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Er hieß Jonny Magnifico und war der Liebling der Cosa Nostra. Denn seine Platten und Shows brachten den Bossen jährlich rund achtzig Millionen Dollar in die Kassen. Magnifico hatte allerdings eine Macke: Frauen. Gefiel ihm eine, fragte er nicht, sondern nahm sie sich mit Gewalt. Eines Tages passierte es dann. Die Frau war tot. Der Mörder Jonny Magnifico. Phil und ich jagten ihn. Bis nach Las Vegas. Dort lauerten schon die Killer der Cosa Nostra auf uns. Die Mördershow am Sunset Strip begann ...
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Seitenzahl: 207
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Blutnacht in Las Vegas
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Dm_Cherry / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7325-9955-4
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Blutnachtin Las Vegas
Er hieß Jonny Magnifico und war der Liebling der Cosa Nostra. Denn seine Platten und Shows brachten den Bossen jährlich rund achtzig Millionen Dollar in die Kassen. Magnifico hatte allerdings eine Macke: Frauen. Gefiel ihm eine, fragte er nicht, sondern nahm sie sich mit Gewalt. Eines Tages passierte es dann. Die Frau war tot. Der Mörder Jonny Magnifico. Phil und ich jagten ihn. Bis nach Las Vegas. Dort lauerten schon die Killer der Cosa Nostra auf uns. Die Mördershow am Sunset Strip begann …
1
Der Wagen verlangsamte kaum die Fahrt. Die rechte Vordertür wurde aufgestoßen.
Ein Mensch fiel aus dem Fahrzeug. Mit schlagenden Gliedern rollte der Körper über den Asphalt, prallte gegen den Bordstein.
Das Auto raste weiter, schoss unter Reifengekreisch in eine Querstraße, verschwand.
Zurück blieb die verkrümmte, reglose Gestalt am Fahrbahnrand.
Es geschah in New York, um drei Uhr morgens in der East 165th Street vor einer langen Zeile aufgegebener, zerfallender, zum Abbruch bestimmter Häuser.
Sie krochen aus den Höhlen der verfallenen Häuser wie Ratten aus Löchern, liefen, humpelten, hinkten an die Gosse, scharten sich um das Opfer.
Landstreicher, Säufer und Rauschgiftsüchtige, denen die Hausruinen als Unterschlupf dienten.
»Is ’n Mädchen«, krächzte eine tonlose Stimme.
Schmutzige Hände mit Nägeln wie Klauen tasteten den Körper ab, fassten ins Haar, glitten übers Gesicht.
»Ist tot, die Schickse«, murmelte ein Alter, sabbernd aus zahnlosem Mund.
»Habt ihr gesehen, wie er sie rausgeworfen hat?« Ein Jüngerer lachte rau. »Hatte genug von ihr und hat sie, zack, an die Luft gesetzt. Die richtige Methode für lästige Weiber. Ob er weiß, dass sie sich das Genick gebrochen hat?«
Ein Streichholz flammte auf. Zitternde Finger führten die kleine gelbe Flamme langsam an Gesicht und Körper vorbei. Neandertalern gleich hockten sie im Kreis. Triefende und trübe Augen der Alkoholiker, stecknadelkleine Pupillen der Rauschgiftsüchtigen starrten die Tote an.
Langes schwarzes Haar. Ein rundes, jetzt verschrammtes Gesicht. Offener, weicher Mund.
Den Körper verhüllte ein roter Regenmantel, an dem alle Knöpfe und der Gürtel um die Taille geschlossen waren. Die Schuhe fehlten. Das Glas der Armbanduhr am linken Handgelenk war beim Aufprall zerbrochen. Zwei Ringe mit Halbedelsteinen an den Fingern.
Schon nestelten schmutzige Krallen am Verschluss der Uhr, zerrten an den Ringen.
Streit brandete auf. Fauchen wie von Raubtieren. Das Streichholz erlosch. Ein Faustschlag und der röchelnde Schrei des Getroffenen.
Ein neues Streichholz. Uhr und Ringe fehlten.
