1,99 €
Als das Luxusschiff Tintoretto in den Hafen von New York einlief, war es dem Tod geweiht. Gangster hatten vier Bomben von gewaltiger Sprengkraft an Bord geschmuggelt. Sie konnten die tödliche Fracht jederzeit durch Funkbefehl in die Luft jagen - auch die fünfzehn Millionäre aus Europa, die auf dem Totenschiff in der Falle saßen. Zur gleichen Zeit drohte ein Gangsterkrieg in Manhattan. Der einstige Mafiaboss Luca war gekommen, um mit seinem Nachfolger Genovese abzurechnen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Totenschiff der Millionäre
Vorschau
Impressum
Totenschiff der Millionäre
Als das Luxusschiff Tintoretto in den Hafen von New York einlief, war es dem Tod geweiht. Gangster hatten vier Bomben von gewaltiger Sprengkraft an Bord geschmuggelt. Sie konnten die tödliche Fracht jederzeit durch Funkbefehl in die Luft jagen – auch die fünfzehn Millionäre aus Europa, die auf dem Totenschiff in der Falle saßen. Zur gleichen Zeit drohte ein Gangsterkrieg in Manhattan. Der einstige Mafiaboss Luca war gekommen, um mit seinem Nachfolger Genovese abzurechnen.
1
Asphalt glitzerte regennass. Die fernen Wolkenkratzertürme von Manhattan warfen einen Hauch von Helligkeit herüber. Der Regen hatte so abrupt aufgehört, wie er begonnen hatte. Geblieben war die Luftfeuchtigkeit, die alle Gerüche intensivierte.
Für meine unmittelbare Umgebung war das Wort »Geruch« eine schwere Untertreibung. Der Gestank war Übelkeit erregend. Ich fragte mich, wie die Leute es ertrugen, die hier die Dollars für ihre täglichen Brötchen verdienten.
Fisch.
Die penetrante Duftnote schien aus allen Ritzen der Fabrikgebäude zu quellen. Irgendwo in der Dunkelheit pfiffen Ratten auf Abfallpirsch. Ich glaubte, gestreckte schwarze Schatten unter den Laderampen entlanghuschen zu sehen. Das hier musste ein Paradies für Katzen sein.
Fisch und Ratten. Vielleicht hatten New Yorks Katzen das Paradies nur noch nicht entdeckt.
Direkt neben mir duftete es herb und männlich. Irgend so eine berauschende Frische, bei der man sich laut Fernsehwerbung plätscherndes Quellwasser, saftig grüne Wiesen und eine strahlende Morgensonne vorzustellen hat. Aber Sal Strodes berauschende Frische schaffte es nicht, den allgegenwärtigen Fischgestank zu überlagern.
Strode nuschelte neben mir in dem engen Durchgang zwischen einem der Lagergebäude und der großen Fabrikationshalle. Ich hatte aufgehört, sein Genuschel verstehen zu wollen, und vermutete, dass es ein Song war, den er trotz seiner haarsträubenden Unmusikalität in den Griff zu kriegen versuchte.
Anzunehmen, dass er sich damit selbst beruhigen wollte, so wie die texanischen Cowboys vor hundert Jahren ihren kranken Kühen Lieder vorgesungen haben.
Sal Strode war ein Pimp.
So nennt man bei uns die Zuhälter.
Und komisch, wenn ich darüber nachdachte, war mir in all meinen Berufsjahren noch kein einziger Pimp über den Weg gelaufen, der nicht eine Vorliebe für teure Rasierwässerchen und Parfüms und für die farbenfrohesten Auswüchse der letzten Modeschreie hatte.
Mein Freund Sal machte da keine Ausnahme.
Freund?
Hm, wie man's nimmt. Er hatte sich dem FBI förmlich an den Hals geworfen. Und er war sich darüber im Klaren, womit er zu rechnen hatte. Zuhälterei, Prostitution, das reicht bei uns in den Staaten für etliche Jahre Gefängnis. Freund Sal spekulierte natürlich auf den begehrten Job des Kronzeugen. Er hatte die besten Aussichten.
