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Die Ungeheuerlichkeit der Nachricht verschlug uns allen den Atem. Selbst Mr. High, dem Chef des New Yorker FBI.
Gangster hatten eine Raketenstation der US-Army in ihre Gewalt gebracht - unter Anwendung eines absolut tödlichen Kampfgases. Und nun drohten sie, die todbringenden Hawk-Raketen abzuschießen, wenn das Pentagon nicht auf der Stelle fünf Millionen Dollar zahlte.
Sie demonstrierten ihre Macht: Ein Sportflugzeug und seine Insassen wurden das Opfer einer Rakete. Und dann kam eine Verkehrsmaschine an die Reihe.
Da hatten Phil und ich eine Idee. Es war die gefährlichste Idee unseres Lebens ...
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Seitenzahl: 181
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Raketengangster
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelfoto: BPTU/shutterstock
Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-9657-7
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Raketengangster
Die Ungeheuerlichkeit der Nachricht verschlug uns allen den Atem, selbst Mr. High, dem Chef des New Yorker FBI.
Gangster hatten eine Raketenstation der U.S. Army in ihre Gewalt gebracht – mit einem absolut tödlichen Kampfgas. Und nun drohten sie, HAWK-Raketen abzuschießen, wenn das Pentagon nicht auf der Stelle fünf Millionen Dollar zahlte.
Sie demonstrierten ihre Macht – ein Sportflugzeug und seine Insassen wurden das Opfer einer Rakete. Danach wollten sie eine Verkehrsmaschine vom Himmel holen.
Phil und ich hatten eine Idee. Es war die gefährlichste Idee unseres Lebens …
Die Jerry Cotton Sonder-Edition bringt die Romane der Taschenbücher alle zwei Wochen in einer exklusiven Heftromanausgabe. Es ist eine Reise durch die Zeit der frühen Sechziger bis in das neue Jahrtausend.
Rot.
Ich ließ den Jaguar vor der Ampel ausrollen, tippte sanft auf die Bremse. Pause für die 265 Pferdestärken.
Unsere Blicke wanderten nach rechts. Automatisch sozusagen. Denn weshalb soll ein G-man vor gewissen Reizen die Augen verschließen?
Das Girl stand einsam an der Bordsteinkante, wartete auf das Grün der Fußgängerampel – blond, schlank, mit wohlgeformten langen Beinen, die ein angenehm kurzer Rock im Licht der Frühlingssonne präsentierte.
Phil kurbelte die Scheibe herunter, beugte sich hinaus.
»Lächeln sie, Miss! Das macht sie doppelt hübsch.«
Sie wandte den Kopf.
Und lächelte.
Dann machte das Grün der Ampel alles kaputt. Die junge Lady flanierte mit wippendem Röckchen an der Haube des Jaguars vorüber und entschwand. Ich ließ den Flitzer anrollen, als wir freie Fahrt bekamen. Seufzend drehte mein Freund das Fenster wieder hoch.
»Leider«, nickte ich, »sind nette Momente im Leben viel zu …«
Das flackernde Lämpchen am Armaturenbrett zerstörte meine tiefschürfenden Gedankengänge im Ansatz. Es sah verdammt danach aus, als ob wir uns an diesem Morgen von schnöden Lichtsignalen tyrannisieren lassen mussten.
Phil schnappte sich das Funkmikro und ging auf Empfang.
»Ihre Position, bitte«, schnarrte die Stimme des Kollegen aus der Zentrale.
»West vierundfünfzigste«, antwortete Phil, »Höhe Ziegfeld Theater.«
»Ausgezeichnet!« Die Stimme des Kollegen wurde plötzlich hellwach, überschlug sich fast. »Alarmfahrt für Sie! Ecke fünfundfünfzigste und Broadway, Hotel Woodward …«
Reflexartig drückte ich zwei Knöpfe. Sirene, Rotlicht.
