Jerry Cotton Sonder-Edition 139 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 139 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sie war hübsch - und weit mehr als das. Aber nicht deshalb interessierten sich die Gangster für Violet Delmar. Sie wussten, dass dort, in der Fabrik ihres Vaters, jene unheimliche neue Waffe produziert wurde, die sie den "Lautlosen Tod" nannten. Und dann geschah, was Phil und ich schon lange befürchtet hatten: Violet verschwand spurlos. Wir wussten, wer hinter diesem Kidnapping steckte - die Mafia. Von diesem Moment an begann für uns vom FBI der Wettlauf mit dem Tod. Das bewies uns das erste Opfer, das die Gangster mit jener unheimlichen Waffe ins Jenseits befördert hatten ...


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Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Das Mädchen aus der Mordfabrik

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Pindyurin Vasily / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7325-9957-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Das Mädchen aus der Mordfabrik

Sie war hübsch – und weit mehr als das. Aber nicht deshalb interessierten sich die Gangster für Violet Delmar. Sie wussten, dass dort, in der Fabrik ihres Vaters, jene unheimliche neue Waffe produziert wurde, die sie den »Lautlosen Tod« nannten. Und dann geschah, was Phil und ich schon lange befürchtet hatten: Violet verschwand spurlos. Wir wussten, wer hinter diesem Kidnapping steckte – die Mafia. Von diesem Moment an begann für uns vom FBI der Wettlauf mit dem Tod. Das bewies uns das erste Opfer, das die Gangster mit jener unheimlichen Waffe ins Jenseits befördert hatten …

1

Der Schuppen war schmal und lang gestreckt, hatte nur eine einzige Tür und keine Fenster. Leuchtstoffröhren brannten unter der Decke. Das weiße, fahle Licht ließ das Gesicht des mageren Mannes mit der ungesunden Hautfarbe noch grauer wirken.

Der Mann hieß Alfred Kensing. Alles an ihm war farblos, unauffällig, absolut mittelmäßig. Nur die Augen funkelten jetzt lebhaft – denn Kensing versprach sich das ganz große Geschäft, das ihn aus seiner Mittelmäßigkeit herausheben sollte.

»Ich sage Ihnen, die Waffe ist erstklassig«, krächzte er.

Die Waffe, von der die Rede war, lag in der Hand von Allan Jenks. Der große, breitschultrige Gangster mit dem Piratengesicht wog sie prüfend in der Rechten. Der Blick seiner stahlblauen Augen glitt zu dem dritten Mann hinüber, der in der Nähe der Tür an der Wand lehnte.

Lazaro Fallaci war sehr groß, sehr schlank und sehr elegant. Eingeweihte kannten ihn als führenden Mann der Mafia. Sein Blick wanderte zwischen Kensing und Jenks hin und her, und auf seinem schmalen, glatten Gesicht erschien ein ausdrucksloses Lächeln.

»Der lautlose Tod«, sagte er mit seiner sanften, modulationsfähigen Stimme. »Eine beinahe romantische Vorstellung. Selbst der beste Schalldämpfer kann das Geräusch eines Schusses nicht vollends auslöschen. Aber dies hier …«

»Absolut lautlos!«, versicherte Kensing heiser. »Das Modernste, was es auf dem Gebiet der Faustfeuerwaffen gibt. Und ich kann Ihnen die Dinger beschaffen, ich …«

»Sie?«, fragte Jenks verächtlich.

Kensing schluckte. »Ich kenne mich aus, ich …«

»Sie hätten nicht einmal den Hauch einer Chance«, sagte Jenks. Sein Kinn schob sich vor, er blickte zu Fallaci hinüber. »Ich weiß, wie man es machen kann. Ich werde Ihnen liefern, so viel Sie wollen, wenn Sie an dem Geschäft interessiert sind.«

Fallaci nickte. Seine Stimme klang gleichbleibend ruhig und sanft. »Sie hatten mir eine Demonstration versprochen«, erinnerte er.

Jenks wandte sich um. Kensing stand ein paar Yards entfernt am anderen Ende des schlauchartigen Raums und verfolgte gespannt die Szene. Er wollte das Geschäft seines Lebens machen, er fühlte sich schon als Sieger – und er merkte nicht einmal sofort, dass Jenks die große, klobige Waffe herumschwenkte.

