Jerry Cotton Sonder-Edition 159 - Jerry Cotton - E-Book

Jerry Cotton Sonder-Edition 159 E-Book

Jerry Cotton

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Er war der reichste Bürger Harlems: Concho Moran. Und sicher auch der gemeinste. Seine Schläger beherrschten die Straßen, die Läden, die Bars. Und wenn einer aufmuckte und ein sauberes Harlem forderte, schickte Moran ihm einen Killer ins Haus. Bis der junge Spitzensportler Brick LeRoy den Boss der schwarzen Mafia herausforderte. Das gab den Bewohnern Harlems neuen Mut. Denn LeRoy war ihr Idol, ihr Vorbild. Ihm folgten sie jubelnd. Bis vor Morans Burg. Phil und ich mochten den kühnen Harlem-Boy ebenfalls. Als wir ihn fanden, war Morans schwarze Mafia bereits dabei, ihn restlos fertigzumachen - aus Rache!


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 211

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Die Rache der schwarzen Mafia

Vorschau

Impressum

Die Rache derschwarzen Mafia

Er war der reichste Bürger Harlems: Concho Moran. Und sicher auch der gemeinste. Seine Schläger beherrschten die Straßen, die Läden, die Bars. Und wenn einer aufmuckte und ein sauberes Harlem forderte, schickte Moran ihm einen Killer ins Haus. Bis der junge Spitzensportler Brick LeRoy den Boss der schwarzen Mafia herausforderte. Das gab den Bewohnern Harlems neuen Mut. Denn LeRoy war ihr Idol, ihr Vorbild. Ihm folgten sie jubelnd. Bis vor Morans Burg. Phil und ich mochten den kühnen Harlem-Boy ebenfalls. Als wir ihn fanden, war Morans schwarze Mafia bereits dabei, ihn restlos fertigzumachen – aus Rache!

1

Das Gebrüll der zwanzigtausend Menschen schwoll an, stieg unter die Kuppel der Halle und brandete donnernd auf den Mann im Ring nieder. Der Lärm schlug über ihm zusammen wie eine Woge, hielt ihn umklammert, feuerte ihn an. Alles zugleich. Es nahm ihm fast den Atem, weil er so großartig war.

Denn das Toben der Zuschauer galt ihm allein – Brick LeRoy, dem Jungen aus Harlem, der die Nummer gezogen hatte, wie man im Getto sagt. Sie nannten ihn »die Katze«. Brick »The Cat« LeRoy. Ihn feuerten sie an. Ihn, den Neuen, den Mann, der hier im Madison Square Garden seinen ersten Profikampf bestritt, nachdem er das Amateurlager verlassen hatte. Dabei war seine Aufstellung für das Olympiateam so gut wie sicher gewesen. Er war der beste Amateurboxer der Staaten im Halbschwergewicht. Doch er war ungeduldig. Drei Jahre bis Olympia waren eine zu lange Zeit für einen jungen Mann, der es schaffen wollte.

Ja, die Begeisterung der Zuschauer galt ihm und nicht dem Gegner, obwohl Jimmy Dale auf dem Weg zur Spitze war. Unaufhaltsam wie eine Dampfwalze. Der Kampf gegen den jungen Herausforderer, den Amateurchampion im Halbschwergewicht, sollte ihn aufbauen, ihn weiter prominent machen, ihn teuer werden lassen, bis es zum Titelkampf kam.

Jimmy Dale, Vierter der Weltrangliste im Schwergewicht, war gut. Aber Brick »The Cat« LeRoy hielt sich für besser.

Jimmy Dale griff an. Die schweren Fäuste in den Sechs-Unzen-Handschuhen flogen heran. Brick sah die Augen des anderen über dem braunen, vom Schweiß dunklen Leder. Er sah das Blauweiß um die Iris, die breite Nase mit den riesigen Löchern, durch die pfeifend der Atem stieß.

Sieben Runden lang hatte er Jimmy Dale durch den Ring gejagt und ihm die Luft aus den Lungen getrommelt. In der nächsten Runde, spätestens in der neunten, konnte er den schwereren, den erfahreneren Boxer auf die Bretter schicken. Brick fühlte sich gut. So gut wie noch nie in seinem Leben. Er war wie berauscht.

Er hatte vergessen, dass er sich in der nächsten Runde niederschlagen lassen sollte.

