Jerry Cotton Sonder-Edition 134 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 134 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Als wir Jefford und seine knallharten Killertypen an Bord der Santa Maris erblickten, wussten Phil und ich sofort, welch ein höllischer Job uns auf diesem Windjammer erwartete.
Wir ahnten, dass diese Kerle es auf genau den Mann abgesehen hatten, den wir inkognito überwachen und beschützen sollten: auf Professor Finch, einen führenden Wissenschaftler der NASA.
Viel zu spät erfuhren wir, dass sich außer Finch noch ein prominenter Passagier auf dem Viermaster befand - samt Leibgarde natürlich. King Sarbardos, Smaragd-König von Kolumbien. Von da an fühlten wir uns wie auf einer Bombe mit Zeitzünder. Und weiß der Teufel - das Ding ging los ...

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Seitenzahl: 183

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Kreuzfahrt in die Hölle

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: MilanTomazin / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9662-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Kreuzfahrt in die Hölle

Als wir Jefford und seine knallharten Killertypen an Bord der Santa Maris erblickten, wussten Phil und ich sofort, welch ein höllischer Job uns auf diesem Windjammer erwartete. Wir ahnten, dass diese Kerle es auf genau den Mann abgesehen hatten, den wir inkognito überwachen und beschützen sollten: auf Professor Finch, einen führenden Wissenschaftler der NASA.

Viel zu spät erfuhren wir, dass sich außer Finch noch ein prominenter Passagier auf dem Viermaster befand – samt Leibgarde natürlich. King Sarbardos, Smaragd-König von Kolumbien. Von da an fühlten wir uns wie auf einer Bombe mit Zeitzünder. Und weiß der Teufel – das Ding ging los ...

1

Prof. Finchs weiße Löwenmähne glitzerte im Licht der Jupiterlampen. Kameras surrten. Graue Schwaden von Zigarettenrauch hingen unter der Decke der Kongresshalle, die Atmosphäre war angeheizt, in das erregte Gemurmel des Publikums mischten sich vereinzelte Protestrufe.

Abraham Lincoln Finch war daran gewöhnt, Erregung und Protest hervorzurufen. Er beugte sich vor. Seine blauen Augen funkelten kampflustig.

»Ob es Ihnen passt oder nicht, meine Damen und Herren, es gibt keine unpolitische Wissenschaft«, wiederholte er in fließendem Französisch. »In unserer heutigen Zeit gibt es überhaupt keine verantwortungsvolle Tätigkeit mehr, die unpolitisch sein könnte. Wir werden uns daran gewöhnen müssen …«

Etwas knallte. Ein dünner, peitschender Knall, der aufgesogen wurde von der Geräuschkulisse.

Prof. Finch spürte einen Luftzug dicht an seiner Schläfe, zuckte leicht zusammen – und in derselben Sekunde hörte er hinter sich den Schrei.

Er drehte sich um.

Ganz kurz nur. Bereit, sich sofort wieder an das Publikum zu wenden. Aber dann erstarrte er mitten in der Bewegung, und seine Augen weiteten sich.

Zwei uniformierte Flics hatten die Tür hinter dem Rednerpult flankiert, um Prof. Finch nach der Veranstaltung vor dem Ansturm neugieriger Journalisten zu schützen. Jetzt stand nur noch einer der Polizisten dort – fassungslos, wie versteinert. Seine Lippen zuckten, sein Gesicht war eine Maske des Schreckens, und er starrte mit aufgerissenen Augen zu seinem Kollegen hinüber.

Der junge Polizeibeamte war vor der Tür zusammengebrochen.

Er lag auf der Seite, einen Ausdruck gefrorenen Staunens im bleichen Gesicht. Seine Wange berührte den staubigen Bretterboden, und seine Hände waren ausgestreckt, als hätte er im Sturz einen Halt gesucht.

Zwischen seinen Augen ein kleines, hässliches Loch, von dem ein dünner Blutfaden über die Stirn sickerte …

James Callums Herz schlug einen rasenden Wirbel gegen die Rippen.