Wenn es klappte.
Genovese hatte ihn aus dem Ring ausbooten wollen. Sal hatte sich den Luxus erlaubt, außer den offiziell im Ring angemeldeten noch ein halbes Dutzend Bordsteinschwalben nebenbei laufen zu lassen. Auf eigene Rechnung. Eine Sache, die Genovese total gegen den Strich ging. Zu unserem und zu seinem eigenen Glück hatte Sal Strode rechtzeitig davon Wind bekommen, was ihm blühte. Denn »ausbooten« ist bei Genovese gleichbedeutend mit »ausschalten«.
Ich hob das Leuchtzifferblatt meiner Armbanduhr in Augenhöhe.
Mitternacht war seit genau zwei Stunden vergessen.
Und der feuchte Asphalt des Fabrikhofs gähnte noch immer vor Leere.
»Sal«, murmelte ich, »fünf Kollegen von mir stehen sich die Beine in den Bauch. Genau wie wir beide. Welchen Bären hast du uns aufgebunden?«
»Jetzt hören Sie aber auf, G-man!«, nuschelte er aufbrausend. »Weshalb sollte ich Ihnen was vormachen? Wie spät ist es?«
»Präzise zwei.«
»Na also. Pünktlichkeit heißt bei denen nicht, dass sie auf die Minute ...«
Das Brummen eines Automotors, der gedrosselt wurde, unterbrach ihn.
Scheinwerfer schwenkten in die Einfahrt des Fabrikgeländes, und die blassgelben Lichtkegel krochen über den Boden.
»Sehen Sie«, flüsterte Strode.
Ich streckte den linken Arm aus und schob den Pimp weiter zurück in den Durchgang. Meine Rechte glitt unter das Jackett und befreite den Dienstrevolver aus dem Leder.
Die Limousine rollte im Schritttempo an uns vorbei. Zum Greifen nahe. Ein nachtblauer Lincoln Continental. Durch die getönten Scheiben war nicht zu erkennen, wie viele Männer darin saßen. Der Luxusschlitten fuhr weiter hinten auf dem Hof einen engen Bogen und stoppte, mit der Chromschnauze Richtung Ausfahrt. Die Scheinwerfer erloschen, das Summen des Motors erstarb.
Als die Beifahrertür der Limousine geöffnet wurde, flammte die Innenbeleuchtung auf. Nur für einen Moment.
Doch es reichte.
Der Mann, der ausstieg, war kein geringerer als Rossano Genovese. Der andere, hinter dem Lenkrad, stammte aus den Reihen der »Soldati«, des Fußvolks von Genoveses Organisation. Rossano, seines Zeichens »Capo« und nach dem alten Genovese zweiter Mann in der Familie, pflegte nicht selbst zu chauffieren. Es hätte nicht zu seiner gehobenen Position gepasst.
Im Who's Who aus Industrie und Handel war der Name des alten Don Lucio Genovese gleich mehrfach verzeichnet – als Mitinhaber und teilweise auch als Alleininhaber von Konservenfabriken, Textilfabriken, Möbelfabriken, Reedereien, Speditionen, und, und, und.
Gäbe es ein Who's Who für die Unterwelt, hätte der Name »Genovese« darin gleichermaßen verzeichnet sein müssen. Und zwar auf der ersten Seite. Neben den legalen Aushängeschildern betrieben Don Lucio und seine Familie alle branchenüblichen illegalen Geschäftszweige, die als lohnend galten.
Einer dieser gewinnträchtigen Zweige war der Prostitutionsring, dem Sal Strode mit knapper Mühe entwischt war.
