Jerry Cotton Sonder-Edition 109 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 109 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Todesflug Fünf-Sieben-Null

Plötzlich ging der Mann zur Pilotenkanzel, und ich hatte sofort ein ungutes Gefühl. Ruckartig drehte er sich um und zog seine Pistole. Ich wusste sofort Bescheid: Er war ein Highjacker, ein Flugzeugentführer!
Dann machte ich noch eine Entdeckung: Der Kerl trug eine Sprengstoffweste mit Neigungszünder. Er brauchte sich nur zu bücken oder zu stolpern, und die Boeing würde zerfetzt werden!
Von da an begann für mich ein Kampf ums Überleben ... um mein eigenes und das der über hundertzwanzig Passagiere an Bord! Doch nicht nur das ‒ dieser Fall sollte noch weitaus größere Kreise ziehen, als ich es mir in diesen Momenten auch nur ausmalen konnte ...

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Seitenzahl: 192

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Todesflug Fünf-Sieben-Null

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: Patrick Foto/shutterstock

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8303-4

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Todesflug Fünf-Sieben-Null

Plötzlich ging der Mann zur Pilotenkanzel, und ich hatte sofort ein ungutes Gefühl. Ruckartig drehte er sich um und zog seine Pistole. Ich wusste sofort Bescheid: Er war ein Highjacker, ein Flugzeugentführer!

Dann machte ich noch eine Entdeckung: Der Kerl trug eine Sprengstoffweste mit Neigungszünder. Er brauchte sich nur zu bücken oder zu stolpern, und die Boeing würde zerfetzt werden!

Von da an begann für mich ein Kampf ums Überleben – um mein eigenes und das der über hundertzwanzig Passagiere an Bord. Doch nicht nur das! Dieser Fall sollte noch weitaus größere Kreise ziehen, als ich es mir in diesen Momenten ausmalen konnte …

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.

Als der Mann ruhig aus seinem Sessel aufstand, dachte ich mir noch nichts dabei, schließlich gehen Flugpassagiere öfter mal nach hinten auf die Toilette. Als er sich stattdessen nach vorn zur Pilotenkanzel hin in Bewegung setzte, wurde ich argwöhnisch. Als er vor der Tür zum Cockpit anhielt und sich umdrehte, glaubte ich an einen Sektierer, der vor den Passagieren der vollbesetzten Boeing 727 den Weg zum ewigen Heil aufzuzeigen beabsichtigte. Was sonst konnte er wollen, wenn er den Pilotenraum nicht betrat?

Dann knöpfte er sein Jackett auf, schlug es auseinander und ich sah, dass er gar nicht dicklich war, wie es den Anschein gehabt hatte. Aber nicht diese Erkenntnis versetzte mir einen Schock. Mit ungläubig aufgerissenen Augen starrte ich auf das Ding, das er um den Leib geschnallt trug. Ich erkannte es sofort und wusste eines mit unumstößlicher Gewissheit:

Meines Wissens hatte sich noch niemals jemand so gründlich darauf vorbereitet, hundertneunundzwanzigMenschen mit einem Schlag ins Jenseits zu befördern.

Die schwere Pistole, die der Mann jetzt mit einer fast sachlich wirkenden Bewegung aus einer Schulterhalfter zog und auf der flachen Hand den Fluggästen zeigte, wirkte gegen die dicke Sprengstoffweste vergleichsweise wie ein Scherzartikel.

Dann griff er nach dem Telefonhörer, der rechts vorn an der Kabinenwand hing und den Stewardessen zu Durchsagen an die Passagiere diente.