»Der Mantel bringt auch ’nen Dollar, und sie friert nicht mehr.«
Hände lösten die Knöpfe, den Gürtel, bekämpften sich, schlugen sich. Der Mantel fiel auseinander. Für Sekunden zuckten die Hände zurück.
Die Streichholzflamme flackerte und wurde kleiner.
»Mann, sie ist nackt«, röchelte einer.
»Hat ihr keine Zeit gelassen, wieder ins Höschen zu steigen.« Das Lachen des Jüngeren überschlug sich hysterisch.
Die Flamme starb, und mit ihr starben Empfindungen, die die Ausgestoßenen zurückgehalten hatten. In der Finsternis griffen sie zu, rissen den Mantel vom Frauenkörper, kämpften hyänengleich um die Beute – einen roten Regenmantel, gekauft in einer Boutique der Madison Avenue von einer jungen Frau, die hübsch darin hatte aussehen wollen.
Jetzt stritten um ihn Säufer und Süchtige und Hungrige. Für jeden bedeutete der Mantel das Überleben des nächsten Tages, bedeutete die Flasche oder den Schuss Heroin oder einfach Sattsein.
Einer gewann, rollte den Mantel zusammen, barg ihn unter der eigenen Jacke, stieß die anderen zur Seite und tauchte unter zwischen den schwarzen Mauern der verlassenen Häuser.
Sie zerstreuten sich. Die Nacht und die Ruinen verschluckten sie.
Der nackte Körper der toten jungen Frau blieb zurück in ungeheurer Einsamkeit.
Im Morgengrauen, gegen fünf Uhr, fand eine Polizeistreife die Tote.
Ich traf Lieutenant Cassian Vartress vom Homicide Department der City Police im Flur des FBI-Hauptquartiers.
»Hallo, Lieutenant, ich telefoniere den ganzen Vormittag nach Ihnen herum, ohne Sie zu erreichen.«
Er wies auf die pralle Aktentasche in der Hand. »Ich habe mir vom FBI ein paar Hilfsmittel ausgeliehen.«
»Welche Hilfsmittel?«
»Eure Fotosammlung ausländischer Autotypen, die in die Staaten importiert werden. Ich will sie zwei Landstreichern vorführen. Zur Auswahl.«
»Glauben Sie, dass einer von den Tramps einen Rolls oder einen fetten deutschen Mercedes kaufen wird?«
Vartress warf mir einen missmutigen Blick zu. »Wenn Sie meine Drecksarbeit machen müssten, Cotton, würde Ihnen der Sinn für Witze abhandenkommen.«
»Sorry, Lieutenant. Ich wollte mit Ihnen über Duff Rosczick sprechen. Sie haben ihn zweimal verhaftet und wissen mehr über ihn als jeder andere Cop.«
»Fahren Sie mit. Wir können im Wagen über Rosczick reden.«
Doch während der Fahrt sprach Vartress nicht über den Mann, den ich suchte, sondern über den Fall, an dem er kaute.
»Sexualmord an einer jungen Frau, Barbara Leight, vierundzwanzig Jahre. Sauber, ordentlich, anständig, und dann wird sie nackt und tot in einer Slumstraße gefunden. Vergewaltigt und erwürgt. Ich gäbe ein Jahr meines Lebens dafür, wenn ich den Bastard fassen könnte, und Billy Corner wäre bereit, alle Tage seines Lebens einzusetzen, und er ist gerade siebundzwanzig.«
»Wer ist Billy Corner?«
»Ein junger Sergeant in meiner Gruppe, er war mit Barbara Leight befreundet. Die beiden wollten sich verloben. Stellen Sie sich Billys Zustand vor, Agent. Am liebsten zöge er mit einer Holzkeule durch alle Rattenlöcher dieser Stadt und erschlüge jeden, der es gewesen sein könnte. Ich fürchte, das Erlebnis verdirbt ihn für unseren Job. Hass ist nicht das Richtige für gute Polizisten. Schade um Billys vielversprechenden Start.«
»Welche Rolle spielen die Landstreicher?«
»Killer und Leichenfledderer oder nur Leichenfledderer. Die junge Frau wurde in der East hundertfünfundsechzigsten gefunden. Die Häuser in diesem Teil der Straße sind aufgegeben und verlassen. Wie gewöhnlich wurden die Ruinen von den Ratten besetzt, von vierbeinigen und zweibeinigen. Ich schäme mich selbst, wenn ich sie ›Ratten‹ nenne. Ich weiß, dass die Gesellschaft schuld daran sein soll, dass es Säufer und Süchtige, Penner und Tramps gibt, aber ich weiß auch, dass ein Wehrloser, der ihnen in die Krallen fällt, verloren ist. Barbara Leight fiel in ihre Hände. Tot oder lebendig? Die Frage ist noch offen.«
»Haben Sie Beweise gegen die Tramps?«
»Corner hat die Beweise zusammengebracht. Er hat alle Altwarenhändler der Bronx durchkämmt. Bei einem Händler hat er Barbara Leights Mantel entdeckt, bei einem anderen einen Ring. Danach hat er nur noch zwei Nächte gebraucht, um die Typen zu finden, die Mantel und Ring an die Trödler verkauft hatten: ein Säufer und ein schwachsinniger Ex-Matrose. Beide behaupten, die junge Frau sei aus einem fahrenden Wagen geworfen worden und schon tot gewesen, als sie sich über sie hergemacht hätten.«
»Glauben Sie ihnen?«, wollte ich wissen.
