Jerry Cotton Sonder-Edition 138 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 138 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

"Was halten Sie von Wyoming?", hatte Mr. High uns gefragt. Wir wussten sofort, dass er uns über einen Routineauftrag eine kleine Erholungspause zuschanzen wollte. Mr. High irrte sich. Denn in Wyoming erwartete Phil und mich die Hölle. Sie hatten eine einsam gelegene Farm überfallen. Eine siebenköpfige Familie auf unvorstellbar grausame Weise niedergemetzelt. Und nun zitterten die Menschen vor dem nächsten Schlag dieser Höllenbrut. Phil und ich nahmen den Kampf auf. Aber wir merkten schon sehr bald: Diesmal hatte der Satan seine erste Garnitur ausgeschickt ...


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Seitenzahl: 207

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Satans erste Garnitur

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: miami beach forever / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9956-1

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Satanserste Garnitur

»Was halten Sie von Wyoming?«, hatte Mr. High uns gefragt.

Wir wussten sofort, dass er uns über einen Routineauftrag eine kleine Erholungspause zuschanzen wollte. Mr. High irrte sich. Denn in Wyoming erwartete Phil und mich die Hölle. Sie hatten eine einsam gelegene Farm überfallen und eine siebenköpfige Familie auf unvorstellbar grausame Weise niedergemetzelt. Nun zitterten die Menschen vor dem nächsten Schlag dieser Höllenbrut. Phil und ich nahmen den Kampf auf. Aber wir merkten schon sehr bald: Diesmal hatte der Satan seine erste Garnitur ausgeschickt …

1

Der grüne Hubschrauber erschien plötzlich über den Wipfeln der mächtigen Schwarztannen und schwebte dann den Hang hinab wie ein seltsam geformter Luftballon.

Die Menschen unten im Tal wurden erst aufmerksam, als das Knattern der Rotorblätter an ihre Ohren drang. Sie sahen auf.

Die Maschine war gegen das satte Grün der Bäume am Hang kaum zu erkennen. Die Sonne war gerade hinter den Bergen im Westen verschwunden. Der Himmel zeigte das klare stählerne Blau, das für diese Jahreszeit in den Bergen Wyomings typisch war. Die Luft war frisch, aber noch nicht kalt.

Die Menschen winkten zu der gläsernen Kanzel hinauf. Undeutlich konnten sie die Umrisse mehrerer Menschen in der Kabine ausmachen. Der Helikopter sank jetzt rasch tiefer, und die Menschen begriffen, dass der Pilot landen wollte. Ein großer weißhaariger Mann deutete auf den freien Platz neben dem Haupthaus.

Die Kabine schwenkte herum, die Maschine strich über das flache Dach und stand einen Augenblick in der Luft. Zwei Kinder liefen los, die Männer folgten langsamer. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Hubschrauber in diese Gegend kam. Jäger waren oft auf diese Weise unterwegs, die Wächter der Feuerbrigaden und die Polizei.

Niemandem war bisher aufgefallen, dass die Kennzeichen übermalt waren. Die Bewohner des Tals waren nicht misstrauisch.

Der Winddruck der Rotorblätter presste das kurze harte Gras gegen den Boden, als der Heli aufsetzte. Die Türklappe wurde von innen geöffnet, und die Gesichter, die im Türausschnitt erschienen, ließen den weißhaarigen Mann zum ersten Mal die plötzliche Gefahr ahnen, die in das stille Tal getragen worden war.

Zwei, drei, vier Männer sprangen auf den Boden. Dann waren auch ein paar Frauen da, langhaarige Gestalten in verwaschenen Hosen und Blusen. Die Burschen begannen zu johlen.

Da erst bemerkte der Mann die Waffen in den Händen der jungen Männer. Er stieß einen Pfiff aus, der allerdings kaum gehört wurde, denn immer noch knatterten die Rotorblätter.

Er schrie einer jungen Frau eine Warnung zu. Sie trug ein Baby im Arm. Sie sah ihn an, verstand ihn nicht, lachte. Der alte Mann rannte auf sie zu.

Jetzt hatten noch andere Mitglieder der Familie die Waffen bemerkt, und sie liefen auf das Haus zu.

