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Kennedy Airport 00:13 Uhr
"Zahlen oder sterben, Corvan!", sagten sie am Zahltag zu mir. Und damit ich schneller begriff, erteilten sie mir eine Lektion - mit ihren Fäusten. Drei Gangster, die ihren Job verstanden.
Ich, der Gepäckfahrer Jerry Corvan, zahlte jede Woche meine Schutzgebühr. Denn Phil und ich wollten den Kennedy Airport von dieser Gangsterpest befreien.
Als wir endlich zuschlagen konnten, war es bereits fünf Minuten nach zwölf. Genauer gesagt 0:13 Uhr - die Stunde, in der hundertdreißig Menschen sterben sollten ...
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Seitenzahl: 205
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Kennedy Airport null Uhr dreizehn
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: ryan_christensen/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7739-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Kennedy Airport null Uhr dreizehn
»Zahlen oder sterben, Corvan!«, sagten sie am Zahltag zu mir. Und damit ich schneller begriff, erteilten sie mir eine Lektion – mit ihren Fäusten. Drei Gangster, die ihren Job verstanden. Ich, der Gepäckfahrer Jerry Corvan, zahlte. Jede Woche zwanzig Dollar Schutzgebühr. Denn Phil und ich wollten den Kennedy Airport von dieser Gangster-Pest befreien.
Als wir endlich wieder zuschlagen konnten, war es bereits fünf Minuten nach zwölf. Genauer: null Uhr dreizehn – die Stunde, in der hundertdreißig Menschen sterben sollten …
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
Das Fahrgestell der mächtigen DC 8 berührte die Rollbahn. Die Räder begannen zu pfeifen. Donnernd heulten die Düsen bei der Schubumkehrbremsung.
Der Co-Pilot sah den Mann für die Dauer einer Zehntelsekunde im Licht der Landescheinwerfer. Bevor er auch nur einen Warnlaut ausstoßen konnte, verschwand die Gestalt unter dem Rumpf des Jets. Der Flugkapitän spürte einen winzigen Schlag in der Steuerung – zu gering, um ihn ausgleichen zu müssen. Kein Warnlicht flackerte auf, die Bremsung funktionierte. Das Flugzeug verlor Geschwindigkeit im vorgesehenen Ausmaß.
»Flug Avis 344 an Tower. Wir hatten eine Kollision mit irgendetwas auf eurer Landebahn.« Die Stimme des Kapitäns klang so gelassen, als meldete er irgendeine Bagatelle.
»Avis 344, sind Sie alright?«
»Absolut in Ordnung. Wir stehen schon nahezu! Halten Sie in Zukunft Ihre Pisten sauber.«
»Sorry, dass die Putzfrau nen Besen vergaß. – Rollen Sie in Position IT 14!«
Der Co-Pilot wandte sich an seinen Kommandanten und sagte in der gemeinsamen Muttersprache: »Ich glaube, es war ein Mensch, Maurice!«
Während die Chefstewardess die üblichen Abschiedssätze an die Passagiere richtete, rollte die DC 8 vor der erleuchteten Fassade des internationalen Terminals in die vorgeschriebene Abstellposition. Über die Erste-Klasse-Gangway verließ der Flugkapitän entgegen der Regel als erster das Flugzeug. Er kontrollierte das Bugrad und ging dann zum Hauptfahrgestell.
»Mein Gott«, murmelte er, als er im taghellen Neonlicht des Vorfeldes erkannte, was sich ereignet hatte. Kleiderfetzen und Körperteile klebten im Gestänge des Fahrgestells. Blut war bis zum Bauch der Maschine hochgespritzt.
***
Ich steuerte meinen Elektrokarren mit sechs Anhängern an den Bauch der riesigen Boeing 747 heran. Die Packer verstauten die Koffer. Zwei Anhänger blieben leer. Die Maschine war nur schwach besetzt gewesen.
»Fertig!«, sagte der Stauer-Vormann.
»Gepäck von LH 202 geladen!«, meldete ich mich bei meiner Leitstelle.