»Sie fühlen sich unschuldig und sagen, ihre ganze Horde hätte sich um die tote Frau geschart. Sie beide hätten nur genommen, was sonst die anderen an sich gerissen hätten, und viel sei es ohnedies nicht mehr gewesen. Außer dem Mantel soll sie keine Kleider getragen haben.«
Wir erreichten das Hauptquartier der City Police. Lieutenant Vartress stellte den Wagen auf seinem reservierten Parkplatz ab. Mit dem Lift fuhren wir in die siebten Etage und gingen in sein Büro.
Bei unserem Eintreten stand ein dunkelhaariger junger Mann hinter seinem Schreibtisch auf. Sein Gesicht war ungewöhnlich blass. Dunkle Ringe unter den Augen und entzündete Lider zeugten von zu wenig Schlaf.
»Das ist Sergeant Corner«, sagte Vartress. »Billy, das ist Agent Cotton vom FBI.«
Wir schüttelten uns die Hände.
»Schaltet sich das FBI in die Untersuchung ein?«, fragte Corner.
»Nein, Sergeant. Ich bin hergekommen, weil ich hoffe, Lieutenant Vartress wird uns helfen, Duff Rosczick zu finden.«
»Hol unsere Prachtexemplare, Billy.« Vartress packte den Aktenordner mit den Autofotos auf einen Tisch. »Das FBI hat mir eine vollständige Kollektion aller ausländischen Automarken mitgegeben.«
Corner verließ den Raum.
Der Lieutenant machte eine Kopfbewegung zu seinem Schreibtisch. »Wollen Sie einen Blick in die Akte werfen, Cotton?«
Es war das Übliche. Fundortbericht. Fotos. Verhörprotokolle. Fotos von Verdächtigen. Obduktionsergebnis. Tod durch Ersticken. Würgemale am Hals. Sonstige auffällige Merkmale am Körper. Druckstellen, Blutergüsse, Schürfwunden.
Das letzte Blatt war der Entwurf für eine Fahndung.
Wer hat die abgebildete junge Frau am 15. in Begleitung welcher Person, wo, wann gesehen?
Das Bild war eine private Aufnahme der lebenden lächelnden Barbara Leight, nicht das Polizeifoto. Eine hübsche Frau.
Billy Corner und ein uniformierter Polizist brachten die Landstreicher. Der eine war groß, das Gesicht vom Alkohol aufgeschwemmt, die Augen trübe und das Weiße darin gelb wie Eidotter.
Der andere trug einen verfilzten graublonden Bart. Er war breit und nicht besonders groß. Der dicke, schmutzstarrende Mantel, in dem er steckte wie in einem wattierten Sack, schleifte über den Boden. Die wasserblauen Augen hatten den leeren Blick des Schwachsinnigen.