In diesem Augenblick peitschten die ersten Schüsse auf. Ihre Echos rollten durchs Tal. Die Frau mit dem Säugling blieb stehen, starrte die heranstürmenden Gestalten an. Sie wirbelte herum und wollte wie die anderen im Haus Schutz suchen.

Eine Kugel warf sie zu Boden. Der alte Mann rannte auf sie zu, warf sich neben ihr ins Gras, drehte sie herum. Ein Paar gebrochener Augen starrten in den blauen Himmel. Das Baby wimmerte leise. Er nahm es behutsam mit seinen großen Händen auf.

Ein Tritt schleuderte ihn von der Leiche seiner Tochter. Breitbeinig stand einer der Burschen aus dem Hubschrauber über ihm. Er trug einen langläufigen Revolver in der ausgestreckten Faust.

»N-nicht das Kind«, stammelte der Mann. »Nicht das Kind …« Er legte es neben sich ins Gras.

Der Bursche zielte über den langen Lauf auf den Kopf des alten Mannes. Wie jung er ist, dachte der Mann, fast noch ein Kind …

Eine Frau blickte dem Burschen über die Schulter. Sie hatte langes, strähniges schwarzes Haar und ein hübsches kindliches Gesicht, in dem dunkle Augen fanatisch glühten.

»Worauf wartest du?«, kreischte sie. »Tod den Schweinen! Drück endlich ab!«

Das Gesicht über dem Lauf verzerrte sich, dann peitschte dünn der Schuss.

Die Kugel drang in das Gehirn des alten Mannes und tötete ihn sofort.

Das Baby wimmerte, wand sich und begann laut zu schreien. Der Mörder des alten Mannes richtete den Lauf der Waffe auf das kleine Wesen. Er sah die schwarzhaarige Frau an.

»Schieß!«, schrie sie. Ihr Gesicht war rot, der Blick flackerte.

Der Bursche ließ die Waffe sinken. Seine Lippen waren weiß, er fühlte sich unvermittelt elend. Die Frau kreischte schrill und stürzte sich auf ihn. Ihre Hände griffen nach der Waffe.

Der junge Mann hielt sie fest, selbst dann noch, als die Frau ihre Zähne in seinen Unterarm grub. Da stieß er sie zurück und hetzte davon. Er hörte ihre schrillen Schreie hinter sich und spürte die plötzliche Ernüchterung. Er schaute sich nicht um.

Das, was vor ihm geschah, war schrecklich genug. Vor dem Haus lagen drei Leichen. Die anderen Mitglieder der Bande hatten die Überlebenden vor dem Haupthaus zusammengetrieben.

Der Anführer der Banditen stieß einen Befehl aus. Er war ein magerer Kerl mit einem struppigen Bart, der fast das ganze ausgezehrte Gesicht bedeckte. Er riss den rechten Arm hoch. Die lange Klinge eines Buschmessers blitzte auf.

Wieder dröhnten Schüsse, und Messerklingen drangen in die Körper der wehrlosen Opfer.

Blauschwarz fielen die Schatten der Dämmerung in das Tal. Die Mörder stürmten ins Haus und verwüsteten die Einrichtung. Nur einer blieb draußen. Der Anführer der Bande. Er hielt eine Polaroidkamera in der Hand. Siebenmal zuckte das Blitzlicht auf. Einmal für jedes Opfer. Nur das Baby lebte noch. Es wimmerte matt vor sich hin, denn mit den Schatten kam die Kälte.

Der Anführer pfiff erneut. Wie die Ratten verließen die Mörder das Haupthaus. In Kartons schleppten sie ihre Beute ab – dreihundert Dollar in bar und Lebensmittel für ihren Unterschlupf.

Sie kletterten in den Helikopter. Die Tür klappte zu, die Maschine hob ab und verschmolz mit den Schatten der dichten Wälder. Sekunden später war sie jenseits der Hügel im Westen verschwunden.

»Was halten Sie von Wyoming?«, fragte John D. High, Chef des FBI New York.