Die Mündung zeigte jetzt auf Alfred Kensing.

Er schluckte, starrte in das runde, schwarze Loch. Sein Blick wanderte höher und erfasste Jenks’ Piratengesicht. Kensing sah das höhnische Lächeln des anderen, sah das triumphierende Funkeln in den stahlblauen Augen und spürte, wie seine Kehle trocken wurde.

Er bemühte sich verzweifelt, den jähen Verdacht zu unterdrücken, der in ihm hochschoss.

»Ich freue mich, dass wir ins Geschäft kommen«, sagte er heiser. »Ich wusste, dass Sie sich für die Dinger interessieren würden, ich …«

Bei den letzten Worten hatte er einen Schritt nach vorn gehen wollen, aber Jenks’ kalte Stimme stoppte ihn im Ansatz.

»Halt, Kensing«, sagte der Gangster. »Für Sie ist das Spiel gelaufen. Wir brauchen Sie nicht mehr.«

Alfred Kensing hatte das Gefühl, als falle der Boden aus seiner Welt, als stürze er in einen Abgrund. Die Angst flutete wie glühendes Metall gegen seine Magenwände.

»A-aber …«, stammelte er.

Allan Jenks drückte ab.

Vollkommen lautlos löste sich die Miniaturrakete aus dem übergroßen Speziallauf. Nur für den Bruchteil einer Sekunde war ein helles, silbriges Flirren in der Luft. Kensing stieß einen Schrei aus, der zu einem dumpfen Gurgeln erstickte, als sich das Geschoss mit enormer Auftreffenergie in seine Brust bohrte. Er warf die Arme hoch und taumelte wie eine Stoffpuppe gegen die Wand zurück.

Er rutschte daran herunter. Seine Hände verkrallten sich in den Stoff des Hemds, und Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Über seinen Augen lag bereits der stumpfe Schleier des Todes, als er zur Seite kippte und reglos liegenblieb.

Fallaci atmete tief durch.

»Es stimmt«, sagte er. »Die Waffe arbeitet lautlos. In der Tat sehr eindrucksvoll.«

Jenks verstaute die Mini-Rak-Pistole in einem Lederfutteral. »Sind Sie an dem Geschäft interessiert, Mister Fallaci?«

»Ich denke schon«, sagte der Mafiaboss. »Allerdings kommt es darauf an, ob Warlock clever genug ist, um es komplikationslos abzuwickeln. Rufen Sie mich an, sobald Sie klarer sehen, einverstanden?«

Jenks nickte.

Fallaci stieß sich von der Wand ab und drehte sich geschmeidig um. An der Tür blieb er noch einmal stehen, warf einen Blick zurück und lächelte. »Vergessen Sie nicht, das Geschoss herauszuholen«, sagte er über die Schulter. »Ich denke, wir sollten unsere Freunde von der anderen Seite nicht zu früh aufmerksam machen …«

»Gefällt’s dir, Baby?«

Violet Delmar blickte ihren Begleiter an. Frank Millroy saß neben ihr auf dem Barhocker und lächelte erwartungsvoll. Er hatte zu viel getrunken, offenbar merkte er nicht, dass die finsteren Gestalten ringsum die junge Frau in dem knappen schwarzen Hosenanzug mit den Blicken auszogen und dass einige von ihnen so aussahen, als würden sie sich nicht unbedingt auf Blicke beschränken. Violet spürte eine Mischung aus Furcht, Unbehagen und Ärger darüber, dass Frank sie in diese Situation gebracht hatte. Sie schüttelte den Kopf.

»Es gefällt mir ganz und gar nicht«, sagte sie halblaut. »Lass uns gehen, Frank.«

Er protestierte. »Wir sind doch eben erst gekommen. Und du wolltest schließlich ein stilechtes Künstlerlokal kennenlernen, oder?«

»Das ist kein Künstlerlokal, das ist höchstens ein Treffpunkt für Ausgeflippte. Bitte lass uns gehen, Frank.«

Er zuckte mit den Schultern. Sein gut geschnittenes, etwas weiches Gesicht hatte sich ärgerlich verzogen. Violet gehörte seit ihrer Geburt zur privilegierten Schicht der Begüterten, die Geste jedoch, mit der Frank jetzt einen viel zu großen Schein auf die schmierige Theke warf und aufstand, wirkte auch auf sie unerträglich arrogant.

