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Die Randons hatten eine hohe Lebensversicherung. Bei Unfalltod vervierfachte sich die Summe auf zwei Millionen Dollar. Und sie hatten ein riesiges Vermögen.
Die Randons starben auf grauenhafte Weise. Angeblich bei einem Unfall. In zweihundertfünfzig Yards Tiefe unter Wasser. Dafür hatten gerissene Gangster gesorgt.
Als Phil und ich uns mit diesem Fall befassten, war der einzige Erbe der Randons, ihr Sohn, schon so gut wie tot. Auch das gehörte zum Plan der Killermeute.
Wir wollten den Jungen retten. Es wurde ein Wettlauf mit dem Tod.
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Seitenzahl: 188
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Millionenjagd
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: ambrozinio/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9261-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Millionenjagd
Die Randons hatten eine hohe Lebensversicherung. Bei Unfalltod vervierfachte sich die Summe auf zwei Millionen Dollar. Und sie hatten ein riesiges Vermögen.
Die Randons starben auf grauenhafte Weise. Angeblich bei einem Unfall, in 250 Yard Tiefe unter Wasser. Dafür hatten gerissene Gangster gesorgt.
Als Phil und ich uns dem Fall annahmen, war der einzige Erbe der Randons, ihr Sohn, schon so gut wie tot. Auch das gehörte zum Plan der Killermeute.
Wir wollten den Jungen retten, doch es wurde ein Wettlauf mit dem Tod.
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
Der Lichtkegel des Scheinwerfers glitt über bizarre Gesteinsformationen. Millionen hauchdünner Fasern wogten sanft in der leichten Strömung des Wassers. Felsen, von dunkelgrünen Algen bewachsen.
»Fantastisch!«, rief die Frau fasziniert. »Wie ein ferner, bewaldeter Höhenzug!«
Lucius Randon nickte, ohne den Blick zu wenden. »Und wahrscheinlich hat es niemand vor uns gesehen, Dorothy. Wer weiß, vielleicht entdecken wir Spuren unserer Vorfahren. Dinge, die im See versunken sind …«
Das Klein-U-Boot glitt mit surrender Maschine auf den Rand eines Plateaus zu. Dahinter gähnte schwarzer Abgrund.
»Tiefe hundertfünfzig Yard«, stellte Lucius Randon mit einem Blick auf die Armaturen fest.
»Willst du es riskieren?« Leise Besorgnis klang aus der Stimme der Frau.
Er wandte sich zu ihr um, sah ihr beruhigend in die Augen. »Warum nicht, Darling? Es ist kein Risiko. Wir haben noch mehr als eine Stunde Zeit, ehe die Sauerstoffvorräte aufgebraucht sind. Und wenn es dich beruhigt, die Funkstation in Meredith und auch der Ausrüster kennen unseren Kurs!«
»Also gut«, lächelte Dorothy Randon, »wenn wir schon die tiefste Stelle des Lake Winnipesaukee gefunden haben, dann nutzen wir es auch aus!«
»Mutiges Mädchen!«, lobte sie ihr Mann.
Das torpedoförmige Unterseeboot, Spezialanfertigung für große Tiefen, schob sich über den Rand des Plateaus hinaus. Zwei Scheinwerfer unter dem Rumpf schickten ihr gleißendes Licht in die Tiefe.
Gähnende Tiefe, schwarz und bodenlos. »Zweihundert Yard«, stellte Lucius Randon fest.
Das Boot sank weiter.
Dorothy Randon hatte den Schieber geöffnet, der durch faustdickes Glas einen Blick nach unten ermöglichte.
»Noch ist nichts zu …«
Mitten im Satz brach sie ab. Jähe Atemnot ließ sie vor Schreck erstarren. Dann schrie sie auf.
»Lucius! Um Himmels willen, der Sauerstoff …«
Ein zweiter Schock schnürte ihr die Kehle zu, als sie sah, wie der Oberkörper ihres Mannes sich verkrampfte.
»… müssen auftauchen!«, keuchte er. »Noch können wir es schaffen! Irgendetwas stimmt nicht mit …«
Er sprach nicht weiter, versuchte, sich auf die Armaturen zu konzentrieren. Er hatte langjährige Taucherfahrung und wusste, dass es ihm gelingen musste. Verzweifelt betätigte er die Hebel, die das für hohe Druckbelastungen gebaute U-Boot auftauchen lassen sollten.