Ich sah aus dem Fenster. Welch eine Frage, dachte ich. Vor meinem geistigen Auge erschienen hohe Berge mit verschwiegenen klaren Seen in einsamen Tälern, flammend rotes Herbstlaub …

Ich sah den Chef an, dann meinen Freund und Kollegen Phil Decker. Mein Partner hatte einen beinahe schwärmerischen Ausdruck in den Augen.

»Wir sind zu allem bereit«, sagte ich.

Mr. High lächelte. »Die Polizei von Cheyenne hat Vance Gourlay verhaftet.« Er öffnete einen Aktendeckel und nahm das Foto des Verbrechers heraus.

»Gourlay«, flüsterte Phil anerkennend. »Fabelhaft!«

Ich nahm das Foto und betrachtete das Gesicht. Es war oval mit einem verkniffenem Mund, einem runden Kinn und tief liegenden Augen, die kühl und unbeteiligt dreinzublicken schienen. Natürlich kannte ich Vance Gourlay. Er wurde in den Staaten New York und New Jersey seit einigen Monaten gesucht. Wegen Mordes. Er und eine bisher unbekannte Anzahl von Komplizen hatten versucht, ganz groß abzukassieren. Sie hatten sich die Adressen von wohlhabenden Geschäftsleuten besorgt. Irgendwie mussten sie an die schwarze Liste der Finanzbehörden geraten sein, denn alle Erpressten und Bedrohten wurden der Steuerhinterziehung verdächtigt. Gourlay und seine Komplizen, einen Big Boss gab es vermutlich auch noch, hatten es auf das Schwarzgeld dieser Geschäftsleute abgesehen und dabei gehofft, dass die Betroffenen kein allzu großes Geschrei anstimmen würden.

Dabei hatten sie sich jedoch verrechnet. Nach dem ersten Mord an dem Besitzer einer Kette von Nachtlokalen hatten sich zwei Männer gemeldet, die bereits ausgeplündert worden waren. Sie hatten sich den Behörden offenbart, Steuern nachgezahlt und gegen die Gangster ausgesagt. Seit dieser Zeit waren Gourlay und seine Komplizen verschwunden.

»Wir sollen ihn also in Wyoming abholen«, stellte ich fest.

»Ja und nein«, meinte der Chef bedächtig. »Da ist noch etwas.«

Na also, dachte ich. Aus reiner Menschenfreundlichkeit spendiert der Chef uns doch keine Erholungsreise in die Rocky Mountains! Ich lehnte mich zurück und wartete.

Mr. High schob mir einen dünnen Aktendeckel zu. Darauf stand ein Name, der mir nichts sagte. Clarissa Schlosser. Ich klappte die Akte auf.

Obenauf lag die starke Vergrößerung eines Amateurfotos. Das Gesicht eines mageren Mädchens von etwa fünfzehn oder sechzehn Jahren, das mit verkniffenen Augen in die Sonne blinzelte. Es hatte langes fahlblondes Haar und auffallend hochstehende Wangenknochen.

»Dieses Mädchen wird seit drei Wochen vermisst. Seine Eltern haben Vermisstenanzeige erstattet. Es ist wahrscheinlich von zu Hause weggelaufen. Seine Eltern besitzen eine Wäscherei in Flushing, keine wohlhabenden Leute, Erpressung scheidet deshalb aus. Clarissa trieb sich seit einigen Monaten herum. Zweimal wurde sie von der Polizei im Village aufgegriffen, jedes Mal unter Einwirkung von Drogen. Beim dritten Mal wäre eine Einweisung in eine Anstalt fällig gewesen. Nun, diesmal ist sie in den Westen gegangen.«

»Nach Wyoming?«, fragte Phil.

»Richtig. Den Polizeibehörden von Cheyenne fiel erst später bei der Durchsicht der Anmeldelisten auf, dass Clarissa im selben Hotel wie Gourlay gewohnt hat, und zwar bis zu dessen Verhaftung. Clarissa war allerdings schon wieder untergetaucht. Die Kollegen haben daraufhin das Personal vernommen und festgestellt, dass sich Gourlay und Clarissa kannten und mehrmals zusammen weggefahren sind.«

»Das ist alles?«, fragte ich unbehaglich.

»Alles«, bestätigte der Chef. »Machen Sie sich ein paar schöne Tage.« Er lächelte wieder.