»In Ordnung! Lade es auf 9 ab!«
Ich ließ meinen Elektrokarren schnurren, steuerte die Wagen schnittig, als wäre es mein Jaguar, ins Gepäcktor, stoppte vor dem Ladeband zum Kofferkreisel 9 und machte mich zusammen mit einem Stauer daran, das Gepäck auf das Band umzuladen. Koffer um Koffer verschwand im schrägen Tunnel nach oben. Der Stauer war ein Farbiger, der wortlos seinen Kaugummi bearbeitete.
»Einverstanden, wenn ich jetzt Pause mache?«, fragte ich über Sprechfunk den Mann in der Leitstelle.
»Einverstanden.«
Ich fuhr den Karren zum Abstellplatz, steckte den Schlüssel ein und benutzte einen der Eingänge für Flughafenangestellte. Seit sechs Tagen arbeitete ich im internationalen Terminal von Kennedy Airport, aber ich kannte mich so gut aus, als käme ich schon seit zehn Jahren her, denn ich war drei Monate lang auf diesen Job getrimmt worden.
Ich hieß Jerry Corvan, damit die Initialen blieben, stammte wahrheitsgemäß aus Connecticut, wohnte in einem möblierten Zimmer in Howard Beach, dem Stadtteil New Yorks, über dessen Dächern das Dröhnen der Flugzeuge nie aufhört – so dicht grenzt er an Kennedy Airport – und fuhr einen 67er Ford. Bevor ich den Job bei der Port of New York Authority ergattert hatte, war ich Truckfahrer für einen Fruchtimporteur gewesen – tatsächlich.
Die Personalkantine des internationalen Terminals lag in einem Trakt des Erdgeschosses. Ich packte mein Tablett voll und suchte mir einen Tisch, an dem schon zwei Kollegen von der Transportabteilung saßen. Sie nickten stumm, als ich mich zu ihnen setzte.
»Mir gefällt es hier«, sagte ich und machte mich über das Omelett her. »Richtige internationale Atmosphäre.«
Einer von beiden blickte kurz auf. »Ist doch völlig egal, ob du hier Koffer oder im Schlachthof Schweinehälften durch die Gegend karrst.«
»In Schlachthöfen gibt es keine Stewardessen«, warf ich ein.
»Hier unten auch nicht.«
»Heute ist Zahltag«, mischte sich der andere ein. »Hast du zwanzig Dollar?«
»Zwanzig Dollar drei Stunden vor der Auszahlung?«, sagte ich. »Tut mir leid.«
»Ich brauch dein Geld nicht«, sagte er und betonte das erste Wort. »Aber deine Löhnung bekommst du als Scheck, und sie verlangen Bargeld.«
»Von wem sprichst du?«
Er senkte den Kopf. »Du wirst sehen«, murmelte er über seinem Teller. »Besser, du beschaffst dir irgendwoher zwanzig Dollar.«
Ich spürte wenig Lust, den Kaffee in Gesellschaft der brummigen Burschen zu trinken. Es gab eine Cafeteria in einem der zahllosen Verbindungsgänge, die eine Etage unter der Empfangs- und Abfertigungshalle den Terminal durchzogen. Sie war der zentrale Treffpunkt der Arbeiter und Angestellten des Terminals, und sie war so bekannt im gesamten Airport-Gebiet, dass auch Leute herüberkamen, die im PanAm- oder TWA-Terminal arbeiteten. Der Laden hatte keinen offiziellen Namen, wurde aber nur »Off limit« genannt, weil am Eingang ein großes Schild hing mit dem Text: Off limit for flying personal und other heroes (»Kein Zutritt für fliegendes Personal und sonstige Helden«).
Hinter der Theke hantierte Mike Pollok, ein weißhaariger und schnauzbärtiger Sechzigjähriger. Er kommandierte zwei Keeper und vier oder fünf abgehetzte Kellnerinnen.
Ich fand einen freien Platz an der Theke und bestellte Kaffee. Pollok, der immer an der Kasse stand, verließ seinen Platz und brachte mir eigenhändig das Wechselgeld. »Du bist neu hier?«, fragte er.
