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Sunny Meadow war bis vor Kurzem noch ein verschlafenes Städtchen gewesen. Doch dann war Dion Caorle aufgetaucht, einer der großen Mafia-Bosse.
Von diesem Moment an war in Sunny Meadow die Hölle los. Nightclubs, Spielsalons und Bordelle schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Bürger duckten sich unter dem Terror der Gangster.
Nur Penny Parker nicht, das Girl, das besser schoss als ein G-man. Sie bat uns um Hilfe.
Phil und ich fuhren nach Sunny Meadow. Wir hätten ebenso gut geradewegs in die Hölle fahren können ...
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Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Stadt der Killer
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: maradon 333/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9260-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Stadt der Killer
Sunny Meadow war bis vor Kurzem noch ein verschlafenes Städtchen. Bis Dion Caorle auftauchte, einer der großen Mafia-Bosse.
Von diesem Moment an war in Sunny Meadow die Hölle los. Nachtklubs, Spielsalons und Bordelle schossen wie Pilze aus dem Boden. Die Bürger duckten sich unter dem Terror der Gangster.
Nur Penny Parker nicht, eine junge Frau, die besser schoss als selbst ein G-man. Sie bat uns um Hilfe.
Phil und ich fuhren nach Sunny Meadow. Wir hätten ebenso gut geradewegs in die Hölle fahren können …
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
Vier Uhr früh.
Nachtdienst.
Steve Dillaggio, Zeerookah und ich pokerten im Bereitschaftsraum um Zigaretten, die wir dann auch verqualmten. Floyd Winters, seit zwei Tagen Nichtraucher, schimpfte über die schlechte Luft. Er hatte sich gerade seufzend von dem unbequemen Feldbett erhoben und wollte das Fenster aufreißen, als das Telefon anschlug.
Da ich in dieser Nacht die Dienstleitung hatte, angelte ich mir den Hörer und meldete mich. »Federal Bureau of Investigation, New York District, Special Agent Cotton …«
»Penelope Parker«, kam eine kühle Stimme aus der Leitung.
»Ja, bitte?«
»Ich befinde mich in dem Apartment Nummer zweiunddreißig im Kerwick Building«, sagte Penelope Parker. »Könnten Sie bitte sofort herkommen, Mister Cotton?«
»Und aus welchem Grund, Mrs. Parker?«
»Miss«, verbesserte sie. Und dann erklärte sie gleich bleibend kühl: »Weil man mich umbringen will, Mister Cotton.«
Zuerst hielt ich es für einen schlechten Scherz – der völlige Mangel an Erregung in der Stimme der Anruferin war dafür verantwortlich.
»Aha«, sagte ich. »Und wer will Sie umbringen?«
»Drei Männer. Ich kenne die Namen nicht. Aber ich nehme an, dass sie gleich hier auftauchen werden, und dann möchte ich nicht allein sein. Ich habe ein bisschen Angst, wissen Sie.«
Ein bisschen Angst hatte sie, so.
Vor drei Killern ein bisschen Angst!
»Wissen Sie vielleicht auch noch, warum die Herren Sie ermorden wollen?«, fragte ich.
Einen Moment lang schien sie zu zögern, als würde sie überlegen, ob ich sie vielleicht nicht ernst nahm. Und als sie weitersprach, klang ihre Stimme immer noch kühl und gelassen.
»Natürlich«, sagte sie. »Um mich zum Schweigen zu bringen. Aber wenn Sie jetzt nicht bald kommen …« An dieser Stelle unterbrach sie sich jäh.
Ich hörte ein dumpfes Geräusch. In dem Raum, in dem sich die Anruferin befand, trampelten schwere Schritte, etwas polterte zu Boden – und dann, ganz deutlich, peitschten kurz hintereinander zwei Schüsse auf …
***
Als ich mich zusammen mit Floyd Winters in den Jaguar schwang, war ich immer noch nicht sicher, ob ich die Sache ernst nehmen sollte.
