Jerry Cotton Sonder-Edition 105 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 105 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Er spürte keinen Schmerz. Es war nur ein dumpfer Schlag, der seinen Nacken traf.
Mack Sanford, einer der Unantastbaren von Manhattan-Westside, hörte auf zu existieren. Von einem Atemzug zum anderen.
Sekunden später klatschte seine Leiche in die Upper Bay. Das schäumende Kielwasser der Fähre färbte sich für einen Moment rot, dann war auch das vorbei.
Für Phil und mich begann mit diesem Mordfall erst alles. Er war der Auftakt zu einem blutigen Gangsterkrieg, der die Westside von Manhattan in Angst und Schrecken versetzte ...

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Seitenzahl: 193

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Manhattan-Westside, Mitternacht

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Ijubaphoto/iStockphoto

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8050-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Manhattan-Westside, Mitternacht

Er spürte keinen Schmerz. Es war nur ein dumpfer Schlag, der seinen Nacken traf.

Mack Sanford, einer der Unantastbaren von Manhattan-Westside, hörte auf zu existieren. Von einem Atemzug zum anderen.

Sekunden später klatschte seine Leiche in die Upper Bay. Das schäumende Kielwasser der Fähre färbte sich für einen Moment rot, dann war auch das vorbei.

Für Phil und mich begann mit diesem Mordfall erst alles. Er war der Auftakt zu einem blutigen Gangsterkrieg, der die Westside von Manhattan in Angst und Schrecken versetzte …

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.

Nebelschwaden hingen über dem rissigen Asphalt. Gelber Lichtschein fiel in scharfkantigen Strahlen aus den Eingängen der Nachtclubs, um sich mit den grellen Farben der Neonreklamen zu vermischen.

Abraham Creston hockte vornübergebeugt auf dem Beifahrersitz. Sein Atem, mit Alkoholdunst angereichert, schlug gegen die Windschutzscheibe.

Crestons Nebenmann schaltete in den zweiten Gang herunter und folgte dem Fahrzeugstrom, der sich im Schneckentempo durch die enge Straße schob. Der Junge im Fond hing mit den Unterarmen auf den Rückenlehnen der Vordersitze.

Bremslichter flammten grellrot auf. Weiße Qualmwolken quollen aus den Auspuffrohren, wenn schwere Limousinen anfuhren, bremsten und erneut anfuhren.

Die Blicke der drei jungen Männer hingen an der Bordsteinkante. »Hochbetrieb«, sagte er Fahrer grinsend. »Den Umsatz möchte ich haben, den die Mädels nur in einer Nacht machen.«

»Red kein Blech«, erwiderte Abe Creston. »Du willst nicht den Umsatz, sondern eine von den Puppen!«

Die drei stimmten ein brüllendes Gelächter an.

»He! Seht euch das an!« Der Zeigefinger des Jungen im Fond schoss plötzlich nach vorn. »Mann! Die Kleine ist doch einsame Klasse, oder?«

Sie starrten hin, verlangsamten das Tempo.

Abe Creston glaubte, seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Die weißen Stiefel bis zum Knie, Minirock, Pelzjacke … doch das war Nebensache. Dieses Gesicht! Es traf Abe Creston so hart, dass der Alkoholschleier wie von einer Sturmbö zerfetzt aus seinen Sinnen verschwand.

»Halt an!«, brüllte er. »Halt an, Jimmy. Zum Teufel, halt an! Das ist Donna, verstehst du? Donna!«

Die beiden anderen schüttelten verständnislos den Kopf.

»Du spinnst, Abe«, murmelte der Fahrer.

»Ich will raus!«, heulte Creston. Seine Rechte zuckte zur Tür. »Halt endlich an, oder ich …«

Der Junge im Fond packte ihn bei den Schultern. »Sei vernünftig, Abe. Du hast einen zu viel getrunken. Wir bringen dich jetzt schleunigst nach Haus. Da bist du am besten aufgehoben.«

Der Wagen schob sich aus dem schleichenden Konvoi und beschleunigte.