Ross Genovese, der Sohn des Don, führte seinen maßgeschneiderten, dezent taillierten schwarzen Anzug zum vorderen rechten Kotflügel des Lincoln Continental und lehnte sich gegen den chromummantelten Scheinwerfer. Als sich Ross hinter hohler Hand eine Zigarette anzündete, sah ich, dass er ein weißes Batisthemd und eine schwarz-weiß gepunktete Fliege trug. Möglich, dass er gerade von einer Familienfeier kam. Die Genoveses legten sehr viel Wert auf Familientradition, und sie sprühten Gift und Galle, wenn wir vom FBI diese Tradition durch Razzien und ähnliche Scherze störten. Was bei den einen Familientradition, heißt bei den anderen schlicht organisiertes Verbrechen. Und Letzteres fällt seit Hoovers Gründerzeiten in den Zuständigkeitsbereich des FBI.
Ross Genovese war der Frauentyp aus dem Bilderbuch. Schmales, braun gebranntes Gesicht mit energischen Furchen um die Mundwinkel. Dazu tiefschwarze Haare mit leichter Naturkrause. Dean Martin wäre an seiner Seite verblasst.
Hinter mir im engen Durchgang war es still geworden. Sal Strode nuschelte nicht mehr. Möglich, dass er zitterte.
In regelmäßigen Abständen leuchtete der Glutpunkt der Zigarette in der Dunkelheit des Fabrikhofs auf. Der Fischgestank schien den eleganten Ross nicht zu stören.
Er schaffte den Glimmstängel bis zur Hälfte.
Abermals wurde Motorengebrumm laut, und wieder schwenkten Scheinwerfer auf den Fabrikhof ein. Rasant fegte der Schlitten an uns vorbei. Ein heller Ford Maverick.
Ross Genoveses Zigarettenglut verendete in einem Funkenregen auf dem nassen Asphalt.
Der Maverick kurvte herum und stand dann parallel zum Lincoln Continental. Die Scheinwerfer wurden ausgeschaltet, die Maschine erstarb mit einem Patscher.
Sal Strodes Duftwolke kam wieder näher.
»Das ist er!«, flüsterte der Pimp.
Ich nickte, obwohl er es nicht sehen konnte.
»Still!«, flüsterte ich zurück.
»Er« war Sam Rimbey, dreißig Jahre alt, schwarz, unverheiratet, US-Staatsbürger. Seine kriminelle Laufbahn füllte eine komplette Karteikarte in unserem Archiv. Seit etwa einem Jahr arbeitete er für Genovese als Geschäftsführer des Prostitutionsrings. Ich wusste es von Sal Strode.
Rimbey stieß die Tür des Maverick auf. Im Schein der Innenbeleuchtung sah ich, dass er einen Aktenkoffer vom Beifahrersitz nahm und ausstieg.
Okay.
Mit der freien Linken zog ich das Walkie-Talkie aus der Innentasche meines Jacketts und drückte den Knopf, der die Antenne herausschnellen ließ.
Rimbey umrundete die Motorhaube seines Maverick und ging mit schlenkerndem Aktenkoffer auf Genovese zu. Rimbey war ein Hüne von fast sechseinhalb Fuß, trug das schwarze Kraushaar im Afrolook und hatte seinen Körperbau mit einem cremefarbenen Jackett, einem schwarzen Hemd und einer weinroten Samthose dekoriert.
Rimbey übergab den Aktenkoffer an Genovese.
Ich schaltete das Walkie-Talkie auf »Senden«.
»Sunrise an Skylight«, sagte ich halblaut, »macht den Laden dicht.«
»Verstanden, Sunrise«, antwortete die Stimme meines Freundes Phil Decker, der mit den anderen Kollegen das Gelände der Queens Fish & Canning Works umstellt hatte.
Ich knipste das brieftaschengroße Walkie-Talkie aus, schob die Antenne hinein und verstaute es wieder im Jackett.
Dann verließ ich mein Versteck und marschierte mit zügigen Schritten über den feucht glitschigen Fabrikhof. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt.
»FBI!«, rief ich schneidend. »Die Hände hoch und keine Bewegung!«
Genovese und Rimbey erstarrten.