»Ein bisschen Angst.«
»Weil man mich umbringen will …«
Und dann nicht einmal das leiseste Zittern in der Stimme?
Ich wurde einfach das Gefühl nicht los, dass sich jemand einen Scherz mit uns erlauben wollte. Und Floyd schien es ähnlich zu gehen, denn er lehnte ziemlich gelassen in den Polstern und blickte durch die Frontscheibe.
Trotzdem schaltete ich Rotlicht und Sirene ein. Wenn die Geschichte ein Witz war, sollten sich die Scherzbolde meinetwegen ins Fäustchen lachen – aber ich dachte nicht daran, ein Risiko einzugehen.
Mit vollem Konzert fegte ich durch Manhattan, die Park Avenue hinunter, bog nach rechts in die 53rd Street ein, überquerte die Avenue of the Americas und stoppte schließlich mit singenden Reifen vor dem Kerwick Building.
Der Portier schlief in seiner Glaskabine. Kein Wunder – vier Uhr früh ist die Stunde, zu der die meisten Nachtdienstleute ihren toten Punkt haben. Mir ging es nicht anders. Und wenn irgendjemand auf die glorreiche Idee verfallen war, uns um diese Zeit aus reinem Spaßvergnügen durch die Landschaft zu scheuchen, würde sich dieser Jemand wundern, dann …
Meine Gedanken stockten, da der Lift das vierte Stockwerk erreicht hatte. Die Scherengitter glitten auseinander. Floyd verließ als Erster die Kabine, ich folgte ihm – und dabei stießen wir beinahe mit einem Mann zusammen, der in olympiareifem Tempo durch den Flur spurtete.
Er blieb stehen wie angenagelt.
Sein breites flächiges Gesicht war gerötet. Aus flachen Fischaugen sah er von einem zum anderen – dann holte er plötzlich aus und knallte meinem Kollegen völlig überraschend die Faust vor die Brust.
Floyd blieb die Luft weg, mir zumindest die Sprache.
Aber zu sagen war auch nicht viel. Der Bursche warf sich auf dem Absatz herum, strebte der Liftkabine zu und wollte mich dabei mit einem wuchtigen Sensenhieb zur Seite befördern.
Ich fing sein Gelenk ab und drehte daran. Er heulte auf wie ein getretener Hund. Keuchend wand er sich in meinem Griff, trat nach allen Seiten aus und versuchte, mich mit der freien Linken zu traktieren.
»Stopp, Freundchen«, sagte ich scharf. »Wenn du nicht augenblicklich Vernunft annimmst …«
In der gleichen Sekunde fiel der Schuss.
Ich warf den Kopf herum.
Die vierte Tür auf der linken Seite war es gewesen.
Apartment Nummer 32.
»Verarzte ihn«, rief ich, beförderte meinen Gegner mit einem wuchtigen Stoß in Floyd Winters’ Richtung und spurtete los.
Die Tür war geschlossen – aber unter den gegebenen Umständen brauchte ich mich um keinen fehlenden Durchsuchungsbeschluss zu sorgen. Ich nahm Anlauf, warf mich mit der Schulter gegen das in dezentem Grün lackierte Holz. Beim ersten Mal tat sich gar nichts, beim zweiten bebte die Tür nur – aber beim dritten Versuch flog sie krachend auf.
Ich wurde förmlich in die Diele katapultiert.
Sie war zu klein, um den Sturz zu einer Rolle zu verlängern. Unsanft prallte ich gegen die Wand, kam sofort wieder hoch und tauchte routinemäßig nach rechts weg.
Nichts geschah.
Kein Schuss, kein Geräusch.
Mit gerunzelter Stirn griff ich unter meine Jacke, zog den 38er aus der Schulterhalfter und glitt zu der offen stehenden Verbindungstür zum Livingroom.
Der Anblick traf mich wie ein Schlag in die Magengrube.
