Jerry Cotton Sonder-Edition 113 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 113 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Haie an der Wasserfront

Sie waren wie die Haie: heimtückisch, brutal, tödlich. Und sie beherrschten die Wasserfront von New York. Sie und "King Richard".
Am Zahltag kassierten sie ab. Jeder zahlte, es gab keinen, der sich weigerte.
Nur ich. Ich sagte ihnen, sie könnten mich mal. Ich, der Hafenarbeiter Jerry Gordon.
Ich wollte "King Richard" provozieren. Ihn und seine verdammten Schergen, denen ein Menschenleben nicht mehr galt als das einer Ratte.
Meine Methode war goldrichtig. Das bekam ich sehr schnell zu spüren ...

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Seitenzahl: 194

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Inhalt

Cover

Impressum

Haie an der Wasserfront

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelfoto: (Film) »Abgetaucht – Flug 747 in Todesangst«/ddp-images

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-8475-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Haie an der Wasserfront

Sie waren wie die Haie. Heimtückisch, brutal, tödlich. Und sie beherrschten die Wasserfront von New York. Sie und »King Richard«.

Am Zahltag kassierten sie ab. Jeder zahlte, es gab keinen, der sich weigerte.

Nur ich. Ich sagte ihnen, sie könnten mich mal. Ich, der Hafenarbeiter Jerry Gordon.

Ich wollte »King Richard« provozieren. Ihn und seine verdammten Schergen, denen ein Menschenleben nicht mehr galt als das einer Ratte. Meine Methode war goldrichtig. Das bekam ich sehr schnell zu spüren.

Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.

Sie verhökerten uns wie Schlachtvieh. Ein Angestellter mit weißem Kragen und zitronengelbem Schlips stand in der Mitte der gläsernen Halle auf einer Kanzel und brüllte Namen. Jedes Mal zuckte in der dichtgedrängten Menge eine Hand hoch, angelte über den Köpfen der Wartenden nach Arbeitskarte und Schichtzettel. Es roch nach Schweiß und Tabak. Die Luft war stickig, trotz der Ventilatoren an der Stirnseite des Hafenverwaltungsgebäudes.

An unserem Stand wurden die Aushilfskräfte für die Stauereifirmen der Wasserfront vermittelt. Wir fuhren Nachtschicht. Von draußen drang der Lärm rangierender Züge herein, das Kreischen der Winschen und die warnenden Sirenentöne der Schlepper, die ihre Schutzbefohlenen an die Piers zwischen der Südspitze von Manhattan und der 34th Street bugsierten. Dazwischen dröhnte die monotone Stimme des Ausrufers, der den Leuten Arbeit gab, ohne sie anzusehen.

Mir fiel der hohe Prozentsatz an Schwarzen auf und Puerto-Ricanern; Ungelernte meist, Gelegenheitsarbeiter, mit kantigen, ausgemergelten Gesichtern und groben Händen.

Zeery kam vor mir an die Reihe. Auf seine kostspieligen Maßanzüge, für die er einen beträchtlichen Teil seines Gehaltes opferte, musste er diesmal verzichten. Er steckte in blauen, verwaschenen Jeans, einem roten Baumwollhemd und klobigen Schuhen. Hier nannte er sich Zeery Hunter.

Der Name »Jäger« passte wie die Faust aufs Auge. Denn wir wollten die Gangster ausschalten, die Tag für Tag die schmalen Lohntüten der Hafenarbeiter erleichterten. Unter der Leitung des legendären »King Richard«, dessen wirklichen Namen niemand kannte, fielen die Haie der Wasserfront jeden an, der auch nur eine einzige Schicht ergatterte, um den Unglücklichen gehörig zur Ader zu lassen und eine so genannte Schutzgebühr zu kassieren. Wer nicht zahlte, wurde bedroht, verprügelt oder verunglückte kurzerhand. Das Opfer solcher Behandlungsmethoden landete entweder in einem Bett des Krankenhauses oder in einem Gefrierfach der Leichenhalle.