Der Tiefenmesser stand bereits auf dreihundert Yard. Endlos langsam kletterte die Nadel zurück, viel zu langsam.
Dorothy Randon griff sich an die Kehle, ihr Mund war weit geöffnet. Zur Atemnot kam die Angst, die sie lähmte.
Noch immer befand sich der Bootskörper in dem gähnenden Abgrund.
Lucius Randons Handbewegungen wurden fahrig, ruckartig.
Plötzlich hatte er seine Finger nicht mehr unter Kontrolle. Es waren seine Nerven, die ihm einen tödlichen Streich spielten, ihn den falschen Hebel betätigen ließen.
Als er den Fehler korrigieren wollte, war es zu spät.
Mit einem dumpfen Krachen prallte das U-Boot gegen die senkrechte Wand. Der Bootskörper geriet ins Taumeln. Randons verzweifelte Steuerungsmanöver bewirkten keinen Erfolg.
Die beiden Menschen in der Kabine schrien nur noch.
Lucius Randon verlor als erster das Bewusstsein. Todesangst, wachsende Atemnot und bis zur Unerträglichkeit gepeinigte Nerven bewirkten dies.
Der torpedoförmige Rumpf neigte sich langsam mit der Spitze nach unten, trieb ein Stück von der Felswand weg.
Dann erstarben auch Dorothy Randons Schreie. Tödliche Stille umgab das U-Boot, das längst über dreihundertfünfzig Fuß Tiefe hinaus war.
Als die Spitze des Rumpfes auf den Grund prallte, erstarb die Maschine. Das Boot legte sich auf die Seite, wirbelte mikroskopisch feinen Sand auf, der durch die Lichtkegel waberte.
Nach Stunden erloschen auch die Scheinwerfer. Irgendwann wurden Funksignale in die Tiefe gejagt. Doch selbst wenn diese Signale bis in den gähnenden Abgrund vorgedrungen wären – es gab niemanden mehr, der sie empfangen konnte.
***
»Hau ab!«, grollte der Riese, ein baumlanger, muskelbepackter Kerl. »Hau ab, oder du kriechst auf dem Zahnfleisch vom Hof!«
Ich sah ihn von Kopf bis Fuß an. Es hatte keinen Zweck, ihm mit Erklärungen zu kommen. Und leider war er zurzeit die einzige Menschenseele hier. Zeugen gab es nicht. Und er konnte sich auf das berufen, was man Hausrecht nennt.
Ich steckte meinen falschen Presseausweis wieder ein.
Zeigte eine Art zerknirschtes Lächeln.
Er fasste es falsch auf. Eigentlich hätte ich es erwarten sollen.
»Wenn du dich über mich lustig machen willst …!«, brüllte er und setzte den unausgesprochenen Teil seiner Drohung augenblicklich in die Tat um.
Ich sah eine Dampfwalze auf mich zurollen – bestehend aus blauer Latzhose, kariertem Hemd über mächtigen Muskelwülsten und einem kantigen Schädel.
Der Anblick war geeignet, sehr schnell das Fürchten zu lernen.
Da ich eine solche Lehre aber schon hinter mir habe, steppte ich ungerührt zur Seite. Federnd ging ich auf dem Betonpflaster des Hofes in Stellung.
Diese Reaktion hatte Dampfwalze nicht erwartet. Es irritierte ihn sogar sichtlich, und sein Ansturm geriet für einen Sekundenbruchteil ins Stocken.
In diesem Moment explodierte ich. Jeder normale Sterbliche hätte geglaubt, an ein Bündel Dynamit geraten zu sein.
Nicht so Dampfwalze.
Ein Ding aufs Zwerchfell, ein Uppercut und ein brettharter Handkantenhieb fanden präzise ihr Ziel. Doch den Riesenkerl brachte ich damit lediglich für zwei Atemzüge zum Stillstand. Dann schüttelte er sich, walzte erneut auf mich los, Wutgebrüll ausstoßend. Seine schaufelgroßen Fäuste zischten über mich hinweg. Eine Deckung brauchte ich nicht erst aufzubauen. Er hätte sie zertrümmert wie eine morsche Bretterwand. Also musste ich ausweichen. Immer wieder, bis sein Gebrüll mit wachsendem Ärger anschwoll.
Er war auf dem besten Weg, mich an die Einfriedigung des Hofes zurückzudrängen. Einen Maschendrahtzaun, der von Betonpfählen gehalten wurde.