»Herrschaften«, sagte der etwa Fünfunddreißigjährige mit dem kurzen dunklen Haar und der kräftigen Figur, »hören Sie mal her. Zuerst mal, bleiben Sie ruhig; wenn jeder macht, was ich sage, kommen Sie alle wieder heil runter. Aber ich warne Sie. Was ich mir da um den Bauch gebunden habe, sind gut zehn Kilo Sprengstoff. Das genügt, um die Mühle in Stücke zu blasen. Damit aber keiner auf dumme Gedanken kommt, will ich noch erklären, was der Witz vom Ganzen ist.«

Er deutete auf ein Ding, ähnlich einer Elektronenröhre aus einem alten Radio, das sich vorn auf dem schwimmwestenähnlichen Gürtel in Höhe seines Brustbeines befand.

»Das ist ’n Neigungszünder«, erläuterte der Highjacker mit einer Stimme, als erkläre er Schülern einen simplen Versuch im Physikzimmer. »Wenn ich den Körper stärker nach irgend ’ner Richtung neige, geht das Feuerwerk los. Auch bei starken Erschütterungen. Mich von hinten anfallen, nützt also nichts. Passen Sie deswegen gut auf, dass ich nicht stolpere. So, und jetzt gehe ich zum Käpt’n.«

Er drehte sich um, öffnete die Tür zur Kanzel und ging hindurch. Für einen Moment konnte ich das Instrumentenpanel, die mit Hebeln, Schaltern und Drehknöpfen übersäte Mittelkonsole und jeweils eine Schulter der beiden Piloten sehen. Dann klappte die Tür zu. Der schwache Laut war im Brausen der drei Hecktriebwerke kaum zu hören. Aber er hatte etwas Unwiderrufliches an sich.

Ich riss mich gewaltsam aus meiner Erstarrung und rief: »Ladys und Gentlemen, tun Sie, was der Mann sagt. Ich kenne diese Sprengstoffwesten, er hat nicht geblufft. Wenn sein Körper sich um mehr als etwa fünfundvierzig Grad neigt, schließt der Quecksilberzünder den Stromkreis, und die Ladung explodiert.«

Meine Worte erzielten die erhoffte Wirkung. Die Passagiere blieben sitzen. Nur erregte Gespräche kamen auf. Irgendwo klappte eine ältere Frau zusammen, und ein Kind begann zu schreien.

Ich winkte die eine der beiden Stewardessen heran, die wachsbleich am Eingang zur Pantry stand. Die hübsche Rothaarige kam mit deutlich weichen Knien.

»Ich bin vom FBI«, flüsterte ich rasch. »Keine Sorge, einen Angriff habe ich nicht vor, das wäre Wahnsinn. Aber ich möchte gern in der Nähe des Mannes bleiben. Sie können mir möglicherweise helfen.«

»Wie?«

»Ich nehme an, wir sind vollgetankt.«

»Das stimmt, Sir.«

»Falls wir also hier in New York wieder landen sollen, müssen wir längere Zeit kreisen, um das höchstzulässige Landegewicht zu erreichen, indem wir Treibstoff verbrauchen.«

Die Stewardess nickte furchtsam. Ich konnte ihr dezentes Parfüm riechen.

»Das wird längere Zeit dauern. Vielleicht können Sie es einrichten, den Piloten zu sagen, wer ich bin. Einer von ihnen könnte einen Schwächeanfall vortäuschen und nach einem Arzt verlangen. Dieser Arzt bin dann ich. Mir ist es lieber, wenn ich vorn in der Kanzel bin.«

»Ich werde es versuchen, wenn …«

Die junge Dame wollte noch mehr sagen, wurde aber durch die Lautsprecheranlage unterbrochen.

»Ladys und Gentlemen, hier spricht der Kapitän«, hörte ich die Stimme von Flugkapitän Thorpe, der sich wenige Minuten zuvor vorgestellt und uns einen ruhigen Flug nach Miami in Aussicht gestellt hatte. »Ich habe hier vorn einen Mann, den Sie wohl schon kennen und der das Flugzeug übernommen hat. Er verlangt, dass ich wieder auf dem Kennedy Airport lande, von dem wir vorhin gestartet sind. Vorher aber müssen wir eine ziemlich große Menge an Treibstoff verfliegen, um für die Landung nicht zu schwer zu sein. Die Sache wird etwa zwei Stunden dauern. Bitte bewahren Sie Ruhe. Sie hören wieder von mir.«

»Woher wussten Sie, dass er nicht irgendwohin will, Sir?«, fragte die Stewardess.