Im Hafen passierte jeden Tag etwas. Die Ambulanzen konnten über einen Mangel an Beschäftigung nicht klagen. Da fiel es nicht auf, wenn King Richards Männer für zusätzliche Arbeit sorgten. Wie schnell stürzte ein Baumwollballen von acht Zentnern zurück in die Ladeluke, geriet ein Mann unter einen Stapel Zementsäcke, das Stück zu hundert Pfund, oder walzte ihn eine tonnenschwere Rolle Papier zu Brei, weil auf der Ladefläche sich plötzlich die Keile lockerten! Solche Morde nachzuweisen war beinahe unmöglich.

Bis jetzt hatte kaum jemand die Stirn besessen, einer Aufforderung, seinen Tribut an den ungekrönten Herrscher der Wasserfront zu entrichten, nicht Folge zu leisten. Wir wollten den Anfang machen!

»Was hast du erwischt, Jerry?«, erkundigte sich mein FBI-Kollege Zeerookah, kurz Zeery gerufen.

Wir verglichen die beiden Schichtzettel mit den roten Querstreifen. Man hatte uns beide dem gleichen Dampfer zugeteilt! Die Shiba Maru, ein japanischer Frachter von dreißigtausend Brutto­registertonnen, lag an Pier 13.

»Geht ihr auch zum Japsen?«, forschte ein junger Bursche.

Wir kannten ihn. Er wohnte im gleichen Block, in dem wir ein schäbiges Zimmer gemietet hatten. Er hieß Walt Harris. In seinem Gürtel stak ein eiserner Stauerhaken, eine gefürchtete Nahkampfwaffe in den Docks. Natürlich konnte man damit auch ganz friedlich Kisten anlupfen oder Torfballen hochreißen.

Zeery und ich wechselten einen kurzen Blick.

Ich nickte. Uns war jeder Kontakt recht. Die Leute in den verwahrlosten Wohngebieten am Hafen waren in der Regel verschlossen und misstrauisch. Wir lebten seit vier Tagen unter ihnen.

»Eure erste Schicht, was?«, fragte Walt Harris gönnerhaft. Er mochte etwa zwanzig Jahre alt sein. »Wohl nichts Besseres gefunden, was? Na, ich werde euch ein bisschen unter die Fittiche nehmen.« Sein schmales Jungengesicht verzog sich zu einem flüchtigen Lächeln.

Harris kannte mich unter dem Namen Jerry Gordon. Wir konnten uns nicht den geringsten Schnitzer leisten. Die Leute von King Richard hatten ihre Spitzel überall!

Walt Harris lotste uns zu einem Tisch neben dem Eingang.

Dort saß ein schwarzgelockter Mann, der seine Augen hinter einer Sonnenbrille verbarg. Zuerst hatten wir angenommen, er kassiere die Gewerkschaftsbeiträge. Denn vor ihm lag eine Namensliste. Wir standen allerdings auch darauf. Das war ein Zeichen, dass die Gangster mit jemandem zusammenarbeiteten, der in der Verwaltung hockte. Sobald einer seine Arbeitskarte am Schalter abgab, eine halbe Stunde vor dem Verteilen der Schichtzettel, schienen die Leute von King Richard bereits einen Tipp zu bekommen.

»Dann wollen wir uns mal in die Spendenliste eintragen«, schmunzelte Walt Harris und blinzelte uns zu.

Wir mimten die Ahnungslosen.

Harris kramte fünf grüne Dollarnoten aus der Tasche und reichte sie dem Bebrillten, der das Geld gleichgültig in eine Zigarrenkiste warf. Neben ihm stand eine schwarze Aktentasche. Er trug einen weißen Anzug, eine etwas ungewöhnliche Aufmachung für diesen Ort.

