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Tod im Frisco-Express
Ein Mörder und zwei Kidnapper im Frisco-Express!
Der Mörder mit dreihunderttausend Dollar, die beiden Kidnapper mit einem kleinen Jungen, der ihnen eine runde Million an Lösegeld einbringen sollte. Und alle drei von jener Sorte, die vor nichts zurückschreckt. Dazu der Express voller Menschen.
Phil und ich stiegen zu.
Es wurde eine Fahrt quer durch die Hölle ...
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Seitenzahl: 198
Veröffentlichungsjahr: 2019
Cover
Impressum
Tod im Frisco-Express
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: Tero Vesalainen/iStockphoto
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-8170-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Tod im Frisco-Express
Ein Mörder und zwei Kidnapper im Frisco-Express!
Der Mörder mit dreihunderttausend Dollar, die beiden Kidnapper mit einem kleinen Jungen, der ihnen eine runde Million an Lösegeld einbringen sollte. Und alle drei von jener Sorte, die vor nichts zurückschreckt. Dazu der Express voller Menschen.
Phil und ich stiegen zu.
Es wurde eine Fahrt quer durch die Hölle …
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
»Bis dann«, sagte Al Jillings und nickte Edgar freundlich zu.
Ed Brace nickte zurück. Es gab nichts mehr zu sagen, und Ed wollte nichts mehr hören nach der Spannung der letzten Tage.
Al Jillings nahm sein Jackett vom Bett und warf es sich lässig über die Schultern. Dabei fiel die Brieftasche heraus, die Papiere machten sich selbstständig, und ein länglicher gelber Streifen landete vor Eds Füßen.
Al bückte sich hastig, um die Papiere zusammenzuraffen, aber bei dem gelben Zettel kam Ed ihm zuvor. Er hob ihn auf und las die gedruckten Zahlen und Buchstaben.
Der gelbe Zettel war ein Eisenbahnticket nach San Francisco.
Überrascht blickte Ed auf und sah seinen Partner an. Mit Augen, aus denen plötzlich alle Freundlichkeit verschwunden war, die irgendwie seelenlos wirkten.
»Nur ein Ticket«, sagte Al.
Seine schmalen Lippen zuckten, dann fuhr seine Hand zur Schulterhalfter, die nur übergehängte Jacke fiel zu Boden, und schon wies die schwarze Mündung eines kurzläufigen Colt-Revolvers auf Eds Kopf.
»Nur ich«, fügte Jillings noch hinzu, und es klang fast bedauernd.
Dumpf drückte die Stille des kleinen schäbigen Hotelzimmers auf Eds Ohren. Warum?, dachte er hilflos. Wofür all die Schufterei? Alles umsonst! Der Zorn drohte ihn zu überwältigen, als Al die Hand ausstreckte und ihm das Ticket fast sanft aus den Fingern nahm.
»Du hast es gelesen, wie?«, fragte Al. »Schade, wir haben so schön zusammengearbeitet. Aber du musst verstehen, Alter. Du säufst zu viel, und auch so …« Jillings grinste unvermittelt. »Ich wette, damit hast du nicht gerechnet, wie?«
Ed Brace schüttelte langsam den Kopf. »Es ist doch genug für uns beide … Ich verstehe dich nicht.« Eds Hals fühlte sich trocken an. Er spürte jetzt, dass er seit vier Tagen keinen Tropfen Brandy mehr getrunken hatte, und er spürte, dass sein Körper endlich wieder Alkohol brauchte.
Er starrte auf den Revolver, dessen Lauf nicht zitterte.
Ja, Al war eiskalt. Eds Finger hätten gezittert, das wusste er.
Aber Ed wusste auch, dass er jetzt nicht sterben wollte.
Al Jillings trat vorsichtig einen Schritt zurück, ohne Ed aus den Augen zu lassen. Das trübe Licht der nackten Birne an der Decke ließ Eds Gesicht grau und krank erscheinen.
Jillings zog das Kopfkissen vom Bett und legte es über seinen rechten Arm. Er drückte das Polster sorgsam über die Waffe und verdeckte auch die schwarze Mündung mit dem Kissen. Auf diese Weise würde der Schuss leiser klingen als ein zu Boden fallender Bleistift.
