Jerry Cotton Sonder-Edition 141 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 141 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Sie waren bildhübsche Girls. So schön, dass den Männern bei ihrem Anblick das Blut kochte. Aber ihre Schönheit konnte tödlich sein. Das erfuhren die Gangster am eigenen Leib, die Linda, die schönste von ihnen, so lange folterten, bis sie nur noch ein blutiges Bündel war. Der Club der Henkerinnen trat in Aktion. Und was die Gangster auch unternahmen, um den unheimlichen Rächerinnen zu entgehen - sie schafften es nicht. Phil und mir sträuben sich heute noch die Haare, wenn wir an diesen Fall denken ...


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Seitenzahl: 180

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Club der Henkerinnen

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anna Demianenko / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0476-2

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Club der Henkerinnen

Sie waren bildhübsche Girls. So schön, dass den Männern bei ihrem Anblick das Blut kochte. Aber ihre Schönheit konnte tödlich sein. Das erfuhren die Gangster am eigenen Leib, die Linda, die schönste von ihnen, so lange folterten, bis sie nur noch ein blutiges Bündel war. Der Club der Henkerinnen trat in Aktion. Und was die Gangster auch unternahmen, um den unheimlichen Rächerinnen zu entgehen – sie schafften es nicht. Phil und mir sträuben sich heute noch die Haare, wenn wir an diesen Fall denken …

1

Linda Candell hatte sich in ein tödliches Netz verstrickt, aber sie wusste es nicht.

Sie war vollkommen ahnungslos – bis zu jenem heißen Morgen im Juli, als sie die Tür ihres Apartments an der Madison Avenue öffnete. Ein Mann stand draußen. Linda kannte ihn nicht und hob fragend die Brauen.

Er lächelte. Linda fand den Blick seiner hellblauen Augen unangenehm. Sie konzentrierte sich auf diese Augen – und sah nicht, wie der Mann die Hand aus der Tasche zog.

Eine schwere Luger lag zwischen seinen Fingern.

Immer noch lächelnd presste er ihr den Lauf in die Magengrube, schob sie in die Diele zurück und warf mit dem Absatz die Tür hinter sich ins Schloss. Jetzt erst erlosch sein Lächeln, und die saphirblauen Augen verengten sich zu Schlitzen.

»Schade, Baby«, sagte er ausdruckslos. »Wirklich schade! In einer halben Stunde wirst du dich im Spiegel nicht mehr erkennen …«

Linda wich zurück.

Ihre grünen Augen flackerten, doch noch war sie zu überrascht, um Angst zu empfinden. Sie starrte den Mann an. Sein Haar war dünn und schwarz, das Gesicht schmal und bedeckt von unzähligen Messernarben, die erst auf den zweiten Blick auffielen. Seiner teuren, modisch dezenten Kleidung wegen, die ihn seriös wirken ließ, hatte Linda überhaupt nur geöffnet. Jetzt sah erkannte, dass die Kleidung nicht zu dem mageren, blassen Mann passte. Er machte einen ungesunden Eindruck, und das kalte durchdringende Blau seiner Augen wirkte unheimlich.

Linda schluckte. »Das … muss eine Verwechslung sein«, sagte sie gepresst. »Ich kenne Sie nicht, ich …«

»Mein Name ist Zachary Bains. Und du bist Linda Candell, fünfundzwanzig Jahre alt, Tänzerin, seit zwei Jahren in New York, weder verlobt noch verheiratet noch fest mit einem Mann befreundet. Zufrieden?«

Linda lehnte mit der Hüfte an dem weißen Dielenschrank. Ihr Blick haftete an der drohenden Mündung der Pistole. Die Furcht, die bisher hinter der Überraschung zurückgetreten war, begann, sich wie ein schleichendes Gift in ihr auszubreiten.

»Ich … ich verstehe nicht …«, stammelte sie.

»Du verstehst sehr gut«, erwiderte Bains. »Wo sind die Papiere?«

»Papiere?«

Der Mann lächelte wieder. Linda kannte ihn nicht, und sie wusste nicht, was es bedeutete, wenn Zachary Bains lächelte. Sie machte nicht einmal eine Abwehrbewegung.

