Jerry Cotton Sonder-Edition 152 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 152 E-Book

Jerry Cotton

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Beschreibung

Es war von Anfang an ein Fall wie ein Albtraum. Mr. High schleuste mich in die skrupelloseste und gerissenste Rauschgiftgang ein, die je in New York ihr Unwesen getrieben hatte. Eines Tages war es so weit. Sie schleppten mich in den Folterkeller. "Gib zu, dass du ein Cop bist!", schrie mich der Killer der Bande an. "Oder wir rösten dich bei lebendigem Leib, bis du singst." Von diesem Augenblick an war meine Überlebenschance gleich null ...


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Seitenzahl: 206

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Inhalt

Cover

Überlebenschance null

Vorschau

Impressum

Überlebenschance null

Es war von Anfang an ein Fall wie ein Albtraum. Mr. High schleuste mich in die skrupelloseste und gerissenste Rauschgiftgang ein, die je in New York ihr Unwesen getrieben hatte. Eines Tages war es so weit. Sie schleppten mich in den Folterkeller. »Gib zu, dass du ein Cop bist!«, schrie mich der Killer der Bande an. »Oder wir rösten dich bei lebendigem Leib, bis du singst.« Von diesem Augenblick an war meine Überlebenschance gleich null ...

1

»Raustreten zur Arbeit in fünf Minuten.«

Die Lautsprecherdurchsage kam wie üblich kurz vor sieben. Sie hallte in dem langen Zellenbau nach, kam als Echo zurück, verebbte.

»Also dann, Billy ... Heute oder nie.«

Mein Zellengenosse Gene Tumblin stand vom Klappsitz auf und steckte sich eine Zigarette an. Der schnelle Blick seiner engstehenden Augen schweifte durch den Raum, der in den letzten sechs Wochen unser gemeinsames Zuhause gewesen war.

Ich räumte inzwischen das Frühstücksgeschirr weg, wie vorgeschrieben.

»Sieh dir den Puff noch mal an«, brummte Tumblin. Sekundenlang wetterleuchtete ein grimmiges Lachen in seinem schmalen Gesicht. »Sieh ihn dir genau an. Es ist das letzte Mal.«

»Du meinst, es klappt?«, fragte ich.

»Klar, Mann. Alles ist vorbereitet, die Kumpels wissen Bescheid. Wenn um zehn der Lieferwagen mit den leeren Waschmittelbehältern rausgeht, sind wir dabei.«

»Du bist der Boss. Hoffentlich geht's gut.«

»Ich krepier lieber, als dass ich noch mal in das Loch hier zurückgehe. Entweder wir kommen raus, oder sie karren uns in die Anatomie. Lebendig lass ich mich nicht mehr fangen.«

»Okay«, sagte ich. Mehr Worte wären schiere Zeitverschwendung gewesen. Unser Ausbruch war bis in alle Einzelheiten durchgesprochen, geplant und vorbereitet.

Unser, das heißt der Ausbruch der Strafgefangenen Gene Tumblin und William Fraser aus dem Gefängnis in Paterson im Staat New York.

Mit diesem Ausbruch würde gleichzeitig mein Einsatz beginnen. Ich, G-man Jerry Cotton, würde dann nahezu völlig auf mich allein gestellt sein.

»Raustreten zur Arbeit.«

Mit dem Kommando klackte es in der Wand neben der Tür. Die Zentralverriegelung war geöffnet worden.

»Viel Glück, Gene«, sagte ich, machte ein treuherziges Gesicht und reichte Tumblin die Hand, wie vor einem Gipfelsturm. Später würde mein Leben davon abhängen, dass er mir weiterhin vertraute. Er durfte keine Sekunde daran zweifeln, in mir den zu zwanzig Jahren Haft verurteilten Bill Fraser vor sich zu haben.

»Klappt schon, Billy.« Tumblin, Ende dreißig, knapp sechs Fuß groß, hager, mit tief liegenden dunklen Augen und schwarzem gelockten Haar, nickte mir zu.

Er verließ die Zelle als Erster. Ich folgte ihm. Wir bauten uns zu beiden Seiten der Tür auf.

