Jerry Cotton Sonder-Edition 146 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 146 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Auf dem Leitwerk seine Jets führte Lanaghan den gelben Drachen. Symbol und Zeichen seiner Macht. Jetzt wollte er auspacken, um seine Konkurrenten zu vernichten. Er kannte alle Tricks des internationalen Rüstungsgeschäfts. Er wusste Bescheid über Mord, Erpressung und Bestechungsgelder. Ich, G-man Jerry Cotton, sollte ihn beschützen, abschirmen. Deshalb begleitete ich Lanaghan in seiner Maschine nach Washington. Dann kam der Knall: Wir hatten eine Bombe an Bord. Eine, die sich nicht entschärfen ließ und hochgehen würde, noch ehe wir unser Ziel erreichten ...


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Seitenzahl: 213

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Bomben-Jet

Vorschau

BASTEI LÜBBE AG

Vollständige eBook-Ausgabeder beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

© 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: sdecoret / shutterstock

eBook-Produktion:3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 9-783-7517-0671-1

www.bastei.de

www.luebbe.de

www.lesejury.de

Der Bomben-Jet

Auf dem Leitwerk seine Jets führte Lanaghan den gelben Drachen. Symbol und Zeichen seiner Macht. Jetzt wollte er auspacken, um seine Konkurrenten zu vernichten. Er kannte alle Tricks des internationalen Rüstungsgeschäfts. Er wusste Bescheid über Mord, Erpressung und Bestechungsgelder. Ich, G-man Jerry Cotton, sollte ihn beschützen, abschirmen. Deshalb begleitete ich Lanaghan in seiner Maschine nach Washington. Dann kam der Knall: Wir hatten eine Bombe an Bord. Eine, die sich nicht entschärfen ließ und hochgehen würde, noch ehe wir unser Ziel erreichten ...

1

Ronald Shaw nahm seine Werkzeugtasche auf, als er die Schritte draußen auf der Passagiertreppe hörte. Er sah sich noch einmal kurz um. Das Cockpit der Grumman Gulfstream, die luxuriöse Kabine mit den lederbezogenen Polstersesseln, der Bar, dem schweren Mahagonischreibtisch.

Shaw drehte sich um. Der Pilot kam an Bord. Ein schlanker blonder Mann, Lederjacke, hübsches, schmales Gesicht. Shaw kannte ihn seit vielen Jahren. Genau wie er, der Chefmechaniker, hatte Pete Arnac bei Grumman sein Handwerk gelernt.

Fliegen, Flugzeuge. Das war ihr Leben.

Arnac blickte auf. Er grinste über sein jungenhaftes Gesicht. »Alles klar, Boy?« Er strich sein welliges Haar zurück. Es glänzte in der Sonne und duftete herb nach Spray. Oben auf der Rampe blieb er stehen. »Die Meute tanzt gleich an. Wie sieht's aus?«

»Alles klar, jedenfalls, was mich angeht«, murmelte Shaw. »Jetzt bist du dran. Und Joe natürlich ...«

Joe Gerlach war der Flugingenieur. Arnacs Gesicht verfinsterte sich einen Moment. Gerlach erschien stets in letzter Minute. Manchmal in allerletzter Minute und hin und wieder überhaupt nicht. Deshalb war er bei American Airlines rausgeflogen.

Shaw zwängte sich an Arnac vorbei. »Mach's gut.«

Arnac hielt ihn am Arm fest. »He!«, rief er. »Ist etwas?«

Shaw schüttelte die Hand ab. »Alles in Ordnung. Die Grumman-Boys haben die Triebwerke am Morgen überprüft, ich habe hier drinnen alles durchgecheckt. Joe Gerlachs Job.«

Die Grumman-Werke lagen fast in Sichtweite des Brookhaven Airport auf Long Island. Ja, alles war in Ordnung. Shaw trat auf den Beton des Vorfelds, und er blickte zu der Maschine hinauf, für die er verantwortlich war.

Es war das größte und teuerste Reiseflugzeug, das derzeit auf dem Markt war. Grumman Gulfstream II. Zwei Düsentriebwerke. Platz für neunzehn Fluggäste in der Passagierversion. Er selbst hatte es mitgebaut, bevor er den Job bei Stanley F. Lanaghan erhielt. Der Pilot und der Mechaniker wurden gleich mitgeliefert. Für fast vier Millionen Dollar kann ein Kunde allerhand verlangen, und ein Mann wie Lanaghan wollte von allem das Beste. Auch von den Menschen, mit denen er sich umgab.