Jimmy Dales Linke streifte sein Ohr und erinnerte ihn daran, dass Dale ein Weltklassemann war. Ein Kämpfer. Der schwerere Körper des anderen prallte gegen ihn. Schweiß spritzte nach allen Seiten. Brick stieß Jimmy Dale zurück. Er schlug nach und landete einen Treffer in der Magengrube. Er sah das Zucken in den Augen des anderen, das kurze Spannen der Lippen.

Jimmy Dale konterte. Brick wurde gegen die Seile geschleudert. Dale setzte nach. Er erfasste instinktiv die Schwächen seines Gegners und nutzte sie erbarmungslos aus.

Bricks Schwächen waren seine Ungeduld und sein ungestümes Vorgehen.

Er tauchte unter einem wüsten Schwinger weg. Er stellte sich frei und tänzelte, um den anderen aus der Ecke herauszulocken. Der Ringrichter war ein weißer Schatten. Brick sah ihn gar nicht.

Wie eine Katze schlich Brick um Jimmy Dale herum. Dabei blieb er dauernd in Bewegung. Dale ließ ihn nicht aus den Augen. Er fintete und sprang zurück. Plötzlich stieß er vor. Brick tauchte unter einem Schwinger weg. Von unten nach oben stieß er die Faust gegen den Hals seines Gegners. Dale taumelte, fing sich sofort wieder. Er wirbelte herum. Der Boxer überspielte den Moment der Schwäche mit einem wahren Feuerwerk von Links-Rechts-Kombinationen, um sich Brick vom Leib zu halten. Als Brick die Deckung durchbrach, ging Dale in den Clinch.

Er hörte Jimmy Dales keuchende Atemzüge nah an seinem Ohr.

»Ich bringe dich um!«, zischte der Schwergewichtler. »Du gehörst nicht zu uns! Ich bringe dich um!«

Jimmy Dale wich zurück, als der Ringrichter die Kämpfer trennte. Brick griff an. Die Runde musste bald zu Ende sein. Er wollte dem anderen ein paar Brocken mit in die Pause geben.

Die Halle dröhnte. Er sah die aufgerissenen Münder, die blassen Gesichter in Ringnähe. Augen, die ihn anstarrten. Ihn, nur ihn!

Er schmetterte die Rechte in Dales Gesicht. Ein lang gezogenes Stöhnen aus zwanzigtausend Kehlen quittierte diesen Treffer. Jimmy Dale marschierte wieder vorwärts, um Brick, den Jüngeren, auf Abstand zu halten. Brick feuerte einen wahren Hagel von Schlägen ab, der die Deckung des anderen zertrümmerte.

Verschwommen sah er das lange Gesicht seines Managers unten am Ring neben seiner Ecke. Er hatte den Mund zu einem scheinbar lautlosen Schrei geöffnet. Bull Hyman machte sich Sorgen. Das Gesicht verschwand.

Jimmy Dale schoss eine linke Gerade ab, die gegen Bricks Deckung prallte, ihn aber zwei, drei Schritte zurückwarf. Dale kam ihm nach. Den nächsten Schlag blockte Brick ab. Dann schoss seine Faust durch die Deckung des anderen und klatschte gegen die Halsschlagader.

Wie ein gefällter Baum krachte Jimmy Dale auf die Knie. Er stützte sich mit den Fäusten ab und schüttelte den Kopf. Der Ringrichter drängte Brick in die neutrale Ecke. Dann begann er zu zählen.

Bei drei ertönte der Gong, und das Toben der Zuschauer verebbte.

Brick starrte Jimmy Dale an, während die Helfer um ihn waren. Man goss ihm Zitronenwasser in den Mund, massierte seine Beine und überprüfte die Bänder der Handschuhe. Toomey Booth, der Trainer, hechelte Anweisungen in sein rechtes Ohr. Brick hörte sie nicht.

Denn an seinem linken Ohr hing Bull Hyman. Bulls Stimme klang rau vor Anspannung.

»Lass dich voll erwischen. Nimm einen Schlag. Es darf nicht getürkt aussehen. Denk ans Fernsehen! Und denk daran, was für uns davon abhängt!«

Brick nickte mechanisch. Er sah die Augen seines Gegners in dem schwarzen Gesicht. In diesen Augen brannte der Hass. Jimmy Dale fletschte die Zähne. Warum hasst er mich?, fragte sich Brick. Er ist Schwarzer wie ich. Er stammt aus derselben Ecke des Gettos wie ich.

