Jerry Cotton Sonder-Edition 150 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 150 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Wer ihn bestellte, wusste, dass sein Name eine Garantie war. Garantie für den perfekten Mord. Phil und ich hatten von diesem unheimlichen Killer gehört - aber Unterlagen über ihn gab es nicht. Sein neuestes Opfer fanden wir im Unrat einer Müllkippe. Nackt, von hinten erschossen. Und dann war die Hölle los. Denn dieser Ermordete geisterte plötzlich durch unsere Stadt. Der Mietkiller hatte seinen ersten Fehler begangen. Einen Fehler, der den Tod bedeutete. Phil und mir sträuben sich noch heute die Haare, wenn wir an diesen Fall denken.


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Seitenzahl: 217

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Der Mietkiller

Vorschau

Impressum

Der Mietkiller

Wer ihn bestellte, wusste, dass sein Name eine Garantie war. Garantie für den perfekten Mord. Phil und ich hatten von diesem unheimlichen Killer gehört – aber Unterlagen über ihn gab es nicht. Sein neuestes Opfer fanden wir im Unrat einer Müllkippe. Nackt, von hinten erschossen. Und dann war die Hölle los. Denn dieser Ermordete geisterte plötzlich durch unsere Stadt. Der Mietkiller hatte seinen ersten Fehler begangen. Einen Fehler, der den Tod bedeutete. Phil und mir sträuben sich noch heute die Haare, wenn wir an diesen Fall denken.

1

Der Fahrer der großen Limousine kurbelte die Scheibe des Seitenfensters in die Höhe, als der Gestank unerträglich zu werden drohte. Der Mann auf dem Beifahrersitz rümpfte die Nase.

Das Knirschen der breiten Reifen auf dem groben Schotter endete wie abgeschnitten, Scheinwerfer strichen über eine dunkle Ebene. Sie streiften den plumpen Körper eines Baggers, dessen Schaufel auf dem Boden lag wie der Schädel eines abgeschossenen Elefanten.

Sanft trat der Fahrer auf die Bremse, während seine schlanken Hände das Lenkrad herumdrehten. Die lange Schnauze des Wagens schwang herum. Die gebündelten Finger der Scheinwerfer tasteten über die Kante eines scharf abfallenden Abgrunds hinweg und stießen in die schwarze Leere, wurden aufgesogen von der Dunkelheit einer mondlosen Nacht.

Der Wagen rollte aus, hielt. Der Mann am Steuer beugte sich vor und schaltete die Scheinwerfer aus. Nur die grüne Instrumentenbeleuchtung brannte noch und ließ die Konturen eines scharf geschnittenen, markanten Gesichts deutlich hervortreten. Die schmalen, fast farblosen Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln, als er sich dem Beifahrer zuwandte.

»Endstation, Baby«, sagte er mit weicher Stimme, die hier noch den gleichen verführerischen Unterton aufwies wie im Prince Eugene unten in Downtown Manhattan, von wo aus sie vor einer Stunde aufgebrochen waren. Vor einer Stunde erst!

»Steig aus, Baby«, fügte der Mann am Steuer sanft hinzu.

Der andere riss die Augen auf. Er wusste noch nicht, dass er jetzt sterben musste.

Durch die saubere Windschutzscheibe starrte er über ein unglaublich ödes Land, das eher an eine Mondlandschaft erinnerte als an eine Gegend, die kaum sechzig Autominuten von den gleißenden Lichtern, den Menschen, den Geräuschen Manhattans entfernt lag. Undeutlich erkannte er den hohen Bretterzaun, der die Müllhalde von Westchester umgab. Er sah das Tor und die zwei einzelnen Lampen, die hoch darüber an dünnen Drähten baumelten. Die Lampen vermochten nicht die ganze Trostlosigkeit dieser Öde zu erhellen, die man nur ahnen konnte.

Welch ein grotesker Gegensatz zu der gediegenen Atmosphäre im Prince Eugene! Wer dort verkehrte, der war schon etwas, und wer als Fremder hineingelassen wurde, der musste schon einen sehr guten Eindruck machen. Der Gast im Prince Eugene hatte Geld und Lebensart. Dort konnte er sitzen und sich unterhalten, er konnte lesen oder Musik hören, allein oder zu zweit. Es waren immer ein paar nette Jungs da, die in den Rahmen passten.