Shaw betrachtete den gelben Drachen, der auf das Leitwerk und den Rumpf gemalt war. Lanaghans Zeichen. Ein Machtsymbol. Ein Symbol, das seine Einstellung zu anderen Menschen kennzeichnete. Macht, Einschüchterung, Drohung. Shaw spuckte aus und wandte sich um.

Er versteifte sich. Die zwei großen schwarzen Limousinen mit den getönten Scheiben hatten sich lautlos der Maschine genähert. Wie Raubkatzen. Sie rollten aus, die Türen wurden geöffnet.

Zuerst sprangen drei ganz in Schwarz gekleidete Burschen heraus. Burschen mit harten Gesichtern und großen dunklen Sonnenbrillen. Keiner hatte jemals ein Wort an Shaw gerichtet, doch er fürchtete sie.

Sie traten wie Gorillas in billigen Gangsterfilmen auf, und Gorillas waren sie auch. Lanaghans Leibwächter. Sie suchten das Gelände um die Grumman mit harten Blicken ab. Noch mehr Männer quollen aus den Fahrzeugen. Patrick Goodwin, Lanaghans Sekretär, Manager, Public-Relations-Mann. Ein paar Gäste, die das Wochenende auf Lanaghans Besitz an der Moriches Bay verbracht hatten. Bekannte Gesichter darunter. Ein Senator, ein bekannter Oppositionspolitiker. Und ein paar Miezen.

Und natürlich Stanley F. Lanaghan.

Der Mann, der sterben sollte.

Ronald Shaw wandte sich ab. Niemand schien sich um ihn zu kümmern. Lanaghan sollte sterben, weil er jemandem im Weg war. Und alle, die sich in seiner Begleitung befanden, sollten sein Schicksal teilen.

Hinter Lanaghan kletterte ich aus dem Lincoln. Lanaghan lächelte mich an. Er hatte strahlend weiße Zähne, ein gebräuntes Gesicht und eiskalte graue Augen.

»Sie fliegen doch mit, Agent Cotton? Bisher sind Sie nicht auf Ihre Kosten gekommen. Unterwegs haben wir mehr Zeit.«

Ich nickte, Lanaghan bemerkte meine zustimmende Kopfbewegung jedoch nicht mehr.

Lanaghan wollte eine Aussage machen. Er war mächtig genug, um den Ort bestimmen zu können und die Zeit. Wenn er also zwischen Long Island und Washington reden wollte, bitte, dann musste ich eben mitfliegen. Denn wir wollten etwas von ihm. Wir, das FBI und die amerikanische Justiz.

Lanaghan war bereit auszupacken. Über Machenschaften im Rüstungsgeschäft. Schiebungen, Bestechungen, Erpressungen. Nicht weil Lanaghan ein braver Bürger war, beileibe nicht. Bei einem Mann wie Lanaghan hat jedes Wort einen Sinn. Selbst wenn er nur einen Drink bestellt.

Lanaghan hatte die Spitze des Staates angepeilt. Das Geld dazu besaß er. Rüstungsfabriken stellen eine solide Basis für ein ordentliches Vermögen und für ein Bankkonto dar, vor dessen Saldo niemals das Minuszeichen erscheint.

Lanaghan musste jetzt nur noch Ballast abwerfen. Und ein paar Felsbrocken aus dem Weg räumen lassen. Dafür wollte er uns, das FBI, benutzen. Ja, Stanley F. Lanaghan wollte reden. Der erste Erfolg hatte sich bereits eingestellt. Ein hoher Beamter im Verteidigungsministerium war überführt worden. Er hatte am Sonntag Selbstmord begangen.

Lanaghan hatte die Nachricht mit einem Lächeln quittiert.

Die Spitze eines Eisbergs. Lanaghan wollte uns einen Blick tiefer werfen lassen. Auf Politiker, die sich hatten bestechen lassen. Nicht von ihm, natürlich nicht. Seine Leute beschützte er. Ein Mann wie Lanaghan hat seine Spitzel überall, auch bei der Konkurrenz, und so weiß er, welcher Politiker, welche hohen Militärs von wem bestochen werden. Mit Geld, mit Frauen, mit Macht, mit Einfluss. Jeder Mann auf dieser Welt hat seinen Preis. Das ist eine fatale, jedoch kaum bestrittene Philosophie.