Nur Rimbey überwand die Schrecksekunde. Er schien seinem Gehörgang nicht ganz glauben zu wollen und kreiselte herum. Seine Rechte zuckte unter das cremefarbene Jackett.
Ich zögerte keinen Atemzug lang, jagte einen Warnschuss über seinen Kopf hinweg.
Das trockene Bellen des 38ers zerfetzte die Stille.
Und es reichte zur endgültigen Demoralisierung.
Genovese und Rimbey reckten die Fingerspitzen in Richtung Abendhimmel. Der Fahrer des Lincoln Continental kroch betont langsam hinter dem Lenkrad hervor und ging hinter der offenen Tür mit ebenfalls erhobenen Händen in Pose.
Noch während ich auf die drei zuging, näherten sich rasche Schritte von allen Seiten. Handscheinwerfer flammten auf, tauchten die Szenerie in gleißende Helligkeit.
Ross Genovese sah blass, aber beherrscht aus. Ein wütendes Zucken entstellte seine Mundwinkelpartie. Sam Rimbey war aschgrau im Gesicht.
Während ich die Gangster in Schach hielt, erledigten Phil und Steve Dillaggio das Notwendige. Eisenwaren wechselten den Besitzer. Genovese, Rimbey und der Fahrer wurden um ihr Waffenarsenal erleichtert und erhielten zum Ausgleich je ein Paar solide Stahlmanschetten.
Ich verstaute den 38er im Schulterholster und hob den Aktenkoffer auf, den Genovese vor Schreck hatte fallen lassen. Auf der Motorhaube des Lincoln Continental öffnete ich den Koffer.
Sauber gebündelte Dollarnoten bis an den Rand. Die Tageseinnahme aus Rimbeys organisiertem Horizontalgeschäft. Oder besser: die Nachteinnahme.
»Sieh dir an, was wir hier haben«, sagte ich staunend zu Phil, der über meine Schulter blickte.
»Ein Leckerbissen für unsere Freunde von der Steuerfahndung.« Er nickte. »Sie werden überglücklich sein, wenn sie dann noch erfahren, auf welches Konto die Firma Genovese so was verbucht.«
»Kein Wort ohne meinen Anwalt!«, zischte der elegante Ross.
Ich drehte mich zu ihm um und lächelte. »Haben wir Ihnen eine Frage gestellt, Mister Genovese?«
Seine Lippen wurden strichdünn, aus seinen Augen zuckten wütende Blitze.
Sal Strode blieb im Hintergrund, bis wir Genovese und die beiden anderen abtransportiert hatten. Der Pimp schien keine Neigung zu verspüren, schon jetzt einen Wutausbruch über sich ergehen zu lassen. Über kurz oder lang würde sowieso bekannt werden, wer Genovese und Rimbey ans Messer geliefert hatte. Unsere Gegenleistung für Sal Strode war, dass wir ihn in Schutzhaft nahmen und wie etwas besonders Wertvolles bewachten.
Tiefe Dunkelheit lag über dem Atlantik. Sturmböen bis zu Stärke zehn peitschten die düsteren Fluten, auf denen sich weiße Schaumkronen abzeichneten. Nur vereinzelt riss die Wolkendecke auf, um das fahle Licht des Mondes geisterhaft über die aufgewühlte See gleiten zu lassen.
Der schlanke weiße Schiffsrumpf pflügte beharrlich durch die Wogen. Die Tintoretto war mit Stabilisatoren ausgerüstet, die es den Passagieren selbst bei starkem Seegang noch ermöglichten, die Gemütlichkeit in der Lounge zu genießen.
Regenschwaden prasselten gegen die Kommandobrücke. Für den Kapitän, die diensthabenden Offiziere und den Rudergänger reichte die Sicht gerade aus, um das Vorschiff zu überblicken. Doch die Tintoretto verfügte über modernste Navigationsgeräte.