Sie folgte ihm zum Ausgang. Wie die Berührung gieriger Finger spürte sie die Blicke, die ihre schlanke Figur, das lange blonde Haar und das schmale Gesicht mit den dunkelblauen Augen verschlangen. Aufatmend schob sie sich durch den staubigen roten Filzvorhang, passierte die Tür, die Frank ihr aufhielt, und stieg vor ihm die lange, schmale Treppe des Kellerlokals hinauf.

Dass ein paar Männer im Lichtkreis der blauen Neonreklame standen, fiel ihr nicht einmal sofort auf. Sie wandte sich nach Frank um, der immer noch verärgert wirkte. Ihre Augen funkelten zornig. Sie wollte ihm sagen, was sie von diesem Ausflug hielt – aber sie kam nicht mehr dazu, mehr als nur seinen Namen auszusprechen. Einer der Männer trat auf sie zu.

Er packte ihren Arm und riss sie von Frank weg. Sie war zu überrascht, um sofort zu reagieren. Der brutale Griff wirbelte sie halb herum, und aus den Augenwinkeln sah sie, wie der zweite Mann ihrem Begleiter aus kurzer Distanz die Faust ins Gesicht schmetterte.

Frank wurde zurückgeschleudert und stürzte die Treppe hinunter. Violet schrie auf. Sofort zuckte eine Hand auf sie zu, presste sich auf ihre Lippen, erstickte ihre Stimme. Sie wehrte sich, mehr instinktiv als bewusst. Irgendjemand fing ihre freie Hand ab, drehte das Gelenk herum, und erst als der jähe Schmerz durch ihren Arm schoss, begriff sie völlig, dass sie in einen Überfall geraten war.

Sie krümmte sich zusammen. Die Männer drängten sie in die dunkle Einfahrt, vier waren es, wie sie undeutlich sah. Sie versuchte zu treten, versuchte verzweifelt, in die Hand über ihrem Mund zu beißen, doch der brutalen Kraft ihrer Bezwinger hatte sie nichts entgegenzusetzen.

Keiner von ihnen sprach. Nur ihre raschen, heftigen Atemzüge waren zu hören. Unnachgiebig zerrten sie ihr Opfer in den Schatten des Hofs, und Violet spürte, wie sie die Panik gleich einer Woge mitriss.

East Village, schoss es ihr durch den Kopf.

Prostituierte! Zuhälter!

Wie oft las man von Vergewaltigungen, von brutalem Raubmord, von Kidnapping oder …

Eine einsame Glühbirne flackerte. Schwarz hoben sich leere Getränkekästen und Mülltonnen ab, der Lack eines dunklen Pontiac glänzte. Die Männer zerrten Violet auf den Wagen zu, und die verzweifelte Angst verlieh ihr noch einmal neue Kräfte.

Sie warf den Kopf zurück.

Für die Dauer einer Sekunde lockerte sich der Druck auf ihrem Mund, und Violet schlug die Zähne in den Handballen. Der Gangster schrie auf. Instinktiv zog er die Hand zurück. Violet trat nach ihm, kam frei, tauchte unter dem Griff des zweiten Mannes hinweg und wollte durch die Einfahrt rennen.

Nach zwei Schritten wurde sie zurückgerissen.

Der dritte Mann packte ihre Schulter und wirbelte sie herum. Seine Hand zuckte hoch, landete klatschend auf Violets Wange. Tränen schossen ihr in die Augen, sie taumelte zurück und prallte mit dem Rücken gegen das Gestänge der eisernen Feuerleiter.

Wie durch einen Schleier sah sie das Gesicht des Gangsters vor sich. Ein markantes, gut geschnittenes, nicht einmal unsympathisches Gesicht. Die Lippen lagen hart aufeinander, die Wangenmuskeln spielten, und die zu Schlitzen verengten Augen funkelten kalt.