Schleier lagen über Eds Augen, und er zitterte am ganzen Körper. Doch plötzlich sah er wieder klar, sah, dass Al das Kissen noch einmal von der Waffe nahm, um den Hahn des Revolvers mit dem Daumen zu spannen, damit der Stoff den Hammer nicht behindern konnte.
Eds Körper spannte sich unvermittelt, und irgendein vergessener Reflex in seinem vom Alkohol zerfressenen Gehirn befahl seinen Beinen, den mageren Körper auf Jillings zu werfen.
Beinahe hätte er Jillings verfehlt, denn der drahtige Mann wich geschmeidig zur Seite. Nur hatte er mit dem Angriff nicht gerechnet, deshalb kam seine Reaktion zu langsam.
Eds knochige Schulter prallte gegen Jillings’ Brust und wirbelte ihn halb herum. Seine Kniekehlen stießen gegen die Bettkante, seine Beine knickten ein, und er fiel rücklings über das Bett.
Ed erkannte seine winzige Chance. Er warf sich auf Jillings. Die Federn knackten bedrohlich. Verzweifelt versuchte Ed, Al die Waffe aus der Hand zu winden. Er hielt den Lauf gepackt, drehte und zerrte aus Leibeskräften, während seine Linke nach der Kehle des Gegners schnappte und zudrückte.
Jillings bäumte sich auf, als er den Druck spürte. Seine Hände krampften sich in plötzlicher Panik zusammen, und mit aller Gewalt krümmte er den rechten Zeigefinger, als er sicher war, dass der Lauf in dem Durcheinander nicht auf ihn selbst gerichtet war.
Der Schusslaut wurde von den beiden Körpern gedämpft.
Mit einem Aufschrei ließ Ed den Lauf der Waffe fahren, gleichzeitig begriff er, dass er jetzt um sein Leben kämpfen musste – mehr noch als vorher.
Er richtete sich halb auf und knallte Al Jillings seine geballte Faust unters Kinn.
Normalerweise hätte Al dieser Schlag nicht allzu viel ausgemacht, er konnte eine Menge vertragen. Aber Ed war im Vorteil. Al lag auf dem Rücken und vermochte sich nur mühsam zu wehren.
Ed schlug abermals zu, noch mal und wieder. Mit der Kraft der Verzweiflung – und Al musste jeden dieser Schläge hinnehmen, alles einstecken.
Dann erwischte Ed plötzlich erneut den Revolver. Er riss erneut heftig am Lauf, und plötzlich hatte er die Waffe in der Hand. Reflexartig knallte er den Kolben gegen Als Stirn. Jillings verdrehte die Augen und wurde bewusstlos.
Ächzend taumelte Ed empor. Er spürte den Schmerz an der linken Seite, wo die Kugel an seinen Rippen entlanggeschrammt war. Und als er die Hand auf die Stelle legte, fühlte er das klebrige Blut an den Fingern. Ed warf den Revolver auf den Boden – auf den Gedanken, Al Jillings zu erschießen, kam er überhaupt nicht.
Al Jillings wälzte sich stöhnend auf dem Bett und schlug die Augen auf. Edgar Brace starrte seinen ehemaligen Partner an, wandte sich um, rannte aus dem Zimmer, floh die Stufen hinunter und tauchte in der Dunkelheit der finsteren Straße unter.
An das Geld in den beiden braunen Lederkoffern unter dem Bett dachte Ed nicht mehr. Er wollte leben und sonst nichts.
***
Der Schmerz an den Rippen war abgeklungen, aber der ohnmächtige Zorn und die Angst waren geblieben. Ed strich seit Stunden durch die finstersten Straßen Brooklyns. Seine Nerven verlangten dringend nach einem Schluck Brandy, aber er traute sich nicht in die Helligkeit einer Bar. Und außerdem – er lachte bitter auf bei dem Gedanken – hatte er nur noch zwei Nickel in der Tasche, gerade genug für ein Telefongespräch, nicht für einen Brandy.
Zwei Nickel – zehn Cent. In den beiden Ledertaschen, die unter Al Jillings’ Bett lagen, befanden sich über dreihunderttausend Dollar. Bei diesem Gedanken umnebelte sich Eds Gehirn.