»Du musst es tun«, hauchte Bull Hyman beschwörend.

Brick nickte erneut. Das alles hörte er jetzt seit Tagen. Er hatte sich auf alles eingelassen, um überhaupt einen Kampf gegen einen der Weltbesten im Schwergewicht zu bekommen. Bis sie ihm einen Kampf um den Titel gaben, musste er tun, was sie sagten. Die Show mitmachen. Die Regeln des Dschungelkampfes einhalten. So hatte Bull Hyman es ihm erklärt. Und Jack Pepe auch. Jack Pepe, sein alter Trainer. Der Mann, der ihn entdeckt hatte.

Und er hatte zugestimmt. Jaja. Er war ungeduldig.

Der Gong ließ ihn auf die Beine schnellen. Die Helfer kletterten aus dem Ring. Wieder schwoll das Johlen an. Die anfeuernden Rufe der Zuschauer. Zwanzigtausend! Mein Gott! Und das Fernsehen war auch da. Jimmy Dale war auf dem Weg zur Spitze.

Aber Dale hasste ihn, den Jungen aus dem Getto. Die Zuschauer feuerten Brick an, weil er den besseren Kampf lieferte. Er bot ihnen etwas für ihr Geld. Wenn er Jimmy Dale schlug, mussten sie ihn doch weiter gegen Klasseleute kämpfen lassen! In ein paar Wochen hatte er ohnehin das richtige Gewicht für die Schwergewichtsklasse.

Dales Faust prallte seitlich gegen seinen Kopf. Brick taumelte. In der Halle wurde es für einen Moment still, totenstill. Dann, als er nach diesem schweren Hieb auf den Beinen blieb, johlten sie und feuerten ihn an. Er hätte sich hinwerfen können. Er hätte den Angeschlagenen mimen können. In seinem Schädel pochte ein dumpfer Schmerz.

Sie schrien seinen Namen.

»Cat!«, schrien sie. »Cat! Cat! Cat!«

Sie johlten und brüllten. Der Rausch stellte sich wieder ein. Er sah die Augen seines Gegners. Groß, rund und braun, das Weiße bläulich schimmernd.

Jimmy Dale versuchte, ihn gegen die Seile zu drängen. Brick gab nach. Er wich zurück. Als Dales Augen triumphierend zu funkeln begannen und eine neue wilde Serie von Schlägen ankündigten, drehte er sich blitzschnell zur Seite weg.

Dale schoss an ihm vorbei. Brick stoppte ihn mit einer linken Geraden an der Schulter. Jimmy Dale wurde halb herumgerissen. Brick drehte sich nach rechts. Seine Schultern schwangen herum. Er sah den Mundschutz zwischen den halb geöffneten Lippen, die Nase, das bullige Kinn.

Das Gesicht des anderen lag frei vor ihm.

Brick war ein Boxer. Reflexe und Verstand bestimmten wechselseitig das Handeln eines Fighters. Jetzt war es ein reiner Reflex, der ihn handeln ließ.

Er schlug zu. Das Gesicht verschwand hinter den sechs Unzen des Handschuhs. Er spürte den Schmerz, der seinen Arm hinaufraste, durch seine Schulter zuckte und irgendwo in seinem Kreuz explodierte.

Es war ein wirkungsvoller Schlag gewesen. Brick wusste es sofort.

Jimmy Dales Gesicht sackte unter ihm weg. Dann krachte Dale, Vierter in der Weltrangliste der Schwergewichtler, zu Boden.

Der Garden glich einem Hexenkessel. Die Kamera schwenkte kurz über die Zuschauer, ehe sie zum Ring zurückkehrte. Aus dem Lautsprecher drang das Johlen der Massen, und doch war die Stimme des Ringrichters genau zu verstehen.

»... sieben, acht, neun, aus!«

Zwanzigtausend Fans sprangen von ihren Sitzen. Sie jubelten ihrem neuen Favoriten zu. So etwas hatte man lange nicht gesehen. Wie lange nicht? Wer dachte in diesen Minuten nicht an den jungen Cassius Clay?