Seine Rechte umklammerte noch die Pistole, die er blitzschnell in die Tasche versenkt hatte. Er stand hinter einem Pfeiler. Reglos, eingezwängt in eine Erstarrung, die sich wie ein eiserner Panzer um seine Brust legte. Eiskalter Schweiß brach ihm aus. Er sah die Szene auf der Bühne, er hörte den vielstimmigen Aufschrei der Menge, erwartete jeden Moment, dass sie sich auf ihn stürzen, ihn packen würden – doch nichts geschah.

Stimmen schwirrten durcheinander.

Menschen gestikulierten, stellten Fragen, mutmaßten erregt. Neugierige drängten an das Geländer der Galerie heran, ein paar versuchten, die Ausgänge zu erreichen. Callum wurde angerempelt, geschoben, mitgerissen – und die Erstarrung löste sich.

Sein Verstand setzte ein.

Eiskalt. Gefühllos wie ein Computer. Er wusste, dass er hier raus musste, bevor die Polizisten auf die Idee kamen, Eingänge zu besetzen und Zuhörer zu durchsuchen, und er wusste auch, wie er es anstellen musste.

Er ließ sich mit dem Strom zur Tür treiben.

Kurz davor begann er zu drängeln, gebrauchte die Ellenbogen, um sich Platz zu verschaffen.

»Ich bin Arzt!«, rief er dem Ordner mit der weißen Armbinde zu, drängte sich dicht an dem aufgeregten Mann vorbei, und Sekunden später war er draußen, während alle anderen an der Tür zurückgehalten wurden.

Im Flur war es still, fast unheimlich still nach dem Lärm in der Halle. Eine Treppe verband die Galerie mit dem Erdgeschoss. Unten herrschte hastiges Kommen und Gehen, Befehle wurden laut, die ersten Sirenen gellten – aber Callum hatte nicht vor, den Haupteingang zu benutzen.

Auf dem Treppenabsatz stand ein Fenster offen.

Er hatte es schon beim Hinaufgehen gesehen, vor einer knappen Stunde. Es führte in einen winzigen Garten, der von den Rückfronten der Nachbarhäuser begrenzt wurde. Callum sah sich um, überzeugte sich, dass ihn niemand beobachtete, und dann schwang er sich mit einer geschickten Flanke aus dem Fenster.

Er landete weich. Geschmeidig fing er den Sturz ab, huschte sofort nach rechts, in den tiefen Schatten einer Einfahrt. Draußen auf der Straße war inzwischen die Hölle los: Warnlicht zuckte, Streifenwagen jagten mit heulenden Sirenen heran, die Gruppe der Neugierigen wuchs von Sekunde zu Sekunde. Niemand wusste zu diesem Zeitpunkt genau, was überhaupt geschehen war – und niemand achtete auf den dunkelhaarigen, korrekt gekleideten Mann, der sich in der Nähe der Einfahrt unter die Schaulustigen mischte.

James Callum wischte sich den Schweiß von der Stirn.

Die Spannung in ihm klang nur allmählich ab. Immer noch hämmerte sein Herz wie rasend, seine Gedanken befassten sich jedoch bereits mit der Zukunft.

Diesmal hatte er es nicht geschafft.

Doch er würde es schaffen. Später. Er würde es schaffen, er würde diesen Schmarotzer vom Erdboden tilgen – und wenn es das Letzte war, das er in seinem Leben tat.

Ein zufriedenes Lächeln spielte um seine schmalen Lippen, als er sich wenig später abwandte und langsam zu seinem Wagen zurückging.

Der Ventilator summte. Sonnenlicht sickerte durch die Lamellen der Jalousien und zeichnete ein Streifenmuster auf das breite Bett. Die junge Frau räkelte sich, streckte ihre schlanken Glieder und schnurrte wie eine zufriedene Katze.

Daniel Jefford betrachtete ihren nackten Körper. Er kauerte auf dem Bettrand, nur mit einer hellen Cordjeans bekleidet. Seine Fingerkuppen glitten spielerisch über den straffen, sanft gebräunten Bauch der jungen Frau, mit der freien Hand zündete er sich eine Zigarette an und sog den Rauch in die Lungen.

»Wir haben noch drei Tage, Beverly«, sagte er. »Sollen wir in Marseille bleiben? Oder möchtest du lieber nach Saint-Tropez?«

Beverly Clanton schob ihre Unterlippe vor. Sie war neunzehn Jahre alt, hatte ein niedliches Puppengesicht, veilchenblaue Augen und einen weichen Körper mit vollen Brüsten und Babyspeck auf den Hüften. Ihre Naivität verlieh ihr etwas von dem Reiz einer Unschuld, die sie schon mit vierzehn nicht mehr besessen hatte. Daniel Jefford fand sie hinreißend und nahm es in Kauf, dass sie ihm bisweilen auf die Nerven ging.