Phil blinzelte mir zu. Wir hatten harte Wochen hinter uns, und an einem Job wie diesem kann man sich festhalten. Wieder sah ich das goldgelbe Herbstlaub vor meinem inneren Auge, zum Greifen nah auch die klaren kalten Seen.

»Komm«, sagte ich zu Phil. Ich wollte keine Zeit verlieren.

Wir flogen noch am selben Tag nach Denver, Colorado. Von dem gewaltigen Felsmassiv der Rocky Mountains bekamen wir nichts mehr zu Gesicht, weil es bei unserer Ankunft schon dunkel war. Wir erwischten sofort einen Anschlussflug nach Cheyenne, der Hauptstadt des Staats Wyoming. Noch vom City Airport aus rief ich das FBI-Büro an und teilte den Kollegen unsere Ankunft mit.

»Warten Sie«, sagte der diensthabende Beamte, »ich verbinde Sie mit Brian Wolf. Er hat Gourlay von der City Police übernommen.«

Wolf hatte Spätschicht. »Hallo, Cotton«, grüßte er. »Erinnern Sie sich an mich? Wir waren vor drei Jahren zusammen in Quantico.«

Quantico, FBI-Akademie. »Rote Haare?«, fragte ich. »Pranken wie ein Grizzlybär?«

»Genau!«, schrie Wolf. »Ich hätte Sie beinahe im Combat-Schießen geschlagen!«

»Aber nur beinahe«, erwiderte ich grinsend.

»Ihr New Yorker habt ja auch mehr Training als wir Pioniere hier draußen. Jerry, ich hole Sie ab. Dann machen wir einen kleinen Bummel.«

Wolf war ein trinkfester Kumpel, nur mit Grausen erinnerte ich mich an den letzten Abend nach dem Lehrgang in Quantico.

»Brian, wir sind schrecklich müde«, sagte ich. »Nicht gleich am ersten Abend …«

»Und ich dachte, ich könnte mal raus aus diesem verdammten Laden. Nichts los, Jerry, verdammt gar nichts …«

»Das kommt davon, wenn ihr die Arbeit von der City Police machen lasst«, stichelte ich. »Gourlay geht nicht auf euer Konto.«

»Wir haben die Kollegen eben gut dressiert.« Wolf lachte unbekümmert. »Sie reißen sich förmlich darum, unsere Arbeit mitzuerledigen. Außerdem sind wir unterbesetzt. Vier Leute. – Okay, Jerry, ich hole euch morgen ab. Wir haben euch Zimmer im Frontier Hotel reserviert. So long.«

Wir fuhren mit einem Taxi in die Stadt. Das Frontier Hotel war im Stil des alten Westens gebaut und eingerichtet – mehrere Blockhäuser, ein mächtiger Kamin in der Halle, Felle an den Wänden und ein gewaltiger präparierter Stierschädel. Unsere Zimmer lagen in einem neu errichteten Anbau und waren mit allem Komfort ausgestattet, von dem wir allerdings nur die Duschen in Anspruch nahmen. Wir waren tatsächlich müde und gingen sofort ins Bett, obwohl es nach der Mountain Standard Time erst Mitternacht war – zwei Uhr nachts in New York.

Unsere innere Uhr weckte uns viel zu früh, doch ich stand gleich auf und trat ans Fenster.

Der Blick auf die hohen schneebedeckten Berge war überwältigend. Die ersten Strahlen der Sonne ließen die Gletscher schimmern und das Laub der tiefer gelegenen Bäume golden aufflammen. Ich öffnete das Fenster und atmete die frische klare Luft.

Ich weckte Phil, indem ich bei ihm anrief, dann bestellte ich Frühstück für uns beide auf mein Zimmer.

Der Kellner brachte jedem von uns eine Zeitung. Die balkendicke Überschrift auf der ersten Seite sprang uns förmlich in die Augen.

Massaker in den North Platte Hills

Zwölf Wochen altes Baby überlebt durch Zufall. Sieben Mitglieder einer Rancherfamilie auf grausame Weise niedergemetzelt.

