Jerry Cotton Sonder-Edition 135 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 135 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Einen Kidnapper jagen wir vom FBI so gnadenlos wie kaum einen anderen Gangster. Denn Kidnapping ist eines der scheußlichsten Verbrechen, die es auf der Welt gibt.
Im Fall Stringer töteten die Entführer nicht nur eiskalt den kleinen Patric, sondern auch den Vater und dessen Chauffeur.
Diese drei brutalen Morde brachten Phil und mich auf die Beine. Wir fanden eine heiße, blutige Spur. Die Spur zum Mörder.
Doch dann geschah es: Der Töter schlug zu. Fast vor unseren Augen brachte er den Kidnapper um ...

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Seitenzahl: 219

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Töter

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: miami beach forever / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9953-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Töter

Einen Kidnapper jagen wir vom FBI so gnadenlos wie kaum einen anderen Gangster. Denn Kidnapping ist eines der scheußlichsten Verbrechen, die es auf der Welt gibt.

Im Fall Stringer töteten die Entführer nicht nur eiskalt den kleinen Patric, sondern auch den Vater und dessen Chauffeur.

Diese drei brutalen Morde brachten Phil und mich auf die Beine. Wir fanden eine heiße, blutige Spur. Die Spur zum Mörder.

Doch dann geschah es: Der Töter schlug zu. Fast vor unseren Augen brachte er den Kidnapper um …

1

Roy Gillis ging auf das Garagentor zu und öffnete es. Lautlos schwang es in gut geölten Angeln nach oben.

Der Chauffeur im grauen Anzug trat aus dem grellen Sonnenschein in den Schatten der niedrigen Halle.

Der Schlag mit dem Wagenheber traf ihn völlig überraschend. Gillis ging zu Boden.

Der Angreifer zerrte den Bewusstlosen an der Wand entlang vor den schwarzen Ford, lief zurück und sah nach draußen. Als er niemanden entdeckte, kehrte er zu dem Bewusstlosen zurück.

Er trug den gleichen Anzug und die gleiche Schirmmütze wie Gillis.

Rasch durchsuchte er die Innentaschen der Jacke, nahm die Papiere des Chauffeurs und kontrollierte sie. Führerschein, Wagenpapiere, etwas Kleingeld und einige Fotos, mehr hatte Gillis nicht bei sich.

Mac Hooper genügte es.

Gerade wollte er sich aufrichten, da kam der Chauffeur zu sich, umklammerte seine Knie und wollte ihn zu sich niederreißen.

Der Gangster vergaß sich – halb vor Schreck und halb aus Wut über seinen Leichtsinn. Er schlug die Faust so hart gegen das Kinn des Chauffeurs, dass der Kopf des Fahrers gegen die Wand geschleudert wurde.

Es gab ein hässliches knirschendes Geräusch, der Fahrer sackte in sich zusammen. Blut lief ihm aus dem halb geöffneten Mund und der Wunde am Hinterkopf und bildete eine Lache.

Der Gangster hatte während seiner Dienstzeit bei der Armee mehr als einen Toten gesehen. Er wusste sofort, was mit dem Chauffeur los war.

Fluchend durchsuchte er die Taschen des Toten nach den Wagenschlüsseln, warf sich anschließend in den Ford und ließ den Motor an.

Niemand beobachtete ihn, als er aus der Garage fuhr.

Während er den gepflegten Wagen über die Villenstraße in Lake Success rollen ließ, sah er immer wieder auf den Tacho. Selbst eine geringe Geschwindigkeitsübertretung konnte ihm zum Verhängnis werden.

Seine Hände wurden feucht. Und das lag nicht an der trockenen Hitze. Er fühlte sich gehetzt. Und das schon jetzt, da er nur einen Teil des Verbrechens verübt hatte.

Allerdings anders als vorgesehen.

Wütend trat er aufs Gaspedal, nahm jedoch gleich darauf erschrocken den Fuß wieder zurück. Nur nicht auch noch mit einem Verkehrscop Ärger bekommen!, dachte er.

Der schwarze Ford rollte etwas später als üblich vor den Eingang der Privatschule Mulagher, und das war Absicht. Ein Blondschopf kam angelaufen und riss den rechten hinteren Wagenschlag auf.

»He, wo ist Roy? Und wer sind Sie, Mister?«, fragte er.

