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Als wir im Motel die ersten Toten fanden, konnte nicht einmal unser Doc sagen, woran sie gestorben waren. Nur an ihren verzerrten Gesichtern sahen wir, dass sie Höllenqualen gelitten haben mussten. Beim FBI New York löste dieser Fall Großalarm aus. Zehn Millionen Dollar verlangten die Gangster, oder der lautlose Tod würde wieder zuschlagen, diesmal in Manhattan. Mr. High und wir alle wussten, was das bedeuten musste: Panik, Aufruhr, noch mehr Tote. Phil und ich hefteten uns den Gangstern an die Fersen. Es wurde eine Spur des Grauens.
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Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2020
Cover
Impressum
Der lautlose Tod
Vorschau
BASTEI LÜBBE AG
Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: LightField Studios / shutterstock
eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)
ISBN 9-783-7517-0562-2
www.bastei.de
www.luebbe.de
www.lesejury.de
Der lautlose Tod
Als wir im Motel die ersten Toten fanden, konnte nicht einmal unser Doc sagen, woran sie gestorben waren. Nur an ihren verzerrten Gesichtern sahen wir, dass sie Höllenqualen gelitten haben mussten. Beim FBI New York löste dieser Fall Großalarm aus. Zehn Millionen Dollar verlangten die Gangster, oder der lautlose Tod würde wieder zuschlagen, diesmal in Manhattan. Mr. High und wir alle wussten, was das bedeuten musste: Panik, Aufruhr, noch mehr Tote. Phil und ich hefteten uns den Gangstern an die Fersen. Es wurde eine Spur des Grauens.
1
Sie waren enttäuscht vom Leben, verbittert, voller Hass und zu allem entschlossen. Das Schicksal, von dem sie sich benachteiligt fühlten, schmiedete sie zusammen – und unglückliche Umstände spielten ihnen eine teuflische Waffe in die Hand. Ihr Plan war perfekt, und er sollte ihnen mit einem Schlag den großen Reichtum bringen.
Zehn Millionen verlangten sie. Und sie zögerten nicht zu beweisen, dass sie es ernst meinten. Der Tod, den sie brachten, war lautlos und heimtückisch, und er lauerte mitten im Häusermeer von Manhattan.
Sie glaubten, an alles gedacht zu haben.
Dass ich, der G-man Jerry Cotton, ihnen über den Weg lief, war ein unvorhergesehener Zufall. Von diesem Moment an hatten sie keine ruhige Minute mehr ...
»Verdammte Sonne«, brabbelte der zerlumpte, unrasierte Landstreicher vor sich hin. »Elende Hitze, das! Ein anständiges Bier brauch ich, nicht den verdammten Fusel ...«
Er schüttelte die Flasche, in der noch ein kleiner Rest von dem billigen Whisky schwappte. Mit schräg gelegtem Kopf musterte er die braune Flüssigkeit, dann setzte er kurzerhand die Flasche an den Mund, trank sie aus und warf sie in den Straßengraben. Seine löchrigen Schuhe wirbelten bei jedem Schritt eine Staubwolke auf. Links und rechts zogen sich Stacheldrahtzäune hin, und die schnurgerade Fahrbahn schien schon nach wenigen Yards im Geflimmer der Hitze zu verschwimmen.
Der Tramp schlurfte unsicher weiter. Er verfluchte die Hitze von Nevada, die Autos, die an ihm vorbeigefahren waren, ohne ihn mitzunehmen, und die Tatsache, dass er keinen Schimmer hatte, wie weit er noch bis zur nächsten Ansiedlung gehen musste. Was hatte auf dem windschiefen Wegweiser gestanden? Drei Meilen? Vier? Vielleicht zehn? Er konnte sich nicht erinnern, und die Unvermeidlichkeit des vor ihm liegenden Fußmarsches ließ ihn erneut in zorniges, trunkenes Gebrabbel ausbrechen.
»Drecksgegend! Kann ein anständiger Mensch glatt verdursten und in der Sonne krepieren ... Sonne ... Verdammte, elende ...«
Er stockte und kniff die kleinen, rotgeränderten Augen zusammen.
Weiter vorn an der Straße hatte er ein paar magere Kühe erspäht, und das Melken von Kühen auf der Weide gehörte für ihn zu den Selbstverständlichkeiten im täglichen Kampf ums Überleben.