Im gleichen Atemzug trat ich das Gaspedal durch.
Der Jaguar schnellte los, mit geballter Kraft. Ich zog ihn auf die linke Seite. Viel Verkehr war sowieso nicht. Die Vierundfünfzigste ist Einbahnstraße in östlicher Richtung.
»… Telefonzelle«, hörte ich es wieder aus dem Lautsprecher, »haben unbekannten Anrufer durch Fangschaltung geortet. Sofort festnehmen! Anweisung vom Chef!«
Hölle und Teufel, wir waren so nahe dran, dass wir fast hinspucken konnten!
Ich jagte auf die Avenue of the Americas zu, stieg in die Bremse, um nicht mit dem Querverkehr zu kollidieren.
»Verstanden, Ende«, sagte Phil und klinkte das Mikro ein.
Unsere Sirene hallte gellend durch die Häuserschluchten. Ich wartete eine Sekunde, ließ den Jaguar langsam voranrollen, bis sie in der Avenue begriffen, woher das Konzert kam.
Dann gab ich Gas, ließ das Lenkrad rotieren. Mit wedelndem Heck fegte der Jaguar nach links.
Vollgas.
Mein Freund hielt sich mit der Linken fest. Mit der Rechten zog er den 38er.
Wir rasten vorbei an dicken Limousinen, hinter deren Lenkrädern verschlafene Gesichter gähnten. Die Vorahnung auf zigtausend Büroräume im Rockefeller Center, die sich in diesen Minuten mit morgenmüden Schreibtischstrategen füllten.
Die nächste Kreuzung war leer. Unser Geheul zeigte Wirkung. Im Powerslide zog ich den Jaguar erneut nach links. Die Hinterreifen protestierten kreischend, versuchten, die Sirene zu übertönen.
Wieder Vollgas.
Uns erwartete kein Büro, kein Tag, der den übrigen 365 im Jahr aufs Haar glich. Wir konnten lediglich ahnen, was uns bevorstand.
Vor der Kreuzung Seventh Avenue brauchte ich die Bremse nur kurz anzutippen. Im nächsten Moment kletterte die Tachonadel wieder rapide hoch.
Ich knipste Konzert und Lichtorgel aus. Wir waren kurz vor dem Ziel.
Nur eine routinemäßige Festnahme? Vielleicht nichts Aufregendes. Vielleicht aber auch tödliches Blei, Mündungsfeuer – ein harter Job, der einem das Äußerste abverlangte, um nicht auf der Gedenktafel im Eingang des FBI-Gebäudes verewigt zu werden.
Wir schossen auf den Broadway zu. Zur Linken die ausgedehnte Fassade des Hotel Woodward. Ein paar Fußgänger.
Und die Telefonzelle. Direkt an der Ecke, wie der Kollege gesagt hatte.
Ich ließ den Flitzer hart an den links parkenden Fahrzeugen vorbeirauschen.
Dann sahen wir ihn.
Der Typ stand noch in dem Glaskasten und telefonierte munter vor sich hin. Wenn er der Halunke war, auf den wir es abgesehen hatten, musste er ein blutiger Anfänger sein. Einer, der noch nie im Leben von Fangschaltung und ähnlichen Raffinessen gehört hatte.
Zwanzig Yard vor der Zelle wechselte ich vom Gas auf die Bremse. Per Servo-Unterstützung brachte ich den Flitzer rasant zum Halten.
Phil hatte die Beifahrertür schon offen. Noch im Ausrollen schwang er sich hinaus.
Der Telefonierer hatte noch immer den Hörer am Ohr. Direkt neben der Zelle tauchte die Jaguarhaube nach unten, kam wippend wieder hoch.
Phil flankte vorn herum.
Ich kuppelte aus. Handbremse.
Der 38er flog mir förmlich in die Rechte. Tür auf, und …
Glas löste sich krachend in hundert Splitter auf. Passanten schrien, wichen panikartig beiseite.