Trotz der späten Stunde waren fast alle Fenster der Salons und der Kabinen noch erhellt. Obwohl der Kapitän wegen des Wetters beruhigende Worte gefunden hatte, brachte es keiner der Passagiere fertig, ans Schlafen zu denken.
Enzo Magni legte sein chromblitzendes Tablett auf den Tresen und warf einen Blick über die behaglichen Sitzgruppen der Lounge. Alle Passagiere waren mit Drinks versorgt. Gesprächsfetzen schwirrten durch den Raum, Bruchstücke von Worten, die fast ausnahmslos mit dem Wetter zu tun hatten. Rauchschwaden von Zigarren und Zigaretten stiegen kräuselnd zur Decke, wurden von den Schächten der Klimaanlage gefressen.
Magni zupfte seine weiße Stewardjacke zurecht, wischte nicht vorhandenen Staub von den Revers und klopfte dem Barkeeper auf die Schulter.
»Ich ziehe mich für eine halbe Stunde zurück, Gianni. Muss mich ein bisschen frisch machen. Einverstanden?«
Der Barkeeper nickte, und fuhr fort, Gläser zu polieren.
Magni verließ die Lounge durch den Personalausgang, durchquerte den angrenzenden Gang und stieg die schmale Treppe zum B-Deck hinunter. Selbst hier unten war das Geräusch der Maschine nur als gedämpftes Summen zu hören. Die Schallisolierung des Luxusliners war hervorragend.
Magni sah sich in dem hell erleuchteten Gang um, ehe er an die Kabinentür mit der Nummer acht klopfte. Niemand war in der Nähe, der ihn hätte beobachten können.
Die Frau öffnete. Furchen entstanden auf ihrer Stirn, als sie ihn erblickte.
Magni drängte sie zurück, trat ein, schloss die Kabinentür hinter sich.
»Es wird jetzt Zeit, Mona«, sagte er, »Kapitän Taccola lässt sich durch das Wetter nicht beirren. Ich glaube, er ist versessen darauf, morgen Mittag pünktlich in New York einzulaufen.«
Mona Collina atmete tief durch. Ihre dunklen Augen und ihre vollen, sanft geschwungenen Lippen verrieten Angst. Sie antwortete nicht, ließ sich auf den Polsterstuhl neben dem in der Wand verankerten Tisch sinken und zündete sich mit fahrigen Bewegungen eine Zigarette an.
Magni zog die Brauen hoch. »Bedenken? Willst du etwa in letzter Minute abspringen?«
Sie schüttelte den Kopf und blickte zu ihm auf. »Du weißt genau, dass ich das nicht kann, Enzo.«
Er grinste. »Na also. Dann hör auf, dir Gedanken zu machen. Es ist eine Kleinigkeit, die Sache zu erledigen. Außerdem werden wir beide gut dafür bezahlt, und niemandem passiert etwas. Capisci?«
Mona nickte widerstrebend.
Magni ging auf sie zu und zog einen handtellergroßen Metallbehälter aus der Tasche, der aussah wie ein silbernes Zigarettenetui. Er legte den Behälter auf den Tisch.
»Am besten machst du es jetzt gleich, Mona. Doktor Borghini spielt mit drei Passagieren in der Lounge Canasta. Wie ich ihn kenne, dauert das noch Stunden. Es wird dich also niemand stören.«
»Ja, ich erledige es sofort«, sagte Mona Collina mechanisch. Ihr Blick verlor sich im Unendlichen, als sie den Metallbehälter in ihre Handtasche schob.
»Anschließend gibst du mir das Ding mit den leeren Ampullen zurück«, bestimmte Magni herrisch. »Ich werfe den Kram über Bord.«
»Lass mich jetzt bitte allein«, bat sie leise, »ich möchte nicht, dass man dich in meiner Kabine sieht.«
»Schon gut«, brummte Magni schulterzuckend. »Vielleicht kannst du dich eines Tages dazu aufraffen, wieder ein wenig Sympathie für mich zu entwickeln.«
Monas Kopf ruckte herum. Ihre Augen funkelten zornig. »Bilde dir keine Schwachheiten ein, Enzo Magni! Gewiss, wir erledigen diese Sache gemeinsam, und ich bin dir dabei praktisch ausgeliefert. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass du deshalb auch andere Rechte hättest!«
Magni verzog das Gesicht. »Vergiss es. Erledige deinen Auftrag.«
Abrupt machte er kehrt und verließ die Kabine.