Er wurde schneller.
Der Schnaps hatte seinen Durst verschärft, im Moment war es ihm egal, ob er Bier oder Milch trank. Außerdem, fiel ihm ein, musste es auch eine Wasserpumpe geben, wenn es Kühe gab. Sein Blick wieselte über die Tiere hinweg – und erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sie in unnatürlicher, steifer Haltung im staubigen Gras der Weide lagen.
Ob sie tot waren?
Klar, dachte er, die müssen krepiert sein. Kein Wasser in dieser verdammten Hitze und ...
Seine Gedanken stockten, weil er im selben Moment die Pumpe entdeckt hatte. Und die gefüllte Blechwanne darunter! Die Tiere hatten Wasser genug, aber sie lagen trotzdem reglos und mit ausgestreckten Beinen auf der Seite, und es gab überhaupt keinen Zweifel daran, dass sie verendet waren.
Komisch, dachte der Landstreicher. Verdammt komisch ist das! Ein Dutzend Kühe krepiert doch nicht einfach so, ohne Grund ...
Kopfschüttelnd blieb er stehen und starrte zu den toten Tieren hinüber. Fliegen summten um die Kadaver, die dichte, heiße Stille des Mittags lastete über der Weide. Sein Blick sog sich an der Tränke fest, und der Durst wurde stärker als die Befürchtung, das Wasser könnte vergiftet sein.
Fluchend kroch er durch den Zaun und schwankte hinüber. Dass ihm übel war, schob er auf den Schnaps in seinem leeren Magen. Mit der Linken wischte er sich den Schweiß aus dem stoppelbärtigen Gesicht, mit der Rechten bewegte er den Pumpenschwengel und grinste triumphierend, als plätschernd frisches Wasser in die Blechwanne floss.
Es war lauwarm, der Tramp fand es trotzdem köstlich. Für einen Moment ließ die Übelkeit nach, die ihn überfallen hatte. Er trank, bis er keinen Durst mehr verspürte, und er ließ sich Wasser über den Kopf und in den schmutzigen Kragen laufen. Als er sich aufrichtete, fühlte er sich schon wieder besser.
Den verendete Kühen schenkte er keinen Blick mehr. Sollte sich der Farmer darüber den Kopf zerbrechen! Der alte Mann schlurfte zur Straße zurück, kroch erneut durch den Zaun und wollte weitermarschieren.
Die Übelkeit hinderte ihn daran. Wie eine anrollende Woge kehrte sie zurück und erfasste seinen ganzen Körper. Er fluchte, schwankte, hielt sich an einem Zaunpfahl fest. In seinem Kopf schien es zu summen, und dunkel begriff er, dass das Flimmern vor seinen Augen nicht nur von der Hitze herrühren konnte.
War das Wasser doch vergiftet gewesen?
Vielleicht wollte jemand dem Farmer eins auswischen! Vielleicht ...
Der Tramp stöhnte auf unter dem jähen Aufflammen der Schmerzen. Eine Glutwelle durchraste ihn, etwas schien ihn von innen her zu schütteln, förmlich auseinanderzusprengen. Seine Augen weiteten sich und traten aus den Höhlen, in seinem siedenden Hirn verwirrten sich die Gedanken, und über seine Lippen brach ein gellender, lang gezogener Schrei.
Er fiel auf die Knie.
Zuckend wand er sich am Boden, seine Fingernägel krallten sich in den Zaunpfahl und fetzten Späne aus dem morschen Holz. Er brüllte wie ein Tier. Irrsinniger Schmerz trieb ihn hoch, ließ ihn blindlings vorwärtstaumeln, als könnte er der Hölle entfliehen. Er sah nichts mehr. Der Stacheldraht hielt ihn auf, zuckend stemmten sich seine Füße gegen den staubigen Boden. Immer noch gellten seine Schreie durch die heiße Luft und wurden von den kahlen, staubigen Hängen zurückgeworfen.
Der Todeskampf des Mannes, der hilflos im Stacheldraht hing, schien kein Ende zu nehmen ...
Der Lack des mausgrauen Kastenwagens schimmerte stumpf in der Sonne.
Dr. Elmer Thorpe ließ das Fernglas sinken. In seinen gut geschnittenen, weichen Zügen hatten sich die Falten vertieft. Er fuhr sich mit allen fünf Fingern durch das dunkelblonde Haar.