Jetzt seufzte sie und strich sich eine goldblonde Haarlocke aus der Stirn.

»Warum machst du nicht öfter solche Geschäftsreisen, Danny?«, wollte sie wissen.

Jefford grinste. Er machte solche Reisen nicht oft, weil sich nicht oft die Notwendigkeit ergab, einen Koffer voll gefälschter amerikanischer Dollars im Ausland abzusetzen. Beverly ahnte nichts vom eigentlichen Zweck der Reise. Trotzdem wusste sie natürlich, dass mit dem geheimnisvollen schwarzen Koffer irgendetwas nicht stimmte, denn selbst in ihr kindliches Gemüt war schon ein Abglanz von dem finsteren Ruf gedrungen, den die Jefford-Brüder in New York genossen.

Daniel Jefford stand auf, ging zum Tisch hinüber und drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus.

»Sei froh, dass wir jetzt hier sind«, meinte er. »Also, was möchtest du? Marseille, Saint-Tropez oder etwas anderes?«

Beverly seufzte wieder. »Warum machen wir nicht die Kreuzfahrt mit? Es wäre herrlich, Danny! Wir könnten ganz gemütlich mit der Santa Maris nach New York zurücksegeln, wir könnten …«

»Himmel! Das würde ja eine Ewigkeit dauern. Ich möchte wirklich wissen, was du an diesem verdammten Schiff so fantastisch findest.«

Beverly richtete sich auf und schlang die Arme um die Knie. Ein träumerischer Ausdruck trat in ihre blauen Augen.

»Es wäre herrlich«, wiederholte sie. »Eine Menge reicher, vornehmer Leute! Frauen mit toller Garderobe und sagenhaftem Schmuck! Jeden Abend Feste, immer etwas los und … He! Hörst du mir überhaupt zu?«

Daniel Jefford war mitten im Hotelzimmer stehen geblieben.

Er sah Beverly an und sah durch sie hindurch. Eine steile Falte stand auf seiner Stirn.

»Reiche Leute?«, echote er. »Fabelhafter Schmuck?«

»Aber natürlich. Mit einem Kreuzfahrtschiff von Marseille nach New York – so was können sich nur schwerreiche Typen leisten. O Danny, ich habe noch nie so etwas mitgemacht! Und ich habe schon immer davon geträumt.« Sie stockte und warf ihm einen beschwörenden Blick zu. »Du kannst dir das doch leisten, Danny. Du hast immer gesagt, dass du alles kaufen kannst, was du dir wünschst, dass du …«

»Es geht nicht um die Dollars, sondern um die Zeit, die wir verlieren«, erwiderte er geistesabwesend.

»Zwei Wochen!« Beverlys Ton wurde eifrig. »Zwei Wochen sind nicht zu viel! Ich hab mich erkundigt, Danny. Und ich habe Prospekte. Willst du sie sehen?«

Er hob den Kopf, nickte. »Zeig her«, sagte er knapp.

Beverly sprang auf.

Nackt, wie sie war, lief sie zur Frisierkommode hinüber, zog eine Schublade auf, kramte darin herum. Ihre Augen leuchteten erwartungsvoll, als sie schließlich einen bunten Reiseprospekt hervorzog.

Jefford faltete ihn auseinander.

Flüchtig betrachtete er die Fotos, überflog die technischen Daten des Schiffs, vertiefte sich in Kabinenkategorien und Reisepreise. Dann schlug er noch einmal das Deckblatt mit der Abbildung der Santa Maris auf und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Das gibt’s doch nicht«, knurrte er. »Ein echter Windjammer!«

»Wind… was?«, fragte Beverly.

»Windjammer«, wiederholte er geduldig. »Das ist eine waschechte Viermastbark, Herzchen. Natürlich kann sie sich auch mit Maschinenkraft bewegen, aber normalerweise tut sie das, was im Prospekt steht: lautlos unter geblähten Segeln dahingleiten«, zitierte er grinsend.

