1,99 €
Eine Kette von Morden hielt Phil und mich in Atem. Bei jedem neuen Opfer, das wir fanden, packte uns das Grauen.
Wir setzten alles daran, diese unheimliche Mörderin zu fassen - vergeblich. Immer wieder tötete sie, und immer waren es Unschuldige, die unter den Schlägen ihrer Nilpferdpeitsche starben, langsam und qualvoll.
Der Peitschen-Engel kannte keine Gnade ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 164
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Der Peitschen-Engel
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Froggyimages/shutterstock; dolgachov/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8049-1
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Der Peitschen-Engel
Eine Kette von Morden hielt Phil und mich in Atem. Bei jedem neuen Opfer, das wir fanden, packte uns das Grauen.
Wir setzten alles daran, diese unheimliche Mörderin zu fassen – vergeblich. Immer wieder tötete sie, und immer waren es Unschuldige, die unter den Schlägen ihrer Nilpferdpeitsche starben, langsam und qualvoll.
Der Peitschen-Engel kannte keine Gnade …
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
23 Uhr 05.
»Okay, ich komme«, sagte ich, warf den Telefonhörer auf den Apparat und stand auf.
»Wer war’s denn?«, fragte mein Freund und Kollege Phil Decker.
»Ryan. Samantha Ryan. Brandheißer Tipp, sagt sie.«
»Sagt sie«, wiederholte Phil anzüglich. Und als ich zur Tür ging: »Viel Vergnügen, Alter.«
Ich brummte etwas Unfreundliches, schmetterte die Tür hinter mir zu und fuhr im Lift nach unten. Eigentlich hatten wir nur noch ein bisschen Papierkram von unserem letzten Fall aufarbeiten und dann Feierabend machen wollen. Aber Samanthas Apartment lag ohnehin an meinem Weg.
Als ich in den Jaguar kletterte, sah ich ihr Gesicht vor mir. Wunderschönes kupferrotes Haar. Augen zwischen Smaragdgrün und Braun, mit whiskyfarbenen Tupfen im Irisring. Ein Mund, der lächeln konnte wie die Sünde selbst. Sie war ein Playgirl der Luxusklasse, Kundenstamm aus Hochfinanz und Unterwelt. Ich hatte sie mal aus einer üblen Rauschgift-Geschichte herausgeholt, und seither revanchierte sie sich ab und zu mit Informationen, die fast immer hieb- und stichfest waren.
Ich fand eine Parklücke vor dem Apartmenthaus an der Lexington Avenue, fuhr mit dem Lift in die zwölfte Etage und legte den Daumen auf den Klingelknopf unter dem schmalen Kupferschild. »Ryan« stand darauf, sonst nichts. Samanthas Name war nicht einmal im Telefonbuch verzeichnet. Sie hatte das auch nicht nötig, weil die Eingeweihten ihre Nummer kannten.
Leichte Schritte, das Geräusch der Sicherheitskette. Samantha war ein vorsichtiges Mädchen, das wusste ich. Zuerst streifte mich ein Hauch ihres diskreten Parfüms, dann ihre dunkle, ein wenig raue Stimme: »Ja, bitte?«
»Guten Abend«, sagte ich. »Komme ich auch ohne Blumen hinein?«
Ich kam. Samantha öffnete und lächelte mich an, mit diesem schillernden, unnachahmlichen Lächeln, das wie geeistes Feuer wirkte. Sie trug einen einteiligen schwarzen Hausanzug, hochgeschlossen, aber eng wie eine zweite Haut. Das Kupferhaar floss wie ein leuchtendes Vlies um ihre Schultern, und die bernsteinfarbenen Funken in ihren Augen schienen zu tanzen. Schweigend trat sie einen Schritt zur Seite, schloss die Tür hinter mir und wies auf den bogenförmigen Durchgang zum Livingroom.
Ich kannte das Apartment – es war aufwendig eingerichtet, stilsicher, aber für meinen Geschmack ein bisschen zu stark auf Spielwiese getrimmt. Felle auf dem Boden und an den Wänden, tiefe Sessel und eine überdimensionale Couch sorgten für Behaglichkeit. Die Hausbar nahm die ganze linke Wand ein. Das riesige Fenster bot einen herrlichen Blick über das Lichtermeer von New York. Im Fernsehen lief ein Western – der Ton war abgestellt, während zwei stoppelbärtige Superhelden stumm und verbissen ihre Colts aufeinander abfeuerten.