»Stimmt. Kennen Sie Ihre Gäste so genau, dass Ihnen ein Neuer sofort auffällt?«
Er strich sich mit dem Handrücken über den Schnauzbart. »Hier im Untergrund des Terminals kenne ich jeden. Wie heißt du?«
»Jerry Corvan. Ich arbeite beim Transportkommando.«
Er reichte mir eine große, warme und nicht ganz saubere Hand. »Willkommen, Corvan! Ich hoffe, du lässt dich häufig im ›Off limit‹ sehen. Mein Kaffee ist keinen Cent teurer als in der Kantine, und wenn du ein Lunchabonnement bei mir buchst, gebe ich zehn Prozent Rabatt.«
»Ich werde es mir überlegen, Mister.«
»Wenn du Nachtdienst hast, gilt das Lunchabonnement für ein Mitternachtssouper!«, rief er mir nach, als ich nach dem Kaffee aufstand. »›Off limit‹ ist Tag und Nacht geöffnet.«
Ich schob mich durch die schmalen Gänge zwischen den vollbesetzten Tischen zum Ausgang. Die meisten Gäste kamen in Arbeitskleidung, in Overalls und Kitteln oder den bunten Uniformen, die die Gesellschaften ihren Bodenstewardessen stellen, in die Cafeteria. Darum fielen mir die Männer in normalen Straßenanzügen auf, die an einem Tisch in der Nähe der Tür saßen. Es waren drei Weiße und einer mit milchkaffeebrauner Haut. Einer der Weißen blätterte in einer Rennzeitung. Die beiden anderen würfelten mit einem Taschenbecher aus Leder und fünf kleinen Würfeln. Der Schwarze stocherte mit einem Zahnstocher in seinem Gebiss und fixierte eine Gruppe exotisch gewandeter Hostessen der Air India.
Ich stolperte über die weit ausgestreckten Beine des einen Würflers. »Sorry«, sagte ich.
»Idiot«, antwortete er. Unsere Blicke trafen sich. Er hatte schwarze Augen mit langen Mädchenwimpern, aber auch mit einem stechenden Drillbohrerblick.
Der Zeitungsleser hob den Kopf, musterte mich gelangweilt und setzte dann seine Lektüre fort. Der Schwarze löste den Blick von den asiatischen Mädchen und sah mich an. Ganz langsam begann er zu grinsen. Sie warteten darauf, was ich tun würde.
Ich stieg vorsichtig über die noch immer ausgestreckten Beine des Schwarzäugigen hinweg und verließ das »Off limit«.
Hinter mir erklang Gelächter …
***
Meine letzte Maschine an diesem Tag war der Jet einer irischen Fluggesellschaft.
Ich karrte das Gepäck zum Transportband 5, verlud es zusammen mit dem Stauer und wollte gerade wieder starten, als ein Mädchen in Stewardessenuniform eilig die Treppe herunterkam und mich anrief: »He, Sie!«
Ich stoppte den Karren.
»Haben Sie das ganze Gepäck von Air-Dublin-Flug 012 gebracht?«, fragte sie.
Das Mädchen sah aus, als wäre es aus einem irischen Heimatfilm entsprungen, groß, grünäugig, mit langen Beinen, gefüllter Bluse, Sommersprossen auf der kurzen Nase und dem prachtvollsten roten Haar.
»Sie sehen, meine Wagen sind leer.«
»Oh, du lieber Himmel! Wir hatten einen VIP1) an Bord. Er vermisst einen kleinen Koffer mit wichtigen Akten. Er tobt schon! Ich muss in der Maschine nachsehen.«
»Steigen Sie auf! Ich fahre Sie hin.«
»Verdammt nett von Ihnen!« Sie stieg zu mir auf den Fahrerstand.
Hohe Geschwindigkeiten sind aus einem Elektrokarren nicht herauszuholen, aber ich fuhr so scharf, dass die angehängten Wagen ins Schleudern gerieten. Die Hostess und ich berührten uns ein paar Mal, und ich fand, dass sie sich mächtig gut anfühlte.
Ich bremste unter der Gepäckluke des Jets. Irgendwer von der Mannschaft kroch noch im Stauraum herum. Sie rief ihn auf Irisch an. Der Mann steckte den Kopf aus der Luke, fuchtelte mit den Händen und zuckte bedauernd mit den Schultern.
