1,99 €
Mit dem Mord an Lembek begann es. Sie brachten ihn vor unseren Augen um, aber wir konnten ihm nicht helfen. Denn Phil und ich saßen in meinem Jaguar, die Gangster mit Lembek in einer schwarzen, schweren Limousine. Und die beiden Fahrzeuge rasten mit mehr als hundert Meilen in der Stunde durch New York. Damals wussten wir noch nicht, was mit diesem Mord auf uns zukam. Wir gerieten an die Falschgeld-Hyänen. An eine Bande von Gangstern, denen heißes Geld alles, ein Menschenleben jedoch nichts bedeutete ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 210
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Blüten, rot wie Blut
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Faces Portrait / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0477-9
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Blüten, rot wie Blut
Mit dem Mord an Lembek begann es. Sie brachten ihn vor meinen Augen um, aber ich konnte ihm nicht helfen. Denn ich saß in meinem Jaguar, die Gangster mit Lembek in einem grüne Pontiac Station. Und die beiden Fahrzeuge rasten mit mehr als hundert Meilen in der Stunde durch New York. Damals wusste ich noch nicht, was mit diesem Mord auf uns vom FBI zukam. Wir gerieten an die Falschgeld-Hyänen. An eine Bande von Gangstern, denen heißes Geld alles, ein Menschenleben jedoch nichts bedeutete ...
1
Der Tod war es, der sich an jenem Abend im August bei Bob Lembek mit dem melodischen Doppelklang des Türgongs ankündigte. Natürlich ist das nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn der Tod als Person existiert nicht. Sinngemäß jedoch verdienten die beiden Männer diese Bezeichnung durchaus, die sprungbereit vor Lembeks Wohnungstür standen.
Sie waren Killer.
Ihr Auftrag lautete: Mord.
Den Eingang des gemütlich wirkenden Zweifamilienhauses im New Yorker Vorort Woodmere hatten sie geräuschlos mit wenigen Handgriffen geöffnet. Ungehört waren sie die Treppe heraufgekommen. Gerade nahm der Ältere und Kleinere von ihnen den Finger vom Klingelknopf. Er nickte dem Jüngeren zu.
Hinter der Wohnungstür, deren helles Holz in makelloser Neuheit glänzte, wurden leise Schritte hörbar.
»Er kommt«, flüsterte der Mann. Sein rundes Gesicht drückte Fröhlichkeit aus.
»Okay.«
Der Jüngere, einen Kopf größer als der andere, nickte ebenfalls. Ganz ruhig, so, als holte er Zigaretten heraus, nahm er den Totschläger aus der Jackettasche.
»Nicht zu stark. Bis runter muss er noch laufen«, sagte der Kleinere ganz leise.
»Okay«, wiederholte der andere.
Beide hörten auf der anderen Seite der Tür das Aushaken einer Sicherheitskette.
»Jetzt«, formten die Lippen des Älteren.
Der Jüngere trat einen Schritt von der Wand zurück. Langsam streckte er die Linke gegen die Tür aus. Die Rechte mit dem Totschläger hob er über den Kopf.
Bob Lembek hob verwundert den Kopf von der neuesten Ausgabe des Playboy, als er den Gong vernahm. Sein Blick flog zu der messingglänzenden Wanduhr inmitten der Holztäfelung ihm gegenüber. Kurz nach elf. Wer wollte ihn so spät an diesem Sonnabend noch besuchen?
Er schwenkte die Beine von der mit weißem Leder bezogenen Couch auf den Boden und fuhr in die Hausschuhe. Mit einem Druck auf den Telecommander schaltete er den Ton des Fernsehers herunter, der nebenbei lief. Über die weichen Teppiche des großen Wohnraums seines neu bezogenen Apartments ging er zum Vorraum.
Dort wurden seine Schritte hörbar. Der Boden des Vorraums bestand aus schräg verarbeiteten tiefbraunen Klinkern. Alles genauso, wie er es sich immer gewünscht hatte.