Dort hatte sich dieser unerhört gut aussehende Bursche mit dem schmalen Gesicht und dem strichdünnen Oberlippenbart an ihn herangemacht. Ein außerordentlich männlicher Typ, der seine Männlichkeit nicht protzend zur Schau stellte wie die kernigen Kerle in ihren knirschenden Lederjacken und den hautengen Jeans. Dieser Mann hatte genau den düsteren Charme, die herbe Männlichkeit, die so echt wirkte und die es so selten gab. Er roch nach Gewalt, nach Stahl.

Doch jetzt passierte das hier! Erwartete dieser Typ etwa eine schnelle Nummer auf einer stinkenden Müllhalde? War der Kerl etwa pervers?

»Mensch, bist du verrückt?«, fragte er und rümpfte die Nase. »Weißt du denn nicht, wer ich bin? Verrückt bist du, wenn du denkst, ich steige jetzt hier aus! Total verrückt!«

Sein Begleiter schwieg. Reagierte einfach nicht. Der junge Mann sah die düster umschatteten Augen des unheimlichen Fremden, sah wieder jene winzigen hellen Punkte in der Iris und jenes Glitzern, das ihn schon im Prince Eugene so gereizt hatte.

»Ich setze hier keinen Fuß aus dem Wagen, verstehst du? Ich dachte, wir fahren zu dir. Wo ist dein schönes Haus an der Bucht, mit Swimmingpool und Sauna? Los, bring mich zurück!«

Er hatte versucht, seiner Stimme einen nasalen, gelangweilten Unterton zu geben. Er wusste jedoch, dass diese Absicht kläglich misslungen war. Er lehnte sich in das bequeme Polster zurück. Ihn fröstelte plötzlich, und endlich begriff er, dass er es nicht mit einem Typen zu tun hatte, der auf ein schnelles Abenteuer aus war.

»Bist du fertig?«

Die Stimme seines Begleiters hatte ihre Sanftheit verloren. Der junge Mann auf dem Beifahrersitz zuckte zusammen.

»Steig jetzt aus.« Der Killer entriegelte die Tür und stieß sie auf. »Steig aus und zieh dich aus.«

»Du bist verrückt!« Eine zitternde Hand legte sich auf einen kräftigen Unterarm.

Der Mörder schlug die Hand herab. Wie hingezaubert lag eine schwere Pistole in seiner Rechten. Der blauschwarze Stahl der Waffe schimmerte ölig im Schein der Instrumentenbeleuchtung. Ein kühler Wind strich durch die geöffnete Wagentür.

Der Killer verlor die Geduld. Er versetzte dem jungen Mann auf dem Beifahrersitz einen heftigen Stoß, der ihn aus dem Wagen katapultierte. Im Nu war der Killer ebenfalls draußen.

Sein Opfer sprang auf, wollte fliehen, aber es blieb bei dem Versuch.

Lässig hakte der Killer einen Fuß unter das Bein seines Opfers. Der junge Mann flog der Länge nach in den Dreck.

Der Killer bückte sich, riss sein Opfer hoch und versetzte ihm zwei schallende Ohrfeigen.

»Zieh dich jetzt aus!«, befahl er erneut, und diesmal sträubte sich der Junge nicht mehr. Zitternd, mit vor Angst weit aufgerissenen Augen zerrte er sich die Kleider vom Leib.

Der Killer steckte einen Schalldämpfer auf den eckigen Lauf der schweren Pistole. Er ließ sein Opfer nicht aus den Augen. Schneeweiß leuchtete die Haut durch die Dunkelheit.

»Dreh dich um«, befahl der Mörder.

»Warum?«, schrie der Junge, der jetzt sterben sollte. Aus der Tiefe der Müllgrube fegte eine Windbö herauf und fetzte ihm das Wort von den Lippen.