»Unterschreiben«, befahl der Mann barsch. Er hatte eine Narbe am Kinn. Ich merkte mir seine Galgenvogelphysiognomie genau.

»Geht in Ordnung, Cliff«, murmelte Harris devot. Er fuhr mit dem Zeigefinger die Reihen ab, bis er auf seinen Namen stieß. Ungelenk setzte er seine Unterschrift neben den Betrag, der schon eingetragen war. Hier galten Einheitspreise.

Ich war als nächster an der Reihe.

»Was soll der Quatsch?«, fragte ich grob.

Die Augenbraue des Gangsters stieg steil in die Höhe.

»Ich habe keinen Cent übrig«, erklärte ich. »Wofür sammelst du eigentlich?«

»Gefangenenfürsorge«, quetschte der Mann mit der Sonnenbrille heraus. Es fiel ihm schwer, sich zu beherrschen.

Ein anderer Typ, der mit gekreuzten Armen an der Wand lehnte und offenbar zu ihm gehörte, lachte leise. Seine stark schielenden, trüben Augen fielen mir sofort auf.

»Nun mach schon«, drängte Walt Harris. Er trat unruhig von einem Bein auf das andere. Es tat mir richtig leid, ihn durch meine hartnäckige Weigerung in Panik zu versetzen. Aber das gehörte zu unserem Plan.

Einige Männer in unserer Nähe wurden aufmerksam. Das Stimmengewirr ebbte ab. Unzählige Augenpaare beobachteten unsere Auseinandersetzung mit den Abgesandten des berüchtigten Bandenbosses.

»Harris ist ein vernünftiger Mensch«, lobte der Gangster unseren Hausnachbarn. »Ihr solltet euch nach ihm richten!«

»Lieber nicht, alter Junge«, grinste ich freundlich. »Das wäre auf die Dauer zu teuer.«

Ich ließ den Mann stehen und wandte mich zum Ausgang.

»Und du?«, fragte der Kassierer der Bande Zeery.

»Du kannst mich mal«, brummte mein Kollege und folgte mir.

Langsam schritten wir den Kai hinunter. Armdicke Seile scheuerten an stählernen Pollern. Die Schiffe schwangen leicht hin und her im Rhythmus der Wellen. Am jenseitigen Ufer glitzerten die Lichter von Brooklyn.

Fröstelnd schlug ich den Kragen meiner abgewetzten Armeejacke hoch. Es war kurz vor dreiundzwanzig Uhr. Die Nachtschicht lief bis früh um sieben. Aber ich hatte das Gefühl, wir würden sie nicht beenden. Tatsächlich traten wir sie niemals an!

Der Gangster mit dem Silberblick folgte uns. Er hielt sich für sehr geschickt. Mal brachte er einen Waggon zwischen sich und uns, mal verhielt er am Fuße eines Portalkrans.

Mein Partner Phil Decker löste seine Aufgabe wesentlich besser. Ich wusste, dass er uns heimlich begleitete, ausgerüstet mit einer Infrarotkamera, die es ihm gestattete, auch bei völliger Dunkelheit zu fotografieren. Er sollte die Visagen der Gangster auf die Platte bannen, damit wir die Spreu vom Weizen trennen konnten.

Wir trieben im Strom der Arbeiter unserem Ziel entgegen. Später lichteten sich die Reihen. Wir erkannten vor uns Walt Harris und beschleunigten unsere Schritte. Um unseren Schatten kümmerten wir uns nicht.

Walt zuckte zusammen, als wir ihn ansprachen.

»Lasst mich«, murmelte er, aschgrau im Gesicht.

»Was machst du dir für Sorgen wegen einer nicht eingezahlten Spende?«, ulkte ich.

»Bist du eigentlich so dämlich, oder tust du nur so?«, schnaubte er. »Du hast es dir eben mit einer Gang verdorben, die seit Jahren die Wasserfront kontrolliert. Die nehmen dich in die Mangel, dass dir Hören und Sehen vergeht. Ich kenne mich da aus!«

»Sprichst du von der einen lächerlichen Figur, die hinter uns herschleicht und uns beobachtet?«

»Dann schau mal rüber«, zischte Walt Harris.