Erst seit Kurzem war er in der Lage, sich dies und noch einiges andere zu leisten. Genauer gesagt, er selbst hatte sich in diese Lage versetzt. Eigenmächtig, gewiss, aber nur Dumme ließen einmalige Chancen vorübergehen, ohne sie zum eigenen Vorteil zu nutzen. Bob Lembek gehörte nicht zu ihnen. Im Gegenteil, er hielt sich für ziemlich clever.
Die neue Wohnung, ganz nach seinen Wünschen gestaltet und eingerichtet, gefiel ihm. Er genoss es, darin zu leben. Als er jetzt vor der Tür stehen blieb, warf er einen wohlgefälligen Blick über die Details des Vorraums und zurück in den Livingroom.
Wie hätte er wissen können, dass es der letzte war?
Lembek griff nach dem Schlüssel und drehte ihn im Schloss. Dann hakte er die Sicherheitskette aus, ohne etwas zu denken. Nun griff er mit der Rechten nach der Türklinke und nahm mit der anderen Hand den Hörer der Türsprechanlage aus der Halterung. Gleich würde er wissen, wer unten vor der Haustür stand. Falls ihm der Besucher nicht behagte, würde er ein paar Worte mit ihm über die Anlage wechseln und ihn wieder nach Hause schicken. Etwa, wenn es sich um Jim Abner handelte, den redseligen Quasselkopf. Ließ man ihn einmal herein, brachte man ihn kaum wieder aus dem Haus.
Oder sollte es etwa Beryl Innes sein? Die verblühte und trunksüchtige Barmieze, mit der er sich aus reiner Wut ein paarmal abgegeben hatte, nachdem ihm klar geworden war, dass es mit Luna zu Ende war? Guter Gott, sie würde ihm eine neue Heulszene machen, würde einen Schwächeanfall mimen und doch nur einfach betrunken sein. Sie würde sich an ihn hängen, er würde sie trösten und nach Hause bringen müssen. Das würde nicht ohne Tränen und Geschrei abgehen. Nein, bloß nicht.
Angewidert drückte Lembek die Türklinke nieder und hob gleichzeitig den Hörer ans Ohr.
»Wer ist ...?«
Die Wohnungstür wurde aufgestoßen. Ihre Kante streifte seinen Kopf und ließ ihn zwei, drei Schritte zurücktaumeln. Der Hörer fiel ihm aus der Hand und schlug gegen die Mauer. Mit schreckgeweiteten Augen starrte er den beiden Männern entgegen, die mit wenigen Schritten neben ihm standen.
Der Größere hieb ihm den Totschläger auf den Kopf. Lembeks Beine wurden wattig. Sie wollten unter ihm einknicken, aber der kleinere Mann hatte Lembeks linken Arm über seinen Nacken gezogen und hielt ihn aufrecht.
»Alles abstellen. Lichter aus.«
»Okay.« Der Größere ging in den Wohnraum, ließ den Fernseher erlöschen, sah sich schnell um und schaltete die beiden Stehlampen und die Wandleuchten hinter ihren Kristallabdeckungen ab.
Seine Blicke blieben an der offenen Tür zur Terrasse hängen. Sie war in das mäßig schräge Giebeldach eingebaut. Draußen lag dunkles Gelände, denn dicht hinter dem Haus begann das Areal eines Golfplatzes.
»Los, komm, wir müssen weg.« Der Ältere hielt Lembek, der sich nun schwach zu wehren begann, mit einem Griff ruhig. Sein rechter Arm drückte auf Lembeks Adamsapfel.
»Okay.«
Der Jüngere schien das Wort zu lieben. Er benutzte es gerne und viel. Rasch stand er an der Seite seines Komplizen. Gemeinsam schleppten sie Lembek aus seiner Wohnung. Der blonde Killer mit dem fröhlichen Gesichtsausdruck schob die Tür vorsichtig ins Schloss. Dann bugsierten sie Lembek die Treppe hinunter.
Bevor sie an der Tür zur Parterrewohnung vorbeigingen, verhielten sie kurz. Die innen mit einer Spanngardine versehene Glastür war dunkel. Leise vernahmen sie die Töne eines Fernsehers. Dem Geräusch nach zu schließen, lief in dem Programm ein Western.