Im Osten färbte sich der Himmel grau. Eine Uhr über dem Niedergang zur Subway zeigte drei Minuten vor fünf. Was mochte Al jetzt tun? Würde er den Zug um sieben Uhr neunzehn nach Frisco nehmen? Ed glaubte nicht daran. Al musste fürchten, einem wütenden und unberechenbaren ehemaligen Partner zu begegnen. Raffiniert ist der Junge, dachte Ed Brace mit einem Anflug von Bewunderung. Verschwindet mit der Beute per Bahn … Mit dem Flugzeug reist heute ja schon jeder lausige Taschendieb.
Ja, was mochte Al tun? Er war nicht vorbestraft, deshalb waren weder seine Fingerprints registriert, noch war sein Foto in den Akten irgendeiner Polizeibehörde zu finden.
Ed blickte sich um. Einige Männer gingen zu Fuß über die Straße; es waren die ersten Arbeiter, die den Docks zustrebten, und auch die ersten Autos rollten vorbei.
Für Ed war die Sache plötzlich sonnenklar. Al Jillings konnte sich seiner Beute nicht erfreuen, solange er, Ed, lebendig herumlief. Also saß Al Jillings ihm im Nacken. Auch daran gab es keinen Zweifel. Er kannte Al Jillings. Er hatte sich mit Sicherheit sofort aufgerafft, nachdem Ed aus dem Zimmer geflohen war. Denn wenn ein Säufer wie Ed Brace erst irgendwo in Brooklyn, in der Bronx oder in Manhattan untertauchte, konnte ihn selbst eine Armee von Cops nicht innerhalb einer vernünftigen Zeit finden.
Ed begann zu laufen. Er nahm einen leichten, gleichmäßigen Trab an, der jedoch sein Herz zum Hämmern und seine Lunge zum Keuchen brachte. Er sah sich nicht mehr um.
Nach einiger Zeit spürte er seine schmerzenden Muskeln nicht mehr, nicht mehr das qualvolle Pumpen seines Herzens. Sein Gehirn suchte nach einem Namen, der Hilfe versprach. Wie hieß noch der Cop, der ihn damals hopsgenommen hatte? Nein, das war kein Cop gewesen, sondern ein G-man!
Abrupt blieb Ed stehen. FBI! Wie durch ein Wunder präsentierte ihm das Gehirn den Namen – der Typ hieß Cotton und war gar nicht so übel!
In Eds Blickfeld befand sich eine Telefonzelle. Er stolperte darauf zu, riss die Tür auf und schlüpfte hinein. Während er sich mit einer Hand an der Wand abstützte, um die Schwäche in den Beinen auszugleichen, kramte er mit zitternden Fingern die beiden Nickel aus der Hosentasche und warf sie in den Schlitz des Automaten. Hastig suchte er die Nummer, die auf der inneren Umschlagseite eines jeden Telefonbuchs von New York steht, und wählte mühsam Ziffer für Ziffer.
»FBI District New York. Sie wünschen bitte?« Diese rauchige Frauenstimme klang ruhig, freundlich und vertrauenerweckend und festigte Eds Entschluss.
»Cotton«, keuchte er. »Schnell, bitte … Cotton …«
Es klickte in der Leitung, dann hatte er den G-man an der Strippe.
»Hier ist Edgar Brace. Sie erinnern sich nicht mehr an mich, bestimmt nicht …«
»Sie haben damals den Emerson-Tresor in Union City aufgemacht, richtig?«
»Ja!«, rief Ed begeistert und vergaß die Gefahr, die draußen lauerte.
Zwanzig Schritte von der Telefonzelle entfernt stand Al Jillings, die Hand mit dem Revolver unter der Jacke verborgen, und wartete auf seine Gelegenheit. Er presste die Lippen zusammen, als sich der unförmige Wagen der Müllabfuhr zwischen ihn und den schmächtigen Mann in der Zelle schob.
»Und ich habe auch den Tresor bei Warren’s auf der Lexington aufgemacht«, sagte Edgar Brace.
»Und ich hatte schon gedacht, Sie hätten’s aufgegeben, Ed«, kam es aus dem Hörer.
Ed seufzte. »Ich wollte auch nicht mehr, glauben Sie mir. Es sollte das letzte Mal sein. Ich wollte weg von hier …«
Der erste Schuss schnitt ihm das Wort ab. Ed riss die Augen auf, presste den Hörer an die Brust. Der zweite Schuss dröhnte, und langsam rutschte Ed an der Seitenwand zu Boden.