Beverly runzelte die Stirn. »Ist es deshalb so teuer?«, wollte sie wissen.

Jefford nickte. »Genau, Baby. Eine Spielerei für Snobs. Irgendein cleveres Touristikunternehmen ist auf die Idee gekommen, einen Windjammer nachzubauen, um Leute anzulocken, denen eine normale Kreuzfahrt schon zu langweilig ist.« Er lachte, in seinem Lachen war jedoch ein nachdenklicher Unterton.

»Und … und du bist sicher, dass wir nicht mit diesem Wind… diesem Dings nach New York zurückfahren können?« Beverly war enttäuscht.

Daniel Jefford ließ den Prospekt sinken.

Er zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Seine Stirn hatte sich gefurcht, und seine Augen fixierten einen imaginären Fleck an der makellosen Tapete des Hotelzimmers.

»Ich weiß nicht«, murmelte er. »Mal sehen! Ich habe da eine Idee. Eine ausgezeichnete Idee sogar, Herzchen …«

Es war ein strahlender Maitag. Ein Morgen wie aus dem Bilderbuch. Phil und ich ahnten noch nicht, was uns bevorstand, als der Chef uns kurz nach Dienstbeginn in sein Office rufen ließ.

John D. High, Leiter des FBI District New York, saß ruhig und beherrscht wie immer hinter seinem Schreibtisch. Er begrüßte uns, bot uns Plätze an. Dann nahm er ein Foto aus einem Aktendeckel und schob es zu uns herüber.

Eine Farbaufnahme.

Das schmale, zerknitterte Fuchsgesicht eines etwa sechzigjährigen Mannes. Weiße Löwenmähne, runde blaue Kinderaugen. Der Bursche kam mir bekannt vor, aber im Moment wusste ich nicht, wo ich ihn unterbringen sollte. Ich reichte das Foto an Phil weiter.

Mein Freund runzelte die Stirn.

»Professor Finch?«, fragte er zögernd.

Mr. High nickte. »Abraham Lincoln Finch«, präzisierte er. »Physiker bei der NASA. Ein Genie auf seinem Gebiet, ein unentbehrlicher Mann.«

Jetzt fiel auch bei mir der Groschen. »Moment mal! Finch – ist das nicht dieses linke Genie? Der Typ, der dauernd die amerikanische Gesellschaft reformieren will?«

»Das ist er. Professor Finchs politische Ansichten sind in der Tat etwas extrem. Doch richtig, er ist ein Genie auf seinem Gebiet, und die NASA hält ihn für absolut unersetzlich. Außerdem besteht kein Zweifel an seiner patriotischen Einstellung.«

»Ein linksradikaler Patriot?«, fragte ich zweifelnd.

»Warum nicht?« Mr. High lächelte leicht. »Professor Finch möchte die Gesellschaft lediglich zum Besten Amerikas umwälzen. Glücklicherweise beschränkt er sich strikt auf die Theorie, auf die Welt der Gedanken. Er ist etwas skurril, und er liebt es, seine Mitmenschen zu schockieren. Ich kenne ihn zufällig persönlich. Sie werden ihn sympathisch finden.«

Mir schwante etwas. »Heißt das, wir werden ihn treffen?«

»Das heißt es in der Tat.« Mr. Highs Gesicht war unvermittelt ernst geworden. »Auf Professor Finch wurde gestern Abend ein Attentat verübt. Er nimmt im Moment an einem Kongress in Paris teil und hat den Schlussvortrag gehalten. Der Täter, der auf ihn geschossen hat, konnte unerkannt entkommen. Er hat den Professor verfehlt, doch er hat einen jungen französischen Polizisten getötet.«

Ich presste die Lippen zusammen. »Wenn Finch nach links tendiert, könnte der Täter vielleicht in rechtsradikalen Kreisen zu finden sein«, überlegte ich laut. »Gibt es irgendwelche Hinweise, Sir?«

»Noch nicht. Die Ermittlungen laufen. Auf französischer Seite wird der Fall vom Deuxième Bureau bearbeitet.« Mr. High machte eine Pause und legte das Foto wieder in den Aktendeckel zurück. »Aber die CIA, die an sich zuständig ist, möchte Professor Finch nicht von den eigenen Leuten in die Staaten zurückbegleiten lassen«, fuhr er fort. »Ich glaube, sie planen irgendein Ablenkungsmanöver mit einem Double. Genaues weiß ich nicht, Sie kennen ja die Geheimhaltungsvorschriften.«

Die kannte ich allerdings. Ich habe schon manchmal den Eindruck gehabt, dass man leichter eine Audienz beim Präsidenten bekommt als eine Auskunft von der CIA.