Mona Collina atmete auf. Nachdenklich rauchte sie ihre Zigarette zu Ende. Sie blickte auf ihre Hände und bemerkte, dass ihre Finger zitterten. Mit einem entschlossenen Ruck drückte sie die Glut im Aschenbecher aus. Es half nichts, jetzt noch zu sinnieren. Sie hatte sich auf die Sache eingelassen, es gab kein Zurück mehr.
Sie stand auf, ging zur Einbaugarderobe, nahm den weißen Kittel heraus und streifte ihn über ihren hellblauen Hosenanzug. Die flache Lederhandtasche verbarg sie unter dem Kittel. Dann trat sie auf den Gang hinaus, verriegelte die Kabinentür und eilte auf die Treppe zum A-Deck zu.
Niemand begegnete ihr auf dem Weg zum Labor. Es befand sich unmittelbar neben dem Behandlungsraum, in dem Dr. Borghini seine Patienten zu empfangen pflegte, wenn er sie nicht in ihren Kabinen aufsuchte.
Mona trat ein und schaltete erst das Licht ein, nachdem sie die Labortür hinter sich verriegelt hatte. Auf dem Arbeitstisch waren Reagenzgläser und Glaskolben verschiedener Größen in Kunststoffhalterungen aufgereiht. Mona legte den Metallbehälter auf den Tisch und hängte ihre Handtasche an einen Wandhaken.
Ohne Zeit zu verlieren, begann sie mit der Arbeit. Aus dem eingebauten Kühlschrank nahm sie ein Dutzend Glasschälchen mit Lebensmittelproben, die sie auf der freien Fläche vor den Reagenzgläsern aufreihte.
Sie öffnete den Metallbehälter, zog eine Schublade auf, nahm eine Einmalspritze heraus und setzte die Injektionsnadel auf. Dann zog sie die milchige Flüssigkeit aus einer der beiden Ampullen auf die Spritze.
Sorgsam dosierend, injizierte sie die Flüssigkeit in die ersten sechs Lebensmittelproben. Der Inhalt der zweiten Ampulle reichte für die anderen sechs Probenschälchen.
Mona verstaute die Spritze und die Injektionsnadel neben den leeren Ampullen in dem Metallbehälter, klappte ihn zu und schob ihn in ihre Handtasche zurück. Anschließend trug sie die Lebensmittelproben wieder in den Kühlschrank. Mit einem prüfenden Blick überzeugte sie sich, dass es nichts gab, was an ihren kurzen Aufenthalt im Labor erinnern würde. Alles war so, wie sie es am Spätnachmittag nach Dienstschluss als Assistentin des Schiffsarztes zurückgelassen hatte.
Als sie die Handtasche abermals unter dem Kittel verbarg und das Labor verließ, schlug ihr das Herz bis zum Hals.
Erst nachdem sie in ihre Kabine zurückgekehrt war, wurde Mona Collina ruhiger.
Die Dinge ließen sich jetzt nicht mehr aufhalten.
2
Selbst in der nüchternen, unbehaglichen Atmosphäre unseres Vernehmungszimmers verlor Rossano Genovese nichts von seiner Eleganz. Lediglich das grelle Licht ließ ihn blasser als sonst aussehen.
Ein übernächtigter Anwalt erschien, wenige Minuten nachdem wir Genovese den Platz auf dem harten Vernehmungsstuhl angeboten hatten.