Unter uns lagen noch vier Etagen. Eine riesige Halle, mit Drahtnetzen gesichert, mit Laufgängen und Treppen aus Eisen, das war Haus vier. Es beherbergte ein paar Hundert Männer, alle zu langjährigen Strafen verdonnert. Räuber, Mörder, Gewalttäter jeder Art. Tumblin, der mir einen schnellen triumphierenden Seitenblick zuwarf, gehörte zu ihnen. Er hatte zwei Polizisten erschossen und war zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden.

»Rechts um, vorwärts marsch.«

Schlagartig war der riesige Raum von der Größe eines mittleren Bahnhofs vom Lärm vieler Füße erfüllt. Während ich in der Reihe hinter Tumblin her stampfte, zog wie ein überdrehter Film noch einmal die Vorgeschichte dieses lebensgefährlichen Einsatzes an mir vorbei.

»Überlebenschance null, Jerry«, hatte Phil Decker, mein Freund und Partner, galgenhumorig gesagt, als die letzten Einzelheiten bei Mr. High festgelegt worden waren. Jetzt, da es ernst wurde, kam mir die Bezeichnung weniger spaßhaft vor als damals, vor etwa zwei Monaten.

Wir erreichten das Erdgeschoss, stellten uns in Dreierreihen auf und warteten auf die Einteilung zur Arbeit. Sie war heute Routine und wechselte nur alle paar Wochen.

Sam Quastoff, der rothaarige Oberaufseher, kam pomadig wie stets die Front der angetretenen Sträflinge entlang.

»Boys«, sagte er, »ihr seht, es gießt immer noch.« Mit dem Kopf wies er zu den vergitterten Fenstern, an denen der Regen herabrann.

Schon seit vorgestern war schlechtes Wetter, für einen Juni in der Nähe von New York nicht ungewöhnlich. Daran dachte ich aber jetzt nicht. Meine Aufmerksamkeit war auf Quastoff gerichtet. Er hatte etwas auf der Pfanne.

»Ja, Sir«, sagte Chuck Brown, der Clown des Trakts. »Wenn wir uns alle ausziehen und rausgehen, sparen wir das Duschwasser.«

»Rausgehen könnt ihr«, meinte Quastoff und lächelte gönnerhaft. »Allerdings nicht, damit ihr vom Regenwasser 'ne bessere Haut am Hintern kriegt. Drüben bei der Farm droht der Creek den Damm einzureißen. Ihr werdet ihn verstärken. Und zwar jeder entbehrliche Mann.«

»Verdammter Mist«, zischte Tumblin in die aufkommende Unruhe hinein. »Wir müssen unbedingt beide in die Wäscherei.«

Zunächst schien das unmöglich. Wanamaker, unser Aufseher, stellte zwar Tumblin dorthin ab, doch ich sollte heute mit raus an den Damm.

»Was soll ich machen?«, flüsterte ich Tumblin zu.

Auf keinen Fall durfte er allein ausbrechen. Wenn ich im Knast zurückblieb, konnte das FBI die ganze Aktion in den Rauch schreiben. Ich benötigte Tumblin als Reputation, um dorthinzukommen, wo ich hinsollte. In eine Rauschgiftgang.

»Mach ich schon«, raunte er mir zu. Laut sagte er: »Mister Wanamaker, bitte lassen Sie mir Fraser. Ich brauche ihn. Wir haben heute in der Wäscherei besonders viel zu tun. Allein schaff ich das nicht.«

»Quastoff hat's so angeordnet.« Wanamaker, ein bulliger mittelgroßer Mann, zuckte mit den Schultern.

»Sir«, sagte Tumblin, »bitte machen Sie's möglich. Ich fühle mich heute mies. Eigentlich wollte ich mich krank melden. Wenn Fraser mir nicht hilft, haut's mich um.«

»Okay, ich will mal sehen.« Wanamaker stiefelte zu Quastoff hinüber und sprach mit ihm.

Der Oberaufseher blickte zu uns herüber, musterte den hageren Tumblin und nickte.

Wanamaker kam zurück. »Geht in Ordnung, ihr könnt gehen.«

»Danke, Sir.« Tumblin tat, als fiele ihm ein Felsbrocken vom Herzen. Verstohlen stieß er mich an.

