1,99 €
Nicht zu jung zum Sterben
Seine Opfer waren Teenager - junge Mädchen, hübsch und lebenslustig.
Wie ein Phantom tauchte er auf und verschwand dann wieder. Wohin er kam, ließ er eine blutige Spur zurück.
Wir jagten ihn quer über den Kontinent, um seinen Wahnsinn zu stoppen. Aber wir jagten ihn auch, um ihn zu schützen. Zu schützen vor einem Mann, der wie ein Bluthund der Fährte des Teenager-Mörders folgte, der nicht Gerechtigkeit wollte, sondern Rache.
Fünf Tage dauerte die Jagd - fünf endlose Tage und Nächte ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 176
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Nicht zu jung zum Sterben
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: WeAre/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-7955-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Nicht zu jung zum Sterben
Seine Opfer waren Teenager – junge Mädchen, hübsch und lebenslustig.
Wie ein Phantom tauchte er auf und verschwand dann wieder. Wohin er kam, ließ er eine blutige Spur zurück.
Wir jagten ihn quer über den Kontinent, um seinen Wahnsinn zu stoppen. Aber wir jagten ihn auch, um ihn zu schützen. Zu schützen vor einem Mann, der wie ein Bluthund der Fährte des Teenager-Mörders folgte, der nicht Gerechtigkeit wollte, sondern Rache.
Fünf Tage dauerte die Jagd – fünf endlose Tage und Nächte …
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
Sie war nackt. Wassertropfen glänzten auf ihrer braunen Haut und umsprühten sie wie Perlen, als sie ihre schwarze Mähne schwenkte. Lachend warf sie das lange Haar zurück und sah zu, wie Gregg Parrish aus dem flachen Wasser watete.
Er prustete, rang keuchend nach Luft und drohte ihr scherzhaft. Liz erwartete, dass er auf sie zulaufen würde, aber er blieb plötzlich stehen. Sein Blick glitt über ihren schlanken, strahlenden Körper, und das schmale Jungengesicht wurde ernst.
»Wie schön du bist«, murmelte er. »Du machst mich völlig verrückt, Liz, du …«
Sie lächelte ihn an. »Ist es nicht gut so?«
»Nein, zum Teufel! Weil dir zu viele Jungs mit Sportwagen und reichen Vätern nachrennen! Weil ich nicht weiß, was du ausgerechnet an mir findest, Liz.«
Diesmal war ihr Lächeln weicher, zärtlicher. In ihren großen braunen Augen lag ein warmer Glanz.
»Ich weiß selbst nicht, was ich an dir finde«, sagte sie. »Du bist ein Student mit einem mickrigen Stipendium, du kannst dir keinen Wagen leisten, und du bist nicht mal ein Genie. Außerdem sind deine Ohren zu groß.«
»Biest!«
Sie stand mit zwei Schritten bei ihm. Ihr nasses schwarzes Haar streifte über seine Haut.
»Klar bin ich ein Biest«, sagte sie. »Und ein dummes Biest dazu. Ich pfeif auf Sportwagen und Dollars und alles, wenn ich nur jeden Tag dein blödes Gesicht sehen kann, Gregg Parrish.«
Er schloss sie in die Arme. Für eine endlose Sekunde fühlte er den Druck ihres jungen, straffen Körpers und spürte, wie sein Herz schneller zu schlagen begann.
Liz hob den Kopf. Ihre weichen, geschwungenen Lippen schimmerten feucht, und ein Wassertropfen hing an ihrer Nasenspitze.
»Bilde dir nur nichts ein, Gregg Parrish«, sagte sie zärtlich. »Ich liebe dich kein bisschen, damit du’s weißt.«
»Ich dich auch nicht, Darling«, flüsterte er und presste seine Lippen auf ihren Mund.
Für eine halbe Ewigkeit schien die Welt um sie zu versinken. Liz machte sich los, glücklich und außer Atem. Ihre Augen glänzten.