»Ich heiße Jim, vertrete Roy, denn er fühlt sich nicht wohl. Können wir abfahren, Patric?«

»Gleich, einen Augenblick!« Der Junge rannte noch einmal davon.

Dem Gangster wurde eine Spur heißer. Hatten die Angehörigen schon etwas gemerkt und die Schule angerufen?

Blödsinn, dachte er. Dann wäre der Kleine nicht zum Wagen gekommen.

Hatten sie den Siebenjährigen so erzogen, dass er nicht mit einem »neuen« Chauffeur fuhr, wenn es die Eltern nicht ausdrücklich erlaubten?

Auch das schien unwahrscheinlich. Der Junge musste den Wagen erkennen und konnte deshalb unmöglich Verdacht schöpfen.

Erleichtert atmete Hooper auf, als der Kleine zurückkehrte. Das Mädchen jedoch, das er mitbrachte, störte ihn.

»Wir fahren Cindy heim, Jim. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen«, sagte der Junge mit der Überlegenheit eines britischen Lords.

Die Flötentöne treiben wir dir noch aus, dachte Mac Hooper. Doch er antwortete höflich: »Tut mir leid, Patric, ich habe keine Anweisung, noch jemanden mitzunehmen und einen Umweg zu machen.«

»Es ist ja bloß wegen der drückenden Hitze«, erklärte Patric. »Außerdem hat sich Cindy den Fuß verknackst.«

»Ich bedaure wirklich, dass ich deiner kleinen Freundin nicht helfen kann. Wenn ich nicht bloß der Vertreter wäre, würde ich es gern verantworten. So aber geht es leider nicht, Patric. Sei bitte vernünftig. Wir werden ohnehin später zu Hause eintreffen, und ich möchte nicht, dass sich deine Mutter um dich sorgt.«

Patric zuckte resignierend mit den Schultern und erklärte seiner Freundin, warum der »Neue« sie nicht mitnehmen würde. »Am besten, du gehst zurück zu Miss Mulagher und bittest sie, dir ein Taxi zu ordern«, rief er, stieg ein und winkte dem brünetten Mädchen zu, als der Wagen anfuhr.

»Was ist mit Roy?«, fragte Patric Stringer, sobald die Kleine außer Sicht war. »Heute früh war er noch okay. Wieso kann er so schnell krank werden?«

»Ihm ist etwas auf den Kopf gefallen«, sagte der Gangster nicht ohne makabre Ironie.

»Was denn?«, wollte Patric wissen. Sie näherten sich einer Ampel. »He, Sie fahren ja ganz falsch!«, rief er, als Mac Hooper auf die Rechtsabbiegerspur lenkte.

»Möglich, Patric. Ich kenne mich hier nicht aus. Du wirst mich gleich dirigieren, okay?«

»Jetzt müssen wir nach rechts, bei der nächsten Ampel nach links.«

»Am besten steigst du nach vorn um, dann kannst du mir den Weg besser zeigen.«

»Ich darf nicht vorn sitzen.«

»Das ist heute mal eine Ausnahme. Nun komm schon! Ich lasse dich auch mal lenken, wenn du mich nicht verrätst.«

»Das hat Roy auch schon gemacht. Aber nicht im Stadtverkehr.«

Der Kleine kletterte auf den Vordersitz und rutschte nah zu Mac Hooper heran. »Jetzt?«, fragte er.

»Ja, okay.«

Als er das Lenkrad anfasste, gab ihm Hooper einen Faustschlag auf den Hinterkopf. Für Beobachter auf der Straße oder in anderen Fahrzeugen sah es wie eine harmlose Kopfnuss aus, zumal Hooper dabei freundschaftlich grinste und gleich darauf seinen Arm blitzschnell um den Jungen legte.

Das musste er tun, um ihn aufzufangen. Diese scheinbar leichte Kopfnuss hatte er zigmal unter Aufsicht üben müssen. Hart und trocken aus dem Handgelenk geschlagen, wirkte es wie ein Antupfen, reichte jedoch, um einen Jungen zu betäuben.

Hooper fuhr unbeirrt geradeaus weiter, hielt den Bewusstlosen im Arm und sprach grinsend auf ihn ein.

Dann, nach einem sichernden Blick in die Wagen, die neben ihm fuhren, ließ er ihn in die Polster gleiten.