Verdammt, ich musste mir etwas einfallen lassen, wenn er mich nicht in den Draht flechten sollte! Also kramte ich blitzschnell in jener Trickkiste, die unsereins auf der FBI-Akademie Quantico mit nach Hause kriegt. Der Inhalt der Kiste hatte mit Karate, Jiu-Jitsu und ähnlichen Raffinessen zu tun.
Ich überhörte Dampfwalzes Gebrüll, ließ mich nicht einschüchtern und huschte blitzartig zur Seite weg.
Aber er hatte sich inzwischen auf solche Tricks eingestellt und setzte überraschend schnell nach.
Genau das hatte ich beabsichtigt.
Bevor er reagieren konnte, wirbelte ich herum, tauchte weg und bekam seine Beine zu fassen.
Er musste das Gefühl haben, als würden Raketentreibsätze in seinen Hacken gezündet. Es hob ihn empor, und er sauste als überlanges Geschoss über mich hinweg. Bevor er landete, ruderte er noch ein bisschen mit den Armen.
Möglich, dass es seinen Flug stabilisierte. Denn er vollführte eine blitzsaubere Landung in einem Stapel leerer Kisten, die vor der Werkstattwand aufgetürmt waren.
Es gab ein ohrenbetäubendes Krachen. Billiges Holz zerbarst in tausend Einzelteile. Und der Riese wurde mittendrin begraben.
Ich wollte ihn befreien, um ihm den Rest zu geben. Doch als die zersplitterten Kistenbretter zur Ruhe gekommen waren, rührte sich nichts mehr.
Ich erschrak. Konnte Dampfwalze etwa weniger vertragen, als ich angenommen hatte? Rasch räumte ich das Holz beiseite.
Beruhigt stellte ich fest, dass er lediglich bewusstlos war. Ich drehte ihn auf den Rücken und tätschelte behutsam seine Wangen.
Nach einer Weile blinzelte er wie einer, den man morgens viel zu früh weckt. Dass ausgerechnet ich der erste Anblick war, schien ihn nicht zu erfreuen. Jedenfalls zog er ein schiefes Gesicht. Vielleicht verspürte er jetzt auch echte Schmerzen.
»Beruhig dich, Kumpel!«, empfahl ich freundlich. »Du hast den Falschen erwischt.« Vorsorglich blieb ich allerdings außerhalb seiner Reichweite.
Er stieß einen verächtlichen Laut aus. »Du arbeitest mit Tricks, du Hundesohn!«
»Erfasst«, lächelte ich, »bei dir kann man nicht anders.«
Er brummte Unverständliches, dann rappelte er sich halb auf. »Jedenfalls kriegst du aus mir kein Wort heraus, Zeitungsschmierer!«
»Egal«, entgegnete ich schulterzuckend, »dann warte ich eben, bis dein Chef zurückkommt.«
Dampfwalze lachte hämisch. »Da kannst du dir die Beine in den Bauch stehen! Der Boss bleibt nämlich bis morgen in Wolfeboro! Und außerdem kann er euch Zeitungsheinis noch weniger leiden als ich!«
»Und warum nicht?«
»Zum Teufel, weil ihr unseren guten Namen in den Dreck zieht!«
»Wir zahlen auch Informationshonorar!«
»Informationshonorar!«, äffte er mich bissig nach. »Was nützt mir das, he? Was nützen mir ein paar lumpige Dollars, wenn unser Laden pleitegeht und ich meinen Job verliere! Was Neues zu finden ist verdammt nicht leicht.«
Ich konnte seine Bedenken verstehen. Für ihn war es gewiss nicht einfach, eine neue Stellung zu bekommen.
»So long«, sagte ich und ging.
Dampfwalze sah mir verdutzt nach. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ich so schnell aufgeben würde.
Doch ich hatte meinen Grund dafür. Wenn ich etwas brauchte, dann waren es knallharte Fakten, Tatsachen, Beweise. Und die konnte ich beim besten Willen nicht von einem Mann erwarten, der um seinen Arbeitsplatz mehr als um alles andere bangte.
Ich brauchte den Mann, der in der Sache dringesteckt hatte. Der praktisch tiefer drinsteckte als zuvor …
***
Concord, Hauptstadt des Bundesstaates New Hampshire, brütete in hochsommerlicher Hitze. Einsatzkommandos der städtischen Behörden streuten Sand auf die Asphaltstraßen, die so weich waren, dass ein Spurensicherer des FBI seine Freude an den Reifenabdrücken gehabt hätte.