Erst im nächsten Sekundenbruchteil war das Peitschen der Schüsse zu hören.
Phil, schon auf dem Bürgersteig, prallte gegen die berühmte unsichtbare Wand.
Auch ich kam nur ein paar Schritte weit.
Noch immer peitschten die Gewehrschüsse. Schlagartig war der Bürgersteig wie leergefegt. Die Telefonzelle löste sich förmlich in ihre Bestandteile auf. Hellrote Blutspritzer waren auf den Glassplittern zu sehen.
Reaktionsschnell gingen Phil und ich hinter dem Jaguar in Deckung.
Vergeblich suchten wir nach dem heimtückischen Scharfschützen.
Die Schüsse brachen ab. Kein Mündungsfeuer, nach dem wir uns orientieren konnten. Ringsherum waren Gebäude mit zehn, zwanzig und mehr Stockwerken. Und Hunderte von Fenstern.
Zwecklos.
Sirenengeheul näherte sich von allen Seiten. Erst jetzt wurde uns bewusst, dass wir als erste zur Stelle gewesen waren. Aber trotzdem zu spät.
Geduckt hasteten mein Freund und ich auf den ersten Streifenwagen zu, der vor der Jaguarhaube mit wimmernden Reifen zum Stehen kam.
Dann richteten wir uns auf. Es drohte keine Gefahr mehr. Der heimtückische Heckenschütze hatte es nur auf den einen Mann abgesehen gehabt.
Ein uniformierter Sergeant sprang mit schussbereitem Dienstrevolver aus dem Patrol Car.
»Abriegeln!«, rief ich. »Den ganzen Block! Siebente und achte Avenue, vierundfünfzigste und sechsundfünfzigste Straße!«
Der Sergeant machte auf dem Absatz kehrt und klemmte sich hinter sein Funkgerät. Es würde zwei, vielleicht drei Minuten dauern, bis die Absperrung stand. Weitere Streifenwagen kamen heran. Sie stoppten nur kurz, dann bekamen sie die neue Order per Funk und jagten mit Sirenengeheul in verschiedene Richtungen davon.
Phil und ich konnten uns um den Mann kümmern, der im Gerippe der zertrümmerten Telefonzelle hing.
Ihm war nicht mehr zu helfen. Sein Oberkörper wies mindestens ein halbes Dutzend Einschüsse auf. Eine Kugel hatte ihm die Stirn weggerissen. Den Hörer hielt er noch in der linken Hand.
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich, wie die ersten Leute aus den Hauseingängen kamen. Langsam, zögernd bildeten sich Gruppen von Neugierigen.
Ich winkte einen der uniformierten Kollegen heran und bat ihn, uns die Gaffer vom Leibe zu halten. Phil ging zum Jaguar, um per Funk die Mordkommission zu verständigen.
Kurz darauf kam die Nachricht, dass die Absperrung stand. Eine Maßnahme, die absolut notwendig war. Trotzdem wussten Phil und ich, dass die Erfolgschancen hundert zu eins standen. Innerhalb der Straßenzüge, deren Abriegelung ich angeordnet hatte, hielten sich schätzungsweise mehrere tausend Menschen auf. Von den Fahrzeugen, die durchrollten, ganz zu schweigen. Aus diesem Heuhaufen die Stecknadel herauszupicken, war eine Aufgabe, an der schon Generationen von Polizeibeamten verzweifelt sind.
Wir warteten das Eintreffen der Mordkommission ab.
Die Spurensicherer machten sich an die Arbeit. Minuten später trafen weitere Radio Cars ein. Cops begannen die umliegenden Gebäude zu durchforsten.
Dann kam die Funknachricht von John D. High, unserem Chef, der uns ins District-Gebäude zurückrief. Auch diesmal wurde Alarmfahrt angeordnet.
