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Eines Nachts kamen sie in unsere Stadt. Auch ich, G-man Jerry Cotton, gehörte zu ihren Todeskandidaten. Aber bei mir gingen sie auf Nummer sicher: Sie setzten ihre neue, teuflische Waffe ein. Das Haus, in dem sie mich schließlich erwischten, verging in einem Inferno aus Hitze und Feuer, und ich lag unter den rauchenden Trümmern. Mir war, als hätten die Kerle mich geradewegs in die Hölle katapultiert. Ich überlebte wie durch ein Wunder. Und dann machte ich dieser Mörderbrut die Hölle heiß ...
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Seitenzahl: 163
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Die Mörderbrut
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Mauro Rodrigues / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0561-5
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Die Mörderbrut
Eines Nachts kamen sie in unsere Stadt. Auch ich, G-man Jerry Cotton, gehörte zu ihren Todeskandidaten. Aber bei mir gingen sie auf Nummer sicher: Sie setzten ihre neue, teuflische Waffe ein. Das Haus, in dem sie mich schließlich erwischten, verging in einem Inferno aus Hitze und Feuer, und ich lag unter den rauchenden Trümmern. Mir war, als hätten die Kerle mich geradewegs in die Hölle katapultiert. Ich überlebte wie durch ein Wunder. Und dann machte ich dieser Mörderbrut die Hölle heiß ...
1
»Es ist jetzt«, die Frau schaute auf eine moderne Quarzuhr, die ebenso wenig billig war wie sie selbst, »zwei Uhr vierzehn. Wenn du bis sieben bei mir bleibst, ist das ’ne ganze Nacht, oder?«
Der abenteuerlustige, wenn auch geizige Gesprächspartner wollte etwas antworten, aber er kam nicht mehr dazu.
Ganz in der Nähe brüllte ein starker Motor auf.
Mit kreischenden Pneus raste ein Wagen los.
Die Frau kreischte, schriller noch als die Reifen.
Das Auto schoss auf die Kreuzung zu. Bei Rotlicht.
Das andere Fahrzeug, das sich schon dort befand, hatte Grün gehabt.
Doch das half ihm nichts.
Der Rotlichtfahrer raste auf den anderen zu, ungebremst, mit voller Fahrt.
Es kam, wie es kommen musste. Mit einem explosionsartigen Knall krachten die beiden Wagen ineinander.
Ein menschlicher Körper wirbelte durch die Luft, schmetterte auf das Straßenpflaster.
Das Auto, in dem dieser Mensch gesessen haben musste, war umgestürzt und schlitterte auf dem Dach quer über die Kreuzung, prallte gegen einen Ampelmast, riss ihn aus der Verankerung.
Der andere Wagen fuhr weiter.
Einfach so.
Er hätte nach menschlichem Ermessen ebenfalls völlig zertrümmert sein müssen, doch er raste mit dröhnendem Motor davon. Die Rücklichter verschwanden in der Straßenschlucht. Die Frau mit der Quarzuhr kreischte noch einmal. Dann lief sie zu der leblosen Gestalt in der Kreuzungsmitte.
»Exitus!«, sagte die Frau zu dem Polizisten.
»Halt deine – was?«
»Exitus!«, wiederholte die Frau mit der Quarzuhr. »Er ist tot, verstehst du mich jetzt, Cop?«
»Mensch, du redest ... Hau ab hier. Nein, bleib ... du ...« Er war Revierbeamter und wusste, wer die Frau war. Er war völlig konfus, er wusste jedoch, dass er die Frau als Zeugin brauchte, und schließlich war er froh, als er die weiß gekleidete Gestalt heranlaufen sah.
Dem Weißkittel folgten zwei Männer in weißen Anzügen. Sie trugen eine Bahre.
»Lassen Sie einen Blechsarg holen, Doc«, sagte die Frau mit der Quarzuhr zu dem Mann im weißen Kittel. »Ex. Doppelte Schädelfraktur, offen, außerdem ...«
Sie sagte es in Latein.