Wir warteten, bis die Trupps für die Gebäudereinigung, die Tischlerei und die Wäscherei komplett waren. Dann führte uns Wanamaker weg. Die meisten anderen mussten sich fluchend und nörgelnd dazu bequemen, Regenbekleidung und Werkzeug zu greifen. Draußen wartete ein nasser Tag auf sie.

Wir zwölf Mann vom Wäschereikommando nahmen wie gewöhnlich unsere Arbeit auf. Ich bediente zusammen mit Tumblin einen Maschinensatz, bestehend aus Waschmaschine, Schleuder und Heißlufttrockner. Jedes Team musste ein bestimmtes Soll erfüllen. Schaffte man mehr, gab's Prämien. Deshalb achtete jeder peinlich darauf, dass sein zweiter Mann nicht bummelte.

Wir beschickten die altertümliche Maschine und ließen die erste Tour laufen. Äußerlich war uns nichts anzumerken. Ich selbst empfand dagegen größte Spannung und wusste, Tumblin erging es nicht anders. Für ihn stand Freiheit oder Knast auf dem Spiel, für mich der Beginn eines riskanten Einsatzes.

Ich sagte schon, die maschinelle Ausstattung der Gefängniswäscherei von Paterson war alt. Das Zeug stammte aus den Dreißigerjahren. »Automatische Waschmitteldosierung und -zugabe« waren Fremdwörter. Vor jeder Füllung musste das Waschpulver mit einer blechernen Schippe in die Trommel geworfen werden.

Angeliefert wurde das übel nach Chemie riechende Zeug in viereckigen Metallbehältern, die eine Seitenlänge von knapp zwei Yards aufwiesen. Diese Behälter, oben aufgeklappt, standen in einer Ecke, nahe der großen Ausgangstür zum Hof. Von dort holte sich jedes Team, was es an Waschmitteln brauchte. Man benutzte dazu Dreißiggallonenfässer mit abgeschnittenem Deckel, die mit einer Handkarre bewegt wurden.

Gegen halb zehn, die Frühstückspause war gerade vorbei, kam Randall vorbei. Er arbeitete an der Nachbarmaschine und war der unerklärte Vorarbeiter hier. Ich hatte ihn durch Tumblin kennengelernt, wusste, er war Lebenslänglicher und im Bild darüber, dass er die für unsere Flucht nötigen Hilfsmaßnahmen leiten würde.

»Na, wie geht's?«, fragte er beiläufig.

»Wir sind so weit«, gab Tumblin leise zurück. »Alles okay, Wes?«

Randall sah sich verstohlen um und kam zu uns in die Deckung des alten lärmenden Maschinenungeheuers. Sein hageres Gesicht mit dem schütteren Haar darüber und den Sommersprossen um die Geiernase drückte Spannung aus. Hastig griff er in die Tasche seines blauen Overalls und holte einen Revolver heraus, dazu eine Handvoll Patronen.

»Hier, 'n alter Bekannter, Gene. Steck ihn ein.«

Tumblin griente und schob die Kanone in den Hosenbund. »Da fühlt man sich gleich wie zu Hause. Wenn ich Artillerie in der Faust habe, bin ich der Größte.«

»Was ist mit Zivilklamotten?«, fragte ich. Ebenso wie die anderen trugen wir unter den Overalls die khakifarbene Anstaltskleidung.

»Hat nicht geklappt. Ben ist in die Kleiderkammer nicht reingekommen.«

»Mist, muss auch so gehen«, sagte Tumblin. »Wenn wir erst mal draußen sind, kriegt uns kein Schwein wieder in den Drecksbau. Ist der Behälter leer?«

»Ja«, meinte Randall, »was noch drin war, haben meine Boys in den Gully gekippt. Das Ding geht raus, wenn der Nachschub anrollt.« Er machte eine Pause und blickte sich nach allen Seiten um. »Wenn der Lieferant kommt, haltet euch bereit. Wir sorgen dafür, dass Wanamaker und der andere Cop abgelenkt werden. Ich sag ihnen, dass ich reingesehen habe. Von da ab ist's eure Sache.«

»Okay, danke, Wes. Ich vergess dich nicht, wenn ich draußen bin.«

»Hoffe ich, also macht's gut.« Randall drückte uns beiden die Hand und trollte sich.