Ich dachte an ihn. Manuel »Concho« Moran vielleicht ebenfalls, auch wenn er jetzt die schmalen Lippen kräuselte und den kleinen Farbfernseher, der auf seinem Schreibtisch stand, mit einer heftigen Bewegung ausschaltete. In den dunklen Augen glomm ein kleines Licht, als er sie jetzt auf mich richtete. Ich wusste jedoch, dass er mich nicht wirklich sah, dass er meine Anwesenheit während der letzten dreißig Sekunden glatt vergessen hatte. Er hatte nur auf den Bildschirm gestarrt, wo ein junger schwarzer Kämpfer einen erfahrenen, mit allen Wassern gewaschenen Profi ausgepunktet und ausgeknockt hatte.

Manuel Moran, den man »Concho« nannte, war ein hellhäutiger Schwarzer. Seine Mutter war eine lungenkranke, alkoholsüchtige puerto-ricanische Prostituierte gewesen. Sein Vater musste ein Schwarzer gewesen sein, dessen Namen die Mutter allerdings nicht kannte. Sie hatte es irgendwie fertiggebracht, ihren Sohn auf anständige Schulen zu schicken. Als sie starb, wurde sogar eine Lebensversicherung in Höhe von dreißigtausend Dollar fällig. Dieser Betrag reichte aus, um dem bei ihrem Tod gerade fünfzehnjährigen Jungen sogar den Besuch eines College zu ermöglichen.

Die Lehrer hatten einen brillanten Kopf aus ihm gemacht. Aber sie hatten es nicht geschafft, seinen Hass auf die Menschheit – auf Schwarz und Weiß – abzubauen.

Seine Haut zeigte ein helles Braun. Das glänzende schwarze Haar trug er glatt nach hinten gekämmt wie die Gigolos, die in den Dreißigerjahren den Savoy Ballroom an der Lenox Avenue bevölkert hatten. An zwei der schmalen, geschmeidigen Finger der linken Hand funkelten große Brillanten im Schein der Schreibtischlampe. Im Lichtkegel der Lampe stand ein Foto in einem schweren Silberrahmen. Das Farbbild zeigte das ovale Gesicht eines etwa dreizehnjährigen Jungen mit sanften Rehaugen. Die Ähnlichkeit mit Concho Moran war unverkennbar.

»War das Ihr Mann, der da auf die Bretter gegangen ist?«, fragte ich laut in die Stille hinein.

Morans Blick kehrte aus weiter Ferne zurück. Er hatte nicht verstanden, was ich gesagt hatte. Deshalb wiederholte ich die Frage.

Concho Morans Interessen waren weit gefächert. Als Hobby gewissermaßen hielt er sich einen Boxstall. So wie andere Leute mit Geld einen Rennstall unterhalten. Und wie alles, was Leute mit Geld anfassen, wieder Geld bringt, warf auch Concho Morans Boxzirkus beachtliche Beträge ab. Nur ein Weltmeister im Schwergewicht fehlte ihm noch. Oder wenigstens ein Boxer, der einen Kampf um den Titel bekam. Jetzt hatte Moran in Jimmy Dale einen Fighter von Weltklasseformat an der Hand.

»Er sah aber nicht besonders gut gegen den jungen Mann aus«, fügte ich leicht schadenfroh hinzu.

»Gut genug«, murmelte Moran. »Dale wird um den Titel kämpfen. Im Herbst. Er hat eine gute Chance!« Seine Augen funkelten.

Ich nickte und versuchte, auf den Zweck meines Besuchs zu sprechen zu kommen. Ich hatte mich nicht nach Harlem begeben, um mit Concho Moran über die Chancen seines Spitzenboxers zu plaudern, auch wenn ich ein ausgesprochener Boxfan bin. Concho Moran hatte mir eine Audienz gewährt, und ich durfte die kostbare Zeit nicht mit nutzlosem Geschwätz vertändeln.

Denn Concho Moran war ein Topman. Einer aus der oberen Riege. Er war der reichste Mann von Harlem. Und sicher auch der gemeinste.