Der Doc ahnte, was die Frau war. »Sie verstehen etwas davon?«
Sie gab keine Antwort, sondern wandte sich an den Polizisten. »Es war ein dunkler ...« Sie unterbrach sich und überlegte. »Ein Ford könnte es gewesen sein, aber genau kann ich es nicht sagen. Irgendetwas war an dem Fahrzeug, das einfach nicht stimmt ...«
»Wo ist er?«, fragte der Cop.
»Weggefahren«, sagte sie, »weggefahren, als wäre ...«
»Bist du besoffen, Girlie? Weggefahren? Nach diesem Unfall? Das müsste ein Panzer gewesen sein, ein Sherman oder ...«
»Er ist abgehauen, Cop!«
Der Uniformierte schaute sich um. »Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte er.
»Verständigen Sie das Unfallkommando und die Mordabteilung«, verlangte der Arzt.
»Unfallkommando ist verständigt«, erwiderte der Reviercop.
Er stampfte davon. Tödlicher Verkehrsunfall mit Fahrerflucht ist Sache der Mordkommission.
»Ihre Feststellungen waren richtig«, sagte der Arzt zu der Frau. »Darf ich fragen, was ... ich meine, wieso ...?«
Sie schaute ihn direkt an. »Beinahe wäre ich auch Ärztin geworden. Beinahe. Zwei Monate vor dem letzten Examen merkte ich, dass mich der Chefarzt, bei dem ich das Praktikum gemacht habe, geschwängert hatte. Er brachte die Sache wieder in Ordnung, aber ein lieber Kollege hat’s verpfiffen. Der Chefarzt beging Selbstmord, der liebe Kollege ist jetzt Chef, und ich geh’ auf den Strich. Zufrieden?«
Der Unfallarzt lief feuerrot an und drehte sich um.
Dafür kam der Cop zurück. »Dein Glück, dass du nicht abgehauen bist, Puppe«, murmelte er.
»Dieser Satz kommt ins Protokoll, Cop – andernfalls hast du eine Tatzeugin gehabt, verstanden?«
»Tatzeugin?«
»Ja. Das war nämlich ein eiskalter Mord, Cop. Also, was ist mit dem Satz?«
»Okay, ich nehme ihn zurück!«
Ein zweiter Cop trat dazu. »Is’n los?«, wollte er wissen.
»Nichts«, sagte der erste. »Das heißt, die Ma’am ist ...«
»Die ...«
Der zweite Cop war ebenfalls vom Revier, und er kannte die Frau mit der Quarzuhr ebenfalls sehr gut.
»Ma’am!«, versetzte der erste Cop mit Betonung.
Cop zwei merkte, dass es ernst war. Er sagte nichts mehr.
»... ist eine wichtige Zeugin!«, wiederholte sein Kollege.
Immer mehr Menschen strömten am Unfallort zusammen.
Scheinwerfer flammten auf. Die Nacht an dieser Stelle von Greenwich Village wurde zum Tag.
Die grässliche Szene wurde nicht schöner.
Im Gegenteil.
»Sallie Overman«, wiederholte Lieutenant Wesley, der Leiter der Mordkommission III, den Namen, den ihm der Cop mitgeteilt hatte.
»Ich habe vorhin gehört, was sie dem Notarzt gesagt hat. Sie wollte selbst Ärztin werden, wurde aber in einen Abtreibungsskandal verwickelt. Na ja, wie es dann eben so geht«, sagte der Cop tiefsinnig.
»Sie hat recht«, erwiderte Wesley nachdenklich. »Alles deutet auf einen raffinierten Mord hin. Keine Bremsspuren, dafür zwei Gummiabriebspuren, die auf äußerste Beschleunigung hindeuten.«
Einer seiner Spurensicherungsleute kam hinzu.
»Nicht nur das«, sagte der. »Diese Spuren und dazu die völlige Zerstörung des Fahrzeugs deuten darauf hin, dass das andere beteiligte Fahrzeug wirklich nur als Panzer fungiert hat.«
»Hä?«, fragte eine Stimme aus dem Hintergrund.
Frazer war das.
Frazer vom New York Star, der einzigen Zeitung, die – laut Eigenwerbung – schneller war als das Fernsehen.