Ich las den Artikel. Ein Forstaufseher hatte die Tat am vorherigen Mittag entdeckt. Das Gemetzel musste in der vorgegangenen Nacht oder am Abend stattgefunden haben. Beamte des Centennial Sheriff’s Office leiteten die Ermittlungen, der Bezirksstaatsanwalt war sofort zum Tatort geflogen. Die Behörden, so klagte der Verfasser des Artikels, waren sehr zurückhaltend mit Informationen, doch ich vermutete, dass es noch nicht viele Spuren gab.

»Was mögen das für Menschen gewesen sein?«, fragte Phil. »Überfallen eine kleine Ranch so hoch in den Bergen …«

Ich warf die Zeitung auf den Boden. Unwillkürlich fiel mein Blick nach draußen, auf die erhabene, friedliche Bergwelt. Ich hatte gedacht, die Gewalt in New York zurückgelassen zu haben. Dabei hatte sie mich nur eingeholt, das wusste ich zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht. Das Frühstück schmeckte mir jedenfalls nicht mehr.

2

Brian Wolf kam erst um halb zehn zum Hotel, um uns abzuholen. Wir standen im Hof, als der blaue Dodge unseres Kollegen durch das Tor rollte und hart vor unseren Füßen zum Stehen kam.

Ich erkannte den schweren Mann sofort wieder. Das dichte rote Haar über dem fleischigen Gesicht war ebenso unverkennbar wie die mächtigen Pranken an den starken Armen, die Baumstämmen glichen. Der Mund war, wenn ich mich recht erinnerte, stets zu einem gutmütigen Grinsen verzogen, doch jetzt zeigte er einen grimmigen Ausdruck, als er auf uns zukam, meine Hand kurz und fest drückte und Phil begrüßte. Er nahm unser Gepäck auf, die er in den Kofferraum des Dodge warf, und setzte sich sofort hinters Steuer.

»Entschuldigen Sie die Verspätung«, sagte er, »aber in der Dienststelle ist der Teufel los. Der ganze Staat ist in Aufruhr, und alles schreit nach dem FBI. Dabei können wir gar nichts unternehmen.« Hilflos hob er die massigen Schultern und fuhr an. »Ihr habt sicher gehört …«

»Ja«, bestätigte ich. »Furchtbar.«

»Wir sind nur zu viert in der Dienststelle. Zwei Mann haben Urlaub, sie müssen zurückkommen, für alle Fälle. Einer ist in Quantico, einer ist krank. Dabei geht das Massaker nur die örtlichen Polizeibehörden an. Wir stellen natürlich unsere Technik zur Verfügung und halten uns bereit. Mehr können wir nicht tun.«

Ich konnte die widerstrebenden Gefühle des Kollegen verstehen. Er war Polizist aus Überzeugung und wollte helfen, durfte und konnte es jedoch nicht. Wieder hob er die Schultern, murmelte vor sich hin und ließ seine Gefühle am Wagen aus.

»Gibt es schon Hinweise?«

Wolf schnaufte. »Blut, Jerry. Nichts als Blut. Es sind mit Sicherheit zwei Schusswaffen verwendet worden, nach den Kalibern der Geschosse zu urteilen. Vielleicht auch mehr, das wird die ballistische Untersuchung ergeben. Mindestens zwei Messer. Also waren mindestens zwei Personen beteiligt, eher vier, vielleicht mehr. Sonst steht noch nichts fest. Ach ja, man hat die Schutzfolien von Polaroidfilmen gefunden.«

»Wie bitte!«, sagte Phil.

»Ja, die Kerle müssen ihre Untaten im Bild festgehalten haben. Siebenmal. Sieben Tote, sieben Fotos. Pervers.« Er hieb sich auf die Schenkel. »Keine Reifenspuren, versteht ihr das? Es sieht nach einer perversen Mörderbande aus. Die Zufahrt ist nicht befestigt, ein paar Meilen unterhalb der Ranch fließt Wasser über den Weg, dort ist es stets schlammig. Ich habe den Bericht gelesen und das Sheriff’s Office in Centennial angerufen. Ich kenne den Burschen von der Spurensicherung, der mit oben war. Er hat es bestätigt. Keine Reifenspuren, jedenfalls keine fremden. Jerry, was sagen Sie? Ziehen da wahnsinnige Mörder durch die Berge, mit einem Rucksack auf dem Rücken wie Wanderer?«