Abe Creston fiel zurück in den Sitz. Sein Körper bebte.

»Immer das Gleiche mit ihm«, meinte Jimmy, der Fahrer. »Wenn er seine Schnapsgrenze erreicht hat, dreht er durch.«

»Möchte bloß wissen, wie er auf Donna kommt«, sagte der Junge im Fond. »Donna Lincoln in dieser Gegend! So ’n Blödsinn!«

***

Mack Sanford schnippte den Zigarrenstummel in die feuchte Morgenluft. Der erkaltete Tabakrest landete zwischen schmutziggrauen Schottersteinen.

Sanfords Gesicht war ohne Ausdruck. Nur die kleinen blassblauen Augen hinter den runden Brillengläsern schienen zu leben. Er hatte einen kugelförmigen Bauch, der sich unter dem offenen Sommermantel präsentierte.

Der mit losem Schotter befestigte Parkplatz war leer bis auf den schwarzen Buick, mit dem Sanford gekommen war. Zu beiden Seiten reckten sich die kahlen Wände der benachbarten Häuser in den dunstigen Morgenhimmel. Es herrschte ein undefinierbares Zwielicht, weil die gerade aufgehende Sonne noch nicht genügend Kraft hatte, den Smog über Manhattan vollends zu durchdringen.

Sanford lehnte am vorderen Kotflügel des Buick. Fröstelnd knöpfte er sich den Mantel zu. Er war müde und brauchte dringend Schlaf.

Sheldon und Mills kamen mit zehn Minuten Verspätung. Ihr Pontiac kam einen Yard neben Sanfords Buick schaukelnd zum Stehen.

»Ihr seid unpünktlich«, stellte Mack Sanford fest, ohne seinen Ärger zu zeigen.

Die beiden Gangster kamen auf ihn zu. Ihr Grinsen war herausfordernd. Sie hatten getrunken. Mack Sanford sah es sofort.

»Reißt euch zusammen!«, knurrte er. »Wenn der Boss erfährt, dass ihr besoffen hier aufkreuzt, seid ihr geliefert.«

Mills klopfte ihm lachend auf die Schulter. »Werd nicht größenwahnsinnig, Opa! Der Boss wird es garantiert nicht erfahren. Oder sollte ich mich täuschen? Was meinst du?« Mills starrte dem rundlichen kleinen Mann lauernd in die Brillengläser.

»Außerdem machen wir unsere Sache gut«, grunzte Sheldon, »da gibt es nichts zu meckern.«

Mack Sanford sagte nichts. Er wusste, dass er keine Macht mehr hatte. Er war ein Überbleibsel, von den neuen Bossen des Syndikats zum Handlanger degradiert. Wortlos holte er den schwarzen Aktenkoffer mit der Kassette aus dem Wagen. Er legte den Koffer auf die Motorhaube und nahm die Kassette heraus, gab sie Mills in die schaufelförmigen Hände.

»Donnerwetter«, staunte der Gangster. Er wog den Metallbehälter prüfend. »Heute haben die Puppen wohl besonders fleißig gebumst, was?«

Sanford nickte flüchtig. »Ich fahre nach Hause. Der Boss weiß Bescheid.«

Ohne sich weiter um Sheldon und Mills zu kümmern, kletterte er in seinen Buick. Die Summe hatte er schon telefonisch durchgegeben. Sheldon und Mills wussten, dass sie ihr Testament machen konnten, wenn sie auch nur einen Cent aus der Kassette nahmen.

Kurz darauf gondelte Sanford durch Manhattan Downtown. Trotz seiner Müdigkeit kannte er keine Eile. Es war gerade fünf Uhr. Er genoss es jeden Morgen um diese Zeit, New York so zu erleben, wie es nur ein winziger Bruchteil der Leute kannte, die in der Riesenstadt am Hudson wohnten.