»Ach du lieber Gott«, murmelte Wesley.
Frazer arbeitete sich mit den Ellenbogen durch die Polizisten. »Panzer?«, fragte er.
»Wir sprachen nur von der Wucht des Anpralls«, wiegelte Wesley ab.
»Klar«, sagte Frazer und grinste. »Und sonst?«
»Nichts«, winkte Wesley ab. »Verkehrsunfall wie tausend andere. Fahrerflucht.«
»Die Frau sagt etwas anderes«, gab Frazer zu bedenken.
»Klar«, sagte Wesley. »Versuch, ein Aktfoto von ihr zu bekommen. Das auf die erste Seite, ein Foto vom Autowrack dazu. Sex and Crime bringt doch Auflage, was?«
»Gute Idee.« Frazer nickte. »Neben das Aktfoto ein Bild von Ihnen, Lieutenant. Das haben wir sogar im Archiv ...« Er bahnte sich wieder einen Weg.
»Ein Glück, dass er bald Redaktionsschluss hat«, sagte Wesley aufatmend. »Wo sind denn nun die Personalien von dem Toten?«
»Hier«, antwortete sein zweiter Mann. »Ich habe nur gewartet, bis Frazer weg war.«
»Warum? Etwas Besonderes?«
»Ja«, sagte der junge Lieutenant, der als Assistent von Wesley das Handwerk eines Mordkommissionsleiters erlernen sollte. »Der Mann heißt Matthew Blondell. Ich habe routinemäßig beim Erkennungsdienst zurückgefragt. Und da habe ich eine merkwürdige Auskunft erhalten. Der Mann hat einen Karteivermerk.« Er machte eine bedeutsame Pause.
»Rede schon«, spornte Wesley ihn an.
»Im Fall besonderer Vorkommnisse ist das FBI zu benachrichtigen.«
»Was soll das denn?«, wunderte sich der Lieutenant.
»Für dich«, sagte mein Freund, Kollege und Schreibtischmitbewohner Phil und gab dem Telefon auf dem drehbaren Scherenarm einen solchen Stoß, dass das Ding mit Vehemenz zu mir herübersegelte.
Es war Washington.
Am frühen Morgen Washington. Der Tag fing gut an.
Washington am Telefon bedeutet immer eine Menge Arbeit. Meistens müssen uralte Akten gewälzt werden.
»Jerry, hier spricht Miller.« Miller, den ich seit einer halben Ewigkeit kenne, leitet ein Sonderdezernat bei unserer Zentrale in Washington.
Noch schlechter für mich. Sonderdezernat ist immer schlecht.
»Good morning«, knurrte ich.
»Ich informiere Sie vorab, ehe ich das amtliche Telex losschicke. Sie müssen sich um einen Verkehrsunfall kümmern.«
»Fein«, sagte ich. »Als ich in meiner frühen Jugend von dem Gedanken, Lokomotivführer werden zu wollen, Abstand genommen hatte, träumte ich vom Verkehrsunfallkommando.«
»Na also«, erwiderte Miller zufrieden. »Der Unfall war heute Nacht in Greenwich Village, New York.«
»Wir haben eine City Police«, erinnerte ich ihn.
»Schön für Sie«, konterte er. »Das Unfallopfer – aber wahrscheinlich handelt es sich nicht um einen Unfall, sondern um einen Mord – heißt Matthew Blondell. Doch das ist ein behördlich genehmigter, bis zu diesem Moment geheim behandelter Deckname.«
»So was«, wunderte ich mich.
Das heißt, ich wunderte mich eigentlich nicht, denn so was gibt es. Ich tat nur so, als wunderte ich mich, weil mich die Sache noch nicht besonders interessierte.
»In Wirklichkeit heißt der Mann ...«
Spannend wie ein Columbo-Krimi, dachte ich.
»... Nathaniel Blei.«
Columbo hat wenigstens einen zerknautschten Regenmantel ...
Weiter kam ich nicht.
Plötzlich riss es mich vom Stuhl hoch, und ich umklammerte mit beiden Händen den Telefonhörer.
Nur der volle Name Nathaniel hatte mich im ersten Moment irritiert.