»Ich muss mich anziehen«, sagte sie. »Und du auch. Denk an die Vorlesung. Wenn wir die verpassen, kannst du dein Referat nicht schreiben.«
»Verdammt«, brummte er. »Warum bist du nur so unverschämt schön? Die Vorlesung ist mir schnuppe.«
»Mir aber nicht! Ich will, dass du das verdammte Examen bestehst, damit ich endlich mit dir verheiratet sein kann.«
Er grinste und wischte sich das Haar aus der Stirn. »Und nach der Vorlesung?«, fragte er. »Muss ich in der trostlosen Dachbude eines armen Studenten übernachten?«
»Nein. Du darfst in der trostlosen Parterre-Bude einer armen Verkäuferin schlafen. Und jetzt ziehe ich mich an.«
Er sah ihr nach, wie sie auf die Strandhütte zulief. Ihre Bewegungen waren frei und locker, das lange Haar wehte wie eine Fahne hinter ihr her. Achtzehn war sie, vier Jahre jünger als er. Noch vor ein paar Monaten hätte Gregg nicht einmal im Traum daran gedacht, gleich nach dem Studium zu heiraten.
Aber seit er dieses Mädchen kannte, gab es nur noch ein Ziel für ihn. Er wollte sie haben. Nicht nur im Bett, nicht als Geliebte. Er wollte jeden Tag wissen, dass er sie am Abend sehen würde, er wollte jeden Ärger und jedes Vergnügen mit ihr teilen, ihre gelegentlichen Launen, ihre Verrücktheiten und …
Seine Fantasie versagte. Vergnügt vor sich hin grinsend ging er zu der kleinen Sandmulde hinüber, wo er seine Sachen zurückgelassen hatte, und begann sich anzuziehen.
Liz würde natürlich länger brauchen. Sie legte Wert auf Frisur und Make-up. Als ob sie überhaupt anders aussehen könnte als bezaubernd! Gregg Parrish ließ sich in den Sand sinken, zog die Beine an und gähnte verhalten.
Da hörte er den Schrei!
Ein greller Schrei, lang gezogen, sich überschlagend vor Entsetzen. Ein Schrei, der in einem wehen Stöhnen endete.
Der Schrecken ging Gregg Parrish wie ein Messer unter die Haut. Für ein paar Sekunden war er unfähig, sich zu rühren, dann sprang so heftig auf, dass er fast das Gleichgewicht verlor.
Liz, dachte er. Liz …
Und dann schrie er: »Liz! Liz! Was ist los, was …?«
Er verstummte, rannte keuchend und stolpernd durch den tiefen Sand. Die Angst legte sich wie ein eiserner Ring um seine Brust. Mit hämmerndem Herzen jagte er auf die Hütte zu.
Einmal stolperte er, fiel, riss sich wieder hoch – und prallte zurück, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt!
Die Tür der Strandhütte flog auf.
Ein Mann erschien im Rahmen. Ein großer, hagerer Mann mit grauem Haar. In der Linken hielt er ein Messer, in der Rechten eine Pistole.
Seine Hand zuckte hoch!
Gregg sah es, aber ehe sich Angst und Panik in ihm formen konnten, schoss bereits der Mündungsblitz auf ihn zu.
Er bekam einen harten Schlag vor die Brust, taumelte rückwärts.
Der Grauhaarige feuerte ein zweites und ein drittes Mal.
Gregg spürte die Einschläge, aber er fühlte keinen Schmerz. Beinahe verwundert blickte er an sich herab, sah die dunklen, feucht schimmernden Flecken, die sich auf seinem blauen Sporthemd ausbreiteten, und brach auf die Knie.
Die vierte Kugel traf ihn knapp unterhalb des Herzens.
Er kippte vornüber, fiel mit dem Gesicht in den Sand. Sein Kopf war seltsam leer und leicht, und er schmeckte Staub und Blut auf den Lippen.
Unendlich mühsam hob er den Oberkörper an, öffnete die brennenden Augen, doch von dem hageren Fremden war nichts mehr zu sehen.