Mitten in dem großen, exklusiv eingerichteten Zimmer lag ein Mann. Er lag auf dem Teppich, mit ausgebreiteten Armen. Eine Blutlache breitete sich unter ihm aus, färbte die Fasern des kostbaren Berbers – und zwei Yard von ihm entfernt stand die Lady mit der Luger.
Die Waffe war noch heiß.
Einen Moment lang betrachtete die noch recht junge Frau eingehend den Lauf – dann hob sie ihn an und blies den Rauch von der Mündung.
»Ich bin Penelope Parker«, sagte sie, während sie die Waffe in die Tasche schob. »Ich finde, Sie kommen ein bisschen spät, Mister Cotton …«
***
Ich brauchte nur eine Sekunde, um meine Überraschung zu meistern.
Dann schob ich den 38er ebenfalls zurück in die Halfter, erreichte mit zwei Schritten den angeschossenen Mann und ging neben ihm in die Hocke.
Er war jung, höchstens fünfundzwanzig. Schmales, blasses Gesicht, dunkles Haar, eine Narbe am Kinn. Eine Kugel hatte ihn knapp unterhalb des linken Schlüsselbeins getroffen, die zweite war ihm in den Arm gedrungen und hatte die Schlagader verletzt.
Blut schoss aus der Wunde, hell und stoßweise, und der flache Atem des Jungen verriet, dass es höchste Zeit war, etwas zu unternehmen.
»Rufen Sie die Ambulanz an«, knurrte ich, während ich mir bereits die Krawatte vom Hals zerrte. »Schnell, bitte.«
Sie gehorchte.
Da ich vollauf damit beschäftigt war, die verletzte Ader abzupressen und mithilfe der Krawatte und einer Packung Papiertaschentücher einen notdürftigen Druckverband anzulegen, konnte ich mich nicht um die junge Lady kümmern. Aber ich hörte sie telefonieren. Ihre Stimme klang knapp, sachlich. Dabei glaubte ich mich zu erinnern, dass sie auf den ersten Blick wie ein braves Schulmädchen ausgesehen hatte.
Ich runzelte die Stirn, verscheuchte den Gedanken, weil ich sah, dass der Verband nicht hielt, und versuchte es mit einer fachgerechten Aderpresse.
Penelope Parker kauerte sich mir gegenüber auf den Fersen und sah mir neugierig zu.
Sie wirkte tatsächlich wie ein Schulmädchen, ein ungewöhnlich braves, etwas provinzlerisches Schulmädchen sogar. Schottenkilt, weiße Bluse und Korallenhalskette – das war nicht gerade das, was die New Yorker College Girls zurzeit trugen. Große graue Augen standen in dem schmalen Gesicht, das blonde Haar war in der Mitte gescheitelt und fiel glatt auf die Schultern, und das einzige Zeichen von Erregung bildete eine winzige V-förmige Falte über der Nasenwurzel.
»Wird er durchkommen?«, wollte sie wissen.
»Ich bin kein Arzt, ich kann es nicht beurteilen.«
Sie nickte langsam. »Ich hatte keine andere Wahl. Es war Notwehr. Ich wollte ihn nicht töten. Aber sie waren zu zweit, und sie kamen so plötzlich, dass ich nicht mehr richtig zielen konnte.«
»Schießen Sie sonst besser?«
Sie nickte wieder, als wäre das die selbstverständlichste Sache von der Welt. »Ich bin Mitglied des Sportschützenvereins von Sunny Meadow. Letztes Jahr war ich Stadtmeisterin. Wenn Sie wollen, schieße ich Ihnen eine brennende Zigarette aus den Fingern, ohne Sie auch nur anzukratzen.«
Ich hatte keinerlei Ambitionen in dieser Richtung.
»Können Sie einen Moment lang auf den Mann aufpassen?«, fragte ich. »Ohne ihn gleich zu erschießen, wenn er sich rührt?«
Jetzt wurde ihr Blick vorwurfsvoll. »Ich habe doch schon gesagt, dass ich ihn nicht töten wollte. Ich werde ihn ganz bestimmt nicht erschießen. Und wenn Sie sich ein bisschen mehr beeilt hätten …«
»Schneller ging es leider nicht. Ich bin gleich zurück.«
Sie holte die Luger wieder aus der Tasche, als ich aufstand. Nach dem Waffenschein musste ich sie auch noch fragen, fiel mir ein.