Samantha schaltete auch das Bild aus. Einladend wies sie auf die Sitzgruppe. »Einen Drink? Scotch, Bourbon, Gin?«
»Bourbon«, entschied ich.
»Eis oder Soda?«
»Nur Bourbon.«
Samantha trat an die Hausbar, füllte zwei Gläser und goss für sich reichlich Tonic Water dazu. Wir tranken schweigend. Samantha blieb mit verschränkten Armen am Fenster stehen, ihr Glas in der Rechten balancierend. Sie musterte mich mit einem durch lange, seidig glänzende Wimpern gefilterten Blick.
»Du hast etwas von einem heißen Tipp gesagt«, eröffnete ich das Gespräch.
Sie lächelte. Geeistes Feuer, wie gehabt. In ihren grünen Augen tanzten winzige, flirrende Reflexe.
»Schade, dass du immer im Dienst bist, Jerry Cotton«, sagte sie. Und als ich eine Bewegung machte: »Okay, schon gut, du brauchst nichts zu sagen. Du willst deinen Tipp. Diesmal ist er wirklich heiß, Jerry. So heiß, dass ich …«
Jenseits des Fensters, irgendwo zwischen den Neonbuchstaben auf dem gegenüberliegenden Dach, flammte ein winziger Blitz auf.
Ganz kurz nur – aber ich glaubte ihn wie durch eine Lupe zu sehen. Ich sprang auf, ich wollte handeln, wollte eine Warnung rufen – doch da war es bereits zu spät.
Mit einem hellen, nervenzerfetzenden Laut zerknallte das Thermopenglas. Scherben prasselten und klirrten auf den Boden. Samantha Ryan taumelte vorwärts, wie von einer unsichtbaren Riesenfaust gestoßen. Ich hörte den zweiten Schuss, den dritten.
Ich durchquerte mit zwei Schritten den Raum, und als die Frau mit einem leisen, eher verwunderten als erschrockenen Stöhnen auf die Knie brach, konnte ich gerade noch ihren stürzenden Körper auffangen.
Die vierte Kugel jaulte mit bösartigem Zischen über uns hinweg, schlug auf Metall und sirrte als Querschläger weiter.
Ich zog Samantha ein Stück zur Seite, in den toten Winkel neben dem Fenster. Behutsam ließ ich sie zu Boden gleiten, robbte auf Händen und Knien zum Tisch und zog mir das Telefon auf den Teppich herunter.
Rettungswagen, Überfallkommando – fast von selbst drehten meine Finger die richtige Nummer. Ich sagte, was zu sagen war, warf den Hörer auf den Apparat und huschte geduckt zum Fenster zurück.
Samantha lag auf der Seite, schwer atmend und verkrümmt. Als ich vorsichtig den Arm unter ihre Schultern schob, hob sie den Kopf. Ihre Augen waren groß und dunkel vor Schmerz, schimmerten wie tiefe grüne Smaragde. Ihre blassen Lippen formten Worte.
»Jerry …«, flüsterte sie. »Schade, Jerry … Jetzt … ist es vorbei … jetzt …«
»Nicht sprechen«, murmelte ich. »Der Arzt wird gleich hier sein.«
Sie schüttelte den Kopf, mühsam, zitternd. Ein dünner Schweißfilm überzog ihr Gesicht. Ihr Atem kam flach und keuchend, und an meiner Hand spürte ich die feuchte Wärme ihres Blutes.
»Es … ist zu Ende«, hauchte sie. »Ich weiß … wann es zu Ende ist … Du musst ihn finden, Jerry. Du …«
»Nicht sprechen, Samantha. Bitte!«
Für einen Moment schloss sie die Augen. Ihre Lider flatterten, scharfe Linien des Schmerzes kerbten sich um ihren Mund.
»Jerry …«, formten ihre bebenden Lippen.
»Ja?«
Sie versteifte sich in meinen Armen, rang verzweifelt nach Luft. Ein wilder Hustenkrampf schüttelte sie, dann sank sie apathisch zurück. Ihre Lider hoben sich, ihr Blick irrte hin und her und sog sich an meinem Gesicht fest.
»Mitternacht …«, flüsterte sie. »Hörst du … Jerry? Mitternacht! Central Park … Shake…«
Ihre Stimme erstickte, ertrank in einem verzweifelten Röcheln. Noch einmal bäumte sie sich auf. Ihre Finger verkrallten sich an meiner Schulter. Und als sie zurückfiel, schien tief auf dem Grund ihrer grünen Augen etwas zu zerbrechen.