In Phil und mir wuchs die Ahnung, dass der geheimnisvolle Telefonzellenbenutzer eine Lawine ins Rollen gebracht hatte.
***
Die Bandaufnahme dauerte länger als zehn Minuten. »Wir nehmen nur das Wichtigste heraus«, sagte Mr. High und ließ das Gerät zurückspulen. An einer bestimmten Stelle drückte er die Wiedergabetaste. Tiefe Furchen zogen sich durch das Gesicht unseres Chefs.
Hohl tönte die Stimme des Anrufers aus dem Lautsprecher. Er war Puerto Ricaner. Man hörte es an seinem harten Akzent.
»… werdet ihr in ein paar Stunden euer blaues Wunder erleben, Amigos!« Der Mann kicherte albern. »Die halbe Nation wird sich kaputtlachen, wie ihr verdammten Bullen im Dunkeln tappt!«
»Meine Geduld ist allmählich am Ende«, klang die energische Stimme des Chefs aus dem Lautsprecher des Aufnahmegeräts. »Solange Sie keine konkreten Angaben machen, muss ich Ihren Anruf für einen Bluff halten!«
Der andere kicherte wieder. »Sie werden nervös, wie? Allmählich kommen Sie ins Schwitzen, stimmt’s? Also, ich sag’s noch mal: Meine Auftraggeber fordern den FBI auf, fünf Millionen Dollar lockerzumachen. Von der Regierung beispielsweise. Egal, Mister. Sie sind der FBI-Chef dieser Stadt. Und wenn Sie es nicht schaffen, die fünf Millionen ranzukriegen … nun, dann gibt es den größten Massenmord, den die Staaten jemals erlebt haben!«
Aus der Pause auf dem Tonband war zu entnehmen, dass auch der Chef die Nachricht erst verdauen musste.
»Ich habe verstanden«, war er dann zu hören, »und ich muss vorerst annehmen, dass Sie keinen üblen Scherz mit uns treiben …«
»Dies ist bitterer Ernst!«, schrie der Puerto Ricaner aufgebracht. »Sie werden sich an meine Worte noch erinnern, Mister!«
»Also gut. Dann brauche ich zumindest klare Fakten. Wie wollen Ihre Auftraggeber die Forderung durchsetzen? Wann und wo soll das Geld übergeben werden?«
»Die Einzelheiten werden Sie noch früh genug erfahren«, kam die hohntriefende Antwort. »Bis das soweit ist, können Sie sich mal überlegen, Mister FBI, was man mit ferngelenkten Raketen alles anstellen kann, wenn man über solche Dinger verfügt …«
Wieder war sekundenlang nur das Rauschen aus dem Lautsprecher zu hören.
»Gut«, sagte Mr. High beherrscht, »ich werde alles Notwendige veranlassen. Wann höre ich wieder von Ihnen oder von Ihren Auftraggebern?«
»Bald. Da können Sie ganz sicher sein. Und ich denke, Sie brauchen nicht mehr lange zu warten, bis …«
Ein ohrenbetäubendes Krachen und Klirren war zu hören.
John D. High schaltete das Gerät ab.
»Der Mann war ausgesprochen redselig«, erklärte er leise, »nur deshalb konnte es uns gelingen, ihn per Fangschaltung zu lokalisieren.«
Phil und ich mussten dies alles erst verarbeiten. In meinem Kopf kreisten die Gedanken.