Seine Hand zuckte hoch. Zweimal rasch hintereinander klatschte sie in Lindas Gesicht. Sie schrie auf, Blut schoss aus ihrer Nase, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

Eine Sekunde war sie wie gelähmt, dann versuchte sie, etwas zu unternehmen.

Auf dem Absatz warf sie sich herum und rannte in den Livingroom. Sie stolperte über die Teppichkante, fing sich wieder, rannte weiter. Der Mann mit den saphirblauen Augen folgte ihr fast gemächlich und beschleunigte seine Schritte auch nicht, als sie den Telefonhörer packte.

Mit zitternden Fingern betätigte Linda die Wählscheibe. Ihr Atem flog, Angst krallte sich in ihr fest. Sie sah den Blauäugigen auf sich zukommen, mit dieser aufreizenden, entnervenden Langsamkeit, und das Zittern erfasste ihren ganzen Körper.

Als sie die letzte Ziffer des Notrufs gewählt hatte, drückte Zachary Bains die Gabel hinunter.

Mit einer raschen Bewegung griff er nach dem Telefonkabel und riss es aus der Wand. Er lächelte immer noch. Linda stand auf der anderen Seite des Schreibtischs, beide Hände auf die weiße Schleiflackplatte gestützt, und starrte ihn an. Sie fühlte sich wie ein in die Enge getriebenes Wild.

»Was wollen Sie?«, fragte sie stöhnend. »Was wollen Sie denn nur? Ich weiß von keinen Papieren, ich …«

Ihre Stimme brach, als Bains um den Schreibtisch kam.

Sie wich zurück, doch die Wand hielt sie auf. Der Schreibtisch stand schräg in einer Ecke, ein Gummibaum versperrte den Weg zwischen dem Möbelstück und dem Fenster. Verzweifelt versuchte Linda, sich an dem Blumentopf vorbeizuzwängen, aber ihre Bewegung war so überhastet, dass sie stolperte und das Gleichgewicht verlor.

Gellend schrie sie auf, als sie mitsamt dem Gummibaum auf den Teppich stürzte. In panischer Angst stieß sie mit den Beinen um sich und versuchte sich zu befreien. Zachary Bains stand längst wieder auf der anderen Seite des Schreibtischs und beobachtete die Bemühungen seines Opfers mit einem amüsierten Lächeln.

Als Linda hochtaumelte, schlug er ihr die Faust in den Magen, packte sie am Arm und schleuderte sie in einen der Sessel. Gekrümmt rang sie nach Luft. Für Sekunden drehte sich alles um sie, rote Funken tanzten vor ihren Augen, und es dauerte eine Weile, bis sie wieder klar sah.

Der Fremde stand vor dem Sessel.

Seine Augen waren kalt und klar, er beobachtete sie mit dem Interesse, mit dem ein Naturwissenschaftler ein aufschlussreiches Experiment verfolgen mochte. Linda ließ den Kopf in die Polster sinken und wischte sich mechanisch das Blut aus dem Gesicht.

Sie hatte das Gefühl, einen Albtraum zu erleben.

Einen schrecklichen, makabren Albtraum, der nicht wahr sein konnte, aus dem sie jeden Augenblick erwachen musste und …

»Nun?«, fragte Bains.

Linda atmete flach und vorsichtig. Ihre Lippen schmerzten, in ihrem Magen wühlte Übelkeit. Am liebsten hätte sie sich irgendwohin verkrochen und geweint – so wie sie als kleines Mädchen geweint hatte, wenn sie nachts in einem dunklen Zimmer aufgewacht war und Angst gehabt hatte.

Hier gab es jedoch keine Zuflucht, hier gab es niemanden, der ihr helfen konnte. Der Fremde war da, er wollte etwas von ihr, und sie spürte instinktiv, dass er nicht von ihr ablassen würde, ehe sie ihn irgendwie zufriedengestellt hatte.