An die zweihundert schwarze Prostituierte trippelten für ihn über Manhattans Gehwege oder hockten in den Hallen der großen Hotels. Einige Hundert Dealer verseuchten Kinder aller Altersstufen mit Heroin. Andere versorgten die Jugendlichen und die Erwachsenen mit Stoff. Er betrog die Ärmsten der Armen aus den Slums noch um das bisschen Geld, das sie von der Wohlfahrt bekamen, indem er ihre Träume ausnutzte und ihnen die Dollars für Wetten aus den Taschen luchste. Und so weiter und so weiter. Er war der Kopf der schwarzen Mafia.

An diesen Supergangster selbst kamen wir nicht heran. Hin und wieder schnappten die Kollegen von der Narcotic Squad einen Dealer. Mal stellten die City Cops die Mitglieder einer Bande jugendlicher Schwarzer, wenn sie ein Lagerhaus ausräumten. Oder vielleicht einen Killer, der einen Job für Concho Moran erledigt hatte.

So wie jetzt.

Ich zog einen Umschlag aus der Jackentasche und schüttelte einen Packen Fotos heraus.

Es handelte sich um Amateuraufnahmen, die jedoch von Spezialisten ausgewertet worden waren. Die Ausschnittvergrößerungen zeigten einen Weißen in einer Menge Schwarzer. Mal die Schultern und den Hinterkopf. Mal das Gesicht im Halbprofil. Einmal sogar von vorn, auch wenn es zu einem Drittel von einem hünenhaften Schwarzen verdeckt wurde. Die Fotos waren bei einer Versammlung entstanden, wie sie in letzter Zeit oft auf den Straßen abgehalten wurden. Schwarze Bürger – Pastoren, Geschäftsleute, Politiker, Polizeioffiziere, Männer aus leitenden Positionen – sprachen zu den Menschen. Auf der Straße. Sie versuchten, ihnen Mut zu machen. Sie zu bewegen, in Harlem zu bleiben. Zu kämpfen. Gegen Kriminalität, Verbrechen, Rauschgift und Schrecken.

Gegen Männer wie Concho Moran.

Vorgestern war ein schwarzer Feuerwehrmann bei einer dieser Versammlungen erschossen worden. Auf offener Straße. Officer George Chieffo war achtundfünfzig Jahre alt gewesen. Vor drei Jahren erst war er demonstrativ nach Harlem zurückgekehrt, nachdem er den Stadtteil, in dem er geboren worden war, vor fünfzehn Jahren verlassen hatte. Viele Schwarze, unter ihnen Prominente, kehrten zurück und versuchten, ihre Freunde nachzuziehen.

George Chieffo hatte sich der Bürgerbewegung angeschlossen, die für ein sicheres Harlem kämpfte. Diese Gruppe hieß CASH – Citizen Action for Safer Harlem.

Der Mann auf dem Foto war der Mörder, auch wenn es dem Fotografen im Tumult nach der Tat nicht gelungen war, den Weg des Killers weiter mit der Kamera zu verfolgen. Aber Zeugenaussagen bestätigten, dass dieser Mann die beiden tödlichen Schüsse auf George Chieffo abgegeben hatte.

Ich klatschte die Fotos auf den Schreibtisch. Sie schlitterten ein Stück über die glatte Platte und stießen gegen den Silberrahmen mit dem Foto von Concho Morans kleinem Sohn.

Moran sah auf das oberste Bild. Dann richtete er die Augen auf mich.

»Was soll das? Wer ist dieser Mann?«, fragte er. Er hatte eine weiche, angenehme Stimme.

»Dieser Mann hat George Chieffo getötet«, sagte ich.

Die strichdünnen Lider fuhren ein halbes Inch in die Höhe, wobei sich die glatte Haut der Stirn nicht in Falten legte.

»Chieffo?«, fragte er.

Er benutzte dafür den Tonfall, der so neutral ist, dass man sich alles dabei denken kann. Auch, dass er den Namen dieses prominenten Kämpfers für ein sauberes Harlem noch nie gehört hatte.

»George Chieffo«, bestätigte ich. »Er hat der Prostitution, dem Rauschgifthandel und einem Dutzend anderer schmutziger Dinge den Kampf angesagt. Dabei wurde er gewissen Leuten unbequem.«

»Dann würde ich an Ihrer Stelle mit diesen Leuten sprechen«, schlug Moran vor. Seine Stimme hatte eine Spur an Schärfe zugenommen, der Blick glich dem einer gefährlichen Schlange, die bereit ist, sich gegen einen Angreifer zu wehren.