Der Rumpf der Grumman Gulfstream glänzte in der Sonne. Lanaghans Gorillas hatten sich so verteilt, dass sie jeden kritischen Punkt der Flughafenanlage im Blick hatten. Der Brookhaven Airport ist einer der zahlreichen kleineren Flughäfen auf Long Island. Viele der großen Firmen haben hier ihre Jets stehen, es gibt Privatleute und Klubs und Gesellschaften, die den Pendel- und Zubringerverkehr zu den großen Flughäfen New Yorks betreiben.

Doch Lanaghans luxuriöser Jet stand vor einem eigenen Hangar auf dem Vorfeld, das nur Maschinen seiner Gesellschaft vorbehalten war. Die Hauptverwaltung seiner verschiedenen Unternehmungen befand sich in Mastic, nur ein paar Meilen vom Brookhaven Airport und einen Katzensprung von seinem weitläufigen Besitz an der Bucht entfernt.

Lanaghan hatte den Arm des Senators ergriffen. Senator Malcolm Sutherland, einer der angesehensten Politiker der USA, Mitglied des Verteidigungsausschusses. Ein einflussreicher Mann. Lanaghans Mann. Sutherland blieb am Fuß der Passagiertreppe stehen. Er lachte und nickte einem der Frauen zu. Sie hielten sich ein wenig abseits. Es waren keine Miezen im üblichen Sinn. Es waren Ladys – wenn man sie so ansah. Jede hatte Niveau, manche sogar ein Collegediplom.

Patrick Goodwin, Lanaghans Manager, winkte den Frauen, und sie näherten sich den Gentlemen, denen sie geholfen hatten, ein angenehmes, entspannendes Wochenende zu verbringen. Sie gaben ihnen artig die Hand. Goodwin deutete auf die Limousinen, und gehorsam zogen sich die Ladys zurück. Der Senator winkte einer großen Schwarzhaarigen zu. Sie lächelte. Es war ein Lächeln, das kaum tiefer reichte als bis unter die oberste Hautschicht. Sie zog ihre langen Beine in den Fond des Wagens, dann warf Goodwin die Tür zu. Es klackte gedämpft und hörte sich wie ein abschließendes Signal an. Schluss jetzt mit den Spielen, mochte es bedeuten. Jetzt beginnt der Ernst. Jetzt wird die Rechnung präsentiert – und kassiert.

Der Starterwagen rollte an und blieb unter der hohen Bugnase stehen. Kabel wurden ausgerollt, die Triebwerke begannen zu heulen. Goodwin kam zu mir.

Er war ein smarter Kerl. Wir wussten einiges über ihn. Harvard mit Auszeichnung, danach eine Karriere in der Madison Avenue, wo er es innerhalb kürzester Zeit zum Creative Director einer der bekanntesten Werbeagenturen gebracht hatte, bevor er sich dem ehemaligen Kandidaten für den Gouverneursposten von Maine verdingte. Der Kandidat hatte keine Chance – bis Goodwin den Wahlkampf in die Hand genommen hatte. Goodwins damaliger Boss war jetzt Gouverneur von Maine, doch Goodwin war nicht bei ihm geblieben. Maine war zu klein. Goodwin strebte nach mehr Einfluss. Deshalb hatte er wahrscheinlich Lanaghans Angebot angenommen und war in die Dienste dieses Millionärs und Großindustriellen getreten.

Vor mir blieb er stehen, wippte auf den Fußballen, lächelte mit schmalen Lippen. Seine Augen waren hinter dunklen, spiegelnden Sonnenbrillengläsern verborgen. Er war zweiunddreißig Jahre alt. Ein blendender Kopf, ein durchtrainierter Sportsmann. Dabei smart, skrupellos. Ein Mann der zweiten Reihe. In Maine munkelte man so einiges. Bestechung, sogar Gewalt.

»Bitte, Agent Cotton, wollen Sie an Bord gehen?« Seine Stimme klang leise und genau moduliert. Die Arroganz war kaum herauszuhören.

Ich lächelte. »Gern, Mister Goodwin.«

Er begleitete mich zum Fuß der Treppe. Lanaghan und seine Gäste waren bereits oben. Die Gorillas folgten ihm. Unten fegte ein gelber Dodge heran. Ein Mann sprang heraus und rannte an mir vorbei die Treppe hinauf. Der Flugingenieur. Noch zehn Minuten bis zum Start.