Falls nichts dazwischenkam, sollte der Film so ablaufen: Der Fahrer der Waschmittelfabrik belieferte auf jeder Tour mehrere Wäschereien. Er war seit Jahren im Gefängnis bekannt und wurde nicht mehr besonders kontrolliert.

War ein Waschpulverbehälter leer, so tauschte er ihn gegen einen vollen aus. Dazu kam er mit dem Wagen rückwärts bis dicht an das Gebäude heran und fuhr die Ladeplattform hoch.

Natürlich wurde der leere Behälter vorher kurz inspiziert. Einer der beiden Aufseher, die in der Wäscherei Dienst machten, warf einen Blick hinein. Meist überließ der phlegmatische Wanamaker das allerdings Randall.

Damit die Aufseher nicht gerade heute auf die Idee verfielen, den leeren Behälter anzusehen, würde kurz vor dessen Austausch am entgegengesetzten Ende der Maschinenhalle ein Unfall inszeniert werden, der sie ablenkte. Krengelski, einer der Sträflinge, hatte sich unbeliebt gemacht und würde eine Abreibung beziehen, die als Unfall hingestellt werden sollte.

Wir warteten. Es war halb zehn. Die Minuten tropften zäh dahin. Ebenso wie Tumblin musste ich mich zwingen weiterzuarbeiten. Unsere Blicke flogen immer öfter durch die vergitterten Fenster auf den regennassen Hof. Mechanisch warfen wir die dreckige Wäsche in die Trommel, schippten das gelbliche Pulver nach. Ich warf den Deckel zu, Tumblin stellte Antrieb und Heißwasser an. Die Maschine begann erneut zu rumpeln.

»Er kommt, Billy«, zischte mein Zellengenosse plötzlich. »Jetzt ganz ruhig, keine Hast, nicht auffallen.«

»Klar«, sagte ich.

Weiter drüben stand Randall. Auch er hatte den Lieferwagen bemerkt und nickte uns leicht zu. Dann holte er einen Putzlappen hervor und ließ ihn, scheinbar aus Versehen, fallen. Das war das Zeichen für die anderen. Die Show konnte anlaufen.

Tumblin stieß mich an. Draußen wendete der graue Lieferwagen und fuhr zu der eisernen Tür, die zum Hof führte. Ich sah, wie Randall zu Wanamaker trat und ein paar Worte mit ihm sprach. Der Aufseher blickte kurz zur Tür, neben der die Behälter zum Austausch bereitstanden, und nickte. In dem Lärm der Maschinen gingen die Worte unter.

Nicht aber der Schmerzensschrei vom entgegengesetzten Ende des lang gestreckten Raums. Ich erkannte Krengelskis Organ. Er brüllte ziemlich.

»Los«, sagte Tumblin.

Wir verließen unseren Maschinensatz und gingen ruhig hinüber zur Tür. Beim Verschieben der schweren Metallbehälter musste dem Fahrer geholfen werden. Es konnte nicht auffallen, wenn wir zwei das heute besorgten.

Nun musste die Tür nur noch geöffnet werden. Beide Aufseher besaßen Schlüssel dazu. Manchmal gaben sie den Schlüssel zu diesem Zweck Randall.

Wie war die Lage? Ich blickte mich rasch um. Ganz hinten, bei der letzten Maschine, hatte sich eine Gruppe aus mehreren Häftlingen um den scheinbar Verunglückten versammelt. Krengelski hatte aufgehört zu schreien. Er würde ins Gefängnishospital gebracht werden und sich hüten, das Ganze als etwas anderes denn als Unfall darzustellen, sonst war er demnächst wieder dran.

Wo waren die Aufseher? Ich sah Wanamaker bei der Gruppe stehen, ebenso Dorgan, den zweiten Mann. Jetzt trat Randall zu Wanamaker. Offensichtlich bat er ihn um den Schlüssel zur Tür. In diesem Moment brüllte Krengelski wieder los, als die anderen ihn aufhoben. Er musste große Schmerzen haben, oder er schrie aus Wut.

Wanamaker verwies den Vorarbeiter an Dorgan. Und der gab ihm nicht, wie sonst, seinen Türschlüssel, sondern er kam mit.