»Verdammt«, knurrte ich, »wir können praktisch nichts unternehmen. Es ist zum …«
»Ich habe das einzig Mögliche getan«, unterbrach mich der Chef. »Ich habe ein Blitz-Telex an das Pentagon geschickt. Desgleichen an die DIA.* Ich bin sicher, dass in diesen Minuten bereits sämtliche Armee-Einheiten alarmiert werden, die über Raketen verfügen. Außerdem die Herstellerwerke von Raketen, Depots und ähnliche Einrichtungen. Mehr können wir zurzeit nicht tun.«
»Das Schlimme ist«, meinte Phil nachdenklich, »dass dieser gewaltige Apparat in Bewegung gesetzt wird, wo noch nicht einmal feststeht, ob der Anrufer ein Verrückter war.«
»Er war es nicht«, sagte ich. »Seine Auftraggeber haben uns die Bestätigung gleich mitgeliefert.«
»Du meinst …«
»Genau das. Sie haben den Puerto Ricaner nur als Mittel zum Zweck benutzt. Und sie haben ihn vor unseren Augen getötet, um uns klarzumachen, dass sie es ernst meinen.«
Phil presste die Lippen aufeinander.
»Jerry hat recht«, sagte Mr. High. »Allerdings bleibt noch zu untersuchen, weshalb sich der Mann so bereitwillig von unserer Fangschaltung hat aufstöbern lassen.«
Die Informationen, die uns noch fehlten, kamen Minuten später. Lieutenant Easton von der Mordabteilung Manhattan-West rief an. Wachsende Besorgnis lag im Gesicht des Chefs, als er zuhörte. Das Gespräch war nur kurz.
»Die Absperrmaßnahmen der City Police haben bislang keinen Erfolg gezeigt«, sagte Mr. High, nachdem er aufgelegt hatte. »In einem Gebäude schräg gegenüber der Telefonzelle wurde ein Schnellfeuergewehr mit Zielfernrohr gefunden. Kaliber siebenfünfundsechzig. Projektile des gleichen Kalibers haben unseren Anrufer getötet.«
»Die Absperrung kann aufgehoben werden«, sagte ich bitter. »Der Mörder ist längst über alle Berge. Vermutlich hat er sich unter die Passanten gemischt. Die Cops hatten keine Chance, ihn herauszupicken, Chef.«
Mr. High nickte.
»Die Identität des Ermordeten ist ebenfalls geklärt. Er hatte Papiere bei sich. Sein Name war Enrique Rojas. Laut Auskunft von Easton ein kleiner Ganove, der bei der City Police bestens bekannt war. Und noch etwas: Er trug einen Briefumschlag mit fünfhundert Dollar in der Tasche. Der Umschlag war postlagernd an ihn adressiert.«
Soweit gab es keine Rätsel mehr.
»Er hat seine Auftraggeber nie gesehen«, vermutete Phil. »die haben ihm die Instruktionen telefonisch gegeben.«
»Und mit voller Absicht haben sie sich diesen drittklassigen Ganoven ausgesucht«, fügte ich hinzu. »Sie wussten, dass es ihm gefallen würde, dem gefürchteten FBI einen mächtigen Schrecken einzujagen. Und weil er noch gutes Geld dafür bekam, hat es ihm doppelten Spaß gemacht.«
»So muss es gewesen sein«, meinte Mr. High. »Vielleicht haben sie ihm sogar gesagt, dass er sich mit dem Anruf Zeit lassen könnte.«
Vielleicht erfuhren wir nie, was sich wirklich abgespielt hatte. Denn der Anruf von Enrique Rojas und der brutale Mord waren nur eine Bagatelle gegenüber der furchtbaren Drohung, die an unsere Adresse gerichtet war.
Wie mochte die teuflische Kalkulation der Gangster aussehen? Wie viele Menschenleben wollten sie in die Waagschale werfen, um fünf Millionen Dollar kassieren zu können?
Für Phil und mich waren diese Minuten nervenzerfetzend. Es gibt nichts Schlimmeres für uns, als eine Gefahr zu kennen und dennoch nichts tun zu können.
***
Luftfeuchtigkeit, begleitet von einer kaum merklichen Brise, ließ die Nähe des Atlantiks ahnen. Der Himmel über der Ostküste von Connecticut war vom düsteren Grau einer dichten Wolkendecke verhüllt. Milchige Nebelschwaden hingen wie Wattebäusche in den Senken des hügeligen Landes.