Bevor ich Wolfs Frage zu beantworten versuchte, fragte ich: »Gibt es ein sexuelles Motiv?«

»Nein, nicht nach dem, was bisher bekannt ist. Immerhin befinden sich eine Frau und zwei junge Mädchen unter den Opfern. Nein, Jerry, keine Vergewaltigung.«

Plötzliche Ausbrüche von Gewalt haben oft sexuelle Motive. Vielleicht handelte es sich gar nicht um die Tat von Wahnsinnigen, die sich zufällig ein Opfer suchten. »Haben Sie an Hubschrauber gedacht?«, wollte ich wissen.

»Sie haben den Gedanken durchgespielt«, antwortete Wolf.

»Dann müsste man die Abdrücke der Kufen finden«, meinte ich.

»Ja, das habe ich auch gesagt. Doch ich fürchte, da oben ist viel Mist gemacht worden. So etwas haben die hier noch nie erlebt. Die sind da durchgetrampelt und haben vor Entsetzen Gänsehaut bekommen, aber die Spuren haben sie zertrampelt. O mein Gott!« Wolf fiel in düsteres Schweigen, bis wir die Dienststelle erreichten.

Das örtliche FBI-Büro lag auf der Westseite des Crow Creek in einem Bürohaus, in dem weitere Bundesbehörden untergebracht waren. Wolf stellte seinen Wagen in der Tiefgarage ab und führte uns zum Lift.

»Vance Gourlay haben wir im Stadtgefängnis gelassen«, sagte er. »Wir haben hier nur zwei Haftzellen. Für Untersuchungshäftlinge oder Festgenommene, die mehr als einen Tag in Haft bleiben, benutzen wir das Stadtgefängnis. Wollen Sie ihn dort sprechen, oder soll ich ihn herbringen lassen?«

»Lassen Sie ihn herbringen«, entschied ich.

Wolf teilte sein Office mit zwei weiteren Kollegen, von denen jedoch niemand anwesend war. Er rief sofort das Police Department an und bat darum, Gourlay herüberzubringen.

Dann sammelte er ein paar Münzen für Kaffee ein, holte ein Tablett und kam kurz darauf mit drei Pappbechern Automatenkaffee zurück.

»Besseres kann ich Ihnen nicht bieten«, sagte er entschuldigend. Er schlürfte den heißen Kaffee, während er flüchtig die eingegangenen Berichte auf seinem Schreibtisch durchsah. »Hören Sie sich das an«, rief er. »Unter den Mördern war auch eine Frau!« Er sah mich an. »Sie haben einen Tampon auf der Toilette gefunden, ein frisches. Von den ermordeten Frauen hatte aber keine die Periode.« Er schleuderte die Kopie des Berichts auf den Tisch. Er stürzte den Kaffee hinunter und zerdrückte den Becher. »Irgendwie erinnert mich der Fall an Kalifornien. An Manson.«

Damals hatte eine Horde verwahrloster, fanatisierter junger Leute eine Villa überfallen und alles niedergemetzelt, was sich in diesem Haus bewegt hatte. Ohne erkennbares Motiv. All diese Jugendlichen hatten einem fanatischen Anführer blind gehorcht. Eben diesem Manson.

Ich nickte langsam, obwohl ein anderer Gedanke in meinem Kopf rumorte. Ein Gedanke, den ich noch nicht fassen konnte. Eine vage Erinnerung.

Ich wurde abgelenkt, weil in diesem Augenblick zwei uniformierte Polizisten Gourlay hereinführten.

Ich unterschrieb ein Formular und bat den Sergeant, dem Verbrecher die Handfessel aufzuschließen.

»Sollen wir warten, Agent Cotton?«, fragte der Sergeant.

»Danke, es kann einige Zeit dauern. Wir rufen Ihr Department an oder bringen den Mann selbst zurück.«

Der Sergeant und der Corporal grüßten und zogen sich zurück.

»Setzen sie sich, Gourlay«, sagte ich und deutete auf einen freien Stuhl neben einem der beiden nicht benutzten Schreibtische.