»Nur eine Vermutung. Glauben Sie, unser Plan lässt sich verwirklichen?«

»Vielleicht, Sir. Mister Cowper, der Copilot, sagte vor dem Start etwas von einer Magenverstimmung. Ich werde ihn überreden, einen Arzt zu fragen, was er essen darf. Wie wollen Sie denn heißen?«

»Doktor Jefferson.«

»Okay, Doktor.« Die Rothaarige ging in die Pantry zurück.

Das Leben ist manchmal wirklich nicht fair. Nach Abschluss des letzten Falls, der mich sogar bis nach Berlin in Deutschland geführt hatte, hatte ich Mr. High den seit Monaten immer wieder verschobenen Urlaub abgeschwatzt. Eigentlich hatte ich ihn bereits im Winter nehmen wollen, und jetzt war es glücklich Mitte Mai geworden.

Trotzdem war mein Ziel Fort Pierce in Florida. Einerseits, weil der Mai in New York meist wenig freundliches Wetter bringt. Außerdem wollte ich Wanda Screene treffen. Die sehr attraktive Frau arbeitete am Strand als Life Guard, sozusagen zum Spaß. Ihr Vater war ein ziemlich reicher Werftbesitzer, und Wanda hatte bei unserem Zusammentreffen im vergangenen November angedeutet, dass sie sich auf einen Besuch freuen würde.

Doch jetzt saß ich zehntausend Fuß über New Jersey in einer rasenden Leichtmetallröhre, zusammen mit hundertneunundzwanziganderen potentiellen Opfern und einem Luftpiraten, der in einem Wettbewerb für makabres Auftreten fraglos den Sieg davongetragen hätte.

Ich saß ziemlich weit hinten auf der linken Seite zum Mittelgang hin. Die beiden Stewardessen hatten sich in die Pantry, die kleine Bordküche, zurückgezogen. Die Rothaarige stand in der Tür.

»Ganz schön übel«, sagte jetzt mein Sitznachbar, ein Mann um die Vierzig mit kurz geschnittenem, schwarzem Haar und hagerem Gesicht. »Was meinen Sie, Mister, sollen wir den Kerl packen, falls er bei uns vorbeikommen sollte.«

»Ihre Courage möchte ich haben. Darf ich fragen, was Sie sind?«

»Luftakrobat«, meinte er ruhig, »Sie wissen, was das ist?«

»Klar, Kunststücke an alten Doppeldeckern beim Flying Circus. Bei achtzig Meilen pro Stunde und ohne Fallschirm.«

»Richtig, Mister. Ich bin es gewöhnt, ohne Netz zu arbeiten. Sie sehen aus, als ob Sie keinen Bammel hätten. Zu zweit könnten wir es schaffen. Wenn er vorbeikommt, packen Sie ihn von hinten. ’ne Sekunde später bin ich auch da, wir halten ihn grade und geben ihm eins auf die Rübe. Schluss, aus der Traum.«

»Zu gefährlich, Mister …«

»Salviati. Sie können mich Ted nennen.«

»Jerry Cotton«, sagte ich. »Ihren Mut in allen Ehren, Ted. Aber wir sollten zumindest abwarten, was der Kerl plant. Zum Spaß wird er sich die Knallbonbons ja nicht umgeschnallt haben.«

»Sollte man meinen; falls er sich nicht ’ne originelle Art für eine Massenhimmelfahrt ausgedacht hat. Okay, warten wir ab. Solange er vorn im Cockpit steckt, können wir sowieso nichts unternehmen.«

Ich winkte der Stewardess.