»Genau deshalb bin ich hier, Mister Moran. Der Mörder heißt Donald Elvin. Anhand der Fotos ist uns eine einwandfreie Identifizierung gelungen ...«

»Gratuliere.«

»Elvin ist ein Auftragskiller aus Chicago. Einen Tag vor dem Mord ist er von Chicago herübergeflogen. Er ist im Edison Hotel an der sechsundvierzigsten Straße abgestiegen, aber nach der Tat nicht dorthin zurückgekehrt. Vermutlich ist er mit der Subway bis zur Hundertsechzehnten gefahren, wo die Street Rally vorgestern ihren Ausgangspunkt genommen hat. Er ist mit der Gruppe weitergegangen. An der hundertfünfundzwanzigsten Straße hat er dann geschossen. In seinem Rücken befand sich ein Abgang zur U-Bahn ...«

»Warum erzählen Sie mir das, Agent Cotton?«, fragte er.

»Weil wir Elvin haben wollen, Mister Moran«, sagte ich hart. »Er ist erkannt. Wir werden ihn bekommen. Mit Ihrer Hilfe.«

»Wieso mit meiner?« Morans Stimme klang flach. Sie war in der Stille des Raums so deutlich zu hören wie das Rasseln einer Klapperschlange. Er war beunruhigt. Er musste es einfach sein. Da kreuzte ein FBI-Mann in seinem Büro auf, der nicht nur den Namen des Auftragskiller kannte, sondern auch ganz sicher war, wer den Mörder in die Stadt geholt und bezahlt hatte. Ein Auftragskiller, dessen Gesicht der Polizei bekannt war, war so gut wie tot.

Im Gegensatz zu uns vom FBI kannte der Killer seinen Auftraggeber jedoch nicht, konnte ihm also mit einer Aussage nicht gefährlich werden. Deshalb rechnete ich mir eine gewisse Chance aus, dass Moran uns den Mann ans Messer lieferte. Ich musste ihm nur etwas Druck machen, ihn in die Enge treiben. Aus diesem Grund hatte ich mich allein in die Höhle des Löwen begeben. An einem Freitagabend im Sommer. Ich wollte ihn bluffen, ihm drohen. Ich wollte einen gemeinen Mörder von der Straße holen.

»Liefern Sie uns den Mann aus«, sagte ich schlicht und lächelte dabei.

Concho Moran lächelte nicht.

2

Immer noch tobten die Zuschauer. Brick LeRoy sprang in die Luft und riss die Arme hoch. Er hatte die richtige Nummer gezogen. Er hatte Jimmy Dale geschlagen!

Die Betreuer des Schwergewichtlers schleppten ihren immer noch benommenen Schützling in die Ecke, wo sie ihn auf den Hocker setzten. Jemand spritzte ihm Wasser ins Gesicht. Der Masseur hielt ihm eine geöffnete kleine Flasche unter die Nase. Mit wütenden Bewegungen wies er den Ringarzt zurück.

Immer mehr Leute kletterten in den Ring und drängten sich um Brick. Brick sah lachende Gesichter um sich herum. Toomey Booth, sein Trainer, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Brick suchte Bull Hyman, den Manager, dem er so viel verdankte. Diesen Kampf. Diesen großen Kampf gegen einen der Besten. Sie würden groß werden. Sie brauchten keine Tricks. Keine gekauften Siege, und sie würden sich nie mehr einen Sieg abkaufen lassen. Nie mehr! Von jetzt an garantierte der Name Brick »The Cat« LeRoy volle Häuser.

Er schob die Leute zur Seite, die ihn umringten. Sie wollten seine Hand schütteln und schlugen ihm auf die Schulter. Er suchte Bull Hyman.

Er erreichte seine Ecke und sah nach unten. Da stand Hyman.

Bricks strahlender Gesichtsausdruck gefror beim Anblick des unförmigen Mannes in dem hellen, zerknitterten Leinenanzug. Betroffen starrte er den Manager an.

Die Augen lagen wie tote Tümpel in eingesunkenen Höhlen. Die genarbte schwarze Haut schien grau zu sein, wie mit Asche gepudert. Die Lippen waren rau und spröde, halb geöffnet und gespannt wie die eines Toten.