»Vorbei«, sagte er. »Furchtbar ...«
»Es gibt Schlimmeres.« Victor Lipari hatte den Todeskampf am Rand der Viehweide ebenfalls beobachtet, sein asketisches, von Brandnarben entstelltes Gesicht zuckte leicht. »Es klappt«, stellte er fest. »Sie hatten recht, Marcel.«
Der kleine, schlanke Franzose mit den schwarzen Augen lächelte. Marcel Moulin verbarg sein ungezügeltes, amoralisches Temperament unter einer Maske trügerischer Sanftheit.
»Natürlich hatte ich recht«, meinte er. »Ich wusste nicht, wie man es bewerkstelligt, aber ich wusste, dass es gehen würde. Nichts war nötig außer einigen Partnern, die das technische Können mit der notwendigen Entschlossenheit verbanden.« Er machte eine Pause, und ein nachdenklicher Ausdruck trat in seine dunklen Augen. »Seltsam, dass ich gerade Sie in New York getroffen habe, Doktor Thorpe, einen alten Bekannten von Professor Leblanc.«
»Ein Glücksfall.« Thorpe zog die Schultern hoch. »Leblanc muss eine schlechte Meinung von mir gehabt haben, wenn er Ihnen wirklich meinen Namen genannt hat ...«
»Eine Meinung, die sich zum Schluss als richtig erwiesen hat ...«
»Weil man mir keine Wahl lässt«, sagte Thorpe zornig. »Zehn Jahre meines Lebens habe ich geopfert! Ich bin Wissenschaftler, ich bin ein hochqualifizierter Spezialist, ich habe zu wesentlichen Entdeckungen beigetragen. Und jetzt liege ich auf der Straße wie ein Tramp, wie ...«
»Sie sind nicht der Einzige, Doktor Thorpe«, unterbrach ihn Victor Lipari. »Es wird einem schlecht gedankt, wenn man seinen Kopf für dieses Land hinhält. Schauen Sie mich an!«
Er machte eine Bewegung, als wollte mit einem Ruck die dunkel getönte Brille abnehmen, dann ließ er es. Die verbrannte Haut spannte sich über den Wangenknochen, seine dünnen Lippen zuckten. Abrupt wandte er sich um und ging über den staubigen Boden zurück zu dem Lieferwagen.
Drei Männer und eine Frau warteten im Schatten des Kastenaufbaus vor der offenen Schiebetür. Livia Thorpe trug eine Sonnenbrille, ihr blondes, zu einem straffen Knoten zurückgebundenes Haar schimmerte metallisch im harten Licht. Der bleiche, magere Ed Tully sog nervös an einer zerdrückten Zigarette. Hugh Mackley schwitzte, er war ein breitschultriger, massiger Hüne von sechs Fuß Größe, der die Hitze Nevadas nicht vertrug. Dan Harrison stand dicht neben der Frau, und Dr. Thorpe spürte den Stich der Eifersucht, die ihn nicht verlassen hatte, seit dieser geschmeidige, gut aussehende Bursche mit den stahlgrauen Augen und der Athletenfigur zu ihnen gestoßen war. Tully, Mackley und Harrison hatten keine Gemeinsamkeit, außer der Tatsache, dass sie zum Schlag der hartgesottenen Berufsgangster gehörten. Den nervösen, verschlagenen Tully hatte Marcel Moulin bei seiner Ankunft in New York angeheuert. Hugh Mackley und Dan Harrison waren sorgfältiger ausgesucht worden, Victor Lipari verfügte über die entsprechenden Beziehungen von seiner Armeezeit her.
»Das war's«, sagte Harrison mit einem Blick zur Uhr. »Ich denke, wir können das Ding wieder einpacken.«
Lipari warf Dr. Thorpe einen fragenden Blick zu.