Ich parkte meinen Leihwagen, einen zitronengelben Olds Cutlass, am Straßenrand vor dem Polizeihauptquartier von Concord. Hier arbeitete alles unter einem Dach. Verkehrspolizei, Kriminalabteilung und FBI. Letzteres im ersten Stock.
Ich enterte das Büro mit der Nummer 133.
Peggy strahlte mich an. Augen, so klar wie ein Creek in den Rockys, und Haare, goldblond und seidenweich.
Sie ließ die Tasten sekundenlang ruhen, als ich das Vorzimmer mit forschen Schritten durchquerte.
»Ein Sonnenaufgang am Meer ist nichts dagegen!«, schwärmte ich.
»Gegen was, Mister Cotton?«
Ich blieb vor der Tür zum Nebenzimmer stehen. »Gegen Ihren Anblick, Peggy.«
Ich lächelte ihr zu und ließ sie allein.
Erroll Gordon hieß mein FBI-Kontaktmann in New Hampshire. Er war in meinem Alter, schlank und hochgewachsen. Außerdem fast so blond wie unser New Yorker Kollege Steve Dillaggio. Gordon und seine Sekretärin Peggy ergaben ein nettes blondes Gesamtbild.
»Nun?«, fragte er und schob seine Aktenstapel beiseite.
»Nichts«, erwiderte ich, setzte mich und berichtete von meiner Fahrt zum Lake Winnipesaukee und der Begegnung mit Dampfwalze.
Was wir bislang an Tatsachen zusammengetragen hatten, war dürftig, reichte nur für einen Verdacht. Einen schlimmen Verdacht allerdings. Der zur Folge hatte, dass das FBI Washington eine sofortige Untersuchung des Falls anordnete. Zusammenarbeit zwischen den District Offices New York und New Hampshire. Deshalb war ich hier.
Eine Spezialeinheit der US Navy hatte eines von diesen Klein-U-Booten aus dem Lake Winnipesaukee gezogen. Für die beiden Menschen in der Kanzel hatte es keine Rettung mehr gegeben. Dorothy und Lucius Randon aus New York. Ein millionenschweres Ehepaar, das sich das Tauchen zum Freizeitsport erkoren hatte.
Seit dem tragischen Unglück waren bereits zehn Tage vergangen. Anfangs hatte man tatsächlich an ein Unglück geglaubt. Bis die Navy-Experten ein winziges Haar in der Suppe fanden. Und das sah so aus:
Die Randons waren mit ihrem Mini-Submarine morgens um neun Uhr von Meredith aus auf den See hinausgefahren. Bis zu der Stelle, an der das gesunkene U-Boot gefunden worden war, brauchten sie auf direktem Weg nicht mehr als fünfzehn bis fünfundzwanzig Minuten. Da Lucius Randon eine Art Bordbuch bei sich trug, in dem er die Abfahrtszeit eingetragen hatte, war anzunehmen, dass er sich über den Aktionsradius im Klaren gewesen war. Normalerweise reichten die Sauerstoffvorräte für zwei Stunden.
Wie die Navy-Experten weiter festgestellt hatten, hatte Randon am Tag vor dem Unglück die Sauerstoffkapseln seines Submarines ausgewechselt. Und zwar bei einer Werkstatt für Boots- und Taucher-Ausrüstungen, direkt am Seeufer, zwischen Meredith und Weirs Beach.
Diese Werkstatt hatte ich aufgesucht. Als Reporter getarnt. Und hatte Bekanntschaft mit Dampfwalze gemacht.
»Es gibt nur die eine Möglichkeit«, murmelte Erroll Gordon. »Die Sauerstoffkapseln, die Randon an Bord genommen hat, waren nicht voll, sondern fast leer. Nur, man hat sie ihm als volle Kapseln verkauft.«
Haargenau das war der Verdacht, den die Fachleute von der Navy uns gegenüber geäußert hatten. Die Wahrheit herauszufinden, war unsere Aufgabe. Die Navy hatte ihre Ermittlungen abgeschlossen.
Und wir hatten mit einer Vorsichtsmaßnahme begonnen: Offiziell betrachteten auch wir den Tod des Ehepaars Randon als Unglücksfall. So war es in allen Zeitungen zu lesen. Unsere Arbeit lief unter strengster Geheimhaltung. Nur so konnten wir den Mördern auf die Spur kommen. Falls es sich tatsächlich um Mord handelte.