»Bitte«, flüsterte sie. »Erklären Sie mir wenigstens, worum es geht. Ich habe überhaupt keine Ahnung, ich …«

»Die Papiere«, sagte Bains kalt. »Ich will die Papiere wiederhaben, die du dir unter den Nagel gerissen hast, mein Täubchen. Reden wirst du so oder so. Es wäre besser für dich, wenn du es sofort und freiwillig tätest.«

»Aber ich weiß nicht …«

Zachary Bains wandte sich ab.

Ruhig ging er zum Radio hinüber, suchte einen Sender, der Popmusik brachte, drehte den Regler auf volle Lautstärke.

Als er sich wieder umwandte, hatte er die schwere Pistole im Holster verschwinden lassen.

Er lächelte. Doch es war das Lächeln eines Teufels …

Die Julisonne brannte auf den verfallenen Lagerschuppen herab.

Staub wehte über die stillgelegten Piers an der West Side, das Wasser des Hudson River schimmerte ölig. Ich wischte mir mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und räusperte mich, weil sich der Geruch nach Teer und verbranntem Gummi auf die Atemwege legte.

»Jetzt?«, fragte mein Freund und Kollege Phil Decker neben mir.

Ich nickte. Es war sinnlos und gefährlich, noch länger zu warten. Wenn unser heißer Tipp stimmte, wechselten da drüben in dem Lagerschuppen gerade zwei Pfund Morphinbase den Besitzer. Und natürlich die entsprechende Menge Geldscheine – sorgfältig gebündelt und vor ein paar Tagen vom Privatkonto Vinton de Campos abgehoben.

De Campo hieß der Mann, den wir haben wollten. Zwei Pfund sichergestellter Morphinbase war lächerlich im Vergleich zu dem, was de Campo Jahr für Jahr umsetzte. Er hockte in seinem Apartment an der vornehmen Fifth Avenue oder in der Villa auf Long Island wie eine Spinne im Netz, zog seine Fäden über die gesamte Midtown, führte regelmäßig Prozente an die Mafia ab und war ebenso skrupellos wie unangreifbar.

Während wir vorsichtig durch die Lücke zwischen zwei windschiefen Schuppen huschten, versuchte ich mir vorzustellen, wie die Sache weiterlaufen würde. Wenn wir de Campos Organisation zerschlugen, konnten wir unter Umständen weitere Erfolge verbuchen, weil der Kampf um den frei gewordenen Markt die anderen Syndikate leichtsinnig machen würde. Der dicke Woodrow B. Williams, der Greenwich beherrschte, soweit sich der Rauschgifthandel in diesem quirligen, unübersichtlichen Viertel überhaupt beherrschen ließ, hatte jetzt schon Grenzschwierigkeiten mit de Campo. In Little Italy saß Marco Voltera, stritt sich mit der Mafia herum und lauerte geradezu auf Ausweichmöglichkeiten.

Und Clive Goldwater, der bisher lediglich an der Waterfront von New Jersey aktiv gewesen war, versuchte ebenfalls, in Manhattan Fuß zu fassen.

Ich hörte auf zu denken.

Sämtliche Überlegungen begannen mit einem großen Wenn, und das machte sie nutzlos. Wenn wir de Campos Organisation zerschlugen! Vorerst hatten wir weder das Heroin noch de Campos Mann oder seine Geschäftspartner. Und ich weiß nicht, warum, aber ich hatte ein verdammt schlechtes Gefühl bei der Sache.

Drei, vier Yards war der Eingang des Schuppens noch von uns entfernt. Klar, dass auf allen Seiten Kollegen das Gelände abgesperrt hatten. Ganz kurz sah ich jenseits des verfallenen Bauwerks eine Gestalt auftauchen, und vermutlich hatten die Gangster im Schuppen sie ebenfalls gesehen.

Der ganze Film lief so verteufelt schnell, dass wir die Ereignisse erst hinterher genau rekonstruieren konnten.