»Haben sich die Piloten schon bei Ihnen gemeldet?«, fragte ich. In Gefahrenfällen ist es nämlich üblich, dass der Käpt’n zuerst über Bordtelefon das Kabinenpersonal instruiert, ehe er sich an die Fluggäste wendet.

»Nein, Sir.«

»Okay, sagen Sie unauffällig Bescheid.«

»Fliegen Sie mit uns, und Sie lernen die nettesten Leute kennen«, zitierte Ted einen Werbeslogan der Fluggesellschaft. »Ich möchte wissen, was der Kerl so lange mit dem Käpt’n palavert.«

»Das wird sich herausstellen.«

Ich blickte an Ted vorbei aus dem Kabinenfester. Dort leuchtete jetzt die Sonne herein, die sich beim Abflug noch auf der anderen Seite befunden hatte. Folglich lagen wir jetzt auf Gegenkurs. Auch Ted bemerkte es. Als er mich darauf hinweisen wollte, kam aus den Kabinenlautsprechern wieder die Stimme des Piloten.

»Ladys und Gentlemen, ich danke Ihnen für Ihr besonnenes Verhalten. Unser spezieller Passagier wünscht wieder in New York zu landen, und wir müssen etwa zwei Stunden kreisen, um genügend Treibstoff zu verbrauchen. Er verlangt von der Gesellschaft eine Million Dollar und hat seinen Wunsch bereits über Funk durchgegeben. Also bleiben Sie ruhig, es besteht keine unmittelbare Gefahr.«

»Nicht schlecht«, meinte Ted. »’ne runde Million, damit kann man’s aushalten. Aber wie will er wegkommen. Die werden ihm zwar die Moneten in die Hand drücken, aber damit vom Kennedy Airport weg- und aus New York rauszukommen, halte ich für unmöglich. Die bieten doch sämtliche Bullen auf, die sie haben.«

Wir diskutierten längere Zeit über das Problem. Ich vermied es, mich als Mann vom FBI zu erkennen zu geben. Wenn der Teufel es wollte, konnte dem Highjacker zu Ohren kommen, dass ein G-man mitflog, und das hätte ihn möglicherweise nervös gemacht. Nachdem uns kaum Schlimmeres widerfahren konnte, spielte ich die Rolle des Normalpassagiers weiter.

Inzwischen kreisten wir über dem Großraum New York. Im Geist versuchte ich mir die Vorbereitungen vorzustellen, die man auf dem Kennedy Airport für die Landung der Maschine und die Übergabe des Geldes getroffen hatte. Nach üblicher Praxis würde die Gesellschaft nicht zögern, dem Luftpiraten den geforderten Betrag auszuhändigen, wenn er dafür die Passagiere von Bord ließ und die ungleich wertvollere Maschine freigab. Ob er Letzteres tun würde, bezweifelte ich allerdings, denn vom Flughafen wegkommen zu wollen war selbst dann so gut wie aussichtslos, wenn der Kerl eine Geisel mitnehmen sollte. Bestimmt würden an allen neuralgischen Punkten seines Fluchtweges unsere Scharfschützen postiert sein, um ihn kampfunfähig zu schießen oder zu töten, wenn die Sicherheit einiger etwaigen Geisel bedroht war.

Folglich musste er das Flugzeug benutzen, um New York zu verlassen. Ich fragte mich, wohin er fliehen konnte und ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich versuchen wollte, nach dem vermutlichen Aussteigen der Passagiere unter irgendeinem Vorwand an Bord zu bleiben und diesen Flug mitzumachen.

***

Dem Luftpiraten schien es in dem engen Cockpit zu gefallen, denn er blieb dort und zeigte sich vorläufig nicht mehr. Ich machte mir Gedanken über ihn und versuchte, ihn psychologisch einzustufen. Leider hatte ich ihn vorhin nur kurz gesehen, aber in unserem Job bekommt man einen Blick für Typen und Gesichter.