»Los!« Der Ältere machte eine Kopfbewegung zur Haustür.
Ein derber Stoß brachte Lembek wieder in Bewegung. Die Männer schleppten ihn die restlichen Stufen hinunter und ins Freie. Als er die kühle Nachtluft spürte, wurde er sich schlagartig seiner Situation bewusst. Wie aus einem Nebel tauchte er empor und sah plötzlich klar.
Das hier konnten nur Killer sein. Sie wollten ihn ermorden. Ein Raubüberfall sah anders aus. Lähmende Angst überfiel ihn.
Gleich einem aufzuckenden Schlaglicht sah er Repmans Gesicht vor sich, der einmal gesagt hatte: »Wir bezahlen Sie gut für Ihre Dienste, also keine Extratouren.«
Eben solchen Extratouren aber verdankte er unter anderem die hübsche Dachwohnung. Und einiges andere.
Mit jäher Kraftanstrengung versuchte er sich loszureißen und holte tief Luft, um zu schreien. Walters und dessen Frau, die Hausbesitzer, pflegten zwar ihr Fernsehgerät meist ziemlich laut zu stellen, doch sie konnten ihn hören. Sie mussten einfach.
Er brachte nur den Ansatz des Notschreis heraus, dann hielt ihm einer der Männer den Mund zu. Mit Gewalt schleppten sie ihn durch den unbeleuchteten Garten hin zur Pine Street. Auch dort brannten nur wenige Lampen in großen Abständen. In dem fast ländlich anmutenden Vorort Woodmere sahen die Behörden nicht auf Beleuchtung.
Als er sich nachdrücklicher wehrte, gaben sie ihm wieder eins über den Kopf. Erneut wurde ihm neblig vor den Augen. Vor dem Grundstück stand ein Station Wagon. Die beiden stießen ihn hinein, und der eine setzte sich auf den Rücksitz neben ihn, während der andere hinter das Lenkrad sprang.
Sekunden später wurde der Motor gestartet, und der Station ruckte an. Lembek war inzwischen dabei, die neuerliche Schwäche zu überwinden. Zitternd vor Angst wandte er sich an den Mann neben ihm.
»Was wollen Sie von mir?«
»Aber gar nichts, Sonnyboy«, versetzte der Mann am Steuer leichthin. »Wir machen ’ne kleine Spritztour, das ist alles.«
»Wohin bringen Sie mich?«
Lembek blieb ohne Antwort.
Scheinwerferlicht fiel durch die Heckscheibe. Von hinten kam ein Wagen auf.
Ein anderer Wagen. Das bedeutete, Menschen in der Nähe. Sie konnten Rettung bringen.
Lembek drehte sich jäh um, wandte sich den blendenden Lichtern zu, die jetzt keine zwanzig Yards mehr entfernt waren und winkte verzweifelt mit beiden Armen.
»Hilfe«, brüllte er, »Hilfe!«
Der Gangster neben ihm packte ihn und riss ihn auf den Rücksitz nieder. Lembek wehrte sich. Zwar beeinträchtigten ihn die Schläge immer noch, die er auf den Kopf bekommen hatte, aber die Angst verlieh ihm zusätzliche Kräfte.
»Goddam, spiel hier nicht verrückt«, zischte der Gangster und schlug mit beiden Fäusten auf ihn ein.
Die Hiebe trafen, machten Lembek jedoch nicht aktionsunfähig. Er kam wieder hoch, brüllte und fuchtelte mit den Armen. Das Ganze wurde von den Scheinwerfern des nachfolgenden Wagens taghell beleuchtet.
»Verfluchter Mist, halt ihn ruhig«, schnappte der Mann am Lenkrad. »Sollen die hinter uns unbedingt merken, dass wir einen abschleppen?«
Der andere Wagen war näher herangekommen. Er fuhr jetzt nur noch zehn Yards hinter dem Station. Wenn die Insassen nicht Pflaumen auf den Augen hatten oder sich beim Fahren knutschten, mussten sie merken, dass im Fahrzeug vor ihnen etwas nicht stimmte.
»Was soll ich machen, Jeff, er dreht durch!«, schrie der jüngere Gangster wütend.