Gregg Parrish stützte seine zitternden Hände in den Sand.
»Liz!«, wollte er schreien. »Liz! Liz!«
Aber er brachte nur ein unverständliches Gurgeln zustande.
Auf Händen und Knien schleppte er sich vorwärts, kroch wie ein verwundetes Tier auf die Hütte zu. Sein Atem pfiff, Schweiß brach ihm aus allen Poren. Als er die im Luftzug schwingende Tür erreicht hatte, rannen Tränen des Schmerzes über seine Wangen.
Aber er gab nicht auf. Er musste Liz finden. Er musste wissen, was mit Liz geschehen war, er musste es einfach – und dann sah er sie.
Sie lag im entferntesten Winkel des Raumes, verkrümmt, die gebrochenen, glanzlosen Augen zur Decke gerichtet. Ihr nackter Körper war blutüberströmt, das Gesicht kaum noch zu erkennen. Nicht einmal das lange schwarze Haar hatte der Mörder ihr gelassen. Die Strähnen wurden vom Luftzug über den Boden gewirbelt, und eine davon wehte auf Gregg Parrish zu und verfing sich zwischen seinen verkrampften Fingern.
Ein wilder, verzweifelter Aufschrei brach über seine Lippen.
Die Konturen verschwammen vor seinen Augen, alles drehte sich um ihn. Alles – außer diesem blutigen, zerschundenen Körper.
Er grub die Zähne in die Unterlippe, so hart, dass sein Kiefer schmerzte. In seiner Brust schien ein Höllenfeuer zu toben. Aber eine Kraft, die jedes menschliche Maß überstieg, trieb ihn vorwärts und zwang ihn, weiter auf Liz Fugate zuzukriechen.
Als Spaziergänger zwei Stunden später die beiden Leichen fanden, hatte Gregg Parrish den Arm über den Körper des Mädchens gelegt, als wolle er sie noch im Tode beschützen.
***
»Genug«, sagte Ian O’Rourke kalt.
Der Mann am Boden wimmerte nur noch. Als die Schläger von ihm abließen, krümmte er sich zusammen und presste die Hände gegen den Leib. Blut lief ihm aus Mund und Nase, sein Gesicht war verschwollen, sein weißes Hemd zerfetzt und von den Spuren blutiger Knöchel übersät. Er rührte sich nicht, aber in Abständen lief es wie ein Krampf über seine Schultern.
O’Rourke blickte mitleidlos auf ihn hinab. Er trug einen erstklassig gearbeiteten Trenchcoat, der seine wuchtige Statur betonte, eine scharf gebügelte Hose und helle Wildlederhandschuhe. Rostrotes Haar fiel ihm in die Stirn, und die Augen lagen tief in den Höhlen – grüne Augen, deren Farbe in Momenten wie diesem schmutzig und verwaschen wirkte.
Mit seinen kräftigen Fäusten und den sportgestählten Muskeln wäre er ohne Weiteres in der Lage gewesen, auch einen starken Gegner zusammenzuschlagen, doch für diese Arbeit bezahlte er seine Leute. Der große Ian O’Rourke machte sich die Hände nicht schmutzig.
»Stellt ihn auf die Beine«, befahl er jetzt. »Tempo!«
Die beiden Gorillas packten zu. Der Mann am Boden heulte auf vor Schmerz, als er hochgerissen wurde. Sein Gesicht war verzerrt, über die zerschlagenen Lippen kam ein scharfes Fauchen.
»Dafür bezahlst du, O’Rourke«, keuchte er. »Dafür …«
»Er hat doch noch nicht genug«, sagte der Gangsterboss kalt.
Sekunden später begann sein Opfer aus voller Kehle zu brüllen. O’Rourke sah zu, seine Augen wurden schmal und glitzerten. Schließlich beendete er die brutale Folter mit einem Handzeichen.