Auffallend waren seine Ruhe und Entschlossenheit, dabei keine Spur von Hysterie oder Hektik. Bestimmt hatte er seinen Plan von langer Hand vorbereitet, und es wäre grundfalsch gewesen, ihn zu unterschätzen. Wer zu einem solchen Unternehmen aufbricht, für das er im Fall der Verhaftung zwanzig Jahre aufgebrummt kriegen kann, muss ziemlich weitgehend mit dem Leben abgeschlossen haben, sonst ist er innerlich unentschlossen und macht garantiert entscheidende Fehler.

Demnach musste der Highjacker entschlossen sein, lieber die Maschine zusammen mit sich selbst und anderen in Fetzen zu sprengen, bevor er sich festnehmen ließ. Das waren die Fakten, und darauf musste ich mich einstellen, falls ich es nicht vorzog, zusammen mit den anderen Passagieren zu verschwinden, sobald der Entführer dies gestattete.

Die zwei Stunden, die wir über New York verbrachten, gehörten trotz der scheinbar normalen Situation beileibe nicht zu den angenehmsten. Ich muss den Passagieren für ihre Disziplin ein gutes Zeugnis ausstellen, denn sie verhielten sich ruhig und machten den beiden Stewardessen keine Arbeit.

Die Rothaarige, sie hieß Laura Johnson, wie ich inzwischen erfahren hatte, machte mir schließlich ein Zeichen, in die Pantry zu kommen.

»Sir, ich habe eben mit dem Copiloten gesprochen. Sein Magen macht ihm zu schaffen, und er hat den Entführer gefragt, ob er einen Arzt ins Cockpit kommen lassen dürfe. Der Gangster hat eingewilligt. Soll ich Sie vorne anmelden, Doktor Jefferson?« Sie betonte die letzten beiden Worte.

Ich nickte.

»Okay.« Laura griff zum Bordtelefon. »Mister Cowper, wir haben Glück, ein Arzt ist unter den Passagieren. Ich komme jetzt mit Doktor Jefferson nach vorne. Er wird Sie wegen Ihrer Magenbeschwerden beraten.«

Der Copilot bestätigte, und wir gingen los. Ich spürte die Blicke der Passagiere förmlich im Nacken, als ich hinter Laura durch den Mittelgang nach vorn stolperte. Draußen war es etwas böig geworden, und die Maschine bockte spürbar unter den Böen.

Zuerst betrat die Stewardess das Cockpit und meldete mich an. Dann kam sie wieder heraus und gab mir die Tür frei. Ich bückte mich und stieg über die Schwelle in die Kanzel.

Plötzlich empfand ich vibrierende Spannung. Das Erste, was ich erblickte, war nämlich eine Pistolenmündung, kein halbes Yard vor meinen Augen.

»Ich bin Doktor Jefferson, Mister Cowper«, sagte ich und zwängte mich schräg hinter den Copiloten. Der Highjacker stand direkt links neben mir. Er hatte sich in den engen Raum hinter dem Sessel des Flugkapitäns gestellt und hielt die Pistole schussbereit in der Hand.

Ich verwarf den Gedanken, ihn unverhofft anzugreifen, und wandte mich an den Copiloten, den ich eingeweiht wusste.

»Wo fehlt’s, Mister Cowper? Miss Johnson sagte, Sie hätten Magenbeschwerden.«

»Keine Tricks, Doc«, warnte hinter mir der Highjacker. »Wir wollen doch alle gut runterkommen, oder?«

»Aber klar, Mister«, ging ich auf seinen burschikosen Ton ein. »Sie sind zurzeit der Boss und niemand bezweifelt das, nicht wahr, Käpt’n?«

»Ich bin doch nicht lebensmüde«, knurrte Thorpe. »Wie lange müssen wir denn hier noch krebsen?«, fragte er den Flight Ingeneer, der rechts neben mir vor seiner Instrumententafel saß.