»Du hättest den Mund nicht so weit aufreißen dürfen, Freund, schließlich meinten es alle gut mir dir! Aber was tust du? Du hetzt alle Leute auf. Du stiftest Unruhe. Das ist nicht gut.«

»Ich zahle nicht zwanzig Cent von jedem Dollar an euch Blutsauger!«

»Du hättest dich früher beschweren sollen. Du hättest zu den Leuten kommen können, die stets ein offenes Ohr für dich hatten. Jetzt ist es zu spät.«

Eine Hand zuckte vor, lange Finger, kräftig wie Stahlklammern, gruben sich in eine Schulter, drehten den nackten Mann herum. Ein Stoß in den Rücken ließ ihn auf die Kante der Kippe zu taumeln.

Die Pistole in der Hand des Mörders ruckte zweimal. Deutlich war das klatschende Geräusch zu hören, mit dem das Blei in den Körper drang.

Wie ein Spuk verschwand der Körper von der Ebene. Er kollerte den Hang hinab, inmitten einer Lawine aus Abfällen der Konsumgesellschaft.

Zusammen mit den Abfällen versank der Tote im schwarzen Grundwasser.

Der Mörder hob die Kleidungsstücke auf, die neben dem Wagen lagen. Mit einem Handscheinwerfer leuchtete er den Boden der Umgebung ab, ob nichts zurückgeblieben war, was ihn hätte verraten können oder auf die Tat hindeutete, die hier geschehen war.

Er öffnete die Klappe des Kofferraums. Automatisch schaltete sich die Beleuchtung ein. Das Licht kümmerte den Killer nicht mehr. Sollte ihn ein Wachmann aufstöbern, so konnte der ihm höchstens vorwerfen, er hätte sich um die Gebühr zu drücken versucht, die fällig wurde, wenn er etwas auf die Kippe werfen wollte.

Der Killer grinste mit schmalen Lippen. Wie hoch mochte die Gebühr für eine Leiche sein?

Die Kleidungsstücke – eine dunkelblaue Bolerojacke aus feinstem Samt, ein spitzenbesetztes Hemd mit bauschigen Rüschen an den Ärmeln, eine enge Kniehose, weiße Seidenstrümpfe und schwarze Lackschuhe mit glänzenden versilberten Schnallen – durchsuchte er beim Schein der kleinen Lampe, die im Deckel des Kofferraums untergebracht war.

Er nahm nur einen Schlüsselbund an sich. Die Kleider stopfte er in einen eigens zu diesem Zweck mitgebrachten Pappkarton, von dem er wusste, dass er durch die Klappe des Müllschluckers eines Apartmenthauses an der Amsterdam Avenue passte. Der Karton würde direkt in der Müllverbrennungsanlage landen. Keine Spur würde bleiben ...

Der Killer schlug den Deckel des Kofferraums zu und setzte sich wieder hinter das Steuer der schweren Limousine. Ordnungsgemäß schnallte er sich an, bevor er startete und losfuhr.

Er hatte zwölftausend Dollar gemacht. Das war sein Tarif.

Ich bewegte mich wie durch ein Museum, das den Größen des Showbusiness gewidmet war. Sie alle hingen an den Wänden. Alle, ohne Ausnahme. Er hatte sie alle gehabt. Jedem von ihnen hatte er eine Show, ein Musical oder ein Theaterstück angemessen wie einen feinen Anzug, auf den Leib geschneidert gewissermaßen, und sie alle hatten mit ihm Erfolg gehabt. Manche verdankten ihm alles.

Ihm, dem größten Produzenten, den diese Stadt je hervorgebracht hat.

George Pelekanos.

»George der Große«, wie er ehrfürchtig genannt wurde. George Pelekanos und der Broadway, das war nicht mehr zu trennen. Der große George lebte am Broadway, wo er auch arbeitete. Dort wo sich die größten und bedeutendsten Theater der Welt auf einer Fläche von noch nicht einmal zwei Quadratmeilen drängeln wie in Neapel die Pizzastuben.

Ich lief auf sein Allerheiligstes zu. Ich, der G-man Jerry Cotton, besuchte den Mann, dem dieses Museum gehörte, der bereits zu Lebzeiten eine Legende war.

Pomp kennzeichnete diese Etage hoch oben auf dem Dach des Sheraton Astor direkt am Times Square. Vor zehn Jahren etwa war das Haus seiner Eltern drüben in Brooklyn abgebrannt. Seitdem lebte er hier. Für ein paar Hundert Dollar pro Tag. Was soll's, George konnte es sich leisten.