Der Blick war leer, absolut leer. Bull Hyman sah die Hände nicht, die sich nach ihm ausstreckten und ihn berühren wollten. Alle wollten sie auch ihm zu dem neuen Fighter gratulieren. Sie schüttelten einfach seine Hände, die schlaff waren wie abgehangenes Fleisch.

Wortlos sich drehte Hyman um und verschwand in der Menge. Es sah aus, als hätte er einen Kampf verloren.

»Bull!«, schrie Brick. »Bull!«

Sein Rufen ging im Geschrei unter. Der Ringrichter grapschte nach seiner Hand. Er zerrte ihn in die Ringmitte und riss seinen Arm hoch. Ein Mikrofon baumelte vor seinem Mund.

»Sieger durch K. o. in der achten Runde ... Brick LeRoy!«

Die Halle dröhnte unter dem Trampeln der Füße und den schrillen Pfiffen. Brick hörte sie nicht. Bull ... Er dachte an seinen Manager. Was hatte er nur? Er wollte ihm nach. Er drängte sich an den Fotografen vorbei, die den Ring gestürmt hatten. Ihre Blitzlichter blendeten ihn. Jemand hielt ihn fest. Es war ein harter Griff. Klauenfinger bohrten sich in seinen Oberarm. Dann zischte eine seelenlose Stimme Worte in sein Ohr, die ihn frieren ließen.

»Lauf, Nigger, lauf!«

Bricks Kopf ruckte herum. Er sah ein schwarzes Gesicht mit überhoher Stirn, kurzes krauses Haar und eine auffallend schmale Nase. Ein dünner Bart mit herabhängenden Enden verlieh dem Gesicht einen gemeinen Ausdruck. Der Kerl trug eine dünne Nylonjacke, darunter ein knallrotes Hemd. Es war am Hals geöffnet und gab den Blick auf ein dünnes Goldkettchen frei.

»Lauf, Nigger, wenn dir dein Leben lieb ist.« Der Kerl lachte.

Brick wollte sich auf ihn stürzen. Er wollte ihn festhalten und fragen, was die Drohung zu bedeuten hatte. Seine Hände schossen vor. Erst jetzt bemerkte er, dass er noch die schweren Handschuhe trug. Der Fremde glitt unter seinen Händen durch. Blitzlichter zuckten. Dann war der Mann verschwunden.

Toomey Booth stand neben ihm.

»Komm, Brick«, sagte er. »Komm jetzt! Lass dir die Handschuhe ausziehen. Du warst großartig, Junge!«

Brick arbeitete erst seit einem halben Jahr mit Toomey Booth. Seit er ins Profilager übergewechselt war. Booth war ein ganz ausgekochter Junge. Eben ein Profi. Ohne Booth hätte er es nicht geschafft, obwohl er seinem alten Trainer, Jack Pepe, ungleich mehr verdankte. Pepe hatte ihn behutsam entwickelt, ihn langsam aufgebaut und ihn, solange es ging, von den Profis ferngehalten. Jack Pepe hatte Angst um seinen Schützling gehabt.

Hatte er etwa recht?

Während Booth ihm die Handschuhe aufschnürte, fragte Brick: »Was ist eigentlich mit Bull?«

Toomey Booths Kopf ruckte in die Höhe. Aus leicht vorquellenden Augen starrte er Brick an. »Bull? Was soll mit ihm sein? Er ist happy, Baby! Happy!« Er sah sich um. »He, wo ist er denn? Ich sehe ihn nicht. Ich wette, er gibt bereits Interviews. Oder hängt am Rohr und telefoniert, um den nächsten Fight für dich zu buchen.«

Brick schüttelte den Kopf. Nein, Bull Hyman war nicht glücklich. Er, Brick, hatte einen schrecklichen Fehler begangen.

Um ihn herum rannten immer noch die Reporter. Jeder wollte ihn von Nahem sehen.

»Haut ab!«, schrie Booth. »In einer halben Stunde gibt er eine Pressekonferenz!«

»Wo ist Bull?«, fragte einer der Sportjournalisten. »He, Toomey, nicht dass Bull die Konkurrenz zuerst bedient. Er soll nicht vergessen, wo seine Freunde sind!«

Brick sah den Reporter an. Der Mann grinste freundlich. Er hatte ein fleischiges Gesicht und rote Haare, die wirr von seinem breiten Schädel abstanden. Brick kannte diesen Reporter. Er war ein paarmal im Trainingslager oben am Hackensack River gewesen. Sharp hieß er. Richtig, Matt Sharp. Er schrieb eine Kolumne, die von vielen Zeitungen nachgedruckt wurde.