Die ersten Nebelfetzen krochen an den Hängen empor und zerfaserten über den Hügelkuppen. Das Tageslicht blieb dennoch trüb. Die Sonne vermochte nicht durchzudringen.
Gordon Raymore schob den Ärmel seiner wattierten Jacke vom Zifferblatt der Armbanduhr.
»Letzter Uhrenvergleich«, sagte er halblaut. »Acht Uhr dreiunddreißig.«
Die drei Männer, die neben ihm am Waldrand in Deckung lagen, kontrollierten ihre Armbanduhren, nickten. Dann spähten sie wieder zu dem Hügel hinauf, der etwa zweihundertfünfzig Yard von ihnen entfernt war.
Radarschirme kreisten hoch über dem Nebel, der vor ihnen in der Senke lag. Durch die Luftfeuchtigkeit war das Dröhnen der Stromaggregate deutlich zu hören. Scharfkantig zeichneten sich vor dem Horizont die schrägen Erdrampen ab. Dazwischen waren auf der Hügelkuppe olivgrüne Fahrzeuge zu erkennen. Die Einzäunung des Areals befand sich weiter unterhalb am Hang, war durch den Nebel verborgen.
»In Ordnung«, zischte Gordon Raymore, »Zeitplan und Einsatzablauf bleiben unverändert. Der Wetterbericht stimmt. In zehn Minuten kommt uns der aufsteigende Nebel zugute.«
»Und die Zivilbediensteten?«, fragte Henry Colin, einer der drei anderen. »Wenn nun einer von denen zu spät kommt? Gerade wegen des Nebels …«
Raymore lächelte dünn. »Das da oben ist ein militärischer Betrieb, Colin. Pünktlichkeit zählt auch bei den Zivilisten. Und bei Nebel fahren sie eben früher von zu Hause los.«
Colin zuckte die Achseln.
»Zurück zu den Fahrzeugen!«, befahl Raymore, robbte rückwärts und rappelte sich dann im Schutz der Bäume auf.
Seine drei Unterführer taten es ihm nach. Nach etwa hundert Schritten erreichten sie eine Schneise. Vier Wagen standen zwischen den Bäumen, die Motorhauben zur Schneise hin ausgerichtet. Ein Range Rover mit acht Sitzen, ein Chevrolet-Kleinbus, ein Jeep V 8 Station Wagon sowie eine dunkelgrüne Limousine vom Typ Pontiac. Alle vier Fahrzeuge trugen New Yorker Kennzeichen.
»Fertigmachen!«, rief Gordon Raymore. »Los, Beeilung, Männer!«
Verschlafen krochen sie aus den Fahrzeugen. Einige gähnten. Leise Flüche waren zu hören. Sie hatten schon die halbe Nacht in diesem Waldstück zugebracht.
Raymore wartete, bis sie sich vor den Fahrzeugen aufgebaut hatten. Zufrieden betrachtete er seine kleine Armee. Zwölf Mann. Außerdem Colin, Sharps und Courtright, die drei Unterführer. Er hatte jeden Einzelnen auf Herz und Nieren geprüft. Und Raymore wusste, dass er sich auf sie verlassen konnte. Nur Disziplin war nicht von den Burschen zu erwarten. Der hagere Mann mit der hohen Denkerstirn bedauerte das ein wenig.
»Ihr kennt den Einsatzablauf«, erklärte Raymore, »ihr kennt eure Aufgaben, Männer! Denkt daran, dass es auf jeden Einzelnen von euch ankommt! Das Gelingen unserer Aktion hängt davon ab, dass jeder seinen Job hundertprozentig erledigt. Hat noch jemand Fragen?«
Die Männer verneinten. Raymore hatte ihnen den Plan so lange eingebläut, dass sie schon nachts davon träumten. Deshalb waren sie jetzt froh, dass es endlich losging.