»Al Jillings«, krächzte er. »Er hat ein Ticket nach Frisco … sieben Uhr neunzehn …«
Ein dritter Schuss schlug in den kleinen Körper, eine Scheibe brach aus dem Rahmen und zersplitterte.
Dann verschwand der Mörder zwischen zwei Häusern, in jeder Hand trug er einen schmalen braunen Lederkoffer …
***
Ich war aufgesprungen.
»Ed!«, brüllte ich in den Hörer.
Ich hatte das Klirren der Scheibe gehört, vorher noch Eds Worte, aber jetzt war es still. Schon früher hatte ich auf einen Knopf gedrückt, der unsere Technische Abteilung in Aktion setzte, damit der Anruf zurückverfolgt wurde. Ich legte den Hörer nicht auf, um die Verbindung nicht zu trennen, zog stattdessen den Apparat meines Partners Phil Decker zu mir heran und rief Myrna in der Zentrale an.
»Verbinden Sie mich mit dem Revier, das den Einbruch bei Warren’s auf der unteren Lexington Avenue bearbeitet. Und dann schauen Sie bitte im Flugplan nach, ob und wo um sieben Uhr neunzehn eine Maschine nach Frisco startet. Und wenn Sie’s haben, bestellen Sie mir ein Ticket, okay?« Sicher ist sicher, dachte ich. Wenn es mir nicht gelang, diesen Jillings noch vor der Sperre zu identifizieren, musste ich wohl oder übel mitfliegen.
»Sofort, Jerry«, bestätigte Myrna. »Legen Sie auf, ich rufe zurück.«
Dafür, dass ich eine langweilige, ereignislose Nacht hinter mir hatte, entfaltete ich eine beachtliche Energie. Der Einbruch bei Warren’s, einem Kaufhaus auf der Lexington Avenue, ging uns vom FBI nichts an. Doch da einer der Haupttäter offenbar nach Frisco verschwinden wollte, wurden wir automatisch zuständig.
Ich wählte die Nummer des Archivs. Der alte Neville meldete sich. »Hallo, Neville!«, rief ich. »Such mir bitte die Akte Edgar Brace heraus …«
»Brace, der Tresorknacker?«, fragte Neville aufgeregt. »Ist er etwa wieder aktiv? Der Junge ist ein Genie, sag ich dir! Ich erinnere mich noch genau an sein erstes Ding. Er hat damals den Safe bei …«
»Ich weiß, Neville«, unterbrach ich hastig. »Ich brauche die Akte schnellstens! Und die von einem gewissen Al Jillings.«
Schweigen. Jetzt hafte ich ihn geschockt. Neville verfügt über das phänomenalste Gedächtnis, das sich ein Polizist nur wünschen kann. Er kennt sämtliche Gangster mit Lebenslauf, deren Akten nur einmal über seinen Schreibtisch gegangen waren. Und natürlich alle Größen der Unterwelt aus seiner eigenen aktiven Zeit, aber die liegt nun schon verdammt lange zurück, und die Stars jener Zeit sind mittlerweile auf natürliche Weise aus dem Rennen geschieden.
»Jillings?«, fragte Neville vorsichtig. »Aus unserem Bezirk?«
»Das weiß ich nicht«, gab ich zu. »Wenn er bei dir keine Akte hat, frag bitte bei unserer Zentrale und bei der City Police nach. Okay?«
Wenn irgendwo in den Staaten eine Akte über einen Mann namens Al Jillings existierte, würde Neville sie finden.
Der Hörer meines Telefons lag immer noch neben dem Apparat.
Phils Apparat schrillte nur einen Herzschlag, nachdem ich aufgelegt hatte. Ich hob wieder ab.
»Sie können Ihren Hörer wieder auflegen«, sagte Myrna. »Die Technische Abteilung hat den Anruf zurückverfolgt … Hier kommt eben eine Nachricht … Passanten haben bereits die City Police verständigt. Der Mann in der Zelle ist tot …«
»Wo ist es?«, fragte ich leise.
»Brooklyn, nahe York Street Station. Ich habe hier das vierunddreißigste Revier, Lieutenant Brooks. Aber Augenblick noch, Jerry. Um sieben Uhr neunzehn fliegt keine Maschine nach Frisco. Nicht vom Kennedy, nicht vom La Guardia, nicht von Newark. Weder sieben Uhr neunzehn morgens noch abends …«
Verdammt, dachte ich, umsonst.
