer Stirn verriet, dass sie angestrengt nachdachte.
»Ja«, sagte sie leise. »Ja, ich erinnere mich. Jemand ist Carol nachgegangen.«
Phil und ich tauschten einen raschen Blick.
»Sind Sie sicher?«, fragte mein Freund.
»Ganz sicher.« Tracy lächelte leicht. »Sie werden verstehen, dass mich das Schauspiel am Swimmingpool nicht so sehr interessiert hat.«
»Und Sie kannten den Mann?«
»Ja. Es war Rock Nelson. Kurz vorher hatte er noch mit mir getanzt.«
Ich schwieg einen Moment.
Nelson! Rock Nelson, der Henker. Wir versuchten seit Jahren, ihm das schmutzige Handwerk zu legen, wir wussten, dass er Bromfields Star-Killer war, aber wir hatten nicht den Schatten eines Beweises gegen ihn. Würde er diesmal stolpern? Mechanisch richtete ich noch ein paar Fragen an die junge Dame, und dabei überlegte ich fieberhaft.
»Vorsicht, Jerry«, warnte Phil, als die Tür hinter Tracy Garett zugefallen war. »Wenn wir uns den Burschen jetzt vorknöpfen, weiß er sofort, welcher Zeuge ihm gefährlich ist.«
Ich nickte. »Also weiter im Text.«
Als nächstes kam ein blondhaariger Jung-Playboy, Sohn eines stadtbekannten Industriellen, mit Rauschgift vollgepumpt bis zur Halskrause. Von ihm erfuhren wir nur, dass das Zeitalter des Wassermanns angebrochen sei. Seine Freundin erzählte ähnlichen Unsinn, und dann befassten wir uns mit einem stark angetrunkenen Mann mit dem Namen Roy Gerrity, der sich als Familienanwalt der Canavans vorstellte und sichtlich um Haltung bemüht war, während er unsere Fragen beantwortete.
Er wollte gerade wieder gehen, als die Tür aufflog. Lieutenant Scott von der Mordkommission grüßte knapp. Er hielt eine Pappschachtel in der Hand, die er vorsichtig auf den Tisch stellte.
»Andrew Canavan ist nicht ansprechbar«, sagte er. »Haben Sie vielleicht eine Ahnung, wer von den Gästen die Frau näher gekannt hat?«
»Ich war ihr Anwalt«, meldete sich Gerrity.
Der Lieutenant wandte sich um. Er hatte ein hageres, scharfgeschnittenes Gesicht, dem zwei tiefe Narben einen drohenden, gewalttätigen Ausdruck gaben. Einen Ausdruck allerdings, der in keiner Weise seinem Wesen entsprach.
»Schauen Sie sich das an«, sagte er und zeigte auf die Schachtel. »Wir haben das Ding am Tatort gefunden.«
Ich beugte mich vor, genau wie Phil und der Anwalt. Ein winziger glitzernder Gegenstand lag in der Schachtel – offenbar das abgerissene Stück von einem Goldkettchen.
Roy Gerrity richtete sich auf und presste die Lippen zusammen.
»Das Medaillon«, flüsterte er.
»Medaillon?«
Gerrity nickte. »Carol trug ihr Medaillon heute Abend. Kein kostbares Stück – aber für sie hatte es ideellen Wert.«
»Können Sie es beschreiben?«
»Ja, sicher. Ich kann Ihnen sogar ein Foto geben, auf dem Carol das Medaillon trägt. Es enthält ein Bild ihres kleinen Sohnes, der damals zusammen mit ihrem ersten Mann verunglückt ist, auf dem Deckel befindet sich eine Gravur und …«
Gerrity lieferte eine genaue Beschreibung, und anschließend fuhr er mit einem Beamten zurück nach New York in seine Wohnung, um das Foto herauszusuchen.
Der Mörder musste das Medaillon an sich genommen haben – das war immerhin ein Anhaltspunkt. Phil und ich ließen uns von Lieutenant Scott über die Ermittlungsergebnisse der Spurenspezialisten informieren, stellten fest, dass wenig dabei herausgekommen war, und machten uns schließlich auf die Suche nach Rock Nelson, dem Henker.
Wir fanden ihn in Gesellschaft seines Herrn und Meisters. Walt Bromfields Smoking war inzwischen getrocknet, sah jedoch immer noch zerknittert aus.
Nelson hingegen wirkte wie die zum Leben erwachte Illustration aus einem Modejournal für Herren. Alles an diesem Mann war elegant und aalglatt. Das dunkle Haar glitzerte vor Pomade, das schmale, ausdruckslose Gesicht schien aus Stein zu bestehen, und die Augen spiegelten nicht die Spur von Gefühl. Ein sanftes Lächeln lag um seine Lippen, und während Bromfield nur mühsam seine Wut beherrschte, klang die Stimme des Killers höflich und kühl.
»Kann ich irgendetwas für Sie tun, Gentlemen?«, wollte er wissen.
»Wir möchten Sie sprechen. Allein.«
Walt Bromfield stieß die Luft durch die Nase. Seiner Reaktion entnahm ich, wie hart der Schlag war, den ihm die Ereignisse des heutigen Abends versetzt hatten.
Er stand auf, wandte sich wortlos ab und entfernte sich mit verbissener Miene.
»Nun?«, fragte Nelson gedehnt.
Ich sah keinen Grund, ihm die Tatsachen schonend beizubringen. »Sie haben Carol Canavan verfolgt, Nelson«, sagte ich. »Sie sind ihr in den Park nachgegangen, und zwar zehn Minuten vor ihrem Tod.«
Er hob die Brauen. Immer noch klebte das Lächeln auf seinen Lippen, und seine Augen wirkten matt und unergründlich wie schwarzer Schwamm. »Stimmt«, meinte er ruhig.
»Und?«
»Nichts und«, sagte er spöttisch. »Ich sah eine Frau im Park verschwinden, stieg ihr nach und gab auf, als ich die Canavan erkannte.«
»Ach nein!«
»Ach ja«, äffte er mich nach. »Man soll zwar über Tote nichts Schlechtes sagen, aber Carol Canavan war ein ziemlich prüdes Frauenzimmer. Wann, sagten Sie, sei ich ihr nachgegangen?«
»Zehn Minuten vor dem Mord.«