»Ich wünsche Ihnen einen guten Flug, Agent Cotton«, sagte Goodwin leise. Seine Worte waren trotz der heulenden Triebwerke genau zu verstehen.

Ich blickte mich um. Er stand am Fuß der Treppe und lächelte. Ich wusste, dass er zurückbleiben würde. Er und einer der Babysitter. Ein Bursche, der auf Goodwins Kommando hörte. Lanaghans Gorillas hörten alle auf Goodwins Kommando, wenn ich mich nicht täuschte. Es sah so aus, als hätte Goodwin Lanaghan längst in der Hand.

Ich ging an Bord. Jemand schloss den Einstieg. Einer der Gorillas. Er grinste freundlich. Ich konnte Goodwins Gesichtsausdruck nicht vergessen. Er gefiel mir gar nicht.

Ich suchte mir einen Platz in der geräumigen Wohnlandschaft. In den tiefen Teppichen ging ich wie auf Treibsand. Einer der Gorillas machte sich an der Bar zu schaffen. Der Senator hielt bereits ein Glas in der Hand. Die Stimme des Piloten ertönte aus verborgenen Lautsprechern.

»Bitte anschnallen, Gentlemen, und das Rauchen einstellen.«

Keiner der Männer rauchte. Gehorsam suchten sie ihre Plätze auf. Die Babysitter halfen beim Festschnallen. Dann spürte ich auch schon die rasch zunehmende Beschleunigung, die mich tief in das Polster meines Sitzes presste. Durch das Bullauge erhaschte ich einen Blick auf das hellblaue Wasser des Atlantiks und auf die schnell kleiner werdenden Landzungen und Inseln.

»Nehmen Sie einen Drink, Agent Cotton?«

Ich drehte mich zur Seite. Lanaghan saß neben mir. Er lächelte mit den Lippen. Seine steinharten Augen starrten an mir vorbei.

»Einen Scotch. Mit viel Wasser«, sagte ich.

Er gab meine Bestellung weiter und öffnete seine dünne Aktenmappe. Seine Bewegungen wirkten plötzlich fahrig, und er schien vergessen zu haben, was er ursprünglich vorhatte. Er sah mich von der Seite an, und ich stellte fest, dass sich der Ausdruck seiner Augen verändert hatte.

»Cotton«, sagte er. »Agent Cotton, man will mich umbringen.«

Ich erwiderte den Blick. Lanaghan schwieg.

»Wer?«, fragte ich schließlich.

Lanaghan fuhr fort, ohne meine Zwischenfrage zu beachten. »Und sie werden es schaffen, Cotton. Niemand kann sich perfekt schützen. Sie haben mir den Kampf angesagt ...«

»Wer?«

»Alle. Deshalb habe ich Sie angefordert, Agent Cotton. Sie sollen mich beschützen. Sie werden es nicht wagen, etwas gegen mich zu unternehmen, wenn ein G-man bei mir ist.«

Ich spülte den aufsteigenden Zorn hinunter. Dieser Mann hatte Angst. In seiner Angst unterschied er sich durch nichts von seinen Mitmenschen. Er suchte Schutz, egal, wie und wo er ihn fand.

»Ich fliege heute Nachmittag nach New York City zurück«, erwiderte ich.

Lanaghan lächelte. »Sicher. Zusammen mit mir.«

»So oder so«, sagte ich. »Mein Job endet, wenn Sie mir die Informationen ausgehändigt haben, die Sie uns versprochen haben.«

»Oh, es handelt sich um sehr viele Einzelinformationen. Wir werden viele Tage miteinander verbringen, Agent Cotton.«

So wollte er es also drehen. Er wollte mich oder jeweils einen meiner Kollegen auf unbestimmte Zeit in seiner Nähe halten, indem er seine Informationen stückweise preisgab. Vielleicht so lange, bis er offiziellen Anspruch auf eine Leibwache erheben konnte. Wie der Präsident der Vereinigten Staaten zum Beispiel.

Mit mir nicht, dachte ich verärgert.

»Fangen wir an, Mister Lanaghan«, sagte ich mit neutraler Stimme.

Das Whiskyglas stellte ich ab. Ich trinke nur dann, wenn mir die Gesellschaft gefällt.

»Warum wollen Sie unbedingt nach Riverhead entlassen werden?«, fragte der Mann in der blauen Uniform.