Etwa zwanzig Meilen von der Privatschule entfernt lenkte Hooper den Ford in die Garage neben dem Bungalow, den die Auftraggeber eigens für diesen Zweck gemietet hatten.

Der Junge lehnte noch immer bleich und mit offenem Mund auf dem Beifahrersitz.

Hooper schaltete den Motor ab, schloss die Garagentür, öffnete die Verbindungstür zum Bungalow und holte das Kind aus dem Wagen.

Patric Stringers Arme und Beine hingen schlaff herab, und der Kopf rollte zur Seite wie bei einer zerbrochenen Puppe, als Hooper den Jungen auf die Couch im Wohnzimmer des Bungalows legte.

Sollte ich zu hart zugeschlagen haben?, fragte er sich in plötzlich aufsteigender Panik.

Es gab einen Plan, an den er sich halten musste, wenn er Geld wollte. Und er hatte schon einmal versagt.

Hooper tastete nach dem Puls des Jungen. Der Körper fühlte sich unnatürlich kalt an.

Das ist die Hitze in dir, die Erregung, sagte er sich. Du schwitzt ja.

Er ging ins Bad, um sich Gesicht und Hände zu waschen und eine kalte Kompresse für den Jungen zu machen.

Es war ein heißer, staubiger Tag gewesen. Ein Tag voller Hetze, Arbeit und Ärger, kurz: ein normaler Tag für einen G-man. Ich stand gerade unter der Dusche, als das Telefon läutete.

»Cotton«, meldete ich mich ohne Begeisterung.

»Tut mir leid, Jerry.« Ich erkannte unseren Chef, Mr. High, sofort. »Ihr Überstundenbedarf ist sicher mehr als gedeckt. Ich weiß ja, dass Sie in den letzten Wochen viel Nachtarbeit zusätzlich geleistet haben. Für knifflige Fälle greife ich jedoch gern auf bestimmte Leute zurück.«

Er lobte einen nicht über den grünen Klee, und deshalb freute ich mich über die Anerkennung.

»Sie können ablehnen, Jerry.«

»Auf keinen Fall, Chef. Sie haben schon Ihre Gründe dafür, dass Sie mich auswählen.«

»Allerdings! Wollen wir also keine Zeit verlieren. Ich fürchte, in diesem Fall wurde viel zu lange gezögert. Am besten holen Sie Phil ab, und wir unterhalten uns weiter, während Sie nach Success fahren.«

Auch Phil brummte mich zunächst telefonisch an, war dann aber wieder bereit mitzustreiten, sobald er meine Stimme erkannt und vom Anruf des Chefs gehört hatte.

Als er in meinen roten Jaguar stieg, gestand er mir, dass er sich gerade mit einem Whisky Soda ins Bett zurückgezogen habe, um endlich einmal auszuschlafen.

Mein Freund rief Mr. High an. Der Chef meldete sich sofort, und ich hörte mit, was er uns zu sagen hatte.

»Captain Wanner von der Lake Success Police hat uns angerufen. Gegen zwei Uhr mittags wurde der Chauffeur von Walt Stringer in dessen Garage erschlagen aufgefunden. Es sei ihm gleich merkwürdig vorgekommen, wie aufgelöst Mrs. Stringer gewesen sei, sagte der Captain. Und auch Walt Stringer hätte sich eigenartig benommen. Fast verdächtig, meinte Wanner. Jedenfalls habe Stringer mit allen Mitteln versucht, die Beamten möglichst rasch von seinem Boden zu entfernen. Inzwischen weiß er den Grund dafür. Der siebenjährige Sohn der Stringers ist verschwunden.«

»Und das haben die Eltern erst jetzt mitgeteilt?«, schloss Phil.

»Nicht die Eltern, sondern Mrs. Stringer. Sie hat Wanner vor etwa einer halben Stunde angerufen, bat ihn inständigst, kein Aufsehen zu machen, aber ihr irgendwie beizustehen. Inzwischen ist nämlich auch ihr Mann fort.«

»Irrt umher und sucht den Jungen?«

»Möglich, Phil. Mrs. Stringer sagte nichts von Anrufern oder Lösegeldforderungen. Ihr und ihres Mannes Schweigen den ganzen Tag über lässt darauf schließen, dass ihnen gedroht wurde. Wanner wollte sie gleich aufsuchen, auch das schlug sie aus. Er sollte jemanden schicken, der in der Umgebung unbekannt sei. Der Captain hätte uns ohnehin benachrichtigt, sagte er. Und nun habt ihr eine Verabredung mit Mrs. Janette Stringer. Am besten meldet ihr euch an.«

Mr. High gab uns die Telefonnummer der Villa in Lake Success.