Wer bei uns den schönen Namen Nathaniel trägt, benutzt ihn normalerweise nicht.
Genauso wenig wie den Namen Jeremias. Wer das zu mir sagt, verdirbt’s sich mit mir.
Und so wie man zu einem Jeremias Jerry sagt, so sagt man zu einem Nathaniel Nat.
Nat Blei.
»Sie sind ...«
Nein, als verrückt konnte ich Miller am Telefon nicht bezeichnen.
Er tat es selbst und lachte.
»Nein, nicht verrückt«, sagte er. »Wir hatten unsere Gründe dafür, eine gewisse Zusammenarbeit mit Mister Blei zu pflegen und ihm die Führung eines Decknamens zu erlauben.«
»Nein«, flüsterte ich.
»Doch. Bitte, Jerry, setzen Sie sich ...«
»Kann man etwas über die gewisse Zusammenarbeit und die Gründe erfahren, die ...?«
»Nein«, sagte er knapp. »Aber ich stelle anheim, gewisse Schlüsse zu ziehen.«
Gewisse Schlüsse.
Klar. Nat Blei war vor etlichen Jahren Gastwirt gewesen. Spezialität: mexikanische Bohnensuppe.
Sein Lokal war eine Goldgrube gewesen.
Bis eines Tages blaue Bohnen zwischen den mexikanischen Bohnen herumsurrten. Nat Blei war im Visier von Gangstern gewesen. Angeblich.
In Wirklichkeit war er selbst einer gewesen. Er hatte versucht, dabei eifrig unterstützt von seinem Gangsterboss, geheime Unterlagen an eine, wie man so schön sagt, fremde Macht auszuliefern.
Nicht bei uns hier, in Manhattan, sondern drüben in Germany. In Berlin.
Und wir beziehungsweise ich ganz persönlich hatte ihm dabei noch Geleitschutz gegeben.
Bis ich im buchstäblich allerletzten Moment endlich gemerkt hatte, was gespielt wurde.
Wie in einem Film lief vor dem berühmten geistigen Auge die entscheidende Szene noch einmal ab: S-Bahn-Zug in Berlin, Nat Blei, schon im Schutz von zwei Ledermantelmännern der anderen Seite. Und ich. Notbremse. Draußen Stacheldraht, Grenze zwischen Ost und West. Fahrtrichtung Osten.
Nahkampf mit den beiden Ledermantelmännern.
Und dann nichts wie raus aus dem Zug, zusammen mit Blei, unmittelbar vor der Grenze ...
»Jerry!«
Ach so, ja, Washington war noch in der Leitung.
»Setzen Sie sich mal mit der New York City Police in Verbindung, Mordabteilung Manhattan West, Mordkommission III, Lieutenant Wesley«, wiederholte Miller. »Ich vermute nämlich, dass ... aber das sagte ich schon. Möglicherweise Mord. Bericht an mich direkt, okay?«
»Okay«, bestätigte ich.
»Nat Blei?«, fragte Phil, und er machte dazu ein Gesicht wie der dicke Cannon, wenn er Haferflockensuppe essen muss.
»Ja, Nat Blei!«
»Der mit der Bohnensuppe?«
»Der mit der Bohnensuppe!«
»Mensch!«, sagte Phil. »Ich denke, der sitzt?«
»Dachte ich auch«, erwiderte ich.
Ich wählte die Nummer der Zentrale.
Myrnas Mitternachtsstimme erfreute mich.
»Gib mir mal Washington, Myrna-Darling«, sagte ich. »Justizministerium. Zentralkartei Strafvollstreckung.«
»Dauert etwa zwei Minuten, Jerry. Ich rufe wieder an«, sagte sie, und sie sagte es mit ihrer dunkel vibrierenden Stimme so, als würde sie etwas ganz anderes sagen.
»Wie viel hat er damals bekommen?«, fragte Phil.
»Zehn Jahre«, antwortete ich. »Wegen Bandenverbrechens. Aus irgendwelchen Gründen ließ man die Sache mit den Geheimpapieren und allem, was damit zusammenhing, unter den Tisch fallen.«
Er wollte etwas sagen, aber es klingelte auf meinem Apparat. Myrna hatte keine zwei Minuten gebraucht.