Dabei war er ein bodenständiger Mann geblieben. Nie in seinem Leben hat er den Geruch des griechischen Einwanderers abschütteln können, obwohl er in New York geboren wurde. Vor gut fünfzig Jahren drüben in Brooklyn, als Sohn eines Straßenhändlers aus Saloniki, das damals noch türkisch war.

Das alles wusste in New York jedes Kind. Ich wusste es jedoch von ihm selbst, denn George Pelekanos bezeichnete mich als seinen Freund, seit ich vor einigen Jahren einen seiner Brüder davor bewahrt hatte, von einem wahnsinnigen Amokläufer getötet zu werden. George Pelekanos war ein Mann, der nie jemanden vergaß, den er als seinen Freund bezeichnete, auch wenn die Freundschaft eines solchen Mannes manchmal etwas Erdrückendes haben kann. Nie versäumte er, mich zu den überaus zahlreichen Familienfesten einzuladen. Immer gab es etwas zu feiern – Hochzeiten und Geburten, Taufen, Verlobungen, Todesfälle.

Ich blieb vor der Tür stehen, auf deren Milchglasfüllung Privat stand. Ich klopfte dezent, und sofort wurde die Tür geöffnet. So schnell, dachte ich, dass die Vermutung naheliegt, irgendein verborgenes Fernsehauge hätte meine Annäherung angezeigt.

Der Bursche, der die Tür für mich offen hielt, sah aus wie ein Gorilla, und ich hätte meinen nächsten Gehaltsscheck bedenkenlos gegen ein verschwitztes Hemd verwettet, dass der Knabe auch einer war.

Er hatte sogar einen Zwillingsbruder, der neben der Tür zu George Pelekanos' Privatbüro lehnte und mir misstrauisch entgegenblickte. Die beiden Knaben hatten die gleichen breiten Schultern, die gleichen nichtssagenden Züge, die gleichen schweren Fäuste.

Ich begann mich zu wundern. Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, dass sich ein Mann wie George mit einer Leibwache umgeben könnte. Er hätte es als Makel empfunden. Er war ein Mensch, der sich mit Freunden umgab. Mit Menschen, die er zu seinen Freunden gemacht hatte.

»Ich bin mit Mister Pelekanos verabredet«, sagte ich, ohne meinen Namen zu nennen.

George hatte um meinen Besuch gebeten, und er hatte mir in seiner manchmal etwas umständlichen Art zu verstehen gegeben, dass ich nicht unbedingt jedem zu sagen brauchte, wer ich bin.

Okay, ich hielt mich daran. Mein Freund und Partner Phil Decker und ich arbeiteten seit einigen Wochen zäh und verbissen, aber ergebnislos an einer Reihe seltsamer Todesfälle, die ins Showgeschäft wiesen, das war die gemeinsame Basis, mehr oder weniger. Sorry, mehr wussten wir zu diesem Zeitpunkt nicht, obwohl wir uns natürlich das ein oder andere denken konnten.

Im vergangenen Jahr hatte der Broadway seine beste Saison seit Langem verzeichnen können. Natürlich lockte der Erfolg Elemente an, die ihren Anteil forderten, ohne bereit zu sein, eine Gegenleistung zu erbringen.

Die Syndikate kassierten fleißig mit. Mafia, Cosa Nostra.

Viele Leute wussten inzwischen, dass sich das FBI in die Untersuchungen eingeschaltet hatte, dass die Ermittlungen der verschiedenen Polizeidienststellen bei uns zusammenliefen. Und dort bei Phil und mir. Das musste George zu Ohren gekommen sein.

Der Gorilla schob sich hinter den Schreibtisch, den sonst eine schnuckelige Brünette einnahm.

Der Knabe drückte mit seinem Triggerfinger auf die Sprechtaste. »Ihr Besucher ist da, Chef.«

»Lasst ihn rein bitte.«

Eine ledergepolsterte Tür wurde vor mir geöffnet. Ich lief hindurch.

Wieder ein Museumszimmer. Diesmal das Herz, die verborgene innere Kammer, in der sich der Chef allein der herrlichsten Stücke erfreute.