Erneut holte der Bursche aus.

Violet schrie auf, hob abwehrend beide Arme. Sie zitterte vor Angst, erwartete einen neuen brutalen Hieb, aber vor ihr entstand nur eine jähe Bewegung.

Als sie die Arme sinken ließ, lag ihr Peiniger reglos am Boden.

Stimmen schrien durcheinander. Violet hatte die Komplizen ihres Peinigers nicht richtig wahrgenommen, dafür undeutlich ihre modischen Anzüge. Jetzt war noch ein fünfter Mann da. Ein breitschultriger, blondhaariger in einer schwarzen Lederjacke, der gerade wie von einer Bogensehne abgeschnellt herumwirbelte. Das Metall eines Schlagrings glänzte an seiner Rechten, jedenfalls nahm Violet an, dass es ein Schlagring war. Wie ein Rammbock traf die bewehrte Faust einen der Gutgekleideten in die Seite, der Mann ging röchelnd zu Boden, und mit einem blitzschnellen Schritt sprang der Bursche in der Lederjacke den nächsten an.

Violet konnte nicht erkennen, was geschah, sie hörte jedoch ein hässliches Knirschen und einen gurgelnden Schrei. Das Entsetzen lähmte sie. Aus weit aufgerissenen Augen sah sie, wie der letzte der gut gekleideten Gangster eine Pistole hervorzog. Ihr Körper verkrampfte sich, sie öffnete die Lippen zu einem Warnruf, doch der Mann in der Lederjacke war schon herumgefahren.

Sein Fuß zuckte hoch.

Präzise traf er die Waffe und ließ sie durch die Luft wirbeln. Mit dem nächsten Atemzug stand er dicht vor seinem Gegner und erwischte ihn mit einem harten Magenhaken und einem Uppercut zum Kinn, unter dessen Wirkung der Bursche mit verdrehten Augen zusammensackte.

Violet zitterte. Sie kam nicht zum Atemholen. Mit zwei Schritten stand der Mann in der Lederjacke neben ihr, packte ihren Arm und zog sie hinter sich her über den Hof.

»Weg hier!«, stieß er hervor. »In fünf Minuten hast du die ganze Bande auf dem Hals, dann hilft dir nichts mehr. Komm schon!«

Violet stolperte. Der Griff an ihrem Gelenk war fest und zwingend. Sie rannte hinter ihrem Retter durch die düstere Einfahrt und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen.

»Aber Frank! Frank ist …«

Für einen Moment wandte ihr der Bursche in der Lederjacke das Gesicht zu. Ein kantiges, hartes und überraschend junges Gesicht. Er grinste.

»Meinst du den Boy, der die Treppe hinuntergesegelt ist? Der hat sich davongemacht, vielleicht will er die Polizei holen. Los, komm!«

Sie hatten den Gehsteig erreicht. Der Blonde öffnete die Tür eines grauen Fairlane und schob Violet hinein. Mechanisch rutschte sie auf den Beifahrersitz hinüber. Der Bursche in der Lederjacke glitt ans Steuer, ließ den Motor an, rammte den Gang ein und startete mit einem harten Ruck.

Violet wurde leicht in die Polster gepresst. Der Wagen schoss aus der 12th Street in die Third Avenue, bog nach rechts ab, jagte mit wachsendem Tempo nach Norden.

Erst jenseits des East Village bog er wieder nach links ab und rollte in Richtung Madison Square.

Violet sah den jungen Mann am Steuer von der Seite an. Erst allmählich ebbte das Entsetzen ab, und ihre Gedanken wurden wieder klarer. Sie betrachtete das harte, unregelmäßige Profil ihres Begleiters. Er trug die Lederjacke auf der nackten Haut, das blonde Haar wurde von einem Stirnband zusammengehalten. Irgendwann einmal musste er sich das Nasenbein gebrochen haben. Er schien einer anderen, fremden Art von Menschen anzugehören. Sie gestand sich ein, dass sie unter normalen Umständen niemals mit ihm zusammen in denselben Wagen gestiegen wäre. Doch er hatte ihr geholfen, er hatte sie gerettet, er …

»Haben Sie eine Zigarette?«, fragte sie schwach.