»Ich suche gleich noch die Bus- und Bahnfahrpläne durch. Ich verbinde jetzt.«
»Morgen, Mister Cotton«, brummelte Detective Lieutenant Sam Brooks. »Was gibt’s? Es geht um den Warren-Bruch, soviel ich höre. Haben Sie den Fall geklärt?«
»Keineswegs, Lieutenant. Ich bekam einen Hinweis auf einen Mann namens Jillings. Und ich hatte einen Mann, der sich selbst der Tat bezichtigt hat …«
»Ein Irrer?«
»Ich weiß es nicht. Edgar Brace, sein letztes Ding liegt Jahre zurück. Inzwischen ist er zum Säufer geworden. Vielleicht wollte er billig überwintern oder auf Staatskosten vom Schnaps wegkommen, was weiß ich. Aber er wurde erschossen, während er mit mir telefoniert hat.«
»Das hört sich natürlich ganz anders an«, grummelte Brooks nachdenklich. »Wo finden wir diesen Jillings?«
»Er will um sieben Uhr neunzehn nach Frisco. Ich habe die Flugpläne schon nachsehen lassen. Keine Maschine um diese Zeit nach Frisco …«
»Maschine?«, brummelte Brooks. »Keine Maschine. Das ist der Frisco-Express ab Penn Central!«
Das darf doch nicht wahr sein!, dachte ich verblüfft. »Lieutenant, Sie sind großartig!«, rief ich. »Wenn Sie’s nicht schon wären, würde ich Ihnen glatt vorschlagen, Detektiv zu werden!«
Brooks lachte.
»Ich werde Ihren Mann schnappen!«, versprach ich dann und legte auf.
***
Der Frisco-Express spielte auch in den Überlegungen anderer Leute eine Rolle. Einer von ihnen war David Sheldon.
Sheldon steuerte seinen grauen Dodge von der US 46 in die stille Vorortstraße von Newark und ließ den Wagen am Straßenrand ausrollen. In der klaren Luft dieses Morgens war das Knirschen der Reifen sogar im Wagen zu hören.
Sheldon schaltete die Lichter aus, stellte den Motor ab und stieg aus. Fröstelnd rieb er die Hände und sah einmal kurz zu der Bushaltestelle auf der anderen Straßenseite hinüber. Er hatte Zeit, massig Zeit. Der Zug würde erst um sieben Uhr neunundvierzig in den Bahnhof von Newark rollen.
Sheldon setzte sich wieder in den Dodge und drückte die Taste am Radio. Der automatische Sendersuchlauf schnarrte leise und blieb dann auf der Welle von CBS stehen.
Der Sprecher verlas die ersten Morgennachrichten. Am Schluss wurde der Tod eines Mannes namens Edgar Brace erwähnt, der in einer Telefonzelle erschossen worden war. Sheldon hörte gleichmütig zu, den Namen kannte er nicht. Auch der Name Jillings hätte ihm nichts gesagt.
Der Mann in dem staubigen grauen Dodge konnte nicht ahnen, welche Bedeutung Al Jillings für Dave Sheldon noch erlangen sollte …
***
Der Apparat auf meinem Schreibtisch rasselte schon wieder, und erneut war es Myrna, deren rauchige Stimme mein Ohr erfreute.
»Jerry, ich hab’s!«, verkündete sie stolz. »Sie wären nie drauf gekommen! Um sieben Uhr neunzehn fährt …«
Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen! Also unterbrach ich sie. Wenig gentlemanlike, zugegeben.
»… der Frisco-Express ab Penn Central«, sagte ich mit neutraler Stimme.
Myrna schwieg verblüfft, dann fragte sie: »Woher …?«
»Ich bin eben G-man, Myrna. Trotzdem, besten Dank!« Ich dachte nach. Ein Mann namens Jillings. Ob der Name echt war? Bei Neville hatte es jedenfalls nicht geklingelt.
Ein Bote brachte eine Akte, es war nur eine, und auf dem Deckel stand der Name Edgar Brace. In New York hatten wir also nichts über Al Jillings.