Auf der Laderampe vor Schuppen sechs standen vier Männer, wahre Kleiderschränke; Gesichter wie aus dem Verbrecheralbum. Sie hielten Baseballschläger in den Fäusten, sahen aber nicht so aus wie harmlose Sportsfreunde. Unser schieläugiger Freund sprach zu ihnen.

Sie schauten zu uns herüber. Dann stampften sie los.

***

Sie überquerten die Geleise, die unter den Kränen hindurchliefen, und nahmen uns in die Zange.

Walt Harris, unser Verbündeter wider Willen, schaute sich gehetzt nach einem Ausweg um. Es war nicht nur das kalte Neonlicht der Peitschenlampe, das seinem Gesicht die kalkige Farbe verlieh.

Die Gangster hatten sich bis auf zehn Schritte genähert.

Rechts von uns gähnte der dunkle Schlund des ölverschmierten Hafenbeckens. Wir saßen in der Falle! Phil Decker, wo immer er jetzt steckte, durfte nicht eingreifen. Wir standen allein gegen eine Übermacht von vier schwerbewaffneten Männern.

Dann hörten wir hinter uns den Zug. Die Lokomotive pfiff warnend, während sie unter den Kränen hindurchtuckerte.

Die Phalanx der Angreifer geriet für einen Augenblick durcheinander. Walt Harris benutzte die Gelegenheit, um sich aus dem Staub zu machen.

Während Walt Harris das Weite suchte, griff uns der erste der muskelbepackten Schläger an, mit erhobener Holzkeule, die er hoch über seinem bulligen Schädel schwang.

Ich sah ein paar eiskalte, funkelnde Augen in einem verzerrten Gesicht. Der Mann hatte eine gespaltene Oberlippe, einen so genannten Wolfsrachen. Wortlos holte er zu einem vernichtenden Streich aus!

Der Raum zwischen dem fahrenden Zug und dem Rand des Hafenbeckens war schmal. So standen sich die Kerle gegenseitig im Wege. Es konnte von jeder Seite nur immer einer angreifen.

Ich unterlief meinen Gegner, ehe er mir meinen Schädel spalten konnte, schnellte nach vorn, stieß dem Burschen den Kopf in die Magengrube. Er heulte auf wie ein getretener Hund, flog zurück, landete auf der Kehrseite.

Blitzschnell bemächtigte ich mich seines Baseballschlägers, der ihm aus der Hand geflogen war. Ich kannte mich ein wenig in der fernöstlichen Kunst des Keno aus, des Stockfechtens. Der zweite Angreifer auf meiner Seite bekam es sofort zu spüren. Wir fochten wie die Musketiere! Holz prallte auf Holz, dass es schepperte.

Der Mann fing nach kurzem Geplänkel, fintierten Ausfällen und blitzschnellem Parieren seiner Schläge einen Kopftreffer ein, der ihn in das Reich der Träume jagte. Der Bursche brach zusammen und wäre um ein Haar unter den rollenden Zug geraten. Im letzten Augenblick konnte ich ihn davor bewahren.

Zeery war nicht weniger erfolgreich. Er duckte ab. Der schwere Schläger hätte seinen Schädel zertrümmert – so krachte er gegen eine Waggonwand. Es dröhnte wie ein Schlag auf eine Negertrommel! Der Baseballschläger prallte von der Eisenwand ab, wirbelte durch die Luft und landete im Hafenbecken.

Der Gangster starrte Zeery entsetzt an. Der erwischte ihn mit einem Handkantenschlag. Der Mann brach zusammen wie vom Blitz getroffen.

Aber damit war Zeery noch keineswegs aus dem Schneider.