Er wandte sich kurz zu ihr. Eine breite Narbe zog sich quer über seine Wange, und die Augen hatten ein klares Hellgrau. Es waren schmale, wachsame Augen.

»Vielleicht im Handschuhfach«, sagte er. »Ich habe keine Ahnung, der Wagen ist geklaut.«

»Er ist ge…?«

»Sehe ich so aus, als könnte ich mir den Schlitten leisten?«

»Aber …«

»Moral versaut, Gesundheit gerettet.« Er grinste. Dann wurde er ernst. »Hören Sie zu, Baby. An der nächsten Ecke setze ich Sie ab. Falls jemand den Wagen gesehen hat, ist es besser, wenn Sie nachher nicht mehr drinsitzen, okay?«

Violet wollte etwas sagen, irgendein Unterton in der Stimme des Blonden hinderte sie jedoch daran. Er schien genau zu wissen, was er tat. Flüchtig musterte Violet seine braunen, kräftigen Hände, die locker am Steuer lagen, und schluckte.

»Ich heiße Violet Delmar«, meinte sie nach einer Weile. »Und Sie?«

»Johnny Marlo. Wir sind da. Bye-bye, Baby!«

»Johnny, ich möchte mich noch …«

»Legen Sie bloß nicht die Dankeschönplatte auf. Wenn Sie sich jetzt nicht beeilen, kriege ich noch mehr Ärger als sowieso. Kommen Sie nicht mehr ins East Village zurück, das ist der beste Rat, den ich Ihnen geben kann.«

Violet erwiderte nichts. Sie stieg rasch aus, da sie die Aufforderung in seinem Blick spürte. Er grinste, seine Zähne blitzten, und er zog die Tür zu, wendete den Wagen und brauste zurück in Richtung Third Avenue.

Violet schaute ihm nach.

Ihre Gedanken wirbelten. Sie dachte an Frank, der einfach davongelaufen war, an das schmutzige, verkommene Lokal, an die vier Männer, an Johnny Marlo. Zu viel war in den letzten Minuten auf sie eingestürzt. Sie begann wieder zu zittern und taumelte beinahe, als sie den nächsten Drugstore betrat, um einen Whisky zu trinken.

Die Fabrik lag am Rande von Hoboken in einer unfreundlichen Gegend voller Industrieanlagen und schmutziger Wohnviertel. Ein hoher Maschendrahtzaun umgab den unübersichtlichen Komplex. Links ragte das verlassene Verwaltungsgebäude wie ein Finger in den Nachthimmel, rechts verschmolz ein Block von Fabrikationshallen und Lagerhäusern zu einem überdimensionalen schwarzen Schatten. Nur wenige Lampen brannten, und das entfernte Heulen eines Hundes war das einzige Geräusch außer dem steten Brausen des Verkehrslärms über New York und dem gelegentlichen Dröhnen eines Typhonhorns vom Hudson herüber.

Der grüne Kastenwagen stoppte vor dem Tor im Maschendraht.

Die Scheinwerfer erloschen. Zwei, drei Minuten vergingen, dann stieg der Beifahrer aus. Das Streulicht der nächstgelegenen Bogenlampe beleuchtete ein rundes, ebenholzschwarzes Gesicht. Der Mann trat an den Zaun und zog spielerisch leicht das Tor auf, da es angelehnt, jedoch nicht abgeschlossen war.

Der Kastenwagen rollte ohne Licht weiter. Der bullige Schwarze schloss das Tor und stieg wieder ein. Der Fahrer warf ihm einen Blick zu. Sein Gesicht war ebenfalls schwarz, aber schmaler und schärfer, und unter den dichten Brauen funkelten hellwache, intelligente Augen.

Er lenkte den Wagen über den gepflasterten Platz und stoppte vor einem großen Stahltor. Diesmal blieben beide Männer im Fond sitzen. Erneut vergingen ein paar Minuten, schließlich wurden die Türflügel einer nach dem anderen von innen geöffnet.

Angeln quietschten. Der Kastenwagen rollte langsam weiter, in einen dunklen, schlauchartigen Raum hinein. Hinter ihm schloss sich das Tor, und Sekunden später flammten lange weiße Leuchtstoffröhren auf.