Samantha Ryan war tot.
***
Jake Bardolini rannte in seinem Office auf und ab wie ein gefangener Tiger.
Das Büro gehörte zu einer Großgarage mit angegliederter Reparaturwerkstatt, die lediglich dazu diente, dem Finanzamt klare Verhältnisse vorzugaukeln. Seit Al Capone verwenden Gangster auf die Abfassung ihrer Steuererklärung fast so viel Sorgfalt wie auf die Planung ihrer Coups, und Bardolini bildete keine Ausnahme. Außer seinen Leibwächtern und einer gefährlichen Schlägergarde, auf die kein Rackett verzichten kann, gehörten zu seiner Gang noch zwei so genannte Rechtsberater, die ständig voll beschäftigt waren.
Einer dieser Herren – Woodrow Shavelson – saß in einem Safarisessel und drehte eine Zigarette zwischen den manikürten Fingern.
»Du solltest deine Nerven schonen, Jake«, sagte er. »Benjy kann überhaupt noch nicht zurück sein.«
»Und wann kommt er deiner Meinung nach?«, fauchte Bardolini.
Sein Anwalt sah auf die Uhr. »Frühestens in zehn Minuten.«
Bardolini zuckte wütend mit den Schultern, wandte sich ab und starrte aus dem Fenster. Sein Gesicht spiegelte sich in der Scheibe. Schweigend blieb er stehen, die Hände in den Taschen zu Fäusten geballt, und bemühte sich, die Unruhe zu verbergen, die in ihm fraß.
Knapp zehn Minuten später rollte ein Wagen in den Hof.
Die Autotür knallte, Schritte näherten sich, ein bestimmtes Signal wurde geklopft. Jake Bardolini durchquerte eilig den Raum und riss die Tür auf.
»Nun?«, fragte er rau.
Benjy Cresto huschte herein und schälte sich aus dem Trenchcoat, den er trotz der Hitze trug. Alles an diesem kleinen, hageren Burschen mit dem rostbraunen Haar und den bleichen Zügen erinnerte an eine Ratte – die wieselnden Bewegungen, die schwarzen Knopfaugen, die vibrierenden Nasenflügel, die ihm den Anschein gaben, als würde er ständig Witterung aufnehmen. Aufatmend lehnte er sich an die Schreibtischkante und grinste.
»Gelaufen«, sagte er nur.
»Ist sie …?«
»Klar, Boss. Die Knarre habe ich im Hudson versenkt.«
»Ausgezeichnete Arbeit.« Bardolini sah auf die Uhr. »Fast Mitternacht. Zeit, mit dem zweiten Teil der Angelegenheit zu beginnen, Benjy.«
Cresto nickte gleichmütig. »Wo ist das Ding?«
»Da.« Jake Bardolini zeigte auf einen schmalen Lederkoffer, der in einer Ecke des Büros stand. »Und vergiss nicht, dass der Kerl auf keinen Fall davonkommen darf. Erpressern seines Zuschnitts kann man nicht über den Weg trauen. Am besten knallst du ihn ab, wenn er die Bucks zählt.«
»Und wenn er damit wartet, bis er zu Hause ist?«
»Das wird er nicht. Weil er uns nämlich auch nicht über den Weg traut. Noch Fragen?«
Benjy Cresto schüttelte den Kopf. Schweigend griff er nach dem Koffer, nickte seinem Chef und dessen Rechtsberater noch einmal zu und verschwand wieder im Dunkel des Hinterhofs.
Er ging, um einem anderen Menschen den Tod zu bringen.
Dass auch für ihn die Falle schon gestellt war, konnte er nicht ahnen …
***
»Shake …«, murmelte ich vor mich hin. »Central Park … Shake …«
»Shakespeare Garden«, schlug Phil vor.
Fast wäre er in die Knie gegangen, so kräftig knallte ich ihm die Hand auf die Schulter. »Shakespeare Garden! Das muss es sein! Um Mitternacht im Shakespeare Garden!«
Mein Freund zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Fragt sich nur, welches Stück dort über die Bühne gehen soll.«
»Das werden wir herausfinden. Jetzt ist es zehn Minuten vor zwölf. Wenn wir uns beeilen …«
Phil nickte nur.