Ich sah das, als ich mich umdrehte, nachdem ich meine beiden Gegner erledigt hatte.

Der vierte Gangster, meinem Kollegen an Größe und Gewicht stark überlegen, hatte es fertiggebracht, Zeery mit dem Schlagholz an den Fuß eines Portalkranes zu nageln. Vergeblich versuchte Zeery, dem würgenden Druck auf seiner Kehle zu entrinnen.

Mit einem Satz war ich bei Zeery. Meine Rechte explodierte am Kinnwinkel des Angreifers. Er taumelte und fiel flach aufs Gesicht. Er hatte nicht einmal mehr so viel Kraft, den Sturz mit den Händen abzufangen.

»Nichts wie weg!«, schnaufte ich atemlos.

Ich legte keinen Wert auf eine Wiederholung dieses Gefechtes. Wir waren abgekämpft und auf die Dauer der Übermacht nicht gewachsen. Außerdem hätte es gut sein können, dass die Burschen aus King Richards Garde Schusswaffen mit sich führten.

Mit schweren Schritten verließen wir das Schlachtfeld.

Von dem Knaben mit der verbogenen Optik, der uns die Kerle auf den Hals gehetzt hatte, entdeckte ich keine Spur. Auch Walt Harris schien wie vom Erdboden verschluckt. Von Phil bemerkte ich nicht einmal die Nasenspitze. Sicher hatte er prächtige Aufnahmen schießen können.

Die erste Runde war eindeutig an uns gegangen. Jetzt konnten wir nichts mehr tun, als auf den Gegenschlag von King Richard zu warten. Der Köder war ausgelegt, die Falle aufgestellt, um den Boss der Waterfront zu entlarven. Wir brannten darauf, den großen Hai an die Angel zu bekommen.

***

Sie küssten sich.

Das Mädchen lag auf dem Rücken. Langes, blondes Haar umfloss Kopf und Schultern wie eine helle Woge. Blaue Augen, halbgeschlossen, glitzerten verlangend. Das linke Bein, wohlgeformt, war angewinkelt. Ihre weichen, kühlen Hände streichelten den jungen Mann.

»Brenda«, stöhnte er und schmiegte sich an sie.

Er hatte weiches, dunkles Haar. Sein Oberkörper, muskulös und sonnengebräunt, war nackt bis zum Gürtel. Er trug verwaschene Jeans. Die Schuhe hatte er abgestreift. Sie standen neben ihren Korksandalen vor der Couch. Durch die halb heruntergelassene Jalousie schimmerte der Mond, hoch über der Skyline von Manhattan.

Plötzlich wehrte sich Brenda.

»Da kommt jemand, Walt«, flüsterte sie.

Walt Harris fuhr hoch.

Da war die Angst wieder! Wie gebannt starrte Walt Harris auf die Türklinke, die sich geräuschlos nach unten bewegte.

»Harris!«, rief eine leise Stimme.

Walt kannte sie nur zu gut. Das war Cliff Turner, der Kassierer.

»Mach auf, verdammt noch mal«, befahl der Gangster. »Und keine Zicken. Auf der Feuerleiter wirst du schon erwartet.«

Walt Harris ging zur Tür. Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Sofort stand Cliff Turner im Raum. Seine Sonnenbrille trug er noch immer. Inzwischen war es weit nach Mitternacht. Der Kerl musste einen Tick haben.

Cliff Turner lächelte schmallippig, als er Brenda Shelby bemerkte. Sie ordnete gerade ihre Kleider.

»Wenn du so tanzt, wie du aussiehst«, meinte Cliff Turner gönnerhaft, »lass dich mal in Bill’s Corner sehen. Oder in welcher Diskothek verkehrst du?«

Brenda antwortete nicht

Cliff Turner setzte sich auf die Tischkante, nicht, ohne vorher die weiße Leinenhose ein wenig hochgezogen zu haben, um die Bügelfalten zu schonen.