Der Große trat von einem Fuß auf den anderen. »Captain, seit zwei Tagen halten Ihre Leute mich trocken.« Seine Stimme klang, als hätte der Alkohol seine Kehle ausgebrannt. »Ich brauche einen Schluck. Sie müssen mir ’ne Flasche besorgen. Ich bin nur Untersuchungsgefangener und krank. Schnaps ist für mich Medizin.«
»In einer Stunde untersucht dich der Arzt. Wenn er dir ein Quantum Alkohol verschreibt, holen wir es dir auf Staatskosten. Jetzt sieh dir diese Fotos an!«
»Dreht es sich immer noch um die junge Frau, Captain?«
»Nenn mich nicht Captain! Ich bin nur Lieutenant.«
»Okay, Lieutenant, wie oft soll ich noch sagen, dass sie aus ’nem Wagen geworfen wurde? Klatschte auf die Straße wie ’ne Schaufensterpuppe. Wir liefen alle hin und sahen, dass es nur ’ne tote, nackte Nutte war.«
Ein Laut wie ein unterdrückter Aufschrei.
»Fass ihn nicht an, Billy!«, brüllte Vartress.
Corner hörte nicht. Er riss den Großen herum, holte aus.
Ich sprang vor, fing den Arm ab. »Tun Sie das nicht, Sergeant!«
Seine Augen waren wie blind. Ich hörte das Knirschen seiner Zähne. »Lassen Sie mich los! Ich bring ihn um!« Er stöhnte.
Der Große ließ sich auf die Knie fallen und begann zu schreien. »Ich soll gekillt werden! Die Cops bringen mich um! Hilfe!«
Ich schlug mit der Faust hart auf Corners linken Arm. »Nehmen Sie Vernunft an, Mann!«
Ganz langsam löste er die Finger, die er in die Jacke des Großen gekrallt hatte. Seine Augenlider flatterten. »Sorry«, murmelte er. »Ich hätte …«
»Geh raus, Billy!«, befahl Vartress.
»Lassen Sie mich bleiben, Lieutenant! Ich werde nicht mehr …«
»Gehen Sie raus, Sergeant!«, brüllte Vartress. »Das ist ein dienstlicher Befehl!«
Corner drehte sich um und verließ das Büro.
Der Säufer kniete noch auf der Erde und wimmerte.
»Stopp die Show!«, schrie der Lieutenant. »Seht euch diese verdammten Fotos an, und sagt mir, ob ihr auf einem Foto den Schlitten erkennt, aus dem die Frau gefallen ist.«
Gehorsam trat der bärtige Ex-Matrose an den Tisch. Er besah sich die Fotos, drei für jeden Wagen, von vorne, von der Seite und das Heck. Manchmal legte er den Kopf schräg oder wiegte ihn hin und her. Vartress schlug eigenhändig die Blätter für ihn um, und jedes Mal fragte er vorher: »Weiter?«
Nach dem letzten Blatt breitete der Schwachsinnige die Arme aus und hob beide Schultern in einer ausdrucksvollen Geste der Ratlosigkeit.
»Zum Teufel, ihr habt behauptet, es sei ein ausländisches Auto gewesen.«
Aus dem weiten Ärmel seines Mantels schob der Bärtige eine Hand, reckte den Daumen, wies damit auf den Großen. »Ich nicht – er.«
»Also noch einmal!«
Die Prozedur wurde mit dem Säufer wiederholt. Er blieb nicht stumm wie sein Kumpan, sondern seufzte, wimmerte, sagte Worte wie »vielleicht« und »ungefähr so«, aber für ein bestimmtes Modell entschied er sich nicht.
Vartress klappte den Ordner mit einem wütenden Knall zu.
»War es nun ein ausländisches Auto oder nicht?«, brüllte er.