Die beiden Männer blickten sich vorsichtig um. Der Raum bot Platz genug, um im Bedarfsfall einen großen Truck aufzunehmen. Links und rechts gab es Laderampen und Stahltüren, die in Lager und Fabrikhallen führten. Normalerweise dachte niemand daran, solche Laderampen in eigens erbauten geschlossenen Räumen unterzubringen, doch bei der speziellen Produktion dieser Fabrik war die Maßnahme durchaus nicht überflüssig.

Ein Mann löste sich aus dem Schatten eines Gabelstaplers. Er sprang schwerfällig von der Rampe und blieb stehen, den Kopf leicht zwischen die Schultern gezogen. Im fahlen Licht der Leuchtstoffröhren glänzte sein Gesicht ölig, und auf der Stirnglatze mit dem schütteren Haarkranz hätte man die Schweißtropfen zählen können.

Der Mann am Steuer des Kastenwagens stieg aus. Nur er allein wusste, dass sein Beifahrer in diesem Augenblick eine massive Pistole aus der Tasche nahm. Der Mann lächelte hintergründig, seinem Gesprächspartner missglückte das Grinsen.

»Mister Malachi?«, vergewisserte er sich.

»Patrice Malachi«, bestätigte der Fahrer. Ihn störte es nicht, dass sich der andere nicht vorstellte.

Der Mann mit der Stirnglatze schien selbst hier, auf dem nächtlich leeren Fabrikgelände, Angst davor zu haben, seinen Namen zu nennen. Er schluckte krampfhaft.

»Hier ist es«, krächzte er. Sein kurzer, dicker Finger wies auf einen mit Schnur umwickelten Schuhkarton, der auf einer Containerkiste stand. »Natürlich nur ein Probestück. Sie wollten ja nicht glauben, dass die Waffe existiert.«

Malachi presste die Lippen zusammen. Kurz funkelte Zorn in seinen Augen auf – er war Afrikaner und reagierte allergisch auf jede Anspielung, die ihm das Verständnis für technischen Fortschritt und Zivilisation absprechen wollte. Er fing sich jedoch sofort wieder.

»Allerdings«, sagte er ruhig. »Ich werde das Exemplar prüfen. Sie hören von mir.«

»Gut, Mister Malachi. Rufen Sie mich aber bitte nicht im Büro an. Sie kennen meine Privatnummer?«

»Ich kenne sie. Wenn die Ware hält, was Sie mir versprochen haben, werden wir mit Sicherheit ins Geschäft kommen. Auf Wiedersehen!«

Rasch wandte er sich um. Mit zwei Schritten stand er wieder neben dem Wagen, zog sich auf den Sitz, und der Mann mit der Stirnglatze verschwand aus seinem Blickfeld, um das Tor zu öffnen.

Erneut quietschten die Angeln. Malachi setzte den Kastenwagen rückwärts hinaus. Während das Tor zuschwang, wendete er bereits, rollte langsam auf den Maschendrahtzaun zu, und auf seinem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht erschien ein Lächeln.

Er wandte sich dem Beifahrer zu, sagte etwas. Er redete in einer fremden Sprache, mit dem Unterton von Zufriedenheit …

2

Ich rangierte den Jaguar an den Stelzen des West Side Express Highway vorbei. Ein baumlanger Cop bewachte das Tor in dem Maschendrahtzaun, der das Gelände der stillgelegten Piers abschirmt. Phil zeigte den FBI-Ausweis durchs Fenster, und wir konnten passieren.

Über dem Hudson ballte sich die Dunkelheit noch wie schwarze Watte zusammen. Nur im Osten lag der erste graue Schein der Morgendämmerung über der Skyline von Manhattan. Wir rollten über eine breite Kopfsteinpflasterpiste, bogen nach rechts ab und stoppten einige Yards vor dem Standscheinwerfer, der einen flachen, lang gestreckten Schuppen anleuchtete.

Patrol Cars der City Police standen herum, ein paar Zivilfahrzeuge, der Kastenwagen der Mordkommission. Erneut präsentierten wir einem Cop unsere Ausweise. Er rief etwas durch die offen stehende Schuppentür, und als wir ausstiegen, kam uns ein langer, magerer Bursche mit einem nervösen Zucken im Gesicht entgegen.