Die Fahrzeuge der Stadtreinigung ließen ihre Bürsten über den Asphalt rotieren. Müde Arbeiter, die von der Nachtschicht kamen, schlurften aus den Subways. In vereinzelten Patrol Cars fuhren Cops mit mürrischen Gesichtern die letzte Streife ihres Nachtdienstes. Von der Upper Bay kamen kreischend Möwen herüber, um ungeniert in den überquellenden Mülltonnen herumzupicken.

Mack Sanford liebte diese Szenerie. Der Tagesanfang, für Millionen von Menschen unaufhaltsam, war für ihn das Ende. Das Ende einer Nacht zwischen Barhockern, gedämpftem Rotlicht, Zuhältervisagen und grellem Nutten-Make-up.

Er freute sich auf die halbe Stunde, die noch vor ihm lag, bis er seine kleine Wohnung in Woodbridge verdunkeln und in die Bettfedern kriechen würde.

Über den Broadway und die Whitehall Street rollte er zum Anleger der Fähren am Südzipfel Manhattans. Der erste Fährdampfer nach Staten Island legte pünktlich um Viertel nach fünf ab.

Sanford verließ seinen Buick im Bauch des Schiffes, um sich die frische Seebrise an Deck um die Ohren wehen zu lassen. Er schlug den Mantelkragen hoch und schlenderte an der Reling entlang zum Achterdeck. Die blankgescheuerten Decksplanken glänzten vor Feuchtigkeit.

Nur eine Handvoll Passagiere war an Bord. Voll wurde die Fähre erst auf dem Rückweg von Staten Island nach Manhattan, wenn Beamte und Angestellte in geballtem Einsatz zum Dienstbeginn fuhren.

Mack Sanford betrachtete gedankenverloren die breite Spur der schäumenden Hecksee, die der Fährdampfer in den trübgrauen Wassermassen der Upper Bay zurückließ. Er war glücklich darüber, dass er nicht in New York lebte, sondern in der kleinen Schlafstadt Woodbridge im angrenzenden New Jersey. Dort fand Mack Sanford die Ruhe, die er tagsüber brauchte, um die nervenaufreibenden Nächte durchzustehen.

Er spürte keinen Schmerz. Es war nur ein dumpfer Schlag, der seinen Nacken traf. Dann war sein Bewusstsein ausgelöscht. Mack Sanford konnte nichts mehr empfinden. Weder Schmerz noch Angst, geschweige denn die Furcht vor dem Tod. Von einem Atemzug zum anderen hörte Mack Sanford auf zu existieren.

Sein Killer drückte noch ein zweites Mal ab. Die Kugel zerschmetterte dicht über der ersten den Hinterkopf des kleinen Mannes, der als Gangster keine Karriere gemacht hatte.

Bevor der tote Mack Sanford auf die Decksplanken sinken konnte, sprang der Killer aus dem Schatten der Aufbauten. Er packte die Leiche und rollte sie über die Reling. Das von der Schraube aufgewühlte Wasser färbte sich für einen Augenblick blutig rot.

Niemandem fiel in Staten Island auf, dass es nicht Mack Sanford war, der mit dem schwarzen Buick an Land rollte.

***

Phil und ich mussten unseren Lunch in der FBI-Kantine vorzeitig abbrechen. Die Rufanlage, die einen auch im entfernfesten Winkel des Distriktgebäudes aufspürt, beorderte uns unmissverständlich zum Chef.

Wir würgten unsere Hamburger hinunter, kippten den Inhalt des Pappbechers hinterher und eilten zum Fahrstuhl.

Dann stürmten wir Mr. Highs Büro, vorbei an Helen, seiner Sekretärin, die uns freundlich lächelnd begrüßte.

»Tut mir leid, wenn ich Ihre Lunch-Pause stören musste«, erklärte der Chef knapp, »die Mordkommission Richmond hat angerufen. Wir sind zuständig.«

»Wo?«, erkundigte ich mich.