Herbert F. Gallagher. Ein rundlicher kleiner Mann, dessen Anzugjacke über dem Bauch Spannfalten schlug. Mit seinem glatten Gesicht und der spiegelblanken Halbglatze sah er friedfertig und gemütlich aus. Kenner der Juristenszene wussten indessen, dass er sich auf der Verteidigerbank in einen gefürchteten Wortfechter verwandeln konnte.
Gallagher und Genovese wechselten einen Blick und begrüßten sich mit vertrauensvollem Nicken. Mit unterdrücktem Gähnen setzte sich der Anwalt auf seinen Stuhl neben dem Vernehmungstisch, stellte seinen Aktenkoffer auf den nackten Betonfußboden und betrachtete uns ungefähr so, als wären wir über seinen Gartenzaun geklettert und hätten seinen Kirschbaum geplündert.
Gallagher lächelte spöttisch, blies die Luft durch die Nase und schürzte die wulstigen Lippen.
»Ihnen ist hoffentlich klar, dass Sie Mister Genovese nicht länger als vierundzwanzig Stunden festhalten können.«
Phil und ich lächelten zurück.
»In diesem Fall wird sich Ihre Hoffnung nicht erfüllen«, entgegnete ich.
»Da bin ich mal gespannt«, brummte Gallagher, lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und faltete die Hände über dem Bauch, als erwartete er, einen unterhaltsamen Film serviert zu bekommen.
»Der Attorney wird die Karten auf den Tisch legen, sobald alle Anklagepunkte zusammengestellt sind«, sagte ich. »Im Moment kann ich Ihnen nur so viel sagen: Es handelt sich um organisierte Prostitution. Wir haben den Manager des Prostitutionsrings, einen gewissen Mister Sam Rimbey. Und wir haben die Tageseinnahmen, die Mister Genovese von Mister Rimbey in Empfang genommen hat.«
»Ist das Ihr Ernst?« Gallagher lächelte mit der Miene eines Mannes, der absolut sicher im Sattel sitzt. »Darauf wollen Sie eine Anklage aufbauen?«
Rossano Genovese zog siegesgewiss eine Braue hoch. Es gab ihm ein leicht blasiertes Aussehen.
»Wir haben noch ein wenig mehr«, erklärte Phil, »einen Belastungszeugen.«
Sekundenlange Stille.
Dem rundlichen kleinen Anwalt fiel das Lächeln aus dem Gesicht.
Genoveses Braue sackte herab.
»Bluff oder Tatsache?«, flüsterte Gallagher.
Flüstern war bei ihm ein Zeichen innerer Anspannung.
»Kein Bluff«, sagte ich.
»Den Namen des Zeugen werden Sie natürlich noch nicht preisgeben.«
Ich nickte. »Sie sagen es, Mister Gallagher. Fürs Erste haben Sie die Fakten, die Sie brauchen, um sich auf die Verteidigung einzustellen.«
»Akzeptiert«, schnaufte er. »Wollen Sie jetzt mit dem Verhör beginnen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Kein Verhör.«
»Wie bitte?« Gallagher blinzelte verwirrt.
Genovese starrte mich aus runden Augen an.
»Wir verschieben es«, entschied ich. »In der Prostitutionssache können wir uns Zeit lassen. Im Moment geht es mir um einen anderen Punkt.« Ich wandte mich an den eleganten Ross. »Mister Genovese, was sagt Ihnen der Name ›Giampietro Luca‹?«
Er zog den Kopf zurück. Dann machte er zum ersten Mal den Mund auf, seit er sich vorgenommen hatte, auf stur zu schalten.
»Was soll das, Cotton?«
»War die Frage nicht deutlich?«, meldete sich Phil zu Wort.
Gallagher räusperte sich.