Er hatte den Totschläger aus der Tasche gerissen und drosch damit wild auf Lembek ein. Er bekam das tödliche Ding auf Arme, Schultern und Brust, vermochte allerdings seinen Kopf zu schützen. Er warf sich hin und her wie ein Fisch auf dem Trockenen und schrie weiter gellend um Hilfe. Das andere Fahrzeug hatte sich noch mehr genähert. Es befand sich jetzt wenige Yards hinter dem Station, nach links versetzt wie zum Überholen. Doch der Fahrer hielt den Abstand. Offensichtlich beobachtete er, was in dem anderen Fahrzeug vor sich ging.
Auch Lembek war das nicht verborgen geblieben. Die Gegenwart eines Beobachters gab ihm die Kraft zu einer verzweifelten Aktion. Er stieß den wild auf ihn einschlagenden Gangster zurück und langte nach der Innenklinke der Wagentür, um sie zu öffnen und sich hinausfallen zu lassen.
Der Fahrer bemerkte es.
Er riss einen Revolver aus der rechten Jacketttasche, hob sich im Sitz, drehte sich so weit wie möglich nach links und gab von schräg oben drei Schüsse auf Lembek ab.
Lembek wurde tödlich getroffen und sackte zusammen.
Im nächsten Augenblick krachte es. Der Station war durch die Bewegung des Fahrers etwas nach rechts geraten und hatte ein geparktes Fahrzeug gestreift. Jeff riss ihn nach links und übersteuerte dabei. Mit neuerlichem dumpfem Krach bohrte sich der Station schräg in einen anderen Wagen, der auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgestellt war. Er prallte ab, drehte sich halb, schlug mit dem ausbrechenden Heck gegen ein drittes Fahrzeug und kam zum Stillstand.
Ich brachte in dieser Nacht Susan nach Hause. Wir waren in Long Beach gewesen, hatten im Restaurant des Lido Golfklubs ausgezeichnet – leider auch ziemlich teuer – zu Abend gegessen, später in der Bar noch ein paar Drinks genommen und ein bisschen getanzt. Obwohl wir uns seit Jahren kannten, flirtete Susan mit mir. Das tat sie immer, wenn ich sie ausführte. Jetzt als wir fuhren, lag sie halb im Beifahrersitz und kraulte mir den Kopf.
»War ein schöner Abend, Jerry. Ich danke dir.«
»Bitte, gern geschehen.« Ich stoppte den Jaguar am Toll Gate der Atlantic Beach Bridge, warf die Münze in den Zahltrichter und ließ die Kupplung wieder kommen. »Deshalb nehme ich dich auch mit. Ich schätze gute alte Freunde. Das ›alt‹ bezieht sich natürlich nur auf die Güte unserer Freundschaft«, setzte ich rasch hinzu.
»Das ist es ja eben«, schmollte Susan. Sie steckte sich eine Zigarette an. Die helle Gasflamme des Feuerzeugs beleuchtete sekundenlang ihr hübsches Gesicht unter der dunklen Frisur. »Weißt du was, wir trinken noch einen bei mir. Du kommst doch noch ’nen Sprung mit rauf, Jerry?«
Ich überlegte rasch. Natürlich würde das, was hier als unausgesprochene Einladung mitschwang, mit Susan durchaus reizvoll sein. Ich war jedoch für morgen früh mit meinem Freund Pete Rivers in Manhasset Field verabredet. Wir wollten zusammen ein wenig üben, ehe ich mich wegen der fälligen Erneuerung meines Privatpilotenscheins der alle zwei Jahre erforderlichen Überprüfung stellte. Rivers war Fluglehrer und sollte hauptsächlich meine Kenntnisse der Luftfahrtvorschriften auf den letzten Stand bringen, da sie sich fortlaufend änderten.
»Ich möchte schon, Darling«, sagte ich und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Scheitel, »aber du weißt, Pete erwartet mich morgen früh um acht. Wenn ich zu dir raufkomme, versacken wir todsicher.«
»Scheusal«, erwiderte Susan, »ich hasse dich. Halt sofort an. Ich will aussteigen.«
Natürlich meinte sie es nicht ernst. Wir kannten uns lange genug, um uns nicht wegen Lappalien zu streiten.