»Ich habe es doch nur einige Sekunden gesehen, Captain, und es war Nacht. Huschte wie ein Schatten vorbei, die Karre! Es war ein großes Auto, Lieutenant, und ich meine, es wäre nicht so schnittig gewesen wie unsere amerikanischen Autos, sondern eckiger, irgendwie altmodischer. Darum sagte ich, es könnte ein ausländischer Wagen gewesen sein.«
Er begann zu greinen, und dicke Tränen lösten sich aus seinen verquollenen Augen. »Immer hacken Sie nur auf mir herum, Captain. Es waren so viele dabei. Warum müssen Sie ausgerechnet mich rausfischen? Ich habe der Frau nicht wehgetan. Niemand konnte ihr mehr wehtun. Fragen Sie andere! Vielleicht haben sie das Teufelsauto besser gesehen als ich.«
»Wen soll ich fragen? Gib mir Namen!«
»Zum Beispiel könnten Sie Linky fragen oder den Pusher, Black Ass und Deathface. Sie alle waren dabei.«
»Linky, Pusher, Black Ass, Deathface, das sind keine Namen, unter denen ich einen Menschen finden kann«, fauchte Vartress.
»Andere weiß ich nicht, Captain. So heißen wir alle.« Er zählte auf. »Snapscout, Diamond, Dirty Bird.« Er zeigte auf den Ex-Matrosen. »Er heißt Cockroach – Küchenschabe.«
Der Bärtige stieß den Arm vor. »Und du bist Bottle Sucker – Flaschensauger«, kreischte er und brach in atemloses, kicherndes Gelächter aus.
2
Billy Corner steuerte den Wagen. Schweigend fuhr er mich in die Crescent Avenue in Queens und zeigte mir das Haus, das Vartress uns beschrieben hatte.
»Im vorigen Jahr unterhielt May Binth einen Spielklub in diesem Haus«, sagte er. »Bei einem Streit wurde ein Spieler erschossen, und der Lieutenant stellte fest, dass unter den Anwesenden auch Duff Rosczick gewesen war. Er fing ihn ein und vernahm ihn als Zeugen. Natürlich wollte Rosczick nichts gesehen und gehört haben. Einer zweiten Vernehmung entzog er sich durch Flucht. Der Lieutenant hatte damals den Eindruck, dass Rosczick der wahre Organisator des Spielklubs und May Binth nur ein vorgeschobener Strohmann war.«
»Danke, Sergeant. Wahrscheinlich war sie außerdem seine Geliebte.«
»Warum sucht das FBI Rosczick?«
»Weil er der Besitzer der größten Summe gefälschter Dollars ist, die es augenblicklich in den Staaten gibt. Um die zehn Millionen und gute Fälschungen. Er sucht einen Abnehmer, und es ist durchaus wahrscheinlich, dass er ihn in New York zu finden hofft. – Setzen Sie mich bitte an der nächsten Sub-Station ab.«
»Lieutenant Vartress hat ausdrücklich befohlen, Sie bis zur Haustür bringen.«
»Dann bis zum FBI-Hauptquartier.«
Als wir Manhattan erreichten, merkte ich, dass er einen Umweg fuhr. Ich sah ihn von der Seite an. In seinem Gesicht arbeitete es.
In der 3rd Avenue und auf der Höhe der 74th Street steuerte er an den Straßenrand und stoppte.
»Ich habe eine Bitte, G-man«, sagte er hastig. »Kann ich die Autofotos einige Tage behalten?«
Vartress hatte mir die Unterlagen mitgegeben. Er versprach sich nichts mehr von der Fahndung nach dem »Geisterauto«.
»Was wollen Sie damit unternehmen?«
»Ich werde die anderen Landstreicher finden und ihnen die Fotos vorlegen«.
Ich lächelte. »Black Ass und Dirty Bird, Linky und Pusher. Tramps werden durch diese Stadt getrieben wie Papierfetzen vor dem Wind durch die Straßen.«
»Ich werde sie finden«, beharrte er. »Einige bestimmt.«
»Wenn ich meine Meinung sagen soll, Billy, so schätze ich die Chancen, den Fall durch Identifizierung des Wagens aufzuklären, genauso gering ein wie der Lieutenant. Die Tramps haben Barbara Leight nicht ermordet. Typen wie Bottle Sucker und Cockroach sind zu primitiv, sich komplizierte Lügen von ausländisch aussehenden Fahrzeugen auszudenken. Haben Sie bis in jede Einzelheit geklärt, was Barbara an dem Tag tat, der zum letzten ihres Lebens wurde? Kennen Sie all ihre Freunde und Bekannten? War sie mit irgendwem verabredet? Wissen Sie genau, wie sie gelebt hat? Wenn Sie so vorgehen, haben Sie eine bessere Chance, den Mord zu klären. Sehen Sie sich genau in ihrer Wohnung um.«
»Ich war viele Stunden in Barbaras Wohnung«, antwortete er. Mit einer Kopfbewegung wies er auf das Gebäude, vor dem wir parkten. »In diesem Haus hat sie gewohnt.«
»Wurde die Wohnung aufgelöst?«
»Nein, nur polizeilich verschlossen. Ich besitze einen Schlüssel.« Er sah mich fragend an.