»Morgen unternehme ich einen letzten Versuch«, entschied ich, »und wenn nichts dabei herauskommen sollte, werde ich den Hebel in New York ansetzen.«
Erroll Gordon nickte nachdenklich. Er war der gleichen Meinung wie ich. Hier am Lake Winnipesaukee verliefen vermutlich alle Spuren im Sande. Die Randons hatten während ihrer Aufenthalte am See stets in Hotels übernachtet. Bekannte oder gar Freunde hatten sie in New Hampshire nicht gehabt.
Völlig anders sah es dagegen in New York aus. Dort war die Familie Randon tonangebend in der so genannten Upper Society gewesen. Und der Randon-Konzern wurde fast täglich im Wirtschaftsteil der Zeitungen erwähnt.
Ich konnte keinen handfesten Grund dafür nennen, doch ich hatte die unbestimmte Ahnung, dass der Drahtzieher des teuflischen Mordes irgendwo am Hudson River saß. In New York City, genau gesagt.
***
Die junge Frau tippte im Vorbeigehen auf den Lichtschalter und kam dann näher, mit einem Tablett voller Longdrinks. Nur noch die Wandlampen brannten in dem Wohnsaal, der Platz für zwei Basketball-Mannschaften geboten hätte.
Casey Randon kam von der Polster-Liegewiese hoch, schüttelte die beiden Girls ab, die sich schnurrend neben ihm räkelten.
»Das Licht an!«, schrie er. »Verdammt noch mal, du bist hier nicht zu Hause! Wer hat dir gesagt, dass du es ausschalten sollst, he?«
Das Mädchen mit den Longdrinks zuckte zusammen, hatte Mühe, das Tablett zu balancieren.
»A-aber Casey, ich dachte, ich meine«, stotterte sie, »ich wollte doch nur …«
Seine Schläfenadern schwollen an. »Du sollst nicht denken, zum Teufel! Ich will Licht in diesem verdammten Kasten! Keine dunkle Ecke! Solange ich hier wohne, wird es nie wieder dunkel! Habt ihr das begriffen?«
»Natürlich, Casey, natürlich!« Die junge Frau mit den Drinks beeilte sich, das Licht wieder anzuknipsen.
Die beiden anderen schmiegten sich an den Jungen, zogen ihn zärtlich zurück auf die Schaumstofflandschaft aus quadratischen Polsterelementen.
Casey ließ sich besänftigen. Er lag auf dem Rücken, regungslos, Arme und Beine von sich gestreckt. Und er spürte die vibrierenden Fingerspitzen der Girls, die sich jetzt zu dritt um ihn bemühten. Gedämpfter Bluesgesang drang aus verborgenen Stereoboxen.
Nur die eine kannte Casey mit Namen. Mandy. Ein geldgieriges Geschöpf. Casey brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, dann kam sie. Brachte auch Freundinnen mit, wenn er etwas mehr Vergnügen wollte.
Sie wusste, was man tun musste, um Casey freundlich zu stimmen. Und in der Beziehung hielt sie sich nicht zurück.
Er hielt die Augen geschlossen, lag einfach da und fühlte die Nacktheit dreier Mädchenkörper. Straffe, jugendliche Haut umgab ihn, begleitet von leisen Lauten beginnender Erregung.
Anfangs hatte er nur eines gewollt: nicht allein sein. Je länger jedoch die Nähe der Drei anhielt, desto mehr wurde ihm klar, dass sie zu allem geeignet waren, nur nicht dazu, seine Einsamkeit zu verscheuchen. So versuchte er, ihre Körperwärme in ein Gefühl der Geborgenheit umzumünzen.
Doch irgendwann, plötzlich, empfand er Abscheu gegen diese Wesen, die nichts als Fleisch waren, käuflicher und verkommener als jede Hure.
Er stieß sie von sich, befreite sich mit jäher Grobheit von ihnen. Und er weidete sich an den Lauten des Erschreckens, an der Begriffsstutzigkeit dieser Körper.
»Ihr könnt nach Hause gehen! Geht schon! Verschwindet!«
Sie verstanden nicht.