»Nicht hier in Woodmere, Su«, ging ich auf ihren Scherz ein. »Es ist die abgelegenste Gegend von New York. Du müsstest meilenweit gehen, um ein Taxi zu kriegen.«
»Geschenkt, Jerry.« Sie lachte. »Okay, dann flieg mal schön morgen. Aber du rufst mich an, ja?«
»Sicher, Goldstück.« Ich beugte mich zu ihr hinüber, fuhr im nächsten Moment zurück und bremste scharf. Aus einer Nebenstraße rannte ein weißer Pudel. Um ein Haar hätte ich ihn überfahren.
»Ich hör mir ein bisschen den Polizeifunk an«, meinte Susan, um mein Geknurre über den fahrlässigen Hundehalter zu unterbrechen. »Vielleicht gibt’s was Interessantes zu hören. Komm, Jerry, stell ihn mir an. Mit deinen diversen Geräten kenn ich mich nicht aus.«
»Aber sicher, Darling.«
Ich schaltete den Sprechfunkempfänger ein und wählte den Kanal der Zentrale des Überwachungsbezirks Südost. Susan lehnte sich an mich, und ich fuhr langsam weiter, Richtung Valley Stream, wo sie wohnte. Zwar wollte ich diese Nacht allein schlafen, doch ich hatte sie gern noch ein Weilchen ganz in meiner Nähe.
Leider erfüllte sich ihre Hoffnung auf etwas Aufregendes nicht. In den nächsten Minuten wurden lediglich die Nummern der in den letzten vierundzwanzig Stunden gestohlenen Autos aus New York und New Jersey sowie aus den Vororten dieser Städte durchgegeben. Mit einem Ohr hörte ich zu.
Dann kam aus einer Seitenstraße der grüne Pontiac Station, schwenkte dicht vor uns in meine Fahrtrichtung und fuhr vor mir her. Es war ein neuer Typ. Im Licht meiner Scheinwerfer glänzte der Lack wie frisch gewaschen. Auch das hintere Nummernschild war klar abzulesen. Etwas in meinem Gehirn erinnerte sich. So etwas gewöhnt man sich in langjähriger Routine an. Ohne mir eine der durchgesagten Nummern speziell gemerkt zu haben, wusste ich plötzlich, dass der Pontiac eines der gesuchten Fahrzeuge war.
»He, Su«, sagte ich, »vielleicht kommst du doch noch auf deine Kosten. Die Karre da vorne ist geklaut.«
»Bist du dir sicher?«, fragte Susan elektrisiert. Sie kam aus der Tiefe ihres Sitzes hoch. »Du, fahr mal näher ran.«
»Okay, Honey.« Ich gab etwas Gas und verkleinerte den Abstand, den ich nach dem Auftauchen des Wagens auf etwa dreißig Yards hatte anwachsen lassen. Wir rückten auf. Obwohl ich abgeblendet hatte, leuchteten die Halogenscheinwerfer meines roten Flitzers durch die breite Heckscheibe ins Innere des Kombiwagens.
»Du, Jerry, hauen die sich da drin?« Sue wies mit dem Finger nach vorn. »Die müssen ja voll sein bis zum Rand, wenn sie sich im Auto balgen. Überhol sie und stoppe sie, ja? Ich möchte dich so gerne mal als G-man sehen. Autodiebe müssen verhaftet werden, oder?«
»Mal sehen.« Ich rückte noch näher auf. Zwar fühlte ich keinerlei Bedürfnis, mich an einem freien Abend mit Autodieben herumzuschlagen. Das war Sache der City Police. Die Vorgänge in dem Station erschienen mir dennoch beachtenswert. »Da findet ein Kampf statt.«
Deutlich war zu erkennen, wie ein Mann auf einen anderen einschlug, der sich verzweifelt zu schützen suchte und augenscheinlich um Hilfe rief.