Er blickte auf und streifte den Mann vor seinem Schreibtisch mit einem uninteressierten Blick. Es war ein großer, etwas schwerfällig wirkender Bursche mit schweren Fäusten und einem knochigen Gesicht. Die Antwort interessierte ihn als Gefängnisbeamten ebenso wenig wie der Mann selbst. Aber die Fragen mussten gestellt werden. Vorschriften, nichts als Vorschriften.

Er widmete sich wieder der Akte. »In Riverhead sind Sie straffällig geworden. Versuchter ... Totschlag, ja? Warum wollen Sie also nach Riverhead gehen, Cleeves?«

»Dort bin ich zu Hause, Sir. Ich hoffe, dort wieder Arbeit zu finden.«

Er seufzte. »Sie kennen die Auflagen.«

Er schob dem Mann einen roten Zettel zu, der die wichtigsten Anweisungen enthielt. Zweimal in der Woche auf dem Revier melden. Keine Barbesuche nach zehn Uhr abends. Keine Schlägerei. Nichts.

Eugene Cleeves nahm den Zettel und die Mappe mit seinen übrigen Habseligkeiten. Er unterschrieb, dass er sein Eigentum vollständig zurückerhalten habe. Der Beamte drückte einen Klingelknopf.

»Riverhead, eh?«, fragte er noch einmal, während sie auf den Kollegen warteten, der Cleeves zur Kleiderkammer bringen sollte. »Riverhead auf Long Island.« Diesmal schwang doch so etwas wie Interesse seiner Stimme mit. »Schöne Gegend. Viel Wasser und so. Was wollen Sie machen?«

Eugene »Rocco« Cleeves hob die breiten Schultern. Er sah ein Gesicht vor sich. Breit, mit vollen frischen Lippen und hübschen blauen Augen. Er presste die Zähne aufeinander. Er hatte sie verloren. Endgültig. Durch eigene Schuld. Er war ein Narr gewesen.

Die Tür wurde geöffnet, und Cleeves folgte dem anderen Beamten, ohne die Frage beantwortet zu haben. Er nahm seine Kleider entgegen. Sie waren zu weit, und sie waren nicht mehr modern. Er bekam sein Guthaben ausgezahlt. Vierhundertzweiunddreißig Dollar. Und eine Fahrkarte nach Riverhead, Long Island, New York.

Er nahm ein Taxi zum Bahnhof von Ossining. Er wollte die grauen Mauern des Staatsgefängnisses so schnell wie möglich hinter sich lassen. Um zehn Uhr zwanzig saß er im Zug nach New York.

Ronald Shaw stand im Schatten des Hangars. Er blickte der startenden Maschine nach, die steil in den blauen Himmel stieß. Ein schlanker, blitzender Pfeil. Er dachte an die Menschen an Bord. Wie viele waren es? Er hatte sie nicht gezählt.

Eine der beiden Limousinen war abgefahren. Es war der Wagen mit den Frauen. Die zweite Limousine setzte sich in diesem Augenblick in Bewegung. Hinter den getönten Scheiben konnte er niemanden erkennen, er wusste jedoch, dass Patrick Goodwin am Steuer saß. Der smarte Pat Goodwin. Shaw mochte diesen Burschen nicht, aber was ging es ihn an, mit welchen Typen sich der Boss umgab? Er drehte sich um und zog sich tiefer in den Hangar zurück.

Das war sein Reich. Ein verlassenes Reich, wie fast immer am Montag. Der Chef befand sich auf einem Flug nach Washington. Erst für Mittwoch waren die nächsten Besprechungen angesetzt. Mit den Entwicklungschefs der Werke an der Westküste.

Shaw rechnete mit vier Maschinen, die gewartet und aufgetankt werden mussten. Routine für ihn. Er konnte erfahrene Mechaniker bei den anderen Werkstätten des Flughafens anfordern. Die Lanaghan Enterprises bezahlten jede Rechnung, die er, Ronald Shaw, abzeichnete. Die Versuchung war einfach zu groß gewesen. Ein cleverer Vertreter hatte ihm den Floh ins Ohr gesetzt, und weil er damals gerade das neue Haus gebaut hatte und jeden Cent verdammt nötig brauchte, hatte er Lieferungen bestätigt, die er nie erhalten hatte. Ersatzteile für Triebwerke, eine Zusatzeinrichtung für die Blindfluganlage und noch ein paar Dinge. Achttausend Dollar hatte er kassiert.