»FBI New York, Special Agent Cotton. Ich habe eine dringende dienstliche Anfrage. Würden Sie zurück...«
»Schon überprüft, Sie können fragen.«
Ich bedankte mich. »Erstens, Blei, Nathaniel ...«
Kein Computer hätte so schnell antworten können wie der Mann in Washington im Justizministerium.
»Keine Eintragung Blei, Nathaniel«, sagte er.
»Würden Sie vielleicht doch mal ...?«
»Keine Eintragung. Wir haben diesen Namen heute schon aufgrund einer anderen Nachfrage überprüft.«
»Miller von der FBI-Zentrale?«
»Ja«, kam die Antwort.
»Okay«, sagte ich. »Zweitens, Gelati, Umberto ...«
Ich bekam Herzklopfen, als ich diesen Namen nannte. »Moment!«
»Du hast ja ’ne Meise!«, sagte mein Freund Phil. »Mister Icecream sitzt für die nächsten hundert Jahre!«
Mr. Icecream, richtig.
»Gelati« ist bekanntlich das italienische Wort für »Speiseeis«, also Icecream.
Icecream ist ein ebenso typischer amerikanischer Begriff wie etwa Hamburger oder Hotdog. Kein Mensch in Amerika würde zu Icecream Gelati sagen.
Auch dann nicht, wenn es kein Icecream zum Schlecken, sondern ein Mr. Icecream ist.
Ganz folgerichtig hieß Umberto Gelati, US-Amerikaner italienischer Abkunft, auf amerikanisch schlicht und einfach Hump Icecream. Das war sein Spitzname.
Und Hump Icecream alias Gelati musste nach menschlichem Ermessen sitzen. Nur, ich kannte Icecream. Dem war alles zuzutrauen. Alles.
»Hören Sie?«
»Ja?«
»Gelati?«
Ich hörte buchstäblich das Fragezeichen.
Nein, ich hörte es nicht nur, ich spürte es sogar körperlich.
»Gelati!«, wiederholte ich und schlug ihm gewissermaßen das Ausrufezeichen um die Ohren. »Gelati! Vorname Umberto! Spitzname Icecream, amerikanischer Vorname Hump!«
»Schon verstanden«, gab er zurück. »Sorry, aber einen Häftling solchen Namens gibt es zurzeit in keiner Haftanstalt der Vereinigten Staaten.«
Erst einmal blieb mir die Luft weg.
Ich erinnerte mich an die Szene im Gerichtssaal.
Gelati mit allen seinen Leuten, diesen eiskalten, gerissenen Gangstern.
»Es werden verurteilt: Umberto Gelati wegen Bandenverbrechens in seiner Eigenschaft als Anführer einer kriminellen Vereinigung sowie wegen ...«
Der Richter hatte fast den ganzen Schwerverbrechensteil unseres Strafgesetzes zitieren müssen.
»... zu zweimal neunundneunzig Jahren Freiheitsentzug!«
Aus für Hump Icecream.
Aus?
»... mir leid, dass ich Ihnen keine andere Auskunft geben kann, Agent Cotton«, sagte mir die Stimme des Mannes in Washington ins Ohr. »Haben Sie noch etwas?«
»Nein«, sagte ich. »Das heißt, doch!«
»Bitte?«
»Wenn Sie den Justizminister sehen«, antwortete ich, »sagen Sie ihm einen schönen Gruß: Mich laust der Affe!«
2
Ich schnupperte.
»Miese Klimaanlage«, sagte Phil und schnüffelte ebenfalls.
Es ist ja hinlänglich bekannt, dass Phil prinzipiell etwas gegen Klimaanlagen hat. Gut findet er keine.
Mir ging es hier jedoch nicht um die Klimaanlage, sondern um den Essensgeruch, der überall in diesen Räumen hing.
Wir standen zusammen mit Lieutenant Wesley in dem Speiselokal mit dem biederen Namen »Farmers Restaurant«.
»Spezialität: mexikanische Bohnensuppe«, stellte ich fest.