»Jerry«, sagte Sue atemlos vor Spannung, »was machen die da?«
Ich antwortete nicht, scherte nach links aus und setzte mich auf wenige Yards schräg hinter den Pontiac. Das Streulicht meiner Scheinwerfer genügte, um mich das verzweifelte Ringen des einen Mannes klar erkennen zu lassen.
»Sieht fast wie eine Entführung aus.«
Ich griff gewohnheitsmäßig links an den Hosenbund und wusste gleichzeitig, dass ich meinen Revolver zu Hause gelassen hatte. Auch als G-man will man nicht dauernd mit der Kanone herumlaufen.
»Oh, Jerry, ist das aufregend. Sind das richtige Gangster?«
»Wahrscheinlich sind sie nicht von der Heilsarmee«, antwortete ich gegen die Windschutzscheibe.
In aller Eile überlegte ich, welche Möglichkeiten des Eingreifens mir ohne Waffe blieben. Ich würde zwei Mann gegen mich haben, die höchstwahrscheinlich bewaffnet waren. Tapferkeit in allen Ehren, aber da wollte ich lieber Verstärkung herbeirufen.
Gerade wollte ich den Fuß vom Gas nehmen, um wieder auf Abstand zu gehen und per Funk die Patrol Cars der City Police zu alarmieren, als drüben im Station etwas Ungeheuerliches geschah.
Der Mann, der sich offenbar befreien wollte, warf sich herüber zur linken hinteren Tür. Mein Fuß schnellte vom Gas auf das Bremspedal. Nun drehte sich drüben der Fahrer um. Ich sah den Revolver in seiner Rechten. Dreimal blitzte die Waffe auf.
Dann ging alles sehr schnell.
Der Station kam nach rechts aus der Spur und streifte einen am Straßenrand geparkten Wagen. Ich bremste mit kreischenden Reifen und hielt mit dem rechten Arm Sue, damit sie nicht gegen das Armaturenbrett flog.
»Jerry, pass auf!«, schrie sie erschrocken.
»Bin schon dabei.«
Mein Jaguar blieb mit einem Ruck stehen. Gespannt starrte ich nach vorn, während ich das Mikrofon des Sprechfunkgeräts aus der Halterung zog. Der Pontiac wurde nach links gerissen und dabei übersteuert. Er prallte gegen einen anderen Wagen, schleuderte wieder nach rechts, schlug mit dem Heck gegen einen dritten und blieb quer auf der Straße stehen. Ich nutzte die Sekunden, die mir bis zum zwangsläufigen Handeln blieben.
»Unterbrechung«, sagte ich in das pausenlose Quäken der Funkdurchsagen, »Unterbrechung, Gefahrenfall, höchste Dringlichkeitsstufe. Bitte um sofortige Funkstille.«
Die Wirkung trat nach wenigen Sekunden ein. Die Cops von New York wissen, dass ein Kollege nur bei akuter Gefahr einfach dazwischenspricht.
»Zentrale hört«, tönte es aus dem kleinen Lautsprecher an der Mittelkonsole.
»Hier spricht Cotton vom FBI. Befinde mich in Woodmere, Chestnut Street, Fahrtrichtung Ost. Beobachte als gestohlen gemeldeten Pontiac Station.« Ich gab die Nummer durch, die ich mir nun gemerkt hatte. »Im Fahrzeug Kampf zwischen zwei Männern, dann wurde ein Mann erschossen. Anschließend Unfall. Fahrzeug steht. Kommen Sie schnell.«
»Verstanden, Cotton.« Der Zentralesprecher reagierte verteufelt schnell. »Bleiben Sie auf Empfang, ich sende die Ihrem Standort nächsten Patrol Cars.«
Es folgten die Anrufe an drei Streifen.
Ich hörte mit und beobachtete das Fahrzeug vor mir. Mit einem raschen Griff schaltete ich meine Scheinwerfer aus und fuhr schräg auf den Gehsteig in Deckung hinter ein geparktes Auto.
»Steig aus und versteck dich«, befahl ich Susan. »Es kann brenzlig werden.«
»Ja, willst du denn nicht bei mir bleiben?« Diesmal klang in ihrer Stimme echte Angst. »Du kannst mich doch jetzt nicht allein lassen, hier bei Nacht, unter Gangstern und Mördern.« Sie schlang die Arme um meinen Hals und kuschelte sich an mich.