»Okay, ich gehe mit«, sagte ich.
Wir fuhren zur sechsten Etage hoch. Corner löste das Siegel an der Tür und schloss auf.
Es war ein kleines Apartment. Ein kombiniertes Wohn- und Schlafzimmer, eine Küche und ein winziges Bad.
Im Wohnzimmer stand auf einem Tisch ein Bild von Corner in Polizeiuniform. Die Widmung lautete Für Barbie von Billy. Eine dünne Staubschicht bedeckte die Tischplatte.
»Wann haben Sie Barbara zuletzt gesehen?«, fragte ich.
»Knapp eine Woche, bevor sie starb. Ich habe einen Lehrgang in Arizona gemacht. Wäre ich in New York gewesen, würde Barbara noch leben. Wir sind immer zusammen ausgegangen.«
»An jenem Abend ging sie allein?«
Er nickte. »Wir konnten den Tageslauf rekonstruieren. Wie an jedem Arbeitstag verließ sie das Büro um vier Uhr. Auf dem Weg nach Hause kaufte sie Lebensmittel ein. Kurz vor sechs Uhr kam sie nach Hause. Irgendwann muss sie sich dann entschlossen haben auszugehen. Sie zog ein gutes Kleid an, ihr zweitbestes. Niemand sah, wie sie das Haus verließ, und so wissen wir nicht die genaue Uhrzeit.«
»Hatte sie keine Freundinnen, mit denen sie ihre Pläne besprach?«
»Nicht Freundinnen, nur Bürokolleginnen. Wir haben alle vernommen. Zu keiner hatte Barbara über besondere Absichten an jenem Abend gesprochen.«
Er machte eine vage Handbewegung. »Die Frauen in den Büros wussten, dass Barbara und ich eng befreundet waren. Wenn sie sich mit einem anderen Mann verabredet hätte, würde sie es niemand erzählt haben.«
»Halten Sie eine solche Verabredung für denkbar?«
Er wandte sich ab, um mich nicht ansehen zu müssen. »Sie war keine leichtfertige Frau. Trotzdem könnte auch ihr jemand begegnet sein, der ihr besser gefiel als ich.«
Er spielte an den Knöpfen eines Plattenspielers, drückte die Einschalttaste. Der Teller begann sich zu drehen. Der Tonarm schwenkte ein und setzte auf.
»Es kann auch eine harmlose Verabredung gewesen sein«, sagte Corner. »Kino oder Theater. Danach ein Drink und die Heimfahrt in dem wundervollen, luxuriösen Auto, das in Wahrheit eine Mordfalle war.«
Aus den Stereolautsprechern drang die rauchig samtene Stimme von Jonny Magnifico. »Your love murders me …«
Deine Liebe ermordet mich.
»Habe ich ihr geschenkt«, erklärte Corner. »Vor drei Wochen.«
Eine Minute lang hörten wir diesem Schlagerhit zu, der seit Monaten überall in den Staaten und einem großen Teil der Welt erschallte, wo immer sich ein Plattenteller drehte. »Cool like the steel of a gun are your lips but your kiss is the shot that hits. Oh, I cry and I die. See, darling, see … Your love murders me …«
Corner schaltete die Anlage ab, und Magnificos berühmte Stimme vergurgelte in ersterbenden Basstönen. »In einigen Tagen werden Barbaras Verwandte kommen und die Wohnung auflösen. Sie stammte nicht aus New York, sondern aus Nebraska. Irgendwer, ein fremder Mensch, wird in dieses Apartment einziehen. Die Nachbarn, die Leute im Büro werden Barbara über kurz oder lang vergessen. Nur ich werde mich immer an sie erinnern, und ich werde nie aufhören, den Mann zu suchen, der sie ermordet hat.«
»Falls Sie Hilfe brauchen, Billy, rufen Sie mich an«, sagte ich.