Eilig verließ ich das Wohnzimmer, durchquerte die Diele und kletterte über die ruinierte Tür hinweg.
Floyd Winters lag vor dem geschlossenen Scherengitter des Lifts.
Er lag verkrümmt da, wie leblos, und im ersten Moment durchzuckte mich eiskalter Schrecken.
Doch dann sah ich, dass er sich regte, sich stöhnend herumwälzte, und ging rasch neben ihm in die Hocke.
Er starrte mich an, noch benommen. Eine Beule erblühte auf seiner Stirn, aus einem kleinen Riss rann Blut über die Haut. Er tastete danach und betrachtete seine Finger.
»O verdammt«, krächzte er. »Das gibt es doch nicht! Er ist weg, eh?«
»Es scheint so«, stellte ich fest.
»Meine Schuld! Ich hab mich überrumpeln lassen wie ein Anfänger. Aber der Knockout, den er markierte, wirkte so verdammt echt, dass ich …«
»Das kann jedem passieren«, versuchte ich ihn zu trösten.
»Das darf aber nicht passieren.« Er presste die Lippen zusammen, während ich ihm auf die Beine half. Für einen Moment musste er sich an die Wand lehnen, und ich sah ihm an, dass er sich am liebsten selbst unangespitzt in den Boden gerammt hätte. »Was war da drinnen los?«, wollte er wissen. »Wer hat geschossen?«
»Die Lady, die ein bisschen Angst vor den Killern hatte. Miss Penelope Parker. Sie ist nämlich Mitglied irgendeines Schützenvereins. Falls du mal Lust hast, dir eine brennende Zigarette aus der Hand schießen zu lassen …«
»Sie ist allein mit dem Burschen fertiggeworden?«
»Mit den Burschen«, verbesserte ich. »Einer liegt auf dem Teppich, ziemlich angekratzt. Komm jetzt – sonst bringt das Mädchen es fertig, ihm auch noch den Rest zu geben.«
Wir kehrten in die Wohnung zurück. Penelope hatte sich nicht von ihrem Platz gerührt. Immer noch kauerte sie auf den Fersen, wiegte die Luger wie ein Spielzeug in der Hand und betrachtete aufmerksam das Gesicht des bewusstlosen Gangsters.
»Mein Kollege Floyd Winters«, stellte ich vor. »Und das ist Miss Penelope Parker.«
Sie lächelte. Ein sehr süßes, mädchenhaftes Lächeln. »Sie können mich Penny nennen«, sagte sie.
»Okay, Penny. Haben Sie übrigens einen Waffenschein?«
»Natürlich. Ich bin Mitglied des …«
Ich überließ es Floyd, sich die Wiederholung der Story von dem Sportschützenverein anzuhören, beugte mich über den Bewusstlosen und fischte ihm vorsichtig die Brieftasche aus dem Jackett.
Führerschein und ID-Card lauteten auf Billy Cash, vierundzwanzig Jahre alt, geboren in Chicago. Ich kannte den Namen nicht – und obwohl man nach solchen Äußerlichkeiten nicht gehen sollte, sah mir der Junge durchaus nicht nach einem knallharten Killer aus.
Ein paar Minuten später kam die Ambulanz, und Cash wurde abtransportiert. Wir packten uns Penelope Parker in den Wagen und fuhren in Richtung District-Gebäude.
***
Es war beinahe sechs Uhr, als ich den Jaguar im Hof der Fahrbereitschaft abstellte. In der Reihe der geparkten Wagen entdeckte ich auch den grauen Chevy, mit dem mein Freund und Dienstpartner Phil Decker die halbe Nacht unterwegs gewesen war, um einen Rauschgifthändler bis zu seinem Hauptumschlagplatz zu verfolgen.