»Sie haben die Leiche aus der Upper Bay gefischt, kurz vor Staten Island. Ein alter Bekannter übrigens. Mack Sanford.«

Phil und ich stießen fast gleichzeitig einen überraschten Pfiff aus.

»Fahren Sie gleich los«, ordnete John D. High an, »alles Weitere erfahren Sie an Ort und Stelle. Lieutenant Andrews ist bereits mit dem Polizeikreuzer unterwegs. Er nimmt Sie am Pier 97 an Bord.«

Wir waren schon draußen. Im Hof der Fahrbereitschaft zwängten wir uns in meinen Jaguar. Ich ließ die Pferdestärken unter der Haube des roten Flitzers spielen. Rotlicht und Sirene verschafften uns Platz. Wir steuerten die 57th Street an und jagten dann auf geradem Weg zu den Piers am North River.

»Mack Sanford«, murmelte mein Freund und Kollege vor sich hin.

»Willst du damit etwas Bestimmtes sagen?«, fragte ich der Form halber.

»Ich mache mir Gedanken.«

»Wow, das kommt selten genug vor!«

Ich erntete einen bösen Blick und grinste.

»Er gehörte zur alten Garde«, fuhr Phil unbeirrt fort. »Eigentlich war er in Gangsterkreisen unantastbar. Außerdem kann ich mir nicht denken, weshalb jemand Interesse daran gehabt haben sollte, ihn umzubringen.«

»Er war ein unbedeutendes Licht«, meinte ich, »aber gerade deswegen: Wenn ein stadtbekannter Gangster umgelegt wird, von dem jeder weiß, dass er für Pete Marchonis Syndikat arbeitet, dann könnte es einen plausiblen Grund dafür geben.«

»Nämlich?«

»Konkurrenzkampf. Jemand wollte Marchoni eins auswischen. Oder ihn nur ärgern. Sanford war dafür ein geeignetes Objekt.«

Wir mussten unsere ersten Überlegungen beenden, denn wir erreichten Pier 97, wo die Schiffe der Swedish American Anchor Line abgefertigt werden. An der Kaimauer lag ein Schwergutfrachter, dessen wuchtiges Ladegeschirr aus dem schwarzgestrichenen Rumpf emporragte.

Ich fegte mit dem Jaguar zwischen Eisenbahnwaggons, Portalkränen und aufgestapelten Seekisten hindurch. Die Stauer und Kranführer legten eine Arbeitspause ein. Einen Jaguar E-Type sieht man selbst in New York nicht alle Tage, noch dazu einen mit Rotlicht.

Vor dem Schwergutfrachter hatte am Ende des Piers der Polizeikreuzer »Talkowsky« festgemacht. Wegen des niedrigen Wasserstandes ragten die Aufbauten des schnittigen Schnellbootes gerade bis an die Oberkante der Kaimauer.

Ich trat auf die Bremse. Wir sprangen ins Freie, verriegelten die Türen und begannen den Abstieg über eine senkrechte Stahlleiter, die in die Kaimauer eingelassen war.

Lieutenant Andrews, der Kommandant des Bootes, empfing uns an Bord. Einer seiner Beamten machte die Leine los. Noch während wir in den Kommandostand kletterten, legte der Polizeikreuzer ab und beschleunigte mit der Vehemenz eines rassigen Sportwagens. Wir mussten uns festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

»Erzählen Sie«, forderte ich den Lieutenant auf. »Wir wissen nur, dass man Mack Sanford aus der Upper Bay gefischt hat.«

»Dann wissen Sie mehr als ich, Mister Cotton«, lächelte Andrews. »Ich habe lediglich den Auftrag, den Kollegen vom FBI eine Wasserleiche zu präsentieren.«

»Wir kennen auch angenehmere Aufgaben«, kommentierte Phil verständnisvoll.

Mit heulender Sirene rauschte der Polizeikreuzer den Hudson hinunter, vorbei an der endlosen Kette der Piers und Hafenbecken, vorbei an gigantischen Seeschiffen, die nach großer Fahrt New York erreicht hatten und von bulligen Tug Boats an ihren Liegeplatz manövriert wurden.