Theaterplakate, Musicalankündigungen, Schallplatten an den Wänden, sie ließen kaum noch Tapete erkennen. Unmittelbar über dem Schreibtisch hingen Fotos. Alte, verblichene Schwarz-Weiß-Bilder, die Georges Eltern und Geschwister zeigten und das Haus drüben in Brooklyn, das vor zehn Jahren abgebrannt war.

Natürlich besaß George ein neues Haus, irgendwo bei Long Beach oder Oceanside, so wurde gemunkelt, doch dorthin zog er sich nur zurück, wenn er allein sein wollte, was jedoch selten vorkam. George lebte hier in diesen Räumen oben im Sheraton Astor für ein sündhaftes Geld.

Er hockte hinter seinem Schreibtisch, der für ihn ein paar Nummern zu groß war. Er hockte nicht, er hing in dem Sessel wie eine große fette Kröte, der man sorgfältig alle Knochen herausgenommen hatte. Unglücklich, wie mir schien, sah er mich von unten herauf an. Er stand nicht auf, um mich überschwänglich, wie es seiner Art entsprach, zu begrüßen. Er hob eine Hand, schlapp, als kostete es ihn eine beträchtliche Anstrengung. Ich ergriff die Hand und schüttelte sie. Die Haut fühlte sich kalt und feucht an, wie die einer Kröte.

»Setz dich, Jerry, setz dich.« Seine Stimme klang matt. Leidend.

Vorsichtig nahm ich Platz. Der Stuhl war hart und unbequem, die Lehne steil. Bei meinem letzten Besuch in diesem Raum hatte ich einen bequemen, weich gepolsterten Ledersessel vorgefunden. Jetzt saß ich hier vor dem Schreibtisch wie ein Angeklagter vor dem Richtertisch.

George hatte leicht vorquellende hellgraue Augen, die einen Menschen innerhalb weniger Sekunden bis ins Innerste abklopfen und einordnen konnten. Diesmal wirkten sie jedoch verschwommen und leer.

George öffnete den breiten Mund, als von den fünf Telefonen auf seinem Schreibtisch zwei zu summen begannen. Sie summten vollkommen gleich, ohne zu zögern griff George in das Durcheinander an Apparaten und Kabeln und fischte die beiden richtigen Hörer heraus, die er ans Ohr presste.

»Ja?«, sagte er matt und richtete den Blick seiner glanzlosen Augen auf mich, während er zwei Anrufern gleichzeitig lauschte und zu ihnen sprach.

Das heißt, er sprach nur zu einem, antwortete knapp, bestätigte die Sätze des zweiten Anrufers.

Ich hatte George jetzt seit mehr als einem Jahr nicht gesehen. In dieser Zeit war er ein alter Mann geworden. Die dunklen Flecke auf seinem Handrücken hatten sich ausgebreitet wie Öl auf dem Wasser. Das damals noch volle schwarze Haar war eisgrau geworden. Die Haut an seinem Hals war schlaff, die Wangen hingen faltig herab.

Nacheinander legte er die Hörer zurück, nachdem er ein Kauderwelsch losgelassen hatte, das ich nicht verstand, das für den betreffenden Teilnehmer jedoch über Sein oder Nichtsein entschied.

Er lächelte mir zu, jedenfalls versuchte er es. »Fein, dass du gekommen bist, Jerry. Wirklich nett. Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen? Ein halbes Jahr, nicht wahr?«

»Ein Jahr«, korrigierte ich ihn. Er wusste genau, wann es gewesen war, der alte Fuchs.

Er lächelte. »Eine lange Zeit. Du hast nicht geheiratet?«

Ich lächelte ebenfalls und schüttelte den Kopf. »Bei meinem Job, George, kann ich keiner Frau zumuten, auf mich zu warten.«

»Schade, Jerry, wirklich schade. Ich habe da eine Nichte, sie ist wirklich süß. Sie ist die Tochter meines jüngsten Bruders Niko ...« Er verstummte, seine Augen nahmen einen abwesenden Ausdruck an.

Wieder schnarrte ein Telefon, mechanisch nahm er den Hörer ab und presste ihn an sein Ohr.

»Ja, danke ... Schick sie herauf.« Er legte den Hörer zurück. »Jerry, nett, dass du gleich aufgebrochen bist.«

Ich lächelte unentwegt. George würde erst zur Sache kommen, wenn es ihm passte. Er machte einen bedrückten Eindruck.