Gourlay lächelte mit dünnen Lippen, strich mit einer Hand über sein dichtes schwarzes Haar und setzte sich, ohne mich aus den Augen zu lassen. Die tief liegenden Augen zeigten einen leicht belustigten Ausdruck.

»Ich bin Agent Cotton, das ist mein Partner Agent Decker vom FBI New York. Wir haben den Auftrag, Sie nach New York zurückzubringen.« Ich legte den Haftbefehl des Bundesanwalts vor ihn hin. »Über Ihre Rechte sind Sie belehrt worden?«

»Ja, Sir«, sagte er ironisch.

»Sie brauchen also nicht auszusagen, wenn Sie befürchten, sich damit selbst zu belasten.«

»Ja, Sir, deshalb werde ich schweigen. Von mir aus können wir reisen.« Er breitete die Hände aus. Es waren schmale, sehnige Exemplare. »Ich reise mit leichtem Gepäck.«

»Wir haben ein paar Fragen an Sie in einer anderen Sache, in der Sie vielleicht nur Zeuge sind.«

Gourlay zog die Brauen in die Höhe. »Nanu? Ich habe gesehen, wie eine Frau gegen einen Laternenpfahl gelaufen ist. Handelt es sich etwa darum?«

»Clarissa Schlosser«, sagte ich.

Gourlay malte mit dem Unterkiefer, sein Blick verdunkelte sich einen Moment. »Müsste ich diese Person kennen?«

»Nach den Berichten einiger Zeugen, ja. Also?«

»Das Mädchen aus dem Hotel?«, fragte der Gangster vorsichtig.

»Sie wissen also Bescheid. Können Sie uns helfen, es zu finden?«

»Ich?«, fragte er gedehnt. »Was habe ich mit der Kleinen zu schaffen?«

»Das möchten wir herausfinden. Vorher reisen wir nicht ab.«

Gourlay grinste. »Na, dann haben wir ja Zeit. Lassen Sie mich zurückbringen. Ich kenne da einen im Knast, der fabelhaft pokert.« Er stand auf.

»Setzen Sie sich«, sagte Phil scharf. »Dies ist keine Fernsehshow. Das Mädchen gilt offiziell als vermisst. Es liegt an Ihnen, in welche Richtung wir ermitteln. Freiheitsberaubung, Kidnapping …«

»Sie sind verrückt. Die Kleine ist auch verrückt. Was weiß ich, wo sie steckt?«

Wolf schob mir eine dünne Akte zu. Er schlug sie auf und deutete auf ein Vernehmungsprotokoll. Ich überflog die Aussagen des Hotelportiers.

»Sie haben die Rechnungen des Mädchens bezahlt«, stellte ich fest. »Das ist interessant.«

»Was ist dabei? Es war etwas knapp bei Kasse.«

»Die Kleine ist minderjährig. Welche Gegenleistung hat sie Ihnen gegeben?«

Gourlay presste die Lippen zusammen. »Nicht mit mir, G-man! So können Sie mir nicht kommen. Ich sage nichts mehr.«

»Niemand hat Sie irgendeiner Straftat im Zusammenhang mit Clarissa Schlosser beschuldigt, Gourlay. Wenn Sie ein reines Gewissen haben, können Sie uns helfen, sie zu finden. Warum wollen Sie schweigen?«

»Sie werfen mit Verdächtigungen nur so um sich. Ich habe keine Ahnung, wo die kleine Kratzbürste steckt.«

»Hatte sie Drogen?«

»Drogen? Mann, Sie spinnen! Die ist nicht süchtig!«

Ich sah Gourlay an. Hinter diesem Fall steckte mehr als eine zufällige Bekanntschaft. Clarissa hatte in New York Kontakt zur Drogenszene, und sie hatte schon mehrmals Drogen genommen. Ob sie süchtig war, wussten nicht einmal ihre Eltern. Es war allerdings zu vermuten. Und jetzt stritt Gourlay ab, etwas von Drogen im Zusammenhang mit Clarissa Schlosser zu wissen.