Lieutenant Ron Haley leitete die Mordkommission. Wir kannten ihn noch nicht, nannten unsere Namen. Er ging voran durch die Schuppentür.

Auch im Inneren des halbverfallenen Gebäudes sorgten Scheinwerfer für gleißende Helligkeit. Der Raum hatte keine Fenster und war offenbar seit Längerem nicht mehr benutzt worden. Der Tote lag an der Stirnwand. Verkrümmt, mit gebrochenen Augen, und in seinem Gesicht war ein Ausdruck ungläubigen Entsetzens wie festgefroren.

Ich zog die Luft durch die Zähne, als ich die schreckliche Wunde in seiner Brust sah. Dumdumgeschoss, dachte ich auf Anhieb. Aber das war nicht das große Loch, wie es ein Projektil mit abgefeilter Spitze reißt – das war etwas anderes.

»Wer hat ihn gefunden, Lieutenant?«, fragte ich.

»Vermutlich ein Obdachloser, der hier übernachten wollte.« Haley zog die Schultern hoch. »Wir erhielten einen anonymen Anruf, dass hier ein Toter liege, und er lag tatsächlich da.«

»Und wieso ist das Ihrer Meinung nach ein FBI-Fall, Lieutenant?«

Haley rieb sich das Kinn. Das nervöse Zucken in seinem Gesicht verstärkte sich.

»Die Todesursache, Agent Cotton«, antwortete er. »Doc Reiser behauptet, dass der Mann auf keinen Fall mit irgendeiner ihm bekannten Waffe getötet wurde. Sehen Sie sich die Wunde an. Von einem normalen Geschoss stammt sie nicht – solch ein großes Kaliber gibt es gar nicht!«

Ich zog die Unterlippe zwischen die Zähne. »Vielleicht eine zugespitzte Eisenstange, eine Art Lanze.«

»Ausgeschlossen, Gentlemen.« Wir bemerkten Doc Reiser erst jetzt. Er trat auf uns zu, begrüßte uns und fuhr fort. »Eine Hieb- oder Stichwunde kann es nicht sein. Die Auftreffenergie war ganz offensichtlich zu groß, um durch Menschenkraft verursacht worden zu sein. Nein, da steckt irgendetwas völlig anderes dahinter.«

Phil und ich wechselten einen Blick.

Mein Freund zog die Stirn in Falten. Seine Augen waren schmal. Genau wie ich ahnte er bereits, dass wir dabei waren, uns eine harte Nuss einzuhandeln.

»Name? Adresse?«, wollte er wissen.

»Keinerlei Papiere«, sagte Lieutenant Haley mit einem bedauernden Schulterzucken. »Wir haben bereits mithilfe von Polaroidfotos einen ersten Versuch zur Identifizierung in die Wege geleitet. Alles Weitere ist Ihre Sache.«

»Falls das FBI tatsächlich zuständig ist«, schränkte ich ein. Sekundenlang überlegte ich, dann wandte ich mich Phil zu. »Wir sollten Jack Stoneward anfordern. Die Waffe, die Jack nicht kennt und auf Anhieb identifizieren kann, muss erst erfunden werden.«

»Und wenn sie erfunden werden würde, wäre Jack bestimmt der Erste, der davon erfahren würde«, setzte mein Freund grinsend hinzu. »Okay, ich versuche, ihn aufzutreiben.«

Er fing den Jaguarschlüssel auf, den ich ihm zuwarf, und verließ den Schuppen, um sich per Funk mit der Zentrale in Verbindung zu setzen.

Ich verfolgte die Arbeit des Spurensicherungstrupps. Lieutenant Haley verstand sein Handwerk, er ging gründlich und systematisch vor.

Jede glatte Fläche im Inneren des Schuppens wurde mit dem weißen Pulver eingestäubt, sorgfältig sicherten die Beamten die teilweise schon alten, verwischten Fingerabdrücke, und draußen suchten andere Spezialisten den Boden nach Fuß- oder Reifenspuren ab, die sie ausgießen konnten.