Der Wissenschaftler nickte. »Es besteht keine Gefahr. Nicht mehr, wenn der Zeitschalter den Generator ausgeschaltet hat. Das ist schließlich der Witz an der Sache.«
»Ich hoffe nur, dass wir nicht eines Tages eine Reifenpanne haben, wenn die Zeituhr schon läuft und wir noch nicht aus der Gefahrenzone heraus sind«, knurrte Harrison. »So wie der Tramp da unten möchte ich nicht gerade enden.«
Thorpe lächelte. »Das möchte niemand von uns. Sie wissen, dass ich für einen solchen Fall eine kleine Sprengladung eingebaut habe, die sich über Funk zünden lässt. Sie würde den Zeitschalter zerstören und den ganzen Vorgang stoppen.«
»Ja. Aber ausprobiert haben Sie das bisher nicht, oder?«
»Ich brauche es nicht auszuprobieren. Es wäre sinnlos und zeitraubend, deswegen die Uhr zu zerstören und eine neue bauen zu müssen. Wie ist es? Fahren wir?«
Harrison nickte und wandte sich ab. Sein Handrücken streifte dabei den nackten Arm der Frau, Livia spannte sich im Gefühl seiner aggressiven Nähe. Mit einer Geste voll verhaltener Unruhe nahm sie die Sonnenbrille ab. Ihre Augen waren hellblau und leicht schräg geschnitten und lagen im Schatten dichter, gebogener Wimpern. Sie wartete, bis Dan Harrison hinter das Steuer glitt, dann ließ sie sich von ihrem Mann auf die Ladefläche des Wagens helfen, und die anderen folgten.
Victor Lipari mühte sich auf den Beifahrersitz. Er hatte sich in Vietnam eine Hüftverletzung zugezogen, die ihn behinderte, obwohl man sie beim Gehen kaum merkte. Hugh Mackley wuchtete die Schiebetür zu. Eine niedrige Bank lief an zwei Seiten des Kastenaufbaus entlang, in der Mitte befanden sich quadratisch angeordnete, fest im Boden verschraubte Metallleisten, in denen man eine Kiste oder etwas Ähnliches rutschsicher verankern konnte. Die herumliegenden Wolldecken trugen den gleichen Aufdruck wie die Heckklappe des Lieferwagens: die Firmenbezeichnung eines Werks für elektronische Geräte, das in Wahrheit gar nicht existierte.
Dan Harrison fuhr an. Der Wagen ruckte und rollte über den Hang, eine Staubwolke hinter sich herziehend. Sie waren drei Meilen von der Stelle entfernt, an der der Landstreicher gestorben war, obwohl sie die Ereignisse in dem weiten, flachen Tal gut hatten beobachten können. Am Fuß des Hangs stießen sie auf die Straße, und Harrison beschleunigte das Tempo.
Auf einen Wink Liparis stoppte er dicht neben der Leiche im Stacheldraht.
Der große, hagere Mann mit der dunklen Brille wandte sich um. Seine Brauen hatten sich zusammengezogen, die Stimme klang ausdruckslos. »Holt ihn in den Wagen!«
»Nein!«, protestierte Livia. »Ich kann nicht ...«
»Sei vernünftig, Liv«, sagte Thorpe. »Wenn jemand vorbeikommt und ihn sieht, solange wir noch hier sind, gibt es Schwierigkeiten.«
Livia zog wie fröstelnd die Schultern hoch, aber sie sagte nichts mehr. Ihr schönes, kühles Gesicht glich einer Maske. Rasch wandte sie den Kopf ab, als Ed Tully und Hugh Mackley die Schiebetür öffneten und die verkrümmte, durchdringend nach Alkohol riechende Leiche des Tramps auf die Ladefläche zerrten.
Tully blieb draußen und öffnete den Zaun an einer Stelle, wo sie schon vor einer Stunde den Stacheldraht zerschnitten und provisorisch wieder zusammengefügt hatten. Im staubigen Gras waren noch die Reifenabdrücke zu sehen. Auf ihrer eigenen Spur fuhren sie weiter, vorbei an toten Rindern, auf denen sich Tausende von Fliegen niedergelassen hatten, und hielten schließlich vor einer windschiefen, halb verfallenen Scheune.
Auch diesmal war es Ed Tully, der ausstieg und das Tor öffnete. Der Wagen rumpelte in das schattige Gebäude. Durch die Schiebetür sprangen sie ins Freie, und für einen Moment blieben sie schweigend stehen und starrten das merkwürdige Gerät an, das auf einer Art Metallsockel ruhte und in seiner Form entfernt an einen altmodischen Plattenspieler mit Schalltrichter erinnerte. Dr. Elmer Thorpe sog scharf die Luft durch die Zähne. Er warf einen Blick auf den kleineren Apparat mit dem Zifferblatt, der durch Drähte mit dem Generator verbunden war, und nickte.