Wir verständigten uns mit Harry Easton, der die Mordkommission Vier Manhattan Ost leitet, verließen das Apartment und kletterten in den Jaguar.
Während der Fahrt waren wir ziemlich schweigsam. Immer noch sah ich Samanthas verzerrtes Gesicht, die tödliche Starre in ihrem Blick und glaubte den zitternden, verwehenden Hauch ihrer Stimme zu hören. Shake…! Shakespeare Garden! Mit ihren letzten Worten hatte sie mir etwas Entscheidendes sagen, mich auf eine Spur führen wollen, und ich war entschlossen, diese Spur aufzunehmen und ihr zu folgen, bis ich wusste, wer Samantha Ryans Mörder war.
Wir fuhren über die Traverse Road 2 durch den Central Park, stoppten auf einem kleinen, düsteren Parkplatz kurz vor der Ausfahrt und verließen den Wagen. Die Nacht war schwül. Der betäubende Duft Hunderter von Blumen, Stauden und Blüten hing in der Luft. Das Rascheln des Laubes mischte sich mit dem stetig brausenden Verkehrslärm.
Ich lauschte einen Moment, aber ich konnte nichts außer den normalen Geräuschen der Nacht vernehmen.
»Und jetzt?«, fragte Phil halblaut.
»Wir trennen uns. Es ist gleich zwölf – bis wir zu zweit das Terrain erkundet haben, könnte schon alles vorbei sein.«
»Okay. Du links, ich rechts.«
Ich nickte nur, ging ein paar Schritte nach links und bog in einen der zahlreichen Fußwege ein.
Der Shakespeare Garden ist eine etwas kuriose Anlage. Irgendein Spaßvogel hat sich mal einfallen lassen, hier sämtliche Gewächse zu züchten, die der alte Shakespeare je in seinen Werken erwähnt hat, und das wird jetzt seit Jahren so gemacht. Das Ergebnis ist vor allem im Sommer höchst imposant. Kaum ein Tourist lässt sich den Shakespeare Garden entgehen, aber ich hatte in dieser Nacht keinen Sinn für die eindrucksvolle Blütenpracht.
So lautlos wie möglich folgte ich dem Pfad, lauschte angespannt in die Dunkelheit und hatte dabei das unsinnige Gefühl, dass der betäubende Blumenduft meine Sinneswahrnehmungen beeinträchtigte.
Ich war etwa auf halbem Wege zwischen Traverse Road 2 und West Drive, als irgendwo eine Uhr zu schlagen begann.
Mitternacht.
Unwillkürlich blieb ich stehen und konzentrierte mich ganz auf meine Umgebung. Nichts geschah. Natürlich nicht – wer immer hier etwas plante oder sich mit einem anderen treffen wollte, er würde es wohl kaum mit einem Paukenschlag ankündigen.
Ich ging weiter, geduckt, mit gespannten Muskeln, und knöpfte dabei mechanisch mein Jackett auf, um im Notfall schneller an den 38er zu gelangen.
Zwei Minuten später hörte ich die Stimmen.
Sie kamen von links, aus einem Weg, der von schulterhohen Weißdornhecken wie von Mauern begrenzt wurde. Ich wusste, dass diese Hecken in Abständen zurückwichen, Nischen bildeten, in denen Bänke standen. Vorsichtig tauchte ich in den schwarzen, undurchdringlichen Schatten, schlich weiter und blieb nach ein paar Schritten stehen.
»Meinetwegen kannst du nachzählen!«, zischte jemand.
»Okay«, kam die Antwort. »Her mit dem Ding!«
Ich presste die Lippen zusammen. Die beiden Männer waren nur knapp zehn Yard vor mir, und sie schienen gerade ein Geschäft abzuschließen. Ein illegales Geschäft, soviel stand fest.
Ich tastete nach dem 38er Smith & Wesson Special in der Schulterhalfter. Ich wollte weitergehen –da passierte es!
Grellweiß schoss eine Stichflamme empor!
***
Wie Donnerrollen zerfetzte der Krach der Explosion die nächtliche Stille.
Ein Feuerball schien auf mich zuzurasen, ein einzelner abgehackter Schrei gellte auf.
Ich wollte mich zu Boden werfen. Im gleichen Moment fegte mich die Druckwelle von den Füßen, und dann hing ich halb in der verdammten Hecke, riss schützend die Arme über den Kopf und biss die Zähne zusammen, während ein Hagel von Splittern, Staub und Steinen auf mich herunterprasselte.