»Und der echte Professor wird in FBI-Begleitung reisen?«, mutmaßte ich.

»Richtig. Sie und Phil übernehmen das. Ihre Maschine geht morgen früh, und in zwei Wochen hoffe ich, Sie hier gesund wiederzusehen.«

Ich stutzte.

Im ersten Moment glaubte ich an einen Versprecher. Doch Mr. High verspricht sich selten.

»In zwei Wochen?«, fragte ich. »Will der Professor zu Fuß gehen?«

»Dazu würde er länger als zwei Wochen brauchen«, sagte Mr. High trocken. »Nein, er plant eine Kreuzfahrt über den Atlantik.«

Ich holte tief Luft.

»Ich weiß, Jerry, unter den gegebenen Umständen ist das im Grunde genommen Wahnsinn. Aber ich habe wohl bereits gesagt, dass Abraham Lincoln Finch ein recht eigenwilliges Temperament besitzt. Er tut, was er will, er nimmt nie Befehle entgegen. Und an der Tatsache, dass er seine Stellung trotzdem noch hat, können Sie ungefähr ablesen, wie wichtig er ist.«

Ich schluckte.

Neben mir stieß Phil einen abgrundtiefen Seufzer aus. Einen exaltierten Wissenschaftler mit verbriefter Narrenfreiheit über den Atlantik zu begleiten, das war genau das, was wir vermutlich beide unserem schlimmsten Feind nicht wünschten.

Mr. High lächelte ungerührt, griff in seine Schreibtischschublade und nahm einen farbigen Prospekt heraus.

»Das ist sie«, sagte er. »Die Santa Maris. Das Schiff, das Sie nach New York zurückbringen wird.«

Ich warf einen Blick auf die Abbildung.

Ein schlanker Schiffsrumpf, fröhlich winkende Menschen an der Reling, Liegestühle und Sonnenschirme an Deck. Und geblähte Segel vor dem Hintergrund eines Himmels, der so blau in Wirklichkeit nicht einmal im sonnigsten Süden vorkam.

Ein waschechter Windjammer unter vollen Segeln!

Mahlzeit, dachte ich.

Und Phil sah ich an, dass er eine ganz ähnliche Bemerkung verschluckte.

2

John Jefford lief im Wohnzimmer seines Luxusapartments auf und ab.

Fünf Schritte zum Fenster, eine jähe Kehrtwendung, fünf Schritte zurück. Jeffords Lippen lagen hart aufeinander. Sein kantiges, braun gebranntes Gesicht wirkte beherrscht, die steingrauen Augen spiegelten jedoch unterdrückte Erregung.

Außer ihm waren drei weitere Männer anwesend – die wichtigsten Leute der Gang, die er aus kleinsten Anfängen aufgebaut und im Laufe von wenigen Jahren zu einer immer noch kleinen, aber schlagkräftigen Organisation aufgebaut hatte. Giovanni Rinaldi und William »Doc« Horace kauerten an einem Tisch und beschäftigten sich mit einem Kartenspiel, mehr um sich abzulenken als aus Interesse. Hank Buchanan reinigte seine Fingernägel mit einem Schnappmesser. Er war sehr groß, sehr hager, sehr dunkel, seine ganze Gestalt wirkte eigenartig, wie falsch zusammengebaut, und er hätte vielleicht den Eindruck einer komischen Figur gemacht, wenn in seinen engen, tief liegenden Augen nicht dieser düstere Glanz gewesen wäre, der jeden Spott im Keim erstickte.

Jetzt hob er mit einem Ruck den Kopf. »Zwei Stunden über die Zeit. Wir hätten nicht den Jungen schicken sollen. Und erst recht nicht mit der Puppe.«

Jefford blieb stehen.

Sein Kinn verkantete sich. Er vertrug keinen Widerspruch und keine Ratschläge – doch Buchanan gehörte zu den wenigen, deren Meinung er gelten ließ.