»Verdammter Mist«, raunte ich Tumblin zu. »Der Cop kommt. Was machen wir?«

»Entweder er haut wieder ab, wenn die Tür offen ist, oder ...« Mein Genosse wies vielsagend auf seinen Revolver.

»Du willst ihn umlegen?« Ich musste an mich halten, um meine Bestürzung nicht zu zeigen. Ich befand mich zwischen zwei Feuern. Einerseits musste ich mir das volle Vertrauen des Gangsters erhalten, das zu erringen umfangreiche Vorbereitungen und wochenlange persönliche Anstrengungen in der Zelle gekostet hatte. Andererseits konnte ich nicht zulassen, dass schuldlose Menschen getötet wurden.

»Quatsch, wir nehmen ihn einfach mit. Aufpassen jetzt, alles wie vorgesehen.«

»Okay.«

Wir warteten an der Tür auf die beiden. Natürlich war Dorgan völlig arglos. Randall hinter ihm hob kaum merklich die Schultern. Tumblin wechselte einen Blick mit ihm.

»Der da soll raus, Sir, er ist leer«, sagte er zu Dorgan. Dabei hob er die Klappe an, damit der Aufseher hineinsehen konnte.

»In Ordnung.«

Dorgan holte den Schlüssel heraus und schloss auf. Tumblin und ich hoben die Riegel an und öffneten beide Flügel. Draußen stand Perkins, der Fahrer. Er trug eine gelbe Regenjacke, seine Brille unter der spitz aufgestellten Kapuze war beschlagen. Es regnete kräftig.

Nun mussten wir beide in den Behälter, ohne dass es Dorgan und der Fahrer merkten.

Für die Ablenkung des Letzteren sorgte Randall. Er führte ihn ein Stück abseits zu einem Schreibpult und erledigte mit ihm den Papierkram. Der Aufseher Dorgan allerdings stand da wie ein Ölgötze. Ohne besondere Aufmerksamkeit zwar, aber er wich nicht von der Stelle. Anscheinend wollte er sich nicht mit Krengelskis Unfall befassen.

Wieder blickte mich Tumblin kurz an und nickte fast unmerklich in Richtung des Aufsehers. Nun war es an mir zu handeln. Wenigstens wollte ich in Dorgans Nähe bleiben, um das Schlimmste zu verhüten.

»Sir«, sagte ich, »in dem Behälter liegt etwas. Sehen Sie es sich doch mal an.«

»Was soll denn da drin sein?« Dorgan schüttelte verwundert den Kopf. Er begleitete mich, trat neben den Behälter, stieg auf einen Schemel und beugte sich über die Klappe.

Tumblin gab ihm eins mit dem Revolverlauf über den Schädel. Rasch packten wir Dorgan bei den Beinen, warfen ihn vollends in den Behälter und kletterten hinterher. Niemand sah uns dabei.

Tumblin zog die Klappe zu. Randall hatte vorher die Verschlussriegel mit Holz verklemmt, damit wir nicht eingesperrt werden konnten.

»So«, sagte Tumblin leise, »jetzt kann's losgehen. Was macht der Cop?«

Ich kauerte neben Dorgan und untersuchte ihn. Zu meiner Erleichterung war er nur bewusstlos.

»Pennt«, sagte ich. »Später wird er Kopfschmerztabletten brauchen.«

»Wenn er aufwacht und Quatsch macht, lege ich ihn um«, zischte Tumblin.

»Unsinn, er ist viel mehr wert, wenn er lebt. Womöglich können wir ihn als Geisel gebrauchen.«

»Stimmt auch wieder. Schnauze jetzt, er scheint abzufahren.«

Undeutlich hörten wir draußen die Stimmen Randalls und des Fahrers. Beide schoben den Behälter auf seinen Rollen auf die Ladeplattform. Wir fühlten uns hochgehoben. Dann knallte die Pritsche in ihre Lager.

»Mann, was für 'ne Landpartie.« Tumblin war bester Laune. »Wenn Randall jetzt noch das mit dem Ventil richtig hingekriegt hat ...«

Das war ein schwacher Punkt. Waren wir erst einmal draußen, mussten wir ja irgendwie vom Wagen wegkommen, möglichst ohne dass der Fahrer es merkte und Alarm schlug. Tumblin war dafür gewesen, sicherheitshalber den Fahrer umzulegen. Ich hatte ihn bewegen können, den Plan zu ändern.