»Werft ihn irgendwo auf die Straße«, sagte er. »Aber passt auf, dass er am Leben bleibt. Sein Boss soll sehen, was ihn erwartet, wenn er keine Ruhe gibt.«
Die beiden Schläger nickten schweigend. O’Rourke sah zu, wie sie den Bewusstlosen aufhoben und aus dem Zimmer schleiften. Das Haus stand leer, im Hinterhof brannte nicht einmal eine Glühbirne, und niemand würde sehen, wie die beiden Gangster ihr Opfer in den Kofferraum des Wagens packten.
Ian O’Rourke verließ das abbruchreife Gebäude durch die Vordertür.
Sein Cadillac – metallic-grau – parkte an der nächsten Ecke. Der Chauffeur rauchte eine Zigarette, die er sofort aus dem Fenster warf, als sein Herr und Meister nahte. O’Rourke nickte dem Mann zu, ließ sich beim Einsteigen helfen und sank entspannt in die Polster zurück.
Eine halbe Stunde später hatten sie die Villa am oberen Riverside Drive erreicht.
Das Tor öffnete sich auf ein elektronisches Signal hin, Kies knirschte unter den Reifen. Im ungewissen Licht der Abenddämmerung hatte das weiße, säulengeschmückte Haus etwas von einem Schloss an sich.
Aber O’Rourke war mit seinen Gedanken anderswo. Während der Chauffeur vor der Freitreppe hielt, um den Wagen herumlief und den Schlag aufriss, grinste der Gangsterboss vor sich hin. Er stellte sich das Gesicht vor, das Morris Bogart machen würde, wenn er seinen zweiten Mann von der Straße auflas. Der vornehme, geschniegelte, hochgewachsene Morris Bogart! Er würde schäumen. Er würde einen Tobsuchtsanfall bekommen. Er würde …
»Hey, Daddy!«, kam eine helle Stimme von der Treppe her.
O’Rourke blickte auf.
Er vergaß Bogart, er vergaß seine geschäftlichen Sorgen, er vergaß die brutale Szene, deren Zeuge er eben geworden war. Ein breites Lächeln erschien auf seinen Lippen. Wohlgefällig betrachtete er das sommersprossige, aufreizend hübsche Gesicht seiner Tochter, die den Kopf zur Tür herausstreckte. Sheila war gerade einmal siebzehn und verdrehte bereits den Burschen reihenweise den Kopf. O’Rourke spürte einen leisen Stich der Eifersucht, als er daran dachte.
Er lief die Treppe hinauf, ließ sich bereitwillig auf die Kinnspitze küssen – höher reichte Sheila nicht – und schob sie ein Stück von sich weg, um sie zu betrachten.
»Du siehst prächtig aus, Kleines«, stellte er fest. »Aber was soll das Glitzerzeug? Willst du ausgehen?«
Sheila strahlte. Sie trug eine kurze, freche Lockenfrisur, ihr Haar schimmerte wie flüssiges Rotgold, die Augen leuchteten in dem gleichen hellen, klaren Grün wie das paillettenbesetzte Cocktailkleid, und in ihrem hübschen, ausdrucksvollen Gesicht mischten sich die Frische und der Schmelz der Jugend mit einer ganzen Portion weiblicher Koketterie.
»Als ob du nicht wüsstest, dass ich heute eine Party gebe«, schmollte sie. »Du hast doch erlaubt, dass wir auf der Terrasse tanzen. Und du hast versprochen, Roy nicht gleich in der Luft zu zerreißen, nur weil er mein Boyfriend ist«
O’Rourke seufzte. »Boyfriend!«, wiederholte er. »Teufel, du bist gerade mal siebzehn!«
»Daddylein, heute sind Mädchen mit siebzehn schon so erwachsen, dass ihnen die Männer scharenweise nachlaufen und …«
»Was?«, rief er. »Wie soll ich das nun wieder verstehen?«
»Ach, nichts!« Sheilas Zähne blitzten. »Da war heute Nachmittag so ein komischer Kerl, der mir nachgestiegen ist. Uralt! Mindestens fünfzig.«
»Und?«, fragte O’Rourke mit einem Anflug von Schärfe.