Das Rufzeichen war kaum abgegangen, da meldete sich schon eine Frau. Sie musste neben dem Telefon gewartet haben. Weder Phil noch ich überhörten den schrillen Unterton.

»Mein Name ist Decker«, stellte sich Phil vor, »und ich glaube, niemand in Ihrer Nachbarschaft kennt mich, Mrs. Stringer. Mein Freund Jerry Cotton und ich würden Sie gern sprechen. Können Sie Ihrem Personal trauen?«

Während einer längeren Pause hörten wir sie nur schwer atmen. Dann sagte sie: »Ja, wir haben mehrere Anschlüsse im Haus. Und ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie möglichst bald jemanden schicken könnten, der sie nachsieht. Den ganzen Tag über läutet es nämlich, es meldet sich jedoch niemand. Sicher ein Defekt in der Leitung, doch es ist belästigend.«

Phil sah auf die Uhr. »Passt es in etwa einer Dreiviertelstunde?«

»Je eher, desto besser. Danke!« Sie hatte eingehängt.

Ich schaltete Warnlicht und Sirene ein und kämpfte mich durch den für die späte Stunde beachtlichen Verkehr.

Als wir Lake Success erreichten, verzichtete ich auf diese auffälligen Hilfsmittel. Captain Wanner, mit dem wir inzwischen Sprechkontakt hatten, dirigierte uns auf kürzestem Weg in die Nähe der Stringer-Villa, und ich parkte in einer Parallelstraße, von der aus wir innerhalb weniger Minuten zu Fuß zu dem Haus gelangten.

Phil hatte die Werkzeugtasche aus meinem Wagen mitgenommen, in der Hoffnung, wenigstens das Dienstmädchen täuschen zu können. Falls jemand das Haus überwachte, hatten wir dagegen keine Chance, als Techniker vom Telefonservice zu gelten, denn wir waren normal sommerlich gekleidet – und kamen zu Fuß.

Uns blieb allerdings keine Zeit zur Kostümierung.

Die Werkzeugtasche hätten wir uns sparen können. Eine große, schlanke Frau öffnete uns, ging durch eine mit Kunstwerken geschmückte Halle voraus in einen gemütlichen Salon und erklärte: »Die Angestellten sind in ihren Zimmern. Das habe ich angeordnet. Beim Telefonieren könnte jemand mithören, hier sind wir jedoch ungestört.«

Ihr Gesicht war ebenmäßig mit einer hohen, klaren Stirn, einem schön geschwungenen Mund und einem Profil, das dem römischen Schönheitsideal entsprach. Die dunklen Augen vermochten sicher leidenschaftlich zu glühen. Im Moment drückten sie nur Panik aus.

Ich setzte mich nicht, als sie eine einladende Handbewegung machte, sondern ging noch einmal zur Tür, öffnete sie und spähte hinaus. Keine Lauscher, soweit ich sehen konnte.

»Cotton und Decker vom FBI«, erklärte ich und zeigte ihr meinen Ausweis.

Sie nickte stumm und sank plötzlich wie erschlafft in einen der mit rotem Samt bezogenen Sessel. »Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Walt hat zwar verboten, dass ich die Polizei informiere. Doch jetzt ist er auch schon über drei Stunden weg. Und er hatte versprochen, mich jede Stunde anzurufen. Aber – nichts.« Sie machte eine hilflose Handbewegung.

»Nun erzählen Sie uns alles bitte der Reihe nach«, forderte ich sie auf. »Seit wann ist Ihr Sohn verschwunden?«

»Gillis ist wie üblich zur Schule gefahren. Das heißt, ich habe es angenommen. Ich saß oben in meinem Zimmer. Fenster und Balkontür waren offen. Ich hörte den Wagen abfahren. Nach etwa einer halben Stunde ging ich hinunter. Gillis braucht nur zehn Minuten bis zur Schule. Manchmal nimmt er Freunde von Patric mit, setzt sie zu Hause ab, und dann kommen die beiden etwas später. Ich war zunächst nicht beunruhigt.«

Sie krallte die Hände ineinander, bis die Knöchel weiß wurden. Ihre Lippen zitterten. Doch sie fing sich wieder.