Unser Boot gehörte der Hafenpolizei, einer Unterabteilung der New Yorker City Police. Der Polizeikreuzer war nach dem Patrolman Talkowsky benannt worden, der bei einem Feuergefecht mit Gangstern sein Leben gelassen hatte. Zwei Motoren mit je 250 Pferdestärken sorgten für eine enorme Schubkraft. Die moderne Radaranlage machte den Polizeikreuzer selbst bei dichtestem Nebel einsatzfähig.

Bis zur Upper Bay brauchten wir nicht mehr als eine Viertelstunde. Die Stelle, an der Mack Sanford aus dem Wasser gefischt worden war, konnte man nicht übersehen. Die Taucher der Coast Guard hatten von einem flachen Ponton aus gearbeitet, der am Schlepp eines olivgrünen Motorbootes hing. Das Boot lag mitsamt Ponton vor Anker und hatte grellrote Warnflaggen gesetzt. Am Ponton hatte ein zweites Boot festgemacht, das ebenfalls zur Coast Guard gehörte.

Der Polizeikreuzer ging längsseits. Die Sirene erstarb in einem lang gezogenen Jaulen.

Phil und ich sprangen auf die raue Oberfläche des Pontons. Das Ding war etwa fünf mal fünf Yard groß. Wir brauchten unsere Augen nicht anzustrengen, um den leblosen Körper zu entdecken, um den herum sich eine Wasserlache ausgebreitet hatte. Die Spurensicherungsexperten der Mordkommission waren an der Arbeit. Viel gab es für sie allerdings nicht zu tun. Die Hauptarbeit hatte der Fotograf.

Ein breitschultriger Hüne mit kurzem Stoppelhaar kam auf uns zu. Sein Gesicht hatte harte Kerben. »Lieutenant Brenham«, stellte er sich vor, »Mordkommission Richmond. Freut mich, dass Sie so schnell gekommen sind, Gentlemen.«

Wir nannten unsere Namen. Mit Brenham hatten wir bisher noch nichts zu tun gehabt, bestenfalls mit einem seiner Vorgänger. Die letzten Mordfälle in Richmond lagen lange zurück.

»Dies ist also ein FBI-Fall«, meinte ich.

Der Lieutenant verstand es so, wie ich es gemeint hatte: als Frage.

»Mack Sanford wohnt in Woodbridge, Bundesstaat New Jersey«, sagte er. »Allein deshalb schon. Ich habe bei den Kollegen in Manhattan nachgefragt und erfahren, dass er für ein Syndikat gearbeitet hat. Daher besteht der Verdacht auf Bandenverbrechen.«

»Wir kommen nicht drum herum«, seufzte Phil. »Wie haben Sie die Leiche gefunden, Lieutenant?«

»Ein irrer Zufall«, antwortete der Lieutenant. »Es klingt wie aus einer Räuberpistole. Wir haben einen Zeugen, der uns haarklein geschildert hat, wann und wo dieser Sanford ermordet wurde.«

Wir sahen ihn verblüfft an. »Killer haben normalerweise etwas gegen Zeugen«, meinte ich.

»Wenn sie von deren Existenz wissen«, murmelte Brenham. »Ich will es kurz machen: Ein Angler hat den Vorfall beobachtet, drüben von Bayonne aus.« Der Lieutenant deutete mit dem Zeigefinger an unseren Köpfen vorbei.

Wir drehten uns um und sahen die Silhouette des Vorortes von Jersey City, der auf der Halbinsel nördlich von Staten Island liegt.