Für mich sah es so aus, als flöge der Schuppen förmlich auseinander. Unsere Gegner machten keinen Versuch, durch die Tür zu kommen, sie rannten einfach die Wand ein, brüchig genug dazu war sie. Holz splitterte und krachte, Latten wirbelten durch die Luft, eine MP ratterte los – und für Sekunden waren Phil und ich zur Untätigkeit verdammt, weil unsere Kollegen zurückschossen und mit einem wahren Kugelhagel den Schuppen und damit gleichzeitig unsere Deckung unter Feuer nahmen.

Die Burschen, die das Rauschgift übergeben hatten, schossen sich buchstäblich den Weg frei.

Einen erwischte es, zwei brachen zu einem wartenden Schnellboot durch. Unsere Kollegen feuerten jetzt in Richtung auf die Piers, die Maschinenpistole ratterte. Wie auf Kommando jagten Phil und ich los, überquerten die freie Fläche und rannten auf den Schuppen zu, während an der Wasserseite bereits ein schwerer Evinrude-Motor aufröhrte.

Gleichzeitig löste sich eine Gestalt aus dem Schatten des Holzbaus und huschte nach links.

De Campos Mann! Er hatte eine schwarze Collegemappe bei sich, presste sie mit beiden Armen vor die Brust. Verzweifelt versuchte er, den freien Raum zu überbrücken und in Deckung zu tauchen, doch ich war schon auf seinen Fersen, ehe er den nächsten Schuppen erreichte. Ich hatte ihn nur im Profil gesehen, aber ich erkannte ihn trotzdem. Hank Jesco, hoffnungsvoller Gangsternachwuchs mit Ambitionen, die sich in den nächsten Minuten in Nichts auflösen würden. Er hörte meine Schritte hinter sich. Im vollen Lauf warf er den Kopf herum, und sein schmales, braun gebranntes Gesicht verzerrte sich.

Vor ihm klaffte ein Durchgang zwischen zwei Wellblechhallen. Meine Kollegen hatten ihn im Schussfeld, sie feuerten jedoch nicht, weil ich zu dicht dran war. Jescos Blick zuckte umher, seine Augen flackerten vor Entsetzen – und er tat das Falscheste, was er unter den gegebenen Umständen nur tun konnte.

Er rannte in den schmalen Gang hinein.

Tiefer Schlagschatten nahm ihn auf, links und rechts von ihm schimmerten matt und kahl die Wellblechwände. Keine Tür, kein Fenster – nichts! Dreißig Yards weiter mündete der enge Schlauch in eine Ladestraße, dort mussten inzwischen die uniformierten Cops warten, die die Gegend abgeriegelt hatten, und Hank Jesco saß hoffnungslos in der Falle.

Er merkte es ein paar Sekunden später.

Vor ihm in dem hellen Ausschnitt tauchten Uniformen auf. Jesco prallte zurück, blieb schwankend stehen. Mit einem Aufschrei ließ er die Collegemappe fallen, kreiselte herum, und seine Rechte fuhr zur Schulterholster.

Ich hielt bereits den 38er in der Faust.

»Halt!«, schrie ich. »Hände hoch, oder …«

Er zog die Waffe.

Seine Nerven spielten nicht mehr mit, er drehte durch. Anders war es nicht zu erklären, dass er durchzog, obwohl er in die Mündung des Smith & Wesson blickte und die Cops in seinem Rücken ihn binnen Sekunden förmlich durchlöchern konnten. Seine erste Kugel lag zu hoch. Ich sah das Zucken in seinem bleichen, verzerrten Gesicht, das Flackern der Augen. Erneut wollte er abdrücken – und ich zielte und feuerte im Bruchteil einer Sekunde.

Ich traf Jescos rechte Schulter.

Er wurde halb herumgerissen, kam noch einmal zum Schuss, doch die großkalibrige Kugel durchschlug lediglich die Wellblechwand. Ich biss die Zähne zusammen, hielt die Luft an, weil ich jeden Moment das massive Feuer der Cops erwartete – und ließ mit einem tiefen Atemzug die Schultern sinken. Die uniformierten Kollegen hatten erkannt, dass Jesco ihnen nicht mehr gefährlich werden konnte. Der junge Gangster lag auf den Knien. Er hielt sich die Schulter, seine Waffe war zu Boden gefallen, und als ich herankam, hob mein Gegner mühsam den Kopf.