»Als dann fast eine Stunde verstrichen war, wurde ich nervös. Ich wollte gerade die Schule anrufen, da klingelte das Telefon. Es war Felice, meine Schwägerin. Wir sprachen ziemlich lange, obgleich ich immer versucht habe, die Unterhaltung zu beenden. Sie hat ein Problem, und ich wollte sie nicht vor den Kopf stoßen. Es war ja auch eigentlich kein triftiger Grund zur Aufregung. Kaum hatte ich eingehängt, da läutete das Telefon wieder. Ein Mann war dran, dessen Stimme ich nicht kenne. ›Wenn Sie Ihren Sohn lebend wiedersehen wollen, lassen Sie die Polizei aus dem Spiel‹, sagte er. Dann hängte er ein. Ich war wie vor den Kopf gestoßen.«

Sie presste die Fingerspitzen gegen die Schläfen und schloss die Augen. Ich ließ ihr Zeit. Man sah ihr an, dass sie tat, was sie konnte. Wenn ich sie jetzt drängte und sie zusammenbrach, mussten wir viel länger auf die Informationen warten, die uns vielleicht zu dem verschwundenen Kind führen konnten.

»Ich lief hinaus, um nachzusehen, ob der Wagen nicht käme.«

»Warum haben Sie niemanden geschickt?«, wollte ich wissen.

»Warum? Ich weiß nicht. Ich bin einfach hinausgelaufen, habe die Straße hinuntergesehen in die Richtung, aus der sie sonst immer kommen. Und dann rannte ich zurück ins Haus. Ich wollte meinen Mann anrufen. Da polterte es schon an der Haustür. Mandy kam die Treppe heruntergelaufen und öffnete. Franklyn hatte Gillis in der Garage gefunden. Tot – wie wir jetzt wissen.«

»Franklyn?«, fragte ich.

»Der Junge, der den Garten pflegt. Er war völlig durcheinander. Ich natürlich auch, hauptsächlich wegen Patric und des Anrufs.« Sie hielt sich den Kopf, als hätte sie starke Schmerzen. »Das gab später ein ziemliches Durcheinander, als der Captain uns befragt hat. Mandy behauptete, ich müsste schon von Gillis gewusst haben. Doch das stimmt nicht. Ich durfte nichts von Patrics Verschwinden sagen.«

Ich wartete, dass sie weitersprach.

Sie winkte ab. »Mir ist es gleichgültig, was der Captain von mir denkt. Ich habe Walt angerufen, und er kam sofort nach Hause. Wir fanden einen Augenblick Zeit, unter vier Augen miteinander zu sprechen, und ich wiederholte ihm, was der Anrufer gesagt hatte. Walt und ich beschlossen, dem Captain gegenüber nichts von Patric zu erwähnen. Ich glaube, wir hatten dann stundenlang die Polizei im Haus. Ich sagte nur aus, was ich mit Walt verabredet hatte, anschließend ließen sie mich in Ruhe, und ich legte mich hin. Walt hatte mir geraten, ein Beruhigungsmittel zu nehmen. Das tat ich. Nachdem die Polizei fort war, kam Walt. Wir warteten gemeinsam. Endlich, um sieben, riefen sie wieder an.«

»Sie?«

Janette Stringer nickte. »Eine Männerstimme. Aber eine andere. ›Wir geben Ihnen Ihren Jungen zurück. Dies war eine erste Warnung‹, sagte der Anrufer. Mein Mann fragte ihn: ›Wollen Sie kein Lösegeld?‹ Der Unbekannte hat darauf nicht geantwortet.«

»Haben Sie mitgehört?«

»Nein, Walt hat es mir erzählt. Walt sollte einem beigefarbenen Dodge folgen, der genau um sieben an unserem Haus vorbeifahren würde. Er sagte noch: ›Ich bringe dir unseren kleinen Liebling wieder.‹ Und er versprach, mich jede Stunde anzurufen. Seitdem ist auch er fort.«

Ein Anfänger in unserem Job hätte vielleicht Verdacht geschöpft, weil sie gerade jetzt zusammenbrach, da sie uns das Wichtigste gesagt hatte. Phil und ich wussten es besser. Sie war einer jener »Katastrophenmenschen«, die durchhielten, solange sie gebraucht wurden, die bei Verkehrsunfällen halfen und ihren eigenen Schock erst bekamen, wenn die akute Gefahr gebannt war.