»Sie ist kurz vor Ihrer Festnahme aus dem Hotel verschwunden und nicht mehr zurückgekehrt. Sie hatten die Rechnung bis zu ihrem Abreisetag bezahlt. Sie wussten also, dass sie das Hotel verlassen würde. Was hat sie Ihnen gesagt?«

»Sie wollte eben weiter. Nach Los Angeles, glaube ich.«

»Ist Ihnen plötzlich eingefallen, dass Clarissa Schlosser nach Los Angeles wollte?«

»Es ist mir eben wieder eingefallen. Was dagegen?«

»Nichts, wenn es stimmt“, erwiderte ich. „Wir werden das Hotelpersonal noch einmal vernehmen und weitersehen. Bis dahin bleiben Sie in Haft. Der New Yorker Haftbefehl gilt auch hier. Wir werden den Haftgrund jedoch erweitern.«

»Etwa wegen dieser Kratzbürste? Warum denn?«

»Weil wir Ihre Hilfe brauchen«, antwortete ich milde. »Wegen der in New York gegen Sie anhängenden Sache besteht Fluchtgefahr. Jeder Staatsanwalt in Wyoming wird Sie als wichtigen Zeugen betrachten – Brian, wir brauchen ein Paar Handschellen und einen Wagen.«

Gourlay wurde gefesselt, Wolf brachte uns in die Tiefgarage. Während er sich ans Steuer seines Dodge setzte, schoben wir uns auf die Rückbank. Gourlay hatten wir zwischen uns genommen.

Der Wagen rollte die Rampe zur Academy Street hinauf. Wolf hielt kurz an, passte eine Lücke im dichten Vormittagsverkehr ab und gab Gas.

Das Stadtgefängnis lag am Rand der Innenstadt. Es gehörte zum Gebäudekomplex des Staatsgerichts. Wir fuhren über die Brücke zurück, über eine breite Avenue, die in der Mitte durch eine Reihe Ahornbäume geteilt wurde. Das Laub stand in voller Farbenpracht, gelb und hellrot, und wir fuhren wie durch einen schwach ausgeleuchteten Tunnel.

Am Kreisverkehr ordnete sich Wolf zur Mitte hin ein, umrundete den großen Marmorbrunnen und steuerte den Dodge links hinaus.

Hier geschah es.

Der kleine Laster, der eben noch links von uns gewesen war, drückte nach rechts. Metall riss. Ein anderer Wagen krachte uns ins Heck, der Dodge wurde herumgewirbelt und gegen den Aufbau des Lasters geschleudert. Ich sah noch etwas von der Seitenfläche – sie war grau und mit weißlichem Staub bedeckt. Zwei Scheiben zersplitterten gleichzeitig, und mein Kopf flog gegen den Fensterholm.

Es war ein kurzer, harter Ruck, und der stechende Schmerz in meinem Schädel ließ einen gewaltigen Luftballon anschwellen, der alles in mir auszufüllen schien. Danach wurde es schwarz um mich herum.

Als ich erwachte, lag ich immer noch im Wagen. Ich hörte Schreie und Flüche, und dann dröhnten schnell hintereinander drei oder vier Schüsse.

Meine Hand tastete die Brust hinauf, glitt unter die Jacke. Ich sah mich um. Viel war nicht zu erkennen. Phil beugte sich über die Lehne des Fahrersitzes. Wolf war über dem Steuer zusammengesunken.

In diesem Augenblick wurde die Tür an meiner Seite aufgerissen. Ich hatte meinen Revolver herausgebracht, aber ich bekam den Arm nicht herum, weil mir jemand einen harten Gegenstand über den Unterarm schlug. Ich sah in ein junges, vor Anspannung verzerrtes Gesicht.

Der Junge war jedoch nicht allein. Zwei, drei andere waren hinter ihm, Hände packten mich, zerrten mich aus dem Wagen, ließen mich auf den Asphalt fallen. Jemand trat mit dem Fuß nach meinem Kopf. Ich konnte das Fußgelenk packen und es herumdrehen. Der Besitzer des Fußes schrie wütend auf.

Er beugte sich zu mir hinab und schoss eine Faust ab. Es war eine schmale Faust. Das Gesicht des Burschen war unnatürlich gelb. Ich sah es wie in einer Großaufnahme. Fanatisch glühende Augen, wirres, verschwitztes blondes Haar.