Phil wartete bereits im Office. Wir schickten Floyd Winters zum Doc, um seine Beule verarzten zu lassen, lieferten Penelope Parker in der Kantine ab, damit sie ein Frühstück bekam, und bei einem Schluck Kaffee setzte ich meinen Freund ins Bild.
Phil vergaß prompt, dass man die FBI-eigenen Pappbecher tunlichst nur am oberen Rand anfasst, und verbrannte sich die Finger. Fluchend setzte er den Becher ab.
»Diese Miss Parker scheint ein Herzchen zu sein«, brummte er. »Der Name Sunny Meadow kommt mir übrigens bekannt vor.«
»Mir auch. Sunny Meadow ist ein Badeort, im Augenblick so ziemlich der versnobteste an der Atlantikküste. Irgendein Filmfritze hat im vorigen Jahr seine Flitterwochen dort verbracht, und inzwischen ist das Nest zum Treffpunkt des internationalen Jetset avanciert.«
»Hmm. Und du hältst es für möglich, dass deine Miss Parker dazugehört?«
»Wir werden es herausfinden. Am besten in einem der Vernehmungszimmer. Meine Miss Parker macht nicht den Eindruck, als ob man ihr das unbedingt ersparen müsste.«
Ein paar Minuten später tat mir mein Entschluss beinahe schon wieder leid. In ihrem Schottenrock und der braven weißen Bluse wirkte Penny hilflos und ein bisschen verloren in dem kahlen, schmucklosen Raum. Steif saß sie auf einem der unbequemen Stühle, drückte die Knie aneinander und sah von einem zum anderen.
»Zunächst einmal die Personalien«, schlug ich vor. »Name, Alter, Adresse …«
»Penelope Parker, zweiundzwanzig Jahre, Sunny Meadow, Hotel Atlantic.«
»Sie wohnen im Hotel?«
»In dem Penthouse auf dem Dach des Hotels«, verbesserte sie. »Es gehört meinem Großvater. Außer dem ›Atlantis‹ besitzt er noch drei andere Hotels, fünf Nachtbars, zwei Restaurants, einen Spielsalon und ein Kreuzfahrtschiff.«
»Fein«, sagte Phil trocken. »Und warum liefern Sie sich in New York Feuergefechte mit Gangstern, statt sich in Sunny Meadow von Ihrem Großvater verwöhnen zu lassen?«
»Mein Großvater wohnt hier, nicht in Sunny Meadow.« Sie hob die Brauen und blickte von einem zum anderen. »Soll ich nicht lieber von Anfang an erzählen?«
»Wir bitten darum«, seufzte ich schicksalsergeben.
Penny lächelte, lehnte sich zurück und schlang die Hände um die Knie.
»Also wie gesagt: Mein Großvater lebt hier in New York«, begann sie. »In Sunny Meadow hat er einen Geschäftsführer: Meinen Onkel, Trevor Parker. Grandpa kümmert sich wenig um seine Geschäfte. Er vertraut Onkel Trevor und verlässt sich darauf, dass alles läuft.«
»Und in letzter Zeit ist nicht mehr alles gelaufen?«, fragte Phil.
»Stimmt. Wissen Sie, seit Sunny Meadow berühmt geworden ist, hat sich alles verändert. Früher war es ein ruhiger Ort, jetzt herrscht nur noch Rummel. Neue Hotels schießen wie Pilze aus dem Boden, jedes zweite Haus ist eine Kneipe oder eine Boutique – wir sind eine richtige Urlaubsfabrik geworden. Und zu allem Überfluss scheinen auch noch ein paar Gangster das Geschäft ihres Lebens zu wittern.«
Sie machte eine Pause, und ihre grauen Augen verengten sich.