Sein Gesicht war aschfahl und eingefallen. Die Lippen pressten sich zu einem blutleeren Strich zusammen.

»Mistcop!«, stieß er durch die aufeinandergebissenen Zähne.

Ich sparte mir den Kommentar.

Während Phil die Ambulanz anrief, sah ich mir Jescos Verletzung an. Über dem Wasser hing jetzt das Dröhnen einer zweiten Evinrude-Maschine, in einiger Entfernung hörte ich eine Stimme schnell und scharf in ein Funkgerät sprechen. Zwei der Gangster, die das Heroin an Land gebracht hatten, waren entkommen, vielleicht konnte die Küstenwache sie jedoch noch stoppen.

Ich griff nach der Tasche, die Jesco fallen gelassen hatte, und öffnete sie. Der Inhalt war in einen wasserdichten Beutel verpackt. Morphinbase. Etwa zwei Pfund, genau wie wir erwartet hatten …

Hank Jesco lehnte mit dem Rücken an der Wellblechwand, einen Notverband um die Schulter. Er starrte mich an.

»Die Tasche gehört mir nicht«, sagte er heiser.

»Klar.« Ich nickte. »In diesem Fall glaube ich dir sogar. Sie gehört de Campo.«

»De Campo? Wer ist das?«

Ich zuckte nur mit den Schultern. Es hatte keinen Sinn weiterzubohren. Jesco brauchte Zeit, um sich über seine Lage klarzuwerden, und außerdem wäre es illegal gewesen, ihn jetzt, unter dem Schock der Verletzung, zu vernehmen. Ich erklärte ihm, dass er vorläufig festgenommen sei, belehrte ihn über seine Rechte, die er vermutlich bestens kannte, und überließ ihn der Obhut von Steve Dillaggio und George Baker, die inzwischen wieder vom Pier heraufgekommen waren.

Jenseits des Holzschuppens, dicht am Wasser, lag der Mann, den während des Feuergefechts eine Kugel getroffen hatte. Er war tot. Les Bedell zupfte ihm gerade vorsichtig die Brieftasche aus dem Jackett und blätterte sie auf.

»Marius Colu«, las er vor. »Französischer Staatsbürger.« Und nach einer Pause: »Er fuhr als Matrose auf einem Seelenverkäufer unter Panamaflagge.«

Ich presste die Lippen zusammen. »Und die anderen?«

Les machte eine vage Geste. Erst ein paar Minuten später erfuhren wir, dass es die Komplizen des Toten geschafft hatten, die Dreimeilenzone zu verlassen. Normalerweise hätten wir das natürlich unterbunden, doch der heiße Tipp von unserem V-Mann war einfach zu kurzfristig gekommen, um noch eine perfekte Falle zu bauen.

Vinton de Campos Dollars waren ebenfalls verschwunden.

Wir hatten Hank Jesco festgenommen. Aber wir konnten ihm kaum mehr nachweisen als illegalen Rauschgiftbesitz – und es stand noch lange nicht fest, ob er unter diesen Umständen auspacken würde.

Ich ahnte, dass unsere Chance, de Campos Organisation zu zerschlagen, wieder einmal auf den Nullpunkt gesunken waren.

Der weiße Mustang stach rückwärts in die Parklücke. Dahlia Candell kniff die Augen zusammen, beugte sich aus dem offenen Wagen und leistete Incharbeit. Lächelnd warf sie die schwarze Haarmähne zurück, stellte den Motor ab und öffnete den Wagenschlag.

»Warte hier«, bat sie ihre Schwester, die neben ihr auf dem Beifahrersitz lehnte. »Ich bin gleich zurück …«

Catherine Candell schürzte die Lippen.