»Moment.« Der Ingeneer warf einige Zahlen auf den Notizblock und rechnete leise murmelnd den Treibstoffverbrauch aus. »Es müsste bald soweit sein. In zehn Minuten haben wir das höchstzulässige Landegewicht bestimmt unterschritten.«

»Okay«, sagte der Flugkapitän. »Solange wir nämlich Passagiere an Bord haben, die statt eines Pullovers Sprengstoff anziehen, möchte ich keinen Fahrwerksbruch riskieren. Besonders, weil Sie so nahe bei mir sind, Mister.«

Der Entführer ging auf die bissige Bemerkung nicht ein. Er drückte mir die Knarre gegen den Rücken.

»Doktor, ich habe hier so komische Schmerzen«, meinte jetzt der Copilot. Er deutete auf die Magengegend, wandte sich halb um und warf mir einen undefinierbaren Blick zu. Ich riskierte es, ihm zuzublinzeln.

»Können Sie mal das Hemd aufknöpfen? Es könnte das Herz sein. Wie lange haben Sie die Beschwerden schon?« Ich hoffte, der Copilot werde begreifen, dass ich auf die Symptome eines leichten Infarkts hinauswollte, und mich dabei unterstützen. Ein derart erkrankter zweiter Flugzeugführer bot für mich den plausiblen Vorwand, als angeblicher Arzt im Cockpit zu bleiben. Für alle Fälle.

»Seit einer Stunde etwa.« Der Copilot schien kapiert zu haben. »Hier, unter dem Brustbein, etwas links. Ein scharfer, brennender Schmerz, er nimmt zu.«

Ich tastete zum Schein seine Brust ab, drückte ein bisschen und richtete mich wieder auf.

»Fühlen Sie sich ängstlich? Haben Sie Atembeklemmungen?«

»Etwas schon.«

»Ich glaube eher an einen leichten Herzanfall als an eine Magenverstimmung«, sagte ich. »Leider habe ich weder ein Stethoskop noch Medikamente bei mir, da ich privat unterwegs bin. Zwar sehe ich keinen Grund zu unmittelbarer Besorgnis, aber wenn dieser Gentleman es erlaubt, möchte ich doch in Ihrer Nähe bleiben.«

Die Spannung in der Kanzel war geradezu fühlbar.

Würde der Highjacker soweit denken, dass die Gegenwart eines Arztes, der wegen Fehlens jeglicher Medikamente im Gefahrenfall gar nicht zu helfen vermochte, sinnlos war? Ich wandte mich ihm zu und blickte in sein unbewegtes Gesicht.

»Wenn es für den Copiloten gut ist, okay. Aber ich warne Sie, versuchen Sie keine faule Tour!« Der Mann deutete auf ein dünnes Kabel, das von der Zündbatterie ausging und an seiner linken Körperseite verschwand. »Ich hab über der Hüfte noch ’nen Druckknopf. Da brauch ich bloß mit dem Ellbogen draufzudrücken, und die Predigt ist zu Ende. Probieren Sie’s also erst gar nicht.«

»Niemand hat das vor, glauben Sie’s endlich.« Thorpe war anzumerken, dass er innerlich keineswegs so viel Ruhe verspürte, wie er vorgab.

Ich gab dem Copiloten noch einige Ratschläge, riet ihm zu möglichster Entspannung und tiefer Atmung.

Wir kreisten die letzten Minuten ab, und ich horchte auf den Sprechfunk, der pausenlos aus dem Lautsprecher kam. Kennedy Control wies sämtliche anfliegenden Maschinen an, andere Häfen anzufliegen, und hatte die Starts gesperrt.

Schließlich konnte Thorpe melden, wir seien bereit zur Landung.

»Okay, Fünf-Sieben-Null, Sie können jetzt landen!«, gab uns der zuständige Operator durch. »Landen Sie auf Bahn zwei!«

»Verstanden!«, antwortete Thorpe.