»Jerry, wir alle haben Kummer, mancher ist vermeidlich, mancher nicht. Wie alles im Leben. Verstehst du, was ich meine?«

»Nein«, gab ich zu. Ich schnippte eine Zigarette aus der Packung, schob sie mir zwischen die Lippen und zündete sie an.

George verfolgte jede meiner Bewegungen, als führte ich ihm ein Zauberkunststück vor. »Ihr macht zurzeit viel Wind, Jerry, und ich muss ehrlich gestehen, es gefällt mir nicht. Nein, es gefällt mir gar nicht.« Er schüttelte seinen großen Kopf.

»Gefällt es dir denn, wenn Gangster bei dir mit kassieren? Wenn sie deine Schauspieler einschüchtern?«

»Das gefällt mir noch weniger. Aber wenn ihr herumschnüffelt, machen sie meine Show kaputt. Ich wehre mich auf meine Weise. Die Schauspieler und Sänger und die Regisseure sind empfindlich. Du weißt, dass es Zusammenbrüche gegeben hat.«

»Und Morde.«

»Und Morde«, bestätigte George. »Du wirst nichts daran ändern. Wir werden uns arrangieren müssen, wie andere Branchen es auch getan haben. Die Mafia ist nicht erst seit heute im Showgeschäft.«

»Hast du mich herbestellt, um mir das zu sagen? Verlangst du von mir, ich sollte meine Nase nicht in euer Geschäft stecken? George, ich dachte, wir sind Freunde! Freunde müssen offen zueinander sein.«

»Ich bin offen, zum Teufel! Ich will nicht, dass du herumschnüffelst! Offener geht's nicht. Ich werde tun, was sie verlangen. Ich habe mich lange genug gewehrt. Wenn sie Geld wollen, kriegen sie Geld, damit sie meine Darsteller in Frieden lassen ...« Er griff in das Durcheinander und fischte einen Hörer heraus. »Soll warten«, knurrte er. Er packte einen anderen. »Ed!«, rief er. »Was ist mit der Ellingson? Okay, okay, ruf Loretta in L. A. an! Bestimmt hat sie jemanden an der Hand!«

Er schmetterte den Hörer auf die Gabel zurück und starrte mich an.

»Das war Ed Weber, mein Besetzungsdisponent. Zurzeit mein meistbeschäftigter Mann. Doris Ellingson, eine junge Frau, die ich zum Star gemacht habe, hat abgesagt, dabei weiß sie, dass ich sie brauche für eine Rolle in einem Topmusical! Jemand hat ihr zugesetzt, um mich zu treffen! Um mir zu zeigen, wie stark er ist! Und dann versuchen sie natürlich, mir ein Girl anzuhängen, das ihnen einen Anteil an der Gage abgibt. Es ist zum Kotzen, Jerry.«

Er sprang auf und riss die schwere Gardine vor den hohen Fenstern zur Seite. Dann hebelte er die Tür in die Höhe und trat auf die Terrasse hinaus. Ich folgte ihm.

Eine blasse Märzsonne versuchte, sich durch den Dunst zu kämpfen. George reckte sein Gesicht zum Himmel. Der Wind hier oben war scharf und kalt. Ich blickte mich um.

Über uns gab es noch zwei Etagen mit Penthouses und breiten Terrassen davor, groß genug, um Tennis darauf spielen zu können.

George wirbelte herum und starrte mich an. »Zum Teufel, Jerry, was können wir tun?«, fragte er leise und sah mich an.

Mir entging die Angst in seinen Augen nicht.

»Du musst mir zuerst mehr erzählen«, antwortete ich.

Er zerrte mich in das Büro zurück. Es war, als pulsierte frisches Blut durch seine Adern. Die schlaffe Gesichtshaut belebte sich, der Blick wurde klarer und fest, der Griff der großen Hände, eben noch schwammig und lasch, wirkte kräftig. Er drückte mich in seinen Schreibtischsessel und setzte sich selbst auf die Schreibtischplatte, nachdem er die zahlreichen Apparate zur Seite geschoben hatte.