»Du willst mich nur hierlassen, weil du nicht weißt, ob Linda jemanden bei sich hat«, stellte sie fest. »Als wäre ich eine Klosterschülerin!«

»Du bist achtzehn, du …«

»Und zu der Party hättet ihr mich auch mitnehmen können«, fiel ihr Catherine ins Wort. »Ihr behandelt mich wie ein Baby. Aber ihr seid nicht meine Gouvernanten, sondern …«

»Du warst nicht eingeladen«, sagte Dahlia trocken. »Außerdem denke ich, du bist zum Studieren nach New York gekommen und nicht, um dir die Nächte um die Ohren zu schlagen.«

»Pah, studieren! Wen interessiert das schon! Du hast es ja damals auch aufgegeben!«

»Weil ich Geld verdienen musste! Und jetzt hör auf, sonst stehen wir heute Abend noch hier.«

Dahlia schloss die Autotür und überquerte den Gehsteig. Während sie mit dem Lift nach oben fuhr, dachte sie über ihre Schwester nach – ihre »kleine Schwester«, wie sie immer noch sagte. Cat war vierzehn gewesen, als ihre Mutter gestorben war, und hatte bis zum Ende ihrer Schulzeit bei einer Tante in Dallas gelebt. Dorthin hätte Dahlia sie am liebsten zurückgeschickt, aber in diesem Punkt stießen ihre und Lindas Bemühungen auf erbitterten Widerstand. Cat war jung, unerfahren und lebenshungrig, sie hatte das Beispiel ihrer Schwestern vor Augen – kein gutes Beispiel – und wollte endlich frei sein. Frei, wiederholte Dahlia in Gedanken bitter. Auch sie und Linda hatten diese Freiheit gesucht, und sie wollten nicht, dass Cat die gleiche Enttäuschung erlebte.

Nachtlokale, Showbusiness, eine mäßige Karriere in einem harten Geschäft, in dem jeder kleine Erfolg teuer bezahlt werden musste. Partys, lange Nächte, ein bisschen Arbeit zwischendurch – Tingeltangel! Und Männer, die sich mit attraktiver Weiblichkeit umgaben wie andere Leute mit Möbeln, die ihre Freundinnen nach ähnlichen Gesichtspunkten wählten wie die Brillantnadeln an ihren Krawatten. Das war die Freiheit, die sie gefunden hatten, das war …

Dahlias Gedanken stockten.

Sie hatte die elfte Etage erreicht, verließ den Lift und ging durch den Flur. Dunkelbraune Spannteppiche dämpften ihre Schritte. Die Tapeten waren maisgelb, die Türen makellos weiß. Dahlia stoppte vor dem Apartment mit dem Namen L. Candell auf dem dezenten Messingschild und legte den Daumen auf die Klingel.

Nichts geschah.

Dahlia runzelte die Stirn. Sie vermutete, dass der Glockengong von der Musik aus dem Radio übertönt wurde, das ziemlich laut dröhnte. Noch einmal drückte sie auf den Klingelknopf, und als sich immer noch nichts rührte, hob sie die Hand, um gegen das weiß lackierte Holz zu hämmern.

Bei der ersten Berührung schwang die Tür zurück.

Dahlia zuckte erschrocken zusammen, dann atmete sie aus. Es sah ihrer Schwester ähnlich, bei offener Tür zu schlafen. Vermutlich hatte sie nach der Party den blonden TV-Menschen abgeschleppt. Der Bursche war reichlich angetrunken gewesen, und da kein Mensch Linda in verkatertem Zustand wachbekommen konnte, hatte er wohl allein die Wohnung verlassen und die Tür zu schließen vergessen. Kopfschüttelnd trat Dahlia ein, durchquerte die Diele und öffnete die Verbindungstür zum Livingroom.

»Linda?«, rief sie. Und lauter: »Aufwachen, Linda! Es ist heller Nachmittag!«

Linda Candell antwortete nicht.