Während sich der Fahrer hinters Steuer setzte, um zu starten und loszufahren, sollte Randall das Ventil eines Hinterreifens rasch etwas locker schrauben, damit langsam Luft ausströmte. Nach etwa zehn Minuten sollte der Fahrer den weichen Pneu bemerken und anhalten. Danach blieb ihm nichts übrig, als sich zur nächsten Tankstelle bringen zu lassen, um von dort Hilfe zu holen. Der Witz war, wir wussten, dass an dem ziemlich vergammelten Lieferwagen das Reserverad fehlte.

»Hoffentlich«, flüsterte ich. Gleich danach musste ich einen Hustenanfall unterdrücken. Der Reiz stammte von den Waschmittelresten im Behälter. Das Dreckzeug kratzte und brannte höllisch im Hals.

»Taschentuch vor den Mund, Billy.«

Ich tat es und kämpfte mit dem Husten. Inzwischen fuhr der Wagen ein Stück, nahm einige Kurven, stoppte. Wir wussten, er stand jetzt am Gefängnistor.

Der Regen prasselte auf das Blech über unseren Köpfen. Irgendwo tropfte Wasser herein. Dorgan begann zu stöhnen. Dann wachte er langsam auf.

»Was is 'n los?«, murmelte er und bewegte sich unsicher.

»Das is los«, zischte ihm Tumblin ins Ohr. In dem ganz schwachen Licht, das durch den Spalt des nicht völlig geschlossenen Deckels fiel, hielt er dem Aufseher den Revolver vors Gesicht. »Schnauze halten, oder du bist geliefert.«

Es herrschte größte Spannung. Draußen redete der Fahrer mit einem der Torposten.

»Wenn er zu lange quatscht, kriegt er den Platten gleich hier«, sagte ich.

»Dann haben wir noch den da.« Tumblin zeigte auf Dorgan, der mit bleichem Gesicht in den Resten des Waschpulvers lag. »Rein geh ich nicht mehr, auf keinen Fall.«

Ich nickte. Meine Situation war ziemlich belämmert. Wenn nötig musste ich mich gegen Tumblin stellen. Dann allerdings war es mit meinem Auftrag Essig. Und der galt schließlich dem Wohl von Tausenden Heroinsüchtigen in New York und Umgebung, von denen täglich welche an den Folgen ihrer Sucht starben. Was hatte nun Vorrang? Das Leben eines Aufsehers oder Fahrers, oder Wohl und Gesundheit zahlloser Süchtiger? Ich hoffte bloß, nicht vor diese Ermessensfrage gestellt zu werden.

2

Nach endlos erscheinenden Minuten ging es weiter. Der Wagen fuhr schneller. Tumblin grinste mich mit leuchtenden Augen an.

»Mann, Billy, wir sind raus. Begreifst du das, wir sind raus aus dem Dreckskasten.«

»Scheint so.«

Nun warteten wir auf das Anhalten. Es musste bald erfolgen, noch bevor wir Paterson erreichten. In der Stadt würde man uns bemerken, wenn wir aus dem Behälter kletterten. Und irgendjemand würde Verdacht schöpfen und den nächsten Polizisten rufen. Dann waren wir genau da, wo wir nicht hinwollten.

»Er fährt langsamer«, stellte ich erleichtert fest.

Deutlich war zu hören, wie der Wagen ausrollte. Dann stand er am Straßenrand. Man hörte, wie ab und zu andere Fahrzeuge vorbeifuhren.

Wir hörten, wie unser Fahrer ausstieg, nach hinten kam, mit dem Fuß gegen den Reifen trat und fluchte. Ich probierte inzwischen den Deckel zu heben. Es ging nicht.

»Das Ding klemmt wohl, wie?« Tumblin half mir.

Auch vereint schafften wir es nicht.