»Mein Bruder ist erwachsen«, sagte er durch die Zähne. »Und er weiß, was ihm blüht, wenn er die Sache verpatzt. Vielleicht …«

Das Telefon schlug an.

John Jefford stürzte sich auf den Apparat wie ein Geier auf seine Beute. »Ja?«, fauchte er.

»Bist du’s, John?«, kam die Stimme seines Bruders aus weiter Ferne.

»Ja, zum Teufel! Was ist? Wir warten seit zwei Stunden auf deinen Anruf.«

»Alles okay, John. Ich habe zweihunderttausend herausgeholt, in Ordnung?«

John Jeffords Haltung entspannte sich. Ein knappes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. »In Ordnung. Der Preis ist gut. Und warum hat es so lange gedauert?«

Am anderen Ende der Leitung holte Daniel Jefford tief Luft.

»Es hat nicht lange gedauert«, sagte er. »Jedenfalls nicht länger als geplant. Ich konnte nicht früher anrufen, weil ich vorher noch ein paar Informationen einholen wollte. Ich habe nämlich eine Idee, John. Eine gute Idee! – Könntest du mit ein paar Leuten sofort nach Marseille kommen?«

Eine steile Falte kerbte sich auf Jeffords Stirn. »Ich? Nach Marseille? Und was soll ich da, wenn ich fragen darf?«

Daniel Jefford begann in kurzen, präzisen Worten, seinen Plan zu erläutern …

Um sieben Uhr am nächsten Morgen ließen wir uns von einem Taxi zum John F. Kennedy International Airport bringen.

Inzwischen hatten wir uns gründlicher über unseren Schützling informiert. Vor allem über seine spektakulären Auftritte in der Öffentlichkeit. Der Professor liebte es, seine Mitmenschen zu schockieren und den Zeitungen Stoff zu liefern.

Abraham Lincoln Finch springt mit einem Fallschirm über Hawaii ab.

Abraham Lincoln Finch fordert in einer Kundgebung die Halbierung des Rüstungsetats und die Verteilung der freiwerdenden Gelder an die Armen.

Abraham Lincoln Finch gibt Interviews zur Lage der Nation, hält einer Rockerbande einen Vortrag über Gewaltlosigkeit, lässt ein paar Steinchen vom Mond als Souvenirs mitgehen.

Und so weiter, und so weiter …

Dieser Professor musste wirklich auf seinem Gebiet ein ungeheuer begabter Mann sein, wenn sich die NASA solche Eskapaden auf die Dauer gefallen ließ.

Und jetzt hatten wir das Vergnügen, diesen ungeheuer begabten Mann auf einem Windjammer von Marseille nach New York zu begleiten.

Ihn und seine Assistentin. Auch über die Lady hatten wir uns informiert. Dahlia Martell. Eine Traumfrau mit dem Gesicht eines Filmstars, der Figur eines Models und dem Verstand einer Universitätsdozentin. Selbst auf Fotos besaß diese erstaunliche junge Frau mit dem rabenschwarzen Pagenkopf, den meergrünen Augen und den rassigen Zügen eine Ausstrahlung, die den Kreislauf anregte. Sie arbeitete seit drei Jahren für Finch und schien diejenige zu sein, die immer wieder ausbügelte, was der Professor anrichtete.

»Wenigstens ein Lichtblick«, sagte Phil, als wir unsere Bordkarten lösten und durch die Sperre auf den Flugsteig marschierten. »Ich glaube …«

»Hey!«, unterbrach ich ihn. »Schau dir das an!«

Er folgte meiner Blickrichtung – und pfiff leise durch die Zähne.

Wir kannten den Mann, der da lebhaft in ein Gespräch mit drei anderen vertieft war.

Wir kannten ihn von Fahndungsblättern.

John Jefford. Viermal vorbestraft, notorischer Gangster. Und wir kannten seine Gesprächspartner.

Hank Buchanan galt als Killer. Giovanni Rinaldi, der Südländer mit dem Piratengesicht und den langen Koteletten, hatte sich bis vor Kurzem als Drogenhändler in Greenwich Village durchgeschlagen. William Horace, »Doc« genannt, stammte aus Chicago, und unsere Kollegen aus der Michigan-Metropole hatten ihn, als er vor drei Jahren zu Jefford stieß, als einen knallharten, cleveren Burschen avisiert, der nie zu überführen war und den seine Intelligenz brandgefährlich machte.