Raymore gab seinen Unterführern einen Wink. »Waffen verteilen!«
Colin und die beiden anderen liefen zu dem Station Waggon und öffneten die Hecktüren. Die zwölf Männer nahmen ihre Ausrüstung in Empfang. Jeder erhielt eine Automatikpistole, eine MPi, eine Gasmaske.
Die drei Unterführer verzichteten auf die Maschinenpistolen. Dafür hängten sie sich Dinger vor die Brust, die Panzerfäusten ähnlich sahen, jedoch nur halb so groß waren. Zu den plump geformten Schießrohren gehörten Segeltuchtaschen mit Kartuschen.
Ein viertes von den stählernen Rohren mitsamt Segeltuchtasche brachte Henry Colin seinem Boss, Gordon Raymore. Die Männer bauten sich inzwischen in Gruppen auf, so, wie sie eingeteilt worden waren. Alle trugen sie die gleichen wattierten Jacken aus olivgrünem Stoff, dazu gleichfarbige Hosen und geschnürte Fallschirmspringerstiefel.
Gordon Raymore blickte wieder auf seine Armbanduhr.
Noch zwei Minuten.
Ein letztes Mal rollte vor seinem geistigen Auge der Einsatz ab. Fast ein Jahr lang hatte er daran gebastelt, hatte Geld investiert und immense Vorbereitungen getroffen. Nach menschlichem Ermessen gab es keinen Schwachpunkt mehr in dem Plan.
Gordon Raymore hatte die Aktion in sechs Schwerpunkte unterteilt. Punkt eins war der riskanteste: die vier Doppelstreifen, die in entgegengesetzten Richtungen um den Zaun patrouillierten. Klappte Punkt eins reibungslos, war der weitere Ablauf des Coups nahezu gesichert: die beiden Wachgebäude, die Funkbaracke, die Waffenkammer und letztlich die Unterkünfte und Diensträume der Soldaten und Zivilbediensteten.
Noch eine Minute.
Raymore übernahm seine Gruppe, die aus zwei Mann bestand. Desgleichen waren jeweils zwei Mann den Unterführern Colin, Sharps und Courtright zugeordnet. Die übrigen vier Mann blieben als Reserve bei den Fahrzeugen zurück.
8 Uhr 45.
Gordon Raymore gab das Handzeichen. Von jetzt ab wurden keine Worte mehr gewechselt.
Die vier Gruppen setzten sich in Marsch, schwärmten aus und drangen bis zum Waldrand vor. Dort gingen sie zu Boden. Raymore gab ihnen eine halbe Minute Zeit, um die Gasmasken aufzusetzen. Zufrieden lächelnd stellte er fest, dass der Bodennebel langsam aufstieg. Von der Hügelkuppe war der Blick in die Senke verwehrt.
Es klappte wie am Schnürchen.
Raymore zweifelte nicht daran, dass auch die New Yorker Aktion nach Plan gelaufen war. In diesen Minuten musste bei FBI und City Police bereits der Teufel los sein.
***
Etwas zerrte am linken Bein des Soldaten.
Corporal Joe Jensen blieb fluchend stehen. Seine Rechte hielt den Gewehrriemen, während er sich bückte, um das Hosenbein aus dem Stacheldraht zu lösen.
»Was ist los?«, fragte Private Harry Shure, der zweite Mann der Doppelstreife.
»Verdammte Suppe!«, knurrte Jensen und untersuchte mit den Fingern den Riss im Hosenstoff. »Man kann kaum die Hand vor Augen sehen. Geschweige denn diesen verfluchten Stacheldraht!«
Private Shure lachte leise. »Hört sich an, als ob du nervös bist, Joe. Kannst den Wochenendurlaub nicht erwarten, wie?«
Corporal Jensen zog den Kinnriemen seines Stahlhelms zurecht.