»Es ist heute in den frühen Morgenstunden passiert«, fuhr Brenham fort, »vermutlich gegen fünf Uhr dreißig. Unser Petri-Jünger hatte gewohnheitsgemäß seine Angeln aufgebaut und wartete auf anbeißende Fische. Um sich die Zeit zu vertreiben, beobachtete er die Upper Bay mit dem Fernglas. Wie er uns sagte, macht er das immer so, denn es gibt ja genug zu sehen. Die ein- und auslaufenden Schiffe, Sie wissen schon … Nun, unser Zeuge bekam also die erste Fähre von Manhattan nach Staten Island in die Optik und sah, wie am Heck ein Mann einen anderen über Bord warf. Genaueres konnte er nicht erkennen, weil es relativ dunstig war. Zum Glück hat der Angler geschaltet und sofort die Polizei angerufen.«

»Wo ist der Zeuge jetzt?«, fragte ich.

»Sie können mit ihm sprechen«, erwiderte Brenham, »er ist noch auf unserer Dienststelle, um seine Aussage zu Protokoll zu geben.«

»In Ordnung. Fahren wir.«

Lieutenant Brenham fuhr mit uns auf dem Polizeikreuzer. Seine Beamten hatten ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen. Sie würden mit dem Boot der Coast Guard nachkommen.

***

Das Dienstgebäude der City Police in Richmond befindet sich an der Bay Street, eine knappe Meile vom Anleger der Manhattan-Fähren entfernt.

Zwei Patrol Cars warteten, als wir an Land gingen, daneben stand das kastenförmige Einsatzfahrzeug der Mordkommission. Wir benutzten einen der Streifenwagen, um zum Revier zu gelangen.

Der Angler hieß Elmer Price. Er mochte etwa fünfzig Jahre alt sein und machte den typischen Eindruck eines pflichteifrigen Beamten, der in irgendeiner Verwaltungsdienststelle seine Stunden absaß. Er hatte vor Aufregung knallrote Ohren.

Das Vernehmungszimmer der Mordabteilung von Richmond war kahl und schmucklos. Phil und ich zogen uns Stühle heran, nachdem wir unsere Dienstausweise präsentiert hatten.

»Sie haben heute Morgen eine wichtige Beobachtung gemacht«, eröffnete ich die Befragung. »Vermutlich können Sie uns durch Ihre Aussage wertvolle Dienste leisten, Mister Price.«

»Ja … ja, Sir«, bestätigte Price eifrig. »Wie üblich hatte ich mein Fernglas bei mir. Ich beobachte den Schiffsverkehr, wissen Sie. Das mache ich schon seit ein paar Jahren, und ich kenne so ziemlich jeden Dampfer, der New York anläuft und wieder verlässt. Heute Morgen zwischen fünf und halb sechs war aber auf der Upper Bay noch nicht viel los. Ich bekam die Fähre ins Glas und stellte noch fest, dass kaum Leute an Bord waren. Plötzlich sah ich den Mann, der am Heck des Schiffes an der Reling stand. Ich wollte das Glas schon wieder absetzen, als im nächsten Moment ein zweiter Mann auftauchte und den anderen über Bord stieß. Der arme Kerl ging sofort unter. Sein Mörder, wie ich ja inzwischen weiß, stand noch einen Augenblick an der Reling. Dann verschwand er wieder.«

Ich hatte gespannt zugehört. »Konnten Sie erkennen, ob der Ermordete vorher zusammengesunken ist oder ob er erst von dem Mörder überwältigt wurde, als dieser plötzlich auftauchte?«

Price legte die Stirn in Falten. »Das kann ich nicht sagen, Sir. Beim besten Willen nicht. Es ging alles so furchtbar schnell. Außerdem war es etwas dunstig, und ich hatte die Fähre im Gegenlicht. Deshalb konnte ich die Männer praktisch nur als Umrisse erkennen.«

Lieutenant Brenham meldete sich zu Wort. »Diese Frage wird unser Doc beantworten können, denke ich. Wir konnten bereits feststellen, dass Sanford durch zwei Schüsse in den Hinterkopf getötet wurde, bevor ihn sein Mörder ins Wasser stieß. Der Doc wird feststellen, aus welcher Entfernung diese Schüsse abgegeben wurden.«