»Gentlemen«, sagte er energisch, »ich muss Sie darauf hinweisen, dass mein Mandant nicht verpflichtet ist, auf Fragen zu antworten, die mit der eigentlichen Sache in keinem Zusammenhang stehen.«
»Sehr richtig«, entgegnete ich scharf. »Aber vielleicht überlassen Sie Ihrem ehrenwerten Mandanten in diesem Fall die Entscheidung selbst. Folgendes, Genovese: Giampietro Luca ist auf dem Weg nach New York City. Per Schiff. Wollen Sie behaupten, dass Ihre Familie darüber nicht informiert ist?«
»Ich behaupte es«, knurrte er. »Es ist das Neueste, was ich höre. Luca ist vor fünfzehn Jahren aus den Staaten ausgewiesen worden. Selbst wenn er wirklich hierher unterwegs wäre, würde er nie eine Einreisegenehmigung kriegen. Woher wollen Sie das überhaupt wissen?«
»Wir haben gewisse Informationsquellen«, sagte ich.
Ich dachte nicht daran, ihm auf die Nase zu binden, dass der heiße Tipp von einem zuverlässigen V-Mann stammte. Und ebenso wenig machte ich ihm klar, dass uns seine Festnahme sehr gelegen kam. Sal Strodes Entschluss, sich uns anzuvertrauen, und die Information aus der Unterwelt waren nahezu zum gleichen Zeitpunkt gekommen.
Günstig für uns.
Denn wenn die Gerüchte stimmten, würde Giampietro Luca umgebracht werden, sobald er einen Fuß auf New Yorker Boden setzte.
Damals, vor seiner Ausweisung, hatte Luca als einer der führenden Mafiabosse am Hudson River gegolten. Möglicherweise war er durch die Zwangsrückkehr nach Sizilien dem sicheren Tod entgangen. Denn zwischen den Familien Luca und Genovese hatte es eine verbissene Auseinandersetzung gegeben. Bis zum Schwur der Vendetta. Blutrache.
Phil und ich hielten die Information des V-Manns durchaus für plausibel. Es war zwar tatsächlich nicht anzunehmen, dass Luca eine Einreisegenehmigung erhielt. Trotzdem würden die Genovese versuchen, ihren fünfzehn Jahre alten Racheschwur doch noch zu verwirklichen.
Und dadurch, dass wir Rossano aus dem Verkehr gezogen hatten, konnten wir möglicherweise ein Blutbad verhindern. Immerhin war er der zweite Mann in der Hierarchie der Familie. Dank Sal Strode hatten wir massives Beweismaterial gegen ihn. Don Lucio musste sich wohlweislich überlegen, wem er mehr Aufmerksamkeit widmete: seinem Sohn, der in der Klemme steckte, oder seinem alten Todfeind Giampietro Luca.
Der elegante Ross setzte ein spöttisches Lächeln auf.
»Cotton«, sagte er gedehnt, »ich glaube, jemand hat Ihnen einen gewaltigen Bären aufgebunden. Erstens ...«
»Hören Sie, Ross!«, unterbrach Gallagher ihn aufgeregt. »Sie müssen nicht über eine Angelegenheit reden, die in keinem Zusammenhang ...«
Genovese schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Unsinn. Ich will, dass dieses Märchen geklärt wird, das uns Cotton hier auftischt.«
Phil und ich wechselten einen Blick. Genovese wirkte sehr überzeugt, was diesen Punkt anbetraf. Ganz im Gegensatz zu der Sache, derentwegen wir ihn festgenommen hatten. Leise Zweifel keimten in mir auf. Handelte es sich bei der Information über Giampietro Luca vielleicht doch um ein Windei?
»Reden Sie weiter, Genovese«, forderte ich ihn auf.
Er nickte, lehnte sich zurück. »Erstens sind die alten Streitigkeiten zwischen Luca und meinem Vater längst vergessen. Okay, ich behaupte nicht, dass es nicht mal eine verdammt ernste Sache war. Aber fünfzehn Jahre sind eine lange Zeit, und schließlich hat Luca seine Rechnung bezahlen müssen. Er hat alles verloren, was er hier in den Staaten aufgebaut hatte. Meiner Familie genügt das ... zur Befriedigung der Rachegefühle, wenn Sie so wollen.«
»Und zweitens?« Ich lächelte.