Die Stille, die der Explosion folgte, war dicht und unheimlich.
Langsam hob ich den Kopf.
Eine rötliche Staubwolke hing in der Luft. Jenseits der Hecke verglühte etwas und wurde von der Dunkelheit verschluckt.
Ich rappelte mich auf. Hastig zerrte ich meinen Ärmel los, der in den Dornen hängen geblieben war, und stolperte über den schmalen Weg.
Phil und ich erreichten das von Hecken umgebene Rondell gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen.
Wir brauchten nur einen einzigen Blick. Schweigend, mit trockener Kehle wandte ich mich ab, lief den Weg zurück, den ich gekommen war, und schloss mit fliegenden Fingern den Jaguar auf.
Über Funk rief ich die Zentrale und wurde an den Bereitschaftsführer durchgestellt.
»Dillaggio«, meldete er sich. »Hallo, Jerry, was gibt’s denn?«
»Sprengstoffanschlag im Central Park, Shakespeare Garden. Zwei Tote. Jedenfalls soweit ich es beurteilen kann.«
»Okay. Wir kommen.«
Ich hakte das Mikro zurück in die Halterung und rieb mir mit dem Handrücken über die Augen. Aber ich sah immer noch das Bild des Grauens vor mir.
Ich ging zur Explosionsstelle zurück.
Phil kniete neben einem der beiden Männer, neben diesem zerfetzten, blutüberströmten Körper, der einmal ein Mensch gewesen war. Mein Freund hob den Kopf, als er meine Schritte hörte. Er war weiß wie ein Blatt Papier, und die Kiefermuskeln traten deutlich unter der Haut hervor.
»Das Gesicht ist relativ unverletzt«, sagte er rau. »Benjamin Cresto.«
»Benjy Cresto?” Wir kannten sein Foto aus den Akten. »Bardolinis Killer?«
Phil nickte und wies auf Crestos linken Fuß. »Er hat Farbe am Schuh. Dunkelgrün. Muss er reingetreten sein.«
Mit dem Kopf wies er zu dem zweiten Toten.
»Vermutlich nicht zu identifizieren«, sagte er, und dabei lief es wie ein Krampf über seine Schultern.
Nach einem kurzen Blick musste ich ihm recht geben.
Benjy Cresto. Der hagere Killer mit dem Rattengesicht. Wenn er hier aufgetaucht war, dann bestimmt nicht aus eigenem Antrieb, sondern im Auftrag seines Chefs.
Jake Bardolini stand schon lange ganz oben auf unserer Wunschliste, obwohl Phil und ich ihn noch nie persönlich begegnet waren. Er gehörte zu den großen Bossen, gegen die es nie den Schimmer eines Beweises gibt. Vor zehn Jahren hatte er seine zweifelhafte Karriere begonnen, als Mitglied eines verbrecherischen Trios, das damals unter dem Namen »die Drillinge« berüchtigt war. Jake Bardolini, Marcus Pratt und Harvey Stew. Inzwischen hatten sie sich längst getrennt und waren ihre eigenen Wege gegangen. Stew hatte seine illegal erworbenen Dollars in eine Kunststoff-Fabrik investiert, machte nur noch legale Geschäfte und war zum Familienvater avanciert. Marcus Pratt hatte einen weit verzweigten Rauschgiftring aufgebaut. Jake Bardolini betrieb ein Rackett, das auf die Erpressung von Großgaragen und Reparaturwerkstätten spezialisiert war.
Unserer Meinung nach gehörten sie alle drei hinter die Mauern von Sing-Sing. Aber sie waren clever, gerissen, unangreifbar. Sie waren noch jedes Mal durch die Maschen geschlüpft und …
Das Motorengeräusch eines ganzen Wagenkonvois unterbrach meine Gedanken. Ich kniff die Augen zusammen, spähte in Richtung Traverse Road 2, wo Scheinwerfer durch die Nacht schnitten. Unsere Kollegen kamen ohne Rotlicht und Sirenen – da sie ohnehin nichts mehr retten konnten, bestand kein Grund, ihre Mitbürger im Schlaf zu stören. Phil ging ihnen entgegen, wies ihnen die Richtung, und fünf Minuten später sah es in dem stillen Winkel des Shakespeare Gardens aus, als würde dort ein Film gedreht.