Wir brauchten zwei Tage, um herauszufinden, dass May Binth einen Nightclub auf der 41st Street West eröffnet hatte. Der Laden hieß harmlos »Nr. 300« und war ein Geheimtipp für Kenner. An einem Samstagabend gingen Phil und ich hin, getrennt und mit einer Stunde Abstand. Als Phil den Klub betrat, saß ich in einem riesigen Sessel, und das Thaimädchen hatte nach den ersten Gläsern schon auf der Seitenlehne Platz genommen und flüsterte mir in komischem Englisch verheißungsvolle Angebote ins Ohr.
»Nur eine Treppe hoch – ein schönes Zimmer. Ich verwöhne dich. Sehr billig«, wisperte sie.
»Lass uns tanzen!«, schlug ich vor.
Wir wechselten zur Tanzfläche, und sie klebte sich an mich wie ein Kaugummi. Phil wurde von einer sehr schlanken, sehr großen Schwarzen in eine verschwiegene Ecke gedrängt und in den Clinch genommen. Das Besondere dieses Lokals bestand darin, dass es hier Frauen aller Herren Länder gab. Ungefähr ein Dutzend Gäste tanzte mit Exotinnen, von denen die meisten in Sichtweite des Empire State Building geboren waren.
Hinter der Bar hantierte May Binth, eine füllige Dreißigerin mit einem hohen blonden Haarturm und wachen grauen Augen, denen nichts entging. Genau betrachtet, war Nr. 300 nichts anderes als ein Bordell, aber May hatte offensichtlich genug Dollars für die Weihnachtsfeier des zuständigen Polizeireviers gestiftet und brauchte mit Störungen nicht zu rechnen.
Nach dem Tanz kehrten wir an den Tisch zurück. Mein Thaimädchen wechselte von der Sessellehne auf meinen Schoß. Es war hübsch und jung, vom bösen Job noch nicht gezeichnet.
Das Gewisper nahm an Deutlichkeit zu. Die junge Frau bot an, ich dürfte mich vorab ein wenig und handgreiflich von ihren Qualitäten überzeugen. Mit sanfter Gewalt legte sie meine Hand mal hierhin und mal dahin auf ihren niedlichen Körper.
»Hör zu, Süße, lass uns erst noch einen Schluck trinken! Damit deine Kasse stimmt, gebe ich dir erst einmal einen Vorschuss.«
Ich zog eine Rolle Dollarnoten aus der Tasche, zupfte zwei Zwanziger heraus und schob sie der Frau hin. Sie kicherte und biss mir ins Ohrläppchen.
»Entschuldige, Darling. Nur eine Minute! Lauf nicht weg!«, sagte sie zehn Minuten später. Sie verschwand hinter der Tür für Ladys, um nachzusehen, wie hoch der Vorschuss ausgefallen war.
Schnell erschien sie wieder, trat jedoch nicht an den Tisch, sondern ging zu May Binth hinter die Bar. Sie flüsterte auf ihre Chefin ein und gab ihr etwas. May blickte zu mir hin, prüfte im Schutz der Baraufbauten, was die junge Frau ihr gegeben hatte, und schickte die Kleine zurück an meinen Tisch.
Sie war verwirrt und kam nicht wieder in Schwung. Ich gab mir Mühe, sie anzuheizen. Sie blieb lau. Ich war ihr nicht böse, denn ich kannte den Grund.
Schließlich schlug ich die Fortsetzung des Programms in mehr privater Atmosphäre vor. Sie nickte zerstreut und machte eine fast unmerkliche Geste in Richtung Bartheke.
May Binth, die von der Bar aus auch die Stereoanlage bediente, schaltete mit einem Knopfdruck das Gerät für eine Sekunde ab. Jeder hielt diesen Sekundenbruchteil Stille für eine Störung, aber es war ein vereinbartes Signal des Einverständnisses für das Thaimädchen.