»Nichts und! Daddy, du wirst lieb sein und dich nicht beschweren, wenn die Musik zu laut ist, ja?«
Er runzelte die Stirn, als würde er darüber nachdenken. Sheilas Blick hing – gespielt angstvoll – an seinem Gesicht. In Wahrheit wusste sie genau, dass sie ihren Vater um den Finger wickeln konnte. Seit dem Tod ihrer Mutter hatte er sie maßlos verwöhnt. Es gab nichts, was sie nicht von ihm bekam, und im Leben des harten, skrupellosen Syndikatschefs war sie der einzige schwache Punkt.
»Na schön!«, gab er schließlich nach. »Ich werde ein Auge zudrücken und …«
Er stockte. Das Telefon hatte geläutet. Er ging zu dem Apparat auf dem Dielenschrank und hob den Hörer ab.
»Hallo«, meldete er sich.
»O’Rourke?«
»Ja. Wer spricht?«
»Keno.«
Ian O’Rourkes Augen verengten sich zu Schlitzen. Seine Hand schloss sich fester um den Hörer. Er kannte Keno. Salvatore Keno gehörte zur Spitze des Syndikats, der Cosa Nostra. Er war der Mann, der die Befehle der obersten Bosse weitergab, der kontrollierte, ob sie befolgt wurden, und der nötigenfalls eine Armee von Killern und Schlägern in Bewegung setzen konnte, um den Wünschen der Mafia Nachdruck zu verleihen.
O’Rourke runzelte die Stirn, eher überrascht als erschrocken, und blickte zu seiner Tochter hinüber.
»Lass mich allein, Sheila«, bat er, die Hand über der Sprechmuschel.
Sie zuckte mit den Schultern und verschwand im Livingroom. Die Tür schloss sich mit vernehmlichem Knall.
»O’Rourke?«, kam es ungeduldig aus dem Hörer.
»Ich bin noch dran«, knurrte der Gangsterboss. »Und ich bin, ehrlich gestanden, ziemlich überrascht. Was verschafft mir das Vergnügen?«
»Sparen Sie sich Ihren Sarkasmus, O’Rourke.« Die Stimme klang scharf und befehlsgewohnt. »Sie haben uns eine Menge Ärger gemacht. Ärger, den wir im Moment nicht gebrauchen können, verstanden?«
O’Rourkes Gesicht verkantete sich. Seine Haltung wirkte hellwach und misstrauisch. Er kannte Macht und Methoden des Syndikats, er kannte auch seine eigene Position und wusste beides gegeneinander abzuwägen. Rebellion gegen die Cosa Nostra konnte er sich nicht leisten. Aber eine devote Haltung war genauso wenig am Platz.
»Nein, ich habe kein Wort verstanden«, sagte er deshalb ziemlich gelassen.
»So? Dann will ich Ihnen auf die Sprünge helfen, O’Rourke. Ihr Krieg mit Bogart passt uns nicht ins Konzept. Sie werden alle Aktionen stoppen. Sofort.«
O’Rourke zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Ich habe den Krieg nicht angefangen. Halten Sie sich an Morris Bogart, Keno.«
Die Stimme des Cosa-Nostra-Mannes bekam die Schärfe einer Rasierklinge.
»Ich habe Ihnen gesagt, Sie sollen sich den Sarkasmus sparen«, zischte er. »Mit Bogart habe ich bereits gesprochen. Er erwartet Sie in dem Lagerhaus am Pier 7 und …«
»Das ist Bogarts Gebiet«, fuhr O’Rourke dazwischen. »Ich denke nicht daran, in die Falle zu laufen.«
»Es ist keine Falle. Bogart weiß, dass wir ihm das nicht durchgehen ließen. Sie können zwei zuverlässige Männer mitnehmen, O’Rourke, aber nicht mehr. Ich erwarte, dass Sie sich noch heute Nacht mit Bogart einigen. Verstanden?«
Der rothaarige Gangster zögerte – aber nur für einen winzigen Moment. Es wäre Wahnsinn gewesen, sich mit dem Syndikat anzulegen.