»Verdammter Mist, der Keil ist zu klein. Beim Zuschlagen ist der Deckelverschluss doch eingerastet. Was machen wir?«

»Krach«, sagte ich und begann mit den Fäusten gegen die Wand zu trommeln. »Gib mir die Knarre, ich weiß, was ich tue.«

Es war nötig, dass ich jetzt die Leitung übernahm. Tumblin hatte nichts zu verlieren. Mehr als lebenslänglich konnte er auch nach weiteren Morden nicht kriegen, und lebenslänglich hatte er schon. Folglich würde er beim geringsten Anlass losballern.

Mein Krachmachen hatte die erhoffte Wirkung. Der Fahrer kletterte auf den Wagen und öffnete den Deckel. Als er die Klappe losließ, hatte er den Revolver vor der Nase.

»Reinkommen«, befahl ich, »sonst bläst der Wind durch deine Rübe.«

Der Fahrer wurde blass um die Nase. Mit seiner Regenkapuze sah er aus wie ein verängstigter gelber Gartenzwerg. Vor Angst und Überraschung brachte er nur glucksende Laute heraus. Mühsam befolgte er den Befehl.

»Und was jetzt?«, fragte Tumblin lauernd. »Wir sollten die Figuren umlegen.«

»No«, sagte ich, »Striptease ist viel besser. Gibt prima Zivilklamotten für uns.«

»Von dir kann man noch was lernen«, knurrte er anerkennend. »Klar, das löst unser Garderobeproblem.« Er trat den liegenden Dorgan in die Rippen. »Du hast's gehört, Cop, ausziehen ist befohlen worden. Und ein bisschen schnell, sonst helfe ich nach. Hier in dem Blechkasten hört euch keiner, wenn ihr brüllt.«

Das Umkleiden in dem für vier Mann recht engen Behältnis war höchst mühsam. Doch die Angst beflügelt den Menschen. Knapp zehn Minuten später saßen wir beide im Fahrerhaus des Lieferwagens, ich in der Uniform Dorgans, Tumblin in den Klamotten des Fahrers. Mit einem weichen, aber noch fahrbaren linken Hinterreifen rollten wir gemütlich nach Paterson hinein. Unsere beiden Gefangenen hatten wir an unserer Stelle in den Waschmittelbehälter gesperrt.

In der kleinen Stadt hielten wir uns nicht auf. Ich riskierte es, auf dem weichen Reifen weiterzufahren. Wahrscheinlich war unsere Flucht schon bemerkt worden, und möglicherweise wurde bereits nach dem Wagen gefahndet. Wir wollten nach New York und mussten so schnell wie möglich durch.

Ein Stück weiter nach Süden fuhr ich die alte Karre in ein Waldstück. Tumblin wollte die beiden Männer ermorden, ich brachte ihn jedoch davon ab.

»Mit Mord will ich nichts zu tun haben, das musst du verstehen. Außerdem bringt das die Fahndung nach uns ganz anders auf Touren. Wir lassen sie da drin. Luft genug kriegen sie. Bis sie einer findet, sind wir längst weg.«

»Okay, also zurück zur Straße, Cop.«

Tumblin grinste und meinte meine Aufseheruniform. Mir lief es für einen Moment kalt über den Rücken. Sollte der zweifache Mörder auch nur ahnen, dass mit mir etwas nicht stimmte, war mein Leben keinen lausigen Cent mehr wert. Wenn schon nicht jetzt, dann später.

Uniformen erwecken Vertrauen. Schon wenige Minuten nachdem wir die Straße wieder erreicht hatten, stoppte auf mein Winken eine junge Frau.

»Sorry, Miss«, sagte ich und salutierte, »ich bin Aufseher Dorgan vom Gefängnis in Paterson. Unser Wagen hat eine Panne. Bitte nehmen Sie mich und den Gefangenen nach New York mit.«

Sie zögerte einen Moment, doch da saß Tumblin schon rechts von ihr im Wagen und legte ihr die Daumen auf den Hals.

»Keine Sperenzchen, Puppe, sonst vergisst du das Luftholen. Mach, was wir sagen, und du kannst noch heute Abend deinem Sweetheart wieder in die Arme sinken, kapiert?«

Die mickrige kleine Blondine nickte. Ihr Gesicht sah aus wie übergangener Vanillepudding.

Wir fesselten sie rasch und packten sie in den Kofferraum. Dann setzte ich mich ans Steuer und ließ den Chevy anrollen.