»Ich bereite ein Musical vor. Eine ganz große Sache. Ich habe bereits eine Million eigenes Geld investiert und drei Millionen fremdes. Wenn ich mitmache, gewinne ich alles zurück. Wenn nicht, verliere ich alles. Nicht nur die Dollars. Sie verlangen viel Geld, Jerry. Und sie wollen bei allem mitreden. Beim Buch, beim Regisseur, bei den Darstellern.« Er rieb sich mit einer Hand durchs Gesicht. »Jerry, wenn ich das Musical so produziere, bringt es zwar Geld, aber es ist nicht mehr mein Stück und nicht das, was sich der Autor und der Komponist ausgedacht haben.«

Ich sah mich um und deutete auf die Wände.

George schüttelte den Kopf. »Alles sauber. Ich zahle ein sündhaftes Geld an eine Firma, die von der Unsicherheit profitiert. Die beiden Figuren draußen gehören zu dem Vertrag, den ich mit den Leuten geschlossen habe. Totaler Service. An mich kommt keiner ran, behaupten sie.« Er grinste breit, und endlich kriegte ich die prächtigen Goldzähne zu sehen, die einmalig waren am Strip. Eine Sehenswürdigkeit wie die Beine der Marlene Dietrich.

Ich glaube selbst nicht daran, sollte dieses Grinsen bedeuten.

»Sie wissen, dass du hier bist«, sagte er, unvermittelt wieder ernst geworden. »Einer der Anrufer eben. Sie geben mir eine letzte Warnung, dann ist Schluss ...«

Er zuckte zusammen, als die Tür aufgerissen wurde.

Ich reagierte ebenfalls. Meine Hand fuhr unter die Jacke. Mir kam die Stille zu Bewusstsein, die in diesem Raum hoch über Manhattan, über dem brausenden Times Square, herrschte.

Ich ließ die Hand fallen. In der Tür stand eine Frau.

Was sage ich! Eine Frau? Das war keine Frau. Sie war ein Naturereignis. Ein Star auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn. Ein Star, der jede Gage verlangen konnte – und sie bekam. In New York, Las Vegas oder Hollywood. George hatte sie entdeckt, sie »gemacht«, er hatte sie kreiert wie ein Kunstwerk. Sie war sein Geschöpf.

Sie war Rose Thomas.

2

Sie stand in der Tür in der Pose des Stars, der prüft, ob er bei seinem Publikum ankommt. Die linke Hüfte ein wenig vorgeschoben, den Kopf angehoben, die Augen blitzend. Hellblau, frech, mädchenhaft.

Applaus, dachte ich.

Sie lächelte, als könnte sie den Applaus hören. Mit einer anmutigen Bewegung schloss sie die Tür, dann schob sie sich über den tiefen Teppich auf George Pelekanos zu.

»Du hast mich warten lassen«, sagte sie.

Ihr schmales Gesicht mit dem ausdrucksvollen Mund verzog sich einen winzigen Moment. George kam um seinen Schreibtisch herum. Er legte seine Arme um sie. Sie war fast einen ganzen Kopf größer als er. Ihr schweres Haar hatte die Farbe reifen Weizens. Es floss über weiche Schultern und hüllte Georges Kopf ein, während er sein Gesicht kurz an ihren Busen drückte. Rose lächelte, dann beugte sie sich herab und küsste seine Stirn.

»Verzeih, Darling«, erwiderte er. »Ich habe eine wichtige Unterredung.«

Ein sprühender Blick traf mich, Augen tasteten an mir hinab, Augen, deren Blick eine offene Aufforderung zu sein schienen. Mir wurde heiß.

»Hast du dir noch einen Gorilla zugelegt?« Sie hatte eine dunkle Altstimme, die mühelos den großen Raum füllte. Sie lächelte.

»Du irrst, Darling. Jerry ist ein alter Freund. Er hilft mir in einer privaten Angelegenheit. – Wie war es bei den Proben?«, fragte er, um seinen Star abzulenken.

Sein Star ließ mich nicht aus den Augen.

»Schauderhaft«, klagte Rose. »Bert war überhaupt nicht in Form. Er ist so schrecklich nervös. Du musst mit ihm reden, Darling.«

George warf mir einen vielsagenden Blick zu. Siehst du, sollte der Blick bedeuten. Er trat auf mich zu.