Und prompt hatte ihm jemand die Rechnung präsentiert. Und ein paar dazu. Shaw stampfte mit dem Fuß auf. Und dann wirbelte er herum.

Zum zweiten Mal an diesem Morgen erschreckte ihn das plötzliche Auftauchen dieses großen schwarzen Wagens. Er stand hinter ihm in der Halle. Ein Lincoln. Die Fahrertür wurde geöffnet, und Goodwin stieg aus.

Goodwin war groß, sechs Fuß und drei Zoll. Er legte einen Arm auf das Wagendach. »Sie sollten nach Hause gehen, Ron.«

Ronald Shaw schüttelte stumm den Kopf.

»Seit wann sind Sie auf den Beinen? Ich wette, Sie waren schon um fünf Uhr hier.«

»Um halb fünf«, bestätigte Shaw. Er trat an die Werkbank, stellte die Tasche ab und wischte die Hände an einem Büschel Putzwolle sauber.

»Okay, Ron, nehmen Sie sich frei. Ich gebe Ihnen frei!«

Shaw schüttelte den Kopf. »Ich habe zu tun ...«

»Wie Sie wollen«. Goodwin lächelte flüchtig und kletterte wieder in den Lincoln.

Ronald Shaw hatte den Eindruck, als wäre der smarte Manager verärgert. Doch als der Wagen aus dem Hangar rollte, vergaß er ihn. Seine Gedanken wanderten immer wieder zu den Menschen im Flugzeug zurück, und er fragte sich, was geschehen würde. Später, wenn die Zeit um war. Unwillkürlich lief er durch die große Halle, stellte sich in das geöffnete Tor und starrte in den makellos blauen Himmel.

Von der Grumman Gulfstream war nichts mehr zu erkennen.

2

Das Heulen der Triebwerke war im schallgedämpften Inneren der Kabine nur als ein leichtes Summen zu vernehmen. Stanley F. Lanaghan unterhielt sich angeregt mit Senator Sutherland und dem Kongressabgeordneten Patterson. Mich hatte er vergessen. Zumindest schien es so. Er hatte mir ein paar nichtssagende Dinge berichtet und mir die Fotokopie eines Bankauszugs übergeben. Brosamen, die mich bei der Stange halten sollten. Mich und das FBI. Der Bankauszug besagte immerhin, dass ein Mitglied des Verteidigungsausschusses, ein Rechtsanwalt aus Boston, vor sechs Tagen hunderttausend Dollar auf sein Konto eingezahlt hatte. Bar. Das war natürlich verdächtig, aber ein endgültiges Urteil konnte erst abgegeben werden, wenn wir mehr über den Mann wussten. Betrieb er eine Anwaltspraxis? In dem Fall konnte er sich stets auf seine Schweigepflicht berufen und einfach behaupten, es handele sich um das Geld eines Klienten. Wenn er jedoch nur Abgeordneter war, wenn seine sonstige Tätigkeit während seiner Zugehörigkeit zum Kongress ruhte, lag der Verdacht einer Bestechung auf der Hand.

Von Bord des Lanaghan-Jets aus konnte ich nichts unternehmen. Ich konnte nicht einmal mit meinem Chef sprechen, da die Nachrichtenverbindungen der Maschine für die Kommunikation mit Lanaghans Konzernzentrale freigehalten werden mussten. Alle paar Minuten schob einer der Leibwächter seinem Boss Gesprächsnotizen zu.

So wie in diesem Augenblick. Ich wurde aufmerksam. Irgendetwas lag in der Luft. Ohne seine Unterhaltung mit den Politikern zu unterbrechen, schielte Lanaghan auf den Zettel. Der Gorilla, der den Wisch gebracht hatte, blieb neben seinem Boss stehen. Der Junge hatte die Sonnenbrille abgenommen. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, und die Stirn bedeckte sich mit einem dünnen Schweißfilm.

Der Abgeordnete verstummte und lehnte sich zurück. Der Senator sprach weiter auf Lanaghan ein. Mit leiser Stimme, gedämpft, kultiviert, überzeugend.

Ich sah Lanaghans stämmigen Hals. Die eisgrauen Nackenhaare stellten sich auf. Die Haut rötete sich, die Ohren füllten sich mit Blut. Er bewegte sich nicht, das Atmen schien er eingestellt zu haben.

Senator Sutherlands Stimme schwebte wie ein sanfter Hauch an den Ohren des Millionärs vorbei.