»Mann, das klappt wie geschmiert«, freute sich Tumblin, der aus Sicherheitsgründen quer vor den Hintersitzen lag, um nicht gesehen zu werden. »Der Boss wird Augen machen, wenn ich mich bei ihm melde.«

»Bitte ihn, mir zu helfen«, erinnerte ich ihn.

»Aber klar, ich bring dich zu ihm, Billy. Ohne dich säße ich noch in der verdammten Burg.«

Wir fuhren eine Weile. Eintönig prasselte der Regen, schwenkten die Wischer, sangen die Reifen auf der nassen Straße. Wir hatten im Handschuhfach Zigaretten gefunden und rauchten.

Ich überlegte mein weiteres Vorgehen. Das Schwerste lag noch vor mir. Ich musste Vito Borga, einem der einflussreichsten Rauschgifthändler New Yorks, unverdächtig erscheinen. Mehr noch, ich musste ihm gefallen. Denn mein Auftrag lautete, in seine Organisation einzudringen und sie von innen her aufzurollen.

Nun war ich nicht der erste Polizist, der sich mit falscher Legende in eine Gang eingeschlichen hatte. Aber hier ging es nicht nur um das Gebiet von New York. Meine Mission zielte auf Frankreich und den Nahen Osten.

Ich fuhr auf der rechten Fahrbahn des Highways, ein gutes Stück unter dem Tempolimit. Nur keiner Straßenpatrouille auffallen, dachte ich. Bis jetzt wusste ich auch bloß, dass wir nach New York sollten. Ein bestimmtes Ziel hatte mir Tumblin noch nicht genannt.

»Was willst du jetzt machen, Billy?«, fragte er plötzlich.

»Keine Ahnung. Erst mal brauch ich etwas Geld und muss von der Straße weg. Vielleicht suchen sie schon nach uns.«

»Mal sehen.« Er schaltete das Radio ein. »Gleich elf, da gibt's Nachrichten.«

Tatsächlich gab NBC am Schluss der Sendung vor dem Wetterbericht eine Suchdurchsage.

»Heute Vormittag sind zwei Strafgefangene aus der Vollzugsanstalt Paterson geflohen. Ein Aufseher befindet sich in ihrer Gewalt.« Es folgte die Beschreibung, wobei ich, alias Bill Fraser, als hellblond geschildert wurde. Mein Haar war gefärbt worden, ehe man mich gegen den plötzlich in einem New Yorker Gefängnis gestorbenen Fraser ausgetauscht, schnellstens nach Paterson überstellt und zu Tumblin in die Zelle gesteckt hatte.

»Vorsicht, die beiden sind möglicherweise bewaffnet«, sagte der Sprecher zum Schluss. »Verständigen Sie bei ihrem Auftauchen sofort die Polizei.«

»Von der Straße weg müssen wir allerdings, Billy. Aber keine Sorge, ich hab im alten New York Freunde genug. Fürs Erste sorge ich für dich, und dann sehen wir weiter.«

Wir erreichten Yonkers. Tumblin dirigierte mich in eine Nebenstraße. Von einer Telefonzelle aus telefonierte er. Ich sah ihn gestikulieren und lachen. Anscheinend freute sich auch sein Gesprächspartner. Dann kehrte er zurück.

»Wir haben Quartier, Essen und so. Man erwartet uns.«

»Wo?«

»In der Bronx, ich sag dir, wohin's geht.«

Wir fuhren weiter. Nach einer halben Stunde ließ mich Tumblin im Bezirk Unionport stoppen. Ich kannte die Gegend um die Lafayette Avenue. Es war ein Viertel, in dem es von heruntergekommen aussehenden Gestalten wimmelte. Jedes fünfte Haus war nur noch zum Teil bewohnt, es gab unzählige Ruinen, und wer hier in einem guten Anzug durchgegangen wäre, hätte verrückt sein müssen. Oder lebensmüde.

»Ich geh voraus, Billy. Geradeaus, zweite links, vielleicht zweihundert Yards. Dann kommst du an 'ne alte Tankstelle. Lauf an den Garagen vorbei in den Hof. Weiter hinten ist 'ne alte Bude. Da warte ich auf dich. Komm in zehn Minuten.«

»Okay, es wird Zeit, dass ich das Kostüm loswerde.«