Dieser Jillings … was war das für ein Typ? Plünderte den Tresor eines Kaufhauses, hielt ein paar Tage still, und statt sich dann wie die meisten seiner Sorte per Flugzeug zu verkrümeln, falls überhaupt, wählte er die Bahn. Er mied den Flughafen, auf dem es ständig von Ermittlern wimmelte, speziell ausgebildeten Beamten, die jeden Passagier mit den Augen »abklopfen«, jedes Gesicht in Gedanken mit den aktuellsten Fahndungsfotos vergleichen und mit einem siebten Sinn für Leute ausgestattet sind, die Dreck am Stecken haben. Al Jillings setzte sich in die Bahn zu einem gemächlichen, gemütlichen Trip quer durch das schöne Amerika bis ins sonnige Kalifornien.
Ich warf einen Blick aus dem Fenster – es wurde hell, was man in Manhattan so hell nennt. Es wurde grau.
Oder hatte Jillings seine Pläne geändert? Gefühlsmäßig verneinte ich diese Frage. Wäre Phil hier gewesen, hätte ich ihm eine Wette angeboten. Jillings hatte sich auf die Idee mit dem Zug versteift und würde an ihr festhalten, weil er sie großartig fand. Denn auch intelligente Verbrecher sind fantasielos.
Meine Uhr zeigte zwanzig Minuten vor sieben. Von Neville würde innerhalb der nächsten Minuten nichts mehr kommen.
Ich beschloss, den Chef zu informieren und mir dann ein Ticket nach Frisco zu kaufen. Rasch kritzelte ich eine Nachricht für meinen Kollegen Phil Decker auf einen Zettel. Phil war in einer Routinesache unterwegs. Pech für ihn, dachte ich, so kam er um eine Reise nach Frisco.
Mit dieser Vermutung hatte ich keineswegs unrecht, doch ich konnte nicht ahnen, dass Phil vor mir an unserem Bestimmungsort ankommen würde. Dieser Ort der Entscheidung hieß allerdings nicht Frisco …
***
Al Jillings verließ die Subway unter der Pennsylvania Station. Im gleißenden Licht der Neonlampen ließ er sich mit dem Strom der anderen Reisenden über endlos lange Rolltreppen hinauffahren.
Immer noch überlegte er, ob er bei seiner Entscheidung bleiben sollte, mit der Bahn nach Westen zu fahren. Hatte ihn Ed womöglich verraten? Wenn ja, an wen? Und welche Einzelheiten wusste Ed überhaupt? Nach wie vor war Jillings der Ansicht, dass Ed in dem winzigen Augenblick, in dem er das Ticket in der Hand gehalten hatte, unmöglich hatte erkennen können, für welchen Zug es ausgestellt war.
Und jetzt, als der Gangster diesen Strom der Reisenden sah, der trotz der frühen Stunde unterwegs war, beglückwünschte er sich zu seinem Entschluss. In diesen Menschenmassen wäre er selbst mit einem dritten Auge auf der Stirn nicht aufgefallen.
Jillings fuhr gar nicht erst in die mächtige Halle hinauf, die von Fernsehkameras überwacht wurde. Die Griffe der beiden kleinen Koffer fest umklammert, betrat er eins der unzähligen Imbissrestaurants irgendwo unter der Erde. Er wählte einen kleinen Tisch, legte die Koffer auf die Platte und ging zum Tresen, ohne sein Gepäck aus den Augen zu lassen. Schweigend häufte er zwei Hamburger, mehrere Scheiben Toast und einige gegrillte Tomaten auf einen Teller, zahlte an der Kasse und setzte sich an den Tisch.
Die Uhr über dem Eingang wies auf elf Minuten vor sieben. In einer Viertelstunde würde der Zug einfahren, und dann würde Kate am Bahnsteig stehen. Kate mit den strahlendblauen Augen, dem unbekümmerten Wesen und der beständigen Heiterkeit. Kate! Für sie hatte er das alles getan, obwohl er sicher war, dass sie den Einbruch nicht gebilligt hätte. Nein, Kate gehörte nicht zu dieser Sorte Frau, für die nur Geld wichtig war. Kate war ganz anders.
Jillings lächelte plötzlich. Jetzt hatte er Geld, das reichen sollte, um eine Existenz aufzubauen, die Kate akzeptieren konnte.