Er brachte die 727 auf Landekurs. Im Sinkflug überquerten wir New Jersey, kreuzten den Hudson und steuerten Kennedy Airport an. Unter der Maschine zog die Südspitze von Manhattan hinweg. Voraus kam der große Flughafen in Sicht.

Schon von weitem sah ich das Empfangskomitee, wenn man die Reihe der Feuerwehr- und Ambulanzfahrzeuge längs der zugewiesenen Landepiste so nennen wollte. Ich blickte durch die Cockpitverglasung hinaus in den leicht diesigen Mai-Nachmittag. Den Verlauf dieses Sonnabends hatte ich mir verdammt anders vorgestellt.

Aufjaulend berührten die Räder den Beton, und Thorpe bremste mit Schubumkehr. Wir verloren an Geschwindigkeit. Jetzt schoss von links der knallgelbe Führungswagen mit der Aufschrift follou me vor die Nase der Boeing und lotste uns zu einem abseits der Gebäude liegenden Abstellplatz. Der Metallvogel kam zum Stehen.

***

In respektvollem Abstand waren Polizeiwagen aufgefahren. Die Männer machten aber keine Anstalten, sich der Maschine zu nähern. Ich kannte das Zeremoniell von früheren Gelegenheiten ähnlicher Art. Alle Maßnahmen waren darauf abgestellt, zunächst die Sicherheit von Passagieren und Besatzung zu gewährleisten. Erst danach befasste man sich mit dem jeweiligen Verbrecher.

Nun näherte sich draußen ein offener Jeep mit Lautsprecher. Neben dem Fahrer stand ein hochgewachsener weißhaariger Mann. Es war Mr. High, mein Chef und Leiter des New Yorker FBI-Büros. Etwa zwanzig Yard entfernt stoppte der Wagen. High nahm das Mikrofon an den Mund.

»Hören Sie mich? Ich spreche im Auftrag der Fluggesellschaft. Bitte antworten Sie über Funk.«

Käpt’n Thorpe reichte dem Highjacker das Mikrofon der Bordanlage und schaltete ein.

»Ich höre Sie«, sagte der Gangster. »Haben Sie das Geld?«

»Es ist hier«, sagte Mr. High. Über das Funkgerät des Jeeps vermochte er die Antworten des Luftpiraten zu hören.

»Kommen Sie allein an die Maschine, und zeigen Sie es.«

»Geht in Ordnung.« Mr. High nahm einen kleinen schwarzen Koffer, kam unter die linke Seite des Cockpits, machte ihn auf und hielt ihn hoch. Wir sahen die Geldpäckchen. Danach ging er zum Jeep zurück.

»Gut, Sie können die Gangway ranfahren lassen«, sagte der Mann mit dem Sprengstoff um den Bauch. »Kommen Sie dann allein rauf bis zur Tür und werfen Sie das Geld in den Gang. Wenn ich es habe, können die Passagiere aussteigen.«

Mr. High bestätigte. Zehn Minuten später befand sich die Million im Besitz des Highjackers. Danach konnten die Fluggäste die Maschine verlassen.

»Gehen Sie auch, Doktor«, sagte der Copilot. Er wollte mir damit sagen, dass er sich von meiner Anwesenheit nichts versprach. Auch ich war zu dieser Ansicht gekommen, nachdem ich den Gangster ebenso verstohlen wie genau beobachtet hatte. Er handelte äußerst umsichtig, war ständig auf der Hut und gab sich keine Blöße.

Als er sich vorhin auf die Knie niedergelassen hatte, um den Koffer aufzunehmen und sich doch nicht zu bücken, war mir der Schweiß ausgebrochen. Einen Moment lang schien es nämlich, als würde er das Gleichgewicht verlieren. Im Geist sah ich schon die grellweiße Explosionsflamme der Sprengstoffweste, aber der furchtbare Augenblick war vorübergegangen.