»Jerry, treffen wir uns zum Essen? Um eins? Du kennst doch das Akropolis am Sheridan Square.«

Und ob ich dieses griechische Lokal kenne. Natürlich war es George, der mich dort eingeführt hat. Ich erinnerte mich an einige Fressorgien von geradezu orientalischen Ausmaßen. Mit Dolma und Hammelfleisch, mit Tintenfisch und Knoblauch, mit Moussaka und Baklava. Und das alles übergossen mit harzigem Retsina. Nein, heute nicht, dachte ich mit leichtem Schaudern.

»Bitte«, sagte George drängend.

Ich suchte nach einer anderen Möglichkeit. Es gibt so schöne amerikanische Snackbars, und ich wollte gerade eine vorschlagen, als etwas gegen die Tür zum Vorzimmer polterte.

Das Geräusch war ganz kurz, als wäre jemand mal eben gestolpert und hätte sich mit der Hand an der Tür abgefangen.

Georges Reden und seine Verfassung hatten mich nervös gemacht. Die Tür zur Terrasse stand noch offen. Ich schob George auf die Tür zu und legte meine Hand im Vorbeigehen in Roses Rücken.

»Geht da raus, schnell!«, zischte ich. »George, zieh die Tür zu. Bleibt draußen, bis ich euch hole!«

Die Terrasse war gegen die anderen Räume dieser Etage mittels hoher Glaswände abgeschirmt.

Ich wirbelte herum. Die Alutür glitt vor ihren Ausschnitt. George und Rose standen draußen und starrten herein. Der Wind packte Roses Kleid und presste den dünnen leuchtend roten Stoff gegen ihren Körper.

Ich legte meine Rechte auf den Kolben des Smith & Wesson. Mit der Linken drehte ich den Knauf der Tür zum Vorzimmer. Ich kam mir lächerlich vor und hielt die Luft an, als ich die Tür nach außen stieß.

Schon nach wenigen Inch prallte die dicke gepolsterte Tür gegen einen Widerstand. Durch den Spalt erblickte ich einen Fuß, der verdreht auf dem Teppich des Vorzimmers lag. Das Hosenbein war verrutscht, der Fuß zuckte konvulsivisch.

Der Mann, dem der Fuß gehörte, lag im Sterben.

Meine Kopfhaut zog sich zusammen. Ich warf mich gegen die Tür und schob den Verletzten zur Seite. Auf seinen Zustand konnte ich keine Rücksicht nehmen. George Pelekanos' Büro glich einer Mausefalle. Wenn man von der Terrassentür absah, stellte der Weg durch das Vorzimmer den einzigen Zugang dar.

Als der Spalt breiter wurde, warf ich mich zu Boden.

Jetzt lagen vier Füße in meinem Blickfeld. Das konvulsivische Zucken des einen endete in einigen zittrigen Stößen. Ich wusste, was sie bedeuteten – der Mann war tot.

Der andere auch. Ich hielt meinen Revolver in der Faust. Den Hammer hatte ich längst gespannt. Ich sah die Gesichter der beiden Gorillas. Totaler Service in Sachen Sicherheit. Sie hatten sich abknallen lassen wie Tontauben, dabei kam niemand hier herauf, ohne unten in der Halle vom Portier gecheckt und angemeldet worden zu sein. Kein Liftboy würde einen Besucher herauffahren, wenn der Portier nicht sein Okay gab. Fear City. Die Angst herrschte in dieser Stadt. Und hier am Times Square befand sich ihr Zentrum.

Einer hielt einen Revolver in der verkrampften Faust, der andere war nicht einmal mehr dazu gekommen, die Waffe herauszureißen. Das Milchglas der Tür zum Flur war unversehrt, die Tür geschlossen. Das Zimmer schien ansonsten leer zu sein.

Ich zog die Beine an und warf mich vor, mitten in den anderen Raum hinein. Dort wirbelte ich herum, ging in die Hocke, meine Hand mit der Waffe beschrieb einen Kreis.

Kein Killer versteckte sich hinter der Tür oder dem Schreibtisch.

Mein zweiter Blick streifte die Männer am Boden. Er überzeugte mich, dass für sie jede Hilfe zu spät kam. Einer hatte ein hässliches schwarzes Loch über der Nasenwurzel, dem anderen waren zwei Kugeln eines größeren Kalibers in die Brust gedrungen.