Die Imbissstube füllte sich zusehends, und bald waren alle Tische besetzt. Als Jillings den Teller leer gegessen hatte, stand er auf und holte sich schnell eine Tasse Kaffee. Er ging zum Tisch zurück und …
In diesem Moment setzte sich ein jüngerer Mann auf den freien Stuhl, und wie zufällig stieß er mit einem Fuß gegen einen der Koffer, die jetzt auf dem Boden standen. Jillings Augen verengten sich in plötzlichem Argwohn. Langsam ging er um den Burschen herum. Der Mann hatte ein langes Gesicht mit schlaffer, gelblicher Haut und rotes, strohiges Haar über der flachen Stirn. Er grinste, als er Jillings bemerkte, und entblößte lange, gelbe Zähne.
»Ist doch gestattet, Mister?«, fragte er.
Jillings nickte so gleichmütig, wie er es gerade noch fertig brachte. Zur Polizei gehörte der Bursche gewiss nicht, und zu einem dieser Gangstersyndikate garantiert auch nicht, dafür war er zu schäbig gekleidet.
Jillings setzte sich, wobei er sorgfältig vermied, den Koffern neben dem Tisch allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken, um den Kerl nicht mit der Nase draufzustoßen, dass sie irgendetwas Wertvolles enthalten könnten.
Langsam schlürfte Jillings seinen Kaffee.
»Wollen Sie verreisen, Mister?«, erkundigte sich der Rothaarige.
Jillings nickte verdrossen, zwang sich dann jedoch zu einem flüchtigen Lächeln, nicht zu viel, nicht zu wenig, wie er glaubte.
Der Bursche lehnte sich zurück, betrachtete Jillings eine Weile, dann beugte er sich vor und fragte leise: »Sie haben nicht ’n paar Cents für ’nen armen Teufel, wie?«
Jillings zog scharf die Luft ein und wollte zu einer groben Erwiderung ansetzen, als sich die imponierende Figur eines Cops in voller Dienstuniform in den Raum schob. Der Rothaarige konnte den Polizisten nicht sehen.
»Na?«, fragte er mit einem unverschämt klingenden Unterton in der Stimme, die seine vorangegangene Frage unvermittelt in eine Forderung verwandelte.
Der Cop ließ den Blick über die Gäste schweifen und ging dann auf den Tresen zu. Der Keeper hinter dem chromblitzenden Tresen schien ihn zu kennen. Er schob ihm eine Tasse hin. Der Polizist lehnte sich gemächlich an die Wand und schlürfte den Kaffee.
»Na?«, wiederholte der Bursche, diesmal schon etwas lauter. In dem Raum hing ein Gemisch aus den verschiedensten Geräuschen – die Gespräche der Anwesenden, das Scharren der Füße draußen durch die offen stehende Tür –, sodass das Wort noch nicht einmal am Nebentisch zu hören war. Trotzdem spürte Jillings, wie ihm der kalte Schweiß ausbrach.
Er versenkte eine Hand in der Seitentasche seines leichten Mantels und fischte das Kleingeld heraus, das er eben zurückbekommen hatte, legte es auf den Unterteller seiner Tasse, sah den Burschen kurz an und schob den Teller schließlich über den Tisch.
Der Cop hatte die Szene mitbekommen, wie Jillings bemerkte.
»Ich muss jetzt zum Zug«, sagte er und machte Anstalten, aufzustehen.
Die schrille Stimme des Rothaarigen nagelte ihn wieder auf den Stuhl. »Mehr schulden Sie mir nicht, Mister?«
»Was soll das?«, zischte Jillings erbost. Seine Geduld war erschöpft. Wäre der Cop nicht gewesen, hätte er dem Kerl spätestens jetzt die Faust ins Gesicht gerammt.
Der Cop spähte immer noch herüber.
Der Rothaarige beugte sich wieder über den Tisch. »Ich hin schnell«, sagte er. »Was meinen Sie, wie? Wenn ich mir einen ihrer Koffer greife und abhaue, so schnell können Sie gar nicht gucken! Und wenn Sie doch nachkommen, schnappt einer meiner Kumpel, die auch hier sind, Ihren anderen. Sehen Sie, Sie werden auf jeden Fall eines Ihrer schönen Lederdinger los. Es sei denn …« Er machte eine Kunstpause, aber sie beeindruckte Jillings nicht. Er wusste, was kommen musste. »Helfen Sie mir aus ’ner Patsche, Mister. Leihen Sie mir ’n paar Bucks, so zehn oder so …«