»Ich gehe nur, wenn Sie sich besser fühlen.«

»Ist schon okay.«

»Dann alles Gute, Gentlemen.« Ich drehte mich um und spürte wieder die Pistole des Gangsters im Nacken.

»Dageblieben, Doc.«

»Wieso, ist etwa jetzt Ihnen übel geworden?«

»Nee, aber ich brauche Sie als Boten. Sie müssen rausgehen und was für mich holen.«

»Gut, was denn?«

»Werden Sie gleich hören.« Der Mann nahm das nach wie vor eingeschaltete Mikrofon. »Hallo, Mister, ich will jetzt zwei Fallschirme haben, einen Rücken- und einen Brustfallschirm. Dazu ’nen Sturzhelm Größe neunundfünfzig und ’ne Brille. Ich schicke den Doktor raus, damit er alles abholt. Aber wenn er nicht wiederkommt oder wenn Sie ’ne krumme Tour versuchen, dann gibt’s hier ’n Galafeuerwerk mit sechs Toten, verstanden?«

»Okay, wir besorgen die Sachen«, hörte ich Mr. Highs Stimme.

Bald danach schickte der Gangster mich hinaus. Die drei Männer und die beiden Stewardessen der Crew behielt er zurück. Außerdem verlangte er, die Maschine aufzutanken.

***

Etwas steifbeinig ging ich auf den Jeep zu, der als einziges Fahrzeug in der Nähe der Boeing stand. Die Augen von Mr. High weiteten sich, als er mich erkannte, aber er ließ sich nichts anmerken. Ich stieg ein, und der Jeep fuhr los in Richtung Abfertigungsgebäude.

»Alle Teufel, Jerry, wie kommen Sie denn in diese Geschichte hinein?«, fragte mein Chef fassungslos. »Wollten Sie nicht nach Florida?«

»Wollen und können sind häufig nicht unter einen Hut zu bringen, Sir, aber Leute mit dicken Sprengstoffwesten um den Bauch reizt man besser nicht«, versetzte ich. Dann informierte ich Mr. High. Er hörte mir gespannt zu und nickte, als ich abschließend sagte: »Ich habe mir lange überlegt, ob das Risiko eines Angriffs auf den Highjacker tragbar ist, aber der Kerl passte jede Sekunde auf. Deshalb habe ich es unterlassen.«

»Das ist auch meine Meinung, Jerry. Der Gangster verlangt Fallschirme. Er will also abspringen. Ich habe an diese Möglichkeit bereits gedacht und vorsorglich eine mit Peilsendern präparierte Fallschirmausrüstung bereitlegen lassen. Eine Maschine zur Verfolgung ist startbereit.«

»Ausgezeichnet, aber wir müssen etwas warten, ehe wir ihm die Schirme übergeben.«

»Wir lassen eine halbe Stunde vergehen, Jerry. Aber wenn der Mann so umsichtig ist, wie Sie sagen, prüft er vielleicht die Schirme, bevor er weiterfliegen lässt.«

»Dazu müsste er sie auspacken, und mit unverpackten Schirmen kann er nicht abspringen«, klärte ich Mr. High auf. »Außerdem traue ich ihm so viel Ruhe nun auch wieder nicht zu. Er wird höchstwahrscheinlich so bald wie möglich von hier weg wollen. Wenn Sie einverstanden sind, möchte ich wieder mitfliegen. Als angeblicher Arzt kann ich das vielleicht einrichten. Ich werde sagen, die Besatzung benötigt infolge der langen Nervenanspannung möglicherweise ärztliche Hilfe. Lassen Sie mir eine medizinische Bereitschaftstasche mitgeben. Zudem wird er nichts dagegen einwenden, wenn eine Geisel mehr mitkommt.«

»Wenn Sie wollen, Jerry.« Mr. High blickte mich sorgenvoll an. »Mit der Leitung der Verfolgung ist übrigens Phil betraut.«