Ich überlegte. Falls uns jemand ins Haus hatte gehen sehen, der mit den Entführern in Verbindung stand, wäre es unklug gewesen, zu lange zu bleiben.

Mitnehmen konnten wir sie nicht, denn möglicherweise riefen die Entführer oder Mr. Stringer wieder an.

Andererseits wollte ich sie in ihrem Zustand der Erregung und Angst nicht allein lassen.

»Sollen wir einen Arzt rufen? Oder haben Sie Freunde, die Ihnen beistehen könnten?«

Sie nahm die Hände vom Gesicht. Keine Tränenspuren. Ein trockenes Schluchzen hatte sie geschüttelt. Ihre Lippen waren noch eine Spur blasser, und tiefe Falten zogen sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln.

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich brauche niemanden. Sie können ruhig gehen. Es ist besser für Patric und Walt, wenn die Verbrecher nicht misstrauisch werden. Ich muss das durchstehen.«

»Vielleicht sollten Sie wenigstens das Mädchen oder sonst jemanden vom Personal einweihen.«

Janette Stringer schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Mit Mandy bin ich fertig. Wenn alles vorüber ist, wird sie entlassen. Und außer ihr ist nur der alte James im Haus. Er wäre keine Hilfe.«

Mir war etwas unbehaglich, als wir die Villa verließen. Doch wir mussten es tun. Phil und ich konnten keine verdächtige Gestalt in der Nähe der Villa entdecken. Trotzdem unterdrückten wir unsere innere Unrast und gingen zügig, aber ohne in Laufschritt zu verfallen, die Straße hinunter.

Aufatmend klappte Phil den Wagenschlag zu. »Mir war, als hätte uns jemand beobachtet.«

Ich zuckte mit den Schultern und ließ den Motor an. Auf dem Weg zur Schule erkundigte sich Phil bei der Fahndungsabteilung nach dem schwarzen Ford der Stringers und gab eine zweite Suchmeldung durch, diesmal nach dem Sting Ray, mit dem Walt Stringer losgefahren war.

Die Fahndung nach dem Ford lief seit dem Mittag, doch er war nirgends aufgetaucht. Dass die Suche nach dem Sting Ray aufgenommen wurde, konnten wir über Sprechfunk mithören, als ich langsam an der Privatschule vorbeifuhr.

Mrs. Stringer hatte mir gesagt, die Schulleiterin wohne im selben Haus. Ich hielt in einer Seitenstraße, und Phil erstattete Mr. High Bericht.

»Ich habe veranlasst, dass die Gespräche abgehört werden«, teilte uns der Chef mit. »Weil kein Antrag vorliegt, nehme ich es auf meine Kappe. Das muss ich wohl verantworten. Vielleicht bekommen wir beim nächsten Anruf einen Fingerzeig. Wie ich hörte, ist Walt Stringer in einem ziemlich auffälligen Wagen unterwegs, das könnte uns weiterhelfen.«

Kurz darauf läuteten wir an der Mulagher Privatschule. Inzwischen war es fast elf Uhr nachts geworden, und wir warteten deshalb geduldig, bis im ersten Stock Licht angemacht wurde. Eine Frau fragte über die Haussprechanlage, wer wir seien. Wir sagten es ihr. Leise und mit einem sichernden Blick ringsum.

Die kleine, drahtige Person mit dem kurz geschnittenen grauen Haar erinnerte mich an eine meiner eigenen Lehrerinnen. Man sah Ms. Mulagher nicht an, dass wir sie aus dem Bett geholt hatten. Sie wirkte hellwach, lebhaft, prüfte unsere Ausweise eingehend und fragte mit strengem Blick: »In welcher Angelegenheit?«

Ich forderte sie auf, Stillschweigen über das zu bewahren, was wir ihr zu sagen hätten, und berichtete vom Verschwinden Patric Stringers.