Es führte mich aus der Bar in einen Flur und eine Treppe hoch. Die junge Frau trug einen langen, bis zu den Hüften geschlitzten Rock, der bei jedem Schritt ihre hübschen Beine freigab.
Auf der ersten Etage öffnete sie eine Tür. »Hier bitte«, sagte sie und sah mich von unten an, denn sie reichte mir kaum bis zur Brustmitte. »Gehen Sie vor.«
Das war eine verdammt tückische Aufforderung, obwohl auch ich sie reingelegt hatte. Sie schickte mich nicht gern ins Verderben. Ihr Gesicht verriet sie. Sie schaute unglücklich und ängstlich aus.
An ihr vorbei ging ich ins Zimmer. Der Mann lauerte hinter der Tür und schlug hart zu. In Erwartung des Schlags hatte ich die linke Schulter hochgezogen. Das dämpfte die Wirkung. Immerhin flog ich über einen Stuhl, riss einen Tisch um und fiel gegen einen Schrank.
Das Licht flammte auf. Der Hüne, der den Eingang zu Nr. 300 bewachte, richtete einen großkalibrigen Revolver auf mich. Ich fand es freundlich, dass er nicht mit der Kanone, sondern mit der nackten Faust zugeschlagen hatte.
»Rühr dich nicht!«, befahl er. »Ich zerblase dir den Schädel!«
»Sieht so in eurem Laden eine liebevolle Behandlung aus?«
May Binth trat ins Zimmer. Sie hatte meine Worte gehört. »Liebe gibt es bei uns nur gegen Geld. Gegen gutes Geld. Steh auf!«
Sie nahm dem Hünen den Revolver ab. »Pack seine Taschen aus!«
Er leerte meine Taschen, holte eine Rolle Geldscheine aus der linken, eine andere aus der rechten Jackentasche. Außerdem einige Papiere, ein Feuerzeug und eine angebrochene Zigarettenpackung. Den FBI-Ausweis hatte ich zu Hause gelassen, ebenso den 38er.
Sie prüfte die Papiere, die auf einen Fantasienamen lauteten und nachlässig gefälscht waren. »Wie heißt du wirklich?«
»Für Sie völlig uninteressant.«
Sie warf ihrem Leibwächter die Waffe zu und prüfte je einen Schein aus den beiden Geldrollen.
»Falsch«, entschied sie bei links. »Die anderen sind echt.«
»Hat die Kleine gemerkt, dass es Blüten waren? Ich dachte, sie hätte nicht viel Erfahrung mit Dollarscheinen, und ich könnte meine echten Bucks sparen. Sie sehen, es sind nicht besonders viele.«
»Deine Blüten sind Schund. Selbst ein blinder Zeitungsverkäufer würde nach der Polizei schreien, wenn du ihm einen dieser Lappen in die Hand drücken würdest.«
»Ich weiß«, gab ich zu. »Ich versuche mein Glück damit nur dort, wo ich weiß, dass die Polizei auf keinen Fall gerufen wird. Sie werden die Cops nicht rufen, oder?«
»Nein, aber ich könnte Sam befehlen, dir das Gesicht nach hinten zu drehen.«
»Keine unnötigen Anstrengungen, Ma’am. Ich zahle meine Zeche in echten Dollars. Bedienen Sie sich! Es dürfte gerade noch reichen.«
Ein Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. »Es ist gut, Sam«, sagte sie. »Geh wieder nach unten.«
Der Hüne verließ das Zimmer. May Binth nahm eine von meinen Zigaretten. Ich gab ihr Feuer.
»Wo versuchst du, die Blüten an den Mann zu bringen?«
»Bei Buchmachern und in illegalen Spielklubs. Leider ist es schwierig. Die Wetthyänen und die Spieler verstehen zu viel von Geld, und meine Blüten sind wirklich schlecht. In acht von zehn Fällen merken sie, dass ihnen faule Scheine angedreht werden sollen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Es gibt keine guten Blüten auf dem Markt.«
»Arbeitest du auf eigene Faust?«
»Auf eigenes Risiko. So sollten Sie es nennen.«
»Wo kaufst du die Blüten ein?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das werde ich Ihnen nicht erzählen. Meine Partner würden mich im Hudson versenken.«