»Ich bin ein G-man, Darling«, sagte ich und machte sie behutsam von mir los. »Da vorn haben sie einen umgelegt. Ich muss sehen, ob ich einen von ihnen fassen oder wenigstens erkennen kann. Aber ich pass auf, Goldstück, sei ganz beruhigt. Und jetzt steig schön aus, und versteck dich da drüben in dem Garten, ja?«
Ich schob sie aus der Tür. Dann griff ich mir die lange Stablampe aus der Halterung an der Konsole und schwang mich selbst aus dem Wagen.
Seit dem Unfall war noch keine Minute vergangen.
Ich eilte auf die gegenüberliegende Straßenseite, tauchte in das schützende Dunkel eines Grundstücks und pirschte mich hinter Bäumen und Sträuchern rasch nach vorn.
Am Pontiac entstand Bewegung. Der Fahrer öffnete mit wuchtigen Fußtritten die offenbar durch den Anprall verklemmte Tür. Sie flog auf und streute einen Regen von Glasstücken auf die Straße. Zufällig stand der Station nahe einer der wenigen Straßenleuchten, sodass ich den Mann einigermaßen genau zu sehen vermochte.
Mittelgroß, schlank, nicht mehr ganz jung, notierte ich in Gedanken. Vorsichtig schlich ich näher zur Straße. Unbewaffnet einzugreifen, war sinnlos. Ebenso gut konnte ich mich gleich als Zielscheibe anbieten. Der Fahrer hatte einen der beiden anderen niedergeschossen. Er würde nicht zögern, mit mir ebenso zu verfahren.
Der Mörder packte den Griff der linken hinteren Tür und riss sie auf. Heraus fiel ein lebloser Körper. Hinterher sprang ein zweiter Mann. Ich registrierte ihn als jünger und im Vergleich zu seinem Komplizen größer. Beide trugen keine Hüte, sodass ich die Haarfarbe des Fahrers als mittelblond, den anderen als dunkelhaarig erkannte.
»Verdammter Mist«, zischte der Fahrer, »bist du okay?«
»Sicher, wo sind die mit der roten Karre?«, gab der andere zurück. »Mann, die haben gesehen, wie du ...«
»Halt’s Maul, die müssen ganz in der Nähe sein.« In der Hand des Fahrers erschien ein Revolver. »Sie wissen zu viel. Wir legen sie um.«
»Okay.«
Auch der andere zog eine Waffe. Suchend blickten sie sich um. Das Heck meines Jaguar ragte deutlich hinter dem Wagen heraus, den ich als Deckung benutzte. Sie mussten es unbedingt sehen. Susan hatte sich hoffentlich versteckt, aber was würde sie tun, wenn sie die Killer in ihrer Nähe bemerkte? Würde sie die Nerven behalten und sich still verhalten? Falls nicht, war ihr Leben keinen Cent mehr wert. Die Gangster würden sie ermorden, um eine gefährliche Zeugin zu beseitigen.
So weit durfte es nicht kommen.
Ich klemmte rasch die Stablampe in die Astgabel eines Strauchs und richtete sie auf den Pontiac. Dann schaltete ich sie ein und warf mich drei Schritte entfernt zu Boden.
»FBI!«, brüllte ich, so laut ich konnte. »Sie sind festgenommen. Waffen fallen lassen, Hände hoch!«
Die beiden Gangster blieben wie angewurzelt stehen, fuhren herum und gingen wie ein Mann in Combatanschlag. Augenscheinlich waren sie geübte Schützen.
In der nächsten Sekunde ballerten sie los. Ich sah ihre Waffen Flämmchen spucken. Immerhin befand ich mich nicht weiter als fünfzehn Yards von ihnen entfernt. Von den Zweigen der Büsche, hinter denen ich lag, prallten jaulend Querschläger ab. Meine Lampe wurde getroffen und verlöschte mit einem klirrenden Schlag. Hätte ich sie stehend in der Hand behalten, wiese mein guter dunkelblauer Anzug jetzt ein paar hässliche Löcher auf.