»Vielleicht ist er schon bei den Kabinen«, sagte Toomey Booth.

Die Reporter schrien durcheinander, dann sprangen sie aus dem Ring. Auch Sharp ging, nachdem er Brick noch einmal zugenickt hatte. Booths Gesicht war nah vor Bricks.

»Bull hat Angst«, sagte Brick spontan. »Er hat diesen Kampf verkauft.«

Toomey Booth fuhr in die Höhe. Seine Unterlippe begann zu zittern. Hastig sah er sich nach ungebetenen Zuhörern um. Im Augenblick bestand jedoch keine Gefahr.

»Du bist verrückt!«, zischte er. »Bull? Niemals!«

Nein, das war undenkbar. Jack Pepe, Bricks Trainer im Amateurlager, kannte Bull Hymans Ruf. Er hätte seinen Schützling nicht gehen lassen. Pepe konnte sehr, sehr hartnäckig sein.

Aber er hatte Hyman gesehen, als er wie ein geschlagener Mann in der Menge verschwand. Und er wusste schließlich, was Hyman zu ihm gesagt und was er verlangt hatte. Er hatte ihn beschworen mitzumachen. Doch er hatte ihm nicht verraten, wie sehr ihm daran lag, dass er, Brick, sich ausknocken ließ. Gut, Bull Hyman war kein reicher Mann. Er hatte in den letzten Jahren ein paarmal Pech gehabt. Er hatte sich vielleicht an einer faulen Wette beteiligt. Oder sich Geld anbieten lassen. Nur er, Brick, war dem anderen so überlegen gewesen!

Booth schüttelte Bricks Arm. »Sag so etwas nicht noch einmal, verstehst du? Willst du ihn ruinieren?«

Brick schüttelte den Kopf.

»Komm jetzt«, sagte der Trainer energisch. »Die Meute wartet. Sie erwarten jetzt irgendetwas Markiges von dir.« Er grinste ermutigend. »Kopf hoch, Junge! Die Presseboys werden dir zwar schlimmer vorkommen als Jimmy Dale. Aber sie mögen dich. Du bist ihr Typ.« Aufmerksam betrachtete Booth Bricks Gesicht.

Brick sah Bull Hymans Gesicht vor sich. Grau, mit erloschenen Augen und herabgesunkenem Unterkiefer. Brick schüttelte sich.

»Komm jetzt!«, drängte Toomey Booth. Mit seinen großen Händen packte er ihn am Unterarm.

»Ja«, murmelte Brick LeRoy benommen.

Wie ein kleines Kind folgte er dem Trainer.

Concho Moran, der Mann, der mit Rauschgift, Prostitution und Glücksspiel ein Vermögen gemacht hatte, starrte mich aus kalten Schlangenaugen an, als wollte er in mein Gehirn blicken.

»Liefern Sie uns den Mann aus«, hatte ich gesagt. Den Killer. Ich hatte es freundlich gesagt und irgendwie selbstverständlich, als gäbe es für mich keinen Zweifel daran, dass er den Aufenthaltsort des Killers kannte.

So unvernünftig, wie sich meine Forderung anhörte, war sie nicht. Wenn unsere Vermutung stimmte und der Killer seinen Auftraggeber nicht kannte, konnte er ihn also nicht hineinziehen. Moran und ich waren allein im Büro des Gangsters, über der Bühne eines leer stehenden ehemaligen Theaters an der Lenox Avenue, im Herzen Harlems. Moran hatte das Theater vor zwei Jahren billig gekauft, um es in einen Unterhaltungsschuppen umzuwandeln. Mit Bowlingbahnen, Bars, Billardhalle, Grill und Stripteaseshow, mit Saunas und Fitnessräumen. Mehrere Bürgerinitiativen waren daraufhin aktiv geworden. Sie hatten auf Morans Ruf hingewiesen, hatten ihre Bedenken hinsichtlich der Gefährdung Jugendlicher dargelegt und die Stadtverwaltung gezwungen, die Pläne abzulehnen.