»Ausgezeichnet. Alles ist genau nach Plan verlaufen. Das war dann wohl die Generalprobe.«
Victor Lipari zog die Lippen von den Zähnen.
Sein Lächeln wirkte kalt, auf gespenstische Weise verzerrt durch die Narben um seinen Mund. Langsam schüttelte er den Kopf mit der dunklen, militärisch kurzen Haarbürste.
»Nein«, sagte er. »Das war nur ein erster Versuch. Die Generalprobe wird in New Jersey stattfinden und wesentlich effektvoller sein. Also beeilt euch, wir haben keine Zeit zu verlieren ...
Es gibt Tage, an denen einem alles schiefgeht, vom angebrannten Frühstücksrührei bis zur Reifenpanne vor dem Rendezvous am Abend. Einen Tag dieser Art hatte ich erwischt, als ich an jenem Montag im Juli über den New Jersey Turnpike rollte. Hinter mir lag ein verkorkstes Weekend mit langweiligem Nachtdienst. Die Woche hatte mit einer Fahrt nach Middlesex begonnen, wo ich einen Gangster identifizieren sollte, der sich dann doch als der falsche Mann erwiesen hatte. Jetzt schlich ich mit meinem Jaguar dahin, weil eine Straßenbaufirma Speed-Limit-Schilder aufgestellt hatte, schwitzte trotz heruntergekurbelter Seitenscheiben und voll aufgedrehtem Gebläse und bedauerte, dass es in England so viel regnet. Nicht, weil mir die Engländer leidtaten, sondern weil British Leyland sonst vielleicht Klimaanlagen in ihre Wagen eingebaut hätte.
Der Rasthausreklame konnte ich jedenfalls nicht widerstehen. Ein eiskalter Orangensaft, eine Tasse Kaffee, vielleicht ein paar Hamburger – ich hoffte, dass mich das wieder einigermaßen fit machen würde. Kurz entschlossen setzte ich das Tempo noch mehr herunter, blinkte rechts und zog den Jaguar in die lange Kurve der Parkplatzauffahrt.
Büsche und Bäume trennten die asphaltierte Fläche von dem Rasthaus. Viel Betrieb herrschte nicht. Ich suchte mir einen Platz im Schatten, ließ den Jaguar ausrollen, und dabei fiel mein Blick auf den Mann, der gerade zwischen den Ziersträuchern auftauchte, die den Fußweg zum Restaurant säumten.
Eine magere Gestalt mit hängenden Schultern. Bleiche, ungesunde Gesichtsfarbe, tief liegende Augen, rostrotes Haar.
Das war doch ...
Tully, dachte ich.
Ed Tully, ausgerechnet! Wir suchten ihn als letztes, unwichtigstes Mitglied einer Gang, die wir vor Wochen zerschlagen hatten, nur als Zeugen genau genommen, obwohl Haftbefehl gegen ihn bestand. Tully war ein mittelmäßiger Ganove, aber er galt als nervös und unberechenbar, er hatte garantiert eine Waffe, und es ist immer gefährlich, einen bewaffneten Mann festzunehmen, der zur Hysterie neigt.
Mist, dachte ich grimmig.
Mit der Rechten öffnete ich die Knöpfe meines Jacketts, um im Notfall schneller an den 38er zu gelangen. Mein Blick folgte Tullys kurzen, hastigen Schritten. Vermutlich hatte er Zigaretten gezogen, ich sah ihn eine neue Packung aufreißen. Ich beschloss, nicht erst lange zu warten, weil er mich jetzt bestimmt näher an sich heranlassen würde als später, wenn er wieder in seinem Wagen saß.
Er achtete nicht darauf, dass ich ausstieg. Ich überquerte den Parkplatz, auf diese Weise kreuzte ich seinen Weg. Vier Schritte war ich noch von ihm entfernt, als er es endlich geschafft hatte, die Zigarettenschachtel zu öffnen, ein Stäbchen zwischen die Lippen schob und dabei den Kopf in meine Richtung drehte.
»Hallo, Ed«, sagte ich ruhig. »So trifft man sich wieder.«
Er versteinerte förmlich.
Ruckartig blieb er stehen und starrte mich an. Die tief liegenden grünlichen Augen weiteten sich, sein Adamsapfel hüpfte.