Phil wandte sich an Elmer Price. »Konnten Sie erkennen, wie der Killer aussah, was er anhatte, wie groß er war?«

Der Angler dachte krampfhaft nach, Dann schüttelte er bedauernd den Kopf. »Tut mir leid, Gentlemen. Ich könnte Ihnen bestenfalls sagen, dass der Mörder etwas größer war als sein Opfer. Aber beschwören würde ich das auch nicht. Es spielte sich einfach so schnell und so unverhofft ab. Sie müssen das verstehen. Es ist das erste Mal, dass ich in so eine Lage komme. Wenn ich noch einmal so etwas erleben sollte, weiß ich, worauf es ankommt.« Er ließ die Schultern hängen.

Ich beruhigte ihn. »Den wertvollsten Dienst haben Sie uns damit erwiesen, dass Sie sofort die Polizei alarmiert haben, Mister Price. Ohne Sie wäre dieses Verbrechen vielleicht erst nach Tagen oder Wochen überhaupt entdeckt worden.«

Wir fuhren mit dem Polizeikreuzer zurück zum Pier 97 am North River. Mein Jaguar brachte uns zum FBI-Distriktgebäude, wo Mr. High auf unseren ersten Bericht wartete.

Wir informierten den Chef über das Ergebnis unserer Dienstfahrt zu Wasser. Die Mordkommission Richmond würde ihre Untersuchungsergebnisse zusammenfassen, eine Akte anlegen und uns den Fall übergeben. Die Leiche sollte gleich zum Leichenschauhaus in Manhattan gebracht werden, wo auch die Obduktion stattfinden sollte.

Phil und ich hingen eine halbe Stunde lang am Telefon. Von den Kollegen der Kriminalabteilung in Jersey City bekamen wir die Adresse Sanfords in Woodbridge. Beim Federal Attorney beantragten wir vorsorglich einen Haussuchungsbeschluss. Wie wir erfuhren, hatte Mack Sanford keinen eigenen Wagen besessen. Es war daher sinnlos, nach einer Limousine zu forschen, mit der er möglicherweise auf die Fähre gerollt war. Nein, diese Spur half uns nicht weiter.

»Unterhalten wir uns mit der Crew des Fährdampfers«, schlug Phil vor.

»Das wäre ein Job für dich«, meinte ich. »Ich hole mir währenddessen den Haussuchungsbeschluss ab und nehme Sanfords Bleibe unter die Lupe.«

»Okay, okay«, seufzte Phil, »ich mache ja alles mit. Aber bilde dir nicht ein, dass ich dich nicht durchschaue! Dir kommt doch die Gelegenheit für eine Spazierfahrt nach Woodbridge wie gerufen.«

»Ein Jaguar braucht hin und wieder Bewegung«, lächelte ich. »Aber vorher möchte ich Old Neville einen Besuch abstatten.«

Gemeinsam gingen wir hinüber ins Archiv, wo Neville, der dienstälteste Beamte des New Yorker FBI, über Tonnen von Aktenmaterial und über einen superschlauen Computer wachte. Neville ist ein G-man vom alten Schrot und Korn und manchen berühmt-berüchtigten Gangster hinter Schloss und Riegel gebracht.

Obwohl sich Old Neville zwischen dem Aktenstaub mehr als unwohl fühlte, leistete er uns unschätzbare Dienste. Denn er verfügte über ein phänomenales Gedächtnis. Den Computer zog er nur zu Rate, wenn es wegen der Dienstvorschriften unbedingt sein musste.

»Erzähl uns was über Mack Sanford!«, forderte ich ihn ohne Einleitung auf.