Roberta Mulagher zuckte nicht mit der Wimper. »Aha«, stellte sie lakonisch fest, faltete die Hände auf eine recht merkwürdige Art – sie schloss die zur Faust geballte Rechte mit der Linken schützend ein – und verkündete: »Gut, dass Sie zu mir kommen! Ich kann Ihnen weiterhelfen. Patric hat gern Freunde von der Schule aus mitgenommen und sie unterwegs abgesetzt. Das wollte er heute auch mit Cindy Gantrin tun, doch der neue Fahrer hat es nicht erlaubt.«

»Der ›neue‹ Fahrer?«, fragte Phil betont.

Roberta Mulagher sagte zurechtweisend: »Unterbrechen Sie mich bitte nicht! Cindy hatte sich den Knöchel leicht verstaucht, deshalb kam sie zu mir, damit ich ein Taxi für sie bestelle. Dabei erzählte sie mir, ein ihr Unbekannter habe Patric abgeholt. Sie können mir daraus natürlich keinen Vorwurf machen. Normalerweise teilen es mir die Eltern nicht mit, wenn sie den Chauffeur wechseln. Und von meinem Haus werden zahlreiche Schüler durch Chauffeure abgeholt.«

»Wir machen Ihnen keinen Vorwurf«, unterbrach nun ich sie energisch. Ich war über das Alter hinaus, da man sich von einer strengen alten Lady über den Mund fahren lässt. »Diese Cindy könnte uns tatsächlich weiterbringen. Dürfte ich die Adresse haben?«

Ihre grünen Augen blickten nicht besonders freundlich drein, als sie mich eine Zeit lang stumm anstarrte. »Gleichgültig, was ich tue, die Sache ist wohl nicht mehr aufzuhalten.«

»Welche Sache?«

»Der Ruf meiner Schule wird leiden, es wird Abmeldungen geben. So diskret Sie auch handeln mögen, die Reporter werden eine Menge Staub aufwirbeln.«

»Die Adresse, Miss Mulagher!«, forderte ich eindringlich.

»Sofort. Ich habe gerade überlegt, ob man die kleine Cindy so gefährden darf. Denn wenn sie den Mann beschreibt, könnten er oder seine Komplizen darauf kommen, das Kind mundtot zu machen.«

»Gefährdet ist die Kleine ohnehin. Denn der Entführer muss damit rechnen, dass sie ihn identifizieren wird.«

»Eben, genau zu diesem Schluss bin ich auch gerade gekommen.«

Sie nannte uns die Adresse und meldete uns sogar telefonisch an. »Und bitte möglichst wenig Aufsehen, Mrs. Gantrin«, sagte sie zum Abschluss. »Es besteht noch immer die Möglichkeit, dass es für alles eine harmlose Erklärung gibt.«

»Leider nicht angesichts des Mordes am echten Chauffeur der Stringers«, rief ich ihr ins Gedächtnis, als sie eingehängt hatte.

»Das ist mir klar. Aber Mrs. Gantrin ist eine hochgradig nervöse Person. Sie werden einige Schwierigkeiten mit ihr haben.«

2

Man konnte vielleicht einiges gegen Ms. Mulagher einwenden, zu Übertreibungen neigte sie jedoch nicht. Wir hatten eine Menge Schwierigkeiten mit Cindys Mutter und waren froh, als wir mit Cindy allein in einem Verhörzimmer des FBI-Gebäudes sprechen konnten.

Mrs. Gantrin wurde im Augenblick von einem Polizeiarzt betreut, und ich hoffte, der Doc würde sie nicht zu bald wieder auf uns loslassen.

Das achtjährige Mädchen mit den kastanienbraunen Locken war aufgeweckt und völlig ruhig. Es konnte nicht nur daran liegen, dass sie die Situation falsch einschätzte. Sie musste mehr ihrem Vater nachschlagen, der im Augenblick auf Geschäftsreise war. Zum Glück wusste Cindys Mutter nicht, in welchem Hotel er übernachtete, sonst hätte sie ihn womöglich angerufen und herbeizitiert.

Unser Experte mit dem Identity Kit wollte der Kleinen auf seine Art die Aufgabe erleichtern, war jedoch bei ihr an der falschen Adresse.