»Nimm deinen Arsch da runter«, knurrte Walt Harris. »Da pflege ich zu essen.«

Cliff Turner lachte nur.

»Pump dich nicht so auf«, sagte der Gangster leise. »Was ist das überhaupt für ein Ton? Ich glaube, die neuen Freunde, die du dir zugelegt hast, verderben deine guten Manieren.«

»Die beiden sind nicht meine Freunde. Sie wohnen nur im gleichen Haus. Das ist alles.«

»Ich weiß«, nickte Turner. »Sonst ginge es dir jetzt auch wesentlich schlechter. Aber du wirst dich ein wenig an die beiden heranmachen und ihnen auf den Zahn fühlen. Ich will alles über die Knaben wissen.«

»Ich bin kein Spitzel«, widersprach Walt Harris.

Er wollte nicht als Feigling dastehen. Er wusste, Brenda würde es ihm nie verzeihen.

Durch das Fenster fiel der Schein der Lichtreklame des gegenüberliegenden Hauses. »Lest Bücher von Shelby. Wissen ist Macht«, verkündeten die Leuchtbuchstaben.

Das Geschäft gehörte Brendas Vater. Walt Harris hatte einmal für ihn gearbeitet, als Lagerhelfer. Aber der alte Shelby zahlte Hungerlöhne. Deshalb hatte ihm Walt Harris den Rücken gekehrt. Nicht so seiner Tochter. Brenda war anders. Er liebte sie. Sie kannten sich seit einem Jahr. Aber sie vermieden es, von der Zukunft zu sprechen. Er konnte ihr nichts bieten. Von dem Wenigen, das er verdiente, musste er King Richard mästen.

»Erzähl mal ’n bisschen über deine neuen Freunde«, forderte Cliff Turner den jungen Mann auf. »Die Burschen interessieren mich.«

»Ich weiß nichts«, sträubte sich Walt Harris. »Sie kommen aus Saint Louis, haben sie gesagt. Sie suchen hier Arbeit. Weil sie nichts finden konnten, sind sie in den Hafen gegangen.«

»Haben sie Geld?«

»Ist mir nicht aufgefallen«, brummte Walt Harris. »Sie leben genauso kümmerlich wie alle in dieser Straße. Die Geschäftsleute ausgenommen. Denen geht es besser.«

»Shelby, zum Beispiel«, nickte der Gangster. »Deine Puppe ist doch seine Tochter, wenn ich mich nicht irre.«

Walt antwortete nicht.

»Du kannst ein paar schnelle Dollars machen, wenn du mir hilfst«, versprach Cliff Turner. »Wenn du dich weigerst, können wir dir auch ein bisschen einheizen. Und natürlich deiner Puppe. Was meinst du, was der alles passieren kann.«

»Hör auf«, stöhnte Walt Harris. »Ich mach mit.«

»Sehr vernünftig«, lobte ihn der Gangster. Er stand auf, wandte sich zur Tür.

»Wenn du Nachrichten hast, triffst du mich jeden Abend nach dreiundzwanzig Uhr in Bill’s Corner. Kennst du, ja?«

Walt Harris nickte stumm.

»Dann wünsche ich dir eine gute Nacht, Partner«, grinste Cliff Turner. »Du hast sicher was Besseres vor, als mit mir zu quatschen.« Sein schmutziger Blick streifte Brenda Shelby, die ihn nicht einmal ansah. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

»Das wirst du doch nicht tun?«, fragte Brenda empört.

»Natürlich nicht.« Walt Harris schüttelte den Kopf. »Aber ich musste ihn doch irgendwie loswerden.«

»Wir müssen die beiden warnen«, meinte das Mädchen.

»Ich halt mich da raus«, entschied der Junge. »Das ist das Beste.«

Er ließ sich auf die Couch fallen, zog Brenda mit sich. Seine Lippen suchten ihren Mund. Sie wehrte ihn ab.