Die vier Gangster planten offensichtlich das gleiche Flugzeug zu nehmen wie wir.

Sie wollten nach Marseille.

Aber warum, zum Teufel? Uns kannten sie nicht. Jedenfalls nicht persönlich, sondern allenfalls von Fotos. Und wenn sie unseretwegen hier gewesen wären, hätten sie sich ja auch kaum so offensichtlich auf dem Flugsteig aufgebaut.

Phil schüttelte den Kopf.

»Urlaub machen die bestimmt nicht«, sagte er halblaut. Und nach kurzem Zögern: »Na, auf jeden Fall können sie nichts mit dem Attentat auf Finch zu tun haben.«

Ich warf ihm einen zweifelnden Blick zu. »Können sie nicht? Vielleicht stecken sie dahinter, haben irgendjemanden nach Paris geschickt und fliegen jetzt selbst hin, um die Panne auszubügeln.«

»Ein Mann wie Jefford?« Phil sah mich ungläubig an. »Überleg mal, Jerry, das Attentat ist schiefgegangen, ein Polizist wurde getötet, das Deuxième Bureau, die CIA und die französische Polizei sind in Aufruhr. Glaubst du ernsthaft, dass sich John Jefford unter diesen Umständen mit seiner halben Gang auf den Weg machen würde, um persönlich einzugreifen? Er müsste verrückt sein, oder?«

Ich zuckte mit den Schultern.

Im Grunde glaubte ich selbst nicht an einen Zusammenhang. Bestellter Mord, politische Attentate, das war nicht Jeffords Geschäft, das passte nicht zu ihm. Doch erstens ist man nie vor Überraschungen sicher, und zweitens lag mir das Auftauchen dieser vier Gangster einfach quer, auch wenn sie nichts mit unserem Auftrag zu tun hatten.

Im Moment allerdings blieb uns keine Gelegenheit, uns um unsere Mitreisenden zu kümmern.

Wir bestiegen die Maschine. Jefford und seine Freunde verschwanden in der Ersten Klasse. Wir flogen in der Touristenklasse, weil unsere Spesenabrechnungen nun mal von den ohnehin schon bedauernswerten Steuerzahlern beglichen werden. Ein paar Minuten später starteten wir, eine Stewardess mit wunderschönen blaugrünen Augen servierte das Frühstück, und danach nutzten wir die Gelegenheit, uns für ein paar Stunden in dem Bewusstsein zu entspannen, dass uns kein Einsatzbefehl aufscheuchen konnte, selbst wenn das Empire State Building einstürzen oder der Tresor von Fort Knox geknackt werden sollte.

Über dem Mittelmeer herrschte strahlender Sonnenschein.

Wir landeten pünktlich auf dem Marseille-Marignane International. Ziemlich erschöpft von dem langen Flug verließen wir die Halle, traten in den hellen, heißen Nachmittag hinaus und steuerten zielstrebig den nächsten Taxistand an.

John Jefford und Konsorten waren dicht vor uns.

Wir sahen sie erst, als wir den Droschkenplatz erreichten. Alle vier kletterten in ein Taxi, und ich konnte gerade noch Jeffords Stimme hören.

»Atlantique, s’il vous plait!«, sagte er in hartem Französisch, dann schlugen die Türen zu, und der Wagen setzte sich in Bewegung.

Ich biss mir auf die Lippe.

Dass die vier Gangster im selben Hotel absteigen wollten wie wir, schien mir etwas zu viel des Zufalls. Andererseits, das Atlantique war, wie ich wusste, ein bevorzugter Treffpunkt amerikanischer Touristen. Ich sah Phil an, und mein Freund zuckte vielsagend mit den Schultern.

Wir nahmen ebenfalls ein Taxi.

Das Hotel lag an der Rue Breteuil, in der Nähe des Justizpalastes: ein großer, moderner Kasten aus Glas und Beton mit Blick auf den alten Hafen und Notre-Dame de la Garde. Von Jefford und den anderen war nichts mehr zu sehen, als wir vorfuhren. Wir stiegen aus, gaben dem Fahrer Trinkgeld und folgten einem livrierten Pagen zu dem Baldachin überdachten Eingang.