Der Name ließ Neville aufhorchen. »Ich dachte, er wäre längst in der Versenkung verschwunden. Im Altersheim für pensionierte Gangster oder so.«

»Das mit der Versenkung stimmt«, sagte Phil trocken. »Sein Killer hat ihn heute Morgen in die Upper Bay fallen lassen.«

Neville starrte uns ungläubig an. »Mack Sanford ermordet? Ist das euer Ernst?«

»Wir machen keine Märchenstunde«, bestätigte ich und informierte Neville kurz über den Sachverhalt. »Wir wissen nur, dass Sanford zuletzt irgendwelche unbedeutenden Dienste für Pete Marchonis Syndikat erledigt hat«, fügte ich hinzu.

»Ich weiß«, sagte mein früherer Lehrmeister. »Bevor Marchoni die Macht übernommen hat, war Sanford noch eine Persönlichkeit in Gangsterkreisen. Aber das ist schon gut und gerne zehn Jahre her. Trotzdem konnte Marchoni vermutlich nicht ganz auf Sanfords Dienste verzichten.«

»Was waren das für Dienste?«, wollte Phil wissen.

Neville setzte ein verschmitztes Lächeln auf. »Mack Sanford hat von Anfang an in der Bordellbranche gearbeitet. Vermutlich ist er bis zum Schluss dabei geblieben. In seiner Glanzzeit hat er für seine Bosse das gesamte Racket in der Downtown geleitet. Aber diesen Job haben inzwischen Jüngere übernommen.«

»Kannst du dir erklären, weshalb sie ihn umgebracht haben?«, fragte Phil.

Neville schüttelte spontan den Kopf. »Entweder war es ein Irrtum, oder es steckt eine Riesenschweinerei dahinter. Ersteres ist ziemlich unwahrscheinlich. Also empfehle ich euch, auf Draht zu sein, bevor noch mehr passiert.«

»Also gut, wenn ihr unbedingt meine Meinung wissen wollt … für mich sieht es so aus, als ob sich die Bosse in die Wolle gekriegt haben und einen kleinen Privatkrieg anzetteln wollen.«

***

Abraham Creston erwachte nur nach und nach. Er spürte erst, dass er wach wurde, als er seine Umgebung erkannte. Das schlauchförmige Zimmer mit Spiegel, Waschbecken, Kommode, Schrank und grauen Gardinen vor trüben Fensterscheiben.

Creston sah, dass der Stuhl, auf dem sonst seine Klamotten hingen, leer war. Also hatte er sich nicht mehr ausziehen können, als er zu Bett gegangen war. Er blickte an sich hinunter und stellte fest, dass er tatsächlich vollständig bekleidet war. Zudem hatte er einen süßlichen Geschmack im Mund, wie immer, wenn er zu viel Alkohol getrunken hatte.

Er hatte Mühe, die verkrusteten Augen vollends zu öffnen.

Die Erinnerung kam wie ein Schock.

Mit einem Satz war er aus dem Bett, sprang ans Fenster und starrte hinaus auf den schmutzigen, erbärmlichen Hinterhof. Doch er sah weder die Mülltonnen, den Unrat und das Gerümpel noch die Kinder, die mittendrin Gangster und Polizist spielten.

Vor Abe Crestons Augen tauchte das Bild aus der vergangenen Nacht auf. Eine Vision, die sich nicht wegwischen ließ. Da war die schmale Straße mit den trüben Lichtern der Nachtlokale, die roten Bremslichter der Autos, die wallenden Nebelschwaden. Vor diesem Hintergrund erschien die Frau, die Frau …

»Donna«, murmelte Abraham Creston, »Donna …« Es steigerte sich zu einem verzweifelten Schrei. »Donna, mein Gott!« Seine Fäuste trommelten auf die Fensterbank. Die Adern an seinen Schläfen schwollen an.

Es dauerte nur Sekunden. Dann ließ Creston den Kopf ermattet an das kühle Glas des Fensters sinken. Seine Lippen bewegten sich, aber die Worte, die er flüsterte, waren nicht zu verstehen.

Plötzlich straffte sich sein Körper. Ruckartig drehte er sich um, starrte einen Augenblick auf die schäbige Einrichtung des Zimmers, um sich dann in fliegender Hast an die Arbeit zu machen.