»Cotton«, brachte er krächzend hervor.
Ich nickte. »Du weißt, dass du gesucht wirst, Ed. Versuch lieber nicht, deine Kanone zu ziehen. Ich möchte dich nicht anschießen, und ich habe nichts davon, wenn du dir deine Chance kaputt machst. Bis jetzt sieht es noch so aus, als kämst du billig davon.«
Er schluckte.
Bleich war er von Natur aus, jetzt nahm seine Haut einen gelblichen Ton an. Sein Gesicht zuckte. Ich sah, wie es in ihm arbeitete, aber ich konnte nicht wissen, worum es für ihn ging.
»Lass es«, sagte ich sanft. »Es lohnt sich nicht, glaub mir!«
Bei den letzten Worten trat ich noch einen Schritt auf ihn zu – und der jähe Entschluss verzerrte Ed Tullys Züge.
Er warf sich herum.
Wie von einem Katapult abgeschnellt, raste er los, quer über den Parkplatz, stolpernd, unsicher und überhastet. Ich wollte ihm nicht in die Beine schießen, solange er mich nicht dazu zwang. Noch machte er keine Anstalten, eine Waffe zu ziehen. Ich setzte ihm nach, holte mit langen Sprüngen auf und konzentrierte mich darauf, ihn über meinen Fuß stolpern zu lassen, sobald ich ihn erreicht hatte.
Mein Fehler, dass ich nicht auf die Umgebung achtete.
Tully war ein kleiner Fisch für mich, ein Mann auf der Flucht, ohne Freunde und ohne Hilfsquellen. Seine Gang war zerschlagen, seine Ex-Komplizen saßen in soliden Zellen, kein New Yorker Gangsterboss hätte sich in die Nesseln gesetzt, indem er einem steckbrieflich Gesuchten unter die Arme griff. Für mich stand außer Zweifel, dass ich es nur mit Ed Tully allein zu tun hatte. Und als ich meinen Irrtum einsah, war es zu spät.
Das gedämpfte »Plopp« schien unnatürlich laut in meinen Ohren zu dröhnen.
Rechts von mir blitzte es auf, zwischen Blautannen und blühenden Jasminbüschen, heiß wie der Atem des Satans, streifte eine Kugel meinen Kopf, und für einen Moment sah ich nur noch ein Feuerwerk von tanzenden Funken ...
2
Um die gleiche Zeit beschloss Phil Decker, in dem gemütlichen Balkanrestaurant in der Nähe des Distriktgebäudes ein schönes scharfes Satarasch zu essen.
Er füllte einen grünen Laufzettel aus, heftete ihn an den Bericht, den er eben geschrieben hatte, und steckte beides zusammen in einen Umschlag. Ihm war heiß. Seiner Meinung nach lag das an der falsch eingestellten Klimaanlage. Das einzige wirklich einwandfrei arbeitende Gerät dieser Art weit und breit gab es, ebenfalls seiner Meinung nach, in Joschis Balkankeller.
Phil grinste ein bisschen über sich selbst – dass er mit Klimaanlagen auf dem Kriegsfuß steht, ist inzwischen notorisch. Er zog sich noch rasch die Routinemeldungen heran, die vorher auf seinem Schreibtisch gelandet waren. Kurzberichte über ein paar Mordfälle, Meldungen von anderen Verbrechen, der übliche Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Polizeidienststellen. Dann war noch ein Fahndungsersuchen von Interpol dabei. Auf rotem Papier vervielfältigt. Das bedeutete Vorrang, und es veranlasste Phil, die Unterlagen gründlicher zu sichten.
Der Gesuchte hieß Marcel Moulin, war französischer Staatsbürger, achtunddreißig Jahre alt, knapp fünfeinhalb Fuß groß und hundertdreißig Pfund schwer. Dunkles Haar, dunkle Augen, keine besonderen Kennzeichen. Das Funkbild, überraschend scharf, zeigte einen mediterranen Typ, lockig, glutäugig, mit scharfen Falten um den etwas zu schweren Mund und einem eigentümlich abfälligen Lächeln. Mechanisch prägte sich Phil das Gesicht ein, dann stutzte er und las die spärlichen Angaben noch einmal.
Marcel Moulin halte sich vermutlich illegal in den Vereinigten Staaten auf, hieß es.