»Okay«, sagte er heiser. »Aber da ist noch etwas. Bogarts zweitem Mann ist es ziemlich dreckig ergangen. Sein Boss wird annehmen, dass das nach Ihrem Anruf passiert ist und dass ich die Verabredung gebrochen habe.«
»Lebt der Bursche noch?«
»Ja, sicher. Er ist nur ein bisschen verbeult.«
Der Anrufer lachte hart. »Ich informiere Bogart. Er wird vernünftig sein.«
»Da bin ich nicht so sicher.«
»Aber ich, und das genügt. Sonst noch Fragen.«
»Nein«, knurrte O’Rourke wütend.
»Okay. So long.«
Es knackte in der Leitung.
O’Rourke hieb den Hörer auf die Gabel und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Als er die Diele durchquerte, war seine Miene so finster wie ein Friedhof um Mitternacht.
»Daddy!«, zwitscherte Sheila. »Du siehst böse aus. Was ist passiert?«
»Nichts, Kleines. Ich muss nur leider noch einmal weg.«
Sie zuckte nur mit den Schultern. Dass sie über die ›sturmfreie Bude‹ nicht gerade enttäuscht war, sah man ihrem Gesicht an, und O’Rourkes ohnehin schon miserable Laune erreichte einen absoluten Tiefpunkt.
Zehn Minuten später verließ er das Haus.
Sheila winkte ihm von der Tür aus nach. Aber nicht einmal ihr strahlendes Lächeln vermochte es, seine Stimmung zu heben.
***
»Jetzt weiß ich es«, sagte mein Freund und Kollege Phil Decker.
Ich fuhr an, weil die Ampel vor mir auf Grün schaltete. »Was?«, fragte ich.
»Wie sich ein Bergsteiger fühlt, wenn er in eine Steinlawine geraten ist.« Phil verzog schmerzlich das Gesicht. »Du hättest auch ein bisschen schneller herausfinden können, dass unser V-Mann nicht zu Hause ist.«
»Konnte ich ahnen, dass du dich in der Zwischenzeit mit einer Horde Betrunkener prügeln musstest? Schließlich habe ich die Bande in die Flucht geschlagen und dich gerettet, oder?«
»Du hast in die Flucht geschlagen, was ich übrig gelassen habe«, verbesserte Phil. »Ich glaube …«
Das rote Lämpchen des Funkgerätes flackerte. Phil griff nach dem Mikro.
Die Nachricht war erschütternd: »Frank Kendell liegt an der Ecke Spring Street Mercer Street.«
Fast hätte ich einen Auffahrunfall verursacht, so heftig trat ich auf die Bremse. Ich riss mich zusammen, betätigte den Blinker und bog von der Fünften Avenue in die Achte Straße Ost ein. Die Mercer Street ist die dritte Abzweigung nach rechts. Ich drückte den Knopf für Rotlicht und Sirene, packte das Steuer fester und fegte mit vollem Konzert um die Ecke.
Ich konzentrierte mich auf die Straße. Kendell, hämmerte es in meinem Schädel. Frank Kendell! Er war Morris Bogarts rechte Hand, und Morris Bogart führte in der Downtown Krieg gegen Ian O’Rourke. Wenn O’Rourke es gewagt hatte, Bogarts zweiten Mann zu töten …
»Verdammt üble Geschichte!« Phil hatte die gleichen Gedanken wie ich. »Bis gestern sah es noch eher nach Einigung aus. Wenn Bogart und O’Rourke jetzt endgültig aufeinander losgehen …«
Er sprach nicht weiter. Aber ich wusste auch so, was er meinte. Nur ein kompletter Narr freut sich, wenn sich Gangster gegenseitig umbringen. Wer einmal erlebt hat, wie solche blutigen Fehden ausgetragen werden, wie viele Unschuldige sie das Leben kosten, kann dabei keinen Triumph empfinden.