Mandy versuchte, ihn schmollend umzustimmen, indem sie sich an seine kantigen, schmalen Schultern hängte. »Aber Casey, du wolltest doch …«
Er stieß sie so brutal von sich, dass sie aufschrie. »Jetzt will ich nicht mehr! Ich will euch nicht mehr sehen! Kapiert ihr?«
Die drei brauchten jetzt keine Aufforderung mehr. Hastig schlüpften sie in ihre Kleidung, drängten sich aus dem Raum, als Casey aufsprang und sie zur Eile antrieb.
Er atmete auf, als er Minuten später den Motor des Wagens hörte, der das Grundstück verließ.
Er hätte sich für diesen idiotischen Einfall selbst ohrfeigen können. Aber seit er allein in der riesigen Villa hauste, hatte er vieles getan, was ihm früher Freude bereitete. Jetzt bescherte es ihm nichts als einen schalen Nachgeschmack. Zum Teufel, war er denn ein so sensibler Weichling? War er nicht stets davon überzeugt gewesen, dass Trauer unlogisch, ja, nichts als Selbstmitleid war?
Zorn auf sich selbst erfasste Casey, als er sich eingestehen musste, dass er in den vergangenen Tagen gerade das getan hatte, was er niemals wollte. Er hatte getrauert. Nun, der Tod seiner Eltern hatte ihn völlig überraschend getroffen. Vielleicht war das eine Entschuldigung für seine unerwünschten Gefühle.
Er konnte die Enge der vier Wände nicht mehr ertragen. Ein plötzlicher Drang machte der Bitterkeit Platz, die er eben noch verspürt hatte. Fast war er jetzt froh über diesen Drang, der ihn schon früher hinausgetrieben hatte. Damals war er oft genug aus der Nähe seiner Eltern geflohen.
Hinter allen Fenstern brannte Licht, als er die Villa am Lafourette Park in Richmond verließ. Dann klirrten die Scheiben, als sein Mercedes 350 SE Coupé mit wummerndem Motor über den Vorplatz rollte.
Casey lenkte den roten Sportwagen auf die Forest Hill Avenue und beschleunigte bis auf dreißig Meilen pro Stunde. Er hatte das Hardtop zu Hause gelassen, und der Fahrtwind umfächerte ihn wohltuend. Obwohl es fast Mitternacht war, hatte sich die Luft über New York noch nicht abgekühlt.
Unerklärliche Freude erfüllte ihn, als er die Verrazano Narrows Bridge erreichte. Nur wenige Fahrzeuge waren zu dieser Zeit noch unterwegs. Casey war fast allein auf der Brücke. Tief unten glitzerten Lichtreflexe auf der Wasserfläche der Narrows, der Meerenge zwischen Staten Island und Brooklyn. Und zur Linken lag die Upper Bay wie ein großer Spiegel, der das Lichtermeer von Manhattan seitenverkehrt zeigte.
Casey Randon genoss die Szenerie, die ihm ein grenzenloses Freiheitsgefühl vermittelte. Dies war die einzige Zeit des Tages, während der er unbeschwert atmen konnte. Jenes New York, das einen einengte und mit Zwängen belegte, war schlafen gegangen. Jetzt, in der Nacht, wurde gelebt. Von denen, die zu leben verstanden.
Über den Gowanus Parkway rollte Casey langsam durch das nordwestliche Brooklyn. Am Verteiler Roosevelt Expressway verließ er die Schnellstraße, steuerte die nächste Unterführung an und erreichte South Brooklyn. Wenig später befand er sich bereits in der Hafengegend an der Mündung des East River.
Die Straßen waren hier schmal, wie vor fünfzig Jahren oder noch früher, die Häuser auf engstem Raum zusammengedrängt, mit altertümlichen Fassaden, an denen moderne Leuchtreklamen und nachträglich eingebaute Schaufensterscheiben wie Fremdkörper erschienen. Straßenlampen verstreuten spärliche Lichtkreise über rissiges Pflaster. Schlussleuchten von langsam dahinrollenden Limousinen glühten rot, Auspuffqualm quoll weißlich in die feuchte Luft, wenn einzelne Wagen stoppten und wieder anfuhren.
Casey empfand so etwas wie Bewunderung für die Bordsteinschwalben. Die kümmerten sich einen Dreck um Konventionen. Sie holten sich ihr Geld dort, wo es am leichtesten zu kriegen war. Darüber, ob sie damit glücklich waren, hatte Casey noch nie nachgedacht.