Wesley schüttelte den Kopf. »Nein, aber beinahe. Spezialität dieses Restaurants ist beziehungsweise war Chili con Carne, ein, wie ich inzwischen weiß, exzellentes Gericht aus scharf gewürztem Fleisch und weißen Bohnen.«
»Eben«, sagte ich. »An diesen Bohnen ist Nat Blei vermutlich gestorben ...«
Wesley schaute mich fragend an.
»Sorry, Matthew Blondell meinetwegen. Das heißt, ich bleibe lieber bei dem Namen Nat Blei.«
Natürlich hatte ich dem Lieutenant schon gesagt, was mir inzwischen mitgeteilt worden war. Niemand hatte mich zur Verschwiegenheit verpflichtet. Nachdem Blei tot war, spielte der Tarnname ohnehin keine Rolle mehr.
»Früher hatte Nat Blei ein Speiselokal mit dem Namen ›Ranchers Bar‹. Seine Spezialität war mexikanische Bohnensuppe. Unter seinem neuen Namen hat er als Bezeichnung für das Lokal eben ›Farmers Restaurant‹ gewählt, und aus den Bohnen hat er keine Suppe mehr gemacht, sondern ein etwas dickeres Eintopfgericht.«
»Viel Fantasie hat er bei der Änderung nicht aufgebracht«, kritisierte Phil.
»Daran ist er vermutlich auch gestorben«, meinte ich. »Er hat seinen Namen gewechselt, aber er ist eben doch der alte Nat Blei geblieben.«
»Sein Mörder hat ihn erkannt«, sagte der Lieutenant tiefsinnig. »Nun müssten wir auch den Mörder erkennen.«
»Ich glaube, ihn zu kennen!«
Wesley schaute mich groß an, Phil nickte zustimmend.
»Mister Icecream!«, fuhr ich fort. »Okay, Lieutenant, es ist unser Fall. Sie können froh sein, ihn vom Hals zu haben.«
Er lächelte. »Ich habe noch ein paar Fälle, die ich Ihnen gern abgeben würde.«
Wir verließen das Lokal und schickten uns an, die Siegel an den Türen, die von der Kriminalabteilung der City Police stammten, durch FBI-Siegel zu ersetzen.
Es war reiner Zufall, dass ich einen Blick auf die Straße warf.
Ich sah den riesigen 73er Dodge Polara, der sich in diesem Moment aus der Reihe parkender Fahrzeuge löste.
Der Mann am Steuer sah mich auch.
Irgendetwas in seiner Reaktion bewies mir, dass er mich erkannte.
Ich erkannte ihn ebenfalls. Einer der Gelati-Gangster von damals.
Der Polara raste los, rücksichtslos in die Reihe fahrender Wagen hinein, ein wildes Hupkonzert und das Kreischen hart abgebremster Pneus begleiteten seine halsbrecherische Aktion.
E schoss schräg durch die Kolonne hindurch, hinüber auf die linke Fahrbahnseite, die im Moment völlig frei war, weil der Gegenverkehr an der nächsten Kreuzung wohl durch eine rot leuchtende Ampel blockiert wurde.
»Phil, schnell!«, sagte ich hastig. »Lieutenant, erledigen Sie das mit den Siegeln! Sie hören von mir ...«
Wir bahnten uns einen Weg durch schimpfende Passanten, ich konnte jedoch keine Rücksicht nehmen.
Auch nicht, als wir im Jaguar saßen.
Motor an, Gang rein, Gas, Blinker links.
Phil schaltete Warnlicht und Sirene ein.
Wir schossen aus der Parkreihe heraus, und ich schaffte es gerade noch, an der gewaltigen Schnauze eines Ferntransporters vorbeizuhuschen, dessen Fahrer mich sofort mit wütenden Lichtzeichen aus seinen Fernscheinwerfern beschimpfte.
Rüber nach links.
Doch ich hatte weniger Glück als der Fahrer des Dodge.
Die Ampel an der nächsten Kreuzung hatte inzwischen der aufgestauten Kolonne freie Fahrt gegeben.