»Schau, Cindy, wir haben hier durchsichtige Streifen, auf denen jeweils ein Teil des Gesichts abgebildet ist. Jetzt spielen wir ein bisschen Puzzle und legen so lange verschiedene Augenpartien, Nasen, Haaransätze und Ohren zusammen, bis wir ein Bild bekommen, das dem Fahrer ähnelt, den wir suchen.«

»Ich hab schon oft FBI-Filme gesehen und weiß, wie man aus dem Identity Kit ein Gesicht zusammenlegt. Vielleicht geht’s schneller, wenn ich Ihnen den Mann beschreibe. Ich bin die Klassenbeste in Zeichnen, und Miss Mulagher meint, das läge an meiner guten Beobachtungsgabe«, verkündete sie überzeugt, aber nicht angeberisch. »Wenn wir’s so machen, brauche ich nicht den ganzen Haufen von Einzelteilen durchzuwühlen. Also, seine Stirn war sehr schmal. Er hatte die Schirmmütze weit zurückgeschoben. Sah ein bisschen unordentlich aus. Sicher war ihm heiß. Die Nase hatte zwei Höcker. So wie manchmal bei Boxern, die das Nasenbein gebrochen haben.«

Wir kamen mit dem Kind schneller zu Rande als mit so manchem Erwachsenen. Und bevor Mrs. Gantrin uns wieder mit ihrer Gegenwart anödete, lag ein fertiges Bild auf dem Tisch, von dem Cindy behauptete, besser hätte man den Fahrer nicht einmal fotografieren können.

Auf Mrs. Gantrins Wunsch schickte Mr. High einen Kollegen zu ihrem und ihrer Tochter Schutz mit, und Phil und ich bemitleideten Steve Dillaggio, den das harte Los traf.

Während die Zahlen des IK-Bildes in den Karteicomputer gespeist wurden, kauten wir ein Sandwich und tranken einen Pappbecher heißen Kaffees. Statt des Desserts flatterten uns drei Karten auf den Tisch.

Wir betrachteten sie eingehend.

»Dieser Woodrow Smith sieht auf dem Foto viel jünger aus«, stellte Phil fest.

»Stimmt, aber es ist ein älteres Foto, und das hat die ›schwarze Lola‹ einkalkuliert. Trotzdem, ich finde auch, dass Mac Hooper die größte Ähnlichkeit mit dem IK-Bild hat.« Wir lasen die Sündenregister der drei Vorbestraften durch und entschlossen uns, zuerst nach Smith zu suchen. Er war der Abgebrühteste – soweit das aus den Vorstrafenlisten hervorging –, und da sich erfahrungsgemäß die Schwere der Straftaten bei jenen steigert, die immer wieder rückfällig werden, war ihm ein Kapitalverbrechen wie Kidnapping durchaus zuzutrauen.

Wir informierten Mr. High und waren bereits auf dem Hof, als wir zurückgerufen wurden.

»Es wäre Zeitverschwendung, wenn Sie nach diesem Smith suchen würde«, erklärte uns der Chef. Er sah müde und abgekämpft aus.

Mir wurde plötzlich ziemlich mulmig, und Phils Überlegungen mussten in die gleiche Richtung gehen, denn ich hörte, wie er die Zähne so fest aufeinanderbiss, dass sie knirschten.

Ich verstand meinen Freund, und ich verstand, dass Mr. High wie angenagelt auf seinem Bürosessel hocken blieb.

Wir hatten Fotos von dem fröhlichen Blondschopf gesehen. Ein unbeschwerter, wacher Junge, der sein ganzes Leben noch vor sich hatte.

Plötzlich drängte sich mir ein Bild auf. Der kleine Patric bleich, leblos – ermordet.

Ich räusperte mich und rieb mir die Augen, als könnte ich die makabre Vision so vertreiben.

Walt Stringer hatte nur etwa zehn Minuten auf den beigefarbenen Dodge warten müssen und hängte sich an dessen Stoßstange.

Der Fahrer verließ schon bald das Villenviertel und fuhr durch unbelebte Straßen. Offenbar wollte er prüfen, ob sie verfolgt wurden.

Dann bog er plötzlich in nördlicher Richtung ab und legte ein Tempo vor, dass ihn Walt fast verloren hätte, weil er sich an die Geschwindigkeitsbeschränkung halten wollte.

Kurz entschlossen trat er aber ebenfalls aufs Gaspedal. Sein Sohn war ihm wichtiger.

Mit singenden Reifen raste der Dodge in eine Rechtskurve, wurde sekundenlang durch einen Drugstore verdeckt, und als Stringer um die Ecke gebogen war, schien der beigefarbene Wagen wie vom Erdboden verschluckt.