Ohne den Kopf zu heben sagte Lanaghan: »Halten Sie endlich Ihr verdammtes Maul, Sie geschwätziger alter Narr!«

Jeder in der Kabine hatte Lanaghans Worte gehört. Niemand bewegte sich. Ein Affront. Ein unerhörter Skandal bahnte sich an. Die Stille wurde rasch unnatürlich, sie schloss uns alle ein wie eine dunkle Decke. Etwas stimmte nicht. Ein Mann wie Lanaghan verliert nicht einfach so die Nerven.

Der Senator starrte Lanaghan an. Die langen weißen Finger des Politikers bohrten sich in das Leder der Armlehnen. Sutherlands Lippen waren blutleer, die farblosen Augen erloschen wie Kerzen im Wind.

Ich stand auf und schob mich neben Lanaghan. Der Leibwächter, der gleichzeitig für den Funkverkehr mit der Konzernzentrale zuständig war, solange er sich mit seinem Boss an Bord des Jets befand, machte bereitwillig Platz. Ich roch seinen Schweiß. Irgendetwas hatte den Jungen geschockt.

Vor Lanaghan lag ein Formular für Gesprächsnotizen mit Spalten für Uhrzeit, Teilnehmer und Erledigungsvermerke. Die Eintragungen in der Handschrift des Leibwächters waren kurz und unmissverständlich.

Zeit: 10 Uhr 58. Eilt! Mr. Lanaghan persönlich! Erhalten soeben Fernschreiben mit Bombendrohung. Maschine Gulfstream werde vor Erreichen Washington abstürzen ... Erbitten Anweisungen ... Dringend ...

Das letzte Wort war kaum mehr zu entziffern. Die Hand des Gorillas musste gezittert haben. Ich sah auf meine Uhr. Noch etwa zwölf Minuten bis zur vorgesehenen Landung auf dem Washingtoner National Airport. Der Flug was bisher planmäßig verlaufen.

Er würde nicht planmäßig enden, wenn der Unbekannte, der die Nachricht geschickt hatte, kein Spinner war.

Lanaghan blickte auf. Seine Augen hatten sich verengt, doch ich konnte die Angst darin erkennen.

»Was sollen wir tun, Agent Cotton?«, fragte er.

Ich wusste es nicht. Ich spürte den kalten Schweiß, der unter meinen Achseln hervorbrach.

»Lassen Sie sich den vollständigen Text des Fernschreibens geben«, sagte ich zu dem Gorilla. »Und sie sollen sich sofort mit dem FBI New York in Verbindung setzen. Mister High. Washington National soll alles für eine Notlandung vorbereiten. Der Flugverkehr muss umgeleitet, der Flughafen gesperrt werden ...«

Der Babysitter nickte heftig und stürzte davon. Er hatte etwas zu tun. In dieser Beziehung ging es ihm besser als Lanaghan oder mir.

Pat Goodwin blinkte ungeduldig, bis das schwere eiserne Tor, von Elektromotoren getrieben, zur Seite rollte und die breite Einfahrt freigab.

Goodwin drückte das Gas nieder und rammte den Fuß gleich wieder auf die Bremse. Er nickte dem Mann auf dem Beifahrersitz zu, und Hubert stieg aus. Hubert war einer der Leibwächter. Ein mittelgroßer Mann mit unauffälligen Gesichtszügen und Augen, die alles sahen, aber selten bemerkt wurden. Hubert verschwand im niedrigen Pförtnerhaus, wo sich auch sein Quartier befand. Dort hielten sich ständig mit Maschinenpistolen bewaffnete Privatpolizisten auf. Geschulte Leute. Goodwin lächelte. Lanaghan hatte Angst. Sein Besitz glich einer Festung.

Das Haus lag auf einem Hügel, inmitten mehrerer anderer Gebäude, Anbauten, die verschiedene Stile repräsentierten. Lanaghan hatte das Gelände um die Anlage herum roden lassen und in einen Todesstreifen verwandelt, in dem nachts Scheinwerfer brannten und Bluthunde hechelten.

Goodwin hielt neben dem roten Stingray genau vor dem Hauptportal. Goodwin grinste. Kaum war der Boss weg, tat jeder, was er wollte. Stanley F. Lanaghan liebte es nicht, wenn jemand seinen Wagen hier abstellte. Nicht einmal seine Tochter genoss dieses Privileg. Goodwin sprang aus dem Lincoln und legte die Hand auf die Motorhaube des Sportwagens. Das Metall war noch warm.