Ich hatte mich mit Steve Dillaggio hinter einen der starken Standscheinwerfer zurückgezogen und schilderte ihm kurz, was ich wusste. Er sog scharf die Luft durch die Zähne, als der Name Jake Bardolini fiel. Für ein paar Sekunden starrte er schweigend zu Benjy Crestos Leiche hinüber, dann atmete er tief und fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das blonde Haar, das so wenig zu seinem italienischen Namen passt.
»Wer ein derartiges Blutbad anrichtet, muss einen Grund dafür haben«, sagte er. »Einen verdammt triftigen Grund, wenn du mich fragst.«
Damit hatte er zweifellos recht. Im Augenblick konnten wir nur warten. Der Polizeifotograf – ein rothaariger Bursche, dessen Namen ich vergessen hatte – machte seine Aufnahmen. Al Baldwin, unser Chef-Feuerwerker, packte irgendwelche Geräte aus, und der dicke Sam Steinberg von der Spurensicherung stand im Hintergrund und ließ den Blick über den Boden schweifen wie ein Fährtensucher.
Da fiel mir ein, dass ich Harry Easton informieren musste. Vermutlich bildete die Explosion, die das Leben der beiden Männer ausgelöscht hatte, auch den Schlüssel zu der Ermordung von Samantha Ryan.
Ich ging noch einmal zu meinem Jaguar, schnappte mir das Mikro, und nach einigem Hin und Her bekam ich die Verbindung zu Lieutenant Easton.
Er schwieg einen Moment, nachdem er meinen Bericht gehört hatte.
»Benjy Cresto«, wiederholte er nachdenklich. »Hören Sie, Jerry, zeitlich wäre es doch ohne Weiteres drin, dass er erst die Frau erschossen und sich dann zu dem Treffpunkt begeben hat, oder?«
»Zeitlich könnte er beides getan und zwischendurch noch sonst was unternommen haben. Wieso?«
»Weil wir Fußabdrücke auf dem gegenüberliegenden Dach gefunden haben. Spuren, die auf einen kleinen, leichtgewichtigen Mann schließen lassen. Der Killer ist auf seinem Fluchtweg offenbar über einen Topf mit Farbe gestolpert und …«
»Farbe? Dunkelgrün?«
»Ja, genau.«
»Dann stimmt es«, sagte ich. »Schuhgröße 40, Sohle mit Riffelmuster, nicht wahr?«
»Genau«, wiederholte Easton. »Habt ihr schon eine Ahnung, wer das zweite Opfer ist?«
»Noch nicht. Und es dürfte auch schwer sein, den Mann zu identifizieren. Ich informiere Sie, sobald es etwas Neues gibt.«
Wir verabschiedeten uns, ich ging – zum wievielten Mal eigentlich – über den Weg mit den Weißdornhecken zurück. Immer noch rissen die Standscheinwerfer eine gleißend helle Insel aus der Dunkelheit.
Phil kam mir ein paar Schritte entgegen, und seinem Gesicht sah ich an, dass er eine Überraschung auf Lager hatte.
»Was meinst du?«, fragte er. »Wie viele Gangster gibt es in New York, auf deren linken Unterarm ein Buddha tätowiert ist?«
Ich runzelte die Stirn. »Einen. Dale Jellico.«
»Eben. Und die Tätowierung hat Doc Reiser gerade entdeckt.«
»Der zweite Mann?«
»Ja.«
Wir schwiegen. Und ich wusste, dass wir in diesem Moment beide das Gleiche dachten.
Dale Jellico war berüchtigt als professioneller Nachrichtenhändler, als Erpresser, als Mann, der über alles und jedes Bescheid wusste. Jellico verkaufte Informationen oder ließ sich für das Verschweigen von Informationen bezahlen, je nachdem. Und wenn man den kurzen Dialog in Betracht zog, den ich belauscht hatte …
»Bardolini wurde von Jellico erpresst«, sagte ich überzeugt. »Und die ganze Art dieses Anschlags spricht dafür, dass Jellico das Belastungsmaterial bei sich hatte.«
»Höllisch brisantes Material«, stimmte Phil zu. »So heiß, dass Bardolini seinen Starkiller geopfert hat, um sicherzugehen, dass niemand, nicht einmal seine eigenen Leute, das Zeug zu Gesicht bekommen.«
Ich nickte. »Vielleicht finden wir noch etwas.«
»Glaubst du das im Ernst?«