Sie konnte nicht antworten. Sie lag in einer Blutlache auf dem Teppich, starr und verkrümmt, und sie war nur noch an dem schwarzen Haar und den aufgerissenen grünen Augen zu erkennen …

2

»Zehn Minuten«, sagte der Doc. »Nicht länger. Die Verletzung ist nicht schwer, aber der Patient braucht zunächst einmal Ruhe.«

Ich nickte und lächelte wegen des drohenden Blicks, den uns der kleine weißhaarige Arzt zuwarf. Dass mit Doc Reilly vom Medical Center nicht gut Kirschen essen ist, wusste ich schon länger. Er pflegt seine Schützlinge zu verteidigen wie eine Löwin ihre Jungen. In einem Patienten sieht er nichts anderes als einen Menschen, der Hilfe braucht, ob Gangster, Geistlicher oder was auch immer, und das ist eine Haltung, die Phil und ich respektieren.

Wir betraten das Zimmer, in dem Hank Jesco lag. Der junge Mann war etwas blass um die Nase, schien sich jedoch gut erholt zu haben.

Jedenfalls ließ er sein Gesicht zum Pokerface erstarren und grinste abfällig – ganz Vinton de Campos cleverer junger Nachwuchsmann.

»Du bist für zehn Minuten vernehmungsfähig«, informierte ich ihn. »Wenn du willst, kannst du einen Anwalt verlangen.«

»Du mich auch«, sagte er. »Ich habe mit euch nicht Brüderschaft getrunken.«

»Das wäre auch ganz gegen unsere Gewohnheiten, Mister Jesco.« Ich betonte den »Mister«, und dann setzte ich ihm einen Schuss vor den Bug. »Sie sollten zur Abwechslung mal ein bisschen nachdenken, Mister Jesco. Mordversuch an einem Bundesbeamten wird teuer.«

An seiner Schläfe zuckte ein Nerv. Sonst behielt er sich einigermaßen unter Kontrolle. »Mordversuch?«, echote er.

»Was sonst? Oder ist es Ihre Art von freundlicher Begrüßung, die Pistole auf einen Menschen zu richten und abzudrücken?«

»Sie waren hinter mir her! Das war pure Notwehr, das …«

»Haha«, erwiderte ich.

Er schluckte. Was in seinem Kopf vorging, konnte ich mir lebhaft vorstellen. Er überlegte, was auf ihn zukam, und versuchte, seine miesen Zukunftsaussichten gegen die Gefahr abzuwägen, die ihm drohte, wenn er den Mund aufmachte.

»Mann!«, sagt er. »Ich wollte Sie nicht umbringen, ich …«

»Ich kenne eine Menge Leute, die vor Gericht in solchen Fällen behauptet haben, sie hätten gar nicht wirklich treffen wollen. Allerdings kenne ich niemanden, dem die Richter das geglaubt hätten.«

Er starrte mich an.

In seinen Augen flackerte es.

»Es hängt von Ihrer Aussage ab, was?«, knurrte er. »Das wollen Sie mir doch klarmachen!«

Ich schüttelte den Kopf. »Es hängt nicht von meiner Aussage ab, sondern von Ihrem Verhalten, Jesco. Die Sache wird teuer. Aber als Kronzeuge können Sie straffrei bleiben, das wissen Sie.«

»Kronzeuge gegen wen?«

»De Campo«, antwortete ich. Obwohl er das natürlich ganz genau wusste.

Hank Jesco zog die Unterlippe zwischen die Zähne. Sein Kiefer mahlte. Er war achtundzwanzig Jahre alt, und die Aussicht auf eine lange Gefängnisstrafe gefiel ihm bestimmt nicht.

»Die knipsen mich ab«, murmelte er.

»Nicht, wenn sie hinter Schloss und Riegel sitzen. Es liegt an Ihnen, Jesco. Überlegen Sie es sich!«

In seinem Gesicht arbeitete es. Er wandte den Kopf ab, starrte die Wand an. Als er uns wieder ansah, wirkten seine Augen leer und ausdruckslos, und ich wusste, dass die Angst vor de Campo gesiegt hatte.

»Nicht mit mir!«, stieß er durch die Zähne. »Schnappt ihn erst mal! Zerschlagt seine Organisation, setzt seine Killer matt! Dann könnt ihr ja noch mal nachfragen.«

»Für Sie ist es dann zu spät, Jesco«, sagte ich ruhig.

Er erwiderte nichts.