Warum er gesucht wurde, war dem Wisch nicht zu entnehmen, und das fand Phil bei einer Vorrangfahndung immerhin ungewöhnlich.
Schulterzuckend warf er die Papiere zurück in den Ablagekorb. Moulin würde schon wissen, warum Interpol nach ihm verlangte. Wenn er erwischt wurde, konnte man ihn ja fragen.
Phil schob seinen Stuhl zurück, ließ noch einmal den Blick über den Schreibtisch schweifen und sonnte sich in dem Gefühl, dass kein dringender Fall ihn heute daran hindern würde, sein Mittagessen mit Ruhe und Genuss zu verzehren.
Er konnte nicht ahnen, dass er gerade den Schlüssel zu dem heißesten Fall in Händen gehabt hatte, der das FBI New York seit Langem untergekommen war ...
Ich taumelte, aber ich blieb auf den Füßen, kämpfte gegen das wattige Gefühl in den Kniekehlen und die schwarzen Wogen der Ohnmacht. Streifschuss, diagnostizierte etwas in meinem Hirn. Ich spürte das Brennen, das warme Rieseln von Blut und ...
Das neuerliche »Plopp« drang klar und scharf in mein Bewusstsein und schien die Benommenheit wie ein Peitschenhieb zu durchtrennen. Für den Bruchteil einer Sekunde verkrampfte ich mich in der jähen Erkenntnis, als lebende Zielscheibe zu fungieren, dann wurde mir klar, dass die Kugel vorbeigegangen war oder gar nicht mir gegolten hatte. Undeutlich sah ich Ed Tullys Gestalt vor mir, sah sie überraschend nah und begriff, dass seit dem ersten Schuss keine zwei Sekunden vergangen sein konnten.
»Vorsicht!«, schrie ich, und gleichzeitig schnellte ich nach vorn.
Tully brüllte auf, als ich ihn in Höhe der Hüften erwischte. Er verlor das Gleichgewicht und krachte zu Boden. Ich landete halb auf ihm, versuchte, ihn unten zu halten. Ich wusste nicht, welcher Film hier lief, aber ich wusste instinktiv, dass Tully nicht weniger gefährdet war als ich selbst.
»Bleib in Deckung, du Narr!«, schrie ich.
Gleichzeitig nahm ich den Kopf hoch, griff mit der Rechten unter die Jacke. Mein Blick tastete das Gebüsch ab, mühsam blinzelte ich gegen das Sonnenlicht. Jemand rief etwas, das sich wie »Hierher!«, anhörte, meine Augen zuckten nach rechts, und da erkannte ich ihn zwischen den Büschen.
Er war klein, schlank, dunkellockig. Die Pistole wirkte zu schwer für seine schmale Hand. Über den klobigen Schalldämpferaufsatz hinweg sah ich sein Gesicht, die Erregung in den Augen, das starre Lächeln, und in dem Sekundenbruchteil, in dem sich unsere Blicke kreuzten, prägten sich seine Züge meinem Gedächtnis unverlierbar ein.
Er zielte, und ich riss den 38er hoch.
Im selben Moment witterte Ed Tully seine Chance. Immer noch lag er halb unter mir, jetzt drehte er sich stöhnend. Sein Knie zuckte nach oben, und ich konnte nicht ausweichen, weil ich mich auf den schwarzhaarigen Schützen konzentriert hatte.
Der Stoß traf mich voll.
Ich rollte zur Seite, biss die Zähne aufeinander, hörte das Blut in meinen Ohren rauschen. Tullys Bewegung spürte ich nicht. Für einen Moment nahm ich nichts wahr außer dem mörderischen Schmerz, der sich in einer langen Glutwelle in meinem Körper ausbreitete, und erst mit Verzögerung drangen die hastenden Schritte in mein Bewusstsein.
Tully versuchte, die Buschkette zu erreichen.
Der unbekannte Schütze war sein Komplize, soviel stand fest. Ich riss die Augen auf. Schemenhaft konnte ich die Gestalt des Schwarzlockigen ausmachen, das Schimmern von Waffenstahl, es reichte jedoch, um zu begreifen, dass der klobige Lauf der Pistole nicht auf mich, sondern auf den fliehenden Tully zeigte.
Ich brachte den 38er hoch und feuerte.