»Er sagt, es wäre nichts mehr im Stauraum«, erklärte sie verzweifelt.
»Sehen Sie in der Kabine nach!«
»Der VIP behauptet, der Koffer wäre verladen worden.«
»Sehen Sie trotzdem nach!«
Sie lief die vordere Gangway hoch und verschwand im Einstieg. Sekunden später hörte ich einen gellenden Jubelschrei, der sich auch gegen das ständige Düsenpfeifen über dem Terminal mühelos durchsetzte. Sie tauchte im Einstieg auf und schwang triumphierend einen braunen Aktenkoffer. Dann rannte sie die Gangway herunter und sprang auf den Karren. »Mann, Sie hatten die richtige Idee!«, rief sie. »Fahren Sie los!«
Ich karrte sie zum Terminal zurück. Bevor der Wagen richtig stand, sprang sie ab und sauste zur Treppe.
»He, wo kann man Sie treffen?«, rief ich ihr nach.
Sie nahm sich die Zeit, sich umzudrehen. »Versuchen Sie es am Abfertigungsschalter meiner Linie!«, rief sie zurück. »Fragen Sie nach Sheila O’Hara! Noch einmal vielen Dank!« Auch ihr Name war reinstes Irisch.
Ich fuhr in die Zentralgarage, bugsierte die Wagen auf den Abstellplatz und stellte mich in der kurzen Schlange vor dem Personalschalter an. Als ich an der Reihe war, nannte ich Namen und Dienstnummer und erhielt in einem Umschlag den Gehaltsscheck.
Von der Garage führen lange Gänge zu den Umkleideräumen. Zehn oder zwölf Leute, Transportarbeiter wie ich, zogen sich um. Auf der Bank saßen, Hut auf dem Kopf, Zigaretten zwischen den Lippen, zwei Männer, die ich kannte: der Farbige und der Würfler mit den Mädchenwimpern und dem Drillbohrerblick.
Ich wollte an ihnen vorbeigehen. Der Würfler streckte mir beide Beine in den Weg.
»Darüber bist du heute schon einmal gestolpert«, sagte er und lächelte. Er hatte kleine, spitze Nagetierzähne. »Zwanzig Dollar!« Er rieb Daumen und Zeigefinger aneinander.
»Wozu?«
»Damit dir niemand ein Haar krümmt. Wir passen auf dich auf, und natürlich kassieren wir dafür eine kleine Gebühr.«
»Ich kann keinen Cent entbehren, Mister! Fragen Sie irgendwann mal wieder nach.«
Sein Lächeln erlosch. »Ist das dein Ernst?«
»Ich brauche keinen Aufpasser. Ich bin nicht der Sohn eines Millionärs, und ich halte mich auch nicht für so schön, dass ne heiße Lady auf den Gedanken kommen könnte, mich zu kidnappen.«
Ich ging zu meinem Spind, und der Wortführer der Truppe hängte sich an das Telefon, das sich neben dem Eingang befand, wählte eine Nummer. Er benutzte das Hausnetz des Airports. Der Mann, mit dem er sprach, musste irgendwo in einem Büro oder an einem Schalter sitzen.
»Einer will nicht zahlen, Padrone – ein Neuer«, hörte ich ihn sagen. Die Antwort fiel ziemlich lang aus. Schließlich sagte er »Okay« und legte auf.
Ich dachte, er und der Schwarze würden sich wieder an mich heranmachen, aber sie blieben in der Nähe der Tür. Von rechts beugte sich der Vormann unserer Gruppe, Hugh Camb, zu mir.
»Gib ihnen den Zwanziger! Sie machen dich fertig«, flüsterte Camb.
Drei oder vier Männer beeilten sich mit dem Umziehen. Sie drückten sich aus dem Raum. Der Schwarze und der Würfler hielten sie nicht auf.
»Habt ihr alle gezahlt?«, fragte ich Camb.
»Klar«, antwortete er, »und von mir verlangen sie mehr als zwanzig Dollar. Wer nicht zahlt, endet im Krankenhaus.«
Ich hängte den Overall ins Spind und schlüpfte in die Jacke.
»Bis morgen, Hugh!«, verabschiedete ich mich und ging zum Ausgang.