Er ließ den Mercedes am Fahrbahnrand ausrollen, zog die Handbremse an und drehte den Zündschlüssel nach links.
Beim Anblick des roten Sportwagens verließen gleich drei, vier Girls ihre Stammplätze an der Bordsteinkante, kamen mit wiegenden Hüften näher.
Casey blieb lächelnd hinter dem Lenkrad sitzen.
Eine dralle Rotblonde war die Erste, die sich an die Beifahrertür schob.
»Hallo!«, sagte sie rauchig. »Bestimmte Absichten?«
Die anderen kamen näher, rückten ihre Vorzüge ins Licht der Straßenlampe, die nur wenige Schritte entfernt war.
Casey zuckte die Achseln. »Weiß noch nicht!«, lachte er. »Vielleicht brauche ich erst einen Drink …«
Die Rotblonde nickte verständnisvoll. »Aber allein trinkt es sich schlecht. Und auf ein paar Dollars kommt es dir doch nicht an, oder?«
»Woher willst du das wissen?«, entgegnete er. »Wer sagt dir, dass ich nicht ein armer Schlucker bin, der diesen Schlitten in einem Anfall von Größenwahn gemietet hat!«
Die Girls lachten amüsiert.
»Wir haben einen Blick für so was«, versicherte die Rotblonde. »Uns machst du nichts vor!«
»Wisst ihr was!«, rief er. »Wir gehen alle zusammen einen trinken! Und dann überlegen wir, was wir sonst noch gemeinsam anstellen können! Einverstanden?«
Unter den vier Girls gab es keine Diskussion darüber.
Casey zog den Zündschlüssel ab und steckte ihn in die Tasche. Dann schwang er sich geschickt über die Beifahrertür und landete in einer Wolke der unterschiedlichsten Parfüm-Duftnoten.
»Da drüben ist eine nette Bar!«, meinte die Rotblonde und ließ ihn ihre Körperrundungen spüren.
»Wie viele Prozente kriegt ihr beim Keeper?«, wollte Casey wissen.
Sie lachten.
»Du kennst dich aus!«, meinte eine, deren dunkle Haare im Licht glänzten.
Casey war bei bester Laune. Jetzt konnte er vergessen, wer er war. Er dachte nicht mehr an die Villa in Richmond, nicht mehr an seine toten Eltern. Hier, an einer von tausend Bordsteinkanten in South Brooklyn, fing er aus dem Nichts an zu leben.
Er hatte nicht auf die Leute geachtet, die den Bürgersteig bevölkerten und vor den Eingängen der Kneipen herumlungerten.
Deshalb bemerkte er die drei Typen erst, als sie ihm und seinen Begleiterinnen den Weg versperrten.
***
Die Girls wurden plötzlich still, zogen sich an die nächste Hauswand zurück.
Casey war allein. Stirnrunzelnd musterte er die drei Burschen. Es gab Ärger. Er kannte das, hatte es oft genug erlebt. Meistens ließ sich so was mit Geld aus dem Weg räumen.
Die drei waren in seinem Alter, vielleicht etwas jünger. So um die Zwanzig herum. Alle drei trugen sie helle T-Shirts und verwaschene Jeans und hatten lange, strähnige Haare. Bei dem einen waren sie leicht gewellt und blond. Sein Nebenmann stach durch einen Schnauzbart hervor, dessen Enden bis zum Unterkiefer herabhingen. Der dritte hatte ein Dutzendgesicht. Nur seine Schultern waren breiter und muskelbepackter als die der anderen.
»Was wollt ihr?«, knurrte Casey und bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, dass die übrigen Leute einen weiten Bogen schlugen und auf die andere Straßenseite wechselten. Auch die vier Girls waren verschwunden, wollten in sicherer Entfernung abwarten, wie sich die Sache entwickelte.
»Den Zündschlüssel!«, forderte der Schnauzbart grinsend. »Du kannst dich mit den Puppen amüsieren, und wir machen ’ne Spritztour!«
»Dein Schlitten gefällt uns nämlich«, fügte der Breitschultrige hinzu. »So was kriegt man hier nicht jeden Tag in die Finger!«
Casey sah ein, dass es gefährlicher wurde, als er angenommen hatte. Diese Burschen gehörten zur wildesten Sorte.
»Meinen Wagen kriegt ihr nicht«, sagte Casey furchtlos, »da könnt ihr euch auf den Kopf stellen.«