»Komm«, drängte er. »Wir haben so wenig Zeit. Morgen kommt dein Vater von der Geschäftsreise zurück. Wenn er uns zusammen erwischt, prügelt er dich windelweich.«

»Für dich kann ich alles ertragen. Und du?«

»Ich möchte dich an die Hand nehmen und mit dir fortlaufen. Weit weg. Bis nach Kalifornien. Da wären wir in Sicherheit. Aber wir haben kein Geld. Wir können nicht fliehen. Sie haben uns in der Hand.«

Walt Harris richtete sich halb auf. Seine Rechte landete klatschend in der halbgeöffneten Linken. In ohnmächtigem Zorn starrte er Brenda an.

»Ich bin ein armes Schwein«, murmelte der Junge. »Immer auf der Verliererseite. Mich kann jeder herumschubsen. Aber einmal bekomme ich die große Kurve. Dann räche ich mich für alles, was sie mir angetan haben.«

»Tu es gleich«, bat Brenda. »Alarmiere die Polizei. Bandenverbrechen sind doch ein Fall für das FBI. Nimm den Kampf auf. Du hast bislang nur nicht die richtigen Verbündeten gehabt.«

»Wie stellst du dir das vor?«, fragte er. »Soll ich im Distriktgebäude des New Yorker FBI anrufen und sagen: Bitte, retten Sie mich vor King Richard. Da könnte ich mich ja gleich freiwillig beim Totengräber melden. Nein, das geht nicht! Mir bleibt nichts übrig. Ich stecke im Sumpf, und niemand holt mich heraus.«

»Doch«, protestierte Brenda leidenschaftlich. »Ich werde es tun. Ich habe gespart. Manchmal kann Vater seht großzügig sein. Wir hauen ab. Wir setzen deinen Traum von Kalifornien in die Tat um.«

»Wenn wir uns ein Auto gekauft haben, sind wir bereits pleite«, meinte Walt Harris skeptisch.

»Wir nehmen einen Firmenwagen«, schlug Brenda vor. »Die Schlüssel bekomme ich beim Hausmeister. Der alte Roy tut alles, was ich verlange. Er hat viel zu viel Respekt vor der Tochter des Chefs.« Brenda strich eine Strähne ihres blonden Haares aus der Stirn. Sie erwärmte sich immer mehr für ihren Plan. »Dein Vater wird uns ein Rudel teurer Privatdetektive auf den Hals hetzen. Wir kämen nicht weit.«

»Wir tauchen schon irgendwo unter«, sagte sie zuversichtlich. »Wir können beide arbeiten. Wir bringen uns schon durch.«

»Dein Wort in Gottes Ohr«, willigte Walt Harris ein. »Hier habe ich tatsächlich nichts zu verlieren. Aber die Sache hat Zeit bis morgen. Wir haben uns so auf unser Wochenende gefreut.«

Walt Harris ahnte noch nicht, dass er wieder eine Niete ziehen würde. Man entkommt der Hölle nicht, wenn man es auf die lange Bank schiebt. Die beiden hätten in der gleichen Nacht aufbrechen sollen!

***

Cliff Turner und sein schieläugiger Kumpan Rhett Parker standen beim Boss auf dem Teppich. Sie waren verlegen wie Schuljungen.

King Richard lag in einem französischen Seidenbett und qualmte eine teure Zigarre. Seine diamantgeschmückte Rechte schlüpfte immer wieder unter das leichte Deckbett und streichelte die Schenkel einer schokoladebraunen Schönheit, die sich neben ihm räkelte. Er traf sich mit jeder Frau nur ein einziges Mal.

Er besaß eine stattliche Anzahl von Apartments in den besten Häusern von New York. Das Revier seiner Bande lag im schmutzigen Hafengebiet, aber der Boss hatte sich längst abgesetzt. Selten konnte man ihn zwei Tage unter der gleichen Adresse antreffen. Nur Cliff Turner und Rhett Parker hielten ständig Verbindung mit ihm. Der eine, weil er mit dem Boss abrechnen musste, der andere, weil er das Vertrauen von King Richard hatte.