Der Würfler ließ die Zigarette fallen, und der Farbige sog hörbar die Luft durch die Nase.
»Ausgang nur gegen Barzahlung«, erklärte der Weiße und hielt mir die Hand unter die Nase.
Ich packte den ganzen Arm, riss ihn nach oben und stieß den Mann so wuchtig gegen die Spinde, dass die Blechgehäuse dröhnten wie angeschlagene Gongs.
Der Schwarze war schnell, und er verstand einiges vom Boxen. Er schoss zwei lange Haken ab, von denen ich nur einen vermeiden konnte; der andere warf mich einen halben Schritt zurück.
Bevor er nachsetzen konnte, ging ich in ihn hinein. Seine Milchkaffee-Haut wurde um einen Schein heller, als er meine ersten beiden Haken zu spüren bekam. Er gab sich Mühe mitzumischen, aber ich wusste, dass ich ihn niederwalzen musste, bevor sich Mister »Mädchenwimper« von seinem Schreck erholt hatte.
Ich denke, ich hätte es geschafft, wenn nicht der zweite Würfler aus dem »Off limit« und der Rennzeitungsleser gerade in der Sekunde auf der Bildfläche erschienen wären, in der ein hochgerissener Haken den Farbigen zum Abschuss reif durchschüttelte.
Der zweite Würfler stürzte sich auf mich. Er war ein gedrungenes, kompaktes Muskelpaket mit abfallenden Schlägerschultern, einem kurzen Hals, auf dem ein verbeultes Neandertaler-Gesicht saß, und abstehenden Ohren. Seine Arme arbeiteten wie die Kolbenstangen einer Maschine. Ich musste ausweichen.
Der Schwarze erholte sich, und »Mädchenwimper« angelte einen kurzen Totschläger aus der Innenseite seiner Tasche. Grinsend lauerte er auf eine Gelegenheit, mir das Ding auf den Schädel zu schlagen.
Der Zeitungsleser hielt sich zurück. Er hatte das Kommando. Aus kalten grauen Augen beobachtete er, wie seine Schläger mit mir fertigwurden.
Sie drängten mich gegen die Pendeltür zum Duschraum. Ich musste höllisch aufpassen, um die heimtückischen Hiebe mit dem Totschläger zu vermeiden, und es gelang mir nicht, den Farbigen und das Muskelpaket genügend auf Distanz zu halten.
Ein wütender Angriff trieb mich durch die Pendeltür in den Duschraum. Damit hatten sie mich, wo sie mich haben wollten. Von jetzt an dauerte es nicht mehr lange. Zweimal traf der Totschläger meinen rechten Oberarm, einmal die Faust des Muskelpakets meinen Mund. Ich torkelte gegen eine Trennwand zwischen den Duschen. Hinter meiner rechten Faust saß kein Dampf mehr.
»Mach du ihn fertig, Ralph!«, befahl der Zeitungsleser kühl. »Schlag ihn nicht ins Gesicht! Es soll nicht auf den ersten Blick zu sehen sein, dass er behandelt wurde.«
Der Schwarze nahm mich vor. Am Anfang der Party hatte ich ihm eingeheizt, und er hatte die nahe Niederlage gefühlt. Jetzt tat er alles zur Aufpolierung seines Selbstbewusstseins. Wieder und wieder schlugen seine Fäuste in meine Magengrube und auch noch ein paar Zoll tiefer ein. Als ich alle Kraft in einen verzweifelten linken Haken legte, fing das Muskelpaket meinen Arm ab. Von diesem Augenblick an konnte ich nichts mehr tun.
Nach einer Minute brach ich in die Knie. Nach noch einmal dreißig Sekunden lag ich zusammengekrümmt auf dem Steinboden einer Duschzelle.
Der Zeitungsleser beugte sich über mich.
»Ich hoffe, du hast begriffen.« Er zog den Gehaltsscheck aus der Brusttasche meines Jacketts. »Den bekommst du zurück, sobald du gezahlt hast.«
Er trat zurück und drehte die Dusche auf. Kaltes Wasser prasselte auf mich herunter. Ich hörte ihr höhnisches Gelächter, als sie den Waschraum verließen, und ich konnte von Glück sagen, dass er nicht den Heißwasserhahn erwischt hatte.