Ich trat das Gaspedal durch und jagte mit singenden Reifen die Mercer Street.
Wir kamen noch vor der Ambulanz.
Ein Streifenwagen stand an der Ecke der Spring Street, ein uniformierter Cop bemühte sich mit mäßigem Erfolg, die Neugierigen zurückzudrängen. Sein Kollege kniete auf dem Gehsteig neben einer verkrümmten Gestalt.
Ich rangierte den Jaguar hinter den Patrolcar, sprang hinaus und hielt dem Uniformierten meine Dienstmarke unter die Nase.
Er blickte kurz auf. »Es ist Frank Kendell, Sir«, sagte er. »Wir kennen ihn, deshalb haben wir das FBI informiert.«
Ich nickte. Kendells Zugehörigkeit zur Bogart-Gang war bekannt, seine Verbrechen fielen in unsere Zuständigkeit.
»Wie geht es ihm?«, fragte ich.
»Dreckig, wenn ich deine Visage sehe, Schnüffler«, antwortete er statt des Cops.
Ich beugte mich über ihn. Seine Stimme hatte krächzend und gequetscht geklungen – kein Wunder bei den geschwollenen, aufgeplatzten Lippen. Sein linkes Auge schimmerte violett, das Nasenbein war gebrochen, zwei Schneidezähne fehlten. An der verkrümmten Haltung seines Körpers erkannte ich außerdem, dass er eine Menge Tiefschläge kassiert hatte. Aber an seinen Gefühlen gegenüber der Polizei schien das nicht das Geringste zu ändern.
»Wer war es, Kendell?«, fragte ich.
Er grinste wild.
»Kreuzweise!«, keuchte er.
»Willst du, dass der Bursche leer ausgeht?«
Kendell spuckte Blut auf das Pflaster. »Der kriegt schon sein Fett. Pfundweise! Der wird noch auf Knien rutschen und winseln.«
»O’Rourke?«, fragte ich.
»Dämlicher Mistbulle!«
Ich zuckte die Achseln und richtete mich auf.
Phils Blick signalisierte, dass er das gleiche dachte wie ich. Wir waren ziemlich sicher, dass Ian O’Rourkes Schläger Kendell durch die Mangel gedreht hatten. Aber genauso sicher waren wir, dass Kendell darüber schweigen würde. Wenn er Ian O’Rourke hereinriss, löste er eine Kettenreaktion aus, der er schließlich selbst zum Opfer fallen würde, und das wusste er verdammt genau.
Phil hatte mit dem zweiten Cop gesprochen.
»Keine Zeugen«, informierte er mich. »Vermutlich haben sie ihn einfach aus dem fahrenden Wagen geworfen.«
Ich nickte, überlegte einen Moment. »Du kannst versuchen, doch noch was aus Kendell herauszubekommen«, schlug ich vor. »Ich fahre inzwischen zu Bogart.«
»Zu Bogart? Was willst du da?«
»Mit ihm reden. Ihm sagen, was ihm blüht, wenn er einen Krieg entfesselt.«
»Wenn du ihn einzuschüchtern versuchst, hast du seinen Anwalt am Hals«, warnte Phil.
»Ich werde mich hüten! Aber vielleicht kommt er zur Vernunft, wenn er merkt, dass wir ihm auf die Finger sehen.«
»Nie!«, behauptete Phil trocken.
Ich teilte seinen Pessimismus, aber ich war trotzdem entschlossen, es zu versuchen.
***
Als ich in den Jaguar stieg und in Richtung West Broadway rollte, hatte ich einen bitteren Geschmack in der Kehle. Ich wusste, dass der Überfall auf Kendell den Startschuss zu einem Höllentanz geben würde. Vielleicht war er noch zu verhindern. Wenn wir Ian O’Rourke auf die Finger klopften. Wenn Bogart zur Vernunft kam. Wenn ich die richtigen Worte fand.
Wenn! Wenn!