Bis vor wenigen Wochen hatte Mary mit einem schnellen schwarzen Porsche die Gegend unsicher gemacht. Als Lanaghan seine politischen Ambitionen entdeckte, hatte er auf amerikanisch umgeschaltet und Mary gezwungen, ein Fahrzeug aus heimischer Produktion zu kaufen.

Goodwin stürmte an Alfred, dem Butler, vorbei.

»Miss Mary befindet sich in ihren Räumen«, sagte Alfred ungefragt.

Goodwin rannte die breite Freitreppe hinauf. Während des Laufens riss er sich bereits die dunkle Anzugjacke vom Körper und zerrte den Schlips herab. Er lief über die Galerie. Einmal blickte er nach unten in die Halle. Alfred stand immer noch an der Eingangstür und sah nach oben.

»Scher dich in die Küche!«, rief Goodwin und lachte laut.

Er blieb vor einer schweren dunklen Eichentür stehen, drehte den Messingknauf und stieß die Tür auf.

Sie krachte gegen die Wand. Die Vorhänge der bis zum Boden reichenden Fenster waren zugezogen. In einer Ecke brannte eine abgedunkelte Lampe. Pat Goodwin kniff die Lider zusammen. Er entdeckte die junge Frau auf der mit weißem Leder bezogenen Couch. Sie drehte sich um und hob ihr hübsches herzförmiges Gesicht. Die roten Lippen verzogen sich zu einer Grimasse, dann ließ sie den Kopf sinken.

Goodwin schmetterte die Tür ins Schloss. Mit drei schnellen Schritten war er neben ihr. Er packte ihre Oberarme und riss sie in die Höhe. Seine Lippen näherten sich ihrem Mund. Mary Lanaghan presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und wandte den Kopf ab. Goodwin schnüffelte, dann stieß er sie zurück. Sie fiel auf die Couch.

»Du bist wieder high«, sagte er mit einer Stimme, die dunkel war vor unterdrücktem Zorn.

Mary öffnete erst die Augen, dann die Lippen.

»Das geht dich einen Dreck an, du Mistkerl«, sagte sie sachlich, dann lächelte sie zufrieden. »Es ist Hasch, mein Lieber, wenn dir das etwas sagt.«

Mary rekelte sich. Sie trug einen dünnen Tennisdress. Der weiße Rock war in die Höhe gerutscht und ließ die kräftigen weißen Oberschenkel sehen. Sie hat schöne Beine, verdammt schöne sogar, dachte Goodwin. Und die übrige Anatomie ließ ebenfalls nichts zu wünschen übrig. Runde Hüften, eine schmale Taille, feste, nicht zu üppige Brüste. Und schweres kupfernes Haar. Ein Erbe ihrer irischen Mutter. Wie die etwas zu weiße Haut mit den unzähligen Sommersprossen auf der kleinen Nase.

Goodwin starrte auf das weiße Spitzenhöschen. Er beugte sich vor und legte eine Hand auf den nackten Oberschenkel. Sie sah ihn aus grünen Augen unverwandt an. Die Lippen waren trocken und spröde. Ihr Atem ging flach und stoßweise. Urplötzlich grub er seine Finger in ihr Fleisch. Sie bewegte sich kaum. Er nahm die Hand weg. Seine Fingernägel hatten rote Abdrücke hinterlassen.

Wieder packte er Marys Schultern. Er riss sie in die Höhe und stellte sie auf die Füße. Sie schwankte leicht. Er schlug ihr die flache Hand ins Gesicht. Er konnte seinen Zorn nicht mehr zurückhalten.

»Verdammt, dass du das Zeug nicht lassen kannst!«, zischte er nah an ihrem Gesicht.

Ihm entging nicht, wie sich der Ausdruck des kleinen Gesichtes veränderte. Wie es sich zuzog, wie es starr wurde. Sie hob ein Knie. Sie war klein gegen Goodwins sechs Fuß und drei Zoll, aber sie war eine sportliche junge Frau, und sie schaffte es, das Knie hoch genug zu reißen.

Pat Goodwin schrie zornig auf, dann krümmte er sich zusammen, stöhnte und kippte nach vorn. Er schlug mit der Schulter gegen die Kante der weißen Ledercouch und ließ sich auf den Boden sinken.