Auf Händen und Knien kroch ich aus der Dusche und versuchte, auf die Füße zu kommen. Die Pendeltür schlug. Jemand kam herein, half mir hoch und lehnte mich gegen die Wand. Dann stellte er die Brause ab. Ich wischte mir das Wasser aus den Augen und sah Camb, den Vormann.
»Hier ist dein Scheck«, sagte er und hielt das Papier zwischen zwei Fingern hoch. »Ich hab die zwanzig Dollar für dich ausgelegt. Wie geht’s dir?«
»Verdammt mäßig.« Mein Magen schmerzte, als hätte ich Arsenik geschluckt.
»Ich hab dich gewarnt!« Camb strich sich über das kurzgeschorene, eisgraue Haar. »Es hat keinen Zweck, mit dem Kopf gegen eine Mauer zu rennen. – Du brauchst trockene Kleider.«
»Nicht nötig«, japste ich, noch immer kurzatmig vor Schmerzen. »Ich zieh den Anzug aus und den Overall an.«
Camb stützte mich und führte mich in den Umkleideraum zurück. Wir waren jetzt allein. Die anderen hatten sich den Anblick eines zusammengeschlagenen Kollegen erspart – die einfachste Art, sich nicht schämen zu müssen.
Camb schien eine Ausnahme zu sein. Er kümmerte sich um mich, half mir aus dem nassen Anzug und in den trockenen Overall. Ich schätzte ihn auf fünfundvierzig. Er war breit, groß, mit einem faltigen Gesicht, dessen Ausdruck Vertrauen einflößte.
»Wer waren sie?«
»Mitglieder der Terminal-Gang. Sie haben den Flughafen in der Tasche. Wo Geld umgesetzt wird, tauchen auch Gangster auf. Sie haben sich fest in Terminal City eingenistet, denn es gibt verdammt viel Geld zu verdienen.«
»Zwanzig Dollar aus jeder Lohntüte.«
»Genau! Rund fünfzigtausend Leute arbeiten ständig in den Terminals und bei den allgemeinen Diensten. Ich denke, das Flugpersonal und die Angestellten der ausländischen Luftfahrtgesellschaften lassen sie ungeschoren. Dafür schröpfen sie die Unzahl der Taxifahrer, kassieren von ihnen Erlaubnisgebühren, und sie sahnen auch bei den Geschäften und Restaurants im Passagier- und Besuchertrakt ab.«
»Ist der blonde Bursche in dem grauen Anzug der Boss?«
»John Jergens? Oh nein! Er führt nur die Leute an, die dich fertiggemacht hat. Boss ist der ›Padrone‹. Hast du nicht gehört, wie Larry Lorco mit ihm telefoniert hat?«
»Ich verstehe; sie alle gehören zur Cosa Nostra.«
»Keine Ahnung. Nicht alle sind Italiener. Jergens nicht, und schon gar nicht Ralph Dylan. Dem kannst du es an der Hautfarbe ansehen. Er soll mal ein guter Halbschwergewichtler gewesen sein. Für mich war er jedenfalls zu gut.«
»Und Nummer vier? Ist er italienischer Herkunft?«
»Mac McLough ist Ire.«
»Kaum zu glauben, dass ein Volk so unterschiedliche Typen hervorbringen kann.«
»Von wem sprichst du?«
»Von den Iren. Danke für deine Hilfe, Hugh! Ich denke, ich schaffe es bis zu meinem Wagen.«
***
Ich ließ mich hinter das Steuer meines Fords fallen und blieb zehn Minuten lang sitzen. Noch immer schmerzte mein Magen. Aus Erfahrung wusste ich, dass die Schmerzen schneller nachlassen würden, wenn ich kalte Flüssigkeit hineinschütten würde.
Ich startete den Motor und fuhr vom Parkplatz auf der Ringstraße, die an den Terminals vorbeiführt, fand eine Lücke auf einem Besucherparkplatz und betrat das Abfertigungsgebäude von International Airport. Ich trank eisgekühlten Orangensaft und kaltes Mineralwasser in einem Quickservice. Die Schmerzen begannen nachzulassen.