»Jedenfalls wurden in den letzten Monaten in Sunny Meadow mehr Menschen ermordet, überfallen und zusammengeschlagen als in all den Jahren zuvor«, fuhr sie fort. »Ältere Hotels und Restaurants wechselten völlig grundlos den Besitzer, Rauschgift tauchte auf, Prostitution – na ja, und schließlich waren die Betriebe meines Großvaters so ziemlich die einzigen, in denen es noch anständig zuging.«
»Das ist zwar sehr erfreulich, aber noch kein Grund für einen Mordanschlag auf Sie«, stellte ich fest.
»Darauf komme ich noch, warten Sie ab. Seit zwei Monaten hat sich auch das geändert«, berichtete sie weiter. »Onkel Trevor macht, was er will. Er hat zum Beispiel sämtliche Geschäftsführer der Nachtklubs hinausgeworfen und neue Leute eingestellt, er lässt Neppmethoden einreißen und …«
»Und was sagt Ihr Großvater dazu?«, unterbrach ich.
»Nichts. Er kann nichts sagen. Er ist angeblich auf einer Europa-Reise. Aber das glaube ich nicht – denn dann hätte er sich von mir verabschiedet und würde mir schreiben.«
»Sind Sie sicher?«
»Ganz sicher. Deshalb bin ich ja nach New York gekommen – ich will ihn suchen. Aber er ist wie vom Erdboden verschluckt. Sein Apartment steht leer, der Hausverwalter glaubt ebenfalls an die Story mit der Europa-Reise. Aber irgendetwas stimmt da nicht.«
Sie zögerte.
»Ja, und dann war da noch die Sache mit den drei Männern. Sie haben mich von meiner Pension aus verfolgt. Ich hab ein paarmal das Taxi gewechselt, um sicherzugehen. Sie waren tatsächlich hinter mir her, und als ich in das Apartment ging, stoppten sie vor dem Haus.« Sie lächelte, als müsse sie um Entschuldigung bitten. »Als sie ausgestiegen sind, bekam ich Angst und habe den FBI angerufen. Aber da stürmten die Kerle schon herein. Wenigstens zwei davon. Ich … na ja, ich hab ein bisschen die Nerven verloren und sofort geschossen. Der zweite Mann verschwand wieder, weil er wohl geglaubt hat, ich wäre nicht allein. Den Rest kennen Sie ja.«
Den Rest kannten wir tatsächlich. Trotzdem hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlte, nicht stimmte.
Und dann wusste ich es plötzlich.
»Wie sind die Burschen hereingekommen?«, fragte ich. »Die Tür war unbeschädigt, bevor ich sie aufgebrochen habe.«
Penny sah mich an. Zwischen ihren Augen erschien wieder die winzige V-förmige Falte.
»Sie … sie hatten einen Schlüssel«, murmelte sie. »Merkwürdig, nicht wahr?«
»In der Tat merkwürdig. Können Sie die Männer beschreiben?«
»Natürlich. Ich könnte sie sogar zeichnen. Ich bin Mitglied des …«
Wir erfuhren nicht mehr, in welchem Klub oder Verein Penny das Zeichnen gelernt hatte, denn im gleichen Moment schlug das Telefon an. Ich griff nach dem Hörer und meldete mich.
Es war Mr. High. Seine Stimme klang ruhig und beherrscht wie immer – aber ich hörte trotzdem sofort heraus, dass etwas passiert sein musste.
»Jerry, Sie haben doch diesen Billy Cash ins Krankenhaus einliefern lassen«, sagte der Chef.
Meine Kopfhaut kribbelte. »Ja. Was ist mit ihm?«
»Er ist tot, Jerry. Er wurde vor wenigen Minuten von unbekannten Tätern ermordet …«
***
Phil startete sofort in Richtung Medical Center.
Penny lieferte ich bei Peiker ab, dem grauhaarigen FBI-Zeichner, um Mimiks anfertigen zu lassen, vor allem von dem dritten Mann, den wir nicht gesehen hatten.
Ich selbst hängte mich ans Telefon.
Myrna vermittelte die Verbindung zum FBI Philadelphia in Sekundenschnelle.