»Weiter!«, befahl er. »Noch eine Runde. Ich will keine Minute zu lange um diesen verdammten Zaun marschieren.«
Die beiden Posten setzten ihren Weg fort. Nebeneinander stapften sie über den ausgetrampelten Pfad, der außen um den Zaun führte und von Stacheldrahtrollen zum Hang hin begrenzt wurde.
»Scheißjob«, murmelte Private Shure. »Man kommt sich so richtig nutzlos vor. Möchte wissen, was passiert, wenn wirklich mal einer versucht …«
»Red keinen Quatsch«, unterbrach ihn der Corporal. »Ist nicht dein Job, darüber nachzudenken.«
»Trotzdem«, begehrte sein Kamerad auf, »private Unternehmer leisten sich eine Alarmanlage. Die Army macht’s immer noch auf die alte Weise. Sieh dir diesen Nebel an! Bei Dunkelheit ist es das Gleiche. Ich sage dir, Joe, zehn Leute reichen aus, um die ganze Station zu kapern. Wenn es einer darauf anlegt …«
Silhouetten tauchten vor ihnen aus dem milchigen Nebel auf. Nur die Umrisse waren auszumachen.
»Die müssen gerannt sein, dass sie schon so früh dran sind«, murmelte Corporal Jensen.
Die beiden Posten blieben stehen.
»Kennwort!«, rief Private Shure, wie es die Vorschrift für den Wachdienst vorsah. Auch er hielt die Silhouetten für die Doppelstreife, die ihnen entgegenkommen musste.
Dass es nicht zwei, sondern drei Männer waren, konnten die beiden Soldaten wegen des Nebels nicht erkennen. Die Sichtweite betrug kaum mehr als fünf Yard.
Jetzt kamen die Silhouetten näher.
»Das Kennwort, ihr Idioten!«, bellte Shure.
Corporal Jensen kniff die Augen zusammen. Dann durchzuckte ihn der Schreck.
Die Kerle trugen Gasmasken, keine Stahlhelme. Und sie waren zu dritt. Der vordere hielt ein merkwürdiges Ding in den Fäusten. So sah kein Schnellfeuergewehr aus, das zur Ausrüstung der Doppelstreifen gehörte.
»Hölle und Teufel«, murmelte Shure, der in diesem Augenblick begriff.
Corporal Jensen überwand die Schrecksekunde als Erster. Er riss den Gewehrriemen von der Schulter.
Private Shure schaffte dies nicht mehr.
Ein dumpfer Laut war zu hören. Ein schwacher Blitz zuckte aus dem seltsamen Rohr, das der Kerl ihnen entgegenhielt.
Weder Jensen noch Shure spürte den Einschlag eines Geschosses.
Ungläubig starrten die beiden Soldaten auf die Kerle, die noch immer dastanden, als drohe ihnen nicht die geringste Gefahr.
Wartet, ihr Hundesöhne!, dachte Jensen. Er würde nur einen Sekundenbruchteil brauchen, um das Schnellfeuergewehr in Anschlag zu bringen und den Sicherungshebel herumzulegen. Durchgeladen war die Waffe. Ebenfalls eine Vorschrift für den Wachdienst.
Entsetzt spürte Corporal Jensen im nächsten Moment, dass ihm seine Arme nicht mehr gehorchten. Auch seine Beine nicht. Alle Muskeln waren gelähmt. Wahnsinnige Angst kroch plötzlich in ihm empor. Er konnte nicht einmal den Kopf wenden, um nach Harry Shure zu sehen.
Und die verdammten Kerle standen da, warteten in aller Ruhe!
Joe Jensen wollte schreien, Alarm brüllen. Auch das gelang ihm nicht. Lediglich seine Augen quollen aus den Höhlen, waren starr auf die Gasmasken der Männer gerichtet.
Erst jetzt begriff Joe Jensen.
Kampfgas, dachte er, o verdammt, sie haben uns mit Kampfgas …