Ich ging an den Schaltern der fremden Fluggesellschaften vorbei, und ich sah Sheila O’Hara hinter dem Auskunftstisch ihrer Linie. Sie erblickte mich und lächelte. »Hallo, wollen Sie sich davon überzeugen, dass ich die Wahrheit sagte?«
»Ich kam nur zufällig vorbei.«
»Fällt Ihnen kein besseres Kompliment ein? Glauben Sie, eine Frau hört es gern, dass man sich nur zufällig nach ihr umsieht?« Sie hatte eine erfrischend direkte Art, die Dinge beim Namen zu nennen. »Was ist mit Ihrem Mund passiert? Hatten Sie einen Unfall?«
»Ja, so können Sie es nennen.«
»Wie wäre es, wenn Sie sich mal vorstellen würden?«
»Jerry Corvan.«
»Wie lange arbeiten Sie schon hier?«
»Eine Woche!«
»Und vorher?«
»War ich Truckfahrer in einer Früchtehandlung.«
»Waren Sie nie etwas anderes?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
Sie warf das rote Haar mit einer Kopfbewegung in den Nacken. »Ich halte Sie für zu intelligent für solche einfachen Jobs.«
»Sie überschätzen mich«, sagte ich vorsichtig. Irgendetwas mit meiner Tarnung war nicht in Ordnung, wenn Sheila auf solche Vermutungen kam. »Kann ich Sie fürs Wochenende einladen?«
»Tut mir leid. Am Wochenende habe ich Nachtdienst.« Sie blickte über meine Schultern und wurde ein wenig blass, sodass sich ihre Sommersprossen deutlicher abzeichneten. »Du lieber Himmel«, flüsterte sie. »Der Kerl steht schon wieder dort.«
»Welcher Kerl?«
»Ein hartnäckiger Verehrer. Er hält sich für einen Iren, nur weil er einen irischen Namen trägt. In Wahrheit ist schon sein Urgroßvater in den Staaten geboren. Er treibt sich ständig im Terminal herum, und ich frage mich, was er hier tut.«
Ich drehte mich um. In einiger Entfernung stand Mac McLough, das untersetzte Muskelpaket mit dem Neandertaler-Gesicht und den abstehenden Ohren. Aus vorquellenden Augen starrte er dämlich zu uns herüber.
»Machen Sie einen anderen Vorschlag für eine Verabredung!«, sagte Sheila.
Mac McLough hob eine Hand, spreizte den Daumen und machte eine Geste über seine Schulter, die bedeutete, dass ich verschwinden sollte.
»Ich werde Sie anrufen, Sheila«, sagte ich. »Außerdem kann ich Sie ja immer am Schalter Ihrer Linie finden.«
Sie zog die Augenbrauen hoch, denn sie hatte Mac McLoughs Daumenbewegung ebenso bemerkt wie ich, und für sie sah es so aus, als gehorche ich. Ihre seegrünen Augen wurden dunkel vor Wut.
»Selbstverständlich, Mister Corvan, können Sie mich hier erreichen. Habe ich mich schon für Ihre Hilfe bedankt? Zur Sicherheit – noch einmal vielen Dank. Ich möchte Ihnen nichts schuldig bleiben!«
Sie wandte sich ab und hantierte mit irgendwelchen Papieren. Ich ging. Als ich mich nach fünfzig Schritten noch einmal umdrehte, war McLough bereits an meinem Platz vor Anker gegangen.
***
Ich betrat meine Wohnung, ein einfaches Apartment im Block 76 der 163. Avenue. Phil saß auf der Schlafcouch. Durch das offene Fenster drang an- und abschwellend das Dröhnen der Maschinen, die in weniger als Minutenabständen die Landebahnen von Kennedy Airport anflogen.
»Hallo«, grüßte er, blickte scharf in mein Gesicht und fragte: »Erster Zusammenstoß?«
Ich nickte. »Mit den Kassierern einer Rackettabteilung.« Ich nannte die Namen meiner vier neuen Freunde.