Turner konnte sich nicht vorstellen, wie der Alte dieses unstete Leben aushielt. Schließlich war der Boss nicht mehr der Jüngste. In Sünden ergraut, kündeten nur noch ein faltenloser Körper, beachtliche Muskelpakete und blitzende, energiesprühende Augen von einstiger Kraft und Herrlichkeit. Das alles stand in einem gewissen Widerspruch zum schlohweißen Haupthaar und dem zotteligen Vollbart. Mochte der Teufel wissen, aus welchem Gesundbrunnen der Alte schöpfte.

»Ich will alles über die beiden Kerle wissen«, brüllte der Boss. »Findet heraus, ob sie nur hartnäckige Anfänger sind, die wir zähmen müssen, oder etwa Bullen, die uns provozieren wollen. Mir leuchtet überhaupt nicht ein, wie vier ausgewachsene Männer, mit Baseballschlägern bewaffnet, gegen zwei kümmerliche Figuren verlieren können. Das wäre mir früher nie passiert.«

»Wir wetzen die Scharte aus«, versprach Cliff Turner kleinlaut.

»Das will ich hoffen«, brummte der Boss. »Wofür bezahle ich euch? Und keine halben Sachen. Wir können uns keine Fehler leisten. Sonst nimmt uns das FBI hopp, ehe wir bis drei zählen. Die haben schon lange ein Auge auf uns.«

»Das schließen wir ihnen gerade«, verkündete Rhett Parker stolz. »Die Jungs haben Beweise, dass Ed Boulder ein V-Mann ist. Sie haben ihn beobachtet, wie er sich mit diesem G-man traf.«

Parker, der für Sicherheitsfragen der Gang verantwortlich war und ein Heer von Spionen und Zuträgern besoldete, warf ein Foto auf das Bett.

»Er heißt Phil Decker«, meldete Parker.

»Wer ist sein Verbindungsmann?«, forschte der Boss.

»Norman Wheeler«, gab Rhett Parker Auskunft. »Ein verkrachter Pianist. Spielt jetzt Discjockey in Bill’s Corner. Steht schon lange auf meiner Abschussliste.«

»Dann wundere ich mich, warum der Kerl noch lebt«, schnaubte King Richard. »Kann ich mich überhaupt noch auf euch verlassen?«

»Aber sicher, Boss«, versprachen die beiden wie aus einem Munde.

»Dann schwirrt ab«, befahl der Boss. »Morgen Abend, wenn ihr wiederkommt, will ich hören, dass alles erledigt ist. Sonst gnade euch Gott! Habt ihr verstanden?«

Die beiden Gangster zogen sich zurück. Sie schlossen vorsichtig die Tür hinter sich.

***

»Verdammt«, meinte Cliff Turner. »Manchmal bin ich die ganze Chose leid. Aber er zahlt zu gut!«

»Was wären wir ohne ihn?«, fragte Rhett Parker versonnen.

Schaudernd dachte er an die Zeit, wo sie noch gemeinsam den Stauerhaken geschwungen hatten. Das war schon lange vorbei. Sie hatten es geschafft. Die Kinder besuchten ein Internat und wuchsen ihren Eltern über den Kopf. Sie fuhren in einem Alter Auto, in dem Parker noch auf einem alten verbeulten Fahrrad zur Schicht gegondelt war, und machten mit ihren Freunden Reisen, von denen selbst Parker niemals zu träumen gewagt hätte.

Irgendwie hatte sich die Sache gelohnt, gab es einen gerechten Ausgleich für die schmutzigen Dinge, die dieser Beruf nun einmal mit sich brachte. Parker war entschlossen, die Sonnenseite des Lebens nie wieder aufzugeben. Lieber sollten noch ein Dutzend Menschen über die Klinge springen!