Ich behielt die Killer scharf im Auge. Falls sie auf den Gedanken verfielen nachzusehen, ob sie mich getroffen hatten, blieb mir nur die Flucht in den tiefdunklen hinteren Teil des Gartens. Aber so weit kam es glücklicherweise nicht.
Auf dem gegenüberliegenden Grundstück flammten mehrere Lampen auf. Die Bewohner mussten die Knallerei gehört haben und schalteten nun die Gartenbeleuchtung ein. Gleich danach schlug laut ein Hund an.
Die Gangster waren für ein paar Sekunden sichtlich unschlüssig. Dann machte der Kleinere eine Kopfbewegung die Straße entlang. Im nächsten Moment spurteten sie los.
Ich sprang auf, um ihnen zu folgen. Obwohl ich dabei als Unbewaffneter Gefahr lief, wollte ich sie in Sichtweite zu behalten versuchen. Vielleicht erschien endlich eine Streife, der ich mich anschließen konnte.
Als ich auf den Gehsteig rannte, sah ich, wie sich der am Boden liegende Mann schwach bewegte. Das änderte meinen Entschluss. Keinesfalls durfte ich den Schwerverletzten liegen lassen, solange er noch Hilfe benötigte.
Ich trat zu ihm, ging in die Hocke und sah ihn mir an. Der Mann lag auf dem Gesicht. Er trug einen seidenen Hausmantel und Pyjamahosen. Die Füße waren nackt. Also hatten ihn die Killer aus seiner Wohnung geholt. Auf dem Rücken bemerkte ich drei schwach blutende Einschüsse. Die Kugeln mussten ihm in die Lungen gedrungen sein. Er lebte noch.
Ich fasste unter seine Schulter und drehte ihn herum. Sein Gesicht war das eines Sterbenden. Bei jedem der schwachen Atemzüge trat blutiger Schaum über die Lippen des Mannes. Ich schätzte sein Alter auf Ende dreißig. Er war ein nicht übel aussehender Bursche, im Großen und Ganzen schien mir sein Gesicht auf Intelligenz und Weichheit des Charakters hinzudeuten.
»Wer hat das getan?«, fragte ich langsam und deutlich. »Ich bin Agent Cotton. Wir werden Sie gleich ins Hospital bringen.«
Die halb geschlossenen Lider flatterten, gingen dann langsam hoch. Die Augen schienen herumzusuchen und blieben an meinem Gesicht haften. Ich beugte mich nieder und näherte das Ohr dem Mund des Opfers.
»Repman hat ...«, vernahm ich leise, aber deutlich.
Dann noch ein letzter keuchender Atemzug. Der Mann war tot.
Ich nahm seine Arme und schleifte ihn vorsichtig von der Straße. Von dem erleuchteten Grundstück erschienen ein paar Leute. Sie umringten mich mit misstrauischen Gesichtern.
»Was, zum Teufel, ist hier los?«, fragte ein Mann. Er trug einen geblümten Bademantel und nicht zugeschnürte Schuhe.
»Man muss die Polizei rufen«, sagte eine ältliche und viel zu magere Frau schrill. »Diese Gewalttaten nehmen immer mehr zu.«
»Was sind Sie denn überhaupt für einer?«, wollte ein Dritter wissen. Sein Schäferhund, den er an der Leine führte, schnüffelte an den nackten Füßen des Toten und begann, das Blut von der Straße aufzulecken.
»Genügt das?«
Ich hielt den Leuten meine ID Card hin, die ich stets bei mir trage. Das FBI genießt bei den meisten Menschen in den Staaten Achtung, und das kann mitunter von Nutzen sein, wenn man auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen ist.
»Haben Sie den umgelegt?«, fragte ein etwa zehnjähriger Junge, der gerade in vollem Lauf zu der Gruppe gestoßen war.
»Nein«, sagte ich, »aber Sie gehen besser wieder rein. Die Mörder sind noch nicht lange weg. Vielleicht kommen sie zurück.«
Das wirkte. Die Schaulustigen verschwanden ziemlich plötzlich. Ich blieb allein mit der Leiche zurück.