»Wer ist der Boss?«
»John Jergens. Er ist schon zu fein, eigenhändig mitzumischen.«
»Deine Kollegen zahlen alle?«
»Sollen Sie sich zusammenschlagen lassen? Sie werden nicht wie ich dafür bezahlt.«
»Terminal City hat ein eigenes Polizeikommando, aber die Cops vermeiden Zusammenstöße mit den Flughafen-Gangstern. Zum Teil sind sie bestochen, oder sie werden selbst terrorisiert. Sie beschränken sich darauf, den Verkehr im Flughafengebiet in Gang zu halten und den Taschendieben auf die Finger zu klopfen. Sobald sie spüren, dass sie in das Interessengebiet der großen Organisation geraten, ziehen sie sich zurück.«
Ich holte ein paar Eiswürfel aus dem Kühlschrank, band sie in ein Taschentuch, machte es mir in einem Sessel bequem und legte den improvisierten Eisbeutel auf meinen Mund.
»Der Chef macht sich nicht die größte Sorge wegen des Rackettgeschäfts im Gebiet von Terminal City«, fuhr Phil fort. »Er fürchtet, dass schwerere Verbrechen geplant sind. Der Mord an dem Flugcontroller Charles Wetney ist noch nicht aufgeklärt?«
»War es denn Mord?«
»Das steht fest. Ein Zeuge hat wenige Minuten vor dem Aufsetzen der DC 8 einen Lampenkontrollwagen am Rande der Landebahn 9 gesehen. Eine Kontrolle der Befeuerung dieser Landebahn war an dem Abend nicht eingeplant, und es hat sich niemand gefunden, der zugegeben hätte, aus irgendwelchen anderen Gründen dort gewesen zu sein.«
»Du meinst, die Gangster könnten ein Fahrzeug aus dem Fuhrpark des Airports benutzen?«
»Würden Sie einen eurer Transportwagen haben können, wenn es ihnen einfiele?«
»Absolut. Niemand würde Widerspruch riskieren.«
»Wir konnten kein Motiv für den Mord an Wetney finden. Er war Junggeselle, trank nicht, spielte nicht. Als Hobby sammelte er Flugzeugteile. Als Controller galt er als erstklassig.«
»Beherrscht die Cosa Nostra Kennedy Airport?«, fragte ich.
»Das Zentrum der verbrecherischen Aktivität scheint International Terminal zu sein. Offenbar arbeiten nicht nur Gangster italienischer Abkunft hier, und das spricht gegen eine direkte Beteiligung einer Cosa-Familie. Die Cosa Nostra arbeitet nahezu ausschließlich mit Italienern.«
»Lorco telefonierte mit einem Mann, den er ›Padrone‹ nannte.«
»Das beweist wenig, Jerry. Solche Bezeichnungen werden auch als Spitznamen benutzt.« Er öffnete eine mitgebrachte Aktentasche. »Der Chef will dich nicht nackt herumlaufen lassen, Jerry. Er hat sich ein paar Spielsachen beim CIA ausgeliehen.«
Er legte eine geöffnete Packung Zigaretten auf den Tisch. »Achtzehn Zigaretten kannst du rauchen und anbieten. Nummer 19 enthält einen Sender, Nummer 20 die Batterie und das Mikrofon. Ich hab den Empfänger und kann dich hören, aber nicht antworten. Bei einem Druck auf das Mundstück schnellt die Antenne heraus. Damit ist die Anlage gleichzeitig eingeschaltet und sendet vier Minuten lang auf einer besonderen Frequenz. Danach ist sie wegwerfreif.«
Er holte einen Kugelschreiber aus der Tasche. »Mister High sagt, die CIA hätte dieses System auch mit einer Ladung tödlichen Nervengifts. Deine Kanone ist nur mit einem Spritzer hochwirksamen Tränengases geladen, komprimiert bis zur Flüssigkeit. Wenn du den Taschenhalter abbrichst, platzt der Stift auseinander. Davon abgesehen ist er wie jeder Kugelschreiber zu benutzen.«
Phil holte ein Foto aus der Aktentasche. Es zeigte einen lächelnden jungen Mann von sechs- oder siebenundzwanzig Jahren in einer blauen Uniform und mit einer Schirmmütze auf dem Kopf.