Wie ein Moloch wälzte sie sich mir in zwei Reihen entgegen.
Ich riss das Steuer nach rechts, so heftig, dass Phil gegen seine Tür prallte und sich am Haltegriff festklammern musste.
Wieder ging es nur um eine Handbreit gut.
Phil hängte das Funkmikrofon aus. Es war klar, dass er eine Fahndung durchgeben wollte, denn unsere Aussicht, den Dodge zu erwischen, war sehr gering.
»Keine Fahndung«, sagte ich, »nur Ermittlung und Beobachtung. Dodge Polara, Modell dreiundsiebzig, beige mit schokoladenfarbenem Dach ...«
»Die spinnen!«, sagte Phil. »Damals hatten sie auch diesen Hershey-Look auf dem Dach!«
Hershey, das ist eine bekannte Schokoladen- und Schokoladensirup-Marke.
»... Kennzeichen New Yorker Lizenz, also blau mit gelber Schrift, mit den Endzahlen sieben-vier, sonst unbekannt ...«
Er gab die Meldung durch.
»Warum brauchen wir nicht zu erwähnen, dass er vermutlich ein polizeibekannter Gangster ist?«
»Weil ich ihn nicht festnehmen lassen will«, antwortete ich. »Er soll mich zu Gelati führen.«
»Du glaubst wirklich daran?«, fragte Phil.
»Du nicht?«, fragte ich zurück.
Die Ampel an der Kreuzung sprang schon wieder auf Rot.
Vier Sekunden freie Bahn, wenn aus der kreuzenden Greenwich Avenue nicht ein Durchstarter kam, ein Gelblichtfahrer.
»Achtung!«, brüllte Phil, als der Jaguar die Nase in die gesperrte Kreuzung steckte.
»Fünfundfünfzig MPH!«, sagte der Mann am Radargerät. »Dodge Polara, beige, Dach schokobraun, Kennzeichen New York drei-acht-sieben-vier WLQ. Foto liegt vor!«
Die Durchsage war für jene Cops bestimmt, die sechshundert Yards nach der Messstelle am Straßenrand standen und die Geschwindigkeitssünder anzuhalten hatten.
Der Radarmann wunderte sich, als sein Fahrer, Sergeant Dick Collins, das Sprechfunkmikrofon an sich riss.
»Achtung!«, rief Collins. »Dodge Polara New York drei-acht-sieben-vier WLQ nicht anhalten! Verkrümelt euch, er darf euch gar nicht erst sehen! Sofort Einsatz abbrechen, Fahrzeug entfernen! Achtung für Zivilstreife: Habt ihr die Daten des Polara gehört?«
Nahe bei dem Anhalteposten stand ein getarntes Einsatzfahrzeug. Zwei in Zivil gekleidete Cops saßen in diesem Fahrzeug bereit, um notfalls Wagen, die nicht auf die Haltesignale der uniformierten Cops reagierten, unauffällig verfolgen und bei passender Gelegenheit anhalten zu können.
Stan Thorpe, der Fahrer dieses Wagens, antwortete. »Alle Daten bekannt! Over!«
»Okay«, bestätigte Collins, »hängt euch an ihn dran. Aber nicht stellen, sondern Fahrtrichtung und möglichst Ziel in Erfahrung bringen. Das Fahrzeug wird vom FBI gesucht. Keine Festnahme! Over!«
»Roger!«, antwortete Thorpe. »Verstanden. Ende. Wir sind startbereit!«
»Verliert ihn nicht«, bat Collins noch.
»Wir?«, fragte Thorpe.
Die Zentrale schaltete sich ein. »Funkdisziplin bitte! Zentrale benachrichtigt FBI, wir haben mitgehört!«
Sie trugen dunkle Trenchcoats und graue Hüte. Die Trenchcoats waren Zwillinge, und die Hüte stammten ebenfalls aus derselben Fabrik, derselben Serie und demselben Laden: Das Zivil der beiden Männer war Uniform.
»Hier stinkt’s nach Cops«, sagte deshalb das medizinisch vorgebildete Nachtschattengewächs